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Die Geschichte der Kirche hat von jeher wohl der kirchlichen wie der weltlichen Geschichtsschreibung ungewöhnliche Schwierigkeiten der Darstellung bereitet. Eine einfache Fortschreibung im zeitlichen Sinne reichte dazu nicht aus — ebensowenig wie eine Orientierung an der weltlichen, politischen und Geistesgeschichte. Auffällig und hinderlich ist in besonderem Maße der Wechsel sehr gegensätzlicher Perioden. Auf Zeiten ungemeiner Ausstrahlungskraft, großartiger Schöpfungen auf allen Gebieten, in Lehre, Kultus und Verfassung, und nicht zuletzt auch der darstellenden Kunst, folgten Zeiten der Zerrüttung und Schwäche, einer fast unerklärlichen Unfähigkeit, über selbstgeschaffene Mißstände und fatale Entartungen hinwegzukommen. Das reiche 13. Jahrhundert endete mit dem Widerspruch zwischen schwärmerischer Leitungsunfähigkeit und Machtwahn, von Coelestin V. bis Bonifatius VIII. Im 14. Jahrhundert zeigt der Armutsstreit eine sehr grundsätzliche Krise. 100 Jahre nach Thomas von Aquin war die Kirche gespalten, zur umfassenden Reform ebenso reif wie unfähig.
„Als unter dem Pontifikat des Papstes Urban VI. (1378-1389) das große abendländische Schisma ausbrach, brachte dies für die lateinische Christenheit eine noch nie dagewesene Verwirrung mit sich. Die Legitimität kirchlichen Handelns war überall und von Grund auf in Frage gestellt. Der theologisch substanzlose Streit erbrachte aber den negativen Beweis, daß die Organe des ordentlichen Kirchenregiments, Papst, Kurie und Kardinalskollegium nicht imstande waren, die Ordnung in der Kirche aufrecht zu erhalten. Damit verlagerte sich das Problem auf das höchste nichtständige Organ der Gesamtkirche, das Konzil. Erst nach einem Menschenalter gelang es, auf dem Konstanzer Reformkonzil die Kirchenspaltung beizulegen. Auch dies wäre nicht ohne die nachdrückliche und geschickte Wirksamkeit König Sigismunds möglich gewesen. Aber nur die causa unionis konnte durch die Wahl eines neuen rechtmäßigen Papstes, Martins V. Colonna, gelöst werden. Die causa reformationis, die Reformfrage, fiel auf das Papsttum zurück und blieb ein Jahrhundert hindurch ungelöst. Diese Entwicklung hat dem Jahrhundert der Reformation in unserem Geschichtsbild den Stempel der Fruchtlosigkeit aufgeprägt. Als Vorläufer mühten sich unzulängliche Reformtheologen um eine Fülle sekundärer Fragen und Mißstände, ohne bis zum entscheidenden Zentrum durchstoßen zu können. Der Begriff der Reform selbst hat im Verhältnis zur Reformation einen ähnlichen Beigeschmack bekommen wie innerhalb der marxistischen Orthodoxie. Vielfach ist der zunächst aufbrechende Gegensatz in dem Verhältnis von Papsttum und Konziliarismus begriffen worden. Weder das eine noch das andere scheint mir die Lage wirklich zu treffen. In Wahrheit
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offenbarte sich in der Substanzlosigkeit des Schismas eine tieferliegende Krise; in dieser stellte sich die Entscheidungsfrage bereits sehr deutlich. Das Bischofsamt war nicht als solches Gegenstand der Kritik. Der Zustand der Klerus und der Orden war im ganzen bereits so reformbedürftig, daß die vielfach zu Fürsten gewordenen Bischöfe hier keine Ausnahme machten. Aber es zeigte sich, daß nächst jenen ständigen Organen der Kirche auch der Episkopat nicht mehr Träger der obersten Entscheidung war, wie es der Verfassungstradition der Kirche seit der Zeit vor Konstantin entsprach und sich bisher auf den großen Konzilien bewährt hatte. Dieser Lage entsprechend waren die Reformkonzile von Konstanz und Basel keine Bischofssynoden mehr. Die Bischöfe machten nur noch eine Minderheit aus. Sie ließen sich vielfach durch Prokuratoren vertreten. Mit diesen versammelten sich Prälaten und Kleriker des verschiedensten Rangs, Deputierte der theologischen Fakultäten und Sachwalter der politischen Gewalten. Jede moderne Versammlung wäre schon bei der Legitimationsprüfung gescheitert, da ein klares Berufungsprinzip für die Teilnahme dieser höchst unterschiedlichen Repräsentanten fehlte. Ebenso fehlte jeder Maßstab für das Stimmrecht und die innere Organisation der Versammlung. Man half dem ab, indem man nach dem Vorbild der Universitäten die Teilnehmer in die traditionelle Nationen gliederte und in diesen abstimmen ließ, wobei während der Papstwahl die Stimme des Kardinalskollegiums der einer Nation gleichgeachtet wurde. Die späteren Konzilien (Florenz 1438/39, das 5. Laterankonzil 1512/1517 und das Konzil van Trient 1546-1563) waren dann wieder im traditionellen Sinne Bischofssynoden.”1
Das Konstanzer Konzil erweist sich als Ausgangspunkt für die Kirchengeschichte eines halben Jahrtausends. Von den zwei Themen, der Causa unionis und der Causa reformationis hing an der letzteren die Frage der Ketzerei, die nur im Zusammenhang mit der reformatio sachgemäß hätte geklärt werden können. Die Einheit aber wurde wiederhergestellt um den Preis der Reformation. Die ausstehende Reformation wurde dann 100 Jahre später unausweichlich. Aber eben diese Reformation wurde nur um den Preis der erneuten Spaltung erreicht und durchgesetzt. Aber noch bevor das Augsburgische Bekenntnis formuliert und vollends die Frage der Verständigung mit der päpstlichen Kirchenleitung geklärt werden konnte, vollzog sich bereits das Schisma zwischen beiden reformatorischen Konfessionen im Marburger Religionsgespräch. Wie anderwärts dargelegt, haben die westeuropäischen Völker nicht der Reformation, sondern deren lutherischen Interpretation spontan und konsequent abgesagt. Die Tatsache und Bedeutung des Doppelschismas zeigt sich in ihren ganzen Tragweite erst durch die damit verbundenen institutionellen Formen.
Betrachtet man das institutionsgeschichtliche Ergebnis der Reformation im Ganzen, so ist es von erstaunlicher Einfachheit. Die Reformbedürftigkeit der Kirche beruhte darauf, daß die römische Kirche mit einseitiger Konsequenz nur diejenigen institutionellen Formen gepflegt hatte, die der zentralen Einheit dienten. Mit der Planlosigkeit des Feudalismus erwarb die Kurie schrittweise
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immer mehr einzelne Besetzungsrechte, um aus diesem Flickenteppich allmählich eine durchgehende Kompetenz über die gesamte Kirche herauszubilden. Sie hatte jedoch den gesamten Unterbau der Kirche, die Gemeinde-, Diözesan- und Provinzialverfassung achtlos und interesselos Verfall und Verwirrung anheimgegeben. Damit war auch das Laienproblem trotz aller Bemühungen populärer Glaubensverbreitung institutionell ungelöst.
Es gibt einen alten Satz der Rechtsweisheit für das Erbrecht: „Der Ältere teilt, der Jüngere wählt.” Der Gedanke ist klar. Die größere Erfahrung des Älteren soll eine sinngemäße Aufteilung vorbereiten — der Jüngere soll durch sein Wahlrecht vor Übervorteilung geschützt werden. Auch das 16. Jahrhundert teilte die Kirche. Aber der Ältere hatte längst gewählt, indem er alle universalen Rechte und damit das Recht der universalen Kirche für sich behielt. Es gelang ihr deshalb auch, mit der Trienter Reform Episkopat und Orden aus dem Verfall herauszureißen. Er überließ den reformatorischen Kirchen die Gemeindeverfassung, die Verfassung der partikularen Kirchen mit dem originalen Recht dieser Elemente. Die Kurie war auch nicht bereit, an den schwächsten Punkten, wie etwa in der Frage des Laienkelchs, durch eine Liturgierevision das hierarchische Prinzip einzuschränken und auf Vorhalt einen schriftwidrigen Fehler zuzugestehen. So teilen sich bis heute die streitenden Konfessionsparteien nach wie vor in das Recht der Gesamtkirche und das Recht des Unterbaues. Die reformatorischen Kirchen haben das Recht der Gemeinden und der Partikularkirchen, so wie sie es verstanden und vermochten, ausgebaut und bis heute als ihre Domäne verstanden.
