Jesus selbst unterzieht sich einem priesterlichen Tun, einem Handeln, daß er an sich selbst nicht zu vollziehen vermag. Er läßt sich zu allererst von Johannes taufen, um alle Gerechtigkeit zu erfüllen, und wird damit unter das Gesetz getan. Er spricht sodann selbst aus, daß er mit einer (Blut)-Taufe getauft werden müsse, nämlich mit seiner Passion. Gott selbst opfert wie Abraham seinen eigenen Sohn, „auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden …” Auf Grund der Passion aber wird er erhöht und gebietet nunmehr seinen Jüngern, in seinem Namen wiederum zu taufen. Das Einzigartige im Handeln Jesu liegt darin, daß er etwas Unvertretbares gehorsam an sich geschehen läßt und damit
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zugleich stellvertretend für uns tut. Darin liegt zugleich Grund und Bedingung alles christlichen Priestertums in der Nachfolge, nicht in einem allgemeinen Priesterbegriff. Aber ohne das konkret-historische Handeln Gottes an seinem eigenen Sohn, wie ohne dessen Gehorsam, ist der ganze Sinn des Evangeliums zerstört.
Jesus hat nach dem Evangelium vor der Passion nur in der Zeit seiner Begegnung mit Johannes selbst getauft und seine Jünger taufen lassen, dann aber nicht mehr. Der Auferstandene dagegen gibt nicht nur den Missionsbefehl, sondern zugleich den Taufbefehl. Wir erweisen uns als die von der Verkündigung nicht Betroffenen, wenn wir nicht in seinen Gehorsam treten und uns auf seinen Namen taufen lassen, an uns ebenso das vollziehen lassen, was wir nicht selbst an uns vollziehen können. Die Taufe ist ein Akt des konkreten Gehorsams. Kreuz und Auferstehung sind ohne die Taufe in Wahrheit nicht existenziell, nicht weil ein „Äußeres” hinzukommen müßte, sondern weil der Gehorsam des An-sich-Vollziehen-Lassens in dem „In-sich-Geschäft” des Glaubens nicht enthalten ist. So gewiß Gott den Glauben wirkt, so gewiß fordert er die Nachfolge des Gehorsams in der Taufe. Der Glaube und die gehorsame Annahme des priesterlichen Handelns in der Taufe stehen nicht konsekutiv als Bekräftigung, Zeichen oder Sinnbild zueinander, sondern kontrapunktisch. Mehr noch: sie sind zeitlich different und damit Akte in geschichtlicher und eben deshalb weder kausaler noch abbildlicher Zuordnung. Der Glaube, daß Gott für uns ist, wäre nichts, wenn er nicht uns auch tötete und wir uns mit Christus töten ließen, damit wir leben. Ein konsekutives oder zeichenhaftes Verständnis der Taufe (und folgenweise aller Sakramente) geht an der Inkarnation, der Passion und mit beiden am Priestertum Christi vorbei.
Die Einzigartigkeit des christlichen Priestertums liegt in der Einzigartigkeit des inkarnierten Sohnes Gottes und seines Opfers begründet. Das Opfer Christi wird dargebracht für den Menschen, der dessen bedarf, was er selbst nicht kann und was er fälschlich meint selbst zu können, sei es durch selbstgeschaffene priesterliche Ämter und Verrichtungen, sei es durch sein eigene Handeln und Erkennen im Für-sich-sein.
„Mit Recht hat die Theologie der Reformatoren auf den
neutestamentlichen Tatbestand ihre Aufmerksamkeit gerichtet, daß
die Bezeichnung ,Priester’ im Bereich des Neuen Bundes nur dem
Herrn Christus selbst auf der einen Seite, der Gemeinde und dem
Christen als solchen auf der anderen Seite zuerkannt wird, aber
nicht einem besonderen Amt und seinen Trägern.
Christus wird im Brief an die
Hebräer im Blick auf die Aussagen des Alten Testaments über den
Königspriester Melchisedek als der wahre Hohepriester in Ewigkeit
bezeichnet … Er überhöht und erfüllt das alttestamentliche
Priestertum und steht insofern auch in einem gewissen Gegensatz
zum Priestertum des AT. Er mach ihm ein Ende.
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Der Sinn alles priesterlichen Handelns ist die Versöhnung und Heiligung des Menschen. Beides geschieht durch Opfer. Der Priester opfert. Eine eindringliche Betrachtung des alttestamentlichen Opferkultes läßt erkennen, daß mit dem Opfer die Bezahlung der Schuld gemeint ist und die Übergabe des Opfernden an Gott zu seiner Heiligung. Der Opfernde … überläßt sich Gottes Gericht und Gnade. Christus ist der wahre Priester, weil er das wahre Opfer darbringt, nämlich sich selbst in vollkommenem Gehorsam dem Zorngericht Gottes über die Sünder übergibt und damit die Heiligung, die Aufnahme in die gnädige Lebensgemeinschaft mit Gott ermöglicht, den Zugang zum Allerheiligsten eröffnet.” 1
Die zahlreichen systematischen und lexikographischen Darstellungen des Priestertums sind in den katholischen Kirchen wesentlich dem (exklusiven) Amtspriestertum zugewandt. Das alttestamentliche Priestertum erscheint als durch Christus erneuert und in den Neuen Bund tradiert. Hierbei tritt der Unterschied beider nicht überzeugend hervor. Die radikale Infragestellung der menschlichen Möglichkeit, zu opfern, wird auf der katholischen Seite ebensowenig deutlich, wie auf der protestantischen Seite der Grund dafür, daß das Neue Testament den Begriff in einem nicht nur zeitbedingten und apologetischen Sinne, sondern grundsätzlich festhält. Der Begriff des Priestertums hat in der evangelischen Theologie keine tragende Bedeutung und deshalb keine breite Entfaltung gefunden.
Das protestantische Schrifttum behandelt zunächst das religionsgeschichtliche und das alttestamentliche Priestertum und erklärt beide durch Christus für erfüllt und abgelöst. Das ihm folgende allgemeine Priestertum bildet keinen prägnanten Begriff mehr. Verkündigung, Fürbitte, Liebesdienst, fraterna consolatio sind in ihm unter dem allgemeinen Dienstgedanken als Gottesdienst ohne entschiedene Zuordnung zum Kultus verbunden. Der Gedanke der Stellvertretung und Heilsvermittlung wird mit unterschiedlicher Bestimmtheit ausgeschieden, tritt jedenfalls zurück. Diese Gleichung Priestertum = Dienst schließt spezifisch priesterliche Verrichtungen nicht aus und hält durch deren Einbeziehung den diffus gewordenen Begriff gewissermaßen am Leben, stellt ihn aber zugleich durch die Erstreckung auf die gesamte Ethik in Frage, läßt ihn formelhaft und traditionell erscheinen. Eine so verstandene Lehre von der Kirche könnte ihn missen, wenn er nicht biblisch gegeben wäre und in der Antithese zum Amtspriestertum der katholischen Kirchen fortlebte. Der traditionelle Begriff wird behauptet oder bestritten, aber nicht existenziell interpretiert.
Johannes Heckel zitiert gänzlich unbetont ein Wort Luthers „Szo werden wir allesampt durch die tauff zu priestern geweyhet”. 2 Heckel nennt den Begriff des allgemeinen Priestertums eine polemische, gegen die Unterscheidung von Priestern und Laien gerichtete, an das kanonische Recht anklingende Formel (c. 12 D. XL — omnis sanctus sacerdos
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est), deren Bedeutung als positives rechtliches Aufbauprinzip für ein Kirchenwesen überschätzt werde (zustimmend Maurer und Althaus, der hervorhebt, daß das Priestertum zur Rechtssetzung und äußeren Kirchenleitung nach Luther nicht die Befugnis gebe). Das gegen das exklusive Amtspriestertum gerichtete Wort des kanonischen Rechts wird merkwürdigerweise nicht ausgewertet und das Priestertum durch die Unterscheidung von ecclesia spiritualis und ecclesia universalis in seiner Bedeutung gemindert.
