Unmittelbar nach der Zeit, in welche dieses bunte und keineswegs einstimmige Material gehört, nämlich in der Zeit des Pius und Markus, ist der monarchische Episkopat samt der bestimmte Organisation, die sich ihm anschließt, überall in der Kirche, soweit unsere Kunde reicht, zu konstatieren, ja für Antiochien und Asien ist er durch die Ignatiusbriefe bereits für die Zeit um 115 zu erweisen. Das geschichtliche Problem, welches sich daraus ergibt, ist groß und schwer zu lösen; denn in dem oben mitgeteilten Material weist kaum ein Zug direkt auf die monarchische Verfassung. Bei Ignatius ist diese also gestaltet: an der Spitze jeder Gemeinde (mit Ausnahme der römischen, an die er schreibt) steht ein Bischof, der diesen und keinen anderen Namen führt. Er ist der wirkliche Monarch der Gemeinde, wie es
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scheint, in jeder denkbaren Beziehung. In erster Linie aber ist er Leiter des Gottesdienstes und der Versammlungen, und erste Pflicht eines jeden Christen ist, sich dort ihm anzuschließen und jeden Winkelgottesdienst zu vermeiden. Nicht minder aber muß man auf sein Wort, seine Lehre hören. Überhaupt: „Nichts wider den Bischof, nichts ohne den Bischof”, das ist das A und O der Briefe. Unter und neben ihm steht ein Kollegium von Presbytern (τὸ πρεσβυτήριον, οἱ πρεσβύτεροι) als Ratsversammlung mit besonderen Ehrensitzen in der Gemeinde. Sie scheinen nicht als Einzelne, sondern eben nur als Ratsversammlung zu fungieren (aber ihre Kompetenzen sind überhaupt kaum gestreift) und führen keinen anderen Namen als „die Presbyter” (ihre Zahl ist nicht angegeben). Endlich folgen die Diakonen (unbestimmte Zahl), die kein Kollegium bilden, sondern als Einzelne in Betracht kommen. Sie sind die ausführenden Organe des Bischofs im Gottesdienst und in der Gemeindeverwaltung und stehen ihm deshalb besonders nahe (also die auch sonst zu beobachtende Affinität von Bischof und Diakon). Die „Theorie”, die Ignatius aus dieser Ordnung macht, scheint ihr Wesen und ihre Würde bei oberflächlicher Betrachtung exorbitant zu steigern; in Wahrheit schwächt sie sie oder offenbart vielmehr, daß die ganze Einrichtung tatsächlich nicht etwas so Erhabenes und rechtlich Festbegründetes ist, wie er glauben machen will. Zunächst wurzelt die Theorie noch immer in jener Betrachtung, nach welcher die Einzelgemeinde Projektion der Gesamtgemeinde ist. Von hier aus erklärt es sich, daß konstant proklamiert wird, der Bischof stehe in der Einzelgemeinde an Stelle Gottes, bezw. Christi, die Presbyter aber an der Stelle der Apostel. Diese Behauptung besagt rechtlich gar nichts; sie würde etwas — und zwar viel — besagen, wenn es vom Bischof hieße, er stünde an Stelle der Apostel und setze ihr Amt fort. Allein das sagt Ignatius nicht.
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Was er sagt, ist zwar nicht einfach Rhetorik — denn es liegt ihm die alte Konzeption des Ineinander von Gesamt- und Lokalgemeinde zugrunde —, ist aber eine Betrachtung, aus der sich rechtliche Kompetenzen nicht ergeben. Sodann ist nicht sicher ersichtlich, wie viel von dieser Verfassung wirklich schon in Asien eingebürgert war und wie viel bloß antiochenisch ist. Gewiß ist freilich, daß die asiatischen Gemeinden, an die Ignatius schreibt, in mindestens einer Hinsicht eine monarchische Spitze hatten sowie Presbyter und Diakonen, ferner daß der an der Spitze Stehende ein verhältnismäßig junger Mann sein konnte (Magn. 3), also dem Alter nach nicht zu den Presbytern zu gehören brauchte. Allein wie sehr man bereits irren würde, wenn man auf Grund der Ignatiusbriefe für Asien die scharfe terminologische Unterscheidung „der Bischof, die Presbyter” annehmen wollte, davon überführen die auf Asien bezüglichen Urkunden bis zum Anfang des 3. Jahrhunderts (namentlich Irenäus). Sie zeigen im Widerspruch zu Ignatius, daß die monarchischen Bischöfe auch noch immer „Presbyter der Kirche” genannt wurden. Dann