Mahrenholz’ Gutachten hat die Fragen der Trauung und des Trauungsrechts einschließlich des Verhältnisses zur weltlichen Eheschließung zum Gegenstande. Indem er sich auf die Traufrage konzentriert, entgeht er schwierigeren Verwicklungen dadurch, daß er einen gewissen angeblichen Consensus zwischen Rechtswissenschaft und Theologie aller Bekenntnisse eingangs wie folgt formuliert:
„Die christliche Kirche aller Konfessionen stimmt mit der heute auch in der Rechtswissenschaft allgemein vertretenen Anschauung überein, daß die Ehe eine ,vorstaatliche Institution’ darstellt, die wir Christen
|652|
als eine von Gott unmittelbar gestiftete, den irdischen Ordnungen
vorgegebene und daher weder dem Staat noch der Kirche zur
Verfügung stehende Gottesordnung ansehen. Sie ist daher als
solche unverfügbar und kann in ihrer eigentlichen Wesenheit durch
keine irdische Gewalt geändert werden. Zu dieser Wesenheit
gehören
a) die grundsätzliche Dauer der Ehe bis zum Tode eines Ehegatten
(also keine Ehe auf Zeit),
b) die Unkündbarkeit der Ehe durch einen Ehegatten (also keine
Vertragsehe),
c) die Einehe (also keine Mehrweiberei oder Mehrmännerei),
d) die Freiheit der Gattenwahl (also keine Einschränkung durch
rassische oder weltanschauliche Vorbedingungen).
Solange diese Vorbedingungen in einem Staat allgemein Geltung
haben, muß die in ihm bestehende Ehe als recht, d.h. der
Schöpfungsordnung Gottes gemäße Ehe angesehen werden.”
47
Dieser Versuch wie die vorausgegangenen Erwägungen begründen das Thema dieses Abschnittes.
Denn jene Thesen nötigen zu kritischen Fragen. Wer ist diese Rechtswissenschaft und ist sie das sinngemäße Correspondenz zur Kirche? Die Kirche lehrt und entscheidet. Der staatliche Gesetzgeber entscheidet, ohne zu lehren. Die Wissenschaft lehrt, ohne zu entscheiden. Die Frage nach dem geltenden Recht kann durch die Ermittlung der wissenschaftlichen Lehrmeinungen nicht zulänglich beantwortet werden. Zudem: die Wissenschaft welcher Länder? In Wahrheit sind sämtliche hier formulierten Grundsätze in dieser Form historische Ergebnisse sehr problematischer und komplexer Natur. Die Anerkennung der Ehe als einer vorstaatlichen Institution ist in weiterer Verbreitung erst in den letzten Jahrzehnten durch die steigende Verselbständigung der Lebensbereiche gegen die frühere Lehre von der alleinigen Rechtssetzungsbefugnis des Staates herausgebildet worden. Wieweit die Grundsätze zu a) und b) im geltenden Recht der heutigen Staatenwelt in Kraft stehen, bedürfte der genaueren Prüfung. Die Grundsätze von c) und d) sind, wo sie bisher nicht gelten, im ganzen im entschiedenen Vordringen begriffen. Sie stellen den heutigen sehr schwer deutbaren Zustand der Verschmelzung säkularer und christlicher Motive, der Säkularisation des 20. Jahrhunderts dar. Jene sämtlichen Grundsätze, mit Ausnahme der Monogamie, werden jedoch in der halben Welt, wenn sie überhaupt theoretisch bejaht werden, doch praktisch völlig anders bis zu ihrem Gegenteil ausgelegt.
Wie wenig der Grundsatz zu a) klar ausgebildet und durchdacht in der gegenwärtigen Jurisprudenz Geltung hat, zeigt die Tatsache, daß der meistgebrauchte Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, der von Palandt, meint bemerken zu müssen, daß die Ehe nicht grundsätzlich unlöslich sei.48 Gewiß ist die Ehe nach geltendem Recht scheidbar.
|653|
Dies hat auch der Bundesgerichtshof nicht in Frage stellen wollen und können. Er hat vielmehr gemeint und in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, daß die Ehe nach geltendem Recht auf Unauflöslichkeit, Lebenslänglichkeit hin geschlossen wird. Die Intention des Eheschlusses wird von Lauterbach49 mit der Frage verwechselt, ob diese Intention in einem späteren Zerbrechen der Ehe ihr Ziel verfehlt. Von sehr viel krasseren Äußerungen aus der juristischen Literatur zu schweigen, zeigt sich jedenfalls hier, daß der juristische Positivismus die Fragen, um die es geht, mißversteht und darum auch nicht festzuhalten in der Lage ist.
