Unter dieser Überschrift behandelt Münter135 das Bestellungsrecht im Unterschied zum Bestellungsvorgang, der Ordination im weiteren Sinne als gegliedertem Gesamtvorgang. Aus diesem Abschnitt wurden Teile in Ziffer 2 zitiert und erörtert, weil diese schon für die Auffassung der Ordination selbst in der reformatorischen Theologie aufschlußreich sind. Unter der Voraussetzung, daß die Frage nach dem Subjekt überhaupt richtig gestellt ist, besteht sicherlich Einigkeit darüber, daß in diesem Bestellungsrecht der besondere geistliche Charakter der Kirche zum Ausdruck kommen müsse, daß es sich nicht um eine von Natur mit gleichem Recht ausgestattete Genossenschaft, sondern eine durch das Wort Gottes geschaffene Gemeinschaft handle.136 Wem unter dieser Voraussetzung die konkreten Befugnisse zugesprochen werden, ist sowohl bei den Reformatoren selbst wie in der evangelischen Theologie seither sehr unterschiedlich beantwortet worden. „Gegenüber der … in den lutherischen Bekenntnisschriften genannten Beteiligung der ganzen Laiengemeinde an der Wahl liegt bei Calvin eine Verschiebung des aktiven Wahlrechts zugunsten der Amtsträger vor … Die Kleriker wählen allein, präsentieren die Obrigkeit, diese genehmigt oder wählt neu: dann wird die Sache vor die Gemeinde gebracht und, nachdem ihre Stimme gehört ist, wählen die Kleriker endgültig”.137 Dies sei hier nur beispielsweise aus einer Fülle von sich überkreuzenden Erwägungen und Konzeptionen angeführt. Auch Münter folgt in Auslegung des Wesens der Gemeinde aus ihrer einzigartigen Bestimmung durch das Wort138 mehr einer Zentrierung auf die Amtsträger, weil diesen die Gemeinde als so durch das Wort bestimmte, als eine nach Zeit und Raum sehr unbestimmte Größe gegenüberstehe, der deshalb nur das mehr „fluktuierende ius consensus aut approbationis”, kein ganz fest umrissenes Recht zugestanden werden könne.
Wer das Subjekt dieser Jurisdiktionsrechte sei, kann nach Münter nicht eindeutig bestimmt werden. „Deshalb bleibt neben dem ius divinum zur Bestellung, das der Kirche gehört, die jeweilige Ausführung dieses Rechtes in allen Phasen eine Sache menschlichen Rechtes.” 139 Das heißt: die Kirche hat die Pflicht eines göttlichen Rechtes, aber wer die
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Kirche ist, kann nicht eindeutig ausgemacht werden. Nicht der Inhalt dieses Rechtes ist problematisch, sondern sein Subjekt. In dieser Haltung verbinden sich drei Elemente: einmal jene tiefangelegte Tendenz zur Selbstaufhebung der Kirche als aktiver Größe, die sich in der Interpretation des Abendmahls erklärt, ein Agnostizismus, der auch die schlichten und handgreiflichen Dinge in Zweifel zieht (Werner Elert definiert in aller Form in seiner „Morphologie” das Luthertum philosophisch als „agnostizistischen Determinismus”), und schließlich einen Nominalismus, der alles vereinzelt und für zufällig ansieht, überall selbst die offenkundigsten und einfachsten Zusammenhänge außer Betracht läßt. Denn wenn die Kirche dieses Recht hat, so die Kirche, wie sie kraft Stiftung nun eben gerade nach lutherischer Lehre ist: die congregatio und das gestiftete Amt. Wenn Amt und Gemeinde konstituierende und integrierende Elemente der Kirche sind, die nicht auseinander abgeleitet und aufeinander reduziert werden können, wenn eben jene beiden in dem zentralen Geschehen des Gottesdienstes wieder nach lutherischer Lehre zusammenwirken, wie kann es dann zweifelhaft sein, daß jenes Recht der Kirche eben ihnen beiden zusammen in spezifischer Rollenverteilung zugehört, und daß dies der legitime und nicht im mindesten „gesetzliche” Regelfall ist?! Man hätte für eine solche Auffassung die besten biblisch-theologischen Gründe, die gesamte altkirchliche Tradition in reicher Fülle für sich gehabt, die man doch durchaus nicht verschmähte.
