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Kapitel VII

Amt und Ämter

Vorbemerkung

Rudolf Smend hat gelegentlich gesagt: „Ein Gemeinwesen stellt sich in seinen Ämter dar.” Der Sinn dieser Äußerung ist deutlich. Auch bei Übereinstimmung der Funktionen und Verrichtungen in vergleichbaren Gemeinwesen drückt das Amt deren jeweilige Eigenart, ihren Charakter, ihre Traditionen und Möglichkeiten, ihren Geist aus, bringt sie in der Prägung und Haltung der Personen sichtbar zur Erscheinung.

Dies ist legitim. Diese Aussage bedeutet weder eine Überschätzung der Personen noch die Verherrlichung bestimmter Amtsformen. Vielmehr zeigt eine historische Gestaltung über ihre funktionalen Wirkungen hinaus eine Geistigkeit, die sich unterscheidbar ausprägt. Sie pflanzt sich zugleich dadurch fort, daß Menschen sich in diesen Dienst stellen, die dafür erforderlichen Eigenschaften zu entwickeln trachten, sie dabei in einem bestimmten Stil ausprägen, der nicht nur sichtbar, sondern zugleich auch vorbildlich und repräsentativ wird.

Es gibt keinen theologischen Grund, diese Erfahrung nicht auch auf die Kirchengeschichte anzuwenden. Die großen, fruchtbaren und sichtbaren Amtstraditionen der Kirche sind deswegen wichtig; sie bedürfen keine illegitimen Erhöhung. Dieses Phänomen ist nicht von Amtsbegriff abhängig. Sowohl das traditionelle Bischofamt wie der reformierte Presbyter als Laienamt sind Beispiele. Prägend ist nicht die Doktrin, sondern die geglaubte Notwendigkeit und Wirklichkeit des Handelns. Erst sekundär bilden sich auch reflektierte Maßstäbe.

Eine Kirche, welche diese Erfahrung nicht kennt und nicht zu verstehen vermag, verrät, daß sie auch den geistigen und geistlichen Gehalt ihres eigenen auftragsgemäßen Handelns nicht mehr voll versteht, sondern auf eine Veräußerlichung absinken läßt.

Die Gestaltungen des Amtes können sich in außerordentlich verschiedener Weise darstellen. Ihre respektable Dignität dagegen ist eine wichtige Dimension der Kirche selbst.

Obwohl sich gerade auch das lutherische Pfarramt in einer solchen Weise ausgeprägt und bewährt hat, wäre der Smendsche Erfahrungssatz im Ausdruck eines lutherischen Kirchenverständnis schwerlich vorzufinden. Trotz der sogenannten Personalisierung ist eine solche Repräsentation des Geistes im Dienst in Richtung auf die Funktion abgedrängt.

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1. Amt und Ämter — das Eine Amt und seine zwei Wurzeln

Die CA lehrt nur ein Amt. Damit unterscheidet sich die lutherische Kirche von allen Kirchen, die vor ihr bestanden und nach ihr entstanden sind. Die CA läßt keinen Zweifel darüber, daß sie das Amt als iuris divini versteht; sie dementiert damit deutlich alle Kirchenrechtslehrer und Theologen, welche den reformatorischen Kirchen dieses Element — die Problematik des Begriffs eingeschlossen — absprechen wollten. Während die übrigen Kirchen die Pluralität ihrer Ämter institutionell und dogmatisch unbefangen meist mit biblischen Bezeichnungen präsentieren, bietet sie ihr eines Amt in drei verschiedenen Benennungen dar, Predigtamt, ministerium ecclesiasticum und Bischofsamt (CA V und XXVIII). Diese Namen enthalten damit ein prinzipielles, dogmatisches Gewicht. Daß hier für ein mit Betonung vertretenes Einziges drei verschiedene, gegeneinander unvermittelte Bezeichnungen verwendet werden, enthält zwei Probleme. Das eine liegt in der Schwierigkeit, das Wesentliche des Gemeinten schlüssig auszudrücken und sinngemäß zu benennen, eine Frage, die in der Liturgiegeschichte aller Konfessionen bis heut nicht voll hat gelöst werden können. Das andere Problem liegt in der dogmatischen Betonung in der CA selbst.

Von den drei Begriffen ist der Begriff des Predigtamtes eine Neuschöpfung, der des ministeriums abstrakt und der des Bischofsamtes romantisch.

1. Die Verwendung des Begriffs ministerium ist von dem Interesse geleitet, durch Abstraktion jede historische Anknüpfung an einen innergeschichtlichen Zusammenhang, also auch auf den Apostolat zu vermeiden. Erst CA XXVIII bringt eine Verweisung auf Matth. 28 nach. Damit wird jede konkrete Bezeichnung vermieden, in der sich eine bestimmte Tradition ausdrücken könnte. So entsteht das ministerium sine nomine, von dem in Band II die Rede ist. Deutlich handelt es sich hier nicht mehr um die Abstoßung menschlicher Verzerrungen und Beisätze, sondern um die Ausschließung der Tradition selbst: Geschichte ist menschlich und daher hier nicht legitim.
Damit ist ein bedeutsamer lapsus linguae verbunden. Ministerium ecclesiasticum stellt genau genommen angesichts der Unterscheidung von ius divinum und ius ecclesiasticum das Amt als eine Schöpfung der Kirche dar.
Tatsächlich sind jedoch Kirche und Amt miteinander gestiftet. Lateinisch müßte es heißen: ministerium ecclesiae oder in ecclesia. Dies würde dokumentieren, daß das Amt und sein Recht ebenso wie die Taufe der universalen Kirche gehört. Biblisch geredet könnte das Amt „diakonia toū logoū” heißen — Dienst am Wort — aber dies ist kein Name.

2. Den Begriff des Predigers (praedicator) gibt es mindestens seit der Stiftung des Predikerordens (— O.P. —) der Dominikaner, der zur Behebung der mittelalterlichen Predigtnot gegründet wurde; von da aus geht — bis hin zum Kirchenbau — eine Traditionslinie zur Reformation. Aber niemand hat bis dahin gemeint, das Amt der Kirche als Ganzes als Predigtamt zu verstehen und zu bezeichnen.

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Die Übersetzung der wichtigen Stelle 2. Kor. 5, 18 „dia Christou kai dontos hemin ten diakonian tes katallages” — und das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt” ist eine petitio principii … es geht um das ganze Werk der Versöhnung, das opus Christi, um alles, was in Matth. 28 in seinem Zusammenhange aufgegeben und nach dem Zeugnis von Acta 2, 42 auch schlicht getan wird: kein Wort speziell von Predigt, noch weniger eine Zusammenfassung des Ganzen in einem Begriff, einer Handlung.

Es hat etwas Tragisches an sich, wenn die Leidenschaft der Konzentration auf das eine, was not ist, das Verständnis für den Zusammenhang des Ganzen zerstört, — und wenn irgendwo dieses Ganze in falscher Weise konzentriert worden ist, so kann man es durch die Umkehrung des Fehlers nicht bessern.

Das Predigtamt ist die entschlossene Institutionalisierung eines Zentraldogmas von der Alleinigkeit und Unmittelbarkeit des Wortes Gottes und seiner Autorität, gewiß nicht der menschlichen Träger dieser Institution, sondern der viva vox selbst. Luther führt diesen, dem NT selbst fremden Begriff unbedenklich in den Text ein, indem er im Kolosser-Brief die Bezeichnung: diákonos katà tèn oikonomían toū theoū tèn dotheisán mou, eis hymās plerōsai tòn lógon toū theoū, tó mystérion tò apokekrymménon … mit „dem göttlichen Predigtamt, das mit gegeben ist unter euch, daß ich das Wort Gottes reichlich predigen soll” übersetzt. Von der Ökonomie Gottes (der vorgegebenen wie der anvertrauten) ist nicht die Rede. Logos, Ökonomie, mysterion gehen hier in ihrer Vielfalt ineinander. Gegeben ist dem Diener, nicht ein Amt, sondern die oikonomia. Er ist so sehr Träger und Diener, daß die Amtsbezeichnung, ja der Amtsbegriff selbst nicht paßt. Aber es ist das Papsttum des Wortes, welche diese Verschiebung der Perspektiven motiviert und einen spezifischen Träger braucht. Luther war ein dialektischer Denker: der monolithischen Autorität des Papstes setzte er die ebenso zentrale Autorität des Wortes selbst entgegen. Die Doppelbeziehung des Amtes auf Predigt und Sakramentsverwaltung macht den Begriff zweideutig, weil er widersprüchliche Erwägungen und Vormerkungen aufgibt. Man nötigt jedermann, eine partielle Form der Ausrichtung mit dem Ganzen der Bestimmung in eins zu setzen und die Frage nach dem rechten Verhältnis beider Verrichtungen und dem proprium der Sakramente existentiell zu beantworten.

Tatsächlich steht hinter dem Begriff des Predigtamts die Anschauung, daß die Predigt höher zu werten sei als die Sakramente. Gerade die Unbestimmtheit der Juxtaposition läßt die verschiedene Wertung offen. Luther selbst hat mit Unbefangenheit der Verkündigung einen Vorrang vor der Verwaltung der Sakramente zugesprochen. In Art. XIII heißt es nur:

„Vom Gebrauch der Sakramente.
Vom Brauch der Sakramente wird gelehrt, daß die Sakramente eingesetzt sind nicht allein darum, daß sie Zeichen seien, dabei man äußerlich die Christen kennen möge, sondern daß es Zeichen und Zeugnus seien gottlich

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Willens gegen uns, unseren Glauben dadurch zu erwecken und zu stärken, derhalben sie auch Glauben fordern und dann recht gebraucht werden, so man’s im Glauben empfähet und den Glauben dadurch stärket.”

Die Vorstellung, daß man daran die Christen erkenne, untereinander und gegenüber Dritten, ist eine zeitgebundene eigenartige Vorstellung, die uns fremd geworden ist und auch sachlich nicht zutrifft. Zunächst wird hier der bloße Zwischenbegriff erweitert. Dann aber wird kein proprium der Sakramente umschrieben, sondern diese auf den Glauben konfirmatorisch bezogen, im strengen Sinne in einer relativen Funktion gezeigt. Die Sakramente können aufgrund dieser Formulierung in ihrem Verständnis und ihrer Wertung nicht einfach parallel zur Predigt verstanden werden.

Die Bedeutung der Sakramente liegt hier in ihrer Funktion als Mittel für ein Ziel, welches in erster Linie und im voraus die Predigt verfolgt. Der kommunikative Charakter der Sakramente als Geschehen der Identifikation kommt dabei nicht zum Ausdruck. Will man hier in der Urteilsbildung weiterkommen, muß man auf die Aussagen zurückgreifen, welche die CA selbst über die dem Amt anvertrauten Verrichtungen am Leibe Christi macht. Die formale Verweisung auf das pure und recte schiebt diese Frage nur hinaus.

Hier hilft ein kritischer Durchgang durch den gesamten Text der CA, den Peter Stuhlmacher vorgelegt hat. Sein Ergebnis hat er so zusammengefaßt:

„Nach der in der CA praktizierten und zu Beginn der Konkordienformel ausdrücklich ausformulierten Hermeneutik der Reformation sind Schrift und Bekenntnistradition mit geschichtlichem und theologischem Sachverstand ins Verhältnis zu setzen, und zwar mit dem Ziele einer von Epoche zu Epoche neuen echten Verantwortung des Evangeliums.
Mißt man die Confessio Augustana mit ihrem Schriftgebrauch mit diesem Maßstab, dann ergeben sich nach unseren Durchgängen drei Ergenissätze: 1. Die 28 Artikel der CA sind biblisch wohlbegründet und lassen sich sämtlich als wegweisende Verantwortung des im Zentrum der Schrift stehenden Rechtfertigungsevangeliums begreifen. 2. Dennoch gehen die Aussagen der Schrift in den Artikeln der CA nicht auf, sondern weisen über die im Jahre 1530 gewählten Aussagen hinaus, und zwar gerade dann, wenn man mit der Confessio Rechtfertigung und Versöhnung als Mitte der Schrift zu bezeichnen wagt. 3. Unter diesen Umständen bedarf es heute nicht nur der kirchengeschichtlichen Erinnerung an die Confessio und ihrer dogmatischen Wertschätzung, sondern auch des kritischen biblisch-theologischen Gespräches mit der CA. Dieses Gespräch kann für die Verkündigung des Evangeliums in den bis heute von der CA ausgehenden Kirchen nur von Nutzen sein!” 1

Von besonderer Bedeutung ist seine Beurteilung von Art. X „De coena Domini”:

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„Auch bei CA X ist die geschichtliche Entstehungssituation des Artikels wohl zu beachten. Wenn es hier heißt: ,Von dem Abendmahl des Herren wird also gelehrt, daß wahrer Leib und Blut Christi wahrhaftiglich unter der Gestalt des Brots und Weins im Abendmahl gegenwärtig sei und da ausgeteilt und genommen werde. Derhalben wird auch die Gegenlehr verworfen’, ist sorgsam zu bedenken, daß als ,Gegenlehr’ vor allem die Abendmahlslehre Zwinglis (und der Spiritualisten) im Blick steht. Wenn Melanchthon demgegenüber auf der Realpräsenz insistiert, ist dies von Joh 6, 52-58 und 1. Kor 10, 3f. 16f; 11, 27ff. sowie 12, 13 her sehr wohl zu begründen. Problematisch aber ist es, wenn hinter der Frage der wahrhaftigen Geistes-Gegenwart Christi in den Elementen die dem Neuen Testament noch wichtigere Eigenart des Abendmahls als einer Versöhnung und Gemeinschaft stiftenden Mahlfeier ganz zurücktritt. Die urchristliche Abendmahlsfeier hat ihre Bedeutungsfülle dadurch erlangt, daß sie das Gedächtnis an und die Erfahrung aus Jesu Tischgemeinschaften mit den Entrechteten, dem Abschiedspassah in Jerusalem, den sog. ,Erscheinungsmahlen’ (von Lk 24, 30f. 41ff.; Joh 21, 12f.; Apg 10, 41) und den Ausblick auf das Mahl der Seligen in der kommenden Gottesherrschaft im Zeichen der Geistesgegenwart Jesu zusammenschließt. Deshalb wird die Feier des Herrenmahls in Jerusalem und bei Paulus zum Kristallisationskern der ,Leib Christi’ genannten Gemeinde Christi (Apg 2, 42ff.; 1. Kor 10, 16ff.) und lassen sich Sündenvergebung im Abendmahl und Versöhnung der Gemeindeglieder untereinander unmöglich trennen. All diese Komponenten des Herrenmahles bleiben in der CA unbetont. Der Exeget kann daher nur raten, das die CA bestimmende Verkündigungsinteresse zu wahren, in den konkreten Äußerungen zum Abendmahl aber über die Confession hinauszugehen.” (262f.)

Diese Gesamtbeurteilung ist selbst ein historisches Dokument. Denn zum ersten Mal hat ein namhafter Exeget eine wesentliche Differenz zwischen Schrift und Bekenntnis aufgedeckt. Bisher ist in allen Fragen eine wesentliche Übereinstimmung oder Konvergenz der Intentionen und die Bewahrung der guten katholischen Tradition beansprucht worden. Der Exeget ist naturgemäß hier kein Systematiken oder Dogmenhistoriker. Aber die Geschichte kann diesen Tatbestand nicht so nachsichtig beurteilen.

An dem Tatbestand wird die außerordentliche Folgerichtigkeit und Konsistenz der Bekenntnistexte deutlich, die es auch nicht erlauben, die Auslegung von CA X als einen Einzelfall zu betrachten. Im Gegenteil. Wie hier in der Lehre vom Abendmahl die beschriebene Dimension der communio fehlt, das Leben der zukünftigen Welt im Angeld, so schon bei der Taufe der Tod. An dieser Klärung wird auch, aller Begriffsgeschichte zum Trotz, unwiderleglich deutlich, daß congregatio sanctorum eben nicht communio sanctorum ist. Und wie die Gemeinde sich hier anders darstellt, so gibt auch das Amt in der Zentrierung auf den neu eingeführten Terminus Predigtamt in dieser Einseitigkeit dem Sakrament keinen deutlichen Ort.

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Darum ist der unbestrittene Verfall der gottesdienstlichen Formen auch keine historisch sekundäre Entwicklung, sondern durch das Vorverständnis von CA X indiziert.

Von dieser Disproportion beider Formen des Wortes geht jenes Gefälle aus, das Rietschel und Graff in der Geschichte des Verfalls der gottesdienstlichen Formen mit großer Sachkunde maßvoll dargestellt haben. Es ist so, als ob man einen Tisch schräg stellt, so daß nach und nach alles, was auf ihm steht, der Schwerkraft folgend herunterfällt. Die Vorentscheidung zur Einheit des Predigtamt mit der Verdickung der Dualität und Unterschiedlichkeit von Wort und Sakrament veranlaßt Graff zu folgender Aussage:

„… sondern (wir) müssen eingestehen, daß die Schöpfung einer wirklich evangelischen Gottesdienstordnung eine Aufgabe ist, bei der es sich nicht bloß um Fortführung eines begonnenen Werkes (sc. der Reformation) handelt, sondern auch in ihren Anfängen eine bis jetzt noch ungelöste Aufgabe ist.” 2

Es ist mit dem Bekenntnis selbst eine Fehlleitung der Gottesdienstgestaltung eingeleitet.

Tragisch ist es und doch zugleich verhängnisvoll, wenn die notwendige Verteidigung der Realpräsenz zum Zentrum und zum Angelpunkt wird, zugleich zur Sperre, anstatt über sich hinaus in eben jene Dimension hineinzuführen. Die Folgen sind bedrängend. Seither ist jene Dimension gewiß nicht völlig verloren und vergessen. Aber sie ist nicht mehr dominant, sondern rezessiv; sie wird in eine Minderheitssituation gedrängt, mit vielfachen Gefahren der Mißdeutung und Verengung. Andererseits bietet die Erfahrung dieser Dimension in der ökumenischen Bewegung eine wesentliche Voraussetzung der Verständigung mit den vorreformatorischen Kirchen, und auch gerade dies nicht als Anpassung oder Verfremdung, sondern als Bestätigung einer ursprünglichen Gemeinsamkeit. Wer aber in die geistlichen Erfahrungen dieser Dimension eingetreten ist, wird dafür in seiner eigenen konfessionellen Umgebung wenig Verständnis und Erfahrung begegnen.

Wenn man aber die eucharistischen Gebete aus der Tradition der Didache vergleicht, so ist der Unterschied zu den Bekenntnistexten in Verständnis und Inhalt unübersehbar. Hier heißt es:

„Ein Brot ist es, so sind wir viele ein Leib, weil wir alle eines Brotes teilhaftig sind. Und wie dies gebrochene Brot zerstreut war auf den Bergen und zusammengebracht eins wurde, so bringe zusammen Deine Kirche von den Enden der Erde zu Deinem Reich. Maranatha — unser Herr kommt.”

Wenn die lex orandi der Grund der lex credendi ist, wie die Ostkirche vertritt und Karl Barth mit lebhafter Freude übernommen hat, so wird mit dem Gesagten der liturgische Befund zum kritischen Maßstab der dogmatischen Aussage.

Die Präsenz und die Eschatologie sind hier miteinander verbunden und

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ohne weiteres deutlich. Die Nachordnung und Rückbindung als sog. Gnadenmittel nimmt dem Geschehen sowohl seine Eigenständigkeit wie auch seinen spezifischen Charakter.

Wenn schon die Thesen der Ökumenischen Konferenz von Accra ex consensu zu sagen vermögen:

„Mit allem, was Christus für uns und in der gesamten Schöpfung getan hat, … ist er in dieser Anamnese gegenwärtig”,3

so müßte die Auslegung der CA — heute — Entsprechendes zu sagen vermögen.
Zur Auslegung der Anamnese wird jedoch in Art. XXIV CA gesagt:

„Sentire, quod vere exhibeantur nobis.”

Dies kommentiert der Text in „Bekenntnis des einen Glaubens”:

„Im Gedächtnis werden wir inne, daß uns die Heilstätten wahrhaft erwiesen werden…” 4

In der Lehre von der Realpräsenz und dieser Aussage stehen „Objektivität” und „Subjektivität” nebeneinander. Das Entscheidende, die communio als solche, kommt aber nicht vor. Dies zeigt sich auch daran, daß dieses Geschehen jeder auf sich allein zu beziehen vermag, um sich dann etwa verpflichtender Folgerungen zu erinnern.

Auch der „reiche Trost erschreckter Gewissen, die Lehre, Gott zu vertrauen” (CA XXIV), fällt auf die forensische Ebene zurück. Subjekt und Objekt sind auseinandergefallen und werden in Stücken zusammengehalten.

In der neuen Kommentierung finden sich dann erst nachträglich Aussagen, daß die Sakrament die ekklesiale Gemeinschaft als den einen Leib Christi begründen (220). Diese primäre (und jetzt erst neu hervortretende) Auslegung findet sich sonst nirgends, steht in etwa im Hintergrund.
Was hier geschehen ist, deutet C.G. Jung wie folgt:

„Im Augenblick, wo das Wort durch jahrhundertelange Erziehung allgemeine Geltung erlangt, trennt es sich von seiner ursprüngliche Bindung an die göttliche Person. Es gibt dann ebenso eine personifizierte Kirche und last not least einen ebenso personifizierten Staat. Der Glaube an das Wort wird zur Wortgläubigkeit.” 5

3. Der Art. XXVIII von der Bischöfe Gewalt könnte leicht als ein nicht völlig sinngemäß gestalteter Anhang im zweiten Teil der CA erscheinen. Tatsächlich ist aber diese Aussage im Gesamtentwurf völlig folgerichtig.

Aber sie ist romantisch. Romantisch nennen wird Bewegungen, die sich gegen Seinsvergessenheit auflehnen und mit liebevoller Zuwendung an Gestaltungen und Haltungen früherer Zeiten anzuknüpfen versuchen. Sie protestieren gegen einen Rationalismus, der verdammt, was er nicht versteht. Sie retten die Ehre und den Rang vergangener Zeiten. Aber das Verständnis der Romantik erreicht immer nur einen Teil der Lebensformen, denen sie sich kongenial fühlt. Sie erreicht nie die vergangene Gesamtsituation und würde sie auch, wenn sie ihr zugänglich wäre, nicht übernehmen wollen.

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Sie bleibt eine Erscheinung der objektiven Halbheit und damit des halben Rechts. So auch die Rückwendung zum Begriff des Bischofs.

Art. XXVIII spricht den Bischöfen (sive pastores — Inhabern des Predigtamtes) die Schlüsselgewalt zu. Die innere Notwendigkeit beruht schon auf der früher dargestellten Einordnung des Amtes in das Verhältnis von Wort und Geist. Die lutherische Kirche kennt zwar ein personales Amt; dieses steht aber, wenn nach Art. V das Wort selbst den Geist gibt, nur in einer instrumentalen Randstellung. Damit ist das Amt weder allein funktional noch als pneumatische repraesentatio zu verstehen, welche eine epikletische Ordination im sakramentalen Sinne voraussetzen würde. Dieser Zwitterbildung hat Heubach — ohne die Fragwürdigkeit dieses Begriffs zu empfinden — die Bezeichnung „personal-funktional” gegeben. Es ist also weder im vollen Sinne personal noch geht es in einer jedermann zugänglichen Funktionalität auf. Diese Konstruktion reicht aber dort nicht aus, wo in der sakramentalen Absolution der Amtsträger selbst für eine Entscheidung einstehen muß, welche die allgemeine Verkündigung des Wortes als solche wegen der direkten personalen Zuwendung im Bußsakrament, in der Lossprechung, noch nicht impliziert und welche auch u.U. verweigert werden muß. Die Allgemeinheit des Wortes konkretisiert sich hier so, daß die Personalität des Amtes nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Es liegt hier eine eigentümliche Parallele dazu vor, daß in den älteren, seit 1485 geltenden — in der Gegenwart revidierten — katholischen Ordinationsformularen nach vollendeter Ordination noch eine besondere Übertragung der Schlüsselgewalt vorgesehen war.6

Romantisch ist die Rückbeziehung auf das Bischofsamt, weil dessen wesentlicher Gehalt in der alten Kirche außerhalb der Vorstellung der Reformation lag. Das altkirchliche Bischofsamt ist in einer Weise mit der Gemeinde verbunden, für die im 16. Jahrhundert kein Vergleich möglich war. Andererseits war das Bischofsamt nicht ohne die Gemeinschaft der Bischöfe als gemeinsam aktiv Handelnder denkbar. Das Bischofsamt hatte im Rahmen der Gesamtkirche eine verfassungsrechtliche Qualität erlangt, auf der die konziliare Verfassung bis heute beruht. An diesem gesamtkirchlichen Element und seiner geistlichen Bedeutung hatten jedoch die Reformatoren bei der Zurückstellung aller Verfassungsstrukturen der Kirche nur ein sekundäres Interesse. Jeden Gemeindepfarrer als Bischof anzusprechen, hätte entweder einen konsequenten Kongregationalismus erfordert oder war eine res de nudo titulo. Sie übersehen auch die historische Verbindung von Presbyterat und Episkopat in der Drei-Ämter-Lehre und die verfassungsgeschichtliche Entscheidung, welche den Regionalbischöfen die gesamtkirchliche Konzilsstandschaft vorbehalten hatte. Von einer die eigene Gemeinde übersteigende und übergreifende ständigen Mitverantwortung dieser Bischöfe ist in Art. XXVIII keine Rede.

Bei alledem ist die Terminologie der Ämterlehre im praktischen Gebrauch widersprüchlich.

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Ein in der Tradition des Gemeindepresbyterats stehendes, lokal-partikulares Amt wird im Bekenntnis als Bischof tituliert, in praxi nur uneigentlich, die vorhandenen Bischöfe aber als „pastores pastorum”, als ob sie nicht der Gesamtheit zugeordnet wären, deutlich auch aus einem Anti-Macht-Komplex.

Der Presbyterat aber, der traditionell im Kollegium steht (judenchristlich), stellt sich heidenchristlich als je einzelner dar, der heute oft bereits in eine gewisse Verlegenheit gerät, wenn er etwa im Gottesdienst gemeinschaftlich handeln soll. Gerade die Gewissenhaftigkeit isoliert hier den je einzelnen Amtsträger. Denn er kann nur das verkündigen, was er selbst in der Auslegung der Schrift errungen hat.

Die Lehre von einem einzigen Amt steht in der Geschichte der Kirche in völliger Isolation da. Wir finden im Neuen Testament in statu nascendi eine Vielfalt der Ämter, aus denen sich noch vor Ausbildung der Hierarchie ein Gesamtentwurf herausgebildet hat. So ist die klassische Drei-Ämter-Lehre entstanden. Auch die der Reformation Luthers zeitlich nachfolgenden reformatorischen Kirchen haben keinen Anstand genommen, eine Mehrzahl der Ämter auszubilden. Weder in der Schrift noch in der Geschichte findet sich ein Anhalt dafür, daß die Pluralität der Ämter als solche eine Verfehlung und Gefährdung des Dienstes der Kirche sei. Calvin hat mit besonnener Sorgfalt erwogen, welche Ämter zum Dienst einer ordentlichen Gemeinde unentbehrlich seien.7 Die anglikanische Kirche hat unter Absage an die römische Jurisdiktionshierarchie die Dreiheit der Ämter beibehalten, ohne daran ersichtlichen Schaden zu nehmen.

Die eigentümliche lutherische Tendenz zur Monoformität hat hier eine beschwerliche Rückwirkung gehabt. Während bis dahin, zuvor und danach, die Kirche die unbefangene Freiheit besessen hat, neben den unbestrittenen Schwerpunkten ihres Handelns andere Verrichtungen in ihrer jeweiligen Bedeutung und Würde auszuprägen, schafft die Konzentration auf das eine Amt — obwohl sie gerade auf jeden klerikalen Nimbus und Anspruch verzichtet — eine um so schwerer zu überschreitende sachliche und psychologische Schwelle. Nicht nur die Versuchung zum Ein-Mann-Betrieb, in der alles von den begrenzten Gaben des jeweiligen Amtsinhabers abhängt, sondern eine sehr viel tiefergreifende personale Isolation ist die Folge dieser Einschränkung. Die Enge dieses Grundsatzes zeigt sich am Verhältnis zum Diagonal. Hätte etwa ein ständiger Diagonal die Gemeinde zur Werkgerechtigkeit verführt — und nicht etwa diese Aufgabe als Frucht des Glaubens ins Bewußtsein erhalten?

Die nachgeordneten Beliebigkeit aller übrigen Verfassungselemente gab den Aufbau der Gemeinde der örtlichen Zufälligkeit und dem subjektiven Verständnis preis.

In Wahrheit verbirgt sich hinter ministerium und Predigtamt in ungeschichtlicher Abstraktion das geschichtliche Presbyterat, welches dann romantisch mit dem Bischofstitel geschmückt wird, nachdem das Bischofsamt als Amt

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der Einheit seiner Aufgabe entkleidet ist. Der Einzigartigkeit des Papstamtes entspricht die Einzigartigkeit dieses Amtes. Um ein Mißverständnis gegenüber geschichtlichen und aktuellen Ausgliederungen aus dem Amt zu vermeiden: Es geht nicht um die funktionale Pluralität, sondern um die Eindimensionalität. Es geht um die aktive communio (aus der umgekehrt die reformierte Kirche zu Unrecht ein Prinzip gemacht hat). Es geht auch um das unverzichtbare Element der Diakonie. Wären beide nicht absorbiert worden, hätte es auch zu der modernen Mißbildung des Ein-Mann-Systems nicht kommen können.