Die Verfassungsgesetzgebung der nachkonziliaren Kirche hat heute ihre deutliche Grenze schon an der Diözesanverfassung. Sie beschränkt die Regionen, die Diözesen und die Gemeinden auf beratende Organe unter grundsätzlicher Vorenthaltung eigener Verfassungsrechte. Diese Querteilung zwischen Oberbau und Unterbau stellt die Lage zusammenfassend dar. Fehlen der Wille und die legitimen Organe für diesen Bereich auch in der katholischen Reform, so besitzen die reformatorischen Kirchen von heute weder die Organe noch Antrieb und Ziele, über diese eigene Partikularität hinauszukommen.
Die Reformation hat die Kirche gewiß nicht zur civitas platonica gemacht. Partikularkirche und Gemeinden waren schon konkret. Aber sie hat die Einheit der Kirche zur unitas platonica gemacht, der alle Leibhaftigkeit und Verbindlichkeit abgeht. Deswegen interessieren sich die reformatorischen Kirchen einschließlich ihrer Ökumeniker nicht einmal für die objektiv bestehenden kirchenrechtlichen gemeinsamen Grundlagen als solche, die ich in Band II nachgewiesen habe2.
Wenn in der Gegenwart Anathemata und Ausschließungen zwischen den getrennten Kirchen aufgehoben sind, so hat man dammit noch nicht die Themata selbst bewältigt. Aus diesem Grunde habe ich anderwärts Bedenken gegen die Leuenberger Konkordie und die Bagatellisierung der konfessionellen Differenz zwischen Luthertum und Calvinismus begründet3.
Die beiden reformatorischen Konfessionen haben im Ansatz das Schisma von
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1054 zwischen lateinischer und orientalischer Kirche strukturell mit geringen Verschiebungen erneuert — auf der einen Seite eine eindeutige, personale Autorität des Wortamtes, auf der anderen Seite eine strikt durchgeführte Grundkonzeption synodaler Art, die gerade die personale Dezision mit bewußter Konsequenz ausschließt. Deswegen hat auch der allem Konfessionalismus abgeneigte Erik Wolf noch in unserer Zeit den Vorschlag Grundmanns, ein gemeinreformatorisches Kirchenrecht zu entwerfen, a limine abgewiesen. Man kann in der Tat die systematische Differenz zwischen Erwählungslehre und Ubiquität des Wortes nicht einfach aufheben. In der Ubiquität des Wortes wiederholt sich die Ubiquität des päpstlichen Primats in dialektischer Konsequenz — die denkerische Struktur ist nahe verwandt, wenn nicht identisch.
Die lutherische Reformation hat über ihre eigene Position hinaus unabsichtlich das Dreierschema der Konfessionen geschaffen. Die Reformation als Ganzes zwang die lateinische Christenheit, die Schlüssigkeit der streitigen Gegensätze anzuerkennen, sie beiderseits als Grund ihrer christlichen Existenz, des Heils selbst durchzuhalten, sie mit Gut und Blut zu verteidigen. Die Reform jedoch, die um den Preis der Einheit und der horizontalen Teilung der Kirche durchgesetzt wurde, gewann ihre Kraft allein dadurch, daß der Kern des Glaubens selbst gespalten wurde, weit über jede verhandelbare Frage hinaus. In 150 Jahren verheerender Glaubenskriege wurden die inneren und äußeren, die geistlichen, politischen, moralischen, sozialen, militärischen und ökonomischen Kräfte der betroffenen Völker in einem solchem Maße in Anspruch genommen, verwirrt und aufgezehrt, daß es schließlich zu einem Gebot der Vernunft wurde, mit guten oder weniger guten Kompromissen nicht ohne Gewaltsamkeit zu einem Ende zu kommen — vom Frieden zu Münster und Osnabrück über die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 bis zur glorreichen Revolution von 1688.
