1. Gibt es eine „christliche Ehe”?

Die früheren Erwägungen über das Wesen des Priestertums gehen von dem Gedanken aus, daß dieses ohne eine bestimmte Struktur, eine bestimmte Weise und einen bestimmten Inhalt des Handelns nicht verstanden werden kann. Es geht, wie gezeigt, um ein Handeln am Menschen, welches dieser an sich selbst und für sich selbst nicht zu vollziehen vermag. Zu dieser personalen Weise des Handelns gehört der Charakter der Hingabe wie auf der anderen Seite ein Empfangen und an sich Geschehenlassen. Schließlich aber handelt es sich um existentiales, den ganzen Menschen erfassendes, konstitutives und verwandelndes Handeln.

Alle diese Merkmale treten nun auch auffälligerweise im Geschehen der Ehe auf, und zwar mit um so größerer Deutlichkeit und Klarheit, je mehr sich diese als Einehe ausprägt. Nur auf dem Wege der Perversion vermag der Mensch an sich selbst geschlechtlich zu handeln. Er ist unvertretbar auf den Geschlechtspartner angewiesen. Wo dieses Verhältnis nach dem Worte Jesu als die Verbindung zur una caro erkannt und verstanden wird, wird damit die bloße Geschlechtsfunktion grundsätzlich überwunden. Damit ist die volle Personalität der Ehe entfaltet und festgestellt.

Die Ehe beruht zugleich auf der wechselseitigen Hingabe. Auch der Mann, der sein Weib erkennt, gibt sich ihr zugleich hin, trotz des Momentes der Bemächtigung durch ihn als den aktiven Teil. Der Geschlechtsbezug ist in zweifacher Weise existential, insofern er den aufeinander angelegten und gleichsam bruchstückhaften Menschen erst zur Ganzheit bringt und zweiten der Mensch nur unter diesen Voraussetzungen gezeugt und geboren werden kann, es sich gefallen lassen muß, zur Welt gebracht zu werden.

Nun hat die allgemeine Kirche, die griechische wie die lateinische, sehr frühzeitig die Ehe sakramental verstanden und sie schließlich mit steigender Bestimmtheit der Definition unter die Siebenzahl der Sakramente aufgenommen. In radikalem Gegenschlag haben dann die reformatorischen Kirchen sie als „weltlich Ding” verstanden, um das hier repräsentative Wort Luthers zu zitieren.

Weltlich heißt hier nicht profan, sondern eine außerhalb der Heilsordnung dem Schöpfungswillen Gottes entstammende und bleibend unterstellte Ordnung und Zuordnung. Sie wird also, kurz gesagt, in den Bereich des ersten Artikels, den der Schöpfung verwiesen, auch wenn

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man nicht den belasteten Begriff der Schöpfungsordnungen verwenden will. Bei starker Betonung der Würde und Heiligkeit der Ehe tritt diese doch ohne wesentlichen Unterschied als vergleichbare in die Reihe anderer solcher Ordnungen, wie Obrigkeit, Eigentum usf. In diesem Sinne begründet etwa die Apologie zur CA Art. VIII die Verneinung des Sakramentscharakters.

Unbeschadet der darin liegenden Wahrheitsmomente, scheint mir diese Auffassung den biblischen Aussagen nicht gerecht zu werden und die Bedeutung nicht zu erfassen, welche der Ehe im ganzen Zuge des Alten und Neuen Testaments zusammenhängend und durchgehend beigemessen wird. Ich habe schon im Rahmen der Arbeiten der Eherechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland darauf hingewiesen,2 daß die Ehe die ganze Heilsgeschichte begleitet. Wir finden ihre Stiftung in de Schöpfungsgeschichte. Sie ist unmittelbar mit dem Fall verknüpft — dieser geschieht gleichsam in ihr. Es ergeht über sie das mosaische Gesetzt. Sie wird radikalisiert durch die Aussagen Jesu über Ehebruch und Unscheidbarkeit. Schließlich finden wir in großer Fülle auf die Ehe bezügliche apostolische Ermahnungen. Im Epheserbrief wird eine Abbildbeziehung zwischen Kirche und Ehe entwickelt. Dann aber bricht diese Linie in einem eschatologischen Aspekt ab: im neuen Äon ist weder Weib noch Mann. Geschlecht und Ehe werden aufgehoben und gleichsam ersetzt durch die Heimholung der Kirche als der Braut des Lammes. In dieser heilsgeschichtlichen Durchgängigkeit unterscheidet sich die Ehe ganz wesentlich von jeder anderen, relativ vergleichbaren „Ordnung”. Kein innerweltlicher Bezug des Menschen begegnet einem auch nur einigermaßen gleich starken Interesse in der Bibel. Andererseits ist völlig klar, daß die Ehe nicht heilsnotwenig ist; dies steht nirgends zur Erörterung. Derselbe Apostel, der so gewichtige Aussagen über die Abbildfähigkeit der Ehe macht, steht ihr ungemein kritisch gegenüber und zieht die Ehelosigkeit vor. Ihr Wert erscheint durchaus nicht eindeutig.

Diesem eigentümlichen Tatbestand wird weder die Lehre vom Ehesakrament noch von der Weltlichkeit der Ehe voll gerecht.

