Grundmann hat ohne Erörterung der Tragweite auf die sehr bedeutsame Tatsache hingewiesen, daß die frühreformatorische Ordinationspraxis von der relativen wieder zur absoluten Ordination übergegangen ist (s.o.).
Wir fanden in der Vocatio ein klar ausgeprägtes, jurisdiktionelles Moment der Entscheidung, in der wie auch immer verstandenen Ordination zum Amt ein zuordnendes, verleihendes, gebendes. Damit ist das für das Kirchenrecht überhaupt wesentliche Problem und Begriffspaar von Jurisdictio und Ordo als kategoriales, nicht lediglich historisches gegeben. Aber eben dieses Problem hat eine verwickelte und bedeutsame Geschichte. Es soll hier insoweit vorweg behandelt werden, als es zur Vollständigkeit der Lehre von der Ordination wesentlich
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ist. Denn die konkreten Vollzüge verdienen den Vorrang vor den Generalbegriffen, die wir aus ihnen — wenn auch mit wirklichem Recht — gewinnen können.
Wir finden beide Begriffe schon in voller systematischer Ausbildung und spezifischer Zuordnung seit Thomas von Aquin. Ihren vorthomistischen Ursprung habe ich bisher nicht festzustellen vermocht. Aber die Begriffsbildung kann hier am allerwenigsten entscheidend sein. Was beide Begriffe zu erfassen suchen, sind kategoriale Formen des rechtlichen Handelns, die sich dem Verständnis von der Sache, d.h. immer von den Vollzügen her anbieten und aufdrängen. Die sachliche und geschichtliche Problematik liegt wesentlich in der Frage der Zuordnung beider Begriffe zueinander — so auch für uns.
Über diese bisher wesentlich positivistisch behandelte Frage ist nun die neuere Kanonistik unruhig geworden. Mörsdorf und seine Schule bemühen sich darum, während sein weitverbreitetes Lehrbuch sie wie bisher positivistisch darstellt. In mehreren Abhandlungen geht er auf die Frage ein.105
Zum ersten Mal stellt sich damit die Kanonistik der frage, die durch den von Sohm nachgewiesenen Umbruch von der relativen zur absoluten Ordination historisch und systematisch gegeben ist, und die bisher teils übersehen, teils bagatellisiert, teils nach Analogie des bekannten Hegelschen Satzes, weil geschichtlich wirksam, auch als gerechtfertigt angesehen worden ist.
Die historische Erklärung Mörsdorfs für den Vorgang selbst bietet auch die Grundlage unserer Kritik. Nach seiner Darstellung106 gab die altkirchliche Ordination eine doppelte geistliche Befähigung, die absolute dagegen nur eine, diejenige zur privaten Feier der Eucharistie, nicht wir jene zugleich zum öffentlichen Dienst für das Volk. Hierfür bedurfte es der von der Jurisdictio zu erteilenden Ermächtigung, der missio. Unterstellt, daß die Kanonisten jener Zeit so argumentiert haben, muß diese Lösung als ein überaus eleganter Kunstgriff, aber auch als charakteristische Wiedergabe der damaligen Verfassungssituation bezeichnet werden. Sie besagt nämlich praktisch: um ordiniert zu werden, bedarf der Bewerber nicht mehr einer vorausgehenden kanonischen Wahl, in welcher die Frage seiner geistlichen Eignung zur Entscheidung der Gemeinde oder eines sie vertretenden Wahlkörpers steht. Die Entscheidung über die Berufung ist auf den ordinator allein übergegangen. Das durch die Ordination geschaffene qualifizierte Subjekt wird dann von dem Ordinator durch missio eingesetzt. Die iurisdictio, die vor der ordinatio nicht mehr als gesonderter Akt hervortritt, erscheint in der missio hinter ihr. Vorausgesetzt wird dabei, daß das Wahlrecht der Gemeinde oder sonstiger Körper (Kapitel) jedenfalls konstitutiv nicht mehr nötig, wenn auch nicht begrifflich ausgeschlossen ist. Der durch missio Gesandte muß jedenfalls angenommen werden. Ein Rest von
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Akklamationsrecht hat keine wesentliche Bedeutung. Der sachliche
Gedanke, vermöge dessen in der römischen Kirche die
missio-jurisdictio der ordinatio nachfolgen kann, ist der der
Beziehung auf die Öffentlichkeit der Gemeinde und den Dienst an
ihr. Darin ist zweierlei enthalten:
1. Entsprechend dem liturgischen Grundansatz der römischen Messe
ist die Gemeinde von der Aktivbürgerschaft ausgeschlossen, der
potestas ecclesiastica lediglich unterworfen, durch sie
ausschließlich vertreten.
2. Wird aber erst durch die missio die ordinatio für das
öffentliche Amt tauglich, so kommt diese Publizität an derselben
Stelle zu stehen, wo sie in der protestantischen Ordinationslehre
steht. Während der Protestantismus die vocatio durch die
ordinatio publiziert und in Wirksamkeit setzt, geschieht dies
umgekehrt in der römischen Kirche mit der ordinatio durch die
missio, die die vocatio ersetzt.
Das lutherische „nisi rite vocatus” entspricht genau der römischen Auffassung, die man formulieren könnte: „non sine missione ordinatus fungatur”. Der Auseinanderfall von vocatio und ordinatio ist beiderseits eklatant. Dem monistischen Zug des abendländischen Denkens entsprechend liegt das Schwergewicht immer auf einem Punkte, nur eben auf verschiedenen Akten der Vorgangseinheit, hier der ordinatio, dort der vocatio, während jeweils der zweite nur konsekutiv angefügt ist, aber für den Bestand des Amtes nicht konstitutiv ist. Die Denkstruktur ist genau die gleiche; nur die sachlichen Elemente sind vertauscht.
So wenig schriftgemäß nun die Annahme einer nur konfirmatorisch-signifikatorischen Ordination ist, nicht weniger bedenklich ist die von Mörsdorf nicht einmal andeutungsweise in Frage gestellte Aussage, daß der Ordinierte zum sakrifiziellen Handeln, nicht aber zum öffentlichen Dienst an der Gemeinde, zum Dienst für das Volk befähigt sei. Das ist unvereinbar mit der Stiftung des Abendmahls, mit dem „für Euch”, auch dann und gerade dann, wenn man sich bewußt ist, daß dieses „für Euch” doppelsinnig ad patrem und pro multis zu verstehen ist. Es bestätigt aber die schon früher, besonders von v.d. Leeuw erwähnte Tatsache, daß auch noch nach heutiger Meßlehre die Kommunion nicht wesentlich ist, die Messe also entscheidend auf das Opfer zentriert ist.
In der Gegenüberstellung des jeweils für entscheidend angesehenen Aktes (vocatio oder ordinatio) zur Öffentlichkeit des mit ihm bezeichneten Dienstes liegt aber zugleich der ganze Spiritualismus, der beiden Anschauungen gemeinsam ist: die Gegenüberstellung von Innen und Außen, dem Geistlichen und dem, was sichtbar und zweckhaft einsetzbar ist.107
Fast ebenso unbegreiflich und anstößig wie die behauptete beschränkte Wirksamkeit der missionslosen Ordination ist die ebenso undiskutiert hingenommene Behauptung, daß die Ordination nach einem wesentlich gleichen Ritus, gleicher Intention zu der einen Zeit eine
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doppelte, zur anderen nur eine einfache, beschränkte Befähigung vermittelt habe. Das kann dann eben nicht am Ritus liegen, sondern daran, