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Um nach diesem Ergebnis zum Begriff der Kirchenverfassung überzugehen, muß vorweg gesagt werden, daß von der Kirche nicht eindimensional und in einem Begriff, sondern nur im trinitarischen Horizont gesprochen werden kann.
Die Kirche hat ihre Ontologie in der gnädigen Providenz Gottes, seinem Heilswillen. Die Kirche hat ihre Teleologie im Werke Christi, seiner Sendung und seinem Opfer, auf welche die Sendung der Jünger und die Berufung des neuen Volkes Gottes folgt. Sie hat ihre Soziologie in der communio sanctorum, in der Teilhabe an der Eucharistie, am Tode Christi und den letzten Dingen.
Wir finden diese Darstellung in sehr verschiedenen Formen und Begriffen in der nota praevia Barths, bei Heckel und im Prooemium der Lex Ecclesiae Fundamentalis.
Wenn heute ein Konsens über den Charakter der Kirche als Institution besteht und nicht mehr zurückgenommen werden kann, so ist nicht überall in gleichem Maße die Einsicht durchgedrungen, daß Institution notwendig ihre Konkretion in der Gestalt einer Konstitution finden muß. Auf dem Felde der einschlägigen Terminologie, die von Affekten verwirrt und belastet ist, ließe sich eine sachgemäße Unterscheidung von Verfassung und Ordnung vertreten. Verfassung wäre so gesehen der personale und Kompetenzaufbau, Ordnung bezöge sich auf die inhaltlichen Vollzüge — wie etwa Gerichtsverfassung den Aufbau, Prozeßordnung das Verfahren bezeichnet. Man kann aber der Verfassungsfrage nicht durch die Verfahrensfrage entgehen.
Differenziert sich auf diese vergleichbare Weise das geordnete Leben der Kirche aus, so haben beide Seiten ihr eigenes Recht. Die protestantische Neigung, statt von Kirchenrecht von „Ordnung der Kirche” zu sprechen, ist wesentlich von dem Verdacht getragen, es sei mit dem Verfassungsbegriff eine illegitime Analogie zur Staatsverfassung gegeben als ein im Bereich des Gesetzes legitime, aber das Wesen der Kirche verfehlende Zwangsordnung. Wenn ohnehin schon überall unbefangen von Kirchenverfassung gesprochen wird, so ist darüber hinaus die wissenschaftliche Verfassungstheorie dem mit einem wesentlich anderen Verständnis von Verfassung entgegengekommen. Diese Wende hat insbesondere Rudolf Smend als Staatsrechts- und Kirchenrechtslehrer Ende der zwanziger Jahre eingeleitet.
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„Die herrschende Lehre versteht” — so sagt er — „bisher unter Verfassung die Ordnung der Willensbildung eines Verbandes und der Rechtsstellung seiner Mitglieder, unter Staatsverfassung die Rechtssätze über die obersten Staatsorgane, ihre Bildung, gegenseitiges Verhältnis und Zuständigkeit und die grundsätzliche Stellung des Einzelnen zur Staatsgewalt. Die Verfassung stattet den Staat mit Organen aus und macht ihn willens- und handlungsfähig, so daß er durch sie zur Rechtspersönlichkeit wird.”1
An die Stelle dieser Bestimmung setzt er alsbald einen lebendigeren Begriff, indem er sagt:
„Die Verfassung ist die Rechtsordnung des Staats, genauer des Lebens, in dem der Staat seine Lebenswirklichkeit hat, nämlich seines Integrationsprozesses. Der Sinn dieses Prozesses ist die immer neue Herstellung der Lebenstotalität des Staates, und die Verfassung ist die gesetzliche Normierung einzelner Seiten dieses Prozesses.” (189)
Dies trifft auf Personen in der Verbindung mit Verrichtungen zu. Was Smend hier herausgebracht hat, ähnelt als Dynamisierung und Erschließung dem Satz Barths vom liturgischen und bekennenden Kirchenrecht.
Smend verweist hier auf eine frühere Stelle, wo er unter dem Titel „Die Einheit des Integrationssystems” von einem „Hin- und Heroszillieren kundgebender und verstehender Akte”2 spricht „mit seinem Ziel der Herstellung der Verständigung, der geistigen und sozialen Synthese, wenn auch noch so bescheidener Art.” (171) Man sieht ohne weiteres, daß dieser Begriff nicht nur auf die Gestalt von sozialen Verbänden aller Art, sondern sogar auf jedes Lebewesen Anwendung finden kann, in dem die Verschiedenheit der Organe und Lebensfunktionen zur Einheit verbunden ist und als Einheit gewahrt werden muß. In diesem Sinne redet man ja auch von der Konstitution des einzelnen Menschen und ihrer jeweiligen Beschaffenheit.
Damit ist zweierlei ausgesagt. Dem Begriff der Verfassung, der Konstitution als einem Bestehenden und Lebenden, liegt der Begriff der Institution voraus, jene ursprüngliche Setzung, aus der diese in der Geschichte, in der Zeit auftretende Einheit hervorgegangen ist, ihrem Anfang genommen hat. In dieser Institution ist virtuell die Eigenart jeder Einheit vorgezeichnet, die in der Verfassung ihr Wesen hat; daraus ergibt sich auch die Erfahrung, daß eine solche Einheit nur mit den Mitteln erhalten werden kann, denen sie ihre Entstehung verdankt. Daher also ist keine Institution möglich, ohne daß sie in einer Konstitution, einer Gestaltung ihrer Lebenselemente ihren deutlichen und beschreibbaren Ausdruck findet. Weer also von der Kirche als Institution zu sprechen bereit ist, muß auch, wie immer verstanden, von einer Konstitution zu sprechen bereit sein. Sie ist nicht eine hinzukommende Verhärtung oder Veräußerlichung, sondern der notwendig abgegrenzte Inbegriff der in ihr zusammengeschlossenen Lebensvollzüge überhaupt. Institution hat in Gestalt der Konstitution eine bestimmte, beschreibbare Struktur. Institution als Satzung und Gründung zu bejahen, aber deren Konstitution in den niederen Rang der jederzeitigen Beliebigkeit zu versetzen oder überhaupt zu vernachlässigen,
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ist ein Widerspruch in sich selbst. In der Moderne ist sowohl die Soziologie als auch die Linguistik auf den strukturellen Charakter der Sprache mit der Folge gestoßen, die sich in der Feststellung ausdrückt: „Jedenfalls ist der Mensch als sprechender, und das heißt natürlich auch als denkender Mensch Teil einer ,Struktur’; das heißt: er unterliegt Gesetzen, über die er nicht verfügt. Er unterliegt Wandlungen und Veränderungen, über die er gerade als Element dieser Struktur nichts aussagen kann.”3 Aus dieser Einsicht ergab sich der Begriff der Struktur: Struktur ist „ein System von Transformationen, das als System ... eigene Gesetze hat und das eben durch seine Transformationen erhalten bleibt oder reicher wird, ohne daß diese über seine Grenzen hinaus wirksam werden oder äußere Elemente hinzuziehen. Mit einem Wort: Eine Struktur umfaßt die drei Eigenschaften Ganzheit, Transformation und Selbstregelung”4. Struktur und Konstitution sind in Bezug auf einzelne und Kollektivsubjekte einigermaßen austauschbar.