Der hier geschilderte Zustand hat in unserer Zeit einen leidenschaftlichen Protest hervorgerufen, in dem es heißt:

„Das ,fleischgewordene Wort’ ist weder nur auf geredete Worte noch auf rituelle Handlungen reduzierbar noch ist es als die Addition beider Möglichkeiten verfügbar. Auch die Formel ,verbum et sacramentum’ darf nicht zu solcher Verkürzung führen. Die Kirche ist ein Zeichen des kommenden Reiches als Sozialverband: durch die Predigt ins Leben gerufen, durch die Taufe geboren, im Mahl zum Werk des Dienstes zugerüstet, wodurch der Leib Christi erbaut werden soll … (Eph 4, 12ff.). Die Gemeinschaft der Heiligen ist als solche eine Hilfsgemeinschaft: Gemeinde der heilenden Geheilten und der getragenen Leidenden; der Starken und der Schwachen — der einander Stärkenden; der Sorgenden und der Umsorgten. … Die Kontinuität der Verantwortung für diese qualifizierte Integrität nennen wir das ,Amt’ in der Kirche.” 8

 

2. Art. XIV — De ordine ecclesiastico

Über Ordination und Sukzession habe ich mich bereits in den Kapiteln VIII und XII von Band I in monographischer Ausführlichkeit geäußert. Kein evangelischer Theologe hat Veranlassung genommen, dazu Stellung zu nehmen. In dem offiziellen ökumenischen Arbeitskreis (Volk-Kunst) mußte ein katholisches Mitglied diese Ergebnisse einbringen. Es ist in einer Untersuchung des Augsburgischen Bekenntnisses nur weniges hinzuzusetzen. Ich habe dort gezeigt, warum die ungleichwertige Verwendung der Begriffe „vocare” und „rite” theologisch und rechtlich gleichermaßen unzulänglich ist. Man kann auch bei einem so verkürzten Ordinationsbegriff nicht in Art. XXVIII die traditionelle potestas-Lehre mit der Dualität von iurisdictio und ordinatio übernehmen. Taufe und Ordination als Vorgänge und Vollzüge personaler Institution sind analog aufgebaut; beide gehören der universalen Kirche und beziehen sich auf sie. Deutlich wird im jetzigen Zusammenhange, daß die Verkürzungen der Geistlehre in CA V, die der Tauflehre in CA IX und die der Ordination in CA XIV parallel gehen und auf gemeinsamen verkürzenden Vorentscheidungen beruhen. Es ist die morphologisch-typologisch sichtbare Festlegung auf die monoforme Einmütigkeit des Geschehens, welche das kommunikative

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wie das prozessuale Moment ausschließen. Für uns ist heute ferner deutlich, daß und in welchem Maße hier die biblische Vorgabe in der eigenen, historisch-kontingenten Gestalt und eben deshalb und insoweit nicht „pure” dargeboten wird. Die CA ist eben selbst Geschichte mit den Merkmalen ihrer Situation — und nicht nur in äußeren oder taktischen Hinsichten, sondern im Kern der Dinge selbst. Nicht nur die Begriffsgeschichte als Lehrgeschichte, sondern auch gerade die Rechts- und Sozialgeschichte machen die geschichtliche Dimension der Theologie durchsichtig und einsichtig.

 

3. Das Amt und die Ämter — Hintergründe

Die spätmittelalterliche Kirche und Theologie, mit der sich die Reformation auseinandersetzte, tradierte die objektiven Ergebnisse einer langen Vorentwicklung auf dem kirchenrechtlichen und liturgischen Gebiet, ohne daß dieser Überlieferung die Struktur des scholastischen und nominalistischen Denkens und damit das Verständnis dieser Ergebnisse und Ursprünge noch entsprochen hätte. Die Reformatoren griffen eine Tradition an und die Katholiken verteidigten eine solche, welche sie aufgrund der veränderten geistesgeschichtlichen Lage selbst nicht mehr voll begriffen. Diese Theologie war auch nicht mehr imstande, Sinn und Bedeutung der apostolischen Sukzession den Ursprüngen nach überzeugend zu verdeutlichen. Sonst hätte sie dem Mißverständnis der successio in anderer Weise entgegentreten können. Dieses Mißverständnis hat sich dann fortgeerbt und bis heute verfestigt, obwohl seit Sohm und Dilthey durch die Erforschung der Geistesgeschichte wie der Kirchenrechtsgeschichte bis hin zu Elert, auch durch Heiler, sich ein volleres Verständnis neu erschlossen hat. Das gleiche gilt aber auch für die schon behandelten Fragen des Amtes. Die damalige Theologie und Praxis hat sicherlich den Weihekandidaten, darunter auch den späteren Reformatoren, den geistlichen und meditativen Sinn der sieben ordines nicht aufgeschlossen und vermittelt, welche auch sie traditionell zu durchlaufen hatten. Das Amt der Kirche war hierarchisch. Jedoch waren es geschichtlich zwei zu unterscheidende, verschieden aufgebaute und miteinander verklammerte Hierarchien, die liturgische und die regiminale.

Die sieben ordines der liturgischen Hierarchie stellen eine spezifische Verbindung von meditativen und rationalen Elementen dar, die in der Ostkirche nicht ausgebildet wurde. Während die übrige liturgische Tradition, insbesondere die Liturgie der Eucharistie von Verzerrungen und Mißverständnissen nicht verschont geblieben ist, wie die Liturgiegeschichte ausweist, ist die Grundstruktur der ordines im wesentlichen erhalten geblieben. Auf ihre Bedeutung hat in unserer Zeit der Berliner Politologe Otto Heinrich von der Gablentz (1898-1972) — selbst ordiniert in der Bekennenden Kirche — besonders aufmerksam gemacht.

Der Weihekandidat durchläuft in diesen ordines, die insgesamt einen anagogischen Charakter haben, eine dreifache Dialektik, welche mit der lutherischen

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Dialektik von Gesetz und Evangelium zwar nicht einfach identisch ist, aber in der Blickrichtung und Thematik doch erhebliche Verwandtschaften aufweist.

Dem Kandidat wird zunächst von dem Ostiarius die Tür der Kirche geöffnet, so daß er sich durch den Eintritt deutlich von der Welt scheidet und ihr absagt. Ihm begegnet alsbald nach dieser Negation die Position und Verheißung des Evangeliums in Gestalt des Lektors.

Auf einer zweiten Stufe wiederholt sich diese Dualität dadurch, daß zunächst der Exorzist das tut, was auch in den lutherischen Taufliturgien lange Zeit geschehen ist. Auf den Exorzisten folgt dann wiederum — wie zuvor der Lektor dem Ostiarius — der Akoluth, der dem Bewerber zum Verständnis und zur Einordnung in einen neuen Lebenszusammenhang hilft.

Während sich diese von Ämtern repräsentierten Handlungen auf den Weiheritus beschränken, folgt auf der dritten Stufe eine Unterscheidung, die auch dem allgemeinen Gottesdienst angehört. Subdiakon und Diakon teilen sich auf der Epistel- und Evangelienseit in die Lesungen: den alttestamentarischen, prophetischen und apostolischen Texten zur Linken stehen zur Rechten, als der wichtigere Seite, die Evangelientexte als die unmittelbaren Zeugnisse vom Leben des Herrn gegenüber. Nach dieser dreifachen Dialektik kommt der allgemeine Gottesdienst zu seinem Höhepunkt in der Feier der Eucharistie, der Ordinationsritus zur Konsekration des Presbyters, der damit befugt wird, selbst der Eucharistie handelnd vorzustehen.

In dieser Handlung besteht bis heute der Höhepunkt alles Handelns der Kirche überhaupt, weil es hier im zentralen Sinne um die Präsenz des Herrn geht. Aus dieser Anschauung ist der von Hieronymus formulierte Grundsatz abgeleitet worden, der vom Beginn des 5. Jahrhunderts bis zum II. Vatikanischen Konzil unverbrüchlich gegolten hat, daß es in der Kirche keinen höheren Rang geben könne als denjenigen, der bevollmächtige, der Eucharistie vorzustehen. Dies war bis zu der Verfassungsreform von 1963 Lehre und Praxis der katholischen Kirche. Daraus resultiere auch die an anderer Stell noch zu behandelnde Tatsache, daß bis zu diesem Zeitpunkt in der liturgischen Hierarchie der Bischof keinen eigenen ordo besaß, eine oft bemerkte, ungeklärte Spannung zwischen Presbyterat und Episkopat, welche anzugehen und zu klären auch das Konzil von Trient sich gescheut hat.

Was sich hier im besonderen zeigt und bewährt, ist die Erkenntnis Barths, daß das Kirchenrecht liturgisches Recht ist. Es entsteht nicht aus der theologischen Reflexion auf diese oder jene Ordnungen, sondern aus dem Vollzug des der Kirche aufgegebenen Handelns selbst, welches demgemäß in bestimmten Gestaltungen ausgeformt wird und eben deswegen die darin enthaltenen Relationen, aber auch Probleme der Verhältnisbestimmung einschließt. Dabei hat sich der Ursprungssinn des Presbyters, des Ältesten, sprachwidrig in den Priester verwandelt.

Dieselbe Kirche indessen, die seit Hieronymus — und dieser selbst hat sicherlich an Verständnis und Praxis der Kirche nichts geändert — dem Presbyterat

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den höchsten liturgischen Rang zuweist, hatte schon in einem Kanon des Konzils von Nicaea fundamentale Bestimmungen getroffen, deren Verhältnis zu dem beschriebenen Tatbestand zu erörtern ist. In dem Kanon IV „Epískopon proshékei málista” wird verordnet, daß bei der Konsekration eines Bischofs alle Bischöfe der Eparchie, der Kirchenprovinz, mitzuwirken haben. Im Verhinderungsfalle sollen mindestens drei von ihnen zusammenwirken, nachdem sie sich des Einverständnisses der übrigen vergewissert hätten. Die entscheidende Stimme („kyros”) komme dem Metropoliten zu. Diese Bischofskonsekration setzt stillschweigend die Wahl des Kandidaten durch Klerus und Volk der Gemeinde voraus, an welcher andere Bischöfe nicht teilzunehmen haben. Andererseits repräsentiert die Gesamtheit der Bischöfe der Region die Bischofsgemeinschaft überhaupt, in der jeder Bischof zu stehen hat und durch deren Mitgliedschaft seine Legitimität bedingt ist. Dieser altkirchliche Bischof ist wie durch eine Ehe unlösbar mit seiner Gemeinde verbunden, unbedingt und noch strenger als die Ehescheidungsdisziplin der gleichzeitigen Provinzialkonzile erkennen läßt und die rechtsgeschichtliche Entwicklung mindestens bis 897 ausweist. Wie schon früher ausgeführt, ist nicht nur die Gemeinde im Bischof, sondern auch der Bischof in der Gemeinde. Dieser Bischof hat aber die Presbyter als Stellvertreter und auch als Vorsteher von Teil- und Landgemeinden in seinem Presbyterium. Er beruft sie und konsekriert sie aus eigener Vollmacht. Wir haben also eine eigentümliche Verschränkung zwischen der Wertung von Presbyter und Bischof. Dem Presbyter steht der Bischof gegenüber, der selbst notwendig Presbyter gewesen sein muß, aber zugleich die beschriebenen Positionen ausfüllt und Rechte ausübt. Soweit kommen damals, in den wesentlichen Hauptorten bis herunter zu relativ kleinen Stadtgemeinden, wie beispielsweise bei Augustin in Hippe, Presbyterat und Episkopat zu einer Art Deckung. Behoben ist die Differenz damit indessen nicht.

In dieser bis heute zwar formell entschiedenen, aber in der Sache fortbestehenden Dualität, sind zwei Relationen erhalten. Die eine (institutionsgeschichtliche) Relation ist die Differenz zwischen den beiden institutionellen Traditionen des Juden- und Heidenchristentums, deren Verschmelzung in Band II dargestellt wurde. Die zweite (sachliche, strukturelle) Relation ist diejenige zwischen Partikularität und Universalität der Kirche. Bischof und Presbyter stehen für die und in der Gemeinde, deren Rang und Eigenrecht nicht wohl höher ausgedrückt werden kann, als dies in der altkirchlichen Kirchenverfassung geschehen ist. Hier genügt schon der Presbyter, wie der Chorbischof ohne bischöfliche Rechte; aber auch der Bischof fungiert in seiner priesterlichen Funktion als Presbyter. Auf der anderen Seite steht der Bischof, der notwendig auch Presbyter ist, aber einen überschießenden gesamtkirchlichen Zusammenhang voraussetzt und darstellt. In jedem Falle geht es um die Ubiquität der Präsenz des Herrn. Denn diese hat zwei Seiten. Sie umschließt das Geheimnis, daß hic et nunc, in der kleinsten Begrenzung einer feiernden Gemeinde das Ganze in seiner umfassendsten Bedeutung präsent ist, und zwar, wie Luther zu Recht festgehalten hat, in einer pneumatischen Wirklichkeit und

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nicht nur in einer noëtischen Bedeutung. Auf der anderen Seite verbindet diese Ubiquität zu jeder Zeit alle Gemeinden und Kongregationen bis zu den „zweien und dreien”, in denen dies irgendwo geschieht. Keine dieser beiden Seiten kann und darf dabei ausgeschieden werden. Was sich hier in der scheinbar formalen Gestalt der Ämter-Lehre zeigt, ist in seinen Hintergrund überaus wichtig. Man hat also in der langen Geschichte der Kirche jenen Widerspruch ertragen und nicht als beschwerlich verstanden. Daraus zeigt sich jedoch eine Doppelbedeutung des einen Amtes. Das eine Amt der Kirche, welches die CA mit Recht lehrt, ist nicht im Sinne der Uniformität eines überall gleichen zu verstehen. Es hat vielmehr wie die Kirche, der es dient, zwei Seiten, eine universale und eine partikulare. Beide haben ihr spezifisches Gewicht. Das Presbyteramt, aus dem unser Predigtamt und Pfarramt entstanden ist, hat sein Schwergewicht in der Unmittelbarkeit der Gemeinde, aber eben auch begrenzt durch deren Partikularität. Es ist das Amt der Präsenz. Der einzelne Pfarrer kann gar nicht die Gesamtheit der Dinge vertreten und ordnen; er hat kein Aufsichtsrecht über Nachbargemeinden; er bestimmt nicht über die Gemeinsamkeit des Handelns. Aber dieses Amt ist unbestritten nicht ein Amt der einzelnen Gemeinde, sondern ein vorgegebenes Amt der Kirche, welches hier seinen konkreten Platz hat. Dasselbe Amt aber stellt sich auf der anderen Seite als ein Amt der Einheit dar, welches kraft der Verbindung mit den übrigen regionalen Bischöfen die konkrete und verpflichtende Einheit der Kirche ausmacht und deshalb in seiner Gesamtheit konzilsfähig ist. Wir haben also das gleiche Amt in zwei einander ergänzenden Schwerpunkten. Deshalb hat die Kirche immer daran festgehalten, daß jeder Bischof zu einer Gemeinde gehöre und ohne eine Kanzel nicht sein könne. Ebensowenig aber darf sich das Pfarramt im kongregationalistischen Sinne oder als alleiniges verstehen.

Beide Ämter verschlingen sich zugleich mit- und ineinander: niemand kann Bischof werden, ohne zuvor Presbyter geworden zu sein, und niemand kann Presbyter werden, ohne in den Gesamtzusammenhang der bischöflichen Kirche aufgenommen und durch ihn legitimiert zu sein.9

Es bestehen also zwei Relationen: eine geschichtliche, die sowohl in den Ursprüngen als auch in der konkreten institutionellen Verhältnisbestimmung nicht ohne eine gewisse Spannung und Brechung wiedergegeben werden kann, und eine zweite, die eine unverzichtbare Identität zwischen der Partikularität und der Universalität enthält, welche beide ohne einander nichts sind.

Dies muß man bedenken, wenn man nach einer Lösung der damit verbundenen konkreten Fragen der Unterscheidung und Gestaltung sucht. Zuallererst ergibt sich daraus, daß dies Verhältnis nicht einfach dasjenige der Vor- und Nachordnung oder in der Umkehrung die Ableitung aus einem Oberbegriff sein kann. Ebenso kann aus diesem dualen Verhältnis keines der Elemente ausgeschieden werden. Eine sichtbare Darstellung beider Elemente ist also jedenfalls erfordert. Es kann weder das Bischofsamt als ein bloßer Überbau verstanden werden, der funktionalen und technischen Zwecken äußerer Vermittlung dient. Es kann andererseits die partikulare Form der congregatio,

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der Gemeinde, nicht zu einem Ausschnitt oder einer Folgeerscheinung des vorgeordneten Ganzen gemacht werden. Tendenzen nach beiden Richtungen sind höchst wirksam vorhanden. Ein Teil dieser Lösungen bewegt sich im Rahmen des bekannten Universalienproblems. Wenn unbestritten der Protestantismus kein sogenanntes „Gemeindeprinzip” kennt, so besteht doch eine deutliche Prävalenz genau umgekehrt zum Ansatz der katholischen Kirchenverfassung, in der dem Ganzen der grundsätzliche Vorrang vor dem einzelnen zugewiesen wird. Wiederum treffen wir auf die verfehlende Tendenz von Monismus, zur Monoformität.

Dahinter aber steht ein viel tieferes Problem: es ist das Verhältnis zwischen Judenchristen und Heidenchristen. Erst die Erstreckung der Mission über die Grenzen des Judentums hinaus, gerade durch Paulus, hat die universale Kirche geschaffen; er selbst wollte am Ende seines Lebens noch bis Spanien kommen, für ihn das Ende der Welt. Nun wissen wir aber auch, daß der ordinierte Presbyterat aus einer judenchristlichen Tradition stammt, während das Bischofsamt samt dem Diagonal, seinem geborenen Helfer, aus einer heidenchristlichen Linie kommt. Wie ich in Band II9a genauer belegt habe, sind in der Drei-Ämter-Lehre der Kirche diese beiden Traditionen verschmolzen worden. Aus dieser Verschmelzung ist eine Spannung verblieben. Wir stehen zugleich vor der immer noch nicht restlos geklärten Frage, ob nach der Vieldeutigkeit des Berichts das Apostelkonzil wirklich eine volle Verständigung oder ein sehr tragfähiger, aber doch nicht bruchloser Kompromiß gewesen ist. Angesichts dieser Tatsache wäre es nun vollends verhängnisvoll, wenn die Doppelseitigkeit des Amtsbegriffs in eine Monoformität aufgelöst würde. Es könnte vielmehr hiermit die heilsgeschichtlich notwendige Verbindung von Heidenchristentum und Judenchristentum aufgesprengt sein. Diese Frage scheint mir gefährlich für alle Konfessionen: für die Reformierten, insofern sie den Anschluß an die Tradition des Alten Bundes mit solcher Betonung vollzogen haben und damit zugleich, wie Erik Wolf deutlich zeigt, mit grundsätzlicher Heftigkeit das Bischofsamt ablehnen. Die Kirchenrechtslehre Erik Wolfs läßt sich erst verstehen, wenn man dieses von ihm an einer späten Stelle seines Werks mit Schärfe hervorgekehrte Anliegen beachtet. So könnten also Calvinismus und römische Kirche jeweils zu einer Einseitigkeit entweder des bischöflichen oder des presbyteralen Amtsverständnisses gekommen sein. Die lutherische Lösung aber, diese Differenz und Spannung in einem einzigen presbyteralen Gemeindeamt zu beheben, dieses Amt dann aber wieder nominell als Bischof zu bezeichnen, verdeckt das Problem. Wollen wir also die Einheit von Judenchristen und Heidenchristen wahren, so müssen wir — Einigung oder Kompromiß, wie immer verstanden — das Amt in der Doppelbedeutung von Bischof und Gemeindepresbyter durchzuhalten wagen. Ein Verständnis des einen Amtes als einförmiges, einliniges, wäre eine verfehlte Lösung, — damit aber auch alle Neigung, die universale Dimension, welche sich durch die Partikularkirche in die Gemeinde vermittelt, als eine rein spirituale, äußere, sekundäre zu verstehen. Diese Einsicht sollte die lutherische Kirche veranlassen,

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die Mischung von Unklarheit und Einschränkung, die in der bisherigen Tradition liegt, klärend zu überwinden. Das „Eine” Amt ist eine emphatische Abstraktion, die in concreto eine radikale Anderthalbheit zur Folge hat. Von hier aus ist die Tradition des Luthertums in Frage zu stellen, welches zwar in seinem Gesamtverständnis von Heils- und Weltgeschichte sich deutlich heidenchristlich darstellt, im Gegensatz dazu aber einen durch nichts gebrochenen Partikularismus verwirklicht. Diesen hat Bischof Class von Württemberg am Ende seiner Amtszeit als Vorsitzender des Rats der EKD nach Scheitern der Reform den schwersten Fehler des deutschen Protestantismus genannt und Ludwig Raiser als Synodalpräsident als „Anachronismus” gekennzeichnet.

So gewiß Auftrag und Legitimation der Kirche nur einer ist, so gewiß ist die Lehre von dem einen Amt eine Verkennung und Mißachtung der vorgegebenen Grundlagen der Kirche, die in der Verbindung der jüdischen Tradition mit der Universalität des Evangeliums miteinander bestehen.