Die Anwendung des Sakramentsbegriffs, dessen Merkmale auf die Ehe übertragen werden, verwischt den qualitativen Unterschied zu den heilsnotwendigen Sakramenten der Taufe und des Abendmahls.

Die Einreihung der Ehe in die Siebenzahl der Sakramente bedeutet genau dasselbe, wie ihre Einreihung in eine Zahl wesentlich vergleichbarer, auf gleicher Ebene stehender Ordnungen im Raum des ersten Artikels, nämlich die Verdeckung ihres spezifischen Charakters wie ihrer spezifischen Zuordnung. Es ist so, als ob man einen Mond, den Satelliten eines Planenten unter die Zahl der Planeten einreihte, nur deswegen, weil er sich im gleichen Raum bewegt, ohne zu beachten, daß er nicht eine vergleichbare Eigenbewegung, sondern eine spezifisch

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zugeordnete sekundäre Bewegung vollzieht. Aus der Innerweltlichkeit, Innergeschichtlichkeit der Ehe kann gewiß nichts gegen ihre abbildliche Zuordnung zur Kirche gefolgter werden. Denn auch das Amt als ein Merkmal und Konstituens der Kirche unterliegt wie die Ehe der eschatologischen Aufhebung, es begründet für seinen Träger keinerlei besondere Heilsverheißung.

Für die Entstehung der Lehre von der Sakramentsnatur der Ehe gibt die vergleichende Rechtsgeschichte wertvolle Hinweise. Paul Koschakers Darstellung der Eheformen der Indogermanen2a bestätigt die hier schon früher angezogenen allgemeinen Darstellungen Max Webers. Dabei ergibt sich, daß die indogermanischen und orientalischen Rechte bei allen Unterschieden in den Strukturen, auf die es hier ankommt, wesentlich analog aufgebaut sind. Ebenso ergibt sich, daß das religionsphilosophisch unterbaute Schema eines Gefälles von der Sakralität in die (evangelisch recht verstandene) Wirklichkeit oder aber Profanität gerade für die Ehe nicht zutrifft. Denn die Ehe der alten Rechte ist — (mit bestimmten seltenen Ausnahmen wie der altrömischen, auf Priester und Priesterbewerber begrenzten Konfarreationsehe) — gerade nicht sakralrechtlich. Sie ist vielmehr entschieden profan. Sie ist regelmäßig Kaufehe. Der Mann erwirbt gegen einen hohen Preis, der auch zur Mitgift werden kann, die personale Herrschaft über die Frau. Sie wird ihm dadurch nach dem treffendsten Ausdruck „filiae loco”. Vermöge der gemeinsamen Struktur des Personen- und Sachenrechts als Statusrechte vollzieht sich die Herrschaftsübertragung in sachenrechtlichen Vorstellungen.2b

Koschaker bestätigt auch den von Sohm betonten Dualismus von (eheschließendem) Verlöbnis und Trauung. Der Mann erwirbt bereits im Verlöbnis die Herrschaft über die Frau, die aber erst durch Übergabe bzw. Heimführung zum Vollrecht perfiziert wird. Ein verbales Versprechen auf zukünftige Erfüllung, dessen Kraft allein in der Treue des Versprechenden liegt, kommt in diesem Vorstellungsbereich noch nicht vor. Die Braut ist schon Frau des Mannes, aber in einer noch unvollkommenen Weise. Das gilt sowohl bei Zahlung des vollen Kaufpreises wie bei Leistung einer Anzahlung (Arrhalehe). Der gemeinverständliche Vorgang der Eheschließung in der Kaufehe vermag also die eschatologische Spannung zwischen dem „doch schon” und „noch nicht” voll auszudrücken — ohne Rückgriff auf eine Brautmystik. Wie beim Sakramentsprozeß und dem realrechtlichen Angeld finden wir auch im Eherecht theologisch adäquate Vorstellungen, die nicht umgedeutet und umgebildet zu werden brauchen.

Christus hat seine Braut, die Kirche teuer mit seinem Blut erkauft —, er ist schon Eheherr, aber noch nicht Gemahl. Das macht die mächtige Spannkraft dieser Vorstellung aus, die auch im liturgischen „maranatha” zum Ausdruck kommt. Von dieser eschatologischen Spannung her

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hat die Kirche die Ehe nicht sakralisiert — denn auch Ignatius fordert nur, daß der Eheschluß „en kyrio” erfolgen solle. Aber wegen des tiefen Zusammenhanges zwischen Sakrament und Eschatologie ist die Ehe in die Nähe dieses Verhältnisses Braut-Bräutigam gerückt. Die christlichen Ehemänner, die in Eph. 5 angeredet werden, sind ja keine Bräutigame mehr. Sie haben für ihre Frauen nicht Leib und Blut hergegeben, sondern höchstens Kaufpreis oder Mitgift. Aber sie sind so kephalé ihrer Frauen, wie Christus kephalé der Gemeinde. Das zwischeneingekommene Gesetz Mose, wegen der Herzenshärtigkeit gegeben (Markus 10), ist für sie aufgehoben und wiederhergestellt, was ap archés galt — es ist in kyrio, d.h. in der Liebe ermöglicht. Solange dieser eschatologische Hintergrund und Horizont besteht, hat auch die Ehe unter Christen etwas von der neuen Schöpfung an sich, steht sie nicht unter dem tertius usus legis.

Nun besteht der merkwürdige Widerspruch, daß die Kirchen, welche das Zölibat höher schätzen als die Ehe, diese sakramental verstehen, während dieses Verständnis mit der Verschiedenheit von Ständen in der Kirche, aber zugleich mit einer Aufwertung der Ehe aufgegeben wird. Gewiß hat keine Kirche die Ehe als solche als religiös bedeutsam, oder gar als verdienstlich angesehen. Jener Widerspruch und die unterschiedslose Einordnung der Ehe in das System der sieben Sakramente erklärt sich jedoch aus der Entwicklung des Gnadenbegriffs in der Scholastik.

Joyce,3 der wie die meisten römisch-katholischen Bearbeiter positivistisch argumentiert und retrospektiv alles auf den jetzigen Lehrbestand seiner Kirche bezieht, liefert unabsichtlich die Beweise für die obige These. Er zeigt zunächst, daß Hugo v. St. Victor (1097-1141) die Ehe wesentlich als analoges Symbol, Abbild, Zeichen des Verhältnisses von Gott und der Seele, wie zwischen Christus und der Kirche, und deshalb sakramental begreift. Die entscheidende Stelle bei Hugo besagt (Joyce, S. 169, Anm. 1):

„Hoc sacramentum … mali remedium est, etsi donum (sc. gratiae) non confert … (Epitome Theologicae c. 31 P.L. 178.1745).”

Joyce sagt dann selbst, daß erst ein weiterer gedanklicher Schritt, nämlich, daß die Ehe die Gnade nicht abbilde sondern verleihe, (producere, S. 170/1) die Einordnung der Ehe in das Siebenersystem ermöglicht habe.

Entscheidend hierfür aber ist gerade nicht ein verändertes Verständnis der Ehe, sondern ein solches der Gnade. Es wird nämlich die Gnade aus einer Relation zwischen bestimmten Personen in einem bestimmten Lebensverhältnis zu einem Generalbegriff, der ohne Rücksicht auf diese Relationalität etwas Bestimmtes gibt: der Gnadenbegriff wird nicht im äußeren Sinne, sondern im Sinne der Denkstruktur gegenständlich. Nach der Schrift jedoch ist die Ehe eine Relation, welche in einer bestimmten Relation zu einer andren Relation, dem Gottesverhältnis, steht. Die

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Relationalität ist daher hier von besonderer konstitutiver Bedeutung, weil in ihr die ekklesiologische Bedeutsamkeit der Ehe begründet liegt.

In dem Maße, in dem die konkrete Relation, innerhalb welcher jemand „in Gnaden steht”, für den Begriff selbst zurücktritt, treten auch die Unterschiede zwischen der Ehe und den übrigen Sakramenten, insbesondere den Hauptsakramenten Taufe und Abendmahl, zurück. So wird einerseits die unbedenkliche Aufnahme der Ehe in die Siebenzahl, andererseits aber auch die Verwerfung der Sakramentsnatur der Ehe durch die Reformation verständlich, weil infolgedessen zwischen der Sakramentsnatur der Ehe und ihrer Zugehörigkeit zu den übrigen Sakramenten nicht mehr unterschieden werden konnte, diese Unterschiede verwischt waren. Diese Ablehnung der Sakramentsnatur ist deshalb (negativ) bedingt durch die scholastische Gnadenlehre. Man sieht jedoch bei Joyce, wie spät die Umdeutung des Tatbestandes eingetreten ist, nämlich eben erst durch die scholastische Kirche. Noch Petrus Lombardus unterscheidet sehr deutlich Sakramente verschiedener Bedeutung (Joyce, S. 171, Anm. 3):3a

„… quorum alia remedium contra peccatum praebent et gratiam adjutricem conferunt, ut Baptismus, alia in remedium tantum sunt, ut Conjugium: alia gratia et virtute nos fulciunt, ut Eucharistia et Ordo (IV. Sent. d.)”.

Die von Joyce dargestellte Fortentwicklung führt jedoch über diese Unterscheidung hinweg zu einer völligen Gleichstellung der Ehe mit den übrigen Sakramenten, die dann auch Thomas von Aquin vertritt (contra gentiles, ia 2 ae, q. 108, art. 2):

„credendum est quo per hoc sacramentum (sc. conjugium) gratia confertur.”

Dem entspricht die seither in der römischen Kirche bestehende dogmatische Gleichstellung, auf die Joyce für die Konzile von Lyon 1274, Florenz 1438 und Trient hinweisen kann. Seither besteht diese Lehre, die durch Preisgabe der notwendigen Unterscheidungen und die Abstraktion des Gnadenbegriffes die Ablehnung provoziert hat. Freilich vollzieht sich diese Ablehnung seither ohne Kenntnis der Problemgeschichte und beruht zugleich auf einem neu auftretenden, originären Pathos der „Weltlichkeit”, welches nicht erst der alten Kirche, sondern schon dem NT fremd ist. Der Gedanke der Ehe als remedium libidinis tritt zwar wieder hervor, die Perspektiven von Eph. 5 aber gewinnen keine tragende Bedeutung mehr, als ob die Lehre der Kirche die Aussagen der Schrift „verbrauchen” könnte.