Das Erbe dieser zerstörenden und unlösbaren Auseinandersetzung ist aber die Programmatik und Thematik, welche sich heute der ökumenischen Bewegung stellt. Im wesentlichen Unterschied ist gegenüber den Divergenzen der sich als ausschließlich und so als notwendig und vollständig ansehenden Konfessionalität eine umgekehrte Bewegung entstanden. Sie bringt die Tendenz zu einer relativierenden Verständigung mit sich, die sich über die Hauptgegenstände des beschriebenen Gegensatzes bisher nicht ausreichend klar ist. Die dogmatische Theologie meint, mit theoretischen Voten zugleich die institutionellen Problem lösen oder wesentlich durch Korrektur bewältigen zu können. Die beiden Hauptthemen des Konstanzer Konzils sind jedoch voneinander nicht zu trennen und stehen heute noch in dieser Verbindung miteinander auf der Tagesordnung.
Die ökumenische Lage hat sich dadurch wesentlich verändert, daß mit der Aufhebung der diskriminierenden Ausschließungen eine unbeschwerte Begegnung mit dem Ziele der Verständigung möglich geworden ist. Die vielfältigen und diffusen theologischen Verhandlungen haben aber an keiner Stelle eine endgültige Klärung der Lage hervorgebracht. Erstaunlicherweise kann man
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jedoch heute die Lage der Ökumene auf einen einheitlichen Nenner bringen oder genauer gesagt, die Parallelität der allseits bestehenden Schwierigkeiten und Aufgaben mit einiger Klarheit definieren: Schismatische Existenz heute.
In der Begegnung der römischen Kirche mit den Ostkirchen stellt sich die Schwierigkeit, wie der Autoritätsanspruch des päpstlichen Universalepiskopats sich mit dem Grundsatz und Prinzip der ostkirchlichen koinonia verträgt und zu vereinen ist. Dabei steht nicht von ungefähr die Frage der Pneumatologie in Gestalt des Filioque noch im Hintergrund. Die Ostkirche selbst aber hat Mühe, aufgrund ihrer eigenen Rechtsformen zur wirksame Einheit zu kommen.
Das Ergebnis des II. Vatikanischen Konzils war nach dem treffenden Urteil Rouco Varelas ein Remis. Es hat Schritte bis in die Nähe dieses Problems getan, indem es den Universalienstreit beendete. Aber es überschritt nicht die tabuierte Grenze zum Unterbau.
Der Ökumenische Rat der Kirchen hat als Konzeption der Einheit die Konziliarität proklamiert und weitgehend ausgearbeitet. Auch hier steht die Frage aus, ob die Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates über die verbale Proklamation der Konziliarität hinaus Verfassungsformen auszubilden imstande sind, die Konkretion und Verbindlichkeit gewinnen. So bleibt die universale Kirche im besten Falle in zwei große Blöcke gespalten.
Nicht weniger zeigt sich die gleiche Frage im Rahmen der Evangelischen Kirche in Deutschland, in deren konfessioneller Pluralität und historischem Gefüge sich die Gesamtsituation des Protestantismus widerspiegelt. Trotz Leuenberg ist der Versuch einer Kirchenreform der Evangelischen Kirche in Deutschland an dem Partikularismus der Gliedkirchen und an der Verdächtigung gescheitert, es handele sich nicht um eine echte ekklesiale Entscheidung, sondern um die Ausdehnung eines funktionalen Apparats. Andererseits bestand keine Bereitschaft, eben diese ekklesiale Entscheidung zu übernehmen.
Nunmehr aber driften die beiden Teile der EKD in entgegengesetzten programmatischen Entwürfen ohne offene Auseinandersetzung zwischen Augsburg und Barmen auseinander. Das Programm einer Volkskirche, wie es die Lutherische Kirche vertritt, schließt sich an die Tradition jener Entscheidung an, die Luther sehr grundsätzlich in der Ablehnung der Konzeption des Lambert von Avignon und der Bildung einer hessischen Freiwilligkeitskirche gefällt hat4. Diese Volkskirche kann in einer vorsichtigen Anpassung an die vertikale Linie der römisch-katholischen Kirche unter Vorbehalt ihrer Eigenständigkeit in den Aussagen des Sammelbandes „Bekenntnis des einen Glaubens”5 ihre Position formulieren. Sie wird charakterisiert durch Desinteresse an allen horizontalen Verbindungen, aber auch die Gleichgültigkeit, mit der sie die Kommunitäten entweder auf eine heterodoxe Ekklesiologie verwiesen oder eine Entscheidung zur Rezeption verweigert hat. Die Einseitigkeit des Repräsentationsgedankens in der Grundstruktur ist deutlich. Auf der anderen Seite versucht die Evangelische Kirche der Union mit dem Barmer Programm einer „Kirche als Gemeinde von Brüdern”6 den horizontalen kommunitären
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Charakter herauszuarbeiten. Beides steht unvermittelt nebeneinander. Weder hier noch in der Ökumene noch in den historischen Kirchen ist die konstitutive Korrelation von Repräsentation und Identität zu sinngemäßer Verbindung und Austrag gekommen.
