21. Die klerischen Stufen, der Bischof (die bischöfliche Succession) usw.
Aussterben der Apostel, Propheten und Lehrer
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Die Feststellung des monarchischen Episkopats fixierte auch die klerischen Stufen und Kompetenzen. Was der Bischof, was der Presbyter, was der Diakon ist und zu bedeuten hat, stand gegen Ende des 2. Jahrhunderts fest, und die noch andauernde Vermischung in einigen gnostischen Kirchen wurde als ein Zeichen ihrer Illegitimität beurteilt (Tertull., de praesc. 41). Der Bischof ist, eben weil Monarch in der Gemeinde, in jeder Beziehung ihr Haupt und Funktionär. Er vertritt die Gemeinde vor Gott (beim Opfer und Gebet), vor den Schwestergemeinden (durch Briefe und durch die Aufnahme der aus fremden Gemeinden Kommenden) und vor der Außenwelt, und er vertritt God und Christus der Gemeinde gegenüber, indem er die Sakramente spendet und lehrt. Es ist daher überflüssig, ja unmöglich, die Rechte und Funktionen des Bischofs aufzuzählen, da sie gewissermaßen schrankenlos sind. Die wichtigsten sind bereits in der Darstellung zum Ausdruck gekommen.1 Aber ein Attribut von ganz besonderem


1) Sehr wichtig ist, daß man schon im letzten Viertel des 2. Jahrhunderts in Rom nach Bischöfen datiert hat (anderswo ist das gar nicht oder viel später aufgekommen), und daß diese Art zu datieren, ➝

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Gewicht kündigt sich im Abendland bereits am Ende des 2. Jahrhunderts ganz deutlich an, das ist das Attribut der apostolischen Succession der Bischöfe. Vorstellungen von Successionen waren in jener Epoche der Kultur etwas ganz geläufiges, und zwar in der Form mystischer Vorstellungen und als Rechtsfiktionen. Es liegt ihnen aber auch eine höchst reale Beobachtung zu Grunde, sofern es kaum etwas Verbürgenderes und Festeres (für die oberflächliche Vorstellung) gibt, als die Kette regelmäßiger Nachfolgerschaften in einem Amt oder Beruf oder bei der Überlieferung einer Schullehre, die wie ein Depositum gilt. Notwendig bilden sich hier Gewohnheiten, Zwänge und Zwangsvorstellungen aus, die sowohl auf die Außenstehenden, als auch auf die Träger des Amtes, bezw. des Depositum einwirken und ihnen mit einer Art von character indelebilis die Stimmung und das Ansehen verleihen, als sei jener erste, von dem die ganze Kette ausging, gleichsam in ihnen inkarniert. Und wo man so lebhaft und strikt nicht empfindet und urteilt, da scheint doch durch die Kette mindestens die Garantie gegeben zu sein — freilich ein großer Irrtum, denn dem umbildenden Wirken der Zeit vermag sich nichts Lebendiges zu entziehen! —, daß hier alles unverändert bewahrt sei. Alles Autoritative stellte sich damals in Successionen dar, die die materielle Prüfung des von den Autorität Gewollten unnötig machten und verboten. Eben darauf kam es aber an. Die römische Verfassung und das Recht ruhten auf Successionen, und die Schulphilosophen des Zeitalters nicht minder. Aber auch das Judentum hatte seine Successionen. Lange bevor der Gedanke der apostolischen Succession der Bischöfe erfaßt war, hatte man auch schon in der


➝ sehr rasch ganz geläufig wurde, s. meine Abhandlung in den Sitz.-Ber. d. Preuß. Akad. d. Wissensch. 1892, S. 617ff.: „Die ältesten christlichen Datierungen und die Anfänge einer bischöflichen Chronographie in Rom”.