Ungleich positiver spricht Paul Althaus3 vom Priestertum. Es bedeutete: jeder steht für andere vor Gott, jeder weiß, daß andere für ihn vor Gott stehen. Es ist die innere Gestalt und Verfassung der Gemeinde. Die Kirche ist Gemeinschaft, indem jeder vor Gott von anderen und für andere lebt. Hierin fand Luther den Sinn des Glaubensartikels von der communio sanctorum. „Es erweist sich in der Verkündigung des Willens Gottes und seines Evangeliums aneinander, nicht zuletzt in der Verkündigung der Vergebung der Sünden, in der ,Absolution’: aber überhaupt in mutuum colloquium und consolatio fratrum. Er betont dann Einstehen für einander, die Güter- und Lastengemeinschaft der Kirche und in der Kirche und vor allem die Fürbitte. Stärker noch ist ein von ihm zitiertes Lutherwort: „… wie die Engel im Himmel, wie Christus selbst, so bitten auch die Heiligen auf Erden oder vielleicht auch im Himmel für uns”.4 In alledem wird einer des anderen Christus.5
Den Mißbrauch des Begriffs „allgemeines Priestertum” als religiöse Autarkie und exklusive Reichsunmittelbarkeit kann man also Althaus nicht vorwerfen. Durch den Abstand von Luther zu Althaus und von Althaus zu dem am Priesterbegriff uninteressierten Heckel werden wir genötigt, schärfer zu fragen, was dieses Gefälle erzeugt hat. So tief und unverzichtbar der Gedanke der Wechselseitigkeit ist (der eine trage des andern Last, wechselseitige Anerkennung geistlicher Entscheidung als Begriff des Kirchenrechts), so hat doch schon communio sanctorum (man beachte die Umstellung der ursprünglichen Reihenfolge) primär nicht diesen Sinn. Das Wort steht an einer ganz anderen Stelle des Bekenntnisses. Die Betonung der Wechselseitigkeit öffnet den Begriff in Richtung auf eine allgemeine Ethik, in der nichts Unverwechselbares mehr geschieht. Es ist ein anderes, ob im Spital die Kranken sich gegenseitig helfen, oder ob Arzt und Patient einander gegenüber stehen. So konkret Fürbitte und Absolution sind, so konkret kann auch die Verkündigung Gnadenverkündigung sein, aber sie kann sich auch ebenso in den allgemeinen Begriff der Verkündigung verlaufen. So steht Althaus zwischen dem Erbe Luthers und einer ethisierenden Verkündigungstheologie. Aber zugleich ist sichtbar, daß das Erbe des einen nicht stark genug ist, damit es sich von dem anderen wirklich zu unterscheiden vermöchte.
Hans Storck bringt in seiner Monographie über das allgemeine
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Priestertum bei Luther6 wesentlich mehr Material über die Anschauung Luthers als Althaus. Das zunächst zitierte Wort „Wer mein Wort hat und gleubet, der ist ein Priester” läßt über dem Interesse am WORT das Spezifische des Priestertums selbst nicht erkennen. Das gilt auch für ein schon deutlicheres: „Was ist nu ein Priester? Inn welches Mund Got sein Wort legt”.7 Darum läßt Storck ein erläuterndes Wort von anderer Stelle folgen: dies ist noch „viel mehr, denn künig sein darumb das das Priestertum uns wirdig macht fur Gott zu treten und fur andere zu bitten”. Damit entfaltet sich die Anschauung genauer. „Königtum und Priestertum erscheinen nicht nur als synonyme Begriffe … Sie werden von Luther oft auch wie folgt unterschieden”:
„Also ist nu yglicher Christ ein König für sich selber und ein Priester für andere. Das Priesterthumb ist höher denn das Königreich, es breyt sich weiter aus, Denn der Priester treibt das Wort nicht allein für sich, sondern fur andere, den glauben aber, durch welchen er erstlich König wird, hat er für sich allein.” 8
Dieses Priestertum ist eine „geystliche Gewalt, wilche nichts anderes ist denn das der Priester dahertritt, nimpt alle gebrechen des volks auff sich, nicht anders als wäre es sein eigen”.9
Ein solches Tun, interpretiert Storck, mach den Christen Christus gleichförmig. Daran schließt sich ein Wort über das Opfer:
„Wenn wir auch Priester sind, sollen wir auch opfern, nemlich leiden — Leiden der Christen ist auch ein Bischofflich ampt, aber es vergibt die Sunde nicht, doch mus sein, Denn der alte Adam mus ausgefeget sein.” 10
Als die drei Verrichtungen des Priesters, die Christus selbst vollzogen und seinen Jüngern als Priestern übertragen hat, bezeichnet er:11 als das höchste die Selbstaufopferung des Leibes, als zweites die Fürbitte, als das dritte die Verkündigung.