Andererseits besitzt die Lehre vom Ehesakrament eine sehr starke Kraft der Verkündigung. Obwohl die Forderung des Eheschlusses im Angesichte der Kirche als kirchliches Recht geschichtlich spät erwachsen ist und die Abhängigkeit gültiger Eheschließung von der Beobachtung dieser form in Spannung zur Lehre vom Ehesakrament steht, bedeutet

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doch die Konfrontierung von Trauung und Brautmesse eine sehr sinngemäße Gegenüberstellung im Sinne des im Epheserbrief bezeugten Abbildcharakters. Für den katholischen Christen braucht diese Schriftstelle nicht wieder entdeckt zu werden. Im Bereich des Protestantismus geht der in der Schrift so deutlich bezeugte heilsgeschichtlich-christologische Bezug und Aspekt der Ehe verloren und wird durch die Betonung einer Christusbezogenheit aller Bereiche seiner eigentümlichen Bedeutung gerade beraubt. Dies kann die Verkündigung deswegen nur zum geringen Teil wieder gutmachen, weil sie in ihrer Direktheit in Traugespräch und Traupredigt die einleuchtende Gegenüberstellung zweier Dimensionen, der des Christusmysteriums und seines Abbilds nicht zu ersetzen vermag. Die Folge ist nicht nur eine empfindliche Lücke, sondern nach dem Gesetz des leeren Raumes das wirksame Hervortreten ganz anderer Kräfte.

Es befördert dann in schwer vermeidbarer Weise die Tendenz zu paganer Sakralität, zu Sentimentalität und ethischen Mißverständnissen.

Die Generalisierung und Objektivierung des Gnadenbegriffs, welche in der Lehre vom „matrimonium gratiam conferens” sichtbar wird, hebt den eschatologischen Charakter dieser Beziehung und Analogie freilich ebenso auf, wie die Eingleisigkeit der evangelischen Räte den gleichen Charakter der Dialektik von Ehe und Eheverzicht (vgl. Kap. IV,7).

Wird als das Entscheidende der Ehe in dieser Bezüglichkeit, Abbildlichkeit weder durch den Generalbegriff des Sakraments noch durch den der Ordnung getroffen, weil sie eben in beidem fälschlich für sich stehengelassen wird, so fragt sich nur, welchem Planeten sie denn in Wirklichkeit als Satellit zugeordnet ist.

Dies ist nun in bemerkenswerter Übereinstimmung mit einer scheinbar spekulativen Schriftauslegung der Tradition das Mysterium der Kirche auf der einen, das geordnete Priestertum auf der anderen Seite.

„Nun4 zeigt die sehr unterschiedliche Haltung der einzelnen Teilkirchen und Bekenntnisse zur Eheschließungsfrage ein sehr eigenartiges und aufschlußreiches Gefälle, von der griechischen über römische, lutheriche bis zur reformierten Kirche. Die rechtsvergleichende Darstellung von Bergmann (in diesem Bande) zeigt in anderem Zusammenhang bei näherer Untersuchung, daß in der griechische Kirche die Bedeutung der weltlichen Eheschließung am weitesten zurückgedrängt ist. Die Ehe ist am stärksten in die Kirche hineingenommen — und zwar noch stärker als in der römischen. Die römische Kirche hat den Bestand der natürlichen Consensehe nie bestritten und lediglich de jure humano im Tridentinischen Konzil die Ausschließlichkeit der Eheschließung vor dem Priester verfügt; diese Vorschrift ist dispensabel und auch tatsächlich für große Gebiete außer Kraft gesetzt, in denen die Möglichkeit zur katholisch-kirchlichen Eheschließung nicht ausreichend gewährleistet ist. Natürlicher Consens und kirchliche

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Mitwirkung sind streng verbunden, bleiben aber dem Wesen nach geschieden. In der griechischen Kirche sind sie miteinander völlig verschmolzen, ist die weltliche Seite in die kirchliche hineingenommen. Das entspricht dem Verständnis der orthodoxen Kirche von der mystischen Heiligung des Weltlichen durch das Geistliche und deren Harmonie. Im Bereich der westlichen Kirchen dagegen handelt es sich wesentlich um Akzentverschiebungen in der Zusammenordnung beider getrennten Elemente. Die Sakramentslehre der römische Kirche setzt das Schwergewicht auf die geistliche Seite. Daraus erklärt sich auch zum Teil die Abwehrhaltung gegen die weltlich-staatliche Publizität. Im bewußten (und zum Teil polemischen) Gegensatz dazu verlagert sich in der lutherischen Kirche das Gewicht nach der weltlichen Seite.
Die reformierte Kirche unterscheidet sich davon erkennbar nicht wesentlich; der vor jedem eigentlichen Säkularismus im heutigen Sinne schon früh auftretende Gedanke der Zivilehe (1580/1653), für den jeder vergleichbare Ansatz im lutherischen Bereich fehlt, zeigt jedoch, daß die Ehe hier der reinen Weltlichkeit doch noch um einen Grad nähergerückt ist. Der Anspruch auf die Ehe wird sicherlich hier nicht ermäßigt, aber ein kirchliches Handeln bei der Eheschließung selbst verliert an Realität und Bedeutung. Alle denkbaren Beziehungsformen zwischen Kirche und Welt zeichnen sich also in diesem Gefälle ab. Mit sehr bedeutenden Unterschieden neigen die griechische und die römische Kirche mehr zur Verbindung, die reformatorischen Kirchen zur Trennung der Bereiche.
Danach ist die Ehe eine doppelseitige Größe, nicht eine res mixta im Sinne substantieller Vorstellungen, sondern eine res bilateralis.”

