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Kapitel XVII

Das Bild der Kirchenrechtsgeschichte in Erik Wolfs Werk „Ordnung der Kirche” — Geschichte und System

Das Werk von Erik Wolf1 bietet sub specie Historie ein eigentümliches Bild. Ich nehme hier die schon in Band I2 geführte, wesentlich systematisch orientierte Auseinandersetzung unter dem Leitgedanken der Geschichte und der Kirchenverfassung noch einmal auf. In dieser Kritik möchte ich die verpflichtende, gemeinsame Herkunft aus der Bekennenden Kirche und das ebenso gemeinsame Ziel, die bedeutende Anregung Karl Barths zulänglich in die Kirchenrechtslehre umzusetzen, nicht verleugnen.

Der systematische Teil des Werks von Erik Wolf beginnt im vierten Kapitel mit dem Thema „Der ökumenisch verpflichtende Ursprung”.3 Hier finden sich zwei für das Gesamtwerk tragende Grundbegriffe: Christokratie und Bruderschaft. Diese Begriffe hat Wolf schon in einer früheren Abhandlung „Zur Rechtsgestalt der Kirche” 4 entwickelt. Auf diese nimmt Karl Barth 1955 in dem berühmten Abschnitt über die „Ordnung der Gemeinde” in Band IV/2 der „kirchlichen Dogmatik” Bezug, in welcher er Kirchenrecht gegen Sohm und Emil Brunner begründet. Er sagt hier ausdrücklich, diese Hauptdefinition von Wolf treffe genau das Richtige.5 Er bringt den Begriff etwas betonter als Wolf in dialektischer Verschränkung: bruderschaftliche Christokratie und christokratische Bruderschaft. Bei beiden ist die Nachordnung der Bruderschaft hinter der Christokratie deutlich. Entscheidendes Motiv bei Barth und Wolf ist der Grundsatz, daß die Person Christi selbst das alleinige Subjekt der Kirche sein und bleiben müsse. Die Bruderschaft sei eine Rechtsgemeinschaft, d.h. eine durch das überlegene Recht Jesu Christi geordnete Gemeinschaft. Hier findet sich freilich eine — durch die umfassende Entschiedenheit verdeckte — Einschränkung: wird diese Rechtsgemeinschaft durch das Recht Christi geordnet, wird sie dann nicht auch durch die Gerechtigkeit Gottes in Christo durch Christus selbst gegründet und als solche geschaffen? Diese Ordnung ist der Logos, d.h. die Proportionalität ihres sinngemäßen Aufbaus, aber diese Gemeinschaft als solche noch nicht.6

Beiden wenden sich auf alle Fälle mit Recht gegen eine Ekklesiologie, in der die Christen selbst in Gestalt einer Selbstversammlung oder Selbstverfassung der Glaubenden zum Subjekt der Kirche gemacht werden. Auf der anderen Seite bekämpft Barth „Juridifizierung, Bureaukratisierung, … Formalisierung und Technisierung des kirchlichen Lebens” als Phänomene, die jener Verwilderung und Auflösung der Kirche spiegelverkehrt gegenüberstehen. Diesem „Kirchenunrecht” gegenüber sei die der Sache entsprechende Rechtsgestalt geltend zu machen. Barth zitiert ein schönes Wort von Calvin: „Quant es de la vraye Eglise, nous croyons qu’elle doit estre gouvernée selon la police que nostre Seigneur Jesus Christ a establie”.7 Offenbar ist diese „police” Calvins so zu verstehen,

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daß sie nicht etwa eine verfälschende Analogie zum Staat oder anderen menschlichen Organisationsformen zur Folge haben müsse und dürfe. Aber eben darum geht es, was diese police ausmacht. Ist hier mit Recht ein falsches Subjekt der Kirche abgewehrt, so ist doch bei beiden unbemerkt und ungefragt geblieben, inwieweit der fundamentale Gedanke der Christokratie selbst ein historisch-kontingentes Element enthält.

Die beiden Begriffe Christokratie und Bruderschaft werden mit einer längeren Begründung als thetische, ja als apodiktische Fundamentalaussagen vorgetragen. Sie werden nicht als thema probandum verwendet, welches sich in der Durchführung abklärt und bewährt, auch nicht als heuristischer Begriff, der sich in der Analyse der vielfältigen Phänomene der Kirchenrechtsgeschichte an Bildungen wie Mißbildungen zu erweisen hätte. Nicht bemerkt worden ist, daß diesen Begriffen ein gewisses Pathos innewohnt, — daß diese Aussageform in den anderen Konfessionen reformatorischen Ursprungs nicht ohne einen deutlich empfundenen Bruch in der Terminologie und vor allem schon in der Sache selbst übernommen werden könnte und deshalb auch tatsächlich nirgends übernommen worden ist. Es ist das Antipathos gegen jede Form personaler Vollmacht und Repräsentation; es ist eine pneumatologische Frage. Barth selbst stellt seinen gesamten Ausführungen zum Thema des Kirchenrechts den in Kap. XVI, Anm. 5 schon zitierten Leitsatz voraus, eine Art „nota praevia”.

Man kann nicht zweifeln, daß der Begriff der Christokratie auf Bedenken und Mißtrauen stößt. Man kann ihn sich etwa im Munde Luthers schwerlich vorstellen. Er ist sicher in der Ökumene nicht konsensfähig: auch in der Ökumene gibt es ein „Recht des Nächsten”. Man sollte sich nicht auf die vermeintliche Evidenz einer Formel verlassen, sondern fragen, ob andere Christen imstande sind, darin ihren Glauben an einer entscheidenden Spitzenstelle wiederzufinden. Das ist deswegen schwerlich der Fall, weil dieser Begriff das dialektische Miteinander von Erniedrigung und Erhöhung, von Opfer und Richter nicht ausdrückt.

Man muß auch die Bedeutung dieses Begriffs und seinen christologischen Kern an anderen vergleichbaren, aber nicht die gleiche Intention ausdrückenden Begriffen überprüfen. Es bieten sich an der Begriff der Theokratie, das Prädikat Pantokrator, die Begriffe Demokratie, Monarchie, Hierarchie.

Der Begriff der Theokratie ist nicht die Selbstbezeichnung einer verfaßten Religion, sondern ein wissenschaftlicher Begriff. Der Vergleich mit der Christokratie liegt nahe, weil Gestalt und Praxis des frühen Genfer Calvinismus mit einigem Recht als theokratisch bezeichnet werden kann. Wolf steht, ohne sich (wie Heckel an Luther) an Calvin oder den alten Bestand des calvinistischen Kirchenrechts zu binden, doch ohne Zweifel in einer ungebrochenen Tradition des Calvinismus.

Wenn Wolf unbefangen gegenüber faktischen theokratischen Tendenzen in der eigenen Tradition zum Begriff der Christokratie übergeht, so offenbar in der Annahme, daß darin eine Richtigstellung oder Abschneidung solcher Bildungen gewährleistet sei.

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Theokratie ist begrifflich nicht auf eine priesterliche Prärogative zu beschränken. Sie kann auch imperativ in puritanischer Gesetzlichkeit die Glieder ihrer Gemeinschaft zur Heiligung zu führen und zu nötigen versuchen. Es ist die Gestalt eines geistlichen Rigorismus, der den Herrschaftswillen der Theokratie zu einer Art Odium generis humani gemacht hat. Aber bei alledem bleibt das Wortelement der „kratie”, des „kratos”, der Macht und Gewalt dieser Begriffsverbindung bestehen. Sie findet sich auch in der Demokratie, in der alle Gewalt vom Volk ausgeht. Im Gegensatz dazu ist in den Begriffen Hierarchie und Monarchie, die arché, Anfang, Legitimation und Tradition und damit der Zwang zur Ausweisung einer gewissen Kontinuität, der Innehaltung einsichtiger Grundsätze mitgegeben.

