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Kapitel IX

Art. VII — De Unitate Ecclesiae

Art. VII der CA ist neben Art. IV/V die wichtigste Aussage der CA. Sie hat die weitaus größte geschichtliche Bedeutung und Wirkung besessen und besitzt sie noch. Diesen Artikel hat bei der erstmaligen Begegnungen eines lutherischen Bischofs mit einem Papst im Lande Luthers dieser Bischof dem Papst als den entscheidenden Artikel des Bekenntnisses vorgehalten.

Dieser Artikel ist in zweifacher Weise mit dem Begriff des consensus verbunden. Er beruht wie die ganze CA auf dem „magnus consensus” der Verfasser und zielt zugleich auf den Konsens, der als das entscheidende, aber auch zureichende Moment der Kircheneinheit bezeichnet wird.

Jener erste Konsens, auf den sich Bischof Lohse gestützt hat, ist indessen längst zerbrochen. Zwischen seiner traditionellen Wertung und der tatsächlichen Situation besteht seit langem ein Widerspruch. Artikel VII hat mehr als jeder andere Artikel der CA Kritik auf sich gezogen. Es besteht ein breites Spektrum einer solchen Kritik mit unterschiedlichen Begründungen, die jedoch alle auf die Motivation und Erfahrung der ökumenischen Bewegung zurückgehen. Pannenberg bemerkt a.a.O., daß der Artikel VII isoliert leicht ein einseitiges Bild darbiete, aber aufgrund der übrigen Aussagen über die Kirche zu ergänzen sei. Was, wie und wo bleibt aber angreifbar, wird auch nicht angedeutet.

Eine große Zahl gewichtiger Lutheraner ist sich heute darin einig, daß die Formulierung von CA VII nicht ausreicht. Diese vereinigen sich in der Formel „satis est — non satis est”. Damit is noch keine bestimmte Lösung des Problems verbunden. Es ist aber der Punkt, von dem aus die Glaubwürdigkeit des Augsburgischen Bekenntnisses am stärksten erschüttert worden ist.

Dieser Kritik steht eine entschiedene Verteidigung gegenüber. Die These von Gloege, daß die Begriffe satis und necesse eine klassische Dialektik enthielten, wird freilich als eine sehr formale Auslegung schwerlich überzeugen.1 Entschieden besteht jedoch ein festgewurzelter Partikularismus, der hier nichts zu ergänzen und bessern findet. Dieser wird noch verstärkt durch einen kirchenrechtlichen Minimalismus. Ein Konsens über die Zulänglichkeit des hier beschworenen Konsenses besteht aber offenkundig nicht mehr.

Für die Auslegung macht sich auch hier die unglückliche und unklare Vermischung von Grundsatz und Mißbrauch bemerkbar, welche die Offenlegung der Grundfragen verhindert. Denn als Kontraposition wird hier die Riteneinheit bezeichnet. Diese Ablehnung ist — für sich allein — berechtigt, hat aber im Verhältnis zur Frage der Einheit nur ein begrenztes Gewicht, ist kein wirklich tragendes Argument.

Unzweifelhaft hatte und hat die römische Kirche einen in ihr selbst kaum zu bändigenden Trieb zur Unifizierung. Es fällt ihr immer wieder schwer, über

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diesen Schatten zu springen. Damit konvergiert ein eher entgegengesetztes Moment: Die Vorstellung des Vorrechts oder „Vortritts” der römischen Tradition vor allen anderen. Aber selbst in der lateinischen Kirche besteht eine Mehrzahl von Riten. Sodann hat die römische Kirche auf den Unionskonzilien von Florenz und Ferrara nicht ernstlich unternehmen können, die orientalischen Kirchen im liturgischen Bereich zu latinisieren. Über diese Beschwerde aber kommt die Tatsache und Einsicht zu kurz, daß der Ritus, auf Wiederholung, Stämmigkeit und Gemeinsamkeit gestellt, auch Gemeinschaft schafft, ebenso, daß die liturgischen Ritusgemeinschaften im kanonischen Recht eine unbestrittene Rechtsposition besitzen.

