17. Die Ausbildung der streng geschlossenen
Ortsgemeinde. Die christlichen Schulen
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Mit der Entwickelung des monarchischen Episkopats kommt auch die Tendenz, alle Christen an einem Ort zu einer Gemeinde zu verbinden, zu ihrem Abschluß. Waren früher noch Hausgemeinden geduldet (ihr ursprüngliches Verhältnis zur örtlichen Gemeinde ist uns ganz dunkel), so hörten sie jetzt auf (eine Sondergemeinde scheint noch der Kreis gewesen zu sein, an den der Hebräerbrief gerichtet ist, s. Ztschr. f. NTl. Wissensch. I, 1900 S. 16ff. und Schiele im Amer. Journ. of Theol. 1905 p. 290ff.). Auch Versuche, mehrere selbständige Kultvereinigungen in einer Stadt zu etablieren, mögen nicht gefehlt haben (s. die Ignatiusbriefe), aber sie wurden nun unterdrückt. Nicht ganz gewiß ist es,

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ob nicht noch nach der Zeit der Ausbildung des monarchischen Episkopats in einigen Städten zwei bischöfliche Gemeinden friedlich nebeneinander gestanden haben; beglaubigt ist kein solcher Fall. Aber auch die Fälle müssen verschwindend gewesen sein, in denen aus irgend welchen besonderen Gründen eine Gemeinde zwei Bischöfe gehabt hat1; jedenfalls wird die allgemeine Signatur der Verfassungsverhältnisse dadurch nicht betroffen. Nicht durchsichtig ist das Verhältnis der „Schulen” (διδασκαλεῖα) zu der Ortsgemeinde (s. meine Missionsgesch. I2, S. 300ff. 372f.). Nachdem das pneumatische Lehrertum allmählich in das profane übergegangen war, bildeten sich Schulen, die man einerseits — um die Apologetik und Polemik kräftig zu führen — nicht missen konnte, und die doch andererseits eine Gefahr (durch ihre Selbständigkeit und durch die Wissenschaft) waren. Was wir wissen2, reicht keineswegs aus, um ein Bild zu gewinnen; denn über die Tatsache der Existenz dieser Schulen hinaus erfahren wir sehr wenig (nach den Acta Justini sagt Justin, er kenne keinen anderen Zusammenkunftsort


1) Narcissus und Alexander in Jerusalem, bei Euseb., h.e. VI, 11. Verwandt mit dieser Singularität sind die Fälle, in denen dem Bischof wegen hohen Alters ein Jüngerer als zweiter Bischof zur Seite gestellt wurde; nach dem Nicänum war auch das nicht mehr zulässig. Augustin entschuldigt (ep. 213) seinen betagten Vorgänger und sich selber mit Unkenntnis des nicänischen Beschlusses.
2) Justins Schule, Tatians, Rhodons, Theodotus’, Praxeas’, Epigonus’ und Kleomenes’ Schulen in Rom, Übergang der theodotianischen Schule in Rom in eine Gemeinde — das ist der interessanteste Fall dieser Art, den wir kennen —, die Katechetenschule in Alexandrien; Hippolyt nennt höhnend die zu Kallist in Rom haltenden Christen, d.h. die Majorität der Gemeinde, eine „Schule”, und ebenso nennt Rhodon bei Euseb. V, 13 die marcionitische Kirche „διδασκαλεῖον”; die verschiedenen gnostischen Schulen, die z.T. anfangs gewiß innerhalb der Gemeinde gestanden haben; die Schule Lucians neben der Kirche in Antiochien.