Aber daneben wird noch ein sehr merkwürdiger Grund sichtbar: Nach einer Erörterung von Gedanken der Zusammenordnung von Amt und Gemeinde und überhaupt mehreren Beteiligten bei der Ämterwahl im Luthertum und Calvinismus bemerkt Münter:140
„Sondern Calvins Theorie zeigt deutlicher noch als die des lutherischen Bekenntnisses: die Struktur der Kirche wird nicht durch zwei Komponenten bestimmt wie etwa nach der organologischen Theorie ein Staat durch das Prinzip des Leitenden und Geleiteten, des Aristokratischen und Demokratischen geprägt sein mag, sondern es gibt in der Kirche nur einen einzigen Ordnungsfaktor, der den Strukturgrundriß trägt, das ist das an das Wort gebundene Amt. Dieses ist letztlich nicht um der Ordnung willen da, sondern um des Wortes, d.h. um Christi willen. Darum ist es in seinem Wesen nicht von einer Ordnungstheorie her zu verstehen, von wo aus es immer aus Ausdruck aristokratischen Führungsprinzips erscheint, sondern von seiner einzigartigen Bestimmung durch das Wort.”
Ein eigentümliches Wortverständnis macht die Kirche strukturlos. Denn wenn von den Elementen Amt und Gemeinde in der Kirche gesprochen wird, so ist damit eben nicht eine Analogie zu irgendwelchen soziologischen und staatsrechtlichen Formen gemeint, die auf dem Wege der Vermischung und Rationalisierung und durch die Tradition der
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antiken Idealstaatslehre hier etwa hineingetragen werden, sondern eben von den ganz singulären Merkmalen der Kirche, die als solche im Bekenntnis genannt sind. Wie kann dann nur vom Amt und nicht von der Gemeinde geredet werden? Wie kann Amt und Wort so gleichgesetzt werden, während die Gemeinde durch das Wort nicht nur versammelt wird, sondern regelmäßig auch schon ist, und zwar gerade dann, wenn es sich um solche Rechte dreht. Ein Faktor ist dann kein Faktor. Aber ist eine Pfarrgemeinde, in der der Pfarrer ein scharf umrissenes Arbeitsfeld hat, eine Teilkirche oder Diözese, die ein Bischof zu leiten hat, nicht fest bestimmt? Diese Alleinigkeit des Amtes als einziges tragendes Strukturelement gegenüber der grundsätzlich nicht faßbaren Größe der Gemeinde entspricht in der historischen Entwicklung des Verhältnisses von Amt und Gemeinde einem relativ späten, ziemlich weit vorgeschrittenen Episkopalismus, der mit dem, was Chrysostomos in der Gemeinde sieht, dem priesterlichen pleroma des Bischofs, skeptisch, amtlich, aristokratisch oder akademisch nicht mehr viel im Sinne hat. Gerade dies sollte man in der lutherischen Reformation nicht vermuten.
Münter141 sagt: „Der Bischof ist als solcher Pfarrer und damit zugleich Kirchenregent nach göttlichem Recht.” Maurer meint jedoch im Gegensatz zu ihm, das „facere ordinationes” von CA 28, 53 sei, auf den tatsächlichen Inhalt der so entstehenden Kirchenordnungen gesehen, keine der Handlungen, „zu denen”, mit Münter gesprochen, „die Amtsträger von Gott her als Hirten der Kirche verpflichtet seien”.142
Maurer spricht im folgenden von einer necessitas: „iure divino coguntur ecclesiae adhibitis suis pastoribus ordinare pastores et ministros”, als eine Pflicht kraft göttlichen Rechts. Er will damit sagen, daß die Kirchenleitung der Gesamtekklesia gehöre, nicht dem Amt als solchem.