Wenn aber die Ehe nicht mehr auf Unscheidbarkeit hin geschlossen wird, dann hat die Kirche freilich in den standesamtlich getrauten Nupturienten nicht mehr Menschen vor sich, welche die Ehe als Ehe im Sinn der für alle, nicht nur für die Christen, gestifteten Institution angenommen haben und muß sich dementsprechend verhalten, d.h. sich dieser Annahme vergewissern, sich erklären lassen. Die Meinung, man könne und müsse das gesamte Eheschließungsrecht aus dem Horizont kirchlichen Urteils entlassen, setzt voraus, daß sowohl aus Quellen naturaler Sittlichkeit wie christlichen Tradition die Ehe (noch) im Sinne jener Unverbrüchlichkeit gemeinhin verstanden werde. Das aber ist ein historischer Tatbestand, keine grundsätzlich gegebene Lage. Wer so argumentiert, setzt sich gegen eine geschichtliche Wirkung des christlichen Glaubens ab und benutzt sie doch zugleich als Voraussetzung des eigenen Handelns (wobei klar ist, daß daneben auch andere Kräfte dieses traditionelle Eheverständnis bedingen). Also gerade die Weltlichkeit und Säkularisierung der Welt zwingt die Kirche zu einem Urteil über die Ehe, entbindet sie nicht davon.
Von einer allgemeinen Anerkennung einer „Vorstaatlichkeit” der Ehe kann nicht die Rede sein. Es hat also nicht „die Wissenschaft”, dieser einen für die Erwägungen der Kirche genügenden Minimalbestand an absoluten Begriffsmerkmalen der Ehe bleibend ermittelt, sondern es hat in der nichtkommunistischen Welt die Gesetzgebung und Rechtstheorie im ganzen gesehen einen Zustand angenommen, in welchem keine tiefgreifenden grundsätzlichen Konflikte mit der kirchlichen Lehre von der Ehe bestehen, in dem also die einzelne Ehe nach Intention und Rechtsgehalt nicht grundsätzlich von der Kirche in Frage gestellt zu werden braucht. Dieser weitgehenden Konfliktlosigkeit entspricht zugleich eine ebenso tiefgreifende Säkularisation der Ehe. Die Kirche hat damit darauf verzichtet, sich als Connubialgemeinschaft zu verstehen, in welcher die Mischehe noch als Rechtsproblem besteht.50
Mit diesem historisch-faktischen Querschnitt der Unanstößigkeit können die für die Berührung und Verknüpfung von weltlichem und kirchlichem Eherecht wesentlichen Erkenntnisse nicht zulänglich bezeichnet werden.
|654|
Durchhaltende Elemente in dem Rechtsvorgang der Eheschließung in
längerer, uns einsichtiger Entwicklung sind nicht Lösungen oder
Formen, sondern Relationen und Probleme. Sie sind dadurch
gegeben, daß es regelmäßig zwei Partner sind, die sich in der
Öffentlichkeit und mit öffentlicher Wirkung in das ganze Leben
umfassender Weise verbinden. Dadurch ergeben sich zwei
Hauptprobleme:
1. Das Verhältnis von Wahl der Partner und Öffentlichkeit.
2. Das Verhältnis zwischen Wahl und Begründung tatsächlicher
Lebensgemeinschaft.
Ein Teil der folgenden Ausführungen stammt aus einem Aufsatz „Zur Geschichte des weltlichen und kirchlichen Eheschließungsrechts” aus dem „Mischehenhandbuch” des Evangelischen Bundes.51 In diesem Aufsatz sind die Ergebnisse der schon wiederholt zitierten Bände „Weltliche und kirchliche Eheschließung” und „Familienrechtsreform” für unser Problem noch einmal zusammengefaßt. Ich habe hier darauf verzichtet, das komplizierte geschichtliche Material wiederzugeben, welches in den Arbeiten von Rudolf Sohm, Siegfried Reicke und Kurt Dietrich Schmidt a.a.O. ausgebreitet und von mir systematisch interpretiert worden ist. Es sind hier nur die Schlüsse wiedergegeben, die ich für die beiden Grundprobleme, das Verhältnis von Willensbindung und konkreter Vergemeinschaftung und von Ehe und Öffentlichkeit aus den geschichtlichen Entwicklungen für die Gegenwart gezogen habe.
Zu 1.: Die in beiden vorkommende Wahl des Partners wird zum consensus in dem Maße, in dem diese Wahl eine freie wird. Es ist denkbar eine beiderseits unfreie Wahl, welche durch Gewalthaber, vor allem die beiderseitigen Familien getroffen wird, — eine einseitig freie, in der der Mann als Werber mit den Gewalthabern der Frau paktiert, und endlich die beiderseits freie Wahl, die heute die Regel ist. Es ist nicht überflüssig zu erinnern, daß auch die Freiheit des Consenses eine dogmengeschichtliche Vergangenheit hat. Während die scholastische Consenstheorie den freien Consens der Nupturienten zur Bedingung erhob, schränkte ihn Luther entschieden zugunsten der elterlichen Gewalt ein.52
Luthers Stellungsnahmen sind bisher allein auf ihren theologischen Gehalt hin betrachtet worden. Sie haben aber auch juristische Struktur und bedienen sich unvermeidlich juristischer Begriffsmittel oder setzen bestimmte juristische Vorstellungen voraus. Luther selbst und ihm dann folgend die Kirchenordnungen betrachten die Ehe als „pactum supra partes”.53 Dieser problematische Begriff ist uns schon im Taufrecht begegnet. Er ist jedoch grundsätzlich ungeeignet, personenrechtliche Rechtsvorgänge zulänglich auszudrücken. Denn er geht von der Selbstverfügung der Partner schuldrechtlichen Typus aus und nimmt diese zur Basis. Um die gleichzeitige Unverfügbarkeit der eingegangenen Verpflichtung zu begründen und begreiflich zu machen, wird sie in dieses „supra” verlegt. Das ist im Grunde ein tautologischer Ausdruck für die
|655|
erstrebte besondere Verpflichtungskraft. Der personenrechtlich-institutionelle Charakter des Vorgangs, die Tatsache, daß man dadurch der Ehegatte usw. jemandes wird, kann durch die qualifizierte Verpflichtung beider Subjekte nicht ausgedrückt werden. Sie bleiben im Grunde, was sie sind. Der statusverändernde Charakter des Rechtsvorgangs kann auch durch die Vorstellung einer qualifizierten Verpflichtung nicht festgehalten werden. Der relationale Charakter des Statusrechts kann andererseits durch substanzielle Seinsvorstellungen ebensowenig begriffen werden. Solche Vorstellungen sind nun zwar für die Ordination, nicht dagegen für die Ehe eingeführt worden, welche auf naturrechtliche Consensbegriffe aufgebaut wurde. Denn im ordo ging es — wenigstens scheinbar! — um jeweils einzelne, in der Ehe aber immer um zwei Personen. So konnte nach der einen Seite der ordo als Seinsstand, nach anderen Seite die Ehe als consensuales Verpflichtungsgeschäft (wenn auch „besonderer Art”) mißverstanden werden. Diese naturrechtliche Umdeutung der wesentlich anders aufgebauten römischen Consensehe hat also die Reformation übernommen, welche zwar dem kanonischen Recht, nicht aber den vorfindlichen weltlichen Rechtsvorstellungen kritisch gegenüberstand. Im Gegensatz zu dieser theoretischen Übernahme behielt aber praktisch der deutschrechtlich-institutionelle Rechtsgedanke der Trauung noch lange Zeit auch in den kirchlichen Ordnungen, im Selbstverständnis des kirchlichen Handelns seine Kraft. Der Gedanke des pactum supra partes wie das etwas gewaltsame Festhalten an der elterlichen Autorität machen die Verlegenheit deutlich, das im Eheschluß Geschehene wirklich zu verstehen. Denn wenn der nudus consensus nicht ausreichte (die Empfindung dafür war echt), so half doch dieses Postulat, der Rückgriff auf eine längst nicht mehr regelmäßig vorhandene Autorität und ihre Heteronomie nicht weiter. In Wirklichkeit ergänzte gar nicht die Autorität der Eltern die Selbstverfügung des Consenses, sondern das Trauungshandeln der Kirche, die jetzt — im Grundsatz nicht anders als die römische Kirche — die Trauung zur kirchenordnungsmäßigen Pflicht machte. In der Bestreitung der Consenstheorie trafen deutschrechtliche Traditionen und ein ganz neues, erst vom 16. Jahrhundert ab (in beiden Kirchen wie im Staatsdenken) wirksam werdendes Autoritätsdenken zusammen.