So kommt auch Hesse in seiner zusammenfassenden Darstellung des evangelischen Ehescheidungsrechts in Deutschland5 zu der Formulierung:

„Der unbestreitbare weltliche Aspekt der Ehe schließt nicht aus, daß die Ehe auch eine geistliche Seite hat. Die Ehe, wenn sie auch nach evangelischer Auffassung kein Sakrament ist, steht unter dem Worte Gottes. Nicht nur in jenem allgemeinen Sinne, in dem von jedem Stand eine christliche Führung verlangt wird, sondern viel bestimmter gibt die Heilige Schrift Weisung, wie die Ehe christlich zu führen sei”.6

Er spricht von der „Doppelnatur” der Ehe7 und von der Wiederentdeckung des der Ehe wesenseigenen weltlichen Elements.8 Er sieht sich also von der Sache her gehindert, von der Weltlichkeit der Ehe schlechthin zu sprechen. Dieses Urteil ist um so schwerwiegender, als es zeigt, daß gerade auf dem von den Reformatoren eingeschlagenen Wege die evangelischen Kirchen nicht imstande gewesen sind, die biblische Lehre von der Ehe aufrechtzuerhalten und ihre eigene Aufgabe im Bereich des Trauungsrechts und der Kirchenzucht folgerichtig wahrzunehmen.

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Die Zivilehe als rein profane Eheschließungsform tritt zuerst in den reformierten Niederlanden im Zusammenhang mit der dort früh einsetzenden Konfessionsmischung auf. Cromwell führt sie 1653 vorübergehend ein. In einem großen Rechtsgebiet und auf die Dauer gilt sie im Frankreich der Revolution und seither in den vom Code Napoléon beeinflußten Ländern.9

Trotz des sinnfälligen und allgemein bekannten Unterschiedes der Lehre von der sakramentalen und der weltlichen Ehe liegt der tiefere und bedeutsamere Gegensatz nicht hier, sondern in der Verschiedenheit der abendländischen und der orientalischen Tradition. Das Begleitwort zum Entwurf der Ordnung der Trauung in der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands von Christhard Mahrenholz10 sagt:

„(Es) … zeigt sich ein Dissensus (der christlichen Kirchen) in der Frage, ob es für den christlichen und den nichtchristlichen Raum eine Ehe oder verschiedene Ehen bzw. verschiedene Grade der Ehe gibt. Es geht hier im wesentlichen um die Exegese von Epheses 5, 21-33. Die römische Kirche lehrt auf Grund dieser Stelle ein besonderes, von der Kirche verwaltetes, nur dem Christen zugängliches und daher von anderen Ehen unterschiedenes Ehesakrament. Martin Luther geht in den Schriftlesungen seines Traubüchleins von 1529 aber nicht von Eph. 5 aus. Er bringt diesen Abschnitt zwar auch, aber erst an zweiter Stelle als ,Gebot Gottes über diesen Stand’, d.h. als Anweisung an die Eheleute für ihre Eheführung und nicht als theologische Aussage über die Existenz und das Wesen der Ehe als solcher.”

Hier ist mit Recht die thematische Frage aufgeworfen, ob und wieweit sich die Ehe unter Christen von der Ehe im allgemeinen und unter Nichtchristen unterscheide. Der Tatbestand der konfessionell verschiedenen Auffassungen ist jedoch nicht zutreffend wiedergegeben. Daß eine Ehe unter Christen eine christliche Ehe, d.h. ein aliud gegenüber der Ehe überhaupt, der Ehe als Stiftung Gottes für das ganze Menschengeschlecht, der „Naturehe” sei, liegt in der Konsequenz nicht der römischen, sondern allein der orientalischen Lehre. Es drückt sich in dem schon erwähnten Tatbestand aus, daß der Christ orthodoxen Ritus ohne Mitwirkung der Kirche bzw. des Bischofs überhaupt nicht heiraten kann. Dieser Grundsatz bringt für das internationale Privatrecht (d.h. dasjenige nationale Staatsrecht, welches das Verhältnis konkurrierender Rechtsordnungen regelt) beträchtliche Schwierigkeiten mit sich, soweit es sich um die Eheschließung orthodoxer Nationalgriechen handelt. Denn das Königreich Griechenland ist das einzige geschlossene orthodoxe Kirchengebiet, in dem das orthodoxe Kirchenrecht staatlich anerkannt ist.11

Die Naturehe ist hier für den Christen in die sakramentale Ehe aufgehoben, sublimiert und spiritualisiert. Nicht so die römische Kirche. Sie sieht die Naturehe durch die Gnade ebenso erhoben wie überhaupt

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die Natur durch die Gnade (gratia naturam non tollit, sed supponit et perficit), vervollkommnet. Diese sakramentale Ehe ist deshalb gerade kein aliud, sondern dasselbe in einer qualifizierten Weise. Deshalb hat die römische Kirche bis 1563 niemals den Bestand der Ehe auch unter Christen von kirchlicher Mitwirkung abhängig gemacht, sondern nur die Naturehe unter Christen sakramental interpretiert. Indem Natur und Gnade sich hier verbinden, hat sie damit gerade die Natur nicht aufheben wollen, sondern hält diese Doppelheit durch.