Daß eben hier die Realität des Geschehens selbst in seiner universalen Gültigkeit und Bedeutung zu ihrem Rechte kommen soll, tritt in Art. VII nicht hervor und wird auf den exegetisch-systematischen Konsens unbestimmter Träger abgelastet. Bis dahin war die intentionale Identität das entscheidende Interesse. Sobald das Realhandeln sich verbalisierte, veränderte sich auch die Wertung. Nicht kommt zum Ausdruck, daß die Kirche ein legitimes Recht, ja die Pflicht zur Ausübung eines ius liturgicum besitzt. Darin müssen die Erfahrungen der Kirche im Umgang mit der Heiligen Schrift in Gestalt von Lesungsfolgen, Perikopen usw. ebenso eingebracht werden wie die Gebetsordnung und die liturgische Erfahrung aus dem Vollzuge selbst. Auch insofern ist Kirchenrecht liturgisches Recht. Diese Aufgabe kann unbeschadet der Dignität jeder Gemeinde als Ekklesia diese einzelne Gemeinde und der einzelne Pfarrer grundsätzlich nicht leisten; dies ist eine Frage verantwortlicher Gestaltung und legitimer Tradition ebenso wie einer sachgemäßen Erneuerung und Bereinigung von Unzulänglichkeiten, die sich immer wieder im Gebrauch durch Ergänzungen, Abänderungen, Weglassungen, Unverständnis einschleichen. Hier wird die unmittelbare Lebensnotwendigkeit schon einer Ritengemeinschaft deutlich, die mehr ist und anderes umschließt als die Übereinstimmung der Lehren. Andererseits sieht sich erneut jeder kirchenrechtliche Ritus auf sein Verhältnis zur Identität der Gesamtheit verwiesen. Die in Artikel VII zum Ausdruck kommende relative Abwertung der Einheit zu einer jeweiligen und prozedural unbestimmten lehrmäßigen Abstimmung wird dem Gesicht der Frage nach der Identität aller nicht gerecht.

Dies ist aber immer notwendig menschliche Gestaltung unverfügbar vorgegebener Vollzüge. Unbestritten ist vollends und war es auch auf dem Trienter Konzil, daß die Kirche nicht befugt ist, die Grundstruktur sakramentaler Handlungen aus eigener Vollmacht zu ändern. Sie kann sie nur ausgestalten und konkretisieren. Die Frontstellung von Art. VII stellt aber diese positive Verpflichtung als solche ganz zurück und läßt das Problem des ius liturgicum im Ungewissen. Im Gegenteil wird durch die Parallelstellung von doctrina und administrativ die Gottesdienstgestaltung zum modus der Doktrin. So läßt die Abwehr von Mißständen wesentliche Dimensionen der Sache selbst vergessen.

Was ist hiernach unter einem consensus de administratione sacramentorum

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zu verstehen? Besteht in der CA ein consensus über die Sakramente selbst, welcher dieses Element kirchlichen Handelns zum vollen Ausdruck bringt? Die lutherische Theologie von heute bescheinigt sich selbst, daß sie keinen consensus de sacramentis hat, sondern nur einen diffusen Bestand von Auffassungen und Lehren. Es geht heute also nicht einmal mehr darum, hier richtig und falsch, Wahrheit und Irrtum im theologischen Sinn zu scheiden und die Wahrheitsfrage auszutragen. Diese Theologie weiß an unzähligen Punkten, was sie jeweils meint vermeiden zu müssen. Aber wie in einem Slalom-Lauf mit vielen Marken, aber ohne Zeil, versucht sie nicht einmal, zu einem Konsens zu kommen. Besteht dieser Konsens nur noch in der von jedem Pfarrer zu fordernden Bereitschaft, die agendarischen Bestimmungen über den Vollzug von Taufe und Abendmahl innezuhalten? Es wird der kirchlichen Tradition überlassen, in den verfaßten Partikularkirchen die Agenden fortzuschreiben, so gut sie es vermögen. Die entscheidenden Wirkungen auf diesem Felde gehen auf Initiativen und Arbeiten zurück, die nicht wie die akademische Theologie als institutionelle Notwendigkeit vertreten werden. Es zeigt sich vollends, daß die akademische Theologie zwar eine begleitende Reflexion als notwendiges Element bietet, daß die Fortbildung der Gestaltung aber nicht akademisch gelehrt, sondern nur in der liturgischen und Gebetspraxis gewonnen werden kann. — Die theologisch-wissenschaftliche Bemühung, der der Konsens stillschweigend anheimgegeben worden ist, reicht von der Sache selbst her nicht aus. So haben Versuche namhafter Professoren, Ordinationsformulare zu schaffen, zu Entwürfen geführt, die nicht einmal vollzugsfähig waren, deren Annahme und Gebrauch die beteiligten Kirchen aus der Gemeinschaft der gesamten Kirche ausgeschlossen hätte.

