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Vorwort

 

Gegenstand und gegenwärtige Lage der Kirchenrechtslehre

Das Ende des fürstlichen Summepiskopats im Jahre 1918 kam für die evangelischen Landeskirchen in Deutschland überraschend und sogar unerwünscht. Nur relativ schwache Kräfte in der Kirche haben die Beendigung dieses geschichtlichen Zustandes erstrebt, obwohl spätestens mit der Gründung des zweiten Deutschen Reiches endgültig die Notsituation weggefallen war, mit der er im Ursprung gerechtfertigt worden war. Es ist völlig deutlich, daß dieser vorwiegend lutherische Protestantismus vom Bekenntnis, von seinem theologischen und ekklesiologischen Selbstverständnis sich nicht genötigt sah, eine Eigenständigkeit der Kirche und des Kirchenrechts im Ernst zu vertreten. Es war nicht einmal mehr eine vis haud ingrata, sondern ein positiv gewerteter Zustand. Rudolf Sohm hatte sogar mit großer geistiger Kraft, wenn auch nicht unbestritten, die Unvereinbarkeit von Kirche und Recht behauptet. Noch im Jahre 1905 konnte von theologisch-liberaler Seite eine Verstärkung des Staatskirchencharakters als „echt protestantisch” vertreten werden.

Die unerwünschte und zufällige Freiheit der Kirche hat auch nach 1918 zu keiner durchgreifenden Neubesinnung geführt. Die fürstlichen Landesbischöfe waren gefallen, das Landeskirchentum blieb. Man paßte sich lediglich der neuen Lage an. Ein Versuch grundsätzlicher Bewältigung unter Berücksichtigung der neueren Reichs-Gottes-Theologie wurde von Günter Holstein in seinen „Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts” (1928) gemacht. Sein Unternehmen, Geistkirche und Rechtskirche einander zuzuordnen, war im Grunde nur die positive Umkehrung der Sohm’schen Lehre und beruhte noch auf dem geschichtlichen Bündnis von Idealismus und Christentum, welches im 19. Jahrhundert den Höhepunkt seiner Wirksamkeit erreicht hatte. Die Radikalität der Barthschen Theologie und die Erfahrung des Kirchenkampfes haben alldem ein kirchengeschichtliches Ende bereitet. Der heute sehr aktuelle Versuch, im Zeichen einer Neubelebung des theologischen Liberalismus hinter diese Tatsachen zurückzugehen, ist im strengen Sinne reaktionär. Daß Holsteins Begriffe vielfach noch nachwirken, ist bei der Ungeklärtheit der Lage und dem immer noch verhältnismäßig geringen Interesse der Theologie an den Fragen des Kirchenrechts nicht verwunderlich.

Holsteins Arbeit ist der letzte Versuch geblieben, das Kirchenrecht im Bereich des deutschen Protestantismus systematisch zu bearbeiten. Daneben stehen wesentlich nur historische und Teildarstellungen. Die Einsicht in die Notwendigkeit umfassender Neubesinnung und Neubildung hat keineswegs einfach gefehlt. Aber auch einem so hervorragenden Manne wie Wilhelm Zöllner blieb der Erfolg versagt. Die Notzeit

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des Kampfes von 1933 ab war begreiflicherweise zur systematischen Arbeit nicht geeignet. Aber auch nach 1945 ist kein starker Trieb zur systematischen Durchdenkung so schwerwiegender Erfahrungen und Erkenntnisse sichtbar geworden. Die Fülle neuer Kirchenordnungen steht ein einem Missverhältnis zu der mangelnden Klärung ihrer Grundlagen. Erst sehr allmählich und nachträglich ist man, etwa in den Arbeiten des Theologischen Konvents Augsburgischen Bekenntnisses, in den letzten Jähren an einzelne Fragen herangegangen. Trotzdem spitzen sich die Dinge deutlich zu. Auf der lutherischen Seite sind es bezeichnenderweise historische Untersuchungen mit größerem Anspruch: die Abhandlungen von Johannes Heckel über die „Initia juris ecclesiastici Protestantium” und seine Gesamtdarstellung der Rechtslehre Luthers in der „Lex charitatis”. Auf der anderen Seite hat vor kurzem Karl Barth im Fortschreiten seiner kirchlichen Dogmatik in einem besonderen Abschnitt unter dem Titel „Die Ordnung der Gemeinde”1 eine Grundlegung des Kirchenrechts unternommen.