Wenn die lutherische Theologie und Kirche den Barmer Grundsatz von der notwendigen Verbindung von Bekenntnis und Ordnung zurückgewiesen hat, so befindet sie sich in einer Selbsttäuschung. Die Verbindung von Bekenntnis und Ordnung ist deutlich und wirksam in der lutherischen Kirche. Dies wird nur durch die Tatsache verdeckt, daß hier das Element der Institutionalität aufs äußerste reduziert worden ist und folgeweise alles darüber Hinausgehende als Machwerk menschlicher Kompetenz disqualifiziert wird. Auf der anderen Seite enthält das Programm der Kirche als Gemeinde von Brüdern ein genuin reformiertes Element, bei dem freilich vermieden worden ist, den Begriff der Christokratie zu verwenden, der den theokratischen Charakter hätte erkennbar werden lassen. Die Antinomie der beiden Teile, die bisher einen Austausch und eine Auseinandersetzung in wesentlichen Fragen vermieden haben, entspricht aber mutatis mutandis der Situation, die wir auf den gesamtkirchlichen Ebenen der alten Kirchen und der Ökumene feststellen können. Die Spaltung zwischen Repräsentation in Gestalt des Amtes und Identität der Basis ist an keiner Stelle erkannt, geschweige denn bewältigt worden. Jeder fährt einseitig in der eigenen Richtung: das schweigende Schisma.
Die korrelative Kontradiktion von Repräsentation und Identität, die auf allen Ebenen wieder vorkommt, ist weit hinaus über soziologische Kategorien und Gegebenheiten die theologische Frage nach dem Verhältnis von Christologie und Pneumatologie Gerade eine christokratische Begründung ist in der Sache eine pneumatologische Konzeption, die in der Unvertretbarkeit der Person Christi die Immanenz des Pneumas bei den Berufenen voraussetzt — während der Konsens beider Konfessionen, der lutherischen wie der reformierten, dem Amte die vices Christi zuspricht. Bei alledem macht sich hinderlich bemerkbar, daß das argumentum ex abusu, die Berufung auf Verbildungen die Frage nach dem rechten Brauch der unverlierbaren Grundsätze entgegen allen geschichtlichen Erfahrungen beiseitedrängt.
Die lutherische Kirche steht genau wie die Verfassungsentwürfe der römischen Kirche an der Grenze der Laienfrage und des Einheitsproblems. Sie will sich durch relativierende Revision der Kontroverslehren anerkennungsfähig machen, um sich der Einheitsfrage in der Gestalt „versöhnter Verschiedenheit” entziehen zu können. Die notwendige Verbindung von Einheit und Selbstreform ist aber noch nicht hervorgetreten. Die Thesen von Accra/Lima enthalten bereits diese Thematik, decken sie aber nicht auf.
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1 Dombois, Kirche, Gemeinde und akademische Theologie
als Verfassungsproblem, in: ders., Evangelium und soziale
Strukturen, Witten 1967, 132-148, hier: 133 ff.
2 RdG Bd. II, 216-224.
3 Dombois, Kodex und Konkordie — Fragen und Aufgaben
ökumenischer Theologie, Stuttgart 1972.
4 RdG Bd. II, 136.
5 Harding Meyer/Hans Schütte (Hg.), Confessio
Augustana. Bekenntnis des einen Glaubens, Paderborn/Frankfurt
1980.
6 Alfred Burgsmüller (Hg.), Kirche als „Gemeinde von
Brüdern”. Veröffentlichung des Theologischen Ausschusses der EKU,
Gütersloh 1980/81.