Es liegt also der iuxta-Position beider Begriffe von Konsens ohne Differenzierung und Verhältnisbestimmung die methodische Voraussetzung zugrunde, daß alles auf der gleichen Ebene der rationalen Theologie aus der Auslegung der Schrift abgeleitet werden könne. An die Stelle der nicht verfaßten Kirche ist daher im Hintergrund das Modell wissenschaftlicher Arbeit und Organisation getreten, die sich im regressus ad infinitum fortbewegt.

Es macht sich hier verhängnisvoll bemerkbar, daß schon die scholastische Theologie mit einer problematischen Rationalisierung der Sakramententheologie begonnen hat. Sie war so lange relativ unschädlich, als die sakramentale Tradition der Kirche als solche unbestritten, und deswegen nicht primär reflexionsabhängig, voraus lag.

Die Reformation hat dann die Sakramente zum Gegenstand der Kontroverstheologie gemacht, damit aber die rationale Begrifflichkeit in den primär-wirksamen ersten Rang erhoben, ja sogar den unglücklichen Gläubigen zugemutet, die Aneignung durch unverstandene Repetition der entsprechenden dogmatischen Begriffe als Ausweis der Rechtgläubigkeit und Vorbereitung nachzuweisen.

Wenn nun wirklich Unifizierung und Willkür, die in CA VII abgewehrt werden, ein so entscheidendes Hindernis darstellten, dann hätte, befreit von

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diesen Zwängen, die Gottesdienstgestaltung der reformatorischen Kirchen einen bedeutenden Aufschwung nehmen müssen. Die Liturgiegeschichte der lutherischen Kirchen ist keineswegs glücklicher und schöpferischer als die der lateinischen Kirche vor und nach der Reformation. Diese letztere hat beträchtliche Mißbildungen aufzuweisen; sie hat ihre Schwerpunkte nicht selten am falschen Ort gesucht und der modernen nachkonziliaren Gottesdienstreform reichhaltigen Stoff geboten. Aber dieselben Probleme, Gefährdungen und Mängel zeigt auch und erst recht die Liturgiegeschichte der lutherischen Kirche. Mußten wir nicht in unserem Jahrhundert einem engen Ritualismus widerstehen, der die Feier des Abendmahls auf die Zitation der Einsetzungsworte reduzierte? Haben nicht heute noch die Ordinationsformulare jene, Luther selbst unbekannten Vollzugsformeln, in denen sich die Devotion gegenüber dem landesherrlichen Kirchenregiment unerkannt forterbt? Wenn man nicht mehr sieht, was man tradiert, so ist das keine Entschuldigung.

Der Konsens über doctrina und administratio hat nun zwei Seiten: eine formale und eine materiale. Auf der formalen Seite steht die Struktur der Aussagen, welche beide Handlungsweisen der Kirche auf eine Ebene stellt, die der Auslegung und Ableitung aus dem Schriftwort. Der materiale consensus aber beschränkt sich nominalistisch auf die Gegebenheit beider Elemente.

Die Problematik der Zuordnung der beiden Grundaussagen zeigt sich aber hier schon in dem Begriff der administratio. Man verwaltet vorhandene Güter, damit sie den Empfangsberechtigten (und nicht den Unberechtigten) zukommen. Daß hier eine Verantwortung besteht für anvertraute Aufgaben und Möglichkeiten des Handelns, welche Entscheidungen fordern, schließt die Verwendung des Begriffs „Verwaltung” nicht völlig aus. Dieser macht das Handeln aber zum Objekt, während es eine Weise der Kommunikation darstellt. Der Begriff „Verwaltung” darf nicht verdecken, daß die Sakramente nicht verwaltet, sondern gefeiert werden. Der Begriff der Gnadenmittel hat hier eine gefährliche Mehrdeutigkeit, nicht weniger der der „Gabe”.

Aber wie würde sich der Vordersatz des Art. VII allein dargestellt haben, wenn ihm nicht wenigstens eine halbe Begründung beigegeben worden wäre, — und wer würde diese Begründung als solche heute noch verwenden? Wie stellt sich Art. VII angesichts der Tatsache dar, daß der Konsens innerhalb der reformatorischen Bewegung seit Marburg bereits zerbrochen war? Wenden wir uns also von der schiefen Antithese der Uniformität dem Hauptproblem der Einheit der Kirche zu, so vertritt Peters mit folgender Aussage eine dominierende und charakteristische Auslegung:

„Die Einheit wie die Universalität der Kirche durch die Räume und Zeiten hindurch läßt sich nicht in machtvollen Institutionen manifest machen oder durch eine Sukzessionskette der Amtshierarchie absichern. … ,Die Kirche ist nichts anderes als das immer neu Gestalt werdende Wunder der Mächtigkeit des Wortes’ (Althaus).2 Das Geheimnis des ,uni et quando visum est Deo’ (CA V) bleibt über dieser ,Faktura et creatura verbi’ (39).” 2a

Dies ist ein interpretativer Konsens zu dem in der CA bezeugten Konsens.

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Daß die Leitung der Kirche in der Gemeinschaft der Bischöfe eine gemäße Ordnung und kein Machwerk sei, hat zwar Luther selbst anerkannt. Der betonte „magnus consensus” jedoch drückt die Überzeugung aus, daß hier alles zur Seligkeit Notwendige ausgesprochen ist. Es ist ein Konsens in se wie über die Suffizienz seiner selbst, der zugleich zur Einheit der Kirche ausreichen soll. Dazu gehört auch die Beschränkung auf die behandelten loci dogmatici und der Ausschluß bestimmter, als notwendig zu fordernder Verfassungselemente. Hierin ist auch die Ablehnung sowohl der katholischen wie reformierten sog. „Ordnungsgerechtigkeit” begründet.

Ist hier aber eine Konsensbildung möglich und notwendig gewesen, so ergibt sich daraus die Möglichkeit und Notwendigkeit weiterer Konsensbildungen. Eine solche stellt später die formula concordiae dar, welche nach Auftreten von Gegensätzen zur Vermeidung einer Spaltung bestimmt war. Würde sie aber nur als ein Interpretament zur CA und diese selbst als eine einzigartige und unüberbietbare Manifestation des Geistes verstanden, so würde der CA eine Dignität der Inspiration und Prophetie verliehen, für welche jede theologische Legitimation fehlt. Auch die initiative Erstmaligkeit dieses Konsenses kann eine weitere Konsensbildung qualitativ und inhaltlich nicht ausschließen. So gut die Urheber und Träger des Konsenses der CA sich zu solchem Tun legitimiert sahen, so wenig könnte die Frage nach der Legitimation späterer Konsensträger prinzipiell als unlösbar erscheinen. Es ist daher zu fragen, warum die Bekenntnisgemeinschaft Augsburgischer Tradition seither keinerlei Anstalt gemacht hat, diesen Konsens zu erneuern, ihn gegen Fehldeutungen abzugrenzen, sich der Gemeinsamkeit zu vergewissern und neu entstandene Fragen zu entscheiden. Daß die reformierte Kirche nach einer vergleichbaren Bekenntnisbildung in Dordrecht in einer gesamtkirchlichen Synode nachträglich aufgetretene dogmatische Streitigkeiten entschieden hat, kann wohl schwerlich zur Ordnungsgerechtigkeit angerechnet werden. Auch waren ja die Vertreter der CA bestrebt, selbst mit der römischen Kirche zu einem freien Konsens zu kommen, wenn auch vergeblich. Es zeigt sich damit, daß die von Peters formulierte Antithese das Problem der Einheit nicht trifft. Es ist vielmehr ganz anders zu fragen. Warum bringt das Vorhandensein eines einmaligen, räumlich und personal begrenzten Konsenses in einem Bereich, — aber auch im Blick auf die übrige Christenheit — den Lebensvollzug ständiger konsensualer Bemühung und Klärung zum Erliegen? — Nicht anders im Ergebnis in der reformierten Parallele und auch hier allerdings erst nach der einmaligen konziliaren Praxis. In beiden Linien erschöpft sich jedenfalls das verbindliche, geschichtliche Gemeinschaftshandeln in der Bekenntnisbildung als solches mit einem einmaligen Akt der Ergänzung.