Ich nehme in meinem Entwurf nun Arbeiten auf, in denen um 1939 herum Heinz-Dietrich Wendland, Wilhelm Maurer, Alfred Dedo Müller in gesinnungsmäßiger Verbundenheit sich bemühten, und die durch die Kriegsereignisse abgebrochen wurden2.

A.D. Müller hat damals die Forderung aufgestellt, „der Theologe müsse dem Juristen ein Jurist werden, um Anteil am Evangelium zu bekommen”3. Diese Forderung ist freilich nirgends erfüllt worden. Herbert Wehrhahn hat dagegen in einer seiner Arbeiten zum Methodenproblem der Kirchenrechtslehre4 die Juristen vor theologischem Dilettantismus gewarnt, als einer vermeidbaren und zu vermeidenden Grenzüberschreitung. Nun ist der Dilettantismus im echten positiven Sinne keine Entschuldigung für geistliche Unzulänglichkeit. Aber schon der Befund aller nicht positivistischen Kirchenrechtswerke widerstreitet einer solchen Begrenzung, auch Wehrhahns eigene Arbeiten.

Darüber hinaus aber sind wir der Frage durch die Tatsache enthoben, daß die Theologie sich in einem solchen Maße für ihre eigensten Aussagen rechtlicher Begriffe und Vergleiche, einer ganzen Rechtsontologie bedient, daß der Jurist jedenfalls hier, wo Theologie und Recht thematisch zusammentreffen, herausgefordert ist. Dieser Herausforderung kann er nur ausweichen, wenn er entweder die Theologie nicht ernst nimmt, oder um ihrer orthodoxen Autorität willen das Opfer der besseren Einsicht bringt. Auch dies kommt vor. Es gibt Juristen, die bereitwillig den geistigen Rang ihres Lebensbereiches rechtsfeindlichen Tendenzen „ihrer” Theologie opfern.

In den Entwurf ist sodann der Ertrag der rechtstheologischen Arbeit der letzten zwölf Jahre miteingeflossen. Sie begann mit der gemischten theologisch-juristischen Studienkommission, welche 1949 in Göttingen auf Grund eines Auftrags der Betheler Synode der Evangelischen Kirche

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in Deutschland zusammentrat und deren Thema von den Treysaer Konferenzen des Jahres 1950 weiterbehandelt wurde. Sie verlagerte sich dann in die Forschungen der aus dem Christophorus-Stift in Hemer entstandenen „Eherechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland” zur Geschichte und Systematik des Ehe- und Eheschließungsrechts. Aus dieser wiederum entstanden die Bemühungen um das Problem der Institutionen, die seither in einer Studienkommission desselben Stifts fortgesetzt worden sind. Diese Gedanken, an deren Entwicklung ich durchgängig beteiligt war, habe ich in eigener Sicht hier einzubeziehen und auszuwerten versucht5.

Schon Holsteins umfangreiche Einleitungskapitel über den Reich-Gottes-Begriff zeigen, wie wenig der Jurist hier darauf verzichten kann, seine theologischen Voraussetzungen darzustellen. Ein Versuch, das zu umgehen, wäre eine Selbsttäuschung. Trotzdem wird im Verhältnis zum Theologen in der eigentümlichen Verschwisterung der Bereiche und Fächer der Jurist eben einen spezifisch juristischen Beitrag zu liefern haben. Dieser aber wird nicht zuletzt darin bestehen müssen, traditionelle juristische Irrtümer der Theologen auszuräumen, welche sich allzu oft fälschlicherweise als theologische Positionen ausgeben. Kirchenrecht ohne juristische Sachkunde — rechtsgeschichtliche wie systematisch — vom Theologen betrieben, muß notwendig in lauter Fallstricke geraten.

Der Protestantismus hat die abendländische Musik auf einen Gipfel geführt. Aber er hat etwas im Kirchenbau und der bildenden Kunst keine vergleichbare Leistung aufzuweisen, keine stillbildende Kraft entfaltet. Das ist gewiß nicht von ungefähr. Auf alle Fälle hat er nur ganz bestimmte Kräfte entbunden, andere zurücktreten lassen. Man könnte ebenso einen Vergleich zwischen der rechtsschöpferischen Kraft der alten, den griechischen und der römischen Kirche und der Zerfahrenheit des protestantischen Kirchenrechts ziehen, und doch nur mit geringem Recht. Die protestantische Theologie räumt freilich den Erscheinungen des Rechts noch nicht einmal die Bedeutung geistiger Manifestationen ein, die sie der großen Kunst nicht wohl abstreiten kann. Die herkömmlichen Redensarten über Ursprung und Würde des Rechts machen dieses Missverständnis nur um so peinlicher deutlich. Der Rechtsbegriff wird ethisiert und banalisiert. Solange es allein darum geht, dem weltlichen Recht biblische Weisungen zu geben, braucht die Theologie nur zu postulieren. In Wirklichkeit steht das Recht unter einer jedem künstlerischem Ausdruck gleichwertigen Wahrheitsfrage. Johannes Heckel hat als Erforscher der Rechtslehre Luthers gesagt, das Luther zugesprochene Versagen als Jurist müsse (wenn berechtigt) auch ein Urteil über seine Unzulänglichkeit als Theologe einschließen — Ernst Wolf als Kirchenhistoriker fügt verschärfend hinzu: über seine Leichtfertigkeit als Reformator6.

Diese Frage kommt aber erst eigentlich im Kirchenrecht zum Austrag.

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Der dem ganzen Alten und Neuen Testament innewohnende Rechtsgehalt kann nicht entmythologisiert werden. Der Versuch, die Rechtsvorstellungen der Heiligen Schrift in den zweiten Rang zu verweisen, setzt den Verlust der Dimension des Rechts bereits voraus. Eine grundsätzliche kritische Haltung gegenüber dem Kirchenrecht ist keine zeitlos gültige Bezeugung evangelischer Wahrheit, sondern gehört mit ihrem Wahrheitsgehalt und ihrem Unverständnis einer begrenzten und deutlich begrenzbaren geschichtlichen Epoche an, die heute zuendegeht — der des spiritualistischen Kirchenrechts.

Das Kirchenrecht ist die große Leidenschaft einer Verneinung wert, die Sohm — aber auch nur er allein im Besitze überragender Sachkenntnis — besessen hat. Eine noch größere Leidenschaft fordert die positive Lösung.

Die Kirchenrechtslehre hat auch nicht zuzuwarten, wie der Streit zwischen den theologischen Systematiken und den Exegeten über das Recht in der Kirche schließlich ausgeht. Sie greift selbständig in diesen Streit ein. Der Zustand der evangelischen Kirchenrechtswissenschaft entspricht nicht der Größe dieser Aufgabe. Ein nur kleiner Kreis von Theologen und Juristen kämpft um ihre Bewältigung. Der im Grunde nur mäßige Aufwand, den die Theologie hierfür aufzubringen bereit ist, zeigt eine tiefe Fremdheit an.

Von der Bewältigung der Kirchenrechtsfrage hängt nicht weniger als die geschichtliche Existenzberechtigung des Protestantismus ab. Es geht auch nicht um das Recht großer Partikularkirchen, die sich nun einmal entschlossen haben, mit einer geringeren rechtlichen Ausstattung auszukommen als andere — es geht um das Recht der allgemeinen Kirche. Deswegen wird hier nun nicht evangelisches Kirchenrecht, sondern Kirchenrecht in evangelischer Sicht geschrieben. Es gibt nur eine Kirche Jesu Christi. H.E. Feine hat eine Neuauflage seines katholischen Kirchenrechts veröffentlicht, der im Rahmen des Gesamtwerks aus der Feder anderer Bearbeiter ein orthodoxes und ein protestantisches Kirchenrecht folgen sollen. Ich halte ein solches Vorgehen für bedenklich. Denn eine Darstellung der Kirchenrechtsgeschichte ohne vollständige Einbeziehung des Rechts der orientalischen Kirche ist grundsätzlich unvollständig und muß zur Bekräftigung unbegründeter Präventionen der römischen Kirche führen. Eine Herausnahme vollends des protestantischen Kirchenrechts aus der Gesamtentwicklung bedeutet von vornherein eine petitio principii auf dessen völlige Eigenständigkeit und muß die geistesgeschichtlichen und morphologischen Zusammenhänge notwendig entscheidend verkürzen. Das Kirchenrecht ist unbeschadet der großen Spaltungen ein einheitlicher Gegenstand, so wie die Kirche selbst nicht nur eine spirituale, sondern eine realgeschichtliche Einheit ist.

Die Aufgabe ist, das Kirchenrecht als geistliche und geistige Einheit zu verstehen. Gerade eine morphologische Betrachtung wird zeigen, in

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welchem Maße angeblich grundsätzliche Positionen in Wahrheit geistesgeschichtlich und sozialgeschichtlich bedingt sind. Hier geht es nicht in erster Linie um die viel erörterten außertheologischen Faktoren, sondern um die Einheit der Kirchenrechtsgeschichte, d.h. der Kirche selbst. Es geht hier also nicht nur darum, daß von außen rechts- und sozialgeschichtliche Einwirkungen auf die Kirche stattfinden. Das ist unbestreitbar und in jedem Zusammenhang zu beachten. Aber wesentlich ist, daß die Kirche in ihrer Rechtsbildung selbst eine Eigenentwicklung durchgemacht, in der sie spezifische Rechtsgedanken und Rechtsformen hervorbringt, vorfindliche Rechtsformen prägt, umbildet und sich dienstbar macht.

