26. Der provinzielle Zusammenschluß der Kirchen.
Die Synoden
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Noch ein wichtiger Punkt in der Organisation der Kirchen in der ältesten Zeit bedarf der Aufmerksamkeit. Es ist in dem ersten Teil dieser Darstellung wiederholt die fundamentale Antinomie und Spannung betont worden, welche die Entwickelungsgeschichte der Verfassung beherrscht: die Gemeinde als Missionsgemeinde, als Schöpfung eines Apostels, als sein Werk (Universalorganisation), und wiederum die Gemeinde als in sich geschlossene Lokalgemeinde (als solche aber auch Abbild und Auswirkung der himmlischen Kirche). Als Schöpfung eines apostolischen Missionars ist die Gemeinde ihrem Stifter verantwortlich, ist von ihm abhängig und verpflichtet, die Grundsätze einzuhalten, die er bei seiner gemeindestiftenden Tätigkeit überall befolgt und die in der allgemeinen Kirche gelten. Als geschlossene Lokalgemeinde ist sie weniger und mehr — einerseits etwas, was in seiner konkreten irdischen Existenz und Vereinzelung eigentlich nicht sein sollte (παροικία s.o.), andererseits aber Auswirkung des Ganzen im

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Teil; in dieser Hinsicht tragt sie die Verantwortung selbst und hat niemanden über sich als den himmlischen Kyrios (gerät so in eine gewisse Spannung zu dem Apostel, der auch den κύριος und die Gesamtkirche vertritt). Durch ihren apostolischen Stifter ist die Gemeinde eine unter den anderen von ihm gestifteten Gemeinden und hat mindestens keine volle Selbständigkeit; als ἐκκλησία θεοῦ steht sie für sich, und jede Beziehung zu anderen Gemeinden liegt in der Sphäre der Freiwilligkeit. Paulus hat Beides gewollt, die Abhängigkeit der Gemeinde und ihre Selbständigkeit zugleich. Darin liegt die Antinomie.

Aber in diese Spannung und zwischen den Gegensatz der Universal- und der Lokalorganisation schob sich von Anfang an ein dritter Faktor ein, erst fast unmerklich, dann immer deutlicher — nur vorübergehend war er in der Gruppenbildung der von einem und demselben Apostel gegründeten Gemeinden gegeben —: das war der innere und äußere Zusammenhang der in einer Provinz liegenden Gemeinden. Bereits die paulinischen Briefe, der 1. Petrusbrief, die Apostelgeschichte und die Apokalypse bieten dafür die Belege. Dem Apostel Paulus gliederte sich sein Missionsgebiet ebenso nach Provinzen, wie nach der Apostelgeschichte Judäa, Samaria, Syrien, Cilicien etc. als christliche Provinzen erscheinen (z.T. als zusammengehörige). Sein Kollektenwerk betreibt der Apostel, indem er die Gemeinden je einer Provinz zusammenfaßt; er faßt Korinth und Achaja zusammen, die galatischen Gemeinden (an sie als eine Einheit hat er auch einen Brief gerichtet), die asiatischen und macedonischen, ebenso wie Johannes die asiatischen (dazu vgl. die Stellung des Titus in Kreta, des Philippus in Phrygien, wohl auch des Timotheus in Asien). Auch weiter finden wir es so. Ignatius sorgt nicht nur für die antiochenische, sondern mit ihr auch für die syrische Kirche. Dionysius von Korinth schreibt an die Gemeinden

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auf Kreta und an die Gemeinden im Pontus. Von Lyon aus schreiben die Brüder an die Brüder in Asien und Phrygien, und die Kirchen Asiens stehen dem Irenäus als eine geschlossene Einheit vor Augen. Fast immer ist die Hauptstadt der beherrschende Mittelpunkt auch der kirchlichen Provinz gewesen. Jerusalem — so lange es bestand — Antiochien, Korinth, Rom, Karthago und Alexandria greifen aber noch über die nächste Provinz hinaus, sowohl kraft ihrer Bedeutung als Großstädte, als auch kraft der energischen christlichen Tätigkeit, die sie entfalten. Für Jerusalem und Rom braucht das nicht erst erwiesen zu werden. Antiochien griff nach Cilicien, Mesopotamien und Persien über, Karthago bis nach Mauretanien, Alexandria in die Pentapolis. Ephesus ist freilich lange Zeit hindurch nicht die kirchliche Metropole Asiens allein gewesen — Smyrna und andere Städte rivalisierten mit ihm — aber auch das war nur die natürliche Folge der politischen Verfassung Asiens.