Es handelt sich also gar nicht um das Widerbild von Macht und Institution, sondern um ein verschiedenes Verhältnis zur Geschichte. Während die alte, die römische und die orientalische Kirche sich durch konziliare Versammlungsbeschlüsse fortbilden und diese Methode grundsätzlich festhalten, beziehen sich die reformatorischen Kirchen auf einmalige Stiftungsvorgänge.

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Deren Auslegung verändert sich de facto in der Geschichte, aber nicht mehr ex consensu und mit verpflichtender Kraft. Sie haben weder den Antrieb noch das Bindungsvermögen zu einer solchen Fortbildung. Da es sich aber nicht um die Bindungskraft der Autorität, sondern den Trieb zur einverständlichen Entscheidung überhaupt dreht, kann es nicht um die Differenz der Verfassungen, der Verfassungstraditionen und -formen gehen. Das betrifft nicht allein eine Besonderheit des rechtsfeindlichen Luthertums, sondern auch die streng verfaßte reformierte Kirche. Daher muß der Grund an anderer Stelle liegen. Nur eine Differenzialdiagnose, nicht affektive und manifeste Gegensätze bringen den Grund zutage, sondern der Querschnitt der Unterschiede und Gemeinsamkeiten.

Alle Aussagen der CA stehen unter der Voraussetzung und enthalten den Anspruch, daß sie nichts anderes enthalten, als den Glauben der allgemeinen Kirche, der catholica.

Ein unabdingbares Moment des katholischen Glaubens ist jedoch die Überzeugung, daß die gleiche pneumatische Realität, welche die lutherische Kirche für die congregatio in Anspruch nimmt, der universalen Kirche in ihrer ganzen Ausdehnung zukommt. Alle Christen sind unmittelbar in dem einen Leibe Christi mit unmittelbarer Rechtswirkung vereinigt. Daraus ergibt sich, daß der Gedanke der Einheit nicht als Zusatz oder äußere Form für den Begriff der Kirche zu verstehen ist, sondern als grundlegende Realität ein Merkmal der Kirche selbst ausmacht. Wie diese Einheit sichtbar verfaßt ist, ist damit noch nicht entschieden. Daß sie vorgegeben und notwendig ist, steht aber außer Frage. Die die Kirche integrierende Sakramentalität bringt die Einheit ipso facto mit sich und fordert nicht mehr und nicht weniger als die Verbindlichkeit, die nicht allein der je einzelnen congregatio zukommt.

Der Grundsatz der Äquivalenz aller Ekklesien, einer der frühesten Eckpfeiler des Kirchenverständnisses, stellt die Universalkirche und die Ortskirche auf eine pneumatische Ebene und verleiht beiden die gleiche Dignität und Konkretion. Dies verbietet, die Universalkirche in irgendeinem Sinne als Urheberin oder Zweickeinrichtung zu betrachten; es verbietet ebenso die einzelne ekklesia als Unterteilung, Zweckverband oder portio zu verstehen. Die Kirche kann nicht die Ortsekklesia absorbieren, die Ortsekklesia nicht unter Berufung auf die Präsenz des aktualen Wortes die Gesamtkiche als Funktionsform entwerten. Hat aber der päpstliche Zentralismus gegen den Geist dieses pneumatischen Kirchenverständnisses verstoßen, so hat es auch die Gemeindekirche getan, indem sie dieses verbindliche und pneumatisch-reale Miteinander leugnet. Die Häresie des Papsttums wird in den Gemeindekirche auf den Kopf gestellt und als Grundsatz proklamiert.