aber ist es auch weiter fraglich, ob Ignatius wirklich in den asiatischen Gemeinden bereits die Monarchie eines Einzelnen in jeder Beziehung durchgeführt fand. Was er zu seiner Freude auch dort durchgeführt sah, war, daß einer, der den Namen „Bischof” führte [ob nur er?], den Gottesdienst leitete. Daran hat er mit seinen Ermahnungen und Spekulationen angeknüpft. Ob aber nicht die Presbyter tatsächlich noch in ganz anderer Weise an der Leitung der Gemeinde beteiligt waren, als es nach seinen Worten erscheint, darf man mit Fug fragen. Über wirkliche Kompetenzen rechtlicher Art schweigt er ja vollkommen. Das Problem ist also nicht so groß, wie man bei der ersten Betrachtung glauben mußte. Für Antiochien freilich, weil für Ignatius selbst, müssen wir den monarchischen Episkopat im strengen Sinn
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annehmen. Aber was wissen wir von der Gemeinde in Antiochien und den syrischen Gemeinden? Der antiochenische Episkopat kann eine Nachbildung der jerusalemischen Monarchie (Jakobus, Simeon) sein (so Zahn), aber er kann sich auch — was mir wahrscheinlicher ist — aus besonderen Bedingungen entwickelt haben, von denen wir schlechterdings keine Kunde besitzen. Die alte antiochenische Bischofsliste knüpft an Petrus an und nennt als Vorgänger des Ignatius den Euodius (s. meine Chronologie I, S. 70ff.). Das Problem, so weit es lösbar ist, ist überhaupt nur für die zwischen Phrygien und Rom liegenden Gebiete vorhanden; denn nur aus diesen stammt das oben zusammengestellte Material. Auch Ägypten muß ausgeschaltet werden; denn Angaben über die Gemeindeverfassung daselbst vor dem Ende des 2. Jahrhunderts fehlen uns.
Wie ist nun das Material aus der Zeit vor Pius im Lichte der Tatsache zu beurteilen, daß jene Gebiete seit der Zeit der Antonine monarchischen Bischöfe besitzen? (für Rom macht es die Existenz einer Bischofsliste aus der Zeit des Soter [s. Chronol. a.a.O.] und die ausdrückliche Bezeichnung des Anicet als des Bischofs in einer fast zeitgenössischen Urkunde gewiß, daß der monarchische Episkopat nicht nach c. 150 hervorgetreten ist; der Muratorische Fragmentist wird also im Rechte sein, wenn er schon den Pius als den Bischof bezeichnet; der Abschluß des „Hirten” muß dann aber spätestens um 140 erfolgt sein. Für Korinth bezeugt Hegesipp in der Zeit Anicets den Bischof Primus, bei Euseb., h.e. IV, 22; monarchische Bischöfe in den griechischen und asiatischen Städten sowie auf Creta werden von Dionysius Cor., Polykrates u.a. bei Euseb. IV, 23ff. bezeugt, etc. etc.). Sicher sind m.E. folgende Punkte: (1) Bis über den Anfang des 2. Jahrhunderts hinaus hatte die Organisation der Einzelgemeinde überhaupt nicht die Erheblichkeit, die ihr später zukam. Man fühlte sich als
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Christ der Gesamtkirche angehörig und empfand die Zugehörigkeit zur Einzelgemeinde, da sie etwas Stabiliertes, Irdisches ist, fast als etwas Nichtsein-sollendes, was man dadurch aufhob, daß man die Einzelgemeinde als „die in dieser Stadt als Paröke wohnende ἐκκλησία τοῦ θεοῦ” auffaßte. Bei dieser Betrachtung stand die Regierung durch den Geist, stand die ganze Gemeinde der Erwählten, standen endlich die Charismen im Vordergrund, die alles organisierten, irdisch-rechtliche Autoritäten zumeist nicht aufkommen und auch die κυβηρνήσεις als Ausfluß des Geistes (wie die Glossolalie) erscheinen ließen. (2) Die Gesamtgemeinde ist streng monarchisch regiert; denn sie hat Christus zum Hirten und Bischof; sie baut sich ferner auf dem untrüglichen Worte Gottes auf, und dieses ist als Lehre der Apostel in lebendigen Trägern und Zeugen vorhanden, nämlich in den Aposteln (Propheten und Lehrern), unter denen die Zwölf in der Vorstellung der Heidenkirchen eine womöglich noch wachsende Bedeutung erhielten, während das geistliche Gewohnheitsrecht in den Kirchen aus der Praxis des Paulus un der anderen Heidenmissionare entstand. (3) Die demokratische Gleichheit, die auf dem Boden der Charismen und in einem engen Bruderbunde gegeben war, konnte dazu verführen, gewisse freie Formen der profanen Kultvereine zu rezipieren; aber von ernsten Christen ist das gewiß nicht geschehen, und selbst unreife konnten sie nicht absichtlich rezipieren, sondern sie waren mehr oder weniger wehrlos gegenüber ihrem Einströmen. Man muß also die Hypothesen, alte christliche Einrichtungen auf die Kultvereine zurückzuführen, mit höchster Vorsicht aufnehmen; späteren Zuständen gegenüber ist dieser Rekurs mehr am Platze. (4) Von Anfang an war für das innere Leben der Lokalgemeinde der natürliche Unterschied von Presbyteri und Neoteri maßgebend; zu ersteren gehörten auch alle, deren Verdienste Ehrerbietung und Dank
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erheischten (auch Apostel konnten „Presbyter” heißen; doch ist das generell nicht technisch geworden). Wo die Verhältnisse nicht so lagen, daß die Missionare alles Weitere der Sorge eines Paterfamilias oder den hervorragendsten Erstbekehrten oder den „Alten” überlassen konnten (wie selten mag das tunlich gewesen sein, zumal wo die Bekehrung mit relativ großen Zahlen einsetzte!), da wurden Beamte (in der Regel die Erstbekehrten) eingesetzt, wahrscheinlich immer unter Handauflegung, aber sonst gewiß nicht überall nach dem gleichen Modus. Daß der missionierende Apostel einsetzte, mag die Regel gewesen sein; aber wie verschieden mußte sich die Sache gestalten, wenn der Geist den Anstoß gab; auch Propheten, auch die Gemeinde konnte ihn erbitten und befragen, und daß der Gemeinde niemand aufgedrängt wurde, dafür spricht noch die Praxis der späteren Zeit. Die Beamten — stets sind es mehrere — hatten auch nicht überall den gleichen Namen und zunächst überhaupt nicht einen festen. Sowohl dort, wo die Synagoge vorbildlich war, als auch dort, wo sich die neue Ordnung nur als Festigung der natürlichen (Alte — Junge) darstellte, als auch dort, wo etwa die Stadtverfassung vorgeschwebt haben mag, bot sich der Name „Presbyter” von selbst. Durch Handauflegung eingesetzte „Alte” waren diese Alten — bald in der Menge der Alten verschwindend, bald aus ihr hervortretend. Auch „Hirten” hießen sie (denn nichts lag näher als dieses Bild) und Vorsteher (οἱ προϊστάμενοι), ein Name, der im Grunde kein Amt bezeichnet, sondern eine tatsächliche Funktion. Ihre Gewalt sollte ganz wesentlich auf ihrem Vorbild beruhen (1 Pt 5), war also nicht eigentlich rechtlicher Natur. (5) Die Funktionen dieser Presbyter waren, so lange die Erbauung durch das Wort der freien Betätigung des Geistes überlassen werden konnte (in manchen Gemeinden mag sich aber der Geist von Anfang an in dieser Hinsicht nur sehr spärlich gezeigt haben),
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diakonaler Natur. Hier aber ist eine Diakonie im weiteren und im engeren Sinne zu unterscheiden. Im weiteren Sinn umfaßt sie schlechthin allen Dienst, der nicht Wortdienst ist (auch dieser heißt unter Umständen „Diakonia”; doch kann davon hier abgesehen werden), also alles, worauf sich nur irgend Pflege, Zucht und Vorsteherschaft beziehen kann; im engeren Sinn umfaßt sie die beiden nahe verbundenen Gebiete der Fürsorge für die Armen und der Dienstleistung in der Gemeindeversammlung. Sowohl in dieser wie in jener Hinsicht kommen frühe für die Presbyter die Bezeichnungen „Bischöfe” und „Diakonen” auf (wie für den erhöhten Christus in seinem Wirken für Gesamtgemeinde), so jedoch, daß die Presbyter in Hinsicht auf die Diakonie im weiteren Sinn nur am Anfang und selten Bischöfe genannt worden sind (auch bildete sich auf dem Gebiete der allgemeinen Diakonie keine Zweiteiligkeit in höherer und niederer Funktion aus). Dagegen werden die Bezeichnungen mehr und mehr zur Regel für die Presbyter, welche für die Diakonie im engeren Sinn bestellt waren, d.h. für die Armenfürsorge und die Dienstleistung in der Gemeindeversammlung (man sollte bei dem Umfang der Bezeichnung „ἐπίσκοπος” das Umgekehrte erwarten, aber dem ist nicht so). Dabei entwickelte sich aber bald die Praxis, daß man die Beamten, die auf diesen Gebieten nur ausführende, aber nicht führende waren (die Zweiteiligkeit ergab sich hier mit zwingender Notwendigkeit), nicht mehr zu den „Presbytern” rechnete (in 1 Clem. zählen sie, merkwürdig genug, noch zu ihnen), aber ihnen den Namen „διάκονος” ließ. Damit trat eine Depotenzierung dieses alten Ehrennamens ein (auf die ein Pflaster zu legen noch Ignatius sich bemüht): der „Diakon” wurde wirklich nur ein Dienender, während er anfangs höher gestanden haben muß. Es folgt aus dieser Darlegung, daß in allerfrühester Zeit hier und dort Presbyter und Episkopen zusammengefallen sind, so daß jeder
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bestellte Presbyter auch Episkopus hieß. Aber siegreich und rasch setzte sich der Sprachgebrauch durch, daß nur die in der Gemeindeversammlung und in der Armenfürsorge tätigen und führenden Beamten „Bischöfe” hießen (ohne den Namen „Presbyter” und den Platz im Kollegium zu verlieren). Dieser Sieg — ἐπίσκοπος ist ein hoher Name und hat wohl ursprünglich mit dem profan-städtischen ἐπίσκοπος nichts zu tun, sondern nur mit dem Episkopus Christus; später mag man Analogien gezogen haben, und diese mögen hier und dort von Wichtigkeit geworden sein, doch nachzuweisen ist es nicht — ist offenbar ein Beweis von der steigenden Bedeutung der Armenpflege und des Dienstes in der Gemeindeversammlung, der mehr und mehr zur Leitung des sich stabilisierenden Gottesdienstes wurde. Vollends aber mußte sich die Funktion der Bischöfe und Diakonen (namentlich aber der ersteren) aus jener der Presbyter überhaupt herausheben, wenn beim Fehlen von Propheten und Lehrern die Funktion der Erbauung durchs Wort (τὸν λόγον τοῦ θεοῦ λαλεῖν) und anderes, was jene Geistträger bisher getan hatten, nunmehr auf sie überging. Zwar am Anfang, und in manchen Gemeinden gewiß längere Zeit hindurch, konnte jeder Presbyter mit dieser Funktion betraut werden, und z.B. der 1. Timotheusbrief faßt lehrfähige Presbyter ins Auge. Aber wie die Zeugnisse der Didache und des Hermas zeigen, müssen in steigendem Maße die Funktionen der Apostel, Propheten und Lehrer auf die Bischöfe (und Diakonen) übergegangen sein, was ja auch das Natürliche war, da sie die Dienstleistung in der solennen Gemeindeversammlung hatten, die mehr und mehr eine Kultversammlung wurde. Die Didache sagt, daß die Bischöfe und Diakonen der Gemeinde den Dienst der Propheten und Lehrer leisten, und Hermas rückt sie an die Apostel und Lehrer heran; beide aber schweigen in diesem Zusammenhang von den Presbytern. In und mit
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dieser Entwicklung mußte aber notwendig ein bedeutender Teil der hohen Wertschätzung jener pneumatischen Lehrer auf die Bischöfe übergehen. Die Didache sagt das mit dürren Worten: „sie sind eure Geehrten zusammen mit den Propheten und Lehrern”. Welche Folgen das für die Bischöfe gehabt hat, nachdem sie monarchische Bischöfe geworden waren und in Bischofssynoden zusammentraten, wird später zu zeigen sein. (6) Der hier nachgewiesene Gang der Dinge wird einem großen Teil des oben zusammengestellten Materials gerecht und klärt, wie nicht erst gezeigt zu werden braucht, den komplexen Sprachgebrauch von Presbyter, Bischof, Diakon sowie die Affinität von Bischöfen und Diakonen auf. Zuerst nun, soviel wir wissen, im Clemensbrief wird diese gewordene Ordnung der Lokalgemeinde auf das alttestl. Vorbild und auf apostolische gesetzliche Ordnung zurückgeführt (Letzteres hat an den Tatsachen einen gewissen Anhalt, ist aber als „Gebot” der Apostel eine verhängnisvolle Fiktion). Sie erhält dadurch den Charakter des Rechts, des geistlichen und sozusagen des profanen zugleich. Was Clemens unter diesen Charakter stellt, ist das Amt als Kultusamt (und in seiner Zweiteiligkeit), damit zugleich die Notwendigkeit (daher auch die notwendige Fortsetzung) des Amts und die Unabsetzbarkeit seiner Inhaber, wenn sie sich tadellos führen, behauptend. Ob Clemens auch ein Interesse daran gehabt hat, alle Funktionen der Presbyter — also auch die, welche außerhalb des Kultus liegen — ebenso zu stabilieren, läßt sich direkt nicht feststellen, aber indirekt ergibt es sich mit Notwendigkeit; denn die Gemeinde hat die Alten zu ehren und den „Leitenden” zu gehorchen; auch wählt sie nicht direkt, sondern die Beamten werden — wenigsten in Rom — bestellt (καθιστάναι) von ἐλλόγιμοι ἄνδρες (d.h. eben von den Leitenden, bezw. Notablen); der Gemeinde kommt hier nur das συνευδοκεῖν zu. So gewiß es nun nicht gleichgültig ist,
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daß unseres Wissens zuerst die römische Gemeinde dies als gesetzlich apostolische Anordnung gefordert hat, so gewiß hat hier Sohm übertrieben, wenn er im Clemensbrief den großen Sündenfall der Entstehung des Kirchenrechts sieht und von der Verbreitung des Briefs die Verbreitung der neuen Anschauung mit ableitet. In Korinth muß die Majorität der Gemeinde bereits wesentlich ähnlich gedacht haben und für die Notwendigkeit des Amts und die Unabsetzbarkeit seiner Inhaber mindestens disponiert gewesen sein1. Aber richtig ist: die Lokalgemeinde, eine bisher der pneumatischen Gesamtgemeinde enhypostatisch eingefügte Größe, wird nun erst eine auf sich selber, oder vielmehr auf ihren Kultusbeamten ruhende Größe, und nun erst gibt es ein Kirchenrecht im eigentlichen Sinne, weil der pneumatische Faktor und die Gesamtekklesia faktisch — man fuhr freilich fort, doch alles auf Gott selbst bezw. seinen Geist zurückzuführen — ausgeschaltet ist. Der Umschwung der Betrachtung (Legalität, Apostolizität der Verfassung der Einzelgemeinde), wie er in Rom nachweisbar, hat sich um diese Zeit oder bald überall vollzogen (aber bei Ignatius ist der monarchische Episkopat früher als dieser Umschwung). (7) Für die Frage nach dem Ursprung des monarchischen Amtes ist von hoher Bedeutung, daß sich dasselbe auf dem Boden des Organisationsfaktors entwickelt hat, der durch die Kultusbeamten (die zugleich die ökonomischen Verhältnisse unter sich hatten und die Armenpflege) gegeben war,
1) Die Unabsetzbarkeit der Beamten — außer wenn sie ihre Amtspflichten gröblich verletzt haben und dadurch ipso facto des Amts verlustig sind (s. Cyprians Briefe, aus denen hervorgeht, daß der Amtsverlust selbstverständlich war) — wird in de großen Kirche m.W. vom 2. Jahrhundert ab nirgends mehr beanstandet. Einige isaurische Inschriften, auf denen man δὶς πρεσβύτερος liest, scheinen dagegen zu sprechen; aber es ist mehr als wahrscheinlich, daß δίς nicht zu πρεσβύτερος, sondern zum vorhergehenden Wort zu beziehen ist.
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und daß diese Kultusbeamten (Bischöfe und Diakonen) schon von Paulus (Philipp.) genannt sind, Clemens nicht nur ihre Einsetzung auf die Apostel zurückführt, sondern auch von einer apostolischen Anordnung in Bezug auf die bleibende Notwendigkeit einer solchen ἐπισκοπή weiß, und Hermas sie mit den Aposteln und Lehrern, die Didache se mit den Propheten und Lehrern verbindet (von dem Amt der Presbyter wird Ähnliches nicht gesagt). Da wir fast von jeder direkten Kunde, den Ursprung der Monarchie des Bischofs betreffend, verlassen sind, sind wir auf Hypothesen angewiesen. Bei diesen muß man des Wortes von Salmon eingedenk sein: „Wenn die ursprüngliche Kirchenverfassung nicht die gleiche war wie in der Zeit des Irenäus, so muß sie zum wenigsten einer inneren Entwickelung bis zur späteren Form fähig gewesen sein, und zwar in der Form ruhiger, allmählicher Änderungen, hervorgerufen durch Ursachen allgemeiner Natur”. Diese Forderung haben wir bisher eingehalten; es ist dieselbe, die man auch in Bezug auf die richtige Darstellung der Entstehung des NTs und der apostolischen Glaubensregel zu stellen hat.
