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Das Hauptwerk Johannes Heckels, welches man im Zusammenhang mit seinen umfangreichen Vorarbeiten lesen muß, zeigt sich für den Leser in einem gewissen Widerspruch. Heckel hat mit einer von Steinmüller2 mit recht gerühmten Meisterschaft die ideengeschichtliche Entwicklung aufgedeckt und nachgezeichnet, aus der die Position Luthers erwachsen ist. Sein ausschließliches Bestreben war es, die Gesamtanschauung Luthers aus ihren Wurzeln im vollen Zusammenhang und von Mißverständnissen gereinigt darzustellen. Mit diesem historischen Anliegen verband sich aber ein als selbstverständlich nicht ausdrücklich formulierter Bedeutungsanspruch. Unter der Voraussetzung authentischer Klärung der Lehre Luthers müsse deren Zulänglichkeit und bleibende Gültigkeit anerkannt werden. Im Gegensatz zu geschichtlichen Darstellungen, wie wir sie gemeinhin antreffen, fehlt jeder Hinweis auf offene Fragen, immanente Begrenzungen, persönliche Zufälligkeiten, vollends die bewußte Scheidung von Grundsätzlichem und Zeitbedingtem. Die einen erschienen offenbar unwichtig gegenüber der Gesamtbedeutung, die anderen drohten, das Werk als Ganzes in bedenklicher Weise in Frage zu stellen. Es gibt weder Vorgaben noch Rückprüfungen. Luthers Werk wird als eine unüberbietbare zentrale Erkenntnis der Heiligen Schrift verstanden. Unter Vorgaben würde ich die Rückverweisung etwas auf die altkirchlichen Bekenntnisse verstehen. So wenig hier eine dogmatische Tradition der Kirche der Schrift vorgeordnet sein konnte, so gewiß hätte der Inbegriff ekklesiologischer Aussagen in diesen Bekenntnissen als Anzeichen für Erkenntnisse und Perspektiven gelten müssen, deren Wahrheitsgehalt mit eingebracht werden muß. Die völlige Ausblendung dieses Moments macht die alten Bekenntnisse zu theologoumena, welche jeder kompetente Theologe im Bedarfsfalle ebensogut rekonstruieren, übersehen und neu formulieren kann. Die Begriffe der Apostolizität und Katholizität kommen, wenn überhaupt, nur in dem Sinne vor, daß ihr wesentlicher Inhalt als selbstverständlich mitgegeben angesehen wird, ohne zu einer Prüfung zu nötigen.
Ebensowenig ist das Verhältnis der Lehre Luthers zur CA, ebenso zur schon geschichtliche gewordenen Kirche, die dann — entgegen seinem Selbstverständnis — seinen Namen bekam, erörtert; sie wird nur zweimal beiläufig zitiert. Grundmann und Steinmüller weisen darauf hin. Noch weniger ist die Frage nach der Bewährung, nach den Früchten, an denen man auch Luthers Lehre erkennen könne, irgendwie gestellt. Diese Lehre wird vom Standpunkt der Gesinnungsethik, nicht der Verantwortungsethik, behandelt und beurteilt.
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An dieser Stelle wird ein weiteres Problem sichtbar, welchem sich die bisherige Erörterung seines Werkes nicht gestellt hat. Quellenauswahl und Deutung im Werke Heckels sind umstritten. Die Reichs- und Regimentenlehre in besonderem Maße ist so schwierig und kompliziert, daß Heckel selbst in der Kontroverse von einem „Irrgarten” gesprochen hat. Ich habe mich daher auch in meiner früheren Kritik und Rückfrage in Band I3 strikte jeder Erörterung enthalten, in der die Quellenfrage als solche aufgetreten wäre. Ich bin dem forensischen Gebrauch gefolgt, uferlose Beweisfragen durch Unterstellung der bestreitbaren Wahrheit abzuschneiden. Ich bin also überall von der Hypothese ausgegangen, daß die Deutung von Heckel zutreffend sei.
Heckel hat als Grundlage seiner Arbeit einen Schritt getan, dessen methodische Notwendigkeit gerade der Vergleich mit gänzlich andersartigen Texten erkennen läßt. Er ist nicht von einem Kirchenbegriff ausgegangen, sondern von dem Werk Christi, welches er in seinen Begriffen in Kürze zusammenfasst.
Heckel umschreibt das opus Christi (in der Zusammenfassung von Aussagen Luthers) wie folgt.
Gott sendet seinen Sohn in die Welt und gibt damit dem
Naturgesetz seinen wahren Sinn und seine eigentliche Bestimmung
wieder.
Das opus proprium Christi ist dann die regeneratio hominis, die
Erschaffung des Menschen zu einer neuen Kreatur.
Die dritte Aufgabe ist die Stiftung der geistlichen Kirche und
damit zugleich des leiblichen Kirchenwesens.4
Methodisch vergleichbar ist die Präambel, welche Karl Barth dem programmatischen Abschnitt Ordnung der Gemeinde vorangestellt hat,5 ebenso das Prooemium der Entwürfe der Lex Ecclesiae Fundamentalis der römisch-katholischen Kirche.6
In allen drei Texten ist eine Folge von Handlungen dargestellt, deren Ablauf und Zusammenhang das Werk Christi und die Aufgabe der Kirche ergeben. Heckel sagt hier — wie es Steinmüller in einer präzisen Zusammenfassung des Textes wiedergibt —, dieses Opus habe in der Regeneration des Menschengeschlechtes, in der Wiederherstellung des Naturgesetzes und der Stiftung der Kirche bestanden (178). Ich enthalte mich einer Erörterung der beiden ersten Aussagen, die mir in Formulierung und Begrifflichkeit interpretationsbedürftig erscheinen, und beschränke mich auf die dritte Aussage, die Stiftung der Kirche als Institution.
