Auf die Verfassung häretischer Gemeinschaften und der Montanisten muß hier noch ein Blick geworfen werden, wenn es auch nur Weniges ist, was wir von ihnen wissen. Soweit jene in der Form von bloßen Schulen existierten (Tertullian, de praescr. 42: „plerique nec ecclesias habent”), bieten sie in diesem Zusammenhang kein Interesse; sie sind wie Philosophenschulen, manche mit einer fast abgöttischen Verehrung des Meisters (s. d. Karpokratianer und Elkesaiten), gruppiert. Aber andere waren in der Form von Kirchen, andere in der Form von Mysterienvereinen organisiert (für beide spielte die Überlieferung eine ebenso große Rolle wie in der großen Kirche). Ersteres gilt sicher von den Marcioniten; auch die Gegner haben nicht geleugnet, daß sie eine Kirche sind und Kirchen haben (Tertullian, adv. Marc. IV, 9: „faciunt favos et vespae, faciunt ecclesias et Marcionitae”). Es war nicht zu leugnen; denn sie hatten nicht nur ihre zahlreichen Märtyrer (Euseb. V, 16, 21 und sonst), sondern auch ihre Bischöfe und Presbyter (Beispiele Acta Pionii 21, Euseb., de mart. Pal. 10; Presbyter auch auf einer marcionitischen Kirchengebäude-Inschrift aus der Nähe von Damaskus; das Gebäude heißt auf der Inschrift merkwürdigerweise „Συναγωγή”), ihre Gläubigen und Katechumenen. Nach Adamantius (p. 16) nannten die Marcioniten den Marcion ihren Bischof. Aber obgleich sie somit vieles mit der kirchlichen Organisation teilten, waren sie weniger zeremoniell wie diese, und die Ordnungen waren absichtlich nicht so feste. Die Schilderung der häretischen Verfassung
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bei Tertullian, de praescr. 41f. geht nachweisbar hauptsächlich oder ausschließlich auf die Marcioniten. Hier aber heißt es: „Non omittam ipsius etiam conversationis haereticae descriptionem, quam futilis, quam terrena, quam humana sit, sine gravitate, sine auctoritate, sine disciplina, ut fidei suae congruens. imprimis quis catechumenus, quis fidelis, incertum est; pariter adeunt, pariter audiunt, pariter orant, etiam ethnici, si supervenerint ... simplicitatem volunt esse prostrationem disciplinae, cuius penes nos curam lenocinium vocant. ... ipsae mulieres haereticae quam procaces! quae audeant docere, contendere, exorcismos agere, curationes repromittere, forsitan et tingere. ordinationes eorum temerariae, leves, inconstantes. nun neophytos collocant, nunc saeculo obstrictos, nun apostatas nostros ... itaque alius hodie episcopus, cras alius; hodie diaconus qui cras lector, hodie presbyter qui cras laicus; nam et laicis sacerdotalia munera iniungunt ... ceterum nec suis praesidibus reverentiam noverunt”. Diese Schilderung wird von Epiphanius und Hieronymus z.T. bestätigt. Jener sagt (h. 42 p. 304): μυστήρια παρ᾽ αὐτῷ ἐπιτελεῖται τῶν κατηχουμένων ὁρώντων (vgl. 305), und dieser bemerkt, Marcion habe sich für die Vermischung von fideles und catechumeni auf Ga 6, 6 berufen (κοινωνείτω ὁ κατηχούμενος τὸν λόγον τῷ κατηχοῦντι ἐν πᾶσιν ἀγαθοῖς). Die dunkle Angabe des Letzteren (ep. 133, 4): „Marcion Romam praemisit mulierem, quae decipiendos sibi animos praepararet”) bekräftigt es, daß Frauen in dieser Kirche lehren durften. Vgl. Epiphanius (p. 305): δίδωσι καὶ ἐπιτροπὴν γυναιξὶ βάπτισμα διδόναι, Esnik: „Marcion ging so weit, daß er selbst den Frauen sogar anempfahl zu taufen, was keiner der früheren Häretiker zu tun wagte ... keiner ließ sonst die Frauen zum Priestertum gelangen”. Die ideale Kirche war für Marcion eine hohe Potenz (Ga 4, 26 last er ἥτις ἐστὶν μήτηρ ἡμῶν γεννῶσα εἰς ἣν ἐπηγγειλάμεθα ἁγίαν ἐκκλησίαν), aber den stärker sich
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entwickelnden Ritualismus der großen Kirche verschmähte er (Doch hatte er auch seinen Ritualismus, wenn er z.B. wie mehrfach bezeugt, seine Jünger am Sabbath fasten ließ, um dem Judengott zu trotzen). Propheten und Prophetinnen gab es bei Marcion, wie es scheint, nicht, wohl aber bei Apelles, den Basilidianern, Marcianern u.a. Das Gegenbild zur lockeren Verfassung der marcionitischen Kirche bildeten die als Mysterienvereine organisierten christlichen Sekten. Am Besten kennen wir die Marcianer (Iren. I, 13f.). Hier hat man mutatis mutandis den späteren katholischen Bischof, der imstande ist, das geheimnisvolle Opfer zu vollziehen, an dessen Person Kräfte der Gnade gebunden sind — die Spendeformel lautet: μεταδοῦναι σοι θέλω τῆς ἐμῆς χάριτος ... λάμβανε ἀπ᾽ ἐμοῦ καὶ δι᾽ ἐμοῦ χάριν ... λάβε παρ᾽ ἐμοῦ τὸν νυμφίον, dann von der Empfängerin: εὐχαριστεῖ Μάρκῳ τῷ ἐπιδιδόντι τῆς ἰδίας χάριτος αὐτῃ — und durch dessen Vermittelung allein man zur Vereinigung mit Gott gelangen kann. Die ἀπολύτρωσις (I, 21, 1) wird nur vom Mystagogen erteilt. Ähnliches in den koptisch-gnostischen Schriften. Aber auch bei den Valentinianern zerfielen die „μαθηταί” in Jünger verschiedener Grade; stufenmäßig stieg man zum Anteil an den höchsten Erkenntnissen auf (s. die ep. Ptolemaei ad Floram). Umgekehrt proklamierte Epiphanes, der Sohn des Karpokrates, über Plato hinausgehend, den Kommunismus und die Abschaffung jedes menschlichen Gesetzes (bei Clem., Strom. III, 2, 6f.: ἡ ἰδιότης τῶν νόμων τὴν κοινωνίαν τοῦ θείου νόμου κατέτεμεν καὶ παρατρώγει). Ob in der Sekte die Anarchie wirklich durchgeführt war, wissen wir nicht.
Aus der Organisation der montanistischen Gemeinden in Phrygien auf alte Stufen der allgemeinen kirchlichen Organisation zurückzuschließen, ist nicht wohl statthaft. Das gilt auch von den Rechten, die sie den Frauen einräumten; denn so weit ist auch die älteste Kirche nie gegangen (Epiphan. h. 49, 2): ἐπίσκοποι παρ᾽ αὐτοῖς γυναίκες καὶ
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πρεσβὐτεροι γυναῖκες, καὶ τὰ ἄλλα˙ ὡς μηδὲν διαφέρειν φύσιν˙ ἐν γὰρ Χριστῷ Ἰησοῦ οὔτε ἄρρεν οὔτε θῆλυ, vgl. Ambrosiaster zu 1 Ti 3, 11). Wir haben zwei Gruppen von Nachrichten über die montanistische Organisation; die eine bezieh sich auf die allerfrühste, die andere auf eine spätere Zeit. Dort heißt es, daß Montanus — er schaltete als Werkzeug des Parakleten (zusammen mit den beiden Prophetinnen) mit unbedingter Autorität — die Gläubigen nach Pepuza (in die Wüste) geführt habe, um daselbst den wiederkehrenden Christus zu erwarten. Um die Gemeinde der Heiligen zu vergrößern (und zu ernähren?), stellte er Männer an, die bei seinen Anhängern Gaben zu sammeln hatten (Euseb. V, 18, 2:ὁ πρακτῆρας καταστήσας ... ὁ ἐν᾽ ὀνόματος προσφορῶν τὴν δωροληψίαν ἐπιτεχνώμενος, s. 18, 7), die auch zur Besoldung der Propagandaprediger dienten (ὁ σαλάρια χωρηγῶν τοῖς κηρύττουσιν αὐτοῦ τὸν λόγον). Sicherlich ist die Organisation eine ganz vorübergehende gewesen und hat außerdem in den zugebilligten Gehältern kein altertümliches Element. Sodann berichtet Hieronymus (ep. 41, 3): „apud nos apostolorum locum episcopi tenent; apud eos episcopus tertius est; habent enim primos de Pepusa Phrygiae patriarchas, secundos, quos appellant cenonas, atque ita in tertium i.e. paene ultimum locum episcopi devolvuntur”. Diese Organisation ist augenscheinlich jung und wird zu der Zeit, da Hieronymus schrieb, in den montanistischen Gemeinden Phrygiens bestanden haben. Interessant ist sie vor allem dadurch, daß sie keine monarchische Spitze hat und daß die Bischöfe an dritter Stelle stehen, d.h. diese Organisation bestätigt es, daß ursprünglich etwas ganz Neues geschaffen werden sollte, nämlich eine Universalorganisation der Kirche in Pepuza. Daher konnten die lokalen Bischöfe, soweit sie die neue Prophetie anerkannten, nur als Annexe angeheftet werden, nachdem man wohl oder über gezwungen war, mit ihnen zu rechnen. Die
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„Patriarchen” werden wohl dem Montanus und den beiden Prophetinnen entsprechen sollen (aber schon der Name besagt, daß sie schwerlich ursprünglich so genannt worden sind), und die „Cenones” (= κοινωνοί) wahrscheinlich den ersten Genossen der Propheten, die ja auch eine große Rolle gespielt hatten. Man hat also wohl die älteste Organisation der Sekte kopieren wollen. Rätselhaft ist die Angabe bei Epiphanius (h. 49, 2): πολλάκις ἐν τῇ αὐτῶν ἐκκλησίᾳ εἰσερχονται λαμπαδηφοροῦσαι ἑπτά τινες παρθένοι λευχείμονες, δῆθεν ἐρχόμεναι ἵνα προφετεύσωσι τῷ λαῷ. Eine ständige Einrichtung scheinen diese sieben Jungfrauen nicht gewesen zu sein. Epiphanius hat wohl selbst nicht gewußt, was die abgerissene Kunde bedeuten sollte.