Hier wird ersichtlich, daß der Begriff „Konstitution” sowohl auf den Aufbau wie auf den Zustand, die Befindlichkeit jedes lebenden Wesens angewendet werden kann und zugleich seine fortwährende Verwandlung inbegreift.
Im besonderen Blick auf die Kirche wird deutlich, daß die hier üblichen Unterscheidungen von sichtbar und unsichtbar, äußerlich und innerlich, personal und sachlich, statisch und dynamisch, für Verständnis und Beschreibung unzulänglich sind. Das gleiche gilt für den Gegensatz von „subjektiv” und „objektiv”. Vollends kann eine solche Gestalt nicht auf dem Wege der subjektiven Reflexion jeweils von Grund auf neu im Akt des Begreifens aufgebaut werden. Ohne die transsubjektiven Elemente jenes Phänomens können die möglichen Einsichten nicht sinnvoll eingeordnet und gedeutet werden.
Die Bedeutung des Vergleichs von Kirchenverfassung und Staatsverfassung hat in unserer Zeit eine außerordentliche Zuspitzung durch die noch unausgeschöpfte Erkenntnis Carl Schmitts erlangt, daß die präzisen Begriffe der Staatsrechtslehre säkularisierte Begriffe der Theologie geworden sind. Damit gewinnt der Vergleich von Kirche und Staat eine neue Qualität, welche den Vergleich zu anderen Weisen der Konstitution von Einheiten oder Lebewesen zurücktreten läßt.
Wenn im säkulargeschichtlichen Sinne am ehesten paradigmatisch der Begriff der Staatsverfassung ein Vergleichsobjekt für die Kirchenverfassung bietet, so ist um so nötiger, ungeachtet aller Vergleichbarkeit zu allererst die entscheidenden Unterschiede zwischen beiden herauszuarbeiten. Der Staat, das historisch-politische Gemeinwesen, die res publica, ist eine Weise der Selbstverwirklichung einer bestimmten Personeneinheit, die sich in einem historischen Prozeß gebildet hat und in diesem Gemeinwesen verbunden worden ist. Zu dieser Selbstverwirklichung gehört auch die Aufrechterhaltung ihrer Identität und darum als Teilfunktion auch Abgrenzung und Verteidigung, sowohl ihrer Entschlußfreiheit wie ihres sichtbaren Bestandes. Darum kann ein solches Gemeinwesen seine eigene Aufhebung und sein Ende nicht denken. Dies ist der einzige Fall, der in seiner Konzeption nicht vorkommen kann. Die Kirche
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dagegen ist ein Gemeinwesen, geht auf ein Ziel hin, in dem seine eigene Aufhebung ein Bestandteil ihres Selbstverständnisses ist. Daher bedeutet es einen entscheidenden Übergang im Staatsverständnis, wenn die Aufhebung des Staates selbst zum geschichtlichen Ziel erhoben wird. Es hat pseudoreligiöse Qualität, wenn die Selbstbehauptung in Gestalt des Staates als solche disqualifiziert wird. Diese radikale Negation des Staates hat jedoch zu einer bisher nie erreichten Steigerung der Staatsmacht geführt.
Die Identität der Kirche ist jedoch keine solche von Fleisch und Blut, welche das Reich Gottes nicht ererben werden. Sie ist allein durch die Identifizierung Christi mit dem Menschen begründet, durch die Wiedergeburt aus Wasser und Geist und deren ständige Erneuerung in der communio sanctorum. Die Geistschöpfung der Kirche macht den unüberbrückbaren Unterschied zwischen Kirche und Staat aus. Das sakrale Königtum ist demgegenüber nicht mehr als die Einsicht in den intelligiblen Gehalt von Repräsentation5. Der religiöse Gehalt dieser Anschauung gehört in den Bereich der natürlichen Religion, die im Grunde nicht „natürlich”, sondern ein Erzeugnis des sterblichen Geistes ist. Erst die Radikalität der Passion und Auferstehung Christi sprengt die Immanenz dieser Vorstellungen.
Von der Weiterbildung der Theorie in der Verhältnisbestimmung von potestas- und munera-Lehre und dem Übergang von der Institution zur Konstitution aus begegnen wir alsbald auch der Polarität von Repräsentation und Identität und der Frage, wieweit diese Begriffe auf der Kirchenverfassung Anwendung finden können. Carl Schmitt hat diese Dualität als Achse der Verfassungslehre zur Unbestrittenheit eingeführt. Eine vergleichbare Aussage findet sich schon in der Staatslehre des Thomas von Aquin, wenn er sagt, ein jedes Gemeinwesen müsse eine gewisse Art von Regiment, seine Angehörigen jedoch einen gewissen Anteil „aliquam partem” an diesem Regiment haben. Es gibt keine Herrschaft ohne die gleichzeitige Basis von Freien eigenen Rechten, selbst wenn deren Kreis begrenzt ist.
Carl Schmitt sagt in seiner Verfassungslehre unter der Überschrift „Die zwei Prinzipien politischer Form (Identität und Repräsentation)”:
„Die Verschiedenheit des Staatsformen beruht darauf, daß es zwei entgegengesetzte politische Gestaltungsprinzipien gibt, aus deren Verwirklichung jede politische Einheit ihre konkrete Form erhält. ... In der Wirklichkeit des politischen Lebens gibt es ebensowenig einen Staat, der auf alle Strukturelemente des Prinzips der Identität, wie einen Staat, der auf alle Strukturelemente der Repräsentation verzichten könnte. Auch da, wo der Versuch gemacht wird, unbedingt eine absolute Identität zu realiseren, bleiben Elemente und Methoden der Repräsentation unumgänglich, wie umgekehrt keine Repräsentation ohne Identitätsvorstellungen möglich ist. Diese beiden
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Möglichkeiten, Identität und Repräsentation, schließen sich nicht aus, sondern sind nur zwei entgegengesetzte Orientierungspunkte für die konkrete Gestaltung der politischen Einheit. Das eine oder andere überwiegt in jedem Staate, aber beide gehören zur politischen Existenz eines Volkes.”6
Carl Schmitt hat diesen, von ihm so grundsätzlich formulierten, in der Sache nicht neuen Tatbestand nicht weiter systematisch bearbeitet. Was er, im wesentlichen unbestritten, darbietet, bedeutet ein positiv-dialektisches Verhältnis. Zwei aufeinander nicht reduzierbare Strukturen sind in einem Ganzen so miteinander verbunden, daß keine von ihnen ohne die andere bestehen kann. Gerhard Leibholz, der dem Problem der Repräsentation umfassende Studien gewidmet hat, bezeichnet die Repräsentation selbst als einen dialektischen Begriff, insofern als ihre Funktion darin bestehe, daß etwas zugleich als abwesend und doch gegenwärtig dargestellt werde7. Daraus ergibt sich, daß das Ganze (etwa ein Gemeinwesen) in dialektisch in der Differenz von Repräsentation und Identität aufgebaut ist. Darüber hinaus ist Repräsentation in sich selbst in der Differenz von Anwesenheit und Abwesenheit dialektisch, die Identität jedoch, für sich betrachtet, undialektisch, monoform. Da Identität aber nach der vorausgesetzten These ohne Repräsentation nicht existieren kann, lebt sie in einem ständigen inneren Widerspruch. Sie zeigt die Tendenz, die Dialektik und Andersartigkeit des Ganzen wie der Repräsentation in ihre eigene Monoformität umzubilden und zu absorbieren, zugleich aber die von ihr selbst notwendig immer wieder hervorzubringende Repräsentation als eine ihrer Monoformität entgegenstehende Systemwidrigkeit zu minimalisieren, aber auch mit den verschiedensten Mitteln zu verdecken, zu dissimulieren.