Für die heutige Situation ist der tiefgreifende Wandel bedeutsam, den die katholische Kirche durch den Übergang zu einem Amt gemacht hat. Hier wurde die liturgische Hierarchie tiefgreifend verändert. Die ordines minores, die praktisch längst obsolet geworden waren, wurden beseitigt, dem Bischof ein ordo zugewiesen, Presbyterat und Diagonal als Ausgliederung dieses nun mehr zentralen und einzigen Vollamtes definiert. Insofern ist jetzt im Gegensatz zur Alten Kirche die katholische Kirche eine ausschließlich episkopale. Sie ist mit der Unifizierung nach vier Jahrhunderten dem Beispiel der Reformation gefolgt. Damit ist zugleich eine Änderung der Papstwahlordnung verbunden, nach der der Papst die Rechte seines Amtes entweder durch seine Qualität als Bischof oder, wenn erforderlich, durch die Bischofskonsekration erlangt. Damit ist seine Sonderstellung als die Spitze eines Systems transzendentaler Qualität aufgehoben, ist er trotz seines Primats und mit seinem Primat voll in den Episkopat hineingenommen. Das ganze System des transzendentalen Rechts, welches in Band II dargestellt wurde, ist sozusagen wie eine Wucherung oder Schwellung wieder in die ursprünglichen Konturen des Körpers resorbiert. Dies geschah freilich um den Preis, daß in der Gliederung des dreifachen Amtes, die formell erhalten geblieben ist, sich die Monoformität des einen Amtes verbirgt. Damit stehen nun zwei Formen einander gegenüber, die jetzt unifizierte katholische und die in dem einen Amt divini juris konzentrierte Form, welche Luthertum und Calvinismus verbindet.

Als Grundeinheit wird die bischöfliche Diözese verstanden, in der der Bischof seine eigene Zentralkirche und -gemeinde hat.

Die Gleichheit aller Bischöfe ohne Rücksicht auf den Rang in der Jurisdiktionshierarchie ist in der konziliaren Bischofsgemeinschaft konsequent festgehalten und damit in der Transposition in die Diözese der Grundsatz der Äquivalenz der Ekklesien. Es ist eine Gegenbildung gegen die hartnäckigen Partikularismus sowohl der reformatorischen wie der orientalischen Kirchen.

Das beiderseits eine Amt unterscheidet sich dadurch, daß das reformatorische im Gegensatz zum katholischen keine verfassungsrechtliche Qualität

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besitzt, wiewohl die Gemeinde als solche eine unverzichtbare Grundform der Kirche darstellt.10

Wenn es hier um die Verbindung eines historischen und eines systematischen Problems handelt, so kommt man im Blick auf die historische Frage zu der Erwägung, ob die reformatorischen Kirchen, ohne sich dessen bewußt zu sein, auf die Seite der judenchristliche Tradition gefallen sind. Dieser verwunderliche Schluß, der mehr Tendenz als Faktum meint, würde durch das Selbstverständnis der reformierten Seite weitgehend gedeckt. Daraus würde sich auch die innere Motivation reformierter Kritik am Luthertum eine Strecke weit erklären, in der diesem eine mehr oder minder verdeckte Rezeption des bischöflichen Amtes als eine Abweichung vorgehalten wird, obwohl sein Partikularismus einer vollen Ausbildung entgegensteht.

Denn ein Bischofsamt ohne konziliare Gemeinschaft ist im besten Fall eine Halbheit, wenn nicht eine res de nudo titulo. So gesehen wäre dann das Luthertum freilich nicht die Mitte der Konfessionen, sondern eine Zwitterbildung, welche einen wesentlichen Antagonismus durch eine zweideutige Scheinlösung überdeckt.

Auf die gleiche Problematik sind wir bereits bei der rechtlichen Auslegung der Rechtfertigungslehre gestoßen. Es ist eine besorgliche Frage, ob die Reformation, weit entfernt, das Ganze der Kirche auf den Ursprung zurückzuführen, unversehens die Verbindung von Judenchristentum und Heidenchristentum in Frage gestellt hat.

Die problematischen Unterschiede zeigen sich auch darin, daß der Calvinismus die Struktur der Theologie zeigt, in der es grundsätzlich keine personale Repräsentation geben kann. Die lutherische Theologie und Kirche zeigt den Typus der Hierarchie, ohne Unterbau, aber in Luthers Hierarchielehre deutlich ausgeprägt.

Die Aufbrechung der Einheit von Judenchristentum und Heidenchristentum, welche so lange in dem unausgetragenen Widerspruch zwischen nicaenischer und hieronymischer Tradition beruhte, ist eine Spaltung in der Tiefe.

Die lutherische Reformation hat sich im Universalienstreit durch den römischen Universalismus und Zentralismus in die dialektische Gegenposition eines ebenso einseitigen Partikularismus treiben lassen und das Organ für die offenkundigen, dadurch eingetretenen Mängel verloren.

Zu dem hier behandelten Problem sagt Wolfhart Pannenberg:

„In diesem Licht ist auch die Formel von der „ordnungsgemäßen Berufung” (rite vocare: Art. 14) zu verstehen, die für die Übertragung dieses Amtes erforderlich ist: Es handelt sich um ein Amt aus göttlicher Vollmacht und Sendung, insofern göttlichen „Rechts”, das daher nicht eine Angelegenheit menschlichen Beliebens ist. Es wird in Art. 28 ausdrücklich als Bischofsamt bezeichnet. Dabei unterscheidet der Text nicht prinzipiell zwischen Bischofsamt und Pfarramt, sondern kann beide Begriffe parallel gebrauchen, wie es besonders hervorgeht aus der Formulierung: episcopi seu pastores” (Art. 28, 30; im deutschen Text steht nur „Bischöfe”). Diese prinzipielle Identität

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von Bischofsamt und Pfarramt in dem einen kirchlichen Amt bestimmt die Perspektive des Artikels, obwohl sein eigentlicher Gegenstand durch die mittelalterliche Ausgestaltung des Bischofsamtes zu einem regionalen Amt, das überdies mit weltlichen Kompetenzen verknüpft ist, gegeben ist. In der Überzeugung, daß es sich bei Bischofsamt und Pfarramt theologische gesehen um ein und dasselbe Amt handelt, stützte sich Melanchthon auf altkirchliche Verhältnisse, die der Reformation besonders durch Hieronymus bekannt waren.” 11

Melanchthon hat also den oben erörterten Grundsatz des Hieronymus gekannt. Ersichtlich ist ihm aber das Verhältnis dieses Grundsatzes zu Canon IV von Nicaea kein Problem. Der Sinn und innere Aufbau der alten Kirchenverfassung war der damaligen Zeit fremd — ganz abgesehen von der Frage, ob die humanistischen Theologen zu einer sachlichen Interpretation einer Verfassung mit ihren Denk- und Begriffsmitteln imstande waren. Vollends zeigt sich dieser Mangel in der Wendung Pannenbergs über die „mittelalterliche Ausgestaltung” des Bischofsamtes zu einem regionalen Amt. Die späte Verknüpfung mit weltlichen Kompetenzen ist für unsere Betrachtung ohnehin ohne Bedeutung. Die regionale Kompetenz des Bischofs ist jedoch nicht erst im Mittelalter, sondern schon in der Alten Kirche entstanden. Hier zeigt sich wieder die falsche Ineinssetzung des (scholastischen) Mittelalters mit der Gesamtgeschichte der Kirche und damit auch dem (pneumatologischen) ersten Jahrtausend. Geschichte wird reduziert auf den Gegensatz von Katholizismus und Reformation im 16. Jahrhundert. Als punktuelle Kontroverse von absoluter Bedeutung erlaubt sie es, die Geschichte überhaupt durch den reditus ad fontes zu überspringen (bis auf allenfalls den peinlichen Rest des Frühkatholizismus). Man muß die Geschichte los werden zugunsten eines Aktualismus in einem Fall, der für alles steht. Entscheidend ist schon, daß nach Nicaea IV den Bischöfen innerhalb des Metropolitanverbandes ein verfassungsrechtlicher Status und eine Kompetenz verliehen war, die den Presbytern und Chorbischöfen vorenthalten wurde. Die Differenzierung zwischen Presbyter und Bischof setzt also als ein zentrales, konstitutives Element der älteren Kirchenverfassung schon vor Nicaea ein, wird dort ausdrücklich festgeschrieben und ist die Grundlage der ökumenischen Konzilien. Der Irrtum bei Melanchthon und Pannenberg selbst zeigt aber, daß die hier streitige Frage von der Theologie rein begrifflich, nicht aber in geschichtlichen und verfassungsrechtlichen Zusammenhänge betrachtet worden ist.

Der gesamtkirchliche Charakter des Amtes verbietet die Reordination. Bis in die Gegenwart hat darüber in den reformatorischen Kirchen keine Klarheit bestanden. Die getrennten Kirchen haben hier überhaupt eine problematische Praxis. Andererseits ist in der Leuenberger Konkordie eine wechselseitige Anerkennung der Ämter vollzogen worden, ohne das Amtsverständnis und die Ordinationspraxis der beteiligten Kirchen miteinander zu vergleichen und an bestimmten Maßstäben zu prüfen.

In Taufe und Ordination trifft sich die Universalität der Kirche in ihren beiden extremen Formen.

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Nach dem zuvor Gesagten über die genuine Dualität der Ämter bleibt übrig, nunmehr auch die Stellung des Diakonats zu bestimmen. Dieser ist im geschichtlichen Ursprung mit dem Bischofsamt verbunden, welchem er in vielfacher Weise als Gehilfe gerade in übergemeindlichen Aufgaben gedient hat. Andererseits ist der Diakonat folgerichtig in die aufsteigende Ordnung der ordines maiores eingegliedert. Er ist die eigentliche Basis der liturgischen Hierarchie, weil hier durch Katechese, liturgische Assistenz, aber auch Armenpflege und jeder Art Vermittlung die unmittelbarste Beziehung zur Gemeindebasis besteht. Aus diesem Grunde kann man den Diakonat weder allein der episkopalen noch der presbyteralen Seite zuordnen. Drittens aber ist der Diakonat durch die Allgemeinheit des Dienstbegriffs im gewissen Sinne die allgemeinste Bezeichnung des Amtes und Dienstes der Kirche überhaupt. In diesen Fragen müßte sich die Methode durchsetzen, keine ausschließenden Bestimmungen zu suchen, sondern eine mehrschichtige Betrachtung als legitim anzuerkennen.

Die Konzentration der jetzigen römischen Amtslehre auf das eine Bischofsamt, als dessen Ausgliederungen die beiden anderen historischen Ämter des Presbyters und des Diakons erscheinen, ist jedoch nicht frei von Selbstwiderspruch. Denn in den authentischen Formulierung des Canon 2 LEF heißt es von den Ecclesiae particulares:

quae singulae sunt portio Populi Dei, sub episcopo proprio una cum presbyterio per Evangelium in Spiritu congregata

Das heißt de iure: es hat zwar der Bischof allein Verfassungsqualität als geborenes Mitglied des Universalkonzils (samt den Ordensgenerälen der in der Gesamtkirche wirkenden Gemeinschaften), das Presbyterat ist jedoch ein integrierendes Verfassungselement jeder ecclesia particularis, als deren Corpus sich die Gesamtkirche darstellt, hat also eine indirekte Standschaft. Dies schließt eine bloße Nachordnung aus.

Can. 2 LEF spricht nicht vom Diakonat. Denn der Diakon hat keine Jurisdiktion, er hat eine Vielfalt der Verrichtungen, und bedeutet zugleich den Inbegriff des Amtes überhaupt — und ist der letzte, der der erste sein wird.

Der Canon gebraucht unbefangen für die ecclesia particularis den Begriff congregare, wie CA VII, so daß der Versammlungscharakter ebenso konstitutiv ist wie der Presbyterat und nicht unähnlich wiederum CA VII.

Danach gibt es nicht das Amt der Kirche schlechthin, weder Predigtamt noch Amt (wie die neue Übersetzung von Kol. 1 besagt), sondern allein die diakonia katà ten oikonomían toū theoū. Es gibt auch hier keine Orthodoxie des je einzelnen, sondern ist entscheidend das Miteinander, die oikonomia, der Logos, die proportio in der Heilsökonomie Gottes nach seiner Providenz.

So ist der Diakonat die Summe und der Inbegriff der Ämter und des Amtes. Er steht an der Nahtstelle zwischen Amt und Gemeinde, Klerus und Volk. Nicht ein allgemeiner Diakonat, sondern der besondere Diakonat aller Gläubigen faßt hier alles zusammen. In diesem Lichte sind die Anstrengungen der beiden reformatorischen Kirchen zu verstehen, das Ganze des Lebens christlich zu durchdringen.

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Wenn nun schon Papst und Kardinäle aus ihrem Sonderstatus transzendentalen Rechts sich haben in den Episkopat eingliedern lassen müssen, den Charakter als Überbau verloren haben, so müßten die reformatorischen Kirchen aufhören, das Bischofsamt als funktionalen Überbau zu entwürdigen. Damit hört nicht die Autokephalie der regionalen Einzelverbänden auf, wohl aber werden erst wieder die je einzelnen Bischöfe unmittelbare Mitglieder des Gesamtkonzils, deren Votum nicht ihren hierarchischen Oberen zu folgen braucht. Ebenso aber tritt der nationalkirchliche Charakter zugunsten dieser Gliedschaft zurück — die universale Kirche ist kein Völkerbund, der die Nationen als naturale Voraussetzung zur Grundlage hat.

Dies liegt nahe, weil die Diözese als Partikularkirche verstanden als die bischöfliche Zentral- und Hauptgemeinde (etwa im Sinne des Missionszentrums) gedacht ist und insofern an die geschichtliche wie personale Tradition anknüpft.

Luther war darin katholisch, daß er nicht auf eine trennende Entscheidung und Neubildung von Kirchen, sondern auf die Reformation der vorhandenen als einer Ganzheit ausging. Unkatholisch war er in der Spiritualisierung der universalen Kirche. Mit der volkskirchlichen Methode war — wie dies auch in der Ostkirche in beträchtlichem Maße sichtbar wird — die Gefahr verbunden, daß die Methode zum Gehalt wird, ein materiales Nationalkirchentum entsteht.

Die Dualität der Ämter aber deckt sich, wie in Band II11a entwickelt, mit den Dimensionen der christlichen Existenz selbst.

Eine leidenschaftliche Aussage über das Bischofsamt, seine geistige Aufgabe und Notwendigkeit hat aus ökumenischer Erfahrung der Berliner Oberkirchenrat Ernst Lange ✝ hinterlassen, wenn er sagt:

„Bischöfe sind von jeher Darsteller und Hüter der christlichen Einheit. Dazu sind sie da seit dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert. Nur dazu sind sie da. Die Lehr- und Leitungsautorität, die ihnen zuwuchs, ist eine Funktion dieser ursprünglichen Aufgabe. Denn zunächst lag ja die Lehrautorität bei Aposteln, Lehrern und Propheten. Und die Leitungsautorität lag bei Presbyterien, bei Kollegien. Erst als die häretischen und schismatischen Tendenzen stärker wurden, verliebte man sich in die Eins, in den monarchischen Episkopat. Ich bin nicht sicher, ob das eine gute Entscheidung war. Aber darauf kommt es nicht an. Wie die Dinge ökumenisch liegen, davon habe ich mich in einem ziemlich schmerzhaften Lernprozeß überzeugt, ist das Bischofsamt — wenn auch sicher heute nicht mehr in monarchischer Verfassung — unverzichtbar, eine conditio sine qua non des ökumenischen Erfolges. Nur wenn alle Kirchen das Bischofsamt erneuern, wird es eine ökumenische Zukunft unter Einschluß der Orthodoxen und Roms geben. Und es hat ja eine gewisse Logik, daß Einheit durch Einheit repräsentiert wird.
Aber eben darum: let the bishops be bishops! Die Einheit, die der Bischof lokal darzustellen und zu hüten hatte, war von jeher die Einheit der ganzen Kirche, nicht nur die Einheit seiner Gemeinde, sondern die Ökumene der

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Christenheit, recht verstanden sogar — das kann man bei den Orthodoxen lernen — die Einheit des gesamten Kosmos, letztlich die Einheit des dreieinigen Gottes.
Nimmt man das ernst, dann hat die westdeutsche Provinz der Weltchristenheit eine ökumenische pressure group von beachtlicher Potenz. Es ist an den deutschen Bischöfen, die Einheit der Weltchristenheit gegen den Parochialismus ihrer eigenen Kirchengebiete vorzubringen, sie darzustellen in allem, was sie sagen und tun und sind, sie zu hüten gegenüber allen Separatismen und Diskriminierungen, gegenüber allen Spaltungen innerhalb und außerhalb ihres eigenen Zuständigkeitsbereiches. Das ist ihres Amtes. Sie haben die ökumenische Einheit der Christenheit darzustellen und zu hüten gegenüber der Selbstbekümmerung der Kirchenleitungen, der Sparsamkeit der Finanzausschüsse, dem Provinzialismus der Theologie, der Standesangst des Klerus, der Konfliktscheu der Synoden und der Lernhemmung bei den Mitgliedschaften. Sie sind die Anwälte der Minderheiten, aller Gruppen, die aus diesem oder jenem Grund nicht zu Wort kommen im Konzil der Frommen. … Sie sind keine Reformer. Aber sie werfen einen Schatten, in dem Reformen diskutierter und durchführbar sind. Sie sind auch keine Bestandswahrer um jeden Preis. Aber ihre Präsenz nimmt den Bestandswahrern die Angst um die Bestände, die sie fanatisch macht.
Sie sind keine Patriarchen und keine Rebellen. Sie sind Vermittler, die den Patriarchalismus als Selbstverteidigung verängstigter Väter unnötig machen, ebenso wie die inhaltslose Dauerrebellion der Jungen. …
Ich wende mich an Sie, hochwürdiger Herr Bischof, als einen berufenen Verkörperer der Ökumene in Deutschland, weil ich mir ebenfalls Sorgen mache, Sorgen um die Ökumene als die jetzt sichtbare Gestalt der institutionellen Zukunft der Christenheit. …
Daß auch die Mitgliedskirchen ihrerseits dabei Gefangene einer schwer auflösbaren parochialen Situation sind, habe ich zugestanden. …” 12

In anderer Weise als Ernst Lange hat aus ökumenischer Erfahrung und Verantwortung Lukas Vischer als langjähriger Leiter der Kommission Faith and Order des Ökumenischen Rats der Kirchen seine eine Reformierte Kirche der Schweiz auf ihre Mängel und ihre Verantwortung angesprochen.

Er nennt zunächst den spezifischen Beitrag dieser Kirche nach ihrem Selbstverständnis in vier Punkten:
1. Wille zur radikalen Konzentration auf das Evangelium
2. Leidenschaft für die Schrift
3. Betonung der gemeinsamen Beratung
4. Offenheit für neue Fragestellungen
Danach stellt er Anfragen und Forderungen: Nicht das glaubende Individuum zuerst und die Kirche als Summe der glaubenden Individuen, sondern umgekehrt — die vom Geist geschaffene eine Kirche und das Individuum durch den Glauben in sie hineingerufen. Im einzelnen:

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1. Diese Kirche muß den Sinn für die ganze Tradition der Kirche wiedergewinnen.
2. Die reformierte Kirchen müssen wieder dazu kommen, regelmäßig das Abendmahl zu feiern.
3. Soll die Frage nach dem Bischofsamt entgegen traditionellen Vorurteilen ernst genommen werden:
„… kann die synodale Struktur der Kirche ohne ein von den Gemeinden geschaffenes und anerkanntes Amt der Leitung und der Einheit wirklich zum Zuge kommen? Das Amt des Bischofs, …, darf nicht so konzipiert sein, daß dadurch die synodale Struktur beeinträchtigt oder gar verneint würde. Es muß vielmehr ihre Entfaltung ermöglichen. Der Bischof könnte … als Bezugsperson dienen, die die gemeinsame Beratung in Gang bringt, in Bahnen hält und zu Entscheidungen führt …” (weiterer Hinweis auf fruchtlose Diskussionen und Mangel an Notwendigkeit zu Entscheidungen).13
4. Wird auf die häufige Vertretung der reformierten Tradition gerade in den reichsten Schichten und die daraus folgende Verantwortung verwiesen.

Die konvergenten Appelle beider so verschiedener Ökumeniker verweisen ihre Kirchen auf gemeinsame Mängel — an lebendiger Zuwendung zur Einheit der Kirche, an personaler Leitung, an sakramentalem Leben, die in grundsätzlicher Form an späterer Stelle noch einmal hervortreten werden.