Andererseits kommen die „kratien” nicht um die Beantwortung der Frage herum, in wessen Person nunmehr die notwendigen Entscheidungen als legitime vollzogen werden. Die Frage „quis iudicabit” muß beantwortet werden. Wolf übergeht nun trotz seiner Traditionsbindung völlig die Tatsache, daß Calvin in der „Institutio” die von mir in Band II8 wiedergegebenen Erwägungen angestellt hat. Sie haben ihn dazu geführt, in einer aristokratischen Verfassung den Mittelweg zwischen Monarchie, d.h. monarchischem Episkopat, und Demokratie, d.h. Souveränität der Gemeinde zu wählen. In der Sprache Wolfs hätte er also den Ausgleich zwischen Christokratie und Bruderschaft darin gefunden, daß der Charakter personaler Autorität in der Auswahl bewährter, sich mehr oder minder selbst ergänzender Gremien gesichert wird, während umgekehrt der grundsätzlich kollegiale Charakter dieser Gremien der Willkür einzelner widersteht. So würde sich die säkulare Tradition als eine menschlich weise Vermittlung vorgegebener geistlicher Elemente bewähren. Bei Wolf erscheint hiervon nichts, und er übergeht auch den aristokratischen Charakter des älteren Calvinismus als eine mehr kontingente Gestaltung. Deutlich hat sich nunmehr diese Verschränkung in eine dominant demokratische Struktur verschoben, die am besten in der positiven Bezeichnung „presbyteral-synodal” wiedergegeben wird, wobei zwei dominante kollegiale Wurzeln sich mit dem historisch abflachenden Gedanken der Bewährung verbinden. Indessen zeigt sich hier sehr viel mehr. Christokratie heißt nicht nur allgemein und grundsätzlich die Ausschließlichkeit der Autorität Christi im Sinne des Barthschen Zitats. Die konfessionelle und historische Spitze dieses Begriffs und die Gemeinsamkeit der reformierten Tradition liegt in der Ausscheidung des personalen Charakters des Amtes, der personalen Repräsentation, die sich in der episkopalen Tradition einschließlich der lutherischen (CA XXVIII) durchgehalten hat.9 Gerade hierüber aber bestehen geschichtliche und konfessionelle Differenzen, nach Art und Grad verschieden. In diesem Sinne ist Christokratie ein konfessioneller Begriff, der darum schon im Luthertum, aber auch sonst keine Wurzel in der Ekklesiologie hat. Wolfs Selbsttäuschung darüber, daß man das gleiche in der Sache und zugleich auch die Dualität von vertikaler und horizontaler Dimension intendiere, ist selbst konfessionsspezifisch. Die Erkenntnis, daß gerade diese

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Ausscheidung des personalen Elements keineswegs biblisch, sondern nur eine historisch-kontingente Anschauung neben anderen ist, ist allzu bitter, weil sei sein kirchengeschichtliches Weltbild verändern müßte.

Indem die vertikale Autorität Christi und die ausschließlich horizontale Strukturform der Kirche im Begriff und Postulat verbunden werden, erscheint die konkrete Verbindung beider nicht als Problem, wie noch bei Calvin.

Dies wird daran deutlich, daß er gleich eingangs eine übergreifende Gemeinsamkeit zwischen lutherischer und reformierter Kirchenstruktur mit einem Element der Entrüstung ablehnt.

Die Tragweite des pneumatologischen Spitzensatzes scheint mir auch in dem Gesamtwerk von Wolf trotz der Barthschen Zustimmung zu seinen Hauptaussagen nicht ausgeschöpft. Denn in Wahrheit ist die grundsätzliche Rückverweisung auf die Alleinigkeit von Person und Werk Christi in der gesamten Kirche und ihrer Kirchenrechtslehre unbestritten. Wie verhält sich aber hier der im Worte Gottes als Schriftwort erkennbare und Auslegware Wille Christi als einsichtiger Sachverhalt, zu den Personen, die ihn vollstrecken? Wie vollzieht sich die traditio und repraesentatio, die aufgetragen ist? Es geht hier sowohl um die unvermeidliche Diversität der Auslegungen wie um die Frage der geistlichen Vollmacht zu rechter Vollstreckung. Dieses Verhältnis zwischen geistlicher Existenz und theologischer Einsicht ist durch die Rückverweisung auf jene Alleinigkeit und ihre verpflichtende Kraft nicht nur nicht gelöst, sondern als Problem verdeckt.

Die von Barth behandelte Frage nach dem personalen und damit repräsentativen Charakter des Amtes wird bei Wolf thematisch nicht aufgenommen. Trotz Barths Zustimmung zu dem Leitbegriff der Christokratie besteht hier zwischen beiden ein wesentlicher Unterschied.

Eine besondere Note erhält diese Begriffsbildung dadurch, daß deutlich unter Barthschem Einfluß die Barmer Synode von 1934 unter Vermeidung des — nicht im Konsens stehenden Begriffs Christokratie — von der Kirche als „Gemeinde von Brüdern” spricht. Ob dies nun ein locus communis oder spezifische Konsequenz oder eine Kurzfassung Barthscher Kirchenrechtskonzeption ist, wurde nicht zur Frage, weil die Lutheraner (laut Brunotte) jede bekenntnismäßige Aussage zur Gestalt der Kirche ablehnten. Sie stellt sich jetzt allerdings neu, weil nun auf der Grundlage von Barmen III unter Einschluss von Unionslutheranern der Versuch einer neuen Ekklesiologie gemacht wird.10

Es ist jedoch nicht nur eine pneumatologische, sondern zugleich eine geschichtliche Frage. Schien der älteren Auffassung dieser Übergang von der Offenbarung in die Geschichte durch den Apostat als personale Tradition gesichert, so hat die reformatorische Theologie dieses Problem noch einmal weitergeschoben; indem sie die unmittelbare Beauftragung und Bevollmächtigung der Apostel als eine einmalige und unwiederholbare verstanden hat. Damit stellt sich dann für die nachapostolische Zeit das Problem mit erneuter Verschärfung.

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Die Relation zwischen beiden als solche ist in historisch sehr verschiedenen Formen zum Ausdruck gebracht und zu lösen versucht worden. Die auch von Barth11 in ihrem Wesen verkannte Theorie der apostolischen Sukzession der Bischöfe ist, wie man sie auch immer beurteilt, ein Ausdruck dieses Problems und ein Versuch seiner Lösung. Denn sie versucht, dual die personale, pneumatisch verstandene Vollmacht mit der Bindung an die Lehre der Kirche zu vereinen. Verschwindet diese Relation überhaupt und wird alles auf die sachliche Evidenz, die Erkenntnis dieses Willens abgestellt, so ist dies allein inhaltliche Lösung (successio est evangelium), also die Ersetzung der dualen Verbindung durch eine monadische Form als solche ein interpretationsfähiges geschichtliches Phänomen. Das Verständnis des Verhältnisses zwischen Person und inhaltlicher Erkenntnis verwandelt sich im Zuge geistesgeschichtlicher Entwicklungen auch in der Geschichte des Kirchenrechts. Geht man allein auf die Auslegung des offenbarten Willens, so spaltet sich die Frage nach dem personalen Element in zwei Richtungen. Einerseits entsteht die formelle Bindung an unterschiedliche, objektivierte konfessionelle Lehren und anderseits die Verweisung auf den Geist, der weht, wo er will. Die Alte Kirche hat dieses Problem in der umgekehrten Richtung gelöst. Sie ging von der Personaltradition der verschiedenen apostolischen Jurisdiktionen aus und glich mit immanenter Folgerichtigkeit die Spannung zwischen Personaltradition und der Sache des Evangeliums durch die Rezeption der konziliaren Beschlüsse durch die universitas fidelium aus.