(1) Wahrscheinlich hat es, wo die Monarchie des leitenden Apostels (Propheten oder Lehrers) in einer Lokalgemeinde wegfiel, von Anfang an eine Art von formloser Monarchie gegeben, d.h. das Kollegium der leitenden Presbyter bedurfte wie alle Kollegien eines Vorsitzenden und die Gemeinde bedurfte eines Exekutivbeamten. Naturgemäß fiel diese Funktion dem zu, der am meisten leistete, also nicht einem gewöhnlichen Presbyter, sondern einem Presbyter-Bischof. (2) Als der Gottesdienst stehende Formen anzunehmen anfing und ein Ritual sich entwickelte und festigte, war es natürlich, daß die Leitung mehr und mehr in die Hände eines Einzelnen kam; ja die eucharistische Feier hat vielleicht von Anfang an einen einzelnen Leitenden bedurft (nach Sohm von Anfang an als Stellvertreter Christi).
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Justin unterscheidet beim Gottesdienst (um d.J. 150) den einen προεστώς und mehrere διάκονοι (Ap. I, 65. 67). Dasselbe gilt für die so wichtige Finanzverwaltung; auch sie bedürfte, wenn Ordnung sein sollte, eines Vorstehers (Justin I, 67: τὸ συλλεγόμενον παρὰ τῷ προεστῶτι ἀποτίθεται, καὶ αὐτὸς ἐπικουρεῖ ὀρφανοῖς τε καὶ χήραις ... καὶ ἁπλῶς πᾶσι τοῖς ἐν χρείᾳ οὖσι κηδεμὼν γίνεται). Zu Justins Zeit mögen die Vorsteher im Gottesdienst noch gewechselt haben, aber daß man jedesmal einen brauchte, war das Wichtige. (3) Auch der Verkehr nach außen verlangte einen Repräsentanten und Geschäftsführer der Gemeinde, wie es in Rom schon am Ende des 1. Jahrhunderts Clemens war, der nicht nur den Brief nach Korinth im Namen der römischen Gemeinde verfaßt hat, sondern von dessen Tätigkeit auswärtigen Gemeinden gegenüber auch Hermas erzählt. (4) Man wird aber in diesem Zusammenhang auch noch einen besonderen Nachdruck auf die Lehre und auf die Bewahrung der Gemeinden vor den gnostischen Irrlehrern durch einen autoritativen Lehrer legen dürfen. Wir sahen oben, daß die Lehrfunktion und Lehrautorität der Apostel und pneumatischen Lehrer allmählich auf die Bischöfe überging. An sich involviert das nicht die Monarchie, und auch den im 2. und 3. Jahrhundert so häufigen Beziehungen auf die καθέδρα und die πρωτοκαθεδρία kann man sie nicht entnehmen; denn noch Origenes schreibt (in Matth. XVI, 22): οἱ τᾶς πρωτοκαθεδρίας πεπιστευμένοι τοῦ λαοῦ ἐπίσκοποι καὶ πρεσβύτεροι; aber doch liegt es in der Natur der Sache, daß die cathedra (auch προεδρία) mehr und mehr der Besitz eines Lehrers wird. Teilung der Verantwortlichkeit führt leicht zur Auflösung derselben; nur einer kann sie voll übernehmen (dies gilt auch von der Bewahrung nach außen: man vgl. was Dionysius Cor. bei Euseb. IV, 23 von der Bedeutng des monarchischen Bischofs in Athen in einer Verfolgungszeit berichtet). Zumal aber wenn die geistliche
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Belehrung hauptsächlich in den Gottesdienst fiel, mußte seine monarchische Entwickelung auch auf die Monarchie des Bischofs als des Lehrers einwirken (man vgl. wie Ignatius diese Funktion des Bischofs betont). (5) Die Aufstellung von Bischofslisten (seit dem letzten Viertel des 2. Jahrh.: in Rom, Antiochien, Korinth [Euseb. IV, 23, 3ff.] etc.) wäre eine freche Fälschung, die auch gar nicht hätte gelingen können, wenn nicht von frühen Zeiten an im Presbyterkollegium so mancher Gemeinden Einer als primus inter pares hervorgetreten wäre (in dem Sinne, wie Clemens im römischen Schreiben nach Korinth als Verfasser hervortritt). Eben deshalb ist es ganz unmöglich zu sagen, wann der monarchische Episkopat begonnen hat. Er hat sich in Differentialen entwickelt auf Grund eines Ansatzes, dem die Qualität einer Monarchie gewiß noch nicht zukam. Er ist natürlich erst wirklich da, wo nicht mehrere in einer Gemeinde, sondern nur noch einer „Bischof” heißt. (6) Die Entwickelung zur Monarchie konnte auch darum niemals als ein Bruch mit der Vergangenheit erscheinen, weil in vielen Angelegenheiten der Bischof nach wie vor als Sympresbyter zusammen mit dem Presbyterkollegium fungierte. Wie es von Marcion heißt (Epiphan. 42, 2), daß er vor die Presbyter in Rom getreten sei, so heißt es von Noëtus, daß er von den Presbytern in Smyrna gerichtet worden sei (Hippol. c. Noët. 1), und der Name „Presbyter” blieb den Bischöfen noch eine sehr lange Zeit hindurch (s.o.) und konservierte sich noch darüber hinaus in der Praxis der Bischöfe, ihre Presbyter als Sympresbyter und Kollegen anzureden. Die Entwickelung zur vollen Monarchie, die in diesen Momenten enthalten ist, war Jahrzehnte hindurch durch den allgemeinen kollegialen Charakter des Amtes aufgehalten. Sie mußte aber in vielen Gemeinden befördert werden durch die Erinnerung an das, was einst der Stifter, der Missionar (Apostel), ihnen gewesen war und was man ähnlich festzuhalten wünschen mußte