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Kirche Successionen, nämlich die Succession der διδάσκαλοι, die einst μαθηταί älterer διδάσκαλοι (bis hinauf zu den Aposteln) gewesen waren, und die Succession der Propheten (im montanistischen Kampf spielt das eine Rolle, s. mein Lehrbuch der Dogmengesch. I4, S 425ff.). Wie unvermeidlich der Gedanke der Succession beim Besitz eines Lehrdepositums war, zeigen aus ältester Zeit die Pastoralbriefe einerseits (s. z.B. 2 Ti 2, 2: ἃ ἤκουσας παρ᾽ ἐμοῦ διὰ πολλῶν μαρτύρων, ταῦτα παράθου πιστοῖς ἀνθρώποις, οἵτινες ἱκανοὶ ἔσοντα καὶ ἑτέρους διδάξαι), die gnostischen Sekten andererseits, die auf die διαδοχαί ihrer Lehrer bis zu den Aposteln hinauf das größte Gewicht legten (zahlreiche Stellen, s. bes. Ptol. ep. ad Floram bei Epiph. h. 33, 7: ἡ ἀποστολικὴ παράδοσις, ἣν ἐκ διαδοχῆς καὶ ἡμεῖς παρειλήφαμεν). Unter solchen Umständen ist es verwegen, die apostolische Succession der Bischöfe allein auf die Beeinflussung durch römisch-rechtliche Gedanken zurückzuführen (Tschirn, Ztschr. f. KG. XII, S. 220-231), mögen sie immerhin als ein starkes Nebenmoment mitgewirkt haben. War der ὀρθὸς λόγος θεοῦ die Hauptsache in der Kirche, auf der sich alles auferbaute, und waren die monarchischen Bischöfe zu despotischen Führern und Lehrern (Übergang der Lehrfunktion auf sie, s.o.) geworden, so braucht man nicht erst zu fragen, woher und warum der Successionsgedanke auf sie übertragen worden ist. Er mußte sich von selbst einstellen, und auch die Tatsache, daß er sehr bald ausschließlich nur an den Bischöfen haftete und allen anderen Successionen dahinschwanden, verlangt keine Erklärung; denn sie ist nur ein Spezialfall in der allgemeinen Entwickelung des Episkopats, der alle anderen Rivalen besiegt. Eine Erklärung fordert lediglich die Beobachtung, daß der Apostolat in der Form des Zwölfapostolats hier als das Fundament der Successionskette eingeführt ist. Diese Einführung setzt das Absterben des allgemeinen Apostolats und zugleich die durch den

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gnostischen Kampf abgezwungene Nötigung voraus, alles in der Kirche auf die Augenzeugen zurückzuführen und den apostolischen Beweisapparat mit der zu beweisenden Sache (die Anbetung des gekreuzigten und auferstandenen Gottmenschen) zu verknüpfen (Näheres über die Entwickelung der Vorstellungen vom Zwölfapostolat s. in meinem Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. I). Die These, daß die Bischöfe per successionem die evangelische Wahrheit als Charisma von den Aposteln empfangen haben, daß sie deshalb als Lehrer in ihrem Gesamtzeugnis den Apostolat (nämlich der Zwölf, Paulus läuft nur mit) darstellen und daß nur auf diese Weise die veritas in ecclesiis custoditur, hätte sich wohl auch ohne den gnostischen Kampf eingestellt; sie hat sich aber faktisch infolge dieses Kampfes entwickelt. Sie begegnet uns zuerst bei Irenäus (III, 2, 2; III, 3, 1. 4; III, 4, 1; IV, 26, 2. 5; IV, 33, 8) und Tertull. (de praesc. etc.). Die These blieb aber — abgesehen davon, daß sie sich auffallend langsam durchgesetzt hat — insofern noch lange eine schillernde, als der einzelne Bischof sie nicht ohne weiteres für sich geltend machen konnte. Selbst die bischöflichen Inhaber von Apostelstühlen, obgleich sie ein immer größeres Gewicht erhielten, konnten nicht als einzelne sagen: „Ich bin ein untrüglicher apostolischer Lehrer, weil Inhaber eines apostolischen Stuhls”; sie konnten vielmehr ihre Apostolizität und Untrüglichkeit nur im Zusammenhang und in Übereinstimmung mit allen Bischöfen geltend machen.1