Daß der Begriff der Christokratie von vornherein nicht zur Klärung dieser zentralen Frage ausreicht, drückt sich bei Wolf darin aus, daß er unmittelbar nach jenen Grundbestimmungen eine Pluralität verschiedener apostolischer Gemeindeordnungen behauptet. Die systematische Anlage seiner Kirchenrechtslehre ist von vornherein mit einer historischen Hypothese verschränkt. Denn in § 23 behauptet Wolf, daß ein zweifacher Ansatz apostolischer Gemeindeverfassung für die spätere Entwicklung maßgebend geworden sei.12 Damit wird die Auslegung der Geschichte zum tragenden Element des Entwurfs. Er unterscheidet hier in Übereinstimmung mit Günther Holstein eine patrizische (jerusalemitische) Gemeindeordnung mit judaistischen Überlieferungen und eine paulinische (missionarische) Gemeindeordnung einer heidenchristlichen Missionsgemeinschaft. Die erstere beruhe — dies ist wohl der zentrale Satz — auf „geistlicher, wesenhaft durch Tradition, nicht nur durch persönliches Charisma bedingten Autorität” (161). In der paulinischen Gemeindeordnung sieht er dominierend ein besonderes Hervortreten christokratisch geordneter Gemeinschaft in der bruderschaftlichen Form der einzelnen Gemeinden und der Gemeindeverbände.

Er ergänzt diese Deutung durch den Verweis auf eine als strittig bezeichnete dritte Form, die sogenannte johanneische („ökumenische”) Gemeindeordnung. Im Gegensatz zu den beiden anderen, innergeschichtlichen Formen weise der eschatologische Aspekt dieser dritten Form auf eine Vereinigung beider im Überzeitlichen hin. „Von dieser Ansatz her ist Kirchenrecht ‘in ökumenischer

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Ausrichtung’ zu denken.” (165) Diese im Anfang verborgene, erst am Ende der Zeit voll in Erscheinung kommende Ordnung der Kirche sei die „ökumenische” (164). Diese Aussage bleibt mehrdeutig am Rande der letzten Dinge. Denn einerseits kann von Kirche nur innerhalb der Geschichte gesprochen werden, andererseits ist diese Konvergenz ausdrücklich nicht mehr voll innergeschichtlich zu verstehen.

Zugleich zeigt sich hier eine Art unvollständige Dialektik. Denn wenn die patrizische Kirchenverfassung dominant auf dem Element der Autorität und Tradition aufgebaut, also vertikal vorgestellt wird, so die paulinische vornehmlich auf dem Element bruderschaftlichen Konsenses, als horizontal. Diese Begriffe kommen früher auch bei Wolf vor, nicht aber mehr in der „Ordnung der Kirche”. Nicht dagegen ist davon die Rede, daß beide Formen reziprok jeweils eine gewisse Defizienz aufweisen, die im wechselseitigen Ausgleich wenn auch nicht auszuheben, so doch entscheidend einzuschränken wären.

Von auffälliger Dürftigkeit sind die Belege für die Fortbildung jener beiden Ordnungsformen in der Geschichte. Sie beschränken sich darauf, daß allein noch die Didaché im Gefüge der patrizischen Kirchenverfassung einen gewissen Ausgleich der Formen und eine Einbeziehung der paulinischen Tradition bedeutet habe. Sodann wird gesagt, daß die patrizische Gemeindeverfassung sich in der Zeit vom 5. bis 8. Jahrhundert stärker profiliert und verfestigt habe. Das ist alles. Auf diesem Wege wird die ganze übrige Rechtsentwicklung der alten Kirche dem patrizischen Typus zugeschlagen. Der Untergang der paulinischen Gemeindeordnung jedoch wird weder als Tatsache noch als interpretationsbedürftiges Symptom verzeichnet. Erkennbar wird auch eine merkwürdig selektive Aufnahme der kirchengeschichtlichen Forschungen, die zur Zeit der Abfassung des Werkes bereits vorlagen. Konnte Wolf gewiß nicht die exegetischen Ergebnisse Käsemanns über Sätze heiligen Rechts im NT und seine Beurteilung der paulinischen Gemeinden verwenden,13 so hat er doch unzweifelhaft von dem Spätwerk Rudolph Sohms über das altkatholische Kirchenrecht und das Dekret Gratians keine Kenntnis genommen und sich allein negativ an den früheren Thesen Sohms orientiert. Sein phänomenologisches Interesse an der Fülle und Vielgestaltigkeit der geschichtlichen Bildung ist für einen Rechtshistoriker erstaunlich gering. Trotz seiner grundsätzlichen Befassung mit dem Begriff des Bekenntnisses hat Wolf die wichtige Studie von Edmund Schlink14 über die Struktur dogmatischer Aussagen, insbesondere über den historischen Bruch zwischen doxologischem und dogmatischem Bekenntnis nicht verwertet. Wer in — einer beiläufigen und deutlich desinteressierten — Aufzählung der altkirchlichen Bekenntnisse das Athanasianum dem Apostolicum und Nicaenum voranstellt, kann unmöglich von ihrer qualitativen Unterschiedenheit Kenntnis genommen haben, die für die Frage des bekennenden Kirchenrechts wie für die Deutung der Kirchenrechtsgeschichte von hervorragender Bedeutung ist. Ebensowenig ist die Schrift von Werner Elert über „Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche, hauptsächlich des Ostens” 15 beachtet worden. Er benutzt beide Autoren als Gewährsmänner für

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Fragen der lutherischen Kirche, beachtet aber nicht ihre Forschungen zur alten Kirchengeschichte, welche in der Mitte der 50er Jahre Aufsehen erregten.

Wolf behandelt auch die konziliare Gesamtverfassung der Alten Kirche — vor allem Papsttum! — und deren Bekenntnisbildung mit einer Gleichgültigkeit, die dem Range dieser Erscheinungen in keiner Weise gerecht wird.

Dem entspricht, daß Wolf eine ausführliche Darstellen des gesamten katholischen Kirchenrechts — zugleich als Lernstoff seiner Hörer — rein positivistisch und ohne jeden kritischen Kommentar vorführt, während die Darstellung des Rechts der Ostkirche auf zweieinhalb Seiten beschränkt ist, und ihre weitgehende Identität mit der kirchenrechtlichen Tradition des ersten Jahrtausends unreflektiert bleibt. Sie erhält kein größeres Gewicht als partikulare Sonderbildungen. Im Gesamtbild werden die mit immanenter Folgerichtigkeit sich entwickelnde katholische Kirche und die reformatorischen Kirchen entsprechend den beiden Grundtypen als allein systematisch relevante Erscheinungen behandelt. Unbeachtet bleibt auch der von Sohm herausgearbeitete und an konkreten kirchenrechtlichen Entwicklungen belegte epochale Bruch zwischen Altkatholizismus und Neukatholizismus. Das Kirchengeschichtsbild Wolfs beschränkt sich daher auf den durchgängigen, als zeitlos vorgegeben verstandenen Gegensatz zwischen Katholizismus und Protestantismus. Unerörtert bleibt die Frage, wie wir als geschichtlich denkende Menschen uns mit einer Zeitdistanz von mindestens vierzehnhundert Jahren ein Wiederaufleben des Paulinismus vorzustellen haben.

Freilich hat Wolf damit eine äußerst weittragende Entscheidung für den Begriff des ökumenischen Kirchenrechts vollzogen. Sind diese beiden genannten Formen aufgrund des Apriorismus ursprünglicher Ansätze relativ legitim, so müssen ebenso beide von Rechts wegen auf die Ausschließung und Verneinung der jeweils anderen Form verzichten. Zu suspendieren sind also nicht nur die Anathemata, die zur Zeit der Reformation ausgesprochen worden sind. Stillschweigend ist damit zugleich der Anspruch des Papsttums und der katholischen Kirche auf Universaljurisdiktion und Alleinigkeit suspendiert. Die Frage der Einheit wird zugleich durch die systematische Behauptung ausgeschlossen, daß es vermöge der unvermeidlich unterschiedlichen Interpretation der Heiligen Schrift eine mundiale Verfassung der Kirche nicht geben könne. Er gibt also ein doppeltes apriori: die zwei apostolischen Traditionen — und die subjektive Diversität der Schriftauslegungen. Wolf legitimiert biblisch und geschichtlich bei den anderen, was er im eigenen Hause verdammt.