In diesem Gesamtakt ist die ekklesia auch nach Maurers Auffassung grundsätzlich nicht in einer bestimmten Weise strukturiert, im Gegensatz zu dem sich bewußt an das altkirchliche Vorbild anlehnenden und diesen rational umbildenden reformierten Entwurf.143 Aber gewisse Rechtsgrundsätze werden doch anerkannt: Der in der Praxi am unmittelbarsten zu verwendende sei, daß ekklesia und öffentliche Diener bei der Bestellung des öffentlichen Dienstamtes rechtlich und kultisch zusammenwirken müssen.
Bei näherem Zusehen ergibt sich, daß die Bestellung immer und überall bei der Kirche überhaupt und als Ganzem gewesen war und ist. Die Frage verschiebt sich also darauf, wer die Kirche in concreto repräsentiert. Über die rechtssoziologischen Erwägungen hinaus, die in Kap. XV vorzuführen sind, ergeben sich gerade an diesem bestimmten Punkte ganz typische Verschiebungen und Entwicklungen.
Wir finden zunächst die ungleichmäßige beschließende Versammlung
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im Sinne Lintons.144 Das aus der Kirche nicht wegzudenkende, schon in der Urkirche vorhandene Ideal der abgestuften Kirche bildet sich erst sehr langsam zu einer hierarchischen Ordnung aus. Auf das Bestellungsrecht gesehen, wird diese hierarchische Ordnung durch den Gedanken der päpstlichen plenitudo potestatis im wesentlichen außer Kraft gesetzt, mindestens überall mediatisiert. Durchgreifend wirkt sich dies in der Beseitigung der Wahlrechte und der Entwertung der Metropolitanverfassung erst etwa seit dem 13. Jahrhundert aus. Die päpstliche Gewalt wird zum metaphysischen Hintergrund der Kirchengewalt in allen ihren Formen. Diese radikale Entstrukturierung der Kirche durch den Souveränitätsbegriff setzt sich fort in den ebenso radikalen Agnostizismus der Lutheraner, welche keinerlei konkrete Struktur für das Bestellungsrecht glauben erkennen zu können, sondern nur Bestellungsrecht und -Pflicht als solche der Kirche überhaupt zuweisen. Ihnen folgen alsbald die Calvinisten, welche die mit zweckmäßiger Abwägung der Einflußverteilung den Rationalismus der Metaphysik durch denjenigen der Zweckhaftigkeit ersetzen.145
Im zentralen Besetzungsrecht des Papstes ist ganz das gleiche eingetreten, was wir für gewisse Spitzenentwicklungen des fürstlichen Absolutismus kennen: wie dort der Staat in die Person des Fürsten, so ist hier die Kirche in die Person ihres Oberhauptes aufgehoben. Die Gleichheit der Prämissen für alle jene unterschiedlichen Lösungen zeigt, daß es hier nicht entscheidet, worum es geht. Nur die Interpretation des Vorgangs selbst hilft hier weiter.
Die ganze Frage ist, wobei es selbst Münter an einer eigenen Stellungnahme nicht fehlen läßt, doch bis heute im evangelischen Kirchenrecht nicht zu einer schlüssigen und grundsätzlichen Lösung gebracht worden. Das ist nicht verwunderlich, da über das Wesen der Ordination selbst keine hinreichende Klarheit besteht. So zitiert Münter146 die einschlägigen Stellen aus dem tractatus de primatu ac potestate papae 13-15 wie folgt:
„Der ,Rat etlicher Bischofe, so vorhanden gewest’, wird mit zum Akt der Wahl gerechnet. An anderer Stelle kann diese Beteiligung der Bischöfe an dem Akt der Wahl selbst auch wegfallen. Dieser Wahlakt, durch die ganze Gemeinde oder unter ihrer Assistenz durch die nächstwohnenden Bischöfe vollzogen, ist der Akt der Übertragung.”
Hier ist deutlich, daß Wahl und Übertragung in eines geworfen werden, und daß die Bedeutung der Mitwirkung der Bischöfe als gesamtkirchliches Element in dem Vorgang nicht erkannt wird.