Das Problem und Verhältnis von Repräsentation und Identität besteht in allen sozialgeschichtlichen Epochen. Es entsteht weder durch einen verfassungsgeschichtlichen Sündenfall noch kann es durch eine Art innerweltliche Erlösung aufgehoben oder zu Ende gebracht werden. Es hat, wie die Verhältnisbegriffe Gesamtheit, Mehrheit, Minderheit, Universalität und Partikularität kategorialen Charakter. Die darin beschlossenen Widersprüche sind ambivalent; sie können positiv-produktiv, sie können auch belastend, hemmend, zerstörend wirken, gestaltet und gehandhabt werden.
Das Phänomen der Identität zeigt sich in der Kirche zunächst in den schon früher behandelten Vorgängen der Identifikation. Ein Fortgang der Wirksamkeit Jesu wie jedes Stifters ist nur dadurch möglich, daß er sich in einer bestimmten Weise mit seinen Nachfolgern identifiziert, indem er selbst die Möglichkeit schafft, daß sie in seinem Sinne wirken. Diese Identifikation schafft eine überpersonale Identität zwischen den Erben dieser Wirksamkeit, die nun nicht mehr für sich allein existieren, sondern als Gruppe durch den identischen Bezug zugleich auch untereinander verbunden werden. Zugleich entsteht, wie schon früher dargetan, gegenüber allen Dritten, die noch nicht von der Identität umgriffen werden, das Verhältnis der Repräsentation. Identität und Repräsentation fallen also zunächst im engsten Raume zusammen, um erst später auseinanderzutreten.
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Was hier für die Wirksamkeit jesu zu Lebzeiten gesagt wird, tritt in ein neues Licht nach seinem Tode, in seiner Abwesenheit. Für den Fortgang des Werkes wird entscheidend, mit wem er sich dann noch weiter identifiziert. Das ist das besondere, spezifische, soziologisch interpretierbare Interesse, welches sich mit den Erscheinungen des Herrn zwischen Ostern und Pfingsten verbindet. Nicht nur die Zeit- und Rangfolge interessiert hier, sondern vor allem das Identitätsphänomen selbst. Dadurch, daß Er sich zeigt, zeigt Er selbst zugleich, daß seine Präsenz für den Betreffenden von bestimmender Bedeutung ist, daß er mit ihm verbunden ist und bleibt. Ein weiterer grundlegender Zug der Überlieferung wird dann in Acta 2, 42 bezeugt, wo das Festhalten identischer Überlieferung und geistlicher Praxis im ständigen Beisammensein berichtet wird. Der mächtigste Vorgang der Identitätsbildung geschieht dann Pfingsten, wo die natürlichen Grenzen der Verständigung manifest gesprengt und eine interpersonale Einheit geschaffen wird.
Hier zeigen sich zwei Linien oder Aspekte. Die einen Jünger erreicht Jesu direkt und unmittelbar durch die Aufforderung zur Nachfolge, dadurch, daß er sie seines Umgangs würdigt, „ihnen alles offenbart, was ihm der Vater offenbart hat”, sie ausdrücklich aussendet, dadurch, daß er sich ihnen nachösterlich zeigt. Auch Paulus wird auf besondere Weise ausgesondert und ausgewählt. Die Ausgießung des Geistes zu Pfingsten trifft eine Schar aus allen Völkern und symbolisiert zugleich eine Überwindung der babylonischen Sprachverwirrung. Zwischen der besonderen Berufung, Beauftragung und Sendung und der Geistverleihung an alle wird deutlich ein Unterschied gemacht, aber kein Gegensatz. Repräsentation in der Gemeinde und Mission und Identität bestehen also miteinander.
In diesem Zusammenhang kommt der frühen Ausbildung sakramentaler Lebensformen eine überragende Bedeutung zu. Sie sind hier in einem ursprünglichen Sinne als Vorgänge vorhanden und verstanden, durch welche Identität immer neu begründet und bestätigt wird.
Im Gegensatz zu der späteren Vorstellung eines „Gnadenmittels” bezeugen sowohl die biblischen Aussagen wie die frühen Liturgien eindringlich diesen kommunikatorischen Charakter, der communio nicht nur von oben nach unten, sondern immer zugleich zwischen den Beteiligten begründet. Pneumatische Identität ist es auch, die es ermöglicht, in den Geistgemeinden die Unterschiede der Gaben nicht zum Gegensatz werden zu lassen.
Ein neuer Aspekt unseres Problems ergibt sich aus einer geschichtlichen Betrachtung: Die Institutionalisierung des Pneuma als Versammlung und des Charismas als Amt.
Die Kirche ist durch das Mittel der Institutionalisierung in die Geschichte eingetreten. Sie hat sich in und durch übertragbare und multiplizierbare
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Rechts- und Lebensformen fortgepflanzt. Ohne diese wäre sie nach menschlichem Ermessen in ihrer Umwelt versickert. Institutionalisierung bedeutet die Durchbildung von Sozialisierungsprozessen, so daß ihre Ergebnisse auf dauernde Repetition gestellt werden, nicht die Oktroyierung einer fremden Verbindlichkeit. Eine der größten Schwierigkeiten der reformatorischen Theologie und folgeweise der Kirchenrechtslehre als Vermittlung von Einsichten über die Gestalt der Kirche liegt darin, daß das Verständnis für das Wesen sozialer Vorgänge seit langem verkümmert ist. Die Einsicht fehlt, daß Sozialisationen nicht primär durch Befehl und sonstige heteronome Einwirkungen, sondern spontan durch den Lebensvollzug vor sich gehen, sich bevestigen, verdichten und tradieren. So hat die Kirche in den ersten drei Jahrhunderten eine Fülle verbindlicher Lebensformen entwickelt, aus denen sich allmählich ein folgerichtiges Gefüge entwickelte. Wie kann man von „Soziologisierung” durch den Konstantinischen Bund sprechen, wenn dieser bereits weitreichende soziologische Tatbestände mit einem beträchtlichen Verbindlichkeitsgrad vorfand? Die Ämter wurden in einer bestimmten Gestalt (Kompetenzbereich und Handlungsformen) übertragen. Verbände (Gemeinden, Diözesen, Synoden) in einer ebenso geprägten Form nach bestimmten Grundrissen errichtet. So die Zwölfzahl als kanonische Mindestzahl (Vorbild des Apostelkreises), Grundausstattung einer Gemeinde in der Frühzeit wie bei Calvin, Ämtertrias in der Diözese.