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in Rom als den, wo er seine Schule halte). Jemand könnte versuchen zu zeigen, daß in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts die Gefahr für die Kirche generell bestanden habe, sich überhaupt in „Schulen” aufzulösen. Ein Anderer könnte es unternehmen nachzuweisen, daß hier und dort absichtlich auch das vulgäre Christentum den Charakter von philosophischen Schulen angenommen habe, um so Freiheit zu gewinnen und sich gegen den Staat und die feindselige Gesellschaft zu schützen (daß Einzelne so verfahren sind, unterliegt schwerlich einem Zweifel, s. meine Missionsgesch. I2, S. 307). Beide würden Beachtenswertes anzuführen vermögen, aber zu einem Beweis würde es nicht reichen. Soviel ist indes gewiß, daß die „Schulen” eine gewisse Gefahr für die einheitliche bischöfliche Gemeindeorganisation bedeutet haben (Demetrius und Origenes!), daß es der Bischofskirche aber bereits am Anfang des 3. Jahrhunderts gelungen ist, die Hauptgefahren zu beschwören.1


1) Gewiß ist auch, daß die Kirche zwar nie eine Philosophenschule geworden, aber daß das, was die Stoiker, was die Cyniker gewollt haben, doch in ihr in eigentümlicher Weise verwirklicht worden ist — ein Bund der Tugendhaften und solcher, die von der Welt nichts wollen, also eine Gesinnungsgemeinschaft. Zu den Faktoren, aus denen sich die christliche „Priester”, bezw. der Bischof gebildet hat, gehört auch der stoische (cynische) Philosoph — nicht direkt, aber indirekt, d.h. als begünstigende Voraussetzung der weiteren Entwickelung der Kleriker. Daß sich die alten Geistträger — Apostel, Propheten und Lehrer — in einen Stand verwandelt haben, der berufsmäßig moralisiert, Predigten hält, das Volk durch verständige Ermahnungen zügelt, daß sich dieser Stand als einen mittlerischen, königlichen, göttlichen betrachtet, daß seine Vertreter zu den „Herrn” wurden und sich „Despoten” nennen ließen — das ist im stoischen Weisen und im cynischen Missionar vorgebildet. Sofern aber diese einzelnen „Könige und Herrn” zusammengeschlossen sind in der Idee und Wirklichkeit der Kirche und ihr unterworfen sind, greift das platonische Ideal der Republik über das stoische und cynische hinaus und ordnet es sich unter. Dieses platonische Ideal aber hat ➝

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Was sich neben und außer der Bischofsgemeinde an einem Ort als christliche Gemeinschaft auftat und leben wollte, wurde als αἵρεσις (1 Ko 11, 19; Ga 5, 20; 2 Pt 2, 1; αἱρετικός schon Ti 3, 10; die Juden nannten die Christenheit eine αἵρεσις s. AG 24, 5. 14; 28, 22) gebrandmarkt. In jeder Stadt nur eine strenggeschlossene bischöfliche Gemeinde, und diese selbständigen Gemeinden zusammen die Kirche Christi! Diese so einfache Ordnung hat sich als eine Organisation von außerordentlicher Stärke bewährt. Freilich nötigte sie die Gemeinde bald, ihre antiheidnische Exklusivität mit voller Schärfe auch gegen solche „Brüder” zu richten, die sich aus irgend einem Grunde dem Bischof und der Gemeinde nicht unterordnen wollten. Die traurige Leidenschaft der Ketzermacherei — schon bei den kirchlichen Christen des 2. Jahrhunders — ist nicht nur eine Folge ihres Fanatismus für die wahre Lehre, sondern ebensosehr eine Folge ihrer geschlossenen Organisation und der hohen Prädikate, mit denen sie sich selbst als „Kirche Gottes” beehrten.


➝ wiederum seine politische Verwirklichung in der Kirche durch die sehr konkreten Gesetze des römischen Weltstaates, die man in steigendem Maße adoptierte, bezw. mit Beschlag belegte, empfangen. So findet man in der fertigen Kirche des 3. Jahrhunderts die Philosophenschulen und das römische Reich wieder, und doch hat sich die Kirche aus eingeborenem Triebe so entwickelt!


Harnack, A. (1910)