Demnach ist Wolf ein grundsätzlicher Lateiner. Dies ist besonders verwunderlich, weil der Geschichtsschreiber des griechischen Rechtsdenkens sich durch dieses Arbeitsgebiet nicht zu einem Verständnis der historischen Eigenart der Ostkirche hat motivieren lassen. Sowenig die Ostkirche als eine griechische Kirche mißverstanden werden darf, so bedeutend und unabweisbar ist doch der Anteil griechisch-byzantinischere Tradition in ihrer Entwicklung, welcher Wolf zum Einstieg in diesen Bereich hätte verhelfen können. Man kann diesen Widerspruch allenfalls dadurch erklären, daß Wolf einer akademisch-humanistischen

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Tradition verhaftet gewesen sei, welche den wesentlichen Gehalt des Griechentums und des Orients im westeuropäischen Bereich und dessen großer ideengeschichtlicher Entwicklung aufbewahrt und fortgeführt gesehen hat.

Diese Behandlung der Ostkirche ist auch rein biographisch höchst merkwürdig. Erfahrungen und Fragestellungen Wolfs haben sich wie die meinigen durch den Kirchenkampf gebildet. Gerade aber in den 30er Jahren hat die Ostkirche auf den Konferenzen von Oxford und Edinburgh einen sozial-ethisch wie ekklesiologisch so bedeutenden Beitrag geleistet, daß ihre Eigenständigkeit nicht gut übersehen werden konnte. Die vollen Texte beider Konferenzen sind, wenn nicht schon unmittelbar, so auf alle Fälle nach dem Kriege greifbar gewesen. Sie bildeten einen integrierenden Bestandteil der Arbeit von Faith and Order, ohne dessen Berücksichtigung nach dem Kriege nicht weitergearbeitet werden konnte. Die Ausscheidung dieser Ergebnisse der ökumenischen Bewegung ist schwer verständlich.

Aber die spezifische Einschränkung reicht weiter. Denn so gehen hätte die Kirche als Ganzes keine gemeinsame interpretationsfähige Geschichte. Ihre apriorischen Formen als Ursprungstradition sind — wie Ideen — unsterblich und treten irgendwann wieder einmal hervor, ohne daß dies einer Erklärung bedürfte oder zulänglich wäre. Zu den Merkwürdigkeiten dieser Anschauung gehört auch die Tatsache, daß mit dem Paulinismus der reformatorischen Kirchen nun gerade keine heidenchristliche Tradition erneuert worden ist, sondern die dem außerjüdischen Denken radikal fremde paulinische Problematik von Gesetz und Evangelium, die in diesem Bereich unvollziehbare Vorstellung einer personalen Gerechtigkeit und vollends im reformierten Bereich eine beinahe genealogisch verstandene Fortsetzung der Tradition des alten Bundes, um nicht zu sagen ein neuer Judaismus. Freilich könnte man bei unbegrenzter Anwendung dialektischer Deutungsformen — die ohnehin eine Crux des Wolfschen Werkes ist — das Verhältnis von Heidenchristentum und Judenchristentum so verstehen, daß es sich im Gegensatz zwischen Katholizismus und Protestantismus spiegelverkehrt erneuert habe. Diese Deutung hat freilich Wolf ferngelegen.

Dabei hätte Wolf unter der Voraussetzung seiner Ausgangsthesen eine sehr viel schlüssigere und einleuchtendere Deutung der Kirchengeschichte konzipieren können, wenn er die unbestrittenen Daten der Kirchenrechtsgeschichte verwertet hätte. Denn wenn nach Käsemann die paulinischen Gemeinden wegen ihres Spiritualismus zur geschichtlichen Fortbildung nicht geeignet gewesen sind, so konnte man mit Wolf und seinem Hinweis auf die Didaché die Dinge so deuten, daß die frühe Kirche vor dem Einschnitt etwa des 5. Jahrhunderts beide Traditionselemente wenigstens in solchem Grade vereint habe, daß das Hervortreten eines trennenden Gegensatzes langfristig vermieden werden konnte. Man könnte darauf verweisen, daß die altkirchliche Gemeindeverfassung, das Bischofswahlrecht der Gemeinden, die unbedingte Bindung des Gemeindebischofs an seine Gemeinde, die starke konziliare Bewegung, die bis in

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die Gegenwart durchgehaltene Gleichheit aller Bischöfe unbeschadet ihres auch damals schon sich abzeichnenden hierarchischen Rangs, zusammengenommen im großen Format horizontale Elemente enthält, die dem Typus der Bruderschaft entsprechen. Verwunderlich bleibt, daß der reformierte Verfechter des Synodalgedankens der großen Konzilsbildung und der Fülle der Partikularsynoden kaum Beachtung schenkt. Mit meiner Variation wäre die Auffassung von Andresen durchaus zu vereinen, welcher etwa vom 5. Jahrhundert ab — in Übereinstimmung mit den erwähnten Feststellungen von Schlink — den Anfang einer Trennung von Ost- und Westkirche angesetzt hat. Dabei hätte Wolf freilich beachten müssen, daß — heute ach von katholischer Seite anerkannt — nach Sohm die entscheidenden kirchenrechtlichen Veränderungen sich erst sehr viel später, nach den letzten allgemein anerkannten Konzilien (787 Nicaea II), etwa in dem großen Zeitraum zwischen der Totensynode von 897 bis zum 3. Laterankonzil von 1179, vollzogen haben.

Auffällig ist auch hier, wie wenig kirchenrechtlich und institutionsgeschichtlich Wolf argumentiert.

Nur eines hätte Wolf dann anerkennen müssen: die Fortdauer der älteren Kirchenverfassung in der Ostkirche mit ihrem dominierenden Begriff der koinonia und darin einem Element, welches dem bruderschaftlichen Gedanken seiner Konzeption kongenial ist. Hätte er sich aber diesem Tatbestand gestellt, so hätte er eine angebliche johanneische Versöhnung der streitenden Traditionen nicht spekulativ einbeziehen können, weil ihm für diese Lösung jeder typologische Anhalt gefehlt hätte. Wolf ist also nicht nur ein radikaler Lateiner, vielmehr auch gezwungen, für seine Deutung der gesamten Kirchenrechtsgeschichte durch Unterdrückung wesentlicher Tatbestände eine Endlösung vorzubehalten, in der die unaufgebbare Einheit der Christenheit quasi-eschatologisch in einer versöhnenden Synthese auch rechtlich wiederhergestellt wird. Er hat sich selbst einem Systemzwang unterworfen: nicht die historischen Fakten bestimmen die Deutung, sondern das geschichtstheologische Postulat der Übereinstimmung zwischen Anfang und Ende.

Aufgrund seiner eigenen Thesen hätte Wolf selbst zu wesentlich anderer Beurteilung auch der Konfessionsgeschichte kommen können.

Den Übergang vom altkatholischen zum neukatholischen Kirchenrecht könnte man so deuten, daß dies eben die Ausstoßung des vorhandenen und aufbewahrten anderen Traditionselements bewirkt habe. Denn zur Profilierung des jurisdiktionellen Elements gehörte auch die Verdrängung des Rezeptionsgedankens und der koinonia. Dann aber wäre die Kirchenspaltung von 1054 plausibel. Ebenso aber könnte argumentiert werden, daß eine weitere Verstärkung und einseitige Ausbildung des Autoritätselements der patrizischen Tradition im Hoch- und Spätmittelalter zur Abspaltung eines verbliebenen paulinisch-protestantischen Zuges geführt habe, wie dies Ranke in dem von mir schon früher zitierten Satze ausdrücklich sagt.16 Dann hätte die Kirchengeschichtstheorie Wolfs eher mit den unbestreitbaren Tatsachen und der zweifachen Kirchenspaltung zur Deckung gebracht werden können.

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Aber warum ist Wolf diesen Weg nicht gegangen? Eine solche Deutung hätte die Annahme vorausgesetzt, daß die ältere Kirchenrechtsgeschichte trotz einer Dominanz petrinischer Tradition — die er sehr pauschal und undifferenziert behauptet — noch beide Traditionen ohne die Nötigung eines Bruchs vereint habe. Diese Deutung aber hätte die Bereitschaft vorausgesetzt, auch die ältere Kirchengeschichte als die eigene anzuerkennen. Wenn koinonia und pantokrator von Ravenna und Byzanz den Verfechter von congregatio und Christokratie niemals als verwandte Erscheinungen überzeugend angesprochen haben, so bestand offenbar ein psychologischen Hindernis, in einer sakramental geprägten und bischöflich verfaßten Kirche ein Eigenes anzuerkennen. Abgesehen also von dem Systemzwang, in welchen sich Wolf durch die Annahme einer quasi-eschatologischen Synthesis begeben hat, bestand eine affektive Schwelle, die eine solche Identifikation und Anerkennung ausschloß. Sakramentenlehre und -recht wie das Bischofsamt sind die neuralgischen Punkte, an denen Wolfs Urteil absinkt, freilich damit auch den Anspruch eines Gesamturteils durch die eigene Konfessionalität — hier vielleicht wirklich Konfessionalismus?! — selbst in Frage stellt. Oder es war umgekehrt diese unbewußte Vorentscheidung zugleich die Voraussetzung für jene singuläre Konstruktion die man — wenn auch nur bis zu einem gewissen Grade — mit joachitischen Spekulationen in Vergleich stellen kann.

Zu den Grundvoraussetzungen der reformierten Kirchenrechtslehr nach seinen eigenen Verständnis wie zur Verfassungsfrage hat sich Wolf merklich deutlicher als in seinem eigenen Werk in seinem Beitrag im „Evangelischen Staatslexikon” 17 ausgedrückt. Er sagt hier, daß die reformierte Konzeption durchgängig die personale Repräsentation als Typus grundsätzlich verneint habe. Dies erklärt die konsequente Gegnerschaft gegen die älter bischöfliche Kirche wie gegen die typologisch episkopalen Elemente der lutherischen Tradition. So wird die erwähnte unübersteigbare Grenze und Schwelle klar motiviert. Um so mehr tritt aber der Widerspruch hervor, daß Wolf dem patrizischen Typus eine apostolische Legitimität zuspricht, gleichzeitig aber dem Leittypus des bischöflichen — und damit durchaus noch nicht päpstlichen! — Amtes keinen Platz in seiner Konzeption zubilligt. Für die bruderschaftlichen Formen wird die Differenz zwischen deren geistlicher Verwirklichung und den unvermeidlichen menschlichen Implikationen, Tendenzen und Verfehlungen in keiner Weise thematisiert. Alles, was auf bruderschaftlichen Gleichheit beruht, wird unproblematisch akzeptiert. Gegen die personalen Formen dagegen wird der volle Ausschluß ebenso problemlos statuiert. Während also Calvin die personalen Fähigkeiten der einzelnen mit der Kollegialität aller auszugleichen versucht, wird jedem Ausgleich zweier Organisationsformen grundsätzlich abgesagt. Die Kollegialität als solche, idealisiert als Bruderschaft, wird als der zureichende Grund verstanden, der es ermöglicht, in ihm eine angemessene Darstellung der Kirchenverfassung zu erblicken. Selbstverständlich liegt Wolf der Gedanke einer Demokratisierung der Kirche fern. Die Parallelität aber zu einer republikanisch-demokratischen Typologie erscheint nicht als Problem.

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Eben dieses Mißverhältnis hat freilich Wolf dann die Enttäuschung seines Lebens zu verdanken gehabt. Die Vorstellung einer durchgängig presbyteral-synodal verfaßten EKD erwies sich in einer Kirche als irreal, die zu etwa 9/10 von der lutherischen Tradition, also im Typus Episkopat, bestimmt war.

Dieses Mißverstehen, wie auch das Verhältnis zur Geschichte, scheint konfessionsspezifisch zu sein. Denn während es der grundsätzlich bischöflich verfaßten und an der Leibhaftigkeit des Sakramentalen unmittelbar interessierten lutherischen Tradition — ohne falsche Idealisierung — möglich und zugänglich ist, sich mit der frühen und Alten Kirche bis zu einem gewissen Grade verstehend zu identifizieren, scheinen nach dieser Erfahrung eben diese Elemente eine solche Haltung für die reformierte Seite auszuschließen. Eine gewisse Differenzierung besteht hier — vielleicht nur begrenzt belegbar — zwischen dem frühen Calvinismus des 16. Jahrhunderts und dessen späterer Entwicklung, in welche ein Element der rationalistischen Frühaufklärung eingeflossen ist.

Jene fragwürdige Geschichtskonzeption wird freilich durch eine Variation ergänzt, welche die Last dieser Behauptungen zu mildern bestimmt ist. Denn Wolf führt unterhalb der Ebene jener archetypischen Formen von Kirchenordnung die vorfindlichen Konfessionen im weiteren Durchgang auf einer sekundären Ebene vor. Die einzelnen Konfessionen werden in dem auch als ökumenische Kirchenrechtskunde organisierten Werk unter den Stichworten „theologoumena” und „Kirchentümer” geschildert. Aber unter theologoumena versteht man gemeinhin theologische Aussagen, die bestimmten Einsichten einen notwendig unvollkommenen und deswegen überbietbaren, derzeit aber nicht verbesserungsfähigen Ausdruck verleihen, also nur einen relativen Wert besitzen. Unter Kirchentümern versteht man die historisch-kontingenten Gestalten sichtbarer Kirchen, in denen sich theologische und außertheologische Faktoren zu einem unauflösbaren Syndrom sehr unterschiedlicher Motive zusammenfügen, denen also die volle Relativität des Historischen aufgebürdet werden kann. Auf dieser Ebene erscheint nun unbeschadet des Ausgangspunkts eine Mehrzahl von Konfessionen. Wolf verwirft deshalb auch an mehreren Stellen ausdrücklich und mit Konsequenz den Gedanken eines Einheitstypus reformatorischer Kirchenordnung. Denn während er dem Luthertum eine relative Prävalenz des Amtsgedanken, den Reformierten aber eine Dominanz der Gemeindegedankens und der Bruderschaft zuschreibt, will er doch auch hier von einem systematischen Ausgleich, einer dialektischen Vereinigung dieser Schwerpunkte im Grundsatz und als Ziel nichts wissen, wenn er auch gelungene Verbindungen in einzelnen — aber nicht allen — Unionskirchen glaubt annehmen zu dürfen. Er mußte daher auch Grundmann enttäuschen, als dieser ihm in seiner Abhandlung von 1959 in Fortbildung der Konzeption Johannes Heckels eine Art kirchenrechtlichen Unionismus nahelegte.18 Grundmann kann vielmehr unter Berufung auf Wolf für die Legitimität der Konfessionsbildung als den unvermeidbaren Folge unterschiedlicher Auslegung der Heiligen Schrift eintreten. Durch diese subjektive Legitimation der

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Einzelkonfessionen wird also der Bedeutungsanspruch der archetypischen Vorgaben im Blick auf die konkrete Geschichte bequem ermäßigt.19 Zu den Merkwürdigkeiten dieses Entwurfs gehört, daß eine solche historische Konzeption zwar mit einer gewissen Verwunderung aufgenommen, aber nur Selen genauer erörtert, und letzten Endes als eine problematische Besonderheit des Autors stehen gelassen worden ist. Weder die Struktur noch die Tragweite dieses historisches Elements ist in Erwägung gezogen worden. Die Lehre Wolfs ist allein auf ihren systematischen und dogmatischen Gehalt hin betrachtet worden. Sie zeigt aber gerade, daß Geschichte und Systematik voneinander nicht zu trennen sind. Im Gesamttypus zeigt dieser Apriorismus durch die letztlich Entwertung der Geschichte einen idealistischen Charakter. Die einfache Rezeption der systematischen Gedanken Wolfs ohne Rücksicht auf die damit verbundene Geschichtsinterpretation zeigt, daß auch die Kirchenrechtslehre die Formen des apriorischen Denkens noch nicht überwunden hatte.