Aus den verstreuten und unsystematischen Aussagen Luthers hat Heckel einen folgerichtigen Gesamtentwurf entwickelt, die Kirche gleichsam in einem Netz von drei jeweils dreigliedrigen Aussagen eingefangen.
Die erste Dreieraussage ist die eben wiedergegebene, die mit der Bezeichnung der Kirche als Institution abschließt. Dieser Begriff wird von Heckel mit den signa ecclesiae (Predigtamt, Sakramente) ausgefüllt. Der historische Standort dieser Konzeption wird unter anderem daran sichtbar, daß — wie in der CA — die Ableitung aus der Apostolizität ausfällt; auch der Begriff des „Predigtamtes” ist eine historische Neubildung.
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Auffällig und auch von Steinmüller vermerkt ist, daß der Begriff Institution ohne jede Interpretation eingeführt wird. Der Jurist Heckel empfindet nicht die Verbindlichkeit, diesen vieldeutigen, umstrittenen, aber auch vielfach mißverstandenen und affektiv belasteten Begriff zu klären, wenn er ihn mit heilsgeschichtlicher Bedeutung voranstellt. Ebensowenig interessiert ihn sein juristischer Gehalt im Blick auf die damit verbundenen Folgerungen. Dabei lag eine positive Lösung nahe. Mit Recht vermerkt Steinmüller, daß nach der Heckelschen Regimentenlehre der Mensch in den beiden Regimenten einen bestimmten personalen Rechtsstatus erlange bzw. innehabe, eine Anschauung, die sich mit der Theorie der personalen Institution deutlich berührt. Schwierig erscheint auch die unvermittelte und unbedenkliche Verbindung der Lex charitatis als solcher mit den Begriff Institution, die einer erklärenden Vermittlung bedürft hätte.
Die zweite Dreieraussage besteht in den drei Kirchenbegriffen der ecclesia spiritualis, universalis und particularis, in denen Seinsweise und Struktur der Kirche erschöpfend umschrieben sei.
Die dritte Dreieraussage findet sich in der Abschichtung von göttlichem, heteronomem und autonomem Kirchenrecht.
Nach dem Rang des Inhalts handelt es sich hier um eine vertikale Schichtung. Mit dem Gesamtbestand dieser auf drei verschiedenen Ebenen liegenden, aber aufeinander verweisenden Begriffsgruppen ist dann aber alles aufgebraucht, was über Kirche und Kirchenrecht zu sagen ist. Alle Einzelfragen sollen sich in diesen Raster einfügen lassen; wenn sie in diese Konzeption aber nicht hineinpassen, sind sie als irrelevant oder ungehörig auszuschalten. Zum Erstaunen des Lesers ergibt sich also aus der Anschauung eines so unsystematischen Denkers, der viele Phasen des Verständnisses und der Aussage durchlaufen hat, ein System, welches kaum anders als ein geschlossenes bezeichnet werden kann.
Die zweite Begriffsgruppe, die der drei Kirchenformen, zeigt eine erhebliche Unklarheit. Heckel wendet sich mit Recht gegen die traditionelle Zweiteilung in eine sichtbare und eine unsichtbare Kirche, die deren Verschränkung verdeckt und die ecclesia stricte dicta spiritualisiert. In dem Verhältnis der drei Begriffe steckt jedoch eine denkerische Schwierigkeit, die bei Heckel unbewältigt geblieben ist und zu einem Bruch geführt hat.
Von diesen drei Begriffen haben je zwei eine gemeinsame Eigenschaft und heben sich eben dadurch wiederum von dem dritten ab. Sie sind aber eben darum nicht auf einen inhaltlichen Nenner zu bringen. Nach Heckel sind die ecclesia spiritualis und die ecclesia universalis einer institutionellen, äußeren Darstellung nicht fähig — dies kommt allein der ecclesia particularis zu. Andererseits haben aber ecclesia particularis und universalis die gemeinsame Eigenschaft, daß in ihnen die wahren Gläubigen und die Scheinchristen verbunden sind, wobei Luther mit Konsequenz jedem Versuch einer Ausscheidung der Scheinchristen absagt. Dabei fehlt für die These, daß die universalen Kirche der institutionellen Darstellung unzugänglich sei, jede ausdrückliche
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Begründung. Das einzige tertium comparationis bestände auf diese Weise in einem rein formalen Begriff von „ecclesia”. Fällt aber die These von der Unverfaßbarkeit der ecclesia universalis fort, so zerfällt auch die Trias in zwei in sich sinnvolle Gegensatzpaare, die aber als solche miteinander — außer dem Allgemeinbegriff ecclesia — nichts zu tun haben.