Melanchthon schildert147 eine altkirchliche Bischofswahl so:
„Denn vor Zeiten wählet das Volk Pfarrherrn und Bischofe; dazu kam der Bischof am selben Ort oder in der Nähe gesessen, und bestätiget den gewählten Bischof durch Auflegung der Hände, und ist dazumal die ordinatio nichts anders gewest denn solche Bestätigung. Darnach
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sind andere Ceremonien mehr dazu kommen, wie Dionysius deren etliche erzählt.”
Es ist für unsere heutige kirchengeschichtliche Kenntnis einsichtig, daß dies ein Mißverständnis und eine Verzeichnung des Vorgangs ist. Da der altkirchliche Bischof zugleich in unserem Sinne Pfarrer ist (gerade darin war ja die Reformation lebhaft interessiert), kommt eine Bischofs- oder Pfarrerwahl in Anwesenheit des Bischofs „vom selben Ort” gar nicht in Betracht. Die Wahl setzt die Erledigung des Bischofsamtes voraus.
Auch kommt nicht der Bischof zu einer perfekten Wahl „hinzu”, bestätigt sie nachträglich, vielmehr ist der alten Kirche die Beteiligung der Nachbarbischöfe an der Wahl selbst wesentlich und konstitutiv. Die Bestätigung einer abgeschlossenen Wahl erfolgt erst nach Durchsetzung der Metropolitanverfassung durch den Metropoliten als einen Abwesenden. Dagegen wird die Anwesenheit von mindestens drei Bischöfen ausdrücklich von Nicaea Can. IV vorgeschrieben.
Schließlich und endlich kann kein Zweifel sein, daß die alte Kirche die Ordination als Handauflegung sakramental verstand, und nicht als Bestätigung. Bestätigung ist lediglich die Rezeption der Wahlentscheidung durch die anwesenden Bischöfe bzw. die Entscheidung des abwesenden Metropoliten als jurisdiktionellen Akt. Dieser Akt ist dann Voraussetzung, daß der Erwählte (sakramental) ordiniert wird.
Nun wurde die vocatio bereits im einzelnen ausgelegt als jurisdictio, receptio, confessio. Von diesen sind die jurisdictio, die Urteilsbildung mehr ein aktiver, die receptio und confessio mehr passive, annehmende Vorgänge. Es ist nun nicht von ungefähr, daß bei den altkirchlichen Bischofswahlen Klerus und Volk ohne Unterschied im Wahlakt beteiligt waren, uno actu et sensu handelten. Auch soweit die nach altkirchlicher Regel beteiligten Bischöfe bei der vocatio mitwirkten, läßt sich ihre Beteiligung, ihr Mitrecht von demjenigen von Klerus und Volk nicht unterscheiden und abheben.
Heute teilt sich der Vorgang in einer bemerkenswerten, aber durchaus nicht sinnwidrigen Weise. Der Bewerber um ein Amt muß regelmäßigen Prüfungen durch die Kirchenleitung oder von ihr bevollmächtigte und kontrollierte, delegierte Gremien durchmachen. In diesen werden Gaben, Vorbildung, Wandel geprüft und erst auf Grund dessen wird dem Bewerber die Bewerbungsfähigkeit zugesprochen. Dies alles gehört zur vocatio. Es darf keineswegs als „fachlich-technische” Prüfung mißverstanden oder eingeschränkt werden. Es nimmt eine Prüfung vorweg, welche bei einer Gemeindewahl selbst nicht oder nicht in ausreichendem Maße vorgenommen werden kann, und schließt nun durchaus das Recht der Gemeinde nicht aus, den Kandidaten als (wenigstens für sie) ungeeignet abzulehnen. Kirchenleitung und Gemeinde üben beide ohne Konkurrenz Jurisdiktion aus. Die receptio und confessio der