Das Trienter Konzil hat es der Mühe wert gehalten, diese Lehre ausdrücklich zu verdammen.54 Diese Streitfrage hat sich seither durch die sozialgeschichtliche Entwicklung erledigt, welche in Recht und Sitte den Gewaltbereich der Eltern hat schrumpfen lassen. Dagegen ist für uns das Verhältnis von Ehe und Öffentlichkeit in neuer Weise deutlich geworden.
Die Ehe ist nicht ein Privatvertrag zwischen zwei isolierten Einzelpersonen, sondern steht von jeher bis heute in Wechselbeziehung zu einem sozialen Großverband, der sie trägt und ihr den Charakter der
|656|
Öffentlichkeit verleiht. Dieser Großverband ist zunächst die Sippe, der Geschlechtsverband. Und zwar sind naturgemäß die beiden Sippen der Partner beteiligt, im Grunde also eine Gesamtsozialordnung, in der die Sippenverbände eine tragende Rolle spielen. In dem Maße, in dem die Sippe tatsächlich und als Rechtsverband zurücktritt und sich auflöst, tritt an ihre Stelle die Kirche, zunächst stellvertretend, später mit dem Anspruch eigenen Rechts. Aber auch diese Trägerschaft ist nur eine geschichtlich begrenzte. Mit der zunehmenden Verweltlichung des öffentlichen Lebens tritt an die Stelle der Kirche der Staat. Dies geschieht so, daß zunächst noch lange Zeit der Geistliche kraft staatlichen Rechts oder kraft weltlicher Anerkennung von Rechtsfolgen seiner geistlichen Handlungen die Ehe schließt oder bei ihrer Schließung mitwirkt. Erst an diesen Zustand anschließend wird erstmalig in der Rechtsgeschichte eine direkte Mitwirkung staatlicher Organe bei der Eheschließung Gesetz (Ziviltrauung). Die Ziviltrauung ist also nicht die Rücknahme eines ursprünglichen Rechtes des Staates, sondern eine erstmalige späte Bildung der Rechtsgeschichte auf Grund ganz bestimmter geistiger und sozialer Entwicklungen.
Zu allen Zeiten gleicht die Ehe etwa einem Flugzeug, welches von einem Träger startet und im Falle der Not zu ihm zurückkehrt. Der Träger wechselt, wenn er nicht mehr allgemein anerkannte und für alle Ehen tragende Basis ist. Zum Wesen der Ehe gehört die Öffentlichkeit. Eheschließungsformen, welche diese Öffentlichkeit verkürzen, sind Kümmerformen und führen zu solchen Schwierigkeiten, wie sie die spätmittelalterliche Rechtsgeschichte ausweist. Die Ermöglichung öffentlicher, rechtsgültiger Ehe betrifft aber alle. Deshalb ist etwa geschichtlich die Friedelehe außerhalb des Geschlechtsverbandes eine Form, welche die Ehe zu einem neuen Träger, von der Sippe zur Kirche, überleitet. Die Kirche als jedermann einschließender Verband, und nicht der Staat trat an die Stelle der Sippe, weil es einen Staat in modernen Sinne, der alle Lebensverhältnisse durch allgemeine Gesetzesregelung ordnet, nicht gab. Gegenüber dem damaligen Staat behauptet auch die nicht mehr im Sippenverband eindeutig verfaßte Familie ihr unbestrittenes Recht.