Die Kirche hat in ihrer eigenen Institutionalisierung charisma und pneuma institutionalisiert. Beide Begriffe bezeichnen verschiedene soziologische Formen der Geistwirkung.
Pneuma ist die allen zukommende, alle betreffende, alle verbindende Geistwirkung. In einer uns fremd gewordenen direkten Weise spricht die Apostelgeschichte davon, daß bestimmte einzelne im Zusammenhang mit der Taufe den Heiligen Geist empfangen oder nicht empfangen hätten. Das seither bestehende Problem des Verhältnisses von Taufe und Firmung oder Konfirmation, von Wassertaufe oder Geisttaufe hat hier seinen Ursprung. Gleichwohl ist das pneuma als Geistmitteilung wiederum kommunikativ: im Pfingstereignis werden die Sprachschranken, das heißt die historisch-kontingente, traditional und genealogisch begründete Unterscheidung der Völker und Stämme und ihrer eigenen natürlichen Geistigkeit durchbrochen. Das Wort von den Zweien und Dreien, denen die Gegenwart Christi verheißen ist, ist eine pneumatologische Aussage, ebenso die Gebetsverheißung für das, worin zwei übereinkommen. Zwischen diesem verliehenen Geist Gottes und der menschlichen Subjektivität des je einzelnen besteht ein fundamentaler Unterschied. Das Erkennen im Geist durch den Geist ist die Weise, in der die bloße menschliche Willkür extrapoliert wird. Das „Erkennet Euch in dem Herrn” ist ein wesentliches Element des Gottesdienstes sowie zugleich ein konstituierender Vorgang des Kirchenrechts.
Auf der Gemeinsamkeit des pneumas in diesem konkreten und speziellen Sinne beruhen alle die kirchenrechtlichen Bildungen, welche Versammlungscharakter
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tragen. Die durch den Geist und im Geist versammelte Gemeinde ist nicht nur Hörer des Wortes, Empfänger der Botschaft, sondern kommt schon von einer Mitteilung und Austeilung des Geistes her, der sie befähigt, sich als solche zu verstehen und zu verhalten, rechten und falschen Glauben zu unterscheiden. Der Gemeindebegriff ist von vornherein eine Institutionalisierung des pneumas. Die Gemeinde ist ein pneumatisch konstituiertes und bevollmächtigtes Rechtssubjekt, wie sich im gottesdienstlichen Mithandeln, aber auch in den Rechtsakten der Ämterwahl, der Zustimmung zum Handeln einzeln Hervortretender und in der Rezeption der Lehre äußert.
Analog dazu sind auch alle früh ansetzenden synodalen Formen zu verstehen, ohne Rücksicht darauf, ob, wie zu Anfang, Delegierte verschiedener Gemeinden oder nur bestimmte Amtsträger zusammentreten, die durch Ordination qualifiziert sind. Die Synode ist weder die Vertreterversammlung eines religiösen Vereins noch sozusagen „zusammengetragener” Amtsgeist. Sie ist und wird nach ihrem Selbstverständnis überhaupt durch die Versammlung im Heiligen Geiste konstituiert. Dies kommt immer wieder in der Titulatur und der begründenden Einleitung ihrer Beschlüsse zum Ausdruck.
Dies gilt aber nicht nur für die beiden großen, früh bezeugten und dann fest gewordenen Formen von Gemeinde und Synode, sondern ist als allgemeine Form und grundlegendes Geschehen wirksam. Es gilt für alle Versammlungen von Christen. Vermöge ihres pneumatischen Charakters gilt dann der schon früher erläuterte Äquivalenzgrundsatz. Gemeinde und Synode sind also keine exklusiven Formen, sondern Anwendungsfälle, dauernde Formen eines allgemeinen Geschehens.
Der Geist ist wirksam in allen Bereichen und Schichten der Kirche. Congregatio ist die gottesdienstlich versammelte Gemeinde, Synode primär die Versammlung der Gemeindeleiter und Vertreter von Gemeinden im regionalen Zusammenhang, Konzil (zuweilen auch Synode genannt) ist eine allgemeine Kirchenversammlung, erklärtermaßen „im Heiligen Geist versammelt und die universale Kirche repräsentierend”. Konvent ist die charakteristische Versammlung der geschlossen Gemeinschaft einer Kommunität oder eines Ordens8.
Wer also den Gemeindegedanken, womöglich als Gemeindeprinzip mißverstanden, wer die Synodalverfassung vertritt und diese beiden als die wahren Formen der sichtbaren Kirche ansieht, muß anerkennen, daß es sich um eine institutionale Form handelt. Er kann gegen die Institutionalisierung der Kirche als solche nicht auftreten.
Mißverständnis und Gegensatz sind nun freilich darin begründet, daß zugleich mit der Institutionalisierung des pneumas auch die des charismas vollzogen worden ist. Paulus sagt im Praeskript des Römer-Briefs, daß er aphorismenos — herausgerissen durch den niederwerfenden Eingriff des Herrn in sein Leiden — zugleich „chárin kaí apostolén” empfangen habe — in der apostolé eine bestimmte Beauftragung und Bevollmächtigung, in der daneben genannten Gnadengabe eine Geistesgabe und Geistesmacht. Er sagt dagegen
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nicht, daß er das pneuma empfangen habe. Dies hat weder er in seinem apostolischen Selbstbewußtsein, noch seither irgendein anderer Christ von sich zu sagen gewagt: immer nur andere oder die Gemeinde im Ganzen können dies erkennen, bezeugen und anerkennen. Wer so reden würde, maßte sich den Geist an und lästert ihn, Paulus vermag von der empfangenen charis zu sprechen.
Die Ämter also und die Ämterordnung der Kirche beruhen auf der Institutionalisierung des charisma. Diejenigen, die eine besondere Berufung empfangen haben, erkennen lassen und dafür als geeignet erscheinen, werden erwählt und gesegnet. Schon die Selbstaussage des Paulus zeigt eindeutig die Rechtsstruktur der personalen Institution (Aussonderung und Zuordnung, Berufung und Bevollmächtigung).
Dabei hat die Kirche weder bei der Institutionalisierung des Charismas noch sonst irgendwann beansprucht oder gemeint, über diesen Geist zu verfügen, ihn aus ihrer Vollmacht übertragen zu können. Sie hat vielmehr mit eschatologischem Ernst ununterbrochen unternommen, die geistige Berufung der für ein Amt zu Erwählenden zu prüfen. Ebenso hat sie immer und mit hartnäckiger Inständigkeit um die Zuwendung und Verleihung des Geistes für den berufenen Erwählten gebetet. Wenn die eigenständige Personalität des Heiligen Geistes kein bloßes theologoumenon ist, so ist hier der Ort, wo er mit ganzem Ernst anzurufen ist. Man kan nicht sagen, daß er „ohnehin immer dabei” sei. Wer sich nicht an mehrdeutige und mißverständliche Sekundärbegriffe der dogmatischen oder kontroversen Theologie, sondern an die Texte der Kirchenordnungen und vor allem der Ordinationsliturgien seit den frühesten Zeiten der Kirche hält, kann unmöglich diese folgerichtige Haltung und diese, die Heiligkeit des Geistes scheuende Abgrenzung verkennen. Eine liturgiefremde Theologie, welche Liturgie als den praktischen Folgesatz dogmatischer Obersätze mißversteht, hat sich selbst das Mittel des Verständnisses genommen.