Freilich ist bei Wolf eine philosophiegeschichtliche Verschiebung eingetreten, indem die apriorischen Begriffe in die Ständigkeit dialektischer Existenzauslegungen überführt worden ist. Daraus ergibt sich zuweilen ein fast surrealistisches Bild sich überschneidender dialektischer Aussagen. Kaum je dringen aber diese Aussagen bis zu einer schlüssigen Synthesis vor. Sie bewahren darin den Vorrang eines Entscheidungsdenkens, das sich hier nicht voluntaristisch, sondern pneumatologisch begründet. Deshalb erscheint der Gesamtentwurf gerade im Blick auf das profunde Wort von Calvin von der „police” unbefriedigend. Anders gesprochen: die existentialistische Darstellungsform verhindert, daß Wolf sich dem Verfassungsproblem als solchem stellt, wenn er auch in begrenztem Umfang über solche Fragen referiert. Auf Lücken und Widersprüche im Bereich der Alten Kirche wie auch in der Darstellung der eigenen Konfession habe ich schon hingewiesen. Überall jedenfalls, wo Wolf dem Verfassungsproblem begegnet, vermeidet er schlüssige Aussagen.

In der hier erforderlichen juristischen Theorie ist sowohl das Problem der Repräsentation wie das der Legitimation unerörtert geblieben. Denn daß die möglichen synodalen und kollegialen Formen als solche schon eine adäquate Form der Verfassung darstellen, bedürfte der Begründung und Erörterung. Aber wie an dem sonstigen Phänomenbestand der Kirchenrechtsgeschichte ist Wolf auch an den weitschichtigen Erörterungen uninteressiert gewesen, die das Problem des Konsenses und der Mehrheitsbildung in kirchlichen Gremien betreffen, ganz abgesehen vollends von den sehr problematischen Erfahrungen, welche sich mit der Entwicklung der bruderrätlichen Verfassung der Bekennenden Kirche unabweisbar ergeben hatten, und schließlich der Sozialpsychologie kollektiver Gremien.

Wolf will die Frage des Amtes durch die Theorie eines dialektischen Verhältnisses von Amt und Gemeinde lösen, indem er das Amt so zugleich aus dem allgemeinen Priestertum (gemeint ist das Priestertum aller Gläubigen) ableitet. Wenn schon (mit ihm) die Delegationstheorie in jedem Sinne

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abzulehnen ist, so wird die von ihm so bezeichnete Institutionstheorie nicht nur von den bei ihm genannten Vertretern einer Art Hochluthertum, sondern von CA V selbst gelehrt. Das Amt selbst ist divinitus institutum (CA V). Es unterscheidet sich hierdurch nicht von den reformierten Bekenntnisschriften. Diesen Begriff und seine Problematik übergeht aber Wolf. Während zwei Elementen einer Dialektik auf einer gemeinsamen Ebene stehen und nicht aufeinander reduziert werden können, ist das Amt nach allgemeiner Lehre der Kirche vorgegeben. Diese Vorgabe beruht auf den missionarischen Aufgabe, die Ausrichtung und Leitung auf ein eschatologisches Ziel, d.h. auf der Geschichtlichkeit der Kirche. Diese Antriebskraft lag im alten Calvinismus nicht bei einzelnen in der Personalität eines allumfassenden Amtes, sondern in einer Minderheit Bewährter und Erwählter, welche den festen Kreis der Kerngemeinde strikt leitete und den weiteren Kreis der zweideutigen und unbestimmten missionierte. Indem alle munera, alle Aufträge und alle Verpflichtungen in den von ihm beschriebenen Ordnungen und Gemeinschaften auf alle bezogen werden, ist dieses Spannungselement aus der Struktur herausgenommen hat Wolf mit der Tradition und Geschichte seiner eigenen Konfession auch die Geschichtlichkeit der Kirche selbst verloren.

Der Hirt gibt sein Leben für die Schafe, sie hören seine Stimme, aber er befindet sich nicht in einem dialektischen Verhältnis zu ihnen. Der Calvinismus hat die Unabhängigkeit der Verkündigung immer durchgehalten, aber das Amt der Leitung (munus regale) wegen des Mißbrauchs der personalen Repräsentation grundsätzlich kollegialisiert. Insofern die einzelnen Verrichtungen aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes austauschbar werden, verlieren sie tendenziell ihre personale Prägung und konkrete Substanz, sie können auch leicht kumuliert werden und zu Machtkumulationen führen, die sich hinter der Kollegialität verstecken. Hierarchie führt zu einsamen Entscheidungen, Theokratie zu verdeckten.

Sowenig wie der Erwählungsgedanke als zentrale Motivation der Verfassungsgestalt erkannt und offengelegt wird, so wenig auch die Differenz zwischen personaler und kollegialer Autorität, soziologisch und religionssoziologisch zwischen Hierarchie und Theokratie. Im Gegenteil: Hierarchie bekennt sich zu ihrer Autorität — bis zur Anmaßung, Theokratie verdeckt sie bis zur Tyrannei.

Ungebrochen (und durch zeitgemäße demokratische Anschauungen gestützt) besteht der Glaube, daß durch eine kollegiale Leitung das Problem der Macht prinzipiell in einer neuen Qualität dargestellt und angegangen, wenn nicht überhaupt gelöst werde. Die frühere Affizierung (nicht einfach Begründung) der Amtslehre durch paternale und monarchische Vorstellungen war nicht größer und nicht geringer als die heutige durch demokratische und egalitäre. Der monarchische Nimbus gehörte der natürlichen Religion an, der Glaube an die Egalität und Demokratie der aufgeklärten Autonomie.

Erst jenseits solcher zeitbedingten Einflüsse beginnen die theologischen Entscheidungen und Folgen.

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In dem Maße, indem ein Amt Verantwortung hat, hat es auch Autorität zu beanspruchen und diese ist personal, weil die Verantwortung eine eschatologische ist — der Begriff der Verantwortung kann, wie Georg Picht mit Recht gesagt hat, nicht entmythologisiert werden.

Es ist aber daran zu erinnern, wie streng das monarchische Amt der Frühzeit als unlösbare Bindung (Ehe) betrachtet, zugleich aber synodal unter Gleichberechtigten praktiziert wurde. Wenn es eine Dialektik gibt, so zwischen Universalität und Partikularität. Aber den Universalienstreit hat gerade die lateinische Kirche, die ihn angestiftet hatte, jetzt konziliar begraben.

Die Darstellung der Geschichtskonzeption will ich hier von einer Erörterung der Systematik nicht trennen. Auf der Grundlage seiner Ausgangsthese von Christokratie und Bruderschaft begründet Wolf die Auffassung, daß schon die Urgemeinde als ökumenisch-verpflichtender Ursprung eine Verfaßtheit ausgewiesen habe, die sich in einer Mehrzahl sogenannter Ordnungen darstelle. Methodisch ist von Bedeutung, daß seine Aussagen durchgängig triadisch aufgebaut sind. Gegenüber dieser Denkform treten duale Verhältnisse völlig zurück. Solche werden zwar an vielen Punkten genannt, kommen jedoch nirgends strukturell zur Wirkung. Selbst die fundamentale Dualität von Christokratie und Bruderschaft wird als solche nicht als Problem behandelt. Diese dialektischen Verhältnisse werden entweder als gegeben vorausgesetzt oder durch Spiritualisierung aufgehoben.

Außerhalb und am Rande dieser Erwägungen zum Gesamtentwurf ergeben sich noch eine Reihe von Gegenfragen und Feststellungen.

1. Wolf wendet sich zunächst — ähnlich wie ich — gegen die Ableitung des Kirchenrechts aus dem Kirchenbegriff. Diesem stellt er die kirchliche „Existenz” gegenüber.20 Das entspricht nicht dem Barthschen Ansatz der Handlungstheorie.

2. Die Reformation, die das Ganze der Heiligen Schrift gegen Verkürzungen im Blick hat, müßte sich dagegen wehren, nun ihrerseits auf eine Teiltradition verwiesen und beschränkt zu werden. Würde Wolf sich dem Gedanken stellen, daß eine Teiltradition auf beiden Seiten gewisse Einschränkungen und Begrenzungen mit sich bringen müßte, dann müßte er auch die Ergänzungsbedürftigkeit der von ihm durchgehaltenen reformierten Tradition, ihre relative Defizienz anerkennen. Aber keine Form einer solchen Bezüglichkeit hat er auch nur in Erwägung gezogen. So bereit er ist, alle anderen Kirchenformen, so wie sie sind, bestehen zu lassen, so eindeutig steht doch für ihn die Maßgeblichkeit der eigenen Konzeption als Kirche der christokratischen Bruderschaft fest.

3. Im Gegensatz zu den Lutheranern bestreitet Wolf nicht prinzipiell die Verfaßbarkeit der universalen Kirche. Die Einheit sei das Ziel, auch angesichts des gemeinsamen Ordnungsursprungs in den Kirchenordnungen der Frühzeit. Er meint nur, daß die Kirche nie vermocht habe, die in ihr intendierte Einheit mehr als versuchsweise zu verwirklichen. Diese Aussage blendet die alte Kirchenrechtsgeschichte aus und zeigt das Desinteresse an dem

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zentralen Problem der Ökumene, welches selbst bei skeptischer Beurteilung eine fundierte Behandlung unabweislich gemacht hätte.
Wolf sagt, es gäbe (heute) keine mundiale gemeinsame Lehrgrundlage. Er bestreitet dann alle Versuche, durch Extrapolation aus dem Gesamtbestand der Institutionen des ökumenischen Kirchenrechts einen Grundriß oder Entwurf heranzuziehen. Von seiner Beschreibung der methodischen Versuche und ihrer zum Teil polemisch gefärbten Abweisung fühle ich mich bei meinem Unterfangen, die faktische Gemeinsamkeit wesentlichere Grundsätze des Kirchenrechts im ökumenischen Bereich herauszuarbeiten, nicht betroffen. So zeigt er ein Ziel ohne Weg: da man zuvor keine gemeinsame Geschichte gehabt hat, so hat man sie auch jetzt nicht. Von einer überzeugenden Interpretation der Kirchenrechtsgeschichte kann bei Wolf keine Rede sein.

4. Erstaunlich gering ist der juristische Ertrag seiner umfangreichen Konstruktionen — abgesehen von der grundsätzlichen Anerkennung des Rechtselements bis zur Deckung von Geistkirche und Rechtskirche.
a) Er verschwendet keine Zeile an eine juristische Interpretation des Institutionsbegriffs — die dialektische Gegenüberstellung zum „Ereignis” muß für einen so bedeutenden und so oft mißdeuteten Begriff genügen. Er selbst verwendet den Begriff unterschiedlich ohne kritisches Interesse, teils dialektisch mit v. Almen, teils pejorativ. Die publizierten Ergebnisse der Institutionenkommission hat er nicht beachtet.
b) Der von ihm durchgängig benutzte Begriff der Ordnungen ist ohne erkennbaren Rechtsgehalt. Sie fassen jeweils die Rechtsbestimmungen eines bestimmten Bereichs formal zusammen. Rechtsstruktur und Rechtsgehalt entscheidender Vollzüge, wie Taufe und Ordination, wie der Liturgie als solcher, bleiben unerörtert.
c) Fragwürdig bleibt auch der Versuch, die Unterscheidung beider apostolischen Traditionen mit der munera-Lehre zu verbinden, die unvermeidlich dann in der Struktur des Kirchenbegriffs wiedergefunden werden muß. So gesehen würde die petrinische Tradition das regiminale und das priesterliche Element, die paulinische Tradition das Element des Lehramts als dominantes Merkmal zugewiesen erhalten. Das ergäbe eine dominante Wort- und Lehrkirche mit rezessiver Sakramentalität wie Leitungsvermögen. Das wäre eine erstaunliche Selbstdenunziation.

Bei folgerichtiger Durchführung des Gedankens könnte sich eine einigermaßen plausible Deutung der Diversität der Kirchen ergeben, indem sich die munera wie charismata verteilen — man müßte nur die Eigenständigkeit der Alten und Ostkiche anerkennen. Dann aber müßte sich eben jede Kirche grundsätzlich als eine einseitige Darstellung von Kirche verstehen — auf die reformierte.

Geistesgeschichtlich ist von Bedeutung, daß unbeschadet seines Übergangs in die Existenzphilosophie der phänomenologische Einschlag trotz der Fülle der dargebotenen Daten als methodische Deutungsform von objektiver Relevanz

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völlig fehlt. Der Wolfsche Existentialismus ist also im ganzen auf der Seite des subjektiven Idealismus geblieben.

Eine Weiterführung des Wolfschen Entwurfs, etwa in der Art wie sie Grundmann im Verhältnis zu Heckel unternommen hat, ist nicht zu verzeichnen gewesen. Er selbst hat sich nach diesem Hauptwerk weiterhin um die allgemeine Rechtstheologie im ethischen Bereich, nicht aber mehr um die Kirchenrechtslehre bemüht. Seine Lehre provoziert freilich auch keine systematische Weiterführung. Sie läßt vielmehr lediglich eine Weiterarbeit innerhalb des Spielraums der weitgefaßten Aussagen des Systems zu. Sie erschließt sich freilich einer grundsätzlichen Beurteilung auch deswegen nur schwer, weil sie allzu verschiedene Zweckbestimmungen vereint.

Dem lebendigen ökumenischen Impuls, der unzweifelhaft dem Werk zugrunde liegt, entspricht doch keine konkrete Quintessenz und Ausrichtung ökumenischen Wollens. Wenn allein eine quasi-eschatologische Synthesis das ökumenische Problem zu lösen imstande ist, so kann zwar dem Verhältnis der getrennten Kirchen die verletzende Schärfe genommen, ihnen aber kein manifestes Ziel vorgegeben werden. Wolf relativiert und ermäßigt alle Gegensätze, er anerkennt alle, auch die ungeliebten Lutheraner, verschafft aber durch diese doppelte Relativierung, eine eschatologische und eine innergeschichtliche, der eigenen Konfessionalität ein ökumenisch gutes Gewissen: können, müssen und mögen die anderen so sein wie sie sind, so vor allem die eigenen Konfessionsverwandten.

In der Vertretung der (von keiner Schule) weitergebildeten) Wolfschen Lehre wird die Abhängigkeit von einer Geschichtskonzeption und deren Fragwürdigkeit unbeachtet gelassen, als ob es sich um ein rein systematisches Werk handele.

Den entscheidenden denkerischen Schritt Barths zum liturgischen und bekennenden Recht hat Wolf in seiner Tragweite nicht erkannt, ihn nur verbal mitgemacht, und sich vorbehalten, über Sakramentenrecht und Liturgismus zu schimpfen. Denn sein — aus älterer Tradition stammender — Begriff der Ordnungen läßt die sich aus dem Vollzug selbst ergebenden Rechtsstrukturen — auf die schließlich auch Grundmann gestoßen ist — nicht hervortreten. Das Verhältnis von Barth und Wolf21 läßt noch einmal an die Fragen erinnern, die ich eingangs von Band I an den ersteren gestellt habe.22

 

Anmerkungen zu Kapitel XVII

1 Erik Wolf, Ordnung der Kirche, Frankfurt 1961.
2 Dombois, RdG I, Kap. I, 57-62.
3 Erik Wolf, Ordnung der Kirche, Frankfurt 1961, 152 ff.
4 Erik Wolf, Zur Rechtsgestalt der Kirche, Bekennende Kirche, FS f. M. Niemöller, München 1952, 254 ff.

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5 Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV/2, Zürich 1955, 770.
6 An dem Begriff der bruderschaftlichen Christokratie hat Otto Weber herbe Kritik geübt. „Doch wird man nicht übersehen dürfen, daß sich Paulus nicht zu einer auf seine eigenen Emotionen (!) oder auch auf diejenigen der ‘Bruderschaft’ begründeten Dienstleistung berufen sieht, sondern daß seinem Dienst ein auf Dauer abzielendes Moment eignet. Eben in der — unbestrittenen — Bevollmächtigung und in der Abzielung auf Dauer liegt das Merkmal des ‘Amtes’” (Otto Weber, Grundlagen der Dogmatik, Neunkirchen 1962, Bd. II, 628, Anm. 2). Weber meint, Barth und Erik Wolf hätten sich jenen Begriff durch das neulutherische Mißverständnis der diakonia als „Amt” aufnötigen lassen, und sieht in dieser Reaktion die Fehlerquelle. Er unterschätzt damit jedoch die Grundsätzlichkeit, mit der die These im ganzen System Barths verwurzelt ist.
G.C. Lichtenberg hat einmal gesagt: „Wenn am Ende das Glück des ganzen menschlichen Geschlechts in einer …kratie bestehen sollte, von der wir das erste Wort der Zusammensetzung nicht kennten, und das man nach Gebrauch der Mathematiker etwa durch X-kratie bezeichnen könnte, wer wollte dieses X richtig bestimmen? Ein Freund las Christokratie, und aus dem Innersten meiner Seele gesprochen, ich habe gegen diesen Wert von X nichts einzuwenden, wenn man nur erst über die Bedeutung des Wortes Christus recht eins wäre oder die so deutliche Bedeutung nicht mutwillig verkennen wollte.” (G.C. Lichtenberg, Vermischte Schriften II, 1801, 225. Zitiert bei: Joachim Staedtke, Die Lehre von der Königsherrschaft Christi und den zwei Reichen bei Calvin, in: KuD 18 (1972), 202-214, hier: 202.
Lichtenbergs Scharfsinn hat sofort erkannt, daß Christokratie eine subjektlose Spiritualisierung bedeutet, in der entweder keine oder eine zufällige, unlegitimierte Autorität wirksam wird.
7 Johannes Calvin, Confession de foy 1559, in: Wilhelm Niesel, Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen der nach Gottes Wort reformierten Kirche, Zürich 31938, hier: 73. Zitiert bei Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV/2, Zürich 1955, 771.
8 Vgl. RdG II, Kap. VII/2, bes. 143 u. 239, Anm. 95.
9 Vgl. Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV/2, Zürich 1955, § 67/4, 765-824.
10 Alfred Burgsmüller (Hg.), Kirche als „Gemeinde von Brüdern”, Veröffentlichung des Theologischen Ausschusses der EKU, Bd. 1, Gütersloh 1980, Bd. 2, Gütersloh 1981.
11 Vgl. RdG I, Kap. XII, 771-812.
12 Erik Wolf, Ordnung der Kirche, Frankfurt 1961, 160 ff.
13 Ernst Käsemann, Sätze heiligen Rechts im Neuen Testaments, in: NTS 2, 1955, 248-260.
14 Edmund Schlink, Die Struktur der dogmatischen Aussage als ökumenisches Problem, in: KuD 3, 1957, 251-306.
15 Werner Elert, Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche — hauptsächlich des Ostens, Berlin 1954.

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16 Leopold von Ranke, Die römischen Päpste, München/Leipzig 121923, Bd. I, 184 f., vgl. RdG II, 28.
17 Erik Wolf, Art. Kirchenverfassung, D. reformierte Kirche, in: EStL, Stuttgart 21975, 1272-1281.
18 Siegfried Grundmann, Das evangelische Kirchenrecht und die ökumenische Bewegung der Gegenwart, in: AöR 84, 1959, 1 ff.
19 Diese Ermäßigung des Grundsätzlichen gegenüber dem konkret-historisch Vorfindlichen zeigt sich in Aussagen über die reformierte Kirche: Wolf schildert an zwei Stellen die Struktur der reformierten Kirche in zwei verschiedenen, ja unvereinbaren Weisen:

„Die Ausübung sämtlicher Ämter (in erster Linie des Pfarramts) band auch Calvin an rechtmäßige Berufung (vocatio); sie wurde ‘Ordination’ genannt und durch Handauflegung bekräftigt. Grundsätzlich nicht durch Gemeindewahl, sondern durch die regionale Leitungssynode wurden Pfarrer oder andere Amtsträger ernannt; die ‘Ordination’ vollzog ein übergeordneter pasteur.
Die Gemeinde trat bei alledem nicht weiter in Erscheinung, als daß Calvin eine Billigung jeder Pfarrerberufung durch die Gemeindeältesten (bei kleinen Verhältnissen durch die Gemeindeversammlung) wünschte.” (Erik Wolf, Ordnung der Kirche, Frankfurt 1961, 370).

Auf der anderen Seite heißt es:

„Die reformierte Theologie versteht das Pfarramt als Auftrag der Gemeinde an eins ihrer Glieder, weshalb seine Einsetzung der Gemeinde zusteht, die seine Ausübung überprüfen kann und es (notfalls) auch zu entziehen vermag. ‘Ordination’ bedeutet für reformierte Auffassung nur Funktionszuweisung, sie begründet keinen ‘geistlichen Stand’. Regelmäßig wird das Amt erworben durch Gemeindewahl, ausnahmsweise in manchen Kirchen reformierten Ursprungs auch (gemäß biblischer Tradition) durch das Los.” (82)

Auffällig gegenüber der reformierten Synodaltradition —:

„Die Synoden stellten (wie die Presbyterien) eine — seit der ersten französischen Nationalsynode von St. Germain (1559) — von den Bekenntnisschriften und der Lehrtradition geforderte Anwendung des ‘Ältestenambts’ (und damit der Mehrämterlehre) auf regionaler (‘colloques’) oder provinzieller Ebene dar. Sie waren keine aus ‘sozialem Ressentiment’ entstandene ‘demokratische’ Institution, vielmehr ‘aristokratisch’ (teils als Pfarrsynode, teils unter Mitwirkung sozial angesehener Bürger) zusammengesetzt, sie können so wenig wie die Presbyterien als eine Forderung der politischen ‘Neuzeit’ gelten. Sie glichen weithin den lutherischen ‘Geistlichen Ministerien’ (Pfarrkonventen) und boten in ihren Verhandlungen dasselbe Bild eines bürokratischen ‘Geschäftsganges’, ohne das geistliche Lebensfeuer der Anfangsjahre der Reformation, fernab auch von dem zeitgenössischer Erweckungskreise.” (399)

Es hat sich also von dem historischen Bild zu dem gegenwärtig vertretenen Prinzip eine tiefgreifende Wandlung vollzogen, welche Wolf in die Nähe einer Art Delegationstheorie führt, die er im Prinzip gewiß ablehnt.

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Diese Darstellung der reformierten Kirchenformen hat mich veranlaßt, dem Kapitel VII einen Exkurs über die reformierte Ämterordnung beizufügen. Sie bekundet meine geschichtliche Verbundenheit und meinen Respekt vor ihrem strengen Ernst.
20 Erik Wolf, Ordnung der Kirche, Frankfurt 1961, 23: „Kirchenrecht ist eine Funktion kirchlicher Existenz.”
21 In seiner Grundkonzeption zeigt sich ein tragisches Element in Person und Werk Erik Wolfs. Er ist ein entschiedener Gegner alles Konfessionalismus und bekämpft ihn nicht ohne affektive Heftigkeit, wo immer er ihn vorzufinden meint — als ob er der einzige wäre, dem solche Erscheinungen der Verengung und Selbstbezogenheit beschwerlich sind! Aber eben dieses Pathos hat ihn deutlich gehindert, die eigene Konfessionsbestimmtheit mit ihrer unvermeidlichen Begrenzung in den Blick zu bekommen und dann auch zu extrapolieren. Dies wiederum hängt mit einer persönlichen Tendenz zur Abschließung zusammen. Der anerkannte Gelehrte und von seinen Schülern hochgeschätzte akademische Lehrer hat sich — von der Einladung des Rats der EKD bis zum Gespräch über sein eigenes Werk im Jahre 1962 — dem unmittelbaren Dialog kompetenter und gleich ihm für das verpflichtende Erbe des Kirchenkampfs engagierter Fachgenossen entzogen. Sein Werk ist jedenfalls durch und durch autobiographisch. Es bleibt ein Zeugnis für die Größe des Gegenstandes, dem er sich verpflichtet fühlte.
22 Vgl. RdG I, 46 ff.