Schon Steinmüllier vermerkt die Bestreitung der Verfaßbarkeit der ecclesia universalis, ohne selbst Anhaltspunkte für die Motivation Luthers oder Heckels zu finden. Dabei könnte es schlüssige, wenn auch nicht damit schon begründete Argumente für diese Ausschließung geben. Sie könnten in zwei Richtungen liegen. Der Gedanke einer verfaßten universalen Kirche könnte zu dem Schluß führen, daß diese sich unvermeidlich als einzigartige und allumfassende mit der ecclesia stricte dicta, der ecclesia spiritualis, gleichzusetzen veranlaßt sei. Zweitens könnte sie dem denkerischen Zwang unterliegen, ihre konkrete pneumatische Existenz aus Generalsätzen und Obersätzen abzuleiten, sie also einem denkerischen System zu unterwerfen. Selbstverständnis und Praxis der Luther vor Augen stehenden katholischen Kirche würde diese Bedenken nahelegen. Um so verwunderlicher ist es, daß diese Bedenken zur Begründung jener These nicht genannt und erörtert werden.
Dabei stellt sich von vornherein freilich die Gegenfrage, ob die beschriebenen, in gewisser Weise parallelen und zusammenwirkenden Möglichkeiten und Tendenzen vom Begriff her erförderlich wären oder ob diese Auslegungen und diese Praxis lediglich ein, wenn auch gefährlich naheliegender Mißbrauch wären. Dies trifft mit der Tatsache zusammen, daß in dem Gesamtwerk Luthers, auch wie Heckel es präsentiert, und in noch höherem Maße in der CA der Unterschied von Grundsatz und Mißbrauch nicht klar durchgehalten wird. An vielen Stellen ist man veranlaßt, auf den Satz zu verweisen, daß der Mißbrauch den Gebrauch, also den Grundsatz nicht aufhebe.
Das oben beschriebene logische Verhältnis zwischen den drei Begriffen von Kirche läßt sich auf alle Fälle nicht ohne wesentliche Widersprüche durchhalten. Bejaht man aber die Verfaßbarkeit der ecclesia universalis, so würde sich unbeschadet der von Heckel vertretenen Verschränkung innerhalb dieses Gegensatzes die Teilung in die ecclesia spiritualis auf der einen, die verfaßte und geschichtliche Kirche als universale und zugleich partikulare wieder herstellen.
Andererseits ist jedoch der Begriff der ecclesia particularis in sich problematisch. Denn sie umfaßt sowohl die Gemeinde wie den Regionalverband von Gemeinden. Denn die primäre theologische Dignität der ecclesia beruht unbestritten darauf, daß die durch Wort und Sakrament versammelte Gemeinde im Sinne von CA VII eben durch diese Unmittelbarkeit des Wortes Gottes konstituiert wird. Die ecclesia particularis stricte dicta dagegen ist eine regionale Zusammenfassung von Gemeinden, die nicht der Primärbedeutung des Kirchenbegriffs, sondern in unzweifelhafter Notwendigkeit dem — später zu erörternden — heteronomen Kirchenrecht angehört. Sie ist also ein Mittelbegriff zwischen Gemeinde und universaler Kirche, welche beide allein primären Charakter besitzen. Diese Verwechslung bestätigt den Verdacht, daß hier
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die Nachwirkungen des Universalienstreits vorliegen, demzufolge die Partikularität als solche, sei es in der Gemeinde als ecclesia stricte dicta, sei es der Partikularkirche das Primäre ist (universalia post rem). Der ausgeprägte Partikularismus der geschichtlichen lutherischen Kirche liefert dafür sehr bedenkliche Belege.
Ein gewichtiges Argument zu diesem Problem ist, erneut auf den in der ganzen Kirche anerkannten Grundsatz hinzuweisen, daß das Amt nicht ein Amt der Partikularkirche, sondern ein Amt der Kirche schlechthin, also der einzigen und universalen Kirche ist. Daher ist auch eine erneute Ordination bei Übergang in eine andere Partikularkirche ausgeschlossen.
Die lutherische Theologie hat sodann immer den Grundsatz der Gültigkeit der Ketzertaufe anerkannt. Die Taufe bildet unbestritten den Grundstein der universalen Kirche. Außer ihrer von Grundmann7 bemerkten Mehrdeutigkeit bei Heckel ist zu bemerken, daß beide, Taufe und Ordination, Vorgänge personaler Institution sind. Wir hätten also zwei zentrale institutionelle Elemente einer vorgeblich unverfaßbaren universalen Kirche. Solche konkreten Phänomene von rechtlicher Relevanz und solche Perspektiven fehlen bei Heckel völlig.
Die dritte Dreiergruppe ist der Unterscheidung der verschiedenen Rechtsformen gewidmet, von der Lex divina über das heteronome zum autonomen Kirchenrecht. Im Grunde wird hier nichts Neues vorgetragen. Die gesamte Kirchenrechtslehre, auch diejenige der lateinischen Kirche, unterscheidet zwischen göttlichem und kirchlichem Recht, wobei das zweite dem ersten nachgeordnet und dienstbar unterworfen ist. Ebenso unbestritten ist, daß im autonomen Kirchenrecht die verfaßte Kirche rechtliche Regelungen trifft oder benutzt, die ihr dienlich und notwendig sind, die sich aber strukturell und inhaltlich vom weltlichen Recht nicht unterscheiden.
Da jene Formalbegriffe ebenso zwangsläufig wie unbestritten sind, fragt sich, worin die unterscheidenden und reformierenden Merkmale dieser Lehre liegen. Deutlich sind unterschiedliche Tendenzen in der Verwirklichung und Auslegung. Wie ich schon in Band I7a dargelegt habe, sind diese Tendenzen gegenläufig. Die Tradition der römischen Kirche steht entschieden in einem Gefälle, welche das kirchliche Recht bis zur Unterschiedslosigkeit dem göttlichen Recht annähert, während umgekehrt die reformatorischen Kirchen die Distanz betonen, bis zur Aufhebung der Dignität, welche gerade auch Heckel dem heteronomen Kirchenrecht zuspricht.
In diesem Zusammenhang aber ist wiederum auffällig und auch von Steinmüller vermerkt, daß Heckel keinerlei Anstalten macht, die Formen und Gegenstände des heteronomen Kirchenrechts als eines notwendigen Bestandteils der Kirchenrechtslehre des näheren durchzuführen, auszulegen, zu thematisieren, wenigstens Hauptlinien aufzuzeigen.
Dies führt zu der fast unvermeidlichen Folgerung, daß der völlige Verzicht auf Strukturaussagen in diesem Bereich das ius divinum der beliebigen Verfügbarkeit und Gestaltbarkeit im Bereich des autonomen Kirchenrecht preisgibt. In diese Lücke stößt gerade die Aussage von Karl Barth über den liturgischen
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und bekennenden Charakter des Kirchenrechts. Denn wenn hier spezifische Vollzüge als Grundmuster kirchlichen Rechtshandelns genannt werden, so bilden sich bestimmte Relationen, Strukturen und Gefüge. Gerade im Bereich des ius liturgicum zeigen sich immer rechtlich interpretierbare Vollzugs- und Lebensformen. Im Gegensatz dazu vermeidet aber Heckel jede nähere Interpretation eines rechtlichen Gehalts. Er führt zum Beispiel bei der Beschreibung des Vorgangs der vocatio die einzelnen Phasen vor, in denen sich die Entscheidung zur vocatio und diese selbst vollzieht. Er vermeidet jedoch jeden Hinweis auf den rechtlichen Gehalt der einzelnen Teilakte und des ganzen Geschehens, welches ohne diese Auslegung in seiner Rechtsqualität nicht verständlich ist. Er versucht auch keine Verhältnisbestimmung zwischen vocatio und Ordination, eine unabweisbare Aufgabe kirchenrechtlichen Denkens mit beträchtlichen rechtsgeschichtlichen und systematischen Implikationen. Auf diese Weise legt er sich sogar auf eine bestimmte Auslegung des Begriffes vocatio fest, ohne deren Rechtsgehalt und Tragweite selbst zu reflektieren, geschweige denn zu entwickeln.
Diese, auf allen Ebenen seines Systems durchgehaltene Vermeidung rechtlicher Interpretation der doch gleichzeitig als kirchenrechtlich verstandenen Grundsätze und Aussagen ist unmöglich zufällig. Sie muß mit dem Charakter der Gesamtanschauung Heckels — wenn schon nicht Luthers — zusammenhängen. Heckel erscheint hier wie ein umgekehrter Sohm. Sohm hat mit Wucht seine These von der Unvereinbarkeit von Kirche und Recht vertreten. Als Rechtshistoriker aber und als engagierter Christ hat er sich zugleich von der überwältigenden Fülle und Phänomenalität des gewachsenen kanonischen Rechts faszinieren lassen. Durch die Erfahrung geleitet, ist er dann zu eindringenden historischen und systematischen Interpretationen vorgedrungen. Überall hat er nach der existentiellen Bedeutung dieser Gestaltungen und Grundsätze gefragt. Auf diese Weise hat der Bestreiter des Kirchenrechts zum Verständnis der Geschichte und Struktur des kanonischen Rechts unendlich viel beigetragen. Die ebenso betonte Bejahung des Kirchenrechts in der Deutung von Heckel dagegen läßt jedes Interesse an der Interpretation dadurch legitimierter Formen und Strukturen vermissen.
Die Kirche Heckels lebt mit dem Recht gewissermaßen nur in einer Josephsehe. Sowenig die historische Analyse ein Lehr- oder Handbuch sein kann, so sehr setzt doch Heckel den Leser in Verlegenheit, wenn dieser unvermeidlich meint, es müßte sich bei diesen zentralen Begriffen doch auch etwas rechtlich Unterscheidbares denken lassen.
Hinzu kommt das völlige Absehen von jeder anderen Position, aber auch jedem Verweis auf entsprechende Lehren außerhalb der Theologie Luthers, die ihr so unbefangen zur Bestätigung dienen konnten, wie sich die CA auf gute Traditionen der Alten Kirche berufen hat. Diese Sicht läßt es so erscheinen, als ob jeder Begriff und jede These eine ganz neue Qualität erlange, wenn sie in dem Zusammenhang der Lehre Luthers eintrete, ganz gleich, ob sie alt oder neu sind.
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Sein Schüler Grundmann hat unter schonender Bewahrung der Lehrtradition seines Meisters die Heckelsche Lehre erst an die konkreten Probleme und Fragen des Kirchenrechts herangeführt. Steinmüller hat in der Darstellung der evangelischen Rechtstheologie nach einem loyalen und eindringenden Versuch, die Lehre Heckels folgerichtig durchzuführen — wobei eine gewisse Ergänzung erforderlich wurde —, eine gesonderte Darstellung der Lehre Grundmanns8 angeschlossen. Infolge dieses eigenartigen und nur mit Vorsicht aufgedeckten Mißverhältnisses kommt für die Fortschreibung der Kirchenrechtslehre eigentlich nur Grundmann, Heckel nur noch in dem Maße in Betracht, als er auch bei Grundmann wirksam ist.9
Steinmüller faßt diese Fortschreibung unter den Begriffen der Modernisierung, der Aktualisierung und der Ökumenisierung zusammen. Beide — Grundmann wie Steinmüller — haben vermerkt, daß die Generaltendenz und unvermeidliche Wirkung Heckels zu einer Spiritualisierung führt, welche das Geistliche und das Leiblich-Konkrete und Geschichtliche in zu hohem Maße trennt, ja auseinanderreißt. Im Gegensatz dazu wird „in der Wiedergewinnung eines ganzheitlichen Kirchenbegriffs der entscheidende Fortschritt der neueren Forschung” gesehen. „Blickte Heckel auf den Abgrund zwischen den Reichen und ihrem Recht, so Grundmann auf den überwölbenden Rechtswillen Gottes”.10
In der Aktualisierung wird mit vorsichtiger Deutlichkeit auf die Frage hingewiesen, ob die systematischen Prämissen in der Orientierung an den Quellen des 16. Jahrhunderts allein heute noch genügen können, auch unter Verweisung auf die entsprechende Kritik eines so unverdächtigen Zeugen wie Paul Althaus. Mit anderen Worten: es handelt sich um die Auflösung der selbstverständlichen Gleichsetzung einer authentischen Kirchenrechtslehre Luthers mit der Kirchenrechtslehre überhaupt. Die historisch-kontingenten Elemente der Heckelschen Luther-Version werden als überholt ausgeschieden. Auf dem Wege dieser Umbildung wird neben einer Teilrezeption meiner Institutionentheorie bei Grundmann11 auch auf die Integrationslehre Smends hingewiesen. Das scheint mir von hervorragender Bedeutung. Denn hier handelt es sich um eine Fortbildung der Staatsrechtslehre, die der Arbeit Heckels schon weit vorauslag und als ein nicht rücknehmbarer Schritt zu beachten gewesen wäre. Die Integrationslehre Smends hat nicht nur den staatsrechtlichen Positivismus überwunden, sondern zugleich auch ihren Normativismus. Die Vorstellung, daß das Gesamtgefüge des Verfassungsrechts normativ zu interpretieren sei, wurde hier als Täuschung erwiesen. Die dagegen bei Heckel sich durchhaltende strikte Form der Gesetzgebung und institutionellen Setzung wird dadurch als unzulänglich gekennzeichnet. Heckel, wenn nicht Luther, ist hier vor einer einseitig normativen Anschauung geprägt, die nach Smend nicht mehr ausreichend erscheinen konnte. Stand Heckel also im gewissen Umfange vor und in der Zeit vielfältiger rechtstheoretischer Klärungen, die ihm zum erheblichen Teil erst nachfolgten, so war durch die Entwicklung der Staatsrechtslehre, welche
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auch in die allgemeine Staatslehre und Rechtslehre hineinwirkte, seine juristische Denkform bereits objektiv überholt. Das ungeklärte Verhältnis zwischen historischem Bericht und gültiger Lehre wird hier vollends bedenklich. Denn erst nach der Revision dieses Mißverhältnisses konnte Grundmann in loyaler Fortschreibung Heckels vorangehen.
So gewiß nun Heckel die Personenbezogenheit seines Institutionsbegriffs immer betont und in gewissem Umfange in den „Personalstatuten” der Regimentenlehre auch entfaltet hat, so bleibt doch verwunderlich, daß er die damit verbundenen rechtshistorischen und systematischen Fragen völlig übergeht. Neben seiner Verweigerung juristischer Interpretation im systematischen Bereich ist auch die Aussparung aller objektiv-historischen, rechtsgeschichtlichen Elemente besonders auffallend. Es sind immer nur die subjektiven Vorstellungen der angezogenen Autoren mit Luther an der Spitze; aber kein Verhältnis zur objektiven Rechtsgeschichte tritt hervor. Neben einer Spiritualisierung liegt mit alledem auch ein Element der Subjektivierung und der Entgeschichtlichung vor. Objektive Daten aus der Geschichte des kanonischen Rechts kommen kaum vor, sondern fast nur individuell-subjektive Interpretationen. Die Frage der Gültigkeit und Maßgeblichkeit strittiger Theorien in der Kirche wird nicht aufgeworfen. Das Gefüge der Theorien und Meinungen als solches erschöpft den Gegenstand der Betrachtung. So erklärt sich auch in etwa das Desinteresse an der CA, an dem Verhältnis von doctrina und Verwirklichung.
Die oben erwähnte „Entspiritualisierung” führte zur Würdigung der zentralen kirchenrechtlichen Bedeutung der Taufe, welche Heckel wesentlich als nur äußeres Zeichen der universalen Kirche eingeordnet hatte, und leitete damit zugleich zu dem Thema der Ökumenisierung über.