1) Erst im 3. Jahrhundert, soviel wir zu urteilen vermögen, hat der römische Bischof sich für den persönlichen Nachfolger des Petrus ausgegeben (und zwar exklusiv) und das für sich in Anspruch zu nehmen begonnen, was Petrus an Pflichten, Rechten und Ehrenrechten besessen hat oder was er und Andere ihm an Rechten beilegten. Dies ist etwas ganz Einzigartiges, und noch merkwürdiger ist, daß der römische Bischof allmählich mit diesem ➝

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Vorstufen (über das bereits Entwickelte hinaus) hatte — wie jedes kirchliche, scheinbar ganz neue Organisationselement — auch diese Apostolizität der Bischöfe. Sie liegen in der Zuordnung der ποιμένες zu den Aposteln, Propheten und Lehrern im Epheserbrief, in der Zuordnung der ἐπίσκοποι zu den ἀπόστολοι im Hermas, und in der Tatsache, daß das Lehren, welches früher die Apostel und Lehrer geübt hatten, erst auf die Bischöfe, dann auf den Bischof überging (wenn man bei dem allen das weitere Faktum im Auge behält, daß die Hochschätzung der ganzen Gruppe der alten λόγον λαλοῦντες in der Erinnerung allmählich auf die Zwölf allein übertragen wurde). Die Vorstufen liegen aber auch in den Persönlichkeiten einzelner Bischöfe, deren Tugend und Kraft ihnen ein apostolisches Ansehen verlieh, das dann auf den ganzen Stand übertragen wurde. Die Gemeinde von Smyrna beschließt die Charakteristik ihres Bischofs Polykarp mit den dankbaren und stolzen Worten: μάρτυς Πολύκαρπος, ἐν τοῖς καθ᾽ ἡμᾶς χρόνοις διδάσκαλος ἀποστολικὸς καὶ προφητικὸς γενόμενος, ἐπίσκοπος τῆς ἐν Σμύρνῃ καθολικῆς ἐκκλησίας. Wie groß sein Ansehen war,


➝ exorbitanten Anspruch reussiert hat. Die übrigen bischöflichen Inhaber von Apostelstühlen haben sich niemals in dem Sinne als persönliche Nachfolger der betreffenden Apostel gefühlt und proklamiert, in welchem es der römische Bischof tat. Sie sagten wohl, sie hätten die cathedra Jacobi, Marci usw. inne, aber das war nicht viel mehr als die Konstatierung einer geschichtlichen Tatsache. Innerhalb der allgemeinen Idee der bischöflich-apostolischen Succession ist der Anspruch des römischen Bischofs geschichtlich und sachlich eine vollkommene Singularität, die durch den allgemeinen Successionsgedanken schlechterdings nicht gedeckt wird. Es gehört zur Klugheit der römischen Kirche, daß sie den Anschein verbreitet, als sei die Qualität des römischen Bischofs als Nachfolger und Stellvertreter Petri ipso facto mit der allgemeinen apostolisch-bischöflichen Successionsidee gegeben, während sie, so wie sie gefaßt und ausgebeutet wird, in Wahrheit fast nichts mit ihr zu tun hat und geschichtliche völlig in der Luft schwebt.

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geht daraus hervor, daß die Heiden in Smyrna meinten, die Christen würden nun den Gekreuzigten fahren lassen und den verbrannten Polykarp verehren (ep. Smyrn. 17). Er war ihnen wie ein Apostel! Auch Lucian in seiner Schrift über Peregrinus Proteus berichtet von der außerordentlichen Verehrung der Christen in Bezug auf ihre Vorsteher. Daß die Bischöfe apostolische Qualitäten erhielten, ist also auch eine Folge ihrer vorzüglichen Bewährung.