Das allgemeine pneuma und das besondere charisma haben seither und zunächst in einer dialektischen Wechselwirkung, in einem offenen Prozeß und System gestanden. Das Mißverständnis dieses Sachverhaltes hat in dem Augenblick begonnen, in dem die Kirche die allgemeine Institutionalisierung des pneumas zurücknahm und die Institutionalisierung auf die Hierarchie der Weihe als ein pneumatisches Ganzes beschränkte, bei dem per praesumptionem iuris pneuma und charisma zusammentrafen, nämlich auf den Klerus unter den Bedingungen der Ordination. Dies ist aber erst mit dem Ausgang des 1. Jahrtausends, nicht schon durch die Ausbildung eines sakramental ordinierten Klerus als solchen vor sich gegangen. Die Kirche hat auch in der Folgezeit der Gesamtheit der Gläubigen keineswegs die Verheißung und die Innewohnung des Geistes abgestritten. Die Erforschung des Glaubenssinnes der gesamten Kirche, die Lehre, daß die Kirche im Ganzen nicht irren könne, sind Belege dafür. Wohl ist aber die Institutionalisierung des pneumas entscheidend eingeschränkt worden. Seither gab es rechtlich kompetente Versammlungen nur mehr dort, wo das institutionalisierte charisma in der beschriebenen Weise
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mit dem pneuma institutionalisiert wurde. Dies ist auch der Grund dafür, weswegen bis heute und gerade in den neuesten Verfassungsentwürfen die synodalen Formen mit Beschlußkompetenz auf die Synoden von Amtsträgern (hier vollends nur von Bischöfen) beschränkt werden. Konsequent werden die von der Kirche selbst angeregten und gebildeten Räte, welche Laien einschließen, nur als eine Gestaltung zur Mitwirkung im Bereich des kirchlichen und administrativen Rechts verstanden, deren Handeln eine theologische Dignität und Rechtsverbindlichkeit nicht zukommt.
Es ist verständlich, daß diese Entrechtlichung des pneumas und damit die Entrechtung der Laien eine Gegenwirkung hervorgerufen hat. Die Institutionalisierung des pneumas wird als die allein legitime verstanden, und diejenige des charisma als Usurpation bekämpft, aufgrund des naheliegenden Mißverständnisses, daß die Rechtsstellung des Klerus gerade auf einer Monopolisierung des pneumas bestehe. Diese Verallgemeinerung des pneumas und die Ausschließung des charismas führt in der Konsequenz zur Bildung egalitärer Geistgemeinden, bei denen den besonderen Gaben des je einzelnen grundsätzlich keine institutionelle Bedeutung mehr beigemessen wird. Diese Gemeindeform ist die konsequente Umkehrung dessen, was sich in der Klerikalisierung der Exklusivität des Klerus vollzogen hat. Die produktive Spannung, die den biblischen Gemeinden noch innegewohnt hat, die Differenz zwischen charisma des einzelnen und pneuma der Gesamtheit ist hier ebenso durch eine wertende Vorwegentscheidung aufgehoben und unwirksam gemacht wie in einer Kleruskirche, die alles Aktivrecht der Hierarchie vorbehält. Sie ist also keine Wiederherstellung der Ursprungsverhältnisse, keine Verwirklichung des biblischen Vorbildes. Sie steht vielmehr in der Dialektik der Formgeschichte; sie beruht auf der Antithese zu der Position, auf welche sie reagiert, und durch die allein sie begründet wird und entstanden ist. Wenn also die Reformation mit vielem Recht die Exklusivität einer Kleruskirche als schwärmerisch verurteilt hat, so gilt dies in genau dem gleichen Maße und folgerichtig für amtlose Geistgemeinden. Was dann entsteht, ist ein Kollektivklerus, der von Wortführern ohne bestimmte Befugnis und Verantwortung weitaus tyrannischer geführt wird als von einem disziplinierten Klerus.
Die unmittelbare Bedeutung dieser Analyse für das Kirchenrecht zeigt sich im Vergleich der Hauptformen der historischen Kirchenverfassungen. Die Verfassungsgeschichte und die Grundstrukturen der Alten Kirche müssen immer wieder vor dem Mißverständnis einer Art Idealität bewahrt werden, nicht weniger als die biblischen Gemeinden, deren Schwäche und Angefochtenheit in den kanonischen Texten vielfach bezeugt wird. Aber soviel ist doch an dieser falsch verstandenen Idealität wahr, daß sich in der Alten Kirche Repräsentation und Identität miteinander vertragen haben. Sie sind in Formen ausgebildet und gelebt worden, die an keiner Stelle einen kontradiktorischen Gegensatz auftreten ließen. Eben dadurch unterscheidet sie sich von späteren Bildungen. Deutlich erlangen das Bischofsamt und die liturgische Hierarchie eine repräsentative Stellung. Sie ist aber in doppelter Weise in Identitätszusammenhänge
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eingebettet. Ihre primäre Ausrichtung geht auf die Eucharistie — wie heute noch in der Ostkirche. Sie ist auf Identität ausgerichtet. Damit steht sie in einem gemeindlichen Zusammenhang, auf den sie konstitutiv verwiesen ist. Zugleich ist aber das Bischofsamt rückgebunden und rückverwiesen auf die Identität der Gesamtkirche, in welcher die Bischofsgemeinschaft lebt und welche durch die Bischofsgemeinschaft repräsentiert wird. Die Repräsentation selbst steht in dieser schon relativ hoch ausgebildeten Form, also wiederum in einem Horizont von Identität.
Im altkirchlichen und orthodoxen Kirchenrecht wird für die kirchenrechtlichen Akte der bischöflichen Repräsentation bis hinein in die Ordinationsliturgien die freie Rezeption erfordert, sie wird regelmäßig erwartet und formelhaft ausgedrückt. Für die Dogmenbildung ist der Prozeß der Rezeption noch nicht einmal zeitlich begrenzt. Die Rezeption hat sich über längere Zeiträume erstreckt oder ist in längeren Zeiträumen durch neuere Gegenbewegungen bis zum endlichen Ausgleich gescheitert.