Mit dieser Entmythologisierung Heckels durch seinen loyalen Schüler Grundmann ist nun eine wesentliche Veränderung der Lage eingetreten. Es bleibt Heckels unbestrittenes Verdienst, die Institutionalität von Kirche und Ehe bei Luther und einen sehr großen Bestand rechtstheologisch relevanter Aussagen nachgewiesen zu habe. In meiner früheren Auseinandersetzung mit Heckel in Band I hatte ich auf ein auch von ihm zitiertes skeptisches Wort Liermanns über die Rechtslehre Luthers hingewiesen.12 Im Bewußtsein reicher Forschungserträge war Heckel daran vorübergegangen. Angesichts dieser Ergebnisse aber ermäßigt sich die Differenz zwischen beiden doch in sehr beträchtlichem Maße. Das „Daß” einer theologischen Rechtsbegründung ist unbestreitbar. Das „Wie” der Konkretion läßt aber entscheidend zu wünschen übrig. Die Differenzierung der Kirchenbegriffe (plausibel motiviert durch die Situation einer zerrütteten Kirche) ist neu, aber nicht schlüssig. Die Schichtung des Kirchenrechts ist schlüssig aber nicht neu.
Mit der Aufnahme der ökumenischen Thematik durch Grundmann und sein Programm zunächst einer Kirchwerdung des Lutherischen Weltbundes ist eine entscheidende Veränderung der Orientierung und des Horizonts eingetreten. Grundmann ist noch zwei Schritte weitergegangen, indem er die Frage eines gemeinprotestantischen, beide Konfessionen umgreifenden Kirchenrechts (dem
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sich Wolf verweigerte) aufwarf, und bei diesem sich die Legitimation differenter Konfessionen in der unvermeidlich unterschiedlichen Schriftauslegung bestätigen ließ.
Damit ist aber der bei Heckel implizierte Rahmencharakter der lex charitatis für alles denkbare und legitime Kirchenrecht und damit der Anspruch auf eine dauernd gültige Grundbestimmung aus einer Metaphysik der Liebe dahingefallen. Denn nun tritt erneut die lex fidei diversa in Konkurrenz und Konflikt mit der Fundamentalität der lex charitatis. Sie erweist sich als das Paradox einer institutionalisierten Liebeskirche, die, ungeschichtlich und strukturlos, der funktionalistischen Beliebigkeit anheimfällt, eine Kirche des jeweiligen Jetzt und Hier.
Damit erklärt sich aber auch die Vermeidung und stillschweigende Ausscheidung jeder Frage, wie sich diese Lehre zu der geschichtlichen Verwirklichung der lutherischen Kirche schon in Gestalt des Augsburgischen Bekenntnisses und weiter auf seiner Grundlage grundsätzlich und praktisch verhalte. Kann die geistliche Wirklichkeit dieser Kirche ein Hinweis und Indiz dafür sein, daß die relativ unsystematische, aber dann doch von Johannes Heckel zur Gesamtkonzeption verdichtete Lehre Luthers Mängel, Verkürzungen, Selbsttäuschungen enthalten habe, die von der Erfahrung der Geschichte her richtigzustellen wären? Dabei wäre es offen und gegeneinander abzuwägen, wer von beiden hier im Rechte ist. Dazu müßte die in der Geschichte selbst verantwortliche Kirche und Theologie kompetent und imstande sein.
Die Barmer These III, welche die positive Verbindung von Bekenntnis und Ordnung vertritt, ist von einer mehrheitlich lutherischen Synode formuliert worden, die hier die traditionellen Unterschiede von Konfessionslutheranern, Unionslutheranern, Unierten und Reformierten im positiven Konsens überschritt. Diese Aussage stand jedoch in einer unverkennbaren Spannung zu der einschlägigen Aussage des „satis est” in CA VII und der durch diesen Satz bisher geprägten traditionellen Haltung der lutherischen Kirche und Theologie zum Problem des Kirchenrechts. Man kann darüber streiten, ob CA VII in seinem ursprünglichen Sinn weniger einschränkend gegenüber der positiven Verfassung gemeint gewesne ist als in seiner späteren Wirkung. Daß diese Formel ein tief eingeprägtes Gefälle zum kirchenrechtlichen Minimalismus und zur Partikularisierung geschaffen hat, kann jedoch kaum bestritten werden.
Die Impulse also, die Heckel und seine Schüler zur Ausbildung einer Kirchenrechtslehre veranlaßt haben, sind zwar ohne den Kirchenkampf nicht zu denken, ihre Wirkungen gehen aber an Barmen vorbei.
Auffällig ist in dieser Linie, daß das lutherische Bekenntnis, auf das sich die Lutheraner im Kirchenkampf fast zum Überdruss berufen haben, selbst nicht zur Grundlage einer neu entwickelten Kirchenrechtslehre genommen werden ist. Nicht der historisch wirksame und verpflichtende Konsens, der für die Gestaltung der Kirche überall bestimmend gewesen ist, wird neu entfaltet. Er wird vielmehr ganz selbstverständlich auf die Theologie und die Intentionen Luthers hinterfragt. Der Beitrag, den Melanchthon in wichtigen
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Grundsatzformulierungen, Bugenhagen in der partikularen Gestaltung vieler Kirchengebiete geleistet haben, tritt demgegenüber zurück.