Die Vorstellung von der apostolischen Qualität der Bischöfe hatte die notwendige Folge, daß die alte und z.T. richtige Überlieferung, die Apostel hätten die kirchlichen Beamten eingesetzt, sich nun so spezialisierte, die Apostel (bezw. immer ein Apostel) hätten in den einzelnen Gemeinden die Bischöfe eingesetzt. Dies nahm man schon am Ende des 2. Jahrhunderts in Asien, Rom und Lyon an und faßte demgemäß die Bischofslisten. Ursprünglich zählte man aber dabei den einsetzenden Apostel nicht als den ersten Bischof (so findet man es noch in der alten römischen Bischofsliste bei Irenäus und hin und her auch später noch). Aber sehr bald (schon um 220) fing man an, den Apostel selbst als den ersten Bischof anzusehen und zu zählen. Das ist ein Beweis, daß die Gleichung Apostel und Bischof nunmehr perfekt geworden ist (in Bezug auf das Lehramt in der Gemeinde).

Der Episkopat erhob sich durch die Qualität des Apostolats, die seine Würde krönte, hoch über die Presbyter und brachte so an überragendem Ansehen sofort wieder ein, was ihm durch die Gleichstellung mit den Presbytern als Priestern (denn der terminus „Hoherpriester” für den Bischof hat sich nicht durchgesetzt; er blieb merkwürdigerweise für Christus reserviert) verloren zu gehen drohte. Die Kompetenzen der Presbyter blieben hohe, sofern sie als Kollegium fungierten; denn hier behauptete sich die relative Gleichheit mit dem Bischof. Leider wissen

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wir aber von der Tätigkeit der Presbyterkollegien fast nichts. Dürfen wir uns ihr Wirken nach der Art der Energie denken, die das Presbyterkollegium zur Zeit der Sedisvakanz nach dem Tode des Fabian in Rom entwickelt hat, so gewinnen wir eine hohe Vorstellung; aber der Fall ist wohl nicht zu verallgemeinern. Als Einzelne bedeuteten die Presbyter wahrscheinlich wenig, wo die Gemeinde klein war und es nur eine gottesdienstliche Versammlung an einem Ort gab, aber viel, wo es mehrere gab; denn dann leiteten sie im Auftrag des Bischofs den Gottesdienst der Teilversammlungen, und er bedürfte bei den zahlreichen und wichtigen Geschäften ihres Rats und ihrer Hilfe.1

Die Diakonen — ursprünglich (nach 1 Tim., 1 Clem., Hermas und Didache) von den Episkopen wenig verschieden — blieben dem Bischofe so nahe stehend wie einst den Bischöfen; ihre Tätigkeit und Kompetenzen sind nun umschrieben durch die dienende Hilfeleistung bei Gottesdienst, bei der Armenpflege und der Seelsorge. Von disziplinären Funktionen können ihnen nur die niederen zugefallen sein, mit richterlichen hatten sie nichts zu tun. In Verfolgungszeiten war ihr Amt besonders exponiert, da sie sich dem öffentlichen Wirken nicht zu entziehen vermochten. Die Apostolische Kirchenordnung c. 6 sagt: οἱ καλῶς διακονήσαντες καὶ ἀμέμπτως τόπον ἑαυτοῖς περιποιοῦνται τὸν ποιμενικόν (vgl. 1 Ti 3, 13). Man konnte also direkt vom Diakonat zum Episkopat aufsteigen. Die Nachricht ist in Bezug auf die Zustände der späteren Zeit wichtig, wo in einzigen Gemeinden (Rom!) der Archidiakonat die sicherste


1) Ob die Unterscheidung, die wir in den Gesta apud Zenophilum finden (episcopi, presbyteri, diaconi, seniores), wobei die seniores eine Art von Gemeindevertretung bilden, so alt ist, daß sie auf ursprüngliche Verhältnisse zurückweist, ist mir sehr fraglich. Auch über die Verbreitung der Unterscheidung in Afrika wissen wir nichts (s. Prot. R.-Encykl. Bd. 143, S. 163).