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(auch das kam noch immer vor, daß der Missionar zum Bischof wurde; s. Orig. in Num. hom. XI, 4: „sicut in aliqua civitate, ubi nondum Christiani nati sunt, si accedat aliquis et docere incipiat, laboret, instruat, adducat ad fidem, et ipse postmodum iis, quos docuit, princeps et episcopus fiat”) sowie durch die erstrebte Analogie mit der Gesamtkirche, die an Christus ihr Haupt und ihren bischöflichen Monarchen besaß. Solange aber die Idee der Gesamtkirche druch einen sie repräsentierenden apostolischen Mann noch eine Realität war, hielt diese Realität den Abschluß der Lokalgemeinde zur vollen Souveränetät nieder (wirkte also positiv und negativ zugleich); denn der monarchische Bischof ist der Exponent der in sich geschlossenen und souveränen Einzelgemeinde. Die Kämpfe in dieser Hinsicht, die nicht gefehlt haben können (s. schon Paulus und die korinthische Gemeinde), werden durch den 3. Johannesbrief (s.o.) hell beleuchtet. Daß der φιλοπρωτεύων Διοτρέφης sogar den Bann übt (ἐκ τῆς ἐκκλησίας ἐκβάλλει), ist besonders charakteristisch; denn stärker konnte er seine Absicht — Herr im Hause zu sein und zugleich sein Haus gegen die durch „den Presbyter” Johannes repräsentierte Gesamtkirche selbständig zu stellen — nicht ausdrücken. Die Gegenbestrebungen aber des kollegialen Amtes gegen die Monarchie müßten wir lediglich postulieren — denn auch im Hirten des Hermas kann man sie nur unsicher konstatieren (die Fälle, wo man sich um das schon bestehende Bischofsamt zankt, gehören natürlich nicht hierher: Thebutis, Valentin) —, könnten wir sie nicht auch noch in späterer Zeit, namentlich in Karthago z.Z. Cyprianus, nachweisen.
Dies ist, was sich über die allmähliche Entstehung des monarchischen Episkopats vermuten läßt1; Genaueres
1) Vergleicht man mit dieser Darstellung die von Duchesne (Hist. Ancienne de l’Église I p. 84ff.) gegebene, so ist der Unterschied anscheinend minimal; aber er liegt doch als ein bedeutender in dem ➝
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vermögen wir leider nicht zu ermitteln. Wie dieses Amt geworden ist, ist es eine originale Schöpfung — primär wohl auf dem Boden der sich immer mehr zur Kultversammlung entwickelnden lokalen Gemeindeversammlung —, eben weil es von allen Seiten Kräfte und Formen an sich gezogen hat. Die von Hieronymus, Theodor u.a. vertretene Meinung, Presbyter und Bischöfe seien ursprünglich identisch gewesen, ist nicht vollkommen richtig. Die Zeit, in der jeder Presbyter auch ein Bischof war, war jedenfalls sehr kurz, und wahrscheinlich hat es Gemeinden gegeben, in der die volle Identität nie bestanden hat. Eine ganz eigentümliche Theorie von dem Ursprung des monarchischen Episkopats hat Theodor (von Mopsv.) in seinem Kommentar zu 1 Ti vorgetragen (s. meine Missionsgesch. I2 S. 373ff.). Die ursprüngliche Identität von Bischöfen und Presbytern in Form des kollegialen und lokalen Gemeindeamts annehmend, führt er aus, die Ordinationsgewalt habe ursprünglich nicht bei ihnen gelegen, sondern bei den Aposteln. Die Apostel also (bezw. die von ihnen eingesetzten Vertreter, wie Timotheus) seien von Anfang das für ganze Provinzen gewesen, was jetzt die Bischöfe für eine einzelne Stadt seien (nämlich die Ordinatoren und Superintendenten). Es habe also von Anfang an ein monarchisches Amt in der Kirche gegeben, an dem die Ordinationsgewalt haftete; aber nicht in jeder Gemeinde war es vorhanden, sondern jede Provinz (bezw. mehrere zusammen) hatten einen Monarchen, nämlich einen Apostel, bezw. einen von ihm eingesetzten Vertreter. Als aber die Religion sich immer mehr ausbreitete, die Apostel gestorben waren und ihre Vertreter sich nicht stark genug fühlten, wie Apostel zu fungieren und den Apostelnamen weiterzuführen, auch die Wundergaben vermissen ließen, da
➝ Satze p. 90: „Qu’elles communautés eussent un seul évêque à leur tête, ou qu’elles en eussent plusieurs, l’épiscopat recueillait la succession apostolique”. Das ist für die Anfänge unrichtig.