Auf diese Weise entsteht ein eigentümlicher Hiatus. Auf der einen Seite steht sozusagen im Obersatz eine ausführliche Darstellung der maßgeblichen Lehre Luthers — so wie Heckel gemeint hat, sie aus einer — wenn auch bestrittenen — Auswahl der Quellen folgern zu müssen. Auf der anderen Seite ist von seinen Nachfolgern heraus ein sehr exakt formuliertes System strikter Sätze gebildet worden, die lehrmäßig vertreten werden können und strenge Beachtung fordern. Zwischen Obersatz und moderner Doktrin steht der ausgebreitete Kirchenrechtsbestand der vorfindlichen lutherischen Kirchen allerorten, der weder aufgenommen noch erst recht theoretische aufgearbeitet ist. Die Bemühungen darum haben sich nirgends in eine vergleichbare Höhe grundsätzlicher Betrachtung erhoben. Es gibt Theologien der lutherischen Bekenntnisschriften, es gibt eine Morphologie des Luthertums. Aber die geschichtliche lutherische Kirche als Ganzes institutionsgeschichtlich zu betrachten und sich von da aus selbst Fragen zu stellen, wird — nicht nur von Lieberg — stillschweigend verweigert. Die allgemeine Formel von der ständigen Selbstreformation (nach Wilhelm Maurer unreformatorisch) stößt sich mit dem unaufhebbaren Anspruch, daß die lutherische reformatorische Bewegung als solche zwar nicht „vollendet”, aber suffizient und abgeschlossen sei, also essentielle Fragen nicht offenlasse. Geschichte in einem relevanten Sinne ist einzig die reformatorische Vollmacht Luthers als eingreifendes Ereignis. Diese Tradition hat allein das Interesse an einer bedeutenden systematischen Leistung aufgebracht. Das vorfindliche lutherische Kirchenwesen dagegen verbindet ein großes, oft allzugroßes Interesse an der eigenen positiven Tradition mit dem völligen Desinteresse, das Bekenntnis fortzubilden oder auch nur unter Abstoßung überlebter Streitfragen authentisch zu interpretieren. Die Vollmacht zu einem solchen Unternehmen wird bestritten, die Rechtsformen für einen solchen Vorgang fehlen, und schließlich fürchtet man, daß eine verbindliche Neuformulierung eine bisher unbekannte Spaltungstendenz in das sich ohnehin nicht als Weltkirche verstehende und nicht als solche verfaßte Gesamtluthertum einbringen würde. Freilich gibt es neben der von Heckel vertretenen Maßgeblichkeit Luthers im unausgesprochenen Hintergrund des konfessionellen Selbstbewusstseins die Überzeugung, daß gerade die CA, unbeschadet ihrer unbestrittenen historischen Bedingtheit und sachlichen Begrenzung, doch grundsätzlich unüberbietbar sei. Damit kehrt sich allerdings das Selbstverständnis um: die Theologie Luthers wird in den Konfessionsstand integriert und von dort aus ausgelegt: um so mehr bleibt sie der nicht hinterfragbare Terminus a quo.
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1 Johannes Heckel, Lex charitatis. Eine juristische
Untersuchung über das Recht in der Theologie Martin Luthers, Köln
21973.
2 Wilhelm Steinmüller, Evangelische Rechtstheologie,
Köln/Graz 1968, Bd. I, 19 ff.
3 Vgl. RdG I, Kap. XVI, 955-994.
4 Vgl. Johannes Heckel, a.a.O., Kap. V. „Die lex
Christi”, 175 ff.
5 Barth, Kirchliche Dogmatik IV/2 § 67, Zürich 1955,
695. Hier heißt es als Präambel zu den ekklesiologischen und
kirchenrechtlichen Aussagen: „Der Heilige Geist ist die belebende
Macht, in der Jesus, der Herr, die Christenheit in der Welt
auferbaut als seinen Leib, d.h. als seine eigene
irdisch-geschichtliche Existenzform, wie wachsen läßt, erhält und
ordnet als die Gemeinschaft seiner Heiligen und so tauglich macht
zur vorläufigen Darstellung der in ihm geschehenen Heiligung der
ganzen Menschenwelt.”
6 Textus emendatus.
„Aeternus Pater, qui Filium Suum unigenitum Iesum Christum misit
in mundum ut homines a peccatis salvos faceret eosque per donum
Spiritus Sancti iugiter sanctificaret et ad gloriam regni
caelorum perduceret, credentes in Christum, renatos non ex carne,
sed ex aqua et Spiritu Sancto (cf. Io. 3, 5-6), convocare statuit
in sanctam Ecclesiam, quae sit Ipsi ,genus electum, regale
sacerdotium, gens sancta, populus acquisitionis … qui aliquando
non populus, nunc autem populus Dei’ (1 Pt. 2, 9-10)”.