Die mit dem Kirchenrecht sich stellende Frage hat Dietrich Bonhoeffer schon für die Sozialität der Kirche gesehen und gestellt. Jürgen Moltmann formuliert sie7 unter Heranziehung von Zitaten aus der „Sanctorum communio” wie folgt:

„Von der historischen Betrachtung der zufällig gewordenen christlichen Sozialgebilde her läßt sich die Frage nach der ihr eigenen und wesentlichen Struktur der Kirche nicht beantworten. Bonhoeffer geht den umgekehrten Weg. ‚Die Frage nach einer christlichen Sozialphilosophie ... ist, weil sie nur vom Kirchenbegriff aus beantwortet werden kann, eine echt dogmatische ... Geben sich echte theologische Begriffe als je nur in einer eigenen sozialen Sphäre gesetzt und erfüllt zu erkennen, so läßt sich von hier aus der spezifische theologische Charakter einer Untersuchung zur Soziologie der Kirche wahren’ (SC 7). Gelingt es auf diesem Wege, die ‚eigene soziale Sphäre’ christlicher, d.h. dogmatischer Grundbegriffe, wie ,Person’, ,Urstand’, ,Sünde’, ,Offenbarung’, ,Stellvertretung’ und ,Gemeinschaft’ zu enthüllen, so werden dabei die soziologischen ,Wesensstrukturen’ der Kirche heraustreten, die ihren empirischen Gemeinschaftsformen zugrunde liegen. ,In der notwendigen Verknüpfung der Grundbeziehungen mit der empirischen Gemeinschaftsform als Eigenform liegt, formal gesprochen, das Wesen der Kirche.’ (SC 83). Darum ist sowohl das historisierende als auch das religiöse Mißverständnis der Kirche abzuwehren. Die ,Offenbarungsrealität’ der Kirche Christi kann nicht als geschichtliches Gemeinschaftsphänomen sachgemäß erfaßt werden. Sie wird nicht historisch, sondern nur als in der Wirklichkeit Gottes und in seiner Offenbarung begründet verständlich. Das religiöse Mißverständnis wäre dagegen die Gleichsetzung der Kirche mit dem eschatologischen Reiche Gottes.”

Die Aufgabe der Kirchenrechtslehre ist demnach eine dreifache:

1. Sie ist eine systematische Disziplin, welche alles, was in der Kirche geschieht, in der Dimension des Rechtes nachzudenken und kritisch zu prüfen hat. Die Dimension des Rechts ist der Kirche eingestiftet, so daß sie aus ihr nicht weggedacht werden kann. Das Kirchenrecht hat die Frage der Legitimität geistlichen Handelns zu beantworten.

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2. Indem die Kirchenrechtslehre das Handeln der Kirche rechtlich nachdenkt und kritisch prüft, bildet sie so etwas wie eine Oberrechenkammer der Kirche. In ihr wird mit anatomischer Genauigkeit sichtbar, was von der Gedankenbewegung der Dogmengeschichte in die verbindliche Lebensgestalt der Kirche übergegangen ist. Sie zeigt zugleich die Krankheiten der Kirche an, welche ihr ein falscher Lebenswandel und die Gefährdung der Geschichte zugezogen haben.

3. Die rechtssystematische und rechtsgeschichtliche Sachkunde des Juristen vermag hier der Theologie zu Einsichten über die geschichtliche Gestalt der Kirche und ihre Probleme zu verhelfen, welche diese allein nicht gewinnen kann.