Die Tragweite dieser Relationen wird deutlich an den späteren Veränderungen. Denn in dem Maße, in dem der Klerus aus dem Gefüge der Gemeinde herausgelöst, ihr exklusiv gegenübergestellt wird, treten Repräsentation und Identität auseinander. Da aber kein Gemeinwesen ohne beides existieren kann, muß der Identität eine andere Qualität, ein anderer Stellenwert, zugewiesen werden. Sie kann nicht einfach geleugnet, sozusagen abgeschafft werden. Das Mittel dieser Neubestimmung ist eine Spiritualisierung. Der communio, in der die Identität lebt, wird ein sehr hoher pneumatischer Rang, höchste Bedeutung beigemessen, aber doch zugleich so, daß ihr reales Handeln keine selbständige Bedeutung beigemessen, aber doch zugleich so, daß ihr reales Handeln keine selbständige Bedeutung mehr besitzen kann. Die Identität kann in Akten der Zustimmung, in williger Mitwirkung gesehen oder sogar für unentbehrlich erklärt werden: entscheidend ist die Frage, ob zwischen Identität und Repräsentation auch ein konkreter, in verschiedenen Entscheidungen sich niederschlagender Gegensatz Platz haben kann. Hat die Gemeinde noch ein Wahlrecht, in dem sie wirklich entscheidet und den ungeeigneten Kandidaten verwirft, nimmt sie wirklich Stellung im gottesdienstlichen Geschehen, rezipiert sie die Lehre oder läßt sie sie bis zur Unwirksamkeit beiseite: Solange dies möglich ist, ist gerade durch die potentielle Differenz, die pneumatische Freiheit, der Konnex zwischen beiden Größen gesichert. Wird die Identität aber in dem ausschließlichen Handeln der repräsentativen Organe mit einer unausweichlichen Bindungswirkung für die Gesamtheit vorweggenommen, so wird gerade durch diese Ineinssetzung von Repräsentation und Identität die Identität aufgehoben. Da es sich aber um ein paradoxes Verhältnis handelt, wird dieser Sachverhalt um so leichter überspielt und verkannt.
Entsprechend der Basisfunktion der Liturgie hat sich diese Trennung in dem Maße durchgesetzt, in dem das eucharistische Handeln des Priesters von der Gemeinde abgetrennt wurde, sachlich den Opfercharakter annahm. Denn wenn der Priester auch für die Gemeinde opfert und sie repräsentiert, sie sogar spiritual in seinen Handeln hineinnimmt, so sind doch beide unübersteigbar
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und grundsätzlich geschieden. Von daher erklärt sich auch die auffällige Tatsache, daß das kirchenrechtliche Denken der römischen Kirche zwar das Sakrament zum Gegenstand, aber nicht zur Grundlage hat. Es bezieht sich maßgeblich auf das Amt, aber nicht wesentlich auf Identität.
Der Jurisdiktionsprimat des Papsttums im Sinne des Ersten Vaticanums enthält auf die Struktur betrachtet, die gleiche Identifikation von Repräsentation und objektiver Identität. Folgerichtig wird die Zustimmungsbedürftigkeit päpstlicher Kathedralentscheidungen aufgehoben. Folgerichtig wird die Identität unter Ausschluß von Verweigerung oder Alternativenbildung in den sensus ecclesiae außerrechtlich spiritualisiert. Um hier einen Konflikt zu vermeiden, wird vor Kathedralentscheidungen versucht, den vorhandenen sensus ecclesiae zu erkunden, wobei die Tendenz deutlich ist, abweichende Stimmen entweder in ihrer Bedeutung herunterzuspielen oder zur Anpassung an das beabsichtigte Ziel zu veranlassen.
Die Kategorialität von Repräsentation und Identität zeigt sich dabei in dem nicht behebbaren Widerspruch, daß die Konsens-Unbedürftigkeit päpstlicher Kathedralentscheidungen gerade durch den Konsens des ökumenischen Konzils zur Rechtskraft erhoben worden ist9.
Die grundsätzliche Legitimität von repraesentatio in der Kirche bezzeugen auch die Reformatoren und in ihrer Nachfolge gegen eine verbreitete Seinsvergessenheit Karl Barth, wenn er zitiert und sagt:
„Repraesentant Christi personam propter vocationem ecclesiae, non
repraesentant proprias personas ut testatur Christus: qui vos
audit, me audit. Cum verbum Christi, cum sacramenta porrigunt,
Christe vice et loco porrigunt. (Melanchthon, Apol., De ecclesia,
C.R. 27, 529.) Sehr nachdrücklich erklärt aber auch Calvin: ...
nun gelte von der christlichen Predigt: Deus ipse in mediu
prodit, et quatenus huius ordinis autor est, vult se praesentem
in sua institutione agnosci. Es handle sich dabei um den Erweis,
daß der Mensch tatsächlich ein Tempel Gottes werden könne. Es sei
weiter eine entscheidende Probe unserer Demut gegen Gott, daß wir
seinem Worte nicht etwa als einem direkt vom Himmel geredeten,
sondern so wie es uns begegne, im Munde eines homuncio quispiam
ex pulvere emersus, der in keiner Beziehung besser ist als wir,
Gehorsam zu leisten lernten. Und es sei endlich das stärkste Band
der Liebe untereinander, in der Gott uns verbinden wolle, daß er
in der Predigt sein Wort eben in den Mund eines Mitmenschen lege
und us damit verbiete, uns selbst genügen zu wollen. ...
Von diesem Begriff des verkündigten Wortes Gottes aus könnte auch
die bekannte Auszeichnung des Bischofsamtes, wie sie zuerst
besonders von Ignatius von Antiochien, dann von Irenaeus,
Tertullian und Cyprian vertreten worden ist, nicht als an sich
unmöglich bezeichnet werden. Man kann weder die katholische
Position richtig würdigen noch die richtige evangelische Position
beziehen, wenn man etwa (...) schon an dem Vikariats- bzw.
Sukzessionsgedanken an sich Anstoß nimmt. Man müßte schon den
Christus praesens leugnen, wenn man den vicarius
Christi grundsätzlich leugnen
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wollte. Der Dissensus zwischen der römisch-katholischen Dogmatik und uns, dem wir hier allerdings ins Auge sehen müssen, kann nicht das Daß, sondern nur das Wie dieses Vikariats- bzw. dieser Sukzession betreffen.”10
Wie ich schon in Band I10a unter Beweis gestellt habe, treffen freilich die weiteren Aussagen Barths die etwa bestreitbare und zu prüfende Lehre von der apostolischen Sukzession in den vorreformatorischen, insbesondere der katholischen Kirche aufgrund eines nicht nur zufälligen, sondern gerade objektiv geschichtlichen Mißverständnisses nicht. In diesem Zusammenhang genügt jedoch das „Daß” der Dualität von personaler Repräsentation und Identität. Paradoxerweise, aber nicht zufällig singen und sagen gerade die im Sinne von Erik Wolf repräsentationsfeindlichen Neu-Reformierten am unbedenklichsten von der Königsherrschaft Christi — befreit von der leibhaften Anschaulichkeit dieser Existenz in ihrer radikalen Gebrochenheit.