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Gemeinde dagegen kann die Kirchenleitung durch ihr Urteil nicht ersetzen. Es ist sogar nicht grundsätzlich auszuschließen, daß die Kirche (wie es etwa Calvin tut) der weltlichen Gewalt im Interesse des Zusammenwirkens einen freilich nur negativen Anteil an dieser Jurisdiktion in Gestalt eines Ausschließungsrechts zugesteht, das jedoch um der Eigenständigkeit der Kirche willen immer rücknehmbar sein muß. Von dieser Sonderfrage abgesehen kann die Verteilung der Rollen im Vorgang der Vokation sehr unterschiedlich geregelt werden, wie es auch geschichtlich geschehen ist. Die Unsicherheit und das außerordentliche Schwanken in der Auslegung und Gestaltung ist nun darin begründet, daß die Ordination überhaupt wesentlich, fast ausschließlich von der vocatio her verstanden wurde. Daß die Kirchenleitung in irgendeiner Form theologisch prüft und der Gemeinde ein Urteil abnimmt, das sie so nicht zulänglich vollziehen kann, und daß trotzdem die Gemeinde die Lehre des Probepredigers beurteilt, stößt sich nicht. Die Gestaltung des Vokationsrechts hat nur darin ihren Grenzwert, daß die receptio durch die Gemeinde nicht grundsätzlich aufgehoben werden kann. Selbst wenn etwa die Kirchenleitung ein alternierendes Besetzungsrecht neben der freien Gemeindewahl hat, wird sie über einen ernsthaft begründeten Widerspruch nicht hinweggehen dürfen.
Die Verleihung der Anstellungsfähigkeit als ein pflichtmäßiger
Akt der bischöflichen Jurisdiktion erfordert ein geistliches
Urteil, nicht nur ein solches über die bloße Tauglichkeit. Es muß
von dem Inhaber eines leitenden geistlichen Amtes verlangt
werden, daß er die hier erforderliche Unterscheidungsfähigkeit
besitzt. Es ist gute Ordnung, wenn die Betreffenden für die
Vokanden schon während der Ausbildungszeit konkret verantwortlich
sind und vor der Ordination mit ihnen eine Zeitlang in einer vita
communis leben. Es geht hier um den ganzen Menschen. Leider
besteht diese gute geistliche Ordnung keineswegs überall. Diese
bischöfliche Vokationsentscheidung deckt freilich die andere
Seite der Doppelrelation, den Bezug zur Gemeinde nicht. Es ist
ebenso gute Ordnung, wenn in einzelnen Kirchen die Ordination nur
unter der Bedingung des Nachweises einer gemeindlichen Vokation
erfolgt. Es geht also ganz schlicht um die Verklammerung dreier
Elemente, der bischöflichen und der gemeindlichen Vokation und
Ordination. Auf keines dieser Elemente kann verzichtet werden.
Eben dieser sinngemäßen Verbindung stehen zwei Dingen
entgegen:
1. Jene schon belegte agnostizistische Meinung, daß es für den
Gesamtvorgang keine spezifische Ordnung gäbe, obwohl man nur bei
der Sache zu bleiben braucht, um zu ihr zu kommen. Dieser Haltung
entspricht die weitreichende Unklarheit über die Grundzüge des
Vorgangs in der Literatur.
2. Die Übung, die Ambtsbewerber zunächst zu ordinieren und dann
mindestens ein Jahr in wechselnden Hilfspredigerstellen zu
verwenden.
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So treten sie zu keiner Gemeinde in ein festes Verhältnis und die gemeindliche Vokation wird erst nachgebracht. Sie sind dann schon unter der stillschweigenden Voraussetzung ordiniert, daß irgendeine Gemeinde sie schon annehmen wird. Notfalls werden sie in Stellen verwendet, für die ein einseitiges Besetzungsrecht der Kirchenleitung besteht oder in denen nach ihrer Struktur eine Wahl nicht in Betracht kommt. Der Ordinator kann auf den Ordinierten sozusagen sitzenbleiben, wenn etwa, wie in der Schweiz, ordinierte Theologinnen von den Gemeinden regelmäßig nicht als Pfarrerinnen gewählt werden. Aber schon mit der Verwendung als Hilfsprediger wird jene gute Ordnung zum großen Teil gegenstandslos. Die Ordination gewinnt wieder absoluten Charakter.