Der Begriff catholica erklärt, warum die sakramentale Kirchen als selbstverständliches Element ihres Glaubens die pneumatische Universalität der Kirche konkret — in historisch verschiedenen Formen! — festhalten, während die Kirchen des Wortes über die Partikularität, sei es der Gemeinde, sei es der Partikularkirche hinauszukommen sich geweigert und als unfähig erwiesen

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haben. Die Scheu der lutherischen Kirche, die Partikularkirche als solche in ihren ekklesiologischen Bestand einzubeziehen, welche die mühsamen Arbeiten über Kirchenleitung nachzubringen veranlaßt hat, beruht auch darauf, daß der Begriff der Partikularkirche selbst eine unübersehbare Mahnung an das unbewältigte Phänomen und Problem der universalen Kirche enthält.

Angesichts des kirchenrechtsgeschichtlichen Tatbestandes kann nicht behauptet werden, daß die vorgegebene Einheit der Kirche aufgrund des Wesens der Kirche nicht verfaßbar sei. Wohl aber wäre das ganz andere pragmatisch-historische Urteil, daß eine Verwirklichung der Einheit in einer dem Glauben annehmbaren Form in der konkreten Lage der Reformation nicht erreichbar gewesen sei, sehr wohl begründet.

Tatsächlich hat der lateranensische Katholizismus des frühen Mittelalters in der Entwicklung der Verfassung wie der scholastischen Theologie alles getan, um im Endergebnis dieses Urteil zu begründen. Die Ausbildung des Papsttums zum Universalbistum hat schrittweise die bischöfliche Substruktur der Kirche, insbesondere mit der Usurpation der Besetzungsrechte an sich gezogen, die gemeindliche Substruktur aber immer stärker entwertet und verfallen lassen. Der philosophische Universalismus vorgegebener und rational definierbarer Generalbegriffe hat entscheidend dazu beigetragen, alle nachgeordneten Bildungen und Grundsätze als ableitbar aus dem übergeordneten Zentrum her zu verstehen. Damit war die Entwertung des gesamten Aufbaus der Kirchenverfassung eingeleitet. Der Aufstand der Bischöfe hat dann nicht zu einer Verständigung über eine wechselseitige Ergänzung zischen Primat und Episkopat geführt, sondern zu einem Machtkampf, den der Episkopat mangels innerer Einheit verloren hat. Die Konzentration der gesamten Kirchenverfassung im Papstamt und der Ausgang jeder Legitimität von dort aus verdeckte den communio-Charakter der universalen Kirche, provozierte in einer zugespitzten Weise das Machtproblem gerade im historischen Moment der äußersten Unfähigkeit, die eigenen Funktionen wahrzunehmen und die Kirche in ihre (eigene) kanonische Form zurückzuführen.

Dem trat auf der lutherischen Seite der Verzicht auf jede Kirchenverfassung gegenüber. Dies erklärt auch, daß die lutherische Reformation nicht auf die konziliare Bewegung des 15. Jahrhunderts zurückgegriffen hat. So befand sich die Reformation in der verzweifelten Lage, sich zu entscheiden: Aut Papa aut nihil. Sie zögerte nicht, das nihil zu wählen — die Spiritualisierung nicht der Gemeinde als Kirche verstanden, sondern die Spiritualisierung der universalen Kirche. Folgeweise trat an die Stelle einer universalen Leitungskompetenz das Vakuum eines subjektlosen Konsenses. Nachdem sich die Reformatoren als konkreter Kreis in Konsens vereinigt hatten, gab es niemand mehr, der kirchenrechtlich verantwortlich und befugt gewesen wäre, die Erneuerung dieses Konsenses, seine Verbesserung und Korrektur, die Entscheidung neuer Fragen zu veranlassen. Papst und Reformation allerdings waren methodisch und strukturell einig. Der Alleinigkeit der päpstlichen Vollgewalt entsprechen strukturell die sola-Formeln. Die Dualität von Tradition und Rezeption, von

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Vorgegebenheit des Evangeliums und Immanent des Geistes ist zerstört und vollends in Art. V dogmatisch verschmolzen. Hier zeigt sich nicht nur die anthropologische und pneumatologische Bedeutung, sondern gerade die unermessliche kirchenrechtliche Bedeutung dieser so dürftig begründeten Wendung. Die Unterstellung, daß die Reformation aus der Kirche eine leiblose civitas platonica machen wolle, ist gewiß unzutreffend. Die streitenden Konfessionen haben, angespornt durch den Kampf für den rechten Glauben, aus dem Chaos des ausgehenden Mittelalters eine neue Intensität des kirchlichen Lebens erweckt, eine bis dahin kaum bekannte Disziplinierung bewirkt. Die lutherische Kirche beschränkt sich aber grundsätzlich auf die congregatio als lokal versammelte Gemeinde. Selbst aus ihren Elementen, Amt und Gemeinde, bildet sie keine Gemeindeverfassung, erst recht nur Bruchstücke der Verfassung einer Partikularkirche.