Daß diese Sozialträger der Ehe so aufeinander gefolgt sind, ist also nicht ohne gute Gründe geschehen, unbeschadet der Frage, ob sie ihre Rechte über Gebühr ausgedehnt haben. Es haftet jenem geschichtlichen Vorgang ein Moment der Notwendigkeit an, ohne daß wir ihn vollständig in seinen Gründen übersehen und deuten können. Es ist deshalb auch verständlich, weshalb in geschlossenen Konfessionsgebieten (Spanien, Schweden) sich die kirchliche Eheschließung als gesetzliche Form länger als in Mischgebieten gehalten hat. Wie künstlich heute diese Geschlossenheit meist schon ist, zeigt das Problem der Dispensehen in Österreich und die massenhaften Konkubinate in Italien unter dem kanonischen Scheidungsverbot.
|657|
Es ist daraus ersichtlich und begreiflich, daß die Kirche jene Stellung als sozialer Träger der Ehe nur unter ganz bestimmten geschichtlichen Bedingungen erwerben und mit Fug behaupten konnte, daß sie sie aber auch mit der Aufhebung der Glaubenseinheit in einem Rechtsgebiet ebenso wieder verliert, ohne daß sie sie grundsätzlich und für alle Zeiten beanspruchen kann. Von dieser Publizität unterscheidet sich jedoch die innerkirchlichen Publizität, von der wir oben gesprochen haben. Hier stellen sich die neuen Eheleute, gleichviel in welchem Stadium der Eheschließung, dem Amt und der Gemeinde zu jener beurteilenden Anerkennung ihres Ehestandes, ohne daß jedoch dieser Stand und die Verbundenheit in diesem Stande eine heilsgeschichtlich oder innerkirchlich-ständische Bedeutung und Folge hätte.
Zu 2.: Gerät mit der Anerkennung der Ehe diese bereits in den spezifisch kirchlichen Bereich, so stellt sich dieselbe Frage noch einmal im Vollzug der Eheschließung selbst.
Der Querschnitt der rechtsgeschichtlichen Entwicklung zeigt uns die Eheschließung als einen institutionellen Akt, einen mehraktigen Vorgang, der in einen status, einen bleibenden personalen Rechtsstand, die Ehe selbst führt. In dieser Mehrstufigkeit des „gestreckten Rechtsaktes” zeigen sich in Analogie zu anderen institutionellen Rechtsvorgängen zwei Hauptabschnitte: die (gegenseitige) Wahl als consensus, welche ausgrenzend weitere Bewerber ausschließt und die negativen Ehewirkungen herbeiführt. Er ist schon wirkliche Eheschließung, wie die Rechtswirkungen insbesondere im germanischen Recht zeigen (eheschließendes Verlöbnis), und wird durch den positiven Akt der Übergabe zur völligen Rechts- und Lebensgemeinschaft perficiert (Trauung-traditio), erfüllt. Auch das römische Recht erkennt den nudus consensus nicht an, wie Rudolf Sohm hervorgehoben hat, sondern fordert außerdem die Heimführung „cum maritali affectione”, also einen Realakt, der zugleich kundbar gemacht wird (vgl. im übrigen Koschaker a.a.O.).
Diese in sehr vielfältigen Formen ausgebildete Struktur der Eheschließung in ihrer progressiven Geschichtlichkeit mach in Analogie eine Spiritualisierung durch. Das Gewicht verschiebt sich immer mehr einseitig auf den substratlosen Willensakt, während Ehevollzug und Begründung der Lebensgemeinschaft als außerrechtliche Folge oder als Erfüllung der consensualen Verpflichtung aufgefaßt werden. Die Betonung des Consenses läßt den Eheschluß leicht in Richtung auf eine ethische Selbstverpflichtung anstelle der konkreten Vergemeinschaftung mißverstehen und deshalb die auflösende Verfügung der Ehegatten gerechtfertigt erscheinen. Gegen diesen antiinstitutionellen Voluntarismus hat sich sowohl nach der Aufklärung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wie in unserer Zeit von anthropologischen und soziologischen Erkenntnissen her ein wirksamer Widerstand erhoben und ein
|658|
besseres Verständnis angebahnt, welches bis in die von Mahrenholz zitierten Punkte hineinwirkt. Die gegenwärtige bürgerliche Eheschließung in Deutschland ist jedoch rechtlich gesehen und in jenen Begriffen gesprochen lediglich eheschließendes Verlöbnis, keine Trauung, welche in den außerrechtlichen und Rechtsfolgenbereich abgedrängt ist.