In der vocatio sollen zwei Urteile übereingebracht werden: die Beurteilung des Bewerbers, als eines von außen Kommenden, eine Fremdbeurteilung mit der Selbstverurteilung der receptio, diesen von Gott als zugehörig Gegebenen auch — oft gegen eine rein menschliche, geistlich nicht begründete Abneigung — anzunehmen.
Der Vorgang der vocatio erschöpft sich nun noch nicht in dieser sich in einem oder mehreren Teilakte vollziehenden Beurteilung. Die Darstellungen, in der biblischen Diakonenwahl (Acta 6, 6), dem Vorbild der apostolischen Konstitutionen für die Bischofswahl, und in der ebenfalls schon zitierten Auslegung Calvins, stimmten darin überein, daß sie nicht nur mehraktig, sondern auch wirklich in der Sache differenziert und gegliedert erscheinen. Ich habe schon früher diesen Sachverhalt wie folgt interpretiert:
„Die nach Acta 6 auf Aufforderung der Apostel von der Gemeinde gewählten Diakone (nach Bultmann Repräsentanten der hellenistischen Juden-Christen) werden den Aposteln vorgestellt (6, 6) und danach durch Handauflegen geweiht. Diese Vorstellung hat nur Sinn, wenn damit die Billigung und Anerkennung der Apostel eingeholt wird. Die Apostel rezipieren. Die Gemeinde handelt nicht ohne die Apostel. Aber diese handeln ebenfalls nicht ohne die Gemeinde (Act. 15, 22). Wenn Paulus durch Titus (Tit. 1, 5) Bischöfe einsetzen läßt, ohne daß von einer Beteiligung der Gemeinden die Rede ist, so ist das verständlich, weil die Autorität der unmittelbaren Christuszeugen, der Urapostel, so groß ist, daß die Aufnahme der von ihnen Entsandten selbstverständlich ist. Im übrigen wissen wir auch gar nicht, in welcher Form diese Einsetzung vor sich gegangen ist. Die Apostel handeln auch nicht in einem abgesonderten Rate, ohne daß ihr Rang und Ansehen dadurch in Frage gestellt ist. Dieses Miteinander darf man nur nicht analytisch dahin mißverstehen, daß jeder der Beteiligten ein für sich bestehendes, absolutes Recht habe, so daß aus der Summation dieser Rechte dann der kirchenrechtliche Akt entstehe. Es ist vielmehr ein relatives Recht, das eben durch die Bezüglichkeit und Beziehung auf die Objektivität des Pneumas zugleich auch in Richtung auf den Partner, das Gegenüber relativiert und gebrochen
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wird. So wird aus einer Summation von Befugnissen eine echte
Einheit, ein Gesamtakt.
Die Bischöfe in jenem Bericht
der apostolischen Konstitutionen „consekrieren den von der
Gemeinde so feierlich Bezeichneten nicht einfach als Vollstrecker
des Gemeindewillens; sie sind nicht wie parlamentarische Minister
an Parlamentsbeschlüsse gebunden. Aber sie wählen auch nicht von
sich aus; denn die Wahl des Kandidaten ist ja bereits
vorausgegangen. Was tun sie dann? Sie recipieren, wenn sie nicht ihrerseits ein
objektives, kanonisches Hindernis in der Person des Benannten
finden. Deswegen ist auch die weitere Interpretation ganz
sinnvoll; wenn die Bischöfe selbst auswählen und der Gemeinde
einen Vorschlag machen, so ist deren Zustimmung erforderlich.
Dann recipiert
diese. Dies ist nicht die
dispensatorische Rezeption als Heilung eines Mangels, sondern es
ist die ordentliche
Rezeption.”
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Was sich hier vollzieht, ist also eine Reception durch zwei verschiedene pneumatische Rechtsträger, ist „Kirchenrecht als wechselseitige Anerkennung geistlicher Entscheidung”.