Es ist also sichtbar, daß Priestertum, Opfer, Leiden, Stellvertretung untrennbar miteinander verbunden sind, daß der Begriff sachlich zentral, unverzichtbar und nicht metaphorisch ist.
Doch bedürfen diese Aussagen der Auslegung. Ihre Problematik wird in der wiederholten Unterscheidung von Priestertun und Königtum sichtbar. Diese erscheint, wiewohl hier im rein geistlichen Bereich allein, wie eine Rückwirkung mittelalterlicher Theorien über die zwei Schwerter, von denen das geistliche höher zu werten ist. Es entspricht, auch rein geschichtlich, der Lage, die im konstantinischen Bund eingetreten ist, in dem das Reich bei aller sakralen Würde eben doch mit seiner Alleinigkeit seine Reichsunmittelbarkeit im Reiche Gottes, seine Souveränität im strengen Sinne durch die Anerkennung eines eigenständigen parallel geordneten Rechtsträgers, der Kirche, verloren hat. Aber darum kann es sich ja hier nicht handeln. Denn hier, wo es um den gekreuzigten rex Judaeorum geht, kann und muß von der Fülle beider Begriffe
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geredet werden. Sie werden zwar beide auch noch wie bisher synonym gebraucht, aber ihre Zusammengehörigkeit wird nicht mehr als sachlich notwendig verstanden. Der König selbst ist Opfer und Opfernder zugleich und darum Priester zugleich. Er ist nicht Priester, weil er herrscht und also auch dieses Opfer für das Volk vollzieht, sondern er herrscht, weil er der Geopferte und zu Opfernde ist. Er repräsentiert das Volk vor Gott mit seiner Schuld in persönlicher Ausgesetztheit, er repräsentiert in seiner Unverletzlichkeit die Herrschaft Gottes über das Volk, die nicht aus dessen Selbstherrschaft hervorgeht, nicht von dieser abhängt. Diese Repräsentation hat ein doppeltes Gesicht, kann aber nicht auseinandergelegt werden. Das Verständnis des Königtums von der Sachaufgabe der Herrschaft her verwechselt die Folge mit dem Grund, die Funktion mit dem Wesen. Der Typus des Königtums ist noch etwas anderes als die Verfassungsform der Monarchie. Der König repräsentiert nicht, weil er herrscht, sondern er herrscht, weil er repräsentiert.12
Reden wir hier von Priestertum und Königtum Christi, so muß unvermeidlich auch von seinem Richteramt gesprochen werden. Die reformatorische Theologie hat die Lehre vom triplex munus, vom dreifachen Amt entwickelt13 und irgendwie immer festgehalten.14
Königtum und Richteramt sind nicht zu trennen. Der König ist der eigentliche Richter, in dessen Namen der Richter urteilt, der zurücktritt, wenn der König selbst anwesend ist. Er repräsentiert den König unter Einschluß der geschichtlichen Kontingenz dieses Königtums. Am allerwenigsten ist der Richter der Vollstrecker eines über dem König und ihm stehenden metaphysischen Gesetzes. Das ist eine Lehre, mit der der dogmatische Rationalismus die Geschichtlichkeit des Rechtes zu beseitigen getrachtet hat. Die Geschichtlichkeit des Rechtsspruches muß immer personal verantwortet werden.15
Das Richteramt nimmt teil an der dialektischen Spannung zwischen unantastbarer Hoheit und tiefster Solidarität, welche dem Königtum eingestiftet ist. Das Zusammentreffen von actio und passio, von Herrschaft und Opfer gilt für beide Ämter. Jesus selbst hat sich in einem konkret-historischen Verfahren von der größten rechtlichen Genauigkeit richten lassen, hat die Gerichtshoheit des Pontius Pilatus, dessen Name in das Bekenntnis der Kirche eingegangen ist, nicht um seinetwillen, sondern um des Gehorsames gegen den Vaterwillen ausdrücklich anerkannt.
Richtet nun der Christ alle Dinge und wird er von niemandem gerichtet, nimmt er also wie am königlichen Priestertum auch am Richteramt Christi teil, so doch eben nicht als Person an sich, auch nicht als christlich qualifizierte Person, sondern sofern er Christ ist, d.h. sofern er mit Christus in der Taufe getötet und begraben ist, sofern er sich immer wieder vom Worte Gottes richten läßt. Dieses Sich-Richten-Lassen ist die stete Bedingung des Christseins.