„Christus itaque Ecclesiam suam sanctam, quam fidei, spei et
caritatis communitatem voluit, eandem his in terris societatem
constituit hierarchicis organis instructam, eique concredidit ut
missionem qua Ipse missus est a Patre usque ad finem per saecula
perduceret, ac sit in Ipso per Spiritum Sanctum veluti
sacramentum seu signum et instrumentum intimae cum Deo unionis
totiusque generis humani unitatis” (Cf. Conc. Vat. II. Const.
dogm. Lumen gentium, nn. 1, 2, 4, 8 et 9; Paulus VI, Sollemnis
Professio fidei, 30 iunii 1968, n. 19; A.A.S., 60 (1968), p.
440).
„Hac innixa divina institutione, per Evangelium revelatat,
missionem sibi a Christo commissam explet Ecclesia: eam etiam
implet, legibus suis cum fidei unitatem tuetur constitutionemque
sibi divinitus impositam incolumem servat ac tutatur, atque
christifidelium actiones dirigendo eos ad salutem consequendam
adiuvat; eam exsequitur quoque, cum prospicit ut, servata quidem
hac fidei unitate et unica sua constitutione divina, inducantur
aut confirmentur quae ob locorum et temporum adiuncta in
disciplina suadeantur varietates” (Cf. con. Vat. II, Cons. dogm.
Lumen gentium, n. 23).
7 Wilhelm Steinmüller, a.a.O. 133 ff.
7a Vgl. RdG I, 49 und 78.
8 Wilhelm Steinmüller, a.a.O., 238-256.
9 Diese Fortschreibung und Korrektur Heckels hat
Grundmann schon vor der Veröffentlichung der Arbeit von Wolf und
der meinigen publiziert (Siegfried
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Grundmann, Das evangelische Kirchenrecht und die ökumenische
Bewegung, in: AöR 84, 1959, 1-54). Ich kann mich den Anmerkungen
Steinmüllers deswegen anschließen, weil er mit großer Sorgfalt
die Grundlinien Heckels nachgezeichnet, gelegentlich ausgezogen
hat, und weil seine Arbeit — eine bei Grundmann verfaßte
Habilitationsschrift — unter diesen Auspizien Mißdeutungen und
Verzeichnungen in dem höchstmöglichen Maße ausschließt.
10 Wilhelm Steinmüller, a.a.O., 241.
11 Siegfried Grundmann, Art. Kirchenrecht, C.
Gegenwärtige Situation, in: EStL, Stuttgart 21975,
1208-1224, hier: 1212) hat — wiederholt — die von mir veranlaßte
Einführung der Institutionenlehre in die
Kirchenrechtswissenschaft als einen wesentlichen Fortschritt
bezeichnet. So sagt er:
„Wenn auch die sakramentalen Handlungen verhältnismäßig leicht institutionell zu interpretieren sind, so steht doch einer einseitig sakramentalen Kirchenrechtslehre die vom Ansatz her durchhaltende Dualität von liturgischen und bekennendem Recht entgegen.Verklammerung und Zuordnung von Predigt und Sakrament ist vielmehr in einer dritten Richtung der Versuch des Ausgleiches in dieser weitgespannten, umfassenden Konzeption.”
Diese Interpretation von RdG I zeigt die Gründe, die zu der
Folgenlosigkeit der theoretischen Anerkennung geführt haben. Die
angezogene Barthsche Dualität von liturgischem und bekennendem
Recht verbietet, das eine gegen das andere auszuspielen. Eine
Besinnung auf die Tauf- und Ordinationsliturgien hätte gezeigt,
daß das Bekenntnis ihr integrierender Bestandteil ist. Auch ist
die potestas-Lehre mit der Dualität von iurisdictio und ordo ja
in CA XVIII ausdrücklich rezipiert. Übergehung dieser Tatsachen,
der publizierten Forschungen und des Konsenses von 1955 zeigt das
Desinteresse an konkreten Begriffen, die schon bei Heckel
vollständig fehlen. Grundmann hat jedoch gleichzeitig geltend
gemacht, daß dadurch das normative Element zu sehr zurückgedrängt
oder in Frage gestellt worden sei. Dieser Einwand ist auch von
anderen erhoben worden. Nun wäre es menschlich, wenn die
Aufdeckung eines wesentlichen, bisher übergangenen Tatbestandes
zur Überschätzung seiner Bedeutung verleitet hätte. Ebenso
menschlich wäre es freilich, wenn die bisher dominierende
normative Rechtstheorie sich gegen eine Einschränkung ihrer
Bedeutung wehren würde, wie ein absoluter Fürst, der sich nur
ungern damit abfindet, nunmehr unwiderruflich ein
konstitutioneller zu sein. Aus einer bequemen, durchgängigen
Monoformität wäre eine interpretationsbedürftige dialektische
Dualität geworden. Jedoch ist von einer Einbeziehung und
Verwertung dieser Erkenntnisse keine Rede. Niemand hat von den so
eröffneten Auslegungsmöglichkeiten und dem vorgelegten
Instrumentarium institutioneller Formen Gebrauch gemacht. Die von
Steinmüller so genannte „Teil”-Rezeption (S. 244) war also eine
rein verbale und hat die Aussagen Grundmanns selbst nicht
modifiziert.
12 Vgl. RdG I, 955-994. Zu den Äußerungen Liermanns
vgl. bes. RdG I, 958 und 993, Anm. 5. Vgl. auch Hans Liermann,
Der unjuristische Luther, in: LJB XXIV, 1957, 69-85, bes. 70.