Nun hat zwar die orthodoxe Kirche als ihre goldene Regel für das Verhältnis von Kirche und Welt, Evangelium und Gesetz die chalcedonensische Formel für die Naturenlehre („ungemischt und ungetrennt”) proklamiert, also eine dialektische Dualität. Sie hat aber faktisch hier, wie im Verhältnis zum Staat überhaupt,12 diesen Grundsatz in der Lehre von der Harmonie nicht durchgehalten, sondern mit einem deutlich einseitigen Akzent in Richtung auf die Vermischung verwirklicht. Das drückt sich auch in der undialektischen Hereinziehung der Ehe in die Kirche aus, welche in dieser den Charakter des Gesetzes, der Stiftung Gottes für alle Menschen zurücktreten läßt. Man kann ebensogut sagen, daß die Dialektik durch eine falsche Abtrennung des Christen und der Kirche aus der Welt verletzt ist; gefährdet und in Frage gestellt ist sie jedenfalls.

Der Unterschied zwischen griechischer und abendländischer Tradition liegt also nicht im Sakramentsbegriff, sondern wird von ihm verdeckt. Ebensowenig ist der Grundsatz der Unscheidbarkeit durch die Sakramentalität bedingt. Die griechische Kirche kennt vielmehr, wie die Vernichtbarkeit der ordo, in gewissen Fällen auch die Scheidung der Ehe dem Bande nach, schließt sie jedenfalls nicht mit gesetzlicher Ausnahmslosigkeit aus.13 Andererseits leitet die römische Kirche die Unscheidbarkeit aus dem Worte Jesu über die una caro für alle Ehen her, nicht aus der Sakramentalität in Hinblick auf Eph. 5. Und schließlich verwaltet die römische Kirche das Sakrament der Ehe so wenig, daß nach ihrer Auffassung sakramentale Ehen begründet werden
1. zwischen römischen Christen lateinischen Ritus unter Beobachtung der kirchlichen Formvorschriften, soweit sie für sie in Kraft stehen bzw. nicht suspendiert sind, sonst auch ohne diese,
2. zwischen römischen Katholiken unierter Riten nach Maßgabe der Formvorschriften des codex orientalis,
3. zwischen rite (trinitarisch) getauften Christen aller Bekenntnisse, also auch Protestanten und Orthodoxen, weil sie von den kanonischen Formvorschriften nicht betroffen sind.

Der sakramentale Charakter der Ehe soll nur dann ausgeschlossen sein, wenn mindestens einer der Teile im Sinne des codex iuris canonici von 1917 formpflichtig ist und die Formpflicht verletzt. Diese Lehre leidet unter dem unbehebbaren Widerspruch, daß der Bestand

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eines Sakramentes von der Beobachtung einer dispensablen Vorschrift des kirchlichen Rechts abhängig gemacht wird.

Die Schließung der sakramentalen Ehe erfolgt durch die Ehegatten selbst. Die Verkirchlichung der Eheschließung, ihre Bindung an eine bestimmte Formel ist dispensablen kirchlich-menschlichen Rechts. Auch nach dieser, im Decretum „Tametsi” des Trienter Konzils 1563 eingeführten Form vollzieht sich die Eheschließung nicht durch, sondern vor dem (lateinischen) Priester.14

Für die orientalisch-unierten Christen dagegen sieht der kürzlich erschienene Codex orientalis in Anpassung an die orthodoxe Ehelehre eine aktive und konstitutive Mitwirkung des Priesters vor.15

Kann man also für die orientalischen Riten (Orthodoxe und Orientalisch-Unierte) sagen, daß die Ehe unter Christen eine christliche ehe als aliud gegenüber der Naturehe sei, so trifft dies für die lateinische Tradition (lateinischer Ritus der römischen Kirche und Protestanten) zweifellos nicht zu.

Die römische Kirche lateinischen Ritus verwaltet also nicht das Ehesakrament, unterstellt es aber ihrer Gerichtsbarkeit und sucht mit disziplinären Mitteln den bei den Eheschließenden selbst liegenden Eheschließungsakt wegen seines sakramentalen Charakters an die Kirche heranzuziehen, was sachlich ein coram und in facie, nicht ein intus oder per ecclesiam bedeutet.

Der Ausgangsbestand: d.h. die von den verschiedenen Kirchengemeinschaften vertretenen gegensätzlichen Auffassungen sind also von Mahrenholz nicht zutreffend wiedergegeben. Andererseits ist deutlich, daß die römische Kirche mit dem Problem, die von ihr festgehaltene Naturehe mit der in Epheser 5 für den Christen aufgerissenen Dimension zu verbinden, auszugleichen und das Verhältnis von Kirche und Ehe dementsprechend zu gestalten, nicht fertiggeworden ist. Vielmehr sind die drei Elemente: Naturehe, sakramentaler Charakter, der konstitutiv nicht an die Kirche gebunden ist, und die Mitwirkung der Kirche nicht zu überzeugendem Ausgleich gekommen. Sie hat vielmehr den schlechtesten Ausweg aus der theologischen Verlegenheit, den der formalen Disziplin gewählt.

