22. Die klerischen Pflichten und Rechte.

Die Eigenschaften, die man von den Klerikern verlangte, sind beiläufig schon zur Sprache gekommen. nur nach einer Prüfung (δοκιμάζειν) konnten sie angestellt werden, und das Suffragium der Gemeindeversammlung darf auch noch zu dieser Prüfung gerechnet werden (auch guter Ruf bei den Heiden wird von der Apost. KO. verlangt). Daß sie nur einmal verheiratet seien und ihr eigenes Hauswesen in Ordnung haben, wurde auch gefordert. Doch kann die Monogamie im Sinne eines strikten Verbots der successiven Polygamie nicht unverbrüchliches Gesetz gewesen sein; das lehren die Kämpfe Tertullians und Hippolyts; bei den Bischöfen hat man früher und strenger als bei den Presbytern auf Monogamie geachtet (1 TIm. 3, 2 und sonst), ja bereits der Apost. KO. erklärt Unbeweibtheit beim Bischof für erwünscht (καλὸν εἶναι ἀγύναιος); beweibte Bischöfe waren aber noch im 3. Jahrhundert nicht selten. Schon in unserer Periode ist es jedenfalls anstößig gewesen, wenn ein höherer Kleriker zu einer Ehe schritt1; aber


1) Hippolyt (Philos. IX, 12) schreibt: ἐπὶ Καλλίστου (also um 220) ἤρξαντο ἐπίσκοποι καὶ πρεσβύτεροι καὶ διάκονοι δίγαμοι καὶ τρίγαμοι καθίστασθαι εἰς κλήρους˙ εἰ δὲ καί τις ἐν κλήρῳ ὢν γαμοίη, μένειν τὸν τοιοῦτον ἐν τῷ κλήρῳ ὡς μὴ ἡμαρτηκότα.

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andererseits steht die Apost. KO. mit ihrer Forderung, die verheirateten Presbyter sollten sich ihrer Weiber enthalten, noch allein. Vor der Anstellung von Neophyten wird öfters gewarnt. Für die Presbyter wird ein bejahrtes Alter verlangt (ἤδη κεχρονικότες ἐπὶ τῷ κόσμῳ: Apost. KO); jedoch noch die Synode von Neo-Cäsarea verlangt (im 11. Kanon) nur 30 Jahre (Anfang des 4. Jahrhunderts); die Bestimmung der Apost. Constit. II, 1, Niemand solle in der Regel vor dem 50. Jahr Bischof werden, ist schwerlich jemals, geschweige in der ältesten Zeit, beobachtet worden. Unter den Tugenden, mit denen die Kleriker geschmückt sein sollten, wird die Gastfreundschaft, Uneigennützigkeit, Sanftmut und Nüchternheit besonders hervorgehoben (s. zu dem allen schon die Pastoralbriefe). Sehr wichtig ist der Grundsatz, der schon im 2. Timotheusbrief ausgesprochen ist, daß sich der kirchliche Beamte als Kriegsmann Gottes nicht in weltliche Händel verflechten soll. Damit wird der Grund zu jener Abkehr von dem Weltlichen gelegt, der dem Klerus als besonderem Stand einen festen Halt gab und ihm von den Laien loslöste, s. meine „Militia Christi” 1905. — Sofern es auch einen Gemeindedienst der Frauen gab, war er von dem der Männer streng getrennt (s. Zscharnack, Der Dienst der Freu in den ersten Jahrhunderten der christl. Kirche, 1902; von der Goltz, Der Dienst der Frau in der christlichen Kirche, 1905; L. Stöcker, Die Frau in der alten Kirche, 1907). Im allgemeinen beobachtet man, namentlich in und nach dem Kampf mit den Gnostikern und Montanisten, daß die Frau im öffentlichen Leben und bei der Erbauung als aktiv tätige zurückgedrängt wird; ja bereits eine sehr alte Redaktion der Apostelgeschichte hat den Kampf gegen Priska und gegen die Frau überhaupt in dem angegebenen Sinne unternommen. Die Figur der Thekla in den „Acta Pauli” (c. 180), auf die sich die vereinzelten Patrone der Frau in der Kirche beriefen,

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vermochte ihr die alte Stellung nicht mehr zurückzugeben. An der Zurückdrängung der Frau war sowohl das antike Schicklichkeitsgefühl, als auch der wachsende hieratische Charakter des Gottesdienstes und der Verfassung beteiligt sowie angeblich auch die procacitas der gnostischen Frauen und die Ansprüche der montanistischen Prophetinnen1.

Wo sich ein Stand mit besonderen Pflichten entwickelt, entwickeln sich auch Standesrechte. Das oberste Standesrecht der Kleriker war der Anspruch auf eine besondere Ehre und auf Gehorsam (1 Clem.). Das zweite Standesrecht war das Recht, den Unterhalt aus dem Amte zu ziehen, d.h. von den Gemeindegliedern zu fordern (s.o., Paulus). Das dritte Standesrecht waren Ehrenplätze im Gottesdienst (für den Bischof und die Priester; sie saßen, während die anderen standen). Das vierte Standesrecht war, daß Anklagen gegen die Kleriker erschwert waren (s.o. 1 Tim.). Die Bedeutung des zweiten Standesrechts wurde dadurch noch erhöht, daß die Gemeindekasse ganz unter der Disposition des Bischofs stand (über eine dunkle Stelle, ein Aufsichtsrecht der Presbyter betreffend, s. zu


1) Eine merkwürdige, aber dunkle Stelle über die διακονία der Frauen steht Apost. KO. 8: „Nützlich ist es den Weibern einen Dienst zu bestellen ... Als der Lehrer das Brot und den Becher forderte und sie segnete mit den Worten: „Das ist mein Leib und das Blut”, da gestattete er den Frauen nicht, sich mit uns zusammenzustellen — Martha sagte: „Um Maria’s willen, weil er sie lächeln gesehen hatte”; Maria sprach: „Ich habe nicht eigentlich gelacht, sondern ich erinnerte mich der Worte unseres Herrn und freute mich; ihr wißt ja, daß er uns [die letzten 17 Worte finden sich nur in der syrisch-malabarischen Rezension] vorhergesagt hat, als er noch lehrte, daß das Schwache durch das Starke gerettet werden soll ... den Frauen ziemt es nicht in stehender Haltung zu beten, sondern auf der Erde sitzend ... Wie vermögen wir nun, die Frauen anlangend, Dienstleistungen zu bestimmen, außer etwa den Dienst, daß sie den bedürftigen Frauen zu Hilfe kommen?”

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Apost. KO. c. 2). Näheres über die Gemeindekasse und das Gemeindevermögen hier darzulegen, verbietet sich, weil die spärlichen Stellen, die wir aus dem 2. Jahrhundert besitzen, nur im Zusammenhang mit den Quellenstellen des 3. Jahrhunderts behandelt werden können. Fest steht, daß die Gemeindekasse prinzipiell Armen- und Unterstützungskasse war, also „Gotteskasten”. Feste Gehalte bezogen die einzelnen Kirchenbeamten so wenig wie der Bischof. Hippolyt beurteilt es als eine greuliche Neuerung, daß die schismatische Kirche der Theodotianer in Rom ihrem Bischof einen monatlichen Gehalt aussetzte (bei Euseb. V, 28). Überschlägt man die allgemeinen kirchlichen Verhältnisse, so erscheint diese Maßregel wirklich als etwas sehr Ungehöriges und Übles (hat sich der Bischof, der Opferwilligkeit der Gemeinde mißtrauend, die Summe garantieren lassen?).


Harnack, A. (1910)