Beide wenden sich gegen hemmende negative Traditionen.14

 

4. Zur gegenwärtigen Diskussion über die Apostolische Sukzession (AS)

Zum Thema über Amt und Ämter gehört auch der Fortgang der Auseinandersetzung über die AS. Hier heißt es (gekürzte Wiedergabe des Verf.):

„Die CA bejaht nicht eine adiaphoristische Sicht. Sie ist … offen für die gegenteilige Position, daß … die AS im Prinzip positiv wünschbar und unter sonst gleichen Umständen (?) anderen Lösungen (welchen?) vorzuziehen ist. Die bischöfliche Verfassung kann ein machtvolles Symbol sein, ein wirksames Zeichen der Einheit der Kirche in Raum und Zeit, und kann dadurch Zeugnis für die Universalität der Erlösung in Christus verstärken.
… Sie anerkennen, daß in ihm eine besondere Möglichkeit liegt, ein Zeichen von großer evangelischer Bedeutung zu werden, wenn der Episkopat im Gehorsam gegenüber dem Wort handelt.” 15
(Ein gänzlich konfessionell gebundener Lutheraner, E. Schlink, habe ein solches Argument entwickelt)

Sodann könne eine strikte Scheidung zwischen ius divinum und ius humanum nicht gezogen und müsse deshalb auch nicht versucht werden. Man brauche trotz des reformatorischen Protests nicht zu behaupten, daß die bischöfliche

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Verfassung rein menschlichen Ursprungs sei. Die Differenzierung von esse und bene esse wird mit Recht als unzulänglich überspielt.

In der späteren Zusammenfassung wird zunächst die Dualität der Ämter aus Verschiedenheit der Aufgaben und Funktionen abgeleitet (2). Auch wenn es sich bei der Stufung um eine geschichtlich gewordene Form auctoritate humana (Apol. 14, 2) handele (4), könne in ihrer Herausbildung die Führung durch den Geist Gottes gesehen werden — auf der einen Seite menschliche Ordnung, aber doch gleichzeitig mehr als das (flexibleres Verständnis des ius divinum).
(6) So gewiß die reformatorischen Gemeinden auch nach diesem Bruch das Kirchesein nicht verloren hätten, so sei das durch diesen Bruch eingetretene ekklesiale Defizit (als Defizit an der Einheit der Kirche) für beide Seiten eine bleibende Herausforderung, die Bedeutung des historischen Episkopats für die Einheit unserer Kirchen (Plural) ernsthaft zu prüfen.16

Ein Balanceakt! Zunächst eine quasisakramentale Terminologie mit noëtischer Auslegung, abgesichert durch Berufung auf integrale konfessionelle Orthodoxie, —
ein konstruktiver Fortschritt in der Deutung des Verhältnisses von ius divinum und humanum (Chalcedon und Lumen Gentium),
in der Zusammenfassung wiederum Ausgang von der Funktion, aber ein Ergebnis durch Führung des Geistes Gottes (die Personalität des Heiligen Geistes wird vermieden) zu mehr-als-Funktion. Schließlich wird ein Defizit an der Einheit der Kirche zugestanden.

Damit wird das Thema und sein Gewicht anerkannt und die Frage bereitwillig offengehalten. Die lutherische Kirche stellt sich — was nicht selbstverständlich ist — der legitimen, relevanten und nicht reduzierbaren Kirchengeschichte.

Nur die Sache selbst wird unversehens verdeckt. Daß hier der aussagbare Auftrag mit einer epikletischen Personaltradition (in der früher schon umschriebenen dualen Struktur — Elert) zusammentrifft, wird mit keinem Wort angedeutet — ohne diese Einsicht ist jede Bemühung fruchtlos. Diese Einsicht wird aber gerade dadurch erschlossen, daß nach der überall unverstanden bewahrten Tradition von Nicaea IV die Einbeziehung in die Bischofsgemeinschaft als konziliare Repräsentation der universalen Kirche die entscheidende Bedeutung der AS ist (nicht die konsensuale Verständigung über ein legitim gewordenes Institut). Eine solche Einsich erleichtert das Verständnis und Einverständnis. Die theoretische Einsicht aber als solche ist gar nichts. Was AS ist, könnten die lutherische Theologie und Kirche an der regelmäßigen Lambeth-Konferenz der Anglikanischen Kirche sehen. Diese ist — unter Einschluss auch der überseeischen Bischöfe — mehr und anderes als eine Beschlußsitzung oder ein theologisches Symposion.

Das Defizit besteht nicht nur in der Trennung der reformatorischen Kirchen von der päpstlichen, sondern auch in ihrem eigenen Partikularismus (nicht nur der lutherischen Kirche). Grundmann dachte (im Einverständnis mit einigen

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Theologen und Kirchenrechtlern) folgerichtig, wenn er die Kirchwerdung des Lutherischen Weltbundes zum Programm erhob, eine nicht allein durch seinen Tod alsbald wieder erloschene Bewegung. Das Unternehmen, alles wieder auf einen Konsens der Annäherung zu stellen, ohne die Frage nach der eigenen Koalitionsfähigkeit und der Verbindlichkeit zu stellen, zeigt eine charakteristische Befangenheit in der eigenen traditiones humanae. Die Behandlung des Problems zeigt außerdem, daß mit dieser Bemühung keinerlei konkrete Vorstellungen über die möglichen und notwendigen Elemente einer Einheit der Kirche verbunden gewesen sind.

Unitas ecclesiae super episcopos constituitur.

Wenn sich hier die Differenz zwischen Judenchristentum und Heidenchristentum noch einmal anmeldet, so muß an ein meist unbeachtetes, höchst merkwürdiges Wort Jesu im Johannes-Evangelium erinnert werden, wo es heißt:

„Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle und dieselben muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören und werden eine Herde und ein Hirt sein.” (10, 16)

Die Einheit ist also nicht einfach apriorisch — etwa aus dem einen Hirten oder dem einen Leib abzuleiten. Sie ist vielmehr auch geschichtlich. Jesus redet hier von einer Herde, die offensichtlich nicht das auserwählte Volk ist, um das er sich leidenschaftlich bemüht hat. Es ist eine Herde, in deren (außerjüdischen) Bereich er selbst nie gekommen ist. Diese Vereinigung ist in Aussicht gestellt, aber sie ist nicht erkennbar als eschatologische verstanden.

Andererseits wird dadurch das vielberufene Wort viel gewichtiger, weil es nicht um eine spätere Spaltung, sondern um eine schon in biblischen Zeiten beachtete, relevante Unterscheidung geht.

 

Anmerkungen zu Kapitel VII

1 Peter Stuhlmacher, Schriftauslegung in der Confessio Augustana, in: ders., Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit, Göttingen 1981, 246-270, hier: 269 f.
2 Paul Graff, Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche Deutschlands, Göttingen 1937/39, hier: Bd. I, 13 f.
3 Geiko Müller/Fahrenholz (Hg.), Accra 1974 — Sitzung der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, Beiheft zur ÖR 27, 1975.
4 Erwin Iserloh/Vilmos Vajta, Die Sakramente: Taufe und Abendmahl, in: H. Meyer/Heinz Schütte, Confessio Augustana. Bekenntnis des einen Glaubens, Paderborn/Frankfurt 1980, 198-227, hier: 212.
5 C.G. Jung, Gegenwart und Zukunft, 38.
6 Pontificale Romanum, Mecheln 1862 (nach der vollzogenen Ordination).
7 Vgl. die Darstellung der reformierten Ämterlehre im Anschluß an die Ausführungen über Erik Wolf und das bei Gloege Gesagte.

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8 Paul Philippi, Apostelgeschichte 6, 1-6 als Frage an die Kirche heute, in: Spiritus et Institutio Ecclesiae, FS für Bischof Erkki Kansanaho, 1980.
9 In einer Studie über „Die Autorität in der Kirche” sagt Gérard Siegwalt:

„… Die Einheit gehört in den Bereich des Glaubens, die Vereinigung oder Gemeinschaft in den Bereich der Liebe. Die Einheit ist die vertikale, die Vereinigung oder Gemeinschaft ist die horizontale Dimension der Kirche. Die wirkliche Kirche hat ihren Standort im Schnittpunkt dieser Vertikalen und Horizontalen. Das Amt in der Kirche in seiner Eigenschaft als Amt der Einheit — dabei spielt es keine Rolle, ob es sich dabei um das ordentliche oder das an zweiter Stelle stehende Amt handelt — ist ein Amt der Wahrheit; dagegen ist es in seiner Eigenschaft als Amt der Vereinigung oder Gemeinschaft ein Amt der Liebe. … Das Amt, von dem wir gesagt haben, es schließe keine Gewalt in sich, bringt jedoch eine Verantwortlichkeit gegenüber Christus mit sich, der das Amt mit seinen beiden Polen gestiftet hat und der durch die Kirche Menschen in dieses oder jenes Teilamt einsetzt.”

(Gérard Siegwalt, Die Autorität in der Kirche, in: Vilmos Vajta, Das Evangelium und die Zweideutigkeit der Kirche, Evangelium und Geschichte, Bd. 3, Göttingen 1973, 195-251, hier: 248 f.)
9a Vgl. RdG II, Kap. III, 52 f.
10 Vgl. den Abschnitt über reformierte Ämter-Ordnung, Kap. VIII.
11 Wolfhart Pannenberg, Die Augsburger Konfession und die Einheit der Kirche, in: ÖR 28, 1979, 99-114, hier: 106 f.
11a RdG II, Kap. II, 35-51.
12 Ernst Lange, Eingabe an einen westdeutschen Kirchenführer, in: Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft, 63, 1974, H. 9, 349-354, hier: 352 f.
13 Lukas Vischer, Der Auftrag der reformierten Kirche in der ökumenischen Bewegung, in: ÖR 28, 1979, 410-420, hier: 418.
14 Vgl. Kapitel XVIII.
15 Avery Dulles/George Lindbeck, Die Bischöfe und der Dienst des Evangeliums, in: Harding Meyer/Heinz Schütte, Confessio Augustana, Bekenntnis des einen Glaubens, Paderborn/Frankfurt 1980, 139-167, hier: 164.
16 So die paraphrasierte Wiedergabe der Zusammenfassung von Dulles/Lindbeck in ihrem o.a. Aufsatz, 166 f.