Wenn andererseits Luther in seinem Traubüchlein die Stelle Eph. 5 nur an zweiter Stelle und als ethische Interpretation verwendet, so ist hier das Verhältnis von Gesetz und Evangelium ebenfalls nicht zum Austrag gekommen. Denn das Gebot Gottes für den Ehestand müßte ja für alle Eheleute, für die Naturehe gelten. Die christologische Dimension aber ist für den Heiden nicht erkennbar. Wenn die Interpretation der Ehe als Sakrament nicht befriedigt, so wird die Ersetzung einer ontologischen Aussage durch die ethische erst recht dem biblischen Tatbestand nicht gerecht, da beide nur reziproke Denkformen sind. Um einer Mißlösung zu entgehen, wird das Problem fallengelassen. Was

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man vom Handeln Gottes nicht deuten kann, wird in das Handeln des Menschen verlegt. Schlier weist in seinem Kommentar zum Epheserbrief16 darauf hin, daß für die katholische Lehre vom Ehesakrament nicht die Auslegung des mega mysterion allein, sondern der ganze Abschnitt Kap. 5, 22-33 in Betracht komme.

Wenn man den Begriff Sakrament nicht für angemessen hält, so muß man einen besseren finden — wenn man nicht etwa zugeben will, daß eine wesentliche Aussage der Schrift unausdrückbar sei.

Wenn schon Apologie XIII, sowie Luther an von Mahrenholz aufgenommenen Stellen eine Besonderheit der Ehe verneinen, weil man sonst auch die Obrigkeit ein Sakrament nennen müßte, so widerspricht das dem schon oben erörterten Schriftbefund, jenem überragenden und durchhaltenden Interesse an der Ehe, für welches nichts Vergleichbares für Obrigkeit und weltliches Regiment aufzuweisen ist. Wie glücklich wäre die christliche Staatslehre, wenn sie über den Staat so viele und so gewichtige Aussagen hätte wie über die Ehe!17

Nach langer Arbeit an Geschichte und Problematik von Ehe und Eherecht kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß alle Beteiligten ihre Positionen in einer Weise verteidigen, die auf ein nicht völlig gutes Gewissen schließen läßt. Die römische Kirche wendet sich selbst gegen die legitimen Ansprüche der öffentlichen Gewalt mit einer eifersüchtigen, unsachlichen Heftigkeit. Der Protestantismus wehrt sich gegen die sakramentale Ehe in einer angesichts der Ernsthaftigkeit des theologischen Anliegens nicht ganz verständlichen Schärfe. Und schließlich hat der säkulare Staat im Bereich dieses so spät erworbenen Rechtsgebietes eine entschieden ausschließend-polemische Tendenz. Es ist ein Condominium, dessen Herren sich so schlecht vertragen wie nahe Verwandte bei ungeschiedenem Rechtsbesitz.18

Will man nun bei diesen unausgetragenen Widersprüchen und Spannungen nicht stehenbleiben, so bietet sich als Hilfsittel für eine Lösung der Vergleich der historischen Lösungen in den verschiedenen Kirchengemeinschaften an.

Die Einordnung und Bewertung der Ehe überhaupt richtet sich in den großen Kirchengemeinschaften streng nach der Lösung, welche die jeweilige Dogmatik dem Problem gibt, welches in der Zweinaturenlehre von Chalcedon ausgedrückt ist. Die Formen der Eheschließung gleichsam als des Vorganges der Begegnung von Kirche und Welt verhalten sich in dialektischer Antithese zu den Formen der Ordination.

Während, wie gezeigt, bei der Ordination der Katholizismus das Schwergewicht auf die Weihe legt, legt sie der Protestantismus auf die Vocatio als Willens- und Entscheidungsakt. Umgekehrt betont der Katholizismus bei der Eheschließung das Willensmoment des Konsenses, während der Protestantismus das Wesentliche der Trauung als Realakt sucht. Die Spannung zwischen sakramentalem Konsens und ziviler

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Eheschließung besteht ja gerade darin, daß beide strukturgleich sind und sich der Katholizismus an der Stelle des — deutschrechtlich gesprochen — eheschliesenden Verlöbnisses angesiedelt hat, während der Protestantismus das Feld der seither verschwundenen (deutschrechtlichen) Trauung besetzt hat. Auffällig ist bei alledem die Reziprozität der Bewertung.

Die Vorstellungen über die bestehende Ehe und die Ehescheidung dagegen folgen der jeweiligen Vorstellung von Priestertum und geistlichem Amt. In der Kirche der relativen Ordination mit vernichtbarem Ordo wird auch die Ehe als sakramental, aber ausnahmsweise lösbar angesehen. Bei Ausbildung des absoluten Ordo mit unzerstörbarem Charakter wird sie mit gesetzlicher Ausnahmslosigkeit unscheidbar, wobei diese Unscheidbarkeit naturrechtlich begründet, nicht aus dem Sakramentscharakter abgeleitet wird. Wo schließlich der Ordo fällt, verweltlicht sich auch die Ehe bis hin zu der Profanisierungstendenz, welche dann auch im Cromwellschen Vorgriff auf die rein weltliche Eheschließung (1653) hervortritt.

