3. Die übrigen neutestamentlichen Schriften,
Clemens, Hermas und Barnabas
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Der erste Petrusbrief zeigt auch in Bezug auf εὐαγγέλιον und εὐαγγελίζεσθαι seine nahe Verwandtschaft mit den Paulusbriefen. Wie Paulus von dem Gehorsam in Bezug auf

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das Evangelium spricht, so liest man hier (4, 17) von dem ἀπειθοῦντες τῷ τοῦ θεοῦ εὐαγγελίῳ. Man beachte dabei das paulinische τοῦ θεοῦ und die Voraussetzung, daß der Begriff „Evangelium Gottes” den Lesern geläufig ist. Εὐαγγελίζεσθαι findet sich dreimal in dem Briefe, und zwar sind οἱ εὐαγγελισάμενοι (1, 12) die Apostel bezw. die Missionare. Das Wort, das sie verkündigt haben, heißt 1, 25 τὸ ῥῆμα τὸ εὐαγγελισθὲν εἰς ὑμᾶς, und von der Heilspredigt bεi der Toten heißt es (4, 6): εὐηγγελίσθη νεκροῖς. Es ist also εὐαγγελίζεσθαι im Petrusbrief ebenso technisch wie εὐαγγέλιον. Dagegen im Hebräerbrief ist es nicht technisch; denn an den beiden einzigen Stellen, wo es vorkommt (εὐαγγέλιον fehlt), wird es auch von der Predigt gebraucht, die im alten Bunde ergangen ist, also von der ἐπαγγελία (4, 2. 6). Ebenso steht es Apoc Jo 10, 7 (ὡς εὐηγγέλισιν τοὺς ἑαυτοῦ δούλους τοὺς προφήτας); an der zweiten Stelle des Buchs aber, wo es mit εὐαγγέλιον verbunden gebraucht ist, ist auch nicht das Evangelium Christi gemeint, sondern ein ganz neues (14, 6: εἶδον ἄγγελον ... ἔχοντα εὐαγγέλιον αἰώνιον εὐαγγελίσαι ἐπὶ τοὺς καθημένους ἐπὶ τῆς γῆς). Doch setzt „das ewige Evangelium” das geschichtliche voraus; denn nur so erklärt sich der Name. Wie er aber näher gemeint ist, bleibt dunkel. Hiermit ist der Befund im Neuen Testament in Bezug auf εὐαγγέλιον und εὐαγγελίζεσθαι erschöpft.

Sehr wichtig ist der Befund in dem mit der Offenbarung Johannis gleichzeitigen ersten Clemensbrief. C. 42 heißt es: οἱ ἀπόστολοι ἡμῖν [ἡμῶν Lat.] εὐαγγελίσθησαν ἀπὸ τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ, Ἰησοῦς ὁ Χριστὸς ἀπὸ τοῦ θεοῦ ἐξεπέμφθη. .... παραγγελίας οὖν λαβόντες καὶ πληροφορηθέντες διὰ τῆς ἀναστάσεως τοῦ κυρίου Ἰ. Χρ. ... ἐξῆλθον εὐαγγελιζόμενοι τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ μέλλειν ἔρχεσθαι. Hiernach


1) Passivisch wie Mt 11, 5 (Lc 7, 22); Lc 16, 16; Ga 1, 11; Hbr 4, 2. 6; 1 Pt 2, 15; 4, 6.

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hat Jesus den Aposteln das Evangelium gepredigt, und der Inhalt der Frohbotschaft der Apostel war die Nähe des Reichs Gottes. Somit stimmt Clemens, über Paulus hinweg mit Marcus und Matthäus überein und lehrt uns, daß in der römischen Gemeinde die uralte Fassung der evangelischen Verkündigung im Gedächtnis lebte. Dagegen erinnert c. 47: τίνα τρόπον1 ὁ Παῦλος ὑμῖν2 ἐν ἀρχῆ τοῦ εὐαγγελίου (der Missionsverkündigung) ἔγραψεν; an Phil 4, 15 und darf wohl auch auf diese Stelle zurückgeführt werden. Nur hier komt im Brief τὸ εὐαγγέλιον vor, und hier ist es lediglich eine Zeitbestimmung. Da es sonst in dem sehr umfangreichen Schreiben fehlt, darf man vermuten, daß es dem Verfasser bezw. der römischen Gemeinde nicht mehr zu den Begriffen gehört hat, die ihnen für die religiöse Aussprache zur Erbauung schlechthin notwendig waren. Das bestätigt sich durch den Hirten des Hermas. Hier fehlen εὐαγγέλιον und εὐαγγελίζεσθαι vollständig. In Rom ist εὐαγγέλιον in dem Sinne, in dem es Paulus gebraucht hat, bald nach der Zeit des Clemens zu Boden gesunken. Auch der sog. zweite Clemensbrief bezeugt das. An der einzigen Stelle, an welcher das Wort in diesem Schreiben (des Bischofs Soter) steht, bedeutet es bereits das schriftliche fixierte Evangelium (c. 8: λέγει ὁ κύριος ἐν τῷ εὐαγγελίῳ). „Barnabas” hat (14, 9) die Jesaiasstelle wiederholt (εὐαγγελίσασθαι ταπεινοῖς χάριν). Dazu schreibt er (5, 9): ὅτε τοὺς ἰδίους ἀποστόλους τοὺς μέλλοντας κηρύσσειν τὸ εὐαγγέλιον αὐτοῦ ἐξελέξατο κτλ. und (8, 3) erklärt er die ῥαντίζοντες παῖδες (Nu 19, 2f.) als οἱ εὐαγγελισάμενοι ἡμῖν τὴν ἄφεσιν ἁμαρτιῶν καὶ τὸν ἁγνισμὸν τῆς καρδίας, οἷς ἔδωκεν τοῦ εὐαγγελίου τὴν ἐξουσίαν ... εἰς τὸ κηρύσσειν. Hier ist Mehreres lehrreich: das κηρύσσειν τὸ εὐαγγέλιον ist die 


1) So der Lateiner, die übrigen Zeugen τί πρῶτον.
2) Euch Korinthern.

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eigentliche Funktion der Apostel; der Autor des Evangeliums ist Christus1; der Inhalt des Evangeliums ist die Sündenvergebung und die Herzensheiligung, und weil er jenes ist, kann von einer ἐξουσία τοῦ εὐαγγελίου gesprochen werden. Daß die Sündenvergebung der Hauptinhalt des Evangeliums ist, hat Paulus nicht gesagt, aber man konnte es aus seinen Darlegungen wohl herauslesen. Man darf annehmen, daß Barnabas „Evangelium” bei der religiösen Aussprache auch sonst gebraucht hat2.


1) Τὸ εὐαγγέλιον αὐτοῦ: nach Barnabas ist also im Ausdruck „Evangelium Christi” Christus Genet. subj. (s.o.). Auch aus dem οἷς ἔδωκεν ὁ Χριστὸς τὴν ἐξουσίαν τοῦ εὐαγγελίου ergibt sich, daß das Evangelium sein Evangelium ist.
2) Dies ist um so bemerkenswerter, als ihm schon ein schriftlich fixiertes Evangelium, das er als γραφή zitiert hat, vorlag (c. 4, 14). Aber hieß es bereits „Evangelium”?


Harnack, A. (1910)