Über die strukturelle und geschichtliche Darstellung dieser
Lebensformen hinaus hat Walter Kasper ein sehr viel
grundsätzlicheres Problem in einem Versuch zur
systematisch-theologischen Klärung des Verfassungsproblems
vorgetragen. Es ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen
Christologie und Pneumatologie, um ein innertrinitarisches
Verhältnis, welches sich unabweisbar im Blick auf die Kirche
stellt. Denn es bestehen in der Schrift zwei verschiedene
Verheißungen der Gegenwart und damit des Beistandes:
1. die Präsenz Christi — „ich bin bei Euch alle Tage bis an der
Welt Ende”,
2. In der Ausgießung des Geistes zu Pfingsten und der Verheißung
des Geistes, der die Gläubigen in alle Wahrheit führt.
Die Frage nach dem Verhältnis beider Verheißungen ist bisher unbeantwortet. Sie stellte sich auch schon für die Sakramentenlehre11 in der Möglichkeit einer Unterscheidung von christologischen und pneumatologischen Sakramenten. Wenn auch dogmatisch-spekulative Fragen dieser Art eine Art Warnung in sich selbst tragen, so ist doch der Mangel an Versuchen, hier weiterzukommen, bedenklich. Angesichts der markanten Unterschiedenheit der Aussagen kann die Frage nicht dissimuliert oder durch das Postulat der ohnehin unbestrittenen Widerspruchslosigkeit zwischen Christus und dem Heiligen Geist beantwortet werden.
Indessen hat in gewisser Weise die Kirchenrechtsgeschichte in ihrer Phänomenalität ein Licht auf die Frage geworfen. Denn wenn katá pneuma die Einheit der Hypostasen der Trinität vorauszusetzen ist, so hat doch die Theologie die Diversitäten als Möglichkeiten des Verstehens und des entsprechenden Verhaltens ausgearbeitet. Ganz deutlich zeigen sich historische Kirchen entweder mit christologischem oder mit pneumatologischem Schwerpunkt und Typus. Die Kirchen der personalen Repräsentation sind die christologischen. Die Dominanz der Repräsentation in der römischen Kirche ist unbestreitbar; trotz
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und wegen der engen Verbindung von Wort, Amt und Geist hat die lutherische Kirche eine gewisse typologische Verwandtschaft zum Katholizismus behalten. Diese ermöglicht es ihr jetzt, sich der katholischen Kirche durch eine Ermäßigung der klassischen Gegensätze anzuverwandeln. Auf der orthodoxen wie auf der reformierten Seite ist die koinonia wie die Kollegialität sinnfällig dominant. Die Kirchen haben per fas aut nefas die Diversität konsequent in ihren Leitgedanken verfolgt. Was katá pneuma und nach der dogmatischen These konvergent ist, ist katá sarka gegensätzlich, ja alternativ. Diese vorhandene und geschichtlich gewordene Möglichkeit zeigt, daß die Diversität nicht sinnlos ist. Die Kirchen können aber angesichts der Trinitätslehre für diese Positionen, Grundsätze und Lösungen keine Ausschließlichkeit beanspruchen, müssen sie vielmehr als konvergent verstehen.
Nur der zweiwertigen Logik kann und darf dieses Verhältnis nicht unterworfen werden. Wenn aber die zweiwertige Logik in unserem Jahrtausend die Einheit der Kirche gesprengt hat, so könnte die ökumenische Situation der Gegenwart an der Schwelle zur Überwindung dieser Verstehensform stehen. Nach dieser Erfahrung kann Einheit nicht homogen sein, Vielfalt aber nicht eine belanglose und willkürliche Vielzahl.
Es müßte eine andere Form von Einheit sein, als bisher der katholische Universalismus darzustellen vermocht hat — die römische Kirche hat ja selbst den Universalienstreit beendigt; dahinter kann sie nicht mehr zurück.
Es handelt sich vielmehr um eine aufgetragene Korrelation — um die Absage an die menschlichste aller Versuchungen, in einer sola-Formel der Monoformität das Heil zu suchen.
Diese Interpretation trifft sich mit den Ergebnissen der kritischen Anwendung der munera-Lehre. Analog zur Dualität der Defizienzen quoad proportionem et quoad rem zeigt sich diejenige zwischen Bemächtigung und Entmächtigung12.
Verantwortlich nenne ich diejenigen Kirchen, die sich zu der Aufgabe bekannt haben, das Evangelium geistlich zu bekennen und denkerisch zu vertreten, indem sie das nicaenische Glaubensbekenntnis für sich als verpflichtend anerkennen. Sie handeln verantwortlich, indem sie sich in verbindlicher Gemeinschaft in diesen ihnen aufgegebenen Dienst stellen. Es sind die Kirchen, in deren Bereich der Canon gebildet, das Credo, der eucharistische Gottesdienst (der Messe) und das Bischofsamt als Amt der Einheit geschaffen wurden. Dieser Entfaltung haben weltliche Kräfte Raum gegeben und sie begünstigt, sind aber selbst nicht imstande gewesen, zu dieser Gestaltung beizutragen.
Verantwortlichkeit heißt nicht nur die Pflicht und das Vermögen, anderen, Gewalthabern oder Genossen im Blick auf sein Tun zu antworten und
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damit sich zu verantworten. Verantwortlichkeit ist zugleich die Fähigkeit und konstitutive Notwendigkeit, sich selbst über sein Tun und Lassen Rechenschaft zu geben, ein Gewissen zu haben und zu prüfen. Deshalb gehört zur Verantwortlichkeit der Kirche, daß sie selbst sich vor Gott Rechenschaft gibt über das, was sie tut oder versäumt. Daß Glieder der Kirche sich Gedanken und Sorgen machen über das, was in der Kirche geschieht oder nicht geschieht, ersetzt nicht diese gemeinsame Besinnung, die zum bekennenden Kirchenrecht — und damit zur Bekenntnispflicht der Kirche gehört.
Das heißt: eine nichtverfaßte Kirche ist eine nicht im vollen Sinne bekennende; denn sie legt ihrem Herrn und sich selbst nicht in communione Rechenschaft ab über ihren dienst — sie schafft nicht die Voraussetzungen, daß dies geschieht, wozu die geeignete form der congregatio gehört. Das frühe Synodalwesen der Kirche beruht auf der elementaren Notwendigkeit, sich coram Deo gegenseitig darüber zu vergewissern, ob man recht lehre und handele und dies in einer pneumatischen Begegnung der Identität immer wieder zu bestätigen. Kirchen der Rechtfertigung müssen immer zugleich Kirchen der Verantwortung sein.
Koalitionsfähig ist ein in der Geschichte existierendes individuelles oder kollektives Subjekt, welches imstande ist, sich unter Wahrung seiner Identität mit anderen Vergleichbaren zusammenzuschließen. Nicht koalitionsfähig ist ein Verband, der sich mit anderen nur unter der Bedingung von deren Unterwerfung (Staatsakt auf Unterwerfung) verbinden kann, also keine Bereiche der unangreifbaren Eigenständigkeit übrigläßt. Die Koalition bedeutet insofern mit ihrer Begründung immer nur die Bestätigung einer vorhandenen Gemeinsamkeit.