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verteilten sie die Aufgaben und Amtsnamen: den Namen „Presbyter” überließen sie den Presbytern, den „Bischof” wiesen sie dem zu, der zu ordinieren befugt sein sollte, so daß er nun mit der Leitung des Ganzen betraut sei. Dabei nimmt aber Theodor weiter an, daß solche Bischöfe zunächst nur wenig zahlreich gewesen seien — in einer Provinz zwei oder drei — und erst allmählich jeder Platz einen Bischof erhalten habe. Über diese letztere Behauptung s.u., sie kann nur sehr bedingt richtig sein; aber auch die primäre Behauptung, die Entstehung des monarchischen Episkopats wurzle ganz ausschließlich in der Ordinationsgewalt, kann nicht bestehen und ist vom Standpunkt einer späteren Zeit gewonnen. Wäre die Ordinationsgewalt die Kraft, die aus dem pluralen Amt ein monarchisches gemacht hat, so müßte von Anfang an die Regel geherrscht haben, daß immer nur einer (und zwar ein „Kleriker”) einsetze und weihe. Das ist aber nicht der Fall gewesen. Aus 1 Clem. 44 geht hervor, daß ἐλλόγιμοι ἄνδρες der Gemeinde den Wahlvorschlag machten und augenscheinlich auch den vor der Gemeinde Approbierten einsetzten. Dasselbe geht aus der Apost. KO. hervor. Die „Ordination” kann ursprünglich überhaupt nicht eine so wichtige Rolle gespielt haben. Aber als sie wichtiger wurde, mag auch sie zur Entwickelung des monarchischen Amtes beigetragen haben. In der Theorie wird die Bestimmung, daß die Gemeinde den Bischof wählt, nicht geändert und kommt in ihrer Prüfung bei der Handlung und ihrer Akklamation noch immer zum Ausdruck; aber faktisch war die Bischofswahl wahrscheinlich schon am Ende des 2. Jahrhunderts eine klerische Angelegenheit. Der Kanon 4 der Synode von Nicäa über die Bischofswahl setzt die ausgebildete Metropolitan-Verfassung voraus und kann hier gar nicht herbeigezogen werden. Nur in der Bestimmung, daß mindestens drei Provinzialbischöfe bei einer Wahl zugegen sein müssen, erinnert er an eine alte
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Bestimmung (Apost. KO.), welche für die Bischofswahl einen Wahlkörper von mindestens drei erprobten Männern verlangt (s. den nächsten Paragraph), aber dabei noch nicht an Kleriker oder gar Bischöfe denkt. Aus dem Protokoll der Bischofswahl in Hippo Regius (Augustin ep. 213) im Jahre 426 läßt sich für die Formalitäten auch bei den ältesten Wahlen manches lernen. — War schon die Bischofswahl am Ende des 2. Jahrhunderts wahrscheinlich eine klerische Angelegenheit, so gilt das noch mehr von den Wahlen der Diakonen und Presbyter und ihren Promotionen, wenn auch hier die Assistenz des Volks nicht ganz gefehlt haben kann. Zur Zeit des Cyprian sind sie vollständig in der Hand des Bischofs; es fehlt uns leider das Material, um entscheiden zu können, wann sich dies eingestellt hat, ob schon am Ende des 2. Jahrhunderts oder erst später. — Daß uns erhaltene Weihegebete bei der Bestallung bezw. Ordination der verschiedenen Kleriker bis ins 2. Jahrhundert hinaufreichen, ist wohl möglich, aber nicht sicher auszumachen. Ich sehe daher von ihnen ab.