Was aber die Kirche einmal vermocht hat, kann, darf und soll sie im Grundsatz auch erneut tun. Mit den Aussagen von CA V können die Probleme der Legitimität, Kontinuität, Identität und Verantwortung nicht bewältigt, sondern nur beiseitegestellt und dissimuliert werden. So kommen immer nur aktuelle und partikulare Entscheidungen heraus oder eine Lawine ungeprüfter Traditionen.

Die hier versuchte Differentialdiagnose kann freilich noch nicht alle Dimensionen des Phänomens offenlegen. Sie zeigt aber schon methodisch, wie tief die Wandlungen und Entscheidungen psychologisch begründet sind. Erst ein weiterer Durchgang in der Zusammenfassung3 kann die geschichtliche Basis der Einheitsfrage aufzudecken unternehmen.

In dem offiziellen Werk zur CA „Bekenntnis des einen Glaubens” wird zur Frage der Einheit der Kirche in einer entscheidenden Formulierung wie folgt Stellung genommen:

„Dennoch kann man schwerlich übersehen, daß in Art und Ausmaß der Sichtbarkeit und Verfaßtheit der Kirche sich Unterschiede zwischen reformatorischer und altkirchlicher Auffassung zeigen. Die Sichtbarkeit der Kirche wird von reformatorischer Seite zwar nachdrücklich festgehalten, behauptet und durch den Hinweis auf die beiden externe signa Wort und Sakrament begründet. Aber über diese externe signa und das, was sie implizieren (besonders das von Gott eingesetzte kirchliche Amt mit seinen verschiedenen Funktionen) hinaus dringt die Sichtbarkeit und Verfaßtheit der Kirche nicht in die Wesensbestimmung der Kirche ein.” 4

Das ist eine klare Absage, die sich nicht allein auf die extremen und umfassenden Leitungsansprüche des Papsttums, sondern auf jede Verfassung bezieht. Daraus folgt auch, daß konziliare Formen der Verfassung als mögliche und wünschbare Formen des Austausches und der Begegnung nicht direkt abgelehnt zu werden brauchen, daß ihnen aber keine ekklesiologische Qualität und wechselseitige Verbindlichkeit mit einem gewissen zu klärenden Anspruchsgehalt zugebilligt und sie nur als funktional verstanden werden können. Hier liegt auch der — vorsichtig zurückgestellte — theologische Grund dafür, daß anstelle

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von Gedanken und Programm der Konziliarität der Gedanke der „versöhnten Verschiedenheit” gestellt worden ist.

Indessen liegt hier eine petitio principii, indem die verfaßte Sichtbarkeit a priori als zusätzlich zu den (übrigen) signa ecclesiae verstanden wird. Dies ist eine Vorentscheidung, welche die Einheit als eine äußere machbare und verfügbare accessorische ansieht, nicht aber als den Ausdruck einer gegebenen geistlichen Wirklichkeit. Dies stellt das Evangelium außerhalb und oberhalb des geistlichen Geschehens, welches eben dieses Evangelium von Anbeginn seit der Aussendung der Apostel und der Ausgießung des Geistes in der Geschichte geschaffen hat und erhält. Aber wie kann man die Verbindlichkeit zwischen Brüdern als sekundär verstehen? Genau wie es eine fragwürdige Ableitung der Legitimität dieser Verbundenheit geben kann, so fragwürdig ist diese apriorische Partikularität. Sie stellt gerade die vollkommene und umfassende Wirklichkeit des Evangeliums in Frage, ebenso die der Sakramente, welche die alle verbindende communio in einer besonderen Weise enthalten und ausdrücken. Es hat freilich gerade eine deduktive, formal abgegrenzte Einheit in der römischen Kirche die Ubiquität und Souveränität des Heils nicht weniger in Frage gestellt und den Gegenschlag einer Partikularisierung, d.h. Unmittelbarkeit, hervorgetrieben, während die induktive Form der Vergemeinschaftung im Gedanken und Vollzug konzilianter Gemeinschaft diesem Einwand und der falschen Alternative von Universalität und Partikularität nicht ausgesetzt ist. Denn so verstanden muß ein jeder Christ und jede Kirche nach der Gemeinschaft mit allen anderen streben, sie pflegen, sich ihr stellen und nicht von ihr lassen. Denn ihre Bestätigung, Ermutigung wie auch ihre Frage und Kritik dienst einer jeden Kirche und jedem Christen zur Hilfe im Glauben. Wenn die zentrale Definition der Kirche in Lumen Gentium und Canon 2 der LEF die Kirche als ein corpus von Kirchen definiert, so ist grundsätzlich Einheit etwas anderes geworden, als das Gebilde, dem die Reformation sich gegenübersah. Die Reformation hat den Gegner nicht überwunden, sondern eher auf seinem falschen Weg weitergetrieben, der nun selbst im Konzil einen ersten prinzipiellen Schrift zur Verwandlung getan hat.

