20. Entstehung eines spezifischen kirchlichen Priestertums.

Das folgenschwerste Prädikat, welches die oberen kirchlichen Beamten erhielten, war die Amtsbezeichnung „Priester”. Die Anfänge fallen noch in unsere Periode. Welchen Wert man ursprünglich auf das allgemeine Priestertum gelegt hat im Gegensatz zu einem priesterlichen Stand (bei Juden und Heiden), wie stark man es noch im 2. Jahrhundert dem Heidentum gegenüber ausgespielt und wie heftig es

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Tertullian als Montanist verteidigt hat („nonne et laici sacerdotes sumus?”), ist bekannt. Aus Tertullian (de exhort. 7) geht aber auch hervor, daß die Konsequenzen des Gedankens des allgemeinen Priestertums in seinen Tagen z.T. noch fortbestanden („ubi ecclesiastici ordinis non est consessus, et offers et tinguis et sacerdos es tibi solus”; vgl. de bapt. 17, de monog. 7). Das besondere Priestertum ist nicht einfach aus dem direkten Einfluß des ATs, noch weniger als Entlehnung aus der jüdischen Priesterverfassung abzuleiten (anders vielleicht in Jerusalem; s.o. über Jakobus; dunkel ist die Notiz des Polykrates bei Euseb. V, 24, 3 über den kleinasiatischen Johannes: ὃς ἐγενήθη ἱερεὺς τὸ πέταλον πεφορεκώς; war er nicht von Hause aus ein jüdischer Priester, der die Tracht beibehielt?). Auch daß der Clemensbrief die Bischöfe und Diakonen mit den Priestern und Leviten vergleicht und die Didache die Propheten als die Hohenpriester bezeichnet (s.o.), entscheidet noch nicht, so bedeutsam es ist. Endlich die Tatsache, daß in gnostischen Sekten (s.u. über die Marcianer) schon in der Mitte des 2. Jahrhunderts ein Priestertum ausgebildet ist, das in seinem theurgischen Charakter deutlich heidnischen Einfluß aufweist, ist für die kirchliche Entwickelung irrelevant; denn die große Kirche folgte im 2. Jahrhundert in solchen Dingen weder den Gnostikern noch den Heiden. Die Wurzel des spezifischen kirchlichen Priestertums ist vielmehr das spezifische Opfer, wie es sich in der Auffassung vom Abendmahl entwickelte (sekundär sind auch die sich kristallisierende Vorstellungen von Sakramenten zu beachten). Diese Entwickelung beginnt schon frühe (s. das προσφέρειν τὰ δῶρα 1 Clem. 44 und vor allem die θυσία in Didache 14; dazu sind dann die einschlagenden Stellen bei Irenäus zu vergleichen). Von hier aus stellt sich der Begriff des θυσιαστήριον ein, wenn auch zunächst als Tropus, aber sich allmählich im Sinne von „Altar” verfestigend (vgl. die Apost.

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KO. 2. 7 und Wieland, Mensa und Confessio, 1906). Damit konvergiert der Grundsatz, den schon Ignatius ausgesprochen hat (ad Smyrn. 8): ἐκείνη βεβαία εὐχαριστία ἡγείσθω ἡ ὑπὸ τὸν ἐπίσκοπον οὖσα ἢ ᾧ ἂν αὐτὸς ἐπιτρέψῃ. Der kirchliche Priester erscheint zuerst bei Tertullian, und zwar nennt er den Bischof „summus sacerdos” (de bapt. 17), woraus folgt, daß damals auch schon die Presbyter als Priester aufgefaßt wurden, vgl. de exhortat. 7: „sacerdotalis ordo”, 11; de pud. 1. 21; de monog. 7. 12: „disciplina sacerdotalis”; aber schon früher de praescr. 29. 41: „sacerdotalia munera”; de virg. vel. 9: „sacerdotale officium”; Scorp. 7: „sacerdos”. Ebenso Hippol., Philos. praef: ὧν ἡμεῖς διάδοχοι τυγχάνοντες τῆς τε αὐτῆς χάριτος μετέχοντες ἀρχιερατείας καὶ διδασκαλίας. Der Orient folgt etwas später. Daß nun die alttestl. Priestergesetzgebung herangezogen wurde und daß andererseits auch die Analogien mit den heidnischen Priestertümern für die weitere Entwickelung wichtig werden mußten, ist selbstverständlich. Wichtig ist, daß auf die Diakonen der priesterliche Charakter nicht übertragen worden ist (nach 1 Clem. 40ff. hätte man es erwarten können), während die Presbyter — weil sie „das Opfer” leiten durften — ihn erhielten. Damit traten die Presbyter den Bischöfen wieder (und dauernd) sehr nahe, nachdem die Monarchie des Bischofs eine Kluft zwischen ihm und ihnen befestigt hatte und Gefahr für sie bestand, sogar unter die Diakonen zu kommen. Der Priestercharakter bannte diese Gefahr für immer, wenn auch hin und her Diakonen den faktisch größeren Einfluß, den sie besaßen, auf Kosten der Presbyter geltend zu machen suchten und in ihre Grenzen zurückgewiesen werden mußten. Aber auch dadurch blieben die Presbyter den Bischöfen nahe, daß sie, wie die Priesterkompetenz, so die disziplinäre und richterliche Kompetenz behalten (hier aber unter der Oberleitung der Bischöfe und mehr und mehr nur als ihre Delegierte). Die theoretische und statutarische

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Ausbildung der Absolutionsgewalt als einer klerikal-richterlichen Gewalt, vice Christi, im strengen Sinn fällt erst ins 3. Jahrhundert (Cyprian) und machte erst damals der neben ihr bestehenden pneumatisch-richterlichen Gewalt der Märtyrer, Konfessoren, Asketen und Visionäre ein Ende. Aber schon lange war sie neben dieser einhergegangen, und die Priester haben sie neben den Bischöfen stets auch festhalten können — wohl aus dem einfachen Grunde, weil ein Einzelner physisch dieser Last nicht gewachsen war.


Harnack, A. (1910)