Die Lehre von der Ehe bildet sich also nicht einfach vermöge der jeweiligen direkten, wenn auch unterschiedlichen Auslegung der einschlägigen Schriftstellen. Das ist für alle Kirchen und Dogmatiken eine Selbsttäuschung. Die kirchliche Lehre von der Ehe ist vielmehr eine Funktion des Kirchen- und Amtsbegriffs. Eben dies ist aber — ob die Theologen es sehen oder nicht — eine sich durchsetzende biblische Gegebenheit. Die Bewußtheit auch der Theologie ist oft nicht mehr als der kleinere Teil eines Eisberges, den wir über Wasser sehen. Eben darum können beide, Priestertum und Ehe, in der Entwicklung der Gestaltung und Begriffe sehr instruktiv miteinander verglichen werden. Sie interpretieren sich gegenseitig.

Das Bedürfnis der Herausnahme des Priestertums aus der Ehe ist erst nach dem oben Gesagten zu verstehen und zugleich recht zu beurteilen. Weder der Gedanke der Verdienstlichkeit noch derjenige einer äußeren Disziplinierung gibt die eigentliche Triebkraft dazu her. Es ist vielmehr wesentlich der Gedanke, daß der zu solchem unvertretbaren Handeln Berufene, der das Handeln Christi instrumental weitergibt, um der Unvergleichlichkeit, Einzigartigkeit, Fundamentalität dieses Handelns nicht ebenso und selbstverständlich dem strukturell entsprechenden Handeln, hier im Raum der Geschlechtlichkeit unterworfen werden soll.

Das kann keine zwingende theologische Forderung sein, eben weil die Ehe sich nicht direkt zum priesterlichen Handeln und zur Kirche verhält, sondern nach Eph. 5 nur abbildlich. Wegen dieser bloßen Abbildlichkeit kann die Ehe neben dem Priestertum der Kirche bestehen. Aber dennoch ist die Geschlechtlichkeit eine Mächtigkeit, von der wie anderen Mächten die priesterliche Heteronomie freizuhalten sinnvoll ist. So widersprüchlich — und damit sachgemäß — verhält sich auch die Heilige

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Schrift. Der eine Apostel bleibt unbekümmert verheiratet, der andere zieht bewußt und gewiß nicht ohne Zusammenhang mit seinem Apostolat die Ehelosigkeit vor. Heilige und Märtyrer, Kirchenväter und Päpste sind mit oder ohne Ehe vom Geist erleuchtete Häupter und Zeugen gewesen. Es ist auch ein Sohn eines Papstes wieder Papst geworden.19 Die entschiedene Haltung der Pastoralbriefe gegen die sukzessive Bigamie20 zeigt jedenfalls, daß das Verhältnis von Ehe und Amt nicht als problemlos angesehen oder gar im Sinne beliebiger Freiheit behandelt wurde. Weder mit dem „alles ist euer” noch mit dem „hos me” war diese Frage beantwortet. Oder soll man fragen, ob der Verfasser dieser Briefe „auf der Höhe des Evangeliums” ist?! Jedenfalls gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: das Herausgenommensein aus den Ordnungen und das Hineingenommensein. Beides ist eine Frage der Berufung. Mit beidem muß die Kirche rechnen und für beides wird sie ein deutliches und unübersehbares Zeichen aufzurichten haben. Fehlt eines von beiden, so wird das andere Schaden leiden. Das kann im Sinne der Verdienstlichkeit mißverstanden werden: das ist aber ein argumentum ex abusu. Eben darum gibt es keine glatte regelhafte Lösung. Es kann weder einfach mit der Scheidung von zölibatärem Priestertum und ehefähigen Laien noch mit der generellen Ablehnung des Eheverzichts gelöst werden. Die eine Lösung bewältigt das Problem in einer falschen Scheidung gesetzlich, die andere verliert es überhaupt aus dem Blick, läßt es fallen. Denn es geht hier nicht um eine subjektive Entscheidung.

Gegenüber sehr viel behutsameren Lösungen, wie denen der alten und griechischen Kirche (die immer noch regelhaft sind), ist die Fehlentwicklung in der römisch-protestantischen Antithese von durchgängigem Zölibat und ebenso durchgängiger Aufhebung desselben als Stand in der Kirche beschlossen. Diese Fehlinterpretation eines gewiß nicht simplen, aber doch verhältnismäßig unmißverständlichen biblischen Tatbestandes vollzieht sich auf der Grundlage der Entwicklung des Gottesdienstverständnisses, welches sich im Rechtsverständnis ausdrückt. Erst die Vorstellung eines exklusiven Priestertums bringt die Tendenz zum exklusiven Zölibat. Der Verlust des Priestertums überhaupt und die Verkennung seines wesentlichen Tuns um der römischen Mißdeutung willen auf der anderen Seite führt zur Unterdrückung des Problems. Die im 19. Jahrhundert entstandene Diakonisse ist nunmehr die einzige Lebensform in der evangelischen Kirche, in welcher Berufung und Entscheidung zum Eheverzicht (ohne die Absolutheit der Gelübde) vorkommt, ohne daß dies jedoch eigentlich theologisch verarbeitet ist. So kann auch erst die Berichtigung und Klärung der Gottesdienstlehre und damit des Verständnisses des priesterlichen Dienstes die Lehre von der Ehe von den Verengungen befreien.