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Vorstufe für den Episkopat gewesen ist und nicht der Presbyterat. Eine nachweisbare Vorgeschichte besitzt der Archidiakonat in dem 2. Jahrhundert nicht (noch weniger natürlich im ersten; AG 6 gehört nicht einmal ideell hierher); denn die einzige Stelle (Hegesipp bei Euseb. IV, 22: Ἀνίκητος, οὗ διάκονος ἦν Ἐλεύθερος), die man anführen kann, läßt verschiedene Auslegungen zu. Doch ist es überwiegend wahrscheinlich, daß eine besondere Affinität dieses Diakons zu dem Bischof hervorgehoben werden sollte. Über die fortwirkende allgemeine Affinität von Bischof und Diakon, die in der neuen Verfassung durch die zwischengeschobenen Presbyter nur bedroht, aber nicht aufgehoben war, sollte kein Streit sein. Das Bischofsamt hat bei seiner Entwickelung zur Monarchie sowohl die Presbyter als auch die Diakonen depotenziert. Jenen entzog es die Vorsteherwürde; sie sind nun nicht mehr οἱ πρεσβύτεροι οἱ προϊστάμενοι im vollen Sinn. Diese drückte es völlig auf die Stufe von höheren Dienern herab. Über Art und Details der Beförderungen wissen wir aus dem 2. Jahrhundert fast nichts. Für das dritte belehrt uns die Briefsammlung Cyprians. Zeno von Verona (II, 50) gibt an, daß am Osterfest auch die klerische Beförderungen stattfanden.

Der ordo ist abwärts bei der Stufe der Diakonen noch nicht abgeschlossen. Zwar hat es im 2. Jahrhundert noch keinen geordneten clerus minor gegeben (s. über ihn meine Abhandlung über den Ursprung des Lektorats und der anderen niederen Weihen i.d. Text. u. Unters. II, 5; „servus dei minoris loci” bei Tertullian, de fug. 11, bezieht sich nicht auf die niederen Weihen), und die Behauptung Abälards (ep. ad Hel. 7), die Kirche habe, wie allgemein bekannt, die ganze Stufenleiter des geistlichen Standes vom Türhüter bis zum Bischof von der Synagoge übernommen, ist unrichtig; aber als die neue Ordnung mit dem Bischof an der Spitze sich entwickelt hatte, wurden dem ordo (im

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weiteren Sinn) die viduae1 (vielleicht auch die virgines, bezw. die Jungfrauen unter den Witwen) sowie in einigen Provinzen die Diakonissen (wir kennen sie für das 2. Jahrhundert nur aus der ep. Plinii ad Traian.) und die Lektoren und Exorzisten hinzugestellt. Für die Lektoren ist das aus Justin, Tertullian, de praescr. 41, aus Apost. Kirchenordnung 32, aus Rückschlüssen vom 3. und 4. Jahrhundert her und aus den Weihegebeten zu erweisen, und da der Exorzist lange Zeit hindurch mit dem Lektor zusammengeht, so ist es auch für diesen gewiß. Die merkwürdige Zusammenstellung hat ihren Grund darin, daß beide ursprünglich als charismatische Personen galten (die Lektorfunktion bedingte nämlich eine gewisse Lehrfähigkeit). Da der ordo sie, die noch bestehenden, nicht ignorieren konnte, so mußte er sie in sich aufnehmen. Es ware eine Art von Kapitulation. Wie er diese Funktionen später zu klerischen Ämtern umgebildet und mit anderen Stufen, die im 2. Jahrhundert schwerlich schon existierten, kunstvoll verknüpft hat, gehört nicht mehr hierher. Zu den Kapitulationen ist es auch zu rechnen, daß sich der ordo veranlaßt sah, die