Ob und wieweit die getrennten Kirchen der Ökumene koalitionsfähig sind, ist nicht ohne weiteres klar. Die römische Kirche ist nur dann und insoweit koalitionsfähig, als sie trotz des Anspruchs der päpstlichen Vollgewalt Eigenrecht von Teilkirchen anerkennt.
Die Weltbünde der reformatorischen Kirchen sind nicht koalitionsfähig, weil diese keine Kirchen sind. Die in ihnen zusammengeschlossenen Partikularkirchen sind insoweit je für sich koalitionsfähig.
Für die bischöflichen Kirchen ist nur die Kirche koalitionsfähig, welche durch die apostolische Sukzession ihrer Bischöfe legitimiert ist, unbeschadet anderer Unterschiede. Für sie ist also eine personale Repräsentanz und deren pneumatischer Zusammenhang sowohl mit der geschichtlichen Tradition wie der konkreten gegenwärtigen Gemeinschaft der Bischöfe Bedingung. Die romfreien bischöflichen Kirchen haben also weniger ökumenische Probleme, weil sie weder mehr fordern (wie die Römer) noch wie die reformatorischen Kirchen weniger ekklesiale Merkmale besitzen.
Aus dem kritischen Durchgang durch den gegenwärtigen Bestand dieser Kirchen und ihrer Wechselbeziehungen mittels der kritischen Anwendung der munera-Lehre als einer Summe ihrer Aufgaben und Aufträge kann man diese Lage wie folgt umschreiben:
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Die römisch-katholische Kirche, der größte geschlossene kirchliche Verband unter gemeinsamer Leitung, steht vor der Aufgabe und ist auf dem ihr gewiesenen Weg, ihre eigene innere Proportion, das angemessene Verhältnis zwischen ihren Verrichtungen und deren Trägern zu suchen und herauszustellen und damit einer Verständigung mit den von ihr getrennten Kirchen den Weg zu öffnen.
Die reformatorischen Kirchen stehen vor der Aufgabe, sich so zu verfassen, daß sie imstande sind, mit anderen Kirchen verantwortlich zusammenzuwirken. Dies geht über Konsenstexte, deren Bedeutung allein in ihrem verbalen Vorhandensein, d.h. der Eröffnung oder Schließung bestimmter Positionsmöglichkeiten, liegt, grundsätzlich hinaus. Es geht vielmehr darum, ob eine Bekenntnisgemeinschaft imstande ist, ihr Bekenntnis verbindlich zu interpretieren.
Wenn auch unzweifelhaft das Ergebnis des II. Vatikanischen Konzils ein Remis ist, so hat das Konzil dennoch die schon früher dargestellten drei geschichtlichen Entscheidungen erbracht; die Episkopalisierung der Ämter, die Beendigung des Universalienstreits und die Übernahme der munera-Lehre. Alle drei sind zusammenzusehen, obwohl sie nicht einem reflektierten Programm entstammten und in ihrer Tragweite bisher nicht erkannt worden sind. Diese bereits vollzogenen Schritte betreffen die von Rom getrennten Kirchen insofern, als sie präzis auch die Probleme bezeichnen, deren Bewältigung einen wesentlichen, ja entscheidenden Schritt zur ökumenischen Verständigung bedeuten wurde. Sie kommen gleichsam von der entgegengesetzten Seite auf die Kirche zu. Erkennt die römische Kirche anstatt eines abstrakten Einheitsverständnisses die Partikularkirchen als konstitutive Elemente der Gesamtkirche an, so müßten jene gegen ihren traditionellen Partikularismus die verbindliche Vergemeinschaftung der Partikularkirchen in der Gesamtkirche als Gegebenheit und Aufgabe anerkennen.
Führt die römische Kirche das Amt in allen seinen Formen auf das Grundmaß des Bistums zurück, so müßten die getrennten Kirchen die Bischofsgemeinschaft als wesentliche und verbindliche Beziehungsform aufnehmen (Vischer, Lange, Siegwalt).
Erkennen die Kirchen das notwendige Miteinander ihrer Verrichtungen im Vollsinne an, so sollten die Kirchen den sich anbahnenden gesamtkirchlichen Konsens über die Drei-Ämter-Lehre (Gloege) ins Bewußtsein heben und vervollständigen.
Dabei ist die Frage, ob die getrennten Kirchen, betroffen und auch fixiert auf die schlimmen Erfahrungen der Geschichte die geistliche Vollmacht und zugleich die Bodenfreiheit von ihrer Befindlichkeit zu bewähren vermögen, ihre eigenen Einschränkungen erkennen, anerkennen und angehen.
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1 Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht,
München/Leipzig 1928, Neuabdruck in: ders., Staatsrechtliche
Abhandlungen, Berlin 1955, 119-276, hier: 185.
2 Smend zitiert an dieser Stelle Th. Litt, Individuum
und Gemeinschaft, Berlin 21924, 78.
3 Hans Bolewski, Der Protest, die Philosophie und der
Glaube — Die „Neuen Philosophen” in Frankreich, in: Impulse, Nr.
14, IV, 1980, hrsgg. Evangelische Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen, Stuttgart, 12 f.
4 Jean Piaget, Le structuralisme, 1968. Deutsch: Der
Strukturalismus, Olten/Freiburg 1973, 8. Zitiert nach: Hans
Bolewski, a.a.O., 13.
5 Vgl. Dombois, Strukturelle Staatslehre, Berlin 1952,
79 ff.
6 Carl Schmitt, Verfassungslehre, Berlin 1954
(Neudruck) 204-206.
7 Vgl. Gerhard Leibholz, Art. Repräsentation, in:
EStL, Stuttgart 21975, 2194-2199.
8 Vgl. RdG II, Kap. II, 35-51.
9 Vgl. auch Dombois, Hierarchie, Freiburg 1971, 82 ff.
„Die rechtssoziologische Bedeutung der päpstlichen
Unfehlbarkeit”. Hierauf habe ich bereits in meinen Ausführungen
über die Institution der Rezeption in Kap. XIII, 825 ff., des
ersten Bandes ausführlich hingewiesen.
10 Karl Barth, Kirchliche Dogmatik I, 1, Zürich
51947, 98 f.
10a Vgl. RdG I, 803.
11 RdG I, Kap. VII ff.
12 Der Tatbestand entspricht präzis im Strafrecht und
Kriminologie dem Verhältnis von Gewaltverbrechen und
Täuschungsverbrechen (falsa identificatio) — archetypisch von
Vatermord und Blutschande. Die Phänomenologie des manifesten
Verbrechens legt die negative Dialektik der Grundbefindlichkeit
des Menschen, die condition humaine, frei.
Verbrechen ist immer ein untauglicher Versuch — gerade auch das
vollendete —, der Versuch des Ausbruchs aus der bedrängenden
Unvollkommenheit dieser Zwischenexistenz, der Verdammnis zum
Selbstsein. — Vgl. Dombois, Mensch und Strafe, Glaube und
Forschung 14, Witten 1957, 12 ff., 23 ff. „Das Verbrechen als
Machtanmaßung” und „Genesis und Genealogie des Verbrechens”. Es
zeigt sich hier zugleich der sekundäre Charakter der
Normativität.