Aber die dieser Entscheidung entsprechende Ordination ist mehr als deren Vollstreckung. Die so Entscheidenden sind nicht nur die vom Wort Gottes Getroffenen, um bei dem Ausdruck Münters zu bleiben, sondern sie werden im Ordinationsakt selbst erst und neu getroffen. Die Ordination ist kein isoliertes Geschehen am Ordinanden allein — dies ist eine falsche Sicht von der absoluten Ordination her! — sondern das immer gesamtkirchliche, „katholische” Amt (Heubach) berührt und integriert auch die Kirche — die allgemeine Kirche wie die Teilkirche und Gemeinde, in der und auf die hin sie vollzogen wird. An beiden, an Kirche und Ordinanden geschieht etwas. In voller Paradoxie zu dem bezeugenden, recipierenden Charakter der vocatio vollzieht sich die ordinatio im engeren Sinne als ein Akt der traditio, der geistverleihenden Vollmachtsübergabe, welche diejenigen zugleich betrifft und in Anspruch nimmt, auf welche sich diese Vollmacht bezieht. Der Heilige Geist wirkt in der Kirche auf zweierlei Weise, im Verkündigen wie im Hören, im Geben wie im Empfangen. Überall begegnet der Geist dem Geist, und zwar als personaler Geist.
Darum vollzieht sich die traditio durch das Amt, als durch diejenigen, denen tradiert ist, die in diesem Empfangen vorausgegangen sind, weil dieses Empfangen ebenso wie Verkündigen und Geben auf Weitergabe angelegt ist. Weil denjenigen, denen gegeben wird, nicht um ihrer selbst willen, sondern zur Weitergabe gegeben ist und wird, pflanzt sich diese Linie fort. Nicht ihre Qualität, sondern ihre Bestimmtheit durch die ihnen gewordene traditio, ihre Inanspruchnahme, nicht ihr Besitz fordert die Weitergabe und Übergabe. Der Geist ruht nicht. Die recipierenden Amtsträger (in jenem Beispiel die Bischöfe) sind in dieser Rolle nichts anderes als besondere Sprecher der Gemeinde. Die tradierenden
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Amtsträger dagegen stehen ihr antithetisch gegenüber. Deswegen ist die Rolle des Amtes hier im Sinne der früheren Ausführungen doppelseitig, presbyteral und episcopal zugleich und in verschiedenen Richtungen.
In der Ordination i.e.S. tritt also ein neues Moment auf, das der traditio, als des Vorganges der Selbsthingabe des Geistes durch das Instrument des Menschen. Wo immer die Ordination in ihrem vollen Gewicht ernstgenommen wird, bildet sich ein traditionaler, autoritativer (noch nicht ohne weiteres hierarchischer) Zug heraus.149
Nicht die Deduktion aus einem autoritativen Kirchenbegriff und Prinzip, sondern umgekehrt die ordinatio erzeugt dieses Element. Zugleich enthält die Ordination auch die Gegenläufigkeit des gottesdienstlichen Handelns, wie sie P. Brunner oben entwickelt hat (s. Kap. V). Sie hat nach der einen Seite einen anaphoretischen Charakter, in der der Ordinand dargeboten wird, damit ihn Gott seiner Gaben würdige, diese werden für ihn epikletisch erbeten, und die Gemeinde erzeigt sich bereit, ihn als Berufenen anzunehmen, ihm Gehorsam zu leisten, ihn zu hören. Auf der anderen Seite wird, wie gezeigt, zugleich das Erbetene tradiert und gegeben, verliehen.
Das sakramentale Handeln in der Ordination ist wie anderes sakramentale Handeln mehraktig: es ist bestimmende Konsekration, es ist epikletische Anrufung, es ist sodann konkrete Applikation und Austeilung (und erfordert Annahme im Glauben). Als solche ist sie in dem früher umschriebenen Sinne (Kap. IV) eine episcopale Verrichtung. Wie sich dies zu der Frage der Identität und Legitimität der Kirche zum historischen Episkopat und zur Sukzession des Amtes verhält, gehört nicht mehr in die unmittelbare Auslegung des Vorgangs und wird in Kap. XII behandelt.