1) Apostol. KO. 5: „Witwen sollen drei eingesetzt werden, zwei um im Gebet zu verharren für alle, die in Anfechtung sind, und für den Empfang von Offenbarungen, wo nur immer solche notwendig; eine aber, um den von Krankheiten heimgesuchten Frauen beizustehen, die dienstfertig sei, nüchtern, das Nötige den Presbytern meldend, nicht gewinnsüchtig, nicht vielem Weingenuß ergeben, damit sie nüchtern zu sein vermag für die nächtlichen Dienstleistungen und wenn eine sonst ein gutes Werk vollbringen will.”
2) „Als Lektor soll Einer eingesetzt werden, nachdem er zuvor sorgfältig geprüft ist, kein Schwätzer, kein Trunkenbold noch ein Spaßmacher, von guten Sitten, folgsam, von wohlwollender Gesinnung, bei den Zusammenkünften am Herrentage der erste in der Versammlung, von deutlichem Vortrag und fähig zu klarer Darlegung, eingedenk, daß er den Platz eines Evangelisten verwaltet; denn wer das Ohr des Unwissenden erfüllt, der wird für eingeschrieben erachtet werden bei Gott.”

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Konfessoren in seine Mitte aufzunehmen, bezw. ihnen ein Amt zu geben. Die Spannung von Amtsträgern und Heroen ist natürlich uralt (s. auch die Andeutungen bei Hermas). Tertullian sagt de fuga 11, der geringe Bruder solle Konfessor werden, „ut maioris loci fieri possit, si quem gradum in persecutionis tolerantia ascenderit”. Hieran reihen sich viele andere Zeugnisse (namentlich für das Abendland). Derselbe Tertullian erzählt auch, Valentin habe Bischof werden wollen, aber ein anderer sei ihm ex praerogativa martyrii vorgezogen worden (adv. Valent. 4). Hippolyt (bei Euseb. V, 28) berichtet, daß der Konfessor Natalis in Rom zum Bischof gewählt worden sei. Bischöfe konnten sie natürlich nicht alle werden, aber daß sie, wenn sie seit der Mitte des Jahrhunderts in den Klerus aufgenommen wurden, fast ganz unten anfangen mußten, ist für die Höhe bezeichnend, auf der der Klerus damals stand.

Schon Clemens hat im Korintherbrief die Stufen des Amts mit den militärischen Rangstufen verglichen und so die Kirche mit einer großen Armee. Nachdem ein wirklicher Klerus geschaffen war, scheint das Bild, die Rangstufen betreffend, nicht mehr beliebt gewesen zu sein — vielleicht weil es zu zutreffend war. Gewiß, die Kirche war keine Armee, aber die Kleriker waren die Krieger Gottes — in diesem Sinn blieb das Bild stets in Kraft — und waren ein Offizierkorps von bewunderungswürdiger Disziplin und Festigkeit. Der Bischof war jedoch nicht nur dux, dominus, iudex und rex, sondern in erster Linie pastor, magister und sacerdos. Σωτήρ aber ist er m.W. nicht genannt worden, und das will viel sagen. Es gab also noch Grenzen!

Neben dieser Armee mußten allmählich die absterbenden alten Apostel, Propheten und Lehrer vollends verschwinden. Sie verschwanden in dieser Ordnung: zuerst die Apostel, aber dann auch die Evangelisten; sie gingen z.T. in den Stand wandernder Asketen über und haben als solche

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vielleicht eine Bedeutung für das werdende Mönchtum gehabt (s. namentlich die pseudoclementinischen Briefe de virginitate). Die Propheten folgten ihnen; sie sind in der großen montanistischen Krise untergegangen. Am längsten haben sich die Lehrer gehalten. Wir finden sie noch am Anfang des 3. Jahrhunderts als Gemeindelehrer in Phrygien und Isaurien (z.B. in Laranda, Ikonium und Synnada, s. Euseb., h.e. VI, 19, 18) sowie in ägyptischen Dörfern, wo sie sogar mit den Presbytern zusammen die Leiter der Gemeinden waren (Euseb. VII, 24, 6).


Harnack, A. (1910)