Ein Doppeltes war die Folge dieses Tatbestandes. Erstlich gewann die Provinzialeinteilung des Reichs und mit ihr der provinziale Geist auf die Kirche Einfluß1. Indem sie durch natürliche Umstände genötigt wurde, auf sie einzugehen, entwickelt sich nicht nur ein provinziales Christentum, sondern auch ein provinziales Kirchentum, d.h. die Kirche muß ihre Organisation, die vom οἶκος zur πόλις aufgestiegen war, volens nolens zur ἐπαρχία entwickeln. Zwischen die mehr oder weniger ideale Gesamtkirche und die Lokalkirche schiebt sich die Provinzialkirche. (Vorübergehend


1) Vgl. Lübeck, Reichseinteilung und kirchliche Hierarchie, S. 11ff.: „So lag in der Art der Verbreitung des Christentums zugleich der engste, wenn auch unbewußte Anschluß an die Organisationen des Staates.” Die politischen Organisationen des Staates aber waren ihrerseits wiederum durch die Grenzen der unterworfenen Nationen und Reiche und deren Eigenart bestimmt.

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und am Anfang deckte sich die durch einen Apostel vertretene Gesamtkirche mit der durch denselben Apostel vertretenen Provinzialkirche, und beide hielten die selbständige Ausbildung der Lokalkirchen nieder, vgl. das Wirken des Johannes in Asien). Aber auch die Provinzialkirche weist fast schon im Momente ihrer Entstehung über sich selbst hinaus auf die Diöcesan- oder Patriarchalkirche, weil Antiochien nicht nur die syrische Stadt, sondern auch die orientalische, Alexandrien nicht nur die ägyptische Stadt, sondern auch die libysche etc., Rom nicht nur die italienische Stadt, sondern auch die abendländische, ja die ökumenische ist. Zweitens aber gewann der Bischof der Provinzialhauptstadt einen zunächst faktischen, bald aber durch rechtliche Attribute fixierten Supremat in der Provinz1. Gegen Duchesne habe ich (Missionsgesch. I2, S. 373ff.) gezeigt, daß er diesen Supremat nicht als der ursprünglich einzige Provinzialbischof gewann — als hätte es im Anfang nur je einen Bischof in der Provinz gegeben —, sondern als Metropolit neben und über anderen Bischöfen (vorbehalten bleibt, daß hier und dort am Anfang nur ein Bischof in einer Provinz war, weil die kleine Zahl von Christen weitere Gemeindegründungen zunächst nicht zuließ; vorbehalten bleibt auch die besondere Organisation in Ägypten, wo sich der monarchische Episkopat wahrscheinlich überhaupt erst spät entwickelt hat und, nachdem er für Alexandrien gewonnen war, langsam von dort aus in den schon verhältnismäßig großen, bisher kollegial verwalteten Gemeinden


1) Es liegt ein uralter, sich von selbst einstellender Grundsatz der Bestimmung Conc. Antioch. (341) can. 9 zu Grunde: τὸν ἐν τῇ μητροπόλει προεστῶτα ἐπίσκοπον ... τὴν φροντίδα ἀναδέχεσθαι πάσης τῆς ἐπαρχίας, διὰ τὸ ἐν τῇ μητροπόλει πανταχόθεν συντρέχειν πάντας τοὺς τὰ πράγματα ἔχοντας. Daß der älteste Bischof der Provinz an die Spitze trat, ist m.W. nur für Numidien und Pontus zu belegen. Doch spielte das Amtsalter auch sonst eine gewisse Rolle auf den Synoden.

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eingeführt wurde; der alexandrinische Bischof ist wirklich eine Zeitlang der Bischof Ägyptens, weil der einzige, gewesen und hat daher auch in der Folgezeit als Metropolit eine besonders große Gewalt besessen; umgekehrt zeigt das konservierte recht der alexandrinischen Presbyter, den Bischof zu wählen und zu weihen, noch immer die alte Verfassung). Die Metropolitanverfassung mit den Vorrechten des Metropoliten kündigt sich nicht nur im 2. Jahrhundert an, sondern ist in deutlichen Zügen, wenn auch rechtlich noch nicht fixiert, bereits vorhanden. Die Vorrechte des Metropoliten weisen aber ebenso über sich selbst hinaus auf den Universalbischof, den episcopus episcoporum (wie ihn schon Tertullian nennt) d.h. den römischen Bischof, wie die kirchliche Metropolitanverfassung als Provinzialverfassung auf die zukünftige kirchliche Reichsverfassung weist.

Mächtige Stützen empfing die Metropolitanverfassung durch die Praxis, daß die Bischöfe der Provinzialhauptstädte den brieflichen Verkehr und Austausch der Gemeinden untereinander leiteten, und durch die Einrichtung der Synoden. Daß diese in Asien (montanistische Kämpfe, Ostertreit) aufgekommen sind, ist nicht zufällig, sondern in den dortigen politischen Verhältnissen begründet. Eben deshalb ist es aber auch nicht wahrscheinlich, daß sie sich direkt aus den alten und fortbestehenden Gemeindeversammlungen entwickelt haben (Sohm). Aber ein Zusammenhang ist wohl anzunehmen, dat die Praxis, Abgesandte fremder Gemeinden zur Gemeindeversammlung heranzuziehen, nachweisbar ist. Auch das Selbstbewußtsein und der Anspruch, die Gemeindeversammlung dürfe des Beistandes des hl. Geistes sicher sein und könne in seinem Namen sprechen (s.o.), ist auf die Synoden übergegangen. Über ihre Aufgaben s. Euseb. V, 16, 10; Tertull., de ieiun. 13: „Aguntur per Graecias illa certis in locis concilia ex universis ecclesiis, per quae et altiora quaeque in commune tractantur,

