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Die Darstellung der Entstehung und Entwickelung der Kirchenverfassung und des Kirchenrechts in den zwei ersten Jahrhunderten ist ein erweiterter Abdruck des Artikels „Verfassung, kirchliche usw.” in der Protestantischen Real-Encyklopädie für Theologie und Kirche (3. Auflage). Auch in dieser Gestalt ist das Gebotene nur eine Skizze; aber ich hoffe, daß kein wesentliches Element übersehen ist.
Aufs engste schließt sich an diese Darstellung die Kritik der Abhandlung Rudolf Sohm’s über das Wesen und den Ursprung des Katholizismus. Die Bedeutung dieser Abhandlung forderte eine eingehende Untersuchung. Da der Widerspruch in ihr stärker hervortritt als die Zustimmung, so sei auch an dieser Stelle ausdrücklich bemerkt, daß m.E. Sohm in dem, was er behauptet, wesentlich Recht hat, aber Unrecht in dem, was er ausschließt.
Die drie Abhandlungen, welche ich hinzugefügt habe, scheinen in einem nur losen Zusammenhang mit den Untersuchungen über die älteste Kirchenverfassung zu stehen; in Wahrheit aber ist dieser Zusammenhang ein sehr enger. Die Wurzel der Organisation der Kirche ist die Verkündigung des Wortes Gottes. Das Wort Gottes stellte sich als Evangelium dar. An die Spitze es Evangeliums trat innerhalb der christlichen Verkündigung sehr frühe schon
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das trinitarische Bekenntnis und gab der neuen Religion ihr eigentümliches Gepräge. Diese Größen sind die stärksten Triebkräfte in der sich ausgestaltenden Kirche gewesen. Dennoch sieht man sich in der theologischen Literatur vergebens nach Untersuchungen um, in denen ihr Ursprung, ihr ursprünglicher Sinn und ihre Entwickelung klargestellt wäre. Diese empfindliche Lücke habe ich zu ergänzen versucht, in Bezug auf das trinitarische Bekenntnis mich darauf beschränkend, das Motiv aufzudecken, welches schon sehr frühe zu einer zwei- und dreigliedrigen Formel geführt hat. Aus den Untersuchungen über „Evangelium wird hervorgehen, daß auch an diesem wichtigsten Punkte die christliche Religion die wunderbare Vielseitigkeit, Elastizität und Entwickelungsfähigkeit von Anfang an gezeigt hat, die die Voraussetzung ihrer Universalität ist.
Berlin, den 31. Dezember 1909.
A. Harnack.