Eine partikularistische Kirche hat auch eine partikularistische Theologie und umgekehrt. Partikularismus läßt die mundiale Bedeutung, die kosmologische und eschatologische Dimension des Evangeliums und der Kirche mit großer Wirksamkeit für den Glauben ihrer Anhänger im Hintergrunde verblassen. Die Partikularkirche muß die Folgen für den Glauben verantworten, die sie durch die Verneinung verfaßter Einheit der Kirche — die nicht gleichbedeutend ist mit der Verneinung des Papsttums — hervorgerufen hat.

Was eine Konfession ist, das zeigt sich alsbald in ihrer Gestalt und Geschichte. Es zeigen sich ihre virtutes und ihre vitia. Es zeigen sich Charisma und Legitimation ebenso wie verhängnisvolle Schwächen, verborgen oder beschönigt oder auch dreist hochgelobt. Auf die Länge aber kann sie ihre spezifische Begrenzung und zugleich historische Kontingenz nicht verbergen. Und was man als reines Evangelium aufgrund seines spezifischen Vorverständnisses

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proklamiert, zeigt sich in seiner möglichen wie in seiner unmöglichen Partikularität. Es ist die Frage, ob sich eine Konfession aus dem Zwange zur Selbstbehauptung ihrer Identität freizumachen oder ohne unnötigen Verlust des Gesichts zu einer ernsthaften Selbstreformation imstande ist. Durch die große Ausdehnung der Negationen hat es wohl die lutherische Kirche schwerer als andere.

In der Ablehnung verfaßter Einheit ist die lutherische Kirche der Abhängigkeit vom Gegensatz verfallen. Historisch und grundsätzlich irrt sie hier. Der methodische Fehler liegt freilich in dem ungeschichtlichen Gedanken, Plan und Anspruch, die Kirche von den Anfängen aus neu zu bauen. Wären aber die signa ecclesiae im Vollsinn und rechten Verhältnis angesetzt und ausgebildet gewesen, wäre von der Einheit der Kirche von vornherein nicht so geredet worden.

 

Anmerkungen zu Kapitel IX

1 Gerhard Gloege, Die Einheit der Kirche, in: Heilsgeschehen und Welt. Theologische Traktate Bd. I, Göttingen 1965, 174-208.
2 Paul Althaus, Die Theologie Martin Luthers, Gütersloh 1962, 251.
2a Albrecht Peters, Der dritte Glaubensartikel, in: NZSTh 15, 1973, 326-347, hier: 341.
3 Vgl. Kapitel XVIII.
4 Harding Meyer/Heinz Schütte, Die Auffassung von Kirche im Augsburgischen Bekenntnis, in: dies. (Hg.), Confessio Augustana. Bekenntnis des einen Glaubens, Paderborn/Frankfurt 1980, 169-197, hier: 183.
Vgl. hierzu die Ausführungen in RdG I, 830 f. Es ist ebenso charakteristisch wie schwer begreiflich, daß die von Harnack dort nachgewiesenen geschichtlichen Tatsachen keinerlei Eindruck auf die Haltung zum Thema der Kircheneinheit gemacht haben.