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et ipsa repraesentatio totius nominis Christiani magna veneratione celebratur”; de pudic. 10: „[Pastor Hermae] ab omni concilio ecclesiarum inter apocrypha et falsa iudicatus”. Ursprünglich wahrscheinlich — gewiß ist das nicht — auch Laien zu ihren Mitgliedern zählend (s. Euseb. l.c.), wurden sie bald Bischofssynoden, wenn auch die übrigen Kleriker nicht ausgeschlossen waren. Den Landtagen ähnlich, aber diese unnützen Versammlungen weit hinter sich lassend, erhielten sie durch das Gewicht der Fragen, die verhandelt wurden, die höchste Bedeutung (erst später im Abendland), und das ist wieder ein Beweis, wie stark hier alles von der politischen Organisation abhängig ist; denn im Abendland spielte das Landtagswesen keine wichtige Rolle1. Die


1) Über die Einfluß der römischen politisch-kultischen Organisation (Kaiserkult) auf die kirchliche Organisation hat zuletzt Lübeck (a.a.O. S. 17-45) ausführlich gehandelt, nachdem Desjardins, Barthélemy, Monceaux und Perrot (gegen sie Beurlier, Essai sur le culte rendu aux empereurs romains, 1890 p. 317, und Duchesne, Origines du culte chrétien2 p. 19) einen tiefgreifenden Einfluß von Anfang an behauptet hatten. Ich vermag von diesem Einfluß nichts zu erkennen außer unwillkürlichen, freilich nicht unwichtigen, Analogie-Bildungen auf christliche Seite (der Kaiserkult war auf der Provinzialeinteilung des Reichs auferbaut). Selbst dem Nachweise Lübecks, daß die sieben Städte der Johannes-Offenbarung sämtlich Zentralstätten des Kaiserkult waren, vermag ich eine Bedeutung nicht beizumessen, auch wenn dieser Nachweis durchweg gelungen wäre. Richtig aber ist, daß der kirchliche Metropolit allmählich zum Rivalen des provinzalen Oberpriesters werden mußte, der die staatskultischen Zeremonien vorzunehmen hatte und die Landtage leitete; und weil in Kleinasien der Ursprung der neuen Art kaiserlichen Verehrung lag, so trat auch dort die Rivalität der Organisation des alten und des neuen Kults am frühesten und deutlichsten hervor. Später hat übrigens umgekehrt die heidnisch-politische Sakral-Organisation von der kirchlichen zu lernen gesucht (unter Maximinus Daza und Julian), weil diese sich allmählich viel bedeutender, kräftiger und umfassender (eindringlicher) entwickelt hatte. Was die Provinzial-Synoden anlangt, so ➝

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„repraesentatio totius nominis Christiani” mußte das Bewußtsein, die Stätte des hl. Geistes zu sein, noch steigern. Es ist eine gradlinige Entwickelung, die von hier zu den Diöcesansynoden (Orient, 3. Jahrhundert) und zur kaiserlichen Reichssynode führt. Diese Entwicklung mußte jedoch, nachdem sie das fremde kaiserliche Element in sich aufgenommen hatte, mit der Entwickelung der Metropolitanverfassung zur Monarchie notwendig in Konflikt geraten. Kaiser, Synode, Rom: das sind die Faktoren in dem großen Kampf um das Dogma.


➝ behauptet Lübeck: „Da kein in der Sache selbst liegender Grund, kein aus den kirchlichen Verhältnissen herauswachsendes Bedürfnis vorhanden war, daß eine ganze Provinz, und zwar regelmäßig nur sie in gewissen, festgesetzten Zeitabschnitten zusammenkam, so kann eine solche Einrichtung nur durch äußere Umstände, etwa durch bewährte Vorbilder, hervorgerufen worden sein; und da dürfte es nichts anderes als gerade die heidnisch-religiösen Landtage gewesen sein (τὸ κοινόν), welche Veranlassung, Beweggrund und Muster wurden für diese Synoden der Provinz.” Diese Erwägung kann richtig sein; aber entscheiden läßt sich heute nicht mehr, ob nicht ein aus den kirchlichen Verhältnissen herausgewachsenes Bedürfnis (ohne Vorbild der κοινά) spontan die Synoden und ihre Organisation hervorgerufen hat. Für das Vorbild spricht allerdings die analoge Zusammensetzung beider Körperschaften, der Name (ἡ ἱερὰ σύνοδος für den Landtag, τὸ κοινόν für die Synode), die provinziellen Abrenzungen u.A.


Harnack, A. (1910)