Worum est bei alledem geht, sagt der Titel „Vom Recht der Gnade”. Er ließe sich nicht einfach im lateinischen Begriff ausdrücken: er ist nicht die „lex gratiae” in Analogie zur „lex charitatis”. Das würde den grundlegenden und verhängnisvollen Irrtum der Gleichsetzung von Recht und Gesetz befördern. Kirchenrecht ist aber auch nicht einfach „ius gratiae”. „Ius” ist wörtlich „Geheiß”; aber eben darum bringt es nicht zum Ausdruck, daß das hier gemeinte Recht nicht nur Geheiß, sondern auch Gabe ist. Es soll nicht nur, mit Barth zu reden, in der Kirche „mit rechten Dingen zugehen”, sondern Gott will mit uns zurechtkommen. Eben darum ist es Recht der Gnade. Der Titel widerspricht damit zugleich der nicht minder verfehlten Trennung von Recht und Gnade. Das sanfte Joch dieses Rechtes fordert nicht mehr, als daß wir empfangen, an uns geschehen lassen und weitergeben, was Gott an uns geschehen lassen will, daß wir ihm gegen uns Recht geben, damit er uns sein Recht geben kann. Das Recht, das mit der Forderung nicht zugleich gibt, ist so leer, wie nach dem Worte des Apostels unser Glaube ohne die Auferstehung. Die Zusammengehörigkeit von Recht und Gnade ist nicht nur eine wegtragende Erkenntnis, sondern auch eine befreiende Erfahrung, die von selbsteigener Pein losmacht.

Die Arbeit des Kirchenrechtslehrers ist ein Dienst an der Kirche, den ihm, seit Theologie und Kirchenrechtswissenschaft getrennt sind, der Theologe nicht einfach abnehmen kann. Theologie und Kirchenrecht, Theologie und Jurisprudenz sind erst seit dem 12. Jahrhundert getrennt — dies hat zu schweren Mißbildungen geführt und ist eine der Ursachen der Reformation gewesen! — aber wie kurz ist diese inhaltsreiche Zeit! Beide beginnen heute in neuer Weise konvergent zu werden.

Die ganze Arbeit verweist auf eine Fortsetzung in zwei Richtungen: auf eine Darstellung der Hauptprobleme der Kirchenverfassung nach der systematischen und eine Untersuchung der vorfindlichen Kirchenformen nach der historischen Seite. Eine teilweise Vorwegnahme dorthin gehörender Gedanken konnte begreiflicherweise nicht vermieden werden.

Schwierigkeit und Umfang der Aufgabe überschreiten das Lebenswerk

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des einzelnen. Ich konnte nicht hoffen, ja nicht einmal anstreben, in einer Vereinigung von Monographien die speziellen Sachkenner zu überbieten. Aber ich konnte versuchen, das Ganze in systematischer Bearbeitung zusammenzuwehen, während sich bisher die Dinge vereinzeln oder in der Methodologie verbleiben. Grundlegung und Methodik ohne Durchführung, ohne Verantwortung für das Ganze bleiben nutzlos und unbewährt. Andererseits entlastet der präzise Aufriß den Verfasser: erwiese auch nur der Aufriß sich als angemessen und tragfähig, und nicht die versuchten Lösungen, so wäre damit einem fähigeren Bearbeiter der Weg bereitet und die Überwindung jener Vereinzelung in die Wege geleitet.

Zahlreichen Freunden — Theologen wie Juristen — habe ich für Rat, Hinweise, Mitarbeit und kritische Durchsicht in einem ungewöhnlichen Maße zu danken. Sie haben nicht nur mir persönlich geholfen, sondern sich mit in den Dienst der Aufgabe gestellt und das Engagement mit übernommen, das in diesem Buche liegt.

 

Heidelberg, im Frühjahr 1961

Hans Dombois

 

 

 

Anmerkungen zum Vorwort

1 Die Ordnung der Gemeinde, München 1955, sonst Kirchl. Dogmatik IV, 2 § 67.
2 Heinz Dietrich Wendland, Die Kirche als göttliche Stiftung (Theologia militans H. 23, 1938).
ders., Die geistleibliche Gestalt der Kirche (Luthertum, 1939, S. 230 ff.)
ders., Pneumatokratie und Kirchenrecht (Archiv f. ev. Kirchenrecht 5 — 1941/42, S. 29)
Wilhelm Maurer, Bekenntnis und Sakrament, 1939
Alfred Dedo Müller, Religion und Recht als theologische und kirchliche Gegenwartsfrage (Archiv f. ev. Kirchenrecht 4 — 1940, S. 349 ff.)
3 a.a.O. S. 358
4 Theol. Rundschau 1950/51
5 hierzu: Kirche und Recht (Göttingen 1950), die Treysakonferenz (Genf 1950), „Weltliche und kirchliche Eheschließung”, „Familienrechtsreform”, „Recht und Institution” (Bände VI, VIII, IX der Reihe „Glaube und Forschung”)
6 Z.f.ev. Kirchenrecht 1955, S. 230
7 Herrschaft Christi und soziale Wirklichkeit nach Dietrich Bonhoeffer, Theol. Ex. 71, S. 7 f.