Gegenüber dieser gewiß nicht zufälligen und nicht einfach zu beseitigenden Rechtslage befinden sich beide Kirchen in einer sehr unterschiedlichen Situation. Da die römische Kirche die gleiche Spiritualisierung der Eheschließung durchgemacht hat wie das weltliche Recht, der Consens in beiden die gleiche Ausschließlichkeit und Suffizienz erlangt hat, stehen sich nun weltliche und katholische Eheschließung bis in die Formen und Formeln hinein als eine Wiederholung des gleichen Vorgangs gegenüber. In beiden Gemeinschaften sind der Amtsträger und zwei Zeugen erforderlich, von denen der Consens ausgetauscht wird, die aber selbst nicht konstitutiv wirksam werden. Infolgedessen würden die katholischen Ehepartner den für die sakramentale Ehe konstituierenden Consens bereits vor dem Standesbeamten vollziehen und außerstande sein, ihn nach der Vorordnung des Trienter Konzils vor dem Pfarrer und zwei Zeugen zu erklären, wenn sie nicht nach Weisung der Kirche mit der Reservation zum Standesbeamten gingen, lediglich einen Formalakt der Registrierung über sich ergehen zu lassen und gleichsam die sakramentale Intention zu verhalten, bis sie an ihrem Orte stattfinden kann. Dieser Lage wäre noch unmöglicher, wenn nicht bei den Gläubigen beider Konfessionen von der früheren Rechtslage bürgerlich-wirksamer kirchlicher Eheschließung eben diese als die allein wesentliche betrachtet würde. Hierin drückt sich freilich aus, nach welchem zwar das Verlöbnis ehebegründend wirkt und deshalb auch der geschlechtliche Umgang zwischen Verlobten nicht als Unzucht gewertet wird, andererseits doch der eigentliche volle Eheschluß erst in der Trauung gesehen wird. Solche Anschauungen halten sehr viel länger durch als selbst das Verständnis der Juristen, die doch durch die wissenschaftliche Rechtsgeschichte belehrt sein sollten, womit sie es hier zu tun haben. Aus dieser Lage ist neben einer stimmungsmäßigen Haltung gegen den Einfluß des Staates auf das Eherecht überhaupt und die Ablösung der Kirche aus ihrer dominierenden Stellung das Bestreben der deutschen katholischen Bischöfe nach Einführung der sog. fakultativen Zivilehe zu verstehen. Daß diesem Wunsche am allermeisten die Illoyalität der eigenen Mischehenpraxis entgegensteht, ist hier nicht weiter zu erörteren. Aber wenn selbst diese Lösung (natürlich für beide Konfessionen) eingeführt würde, so wäre mit diesem äußeren Zusammentreffen von weltlicher und kirchlicher Eheschließung die Frage nach deren innerem Verhältnis gerade nicht beantwortet sondern verdeckt. Der Widerspruch zwischen der behaupteten Sakramentsnatur der
|659|
Ehe und der Bindung der Wirksamkeit des Consenses an die Beobachtung der tridentiner Form menschlichen Rechtes wäre äußerlich beseitigt — das Verhältnis zwischen Sakrament und kirchlicher Mitwirkung nach wie vor ungeklärt. Wenn die römische Kirche sich an jener äußeren Lösung genügen und die inneren Widersprüche ebenso stehen läßt, wie die Gegensätze zwischen der Ordo- und Ehelehre im lateinischen und orientalischen Ritus, so ist das ihre Sache.
Für das evangelische Kirchenrecht und überhaupt grundsätzlich ist nunmehr das Verhältnis zwischen weltlicher Eheschließung und kirchlicher Trauung und damit zugleich der Inhalt dieses kirchlichen Handelns zu bestimmen. Im Gegensatz zu der verfahrenen Lage der römischen Theorie hat die evangelische Kirche hier den Vorteil, daß der Platz ihres Handelns in diesem Geschehen nicht bereits von einer gleichstrukturierten Handlung besetzt ist. Andererseits drängt in dieser offeneren Lage das ausgefallene und verdrängte Element der (weltlichen) Trauung wieder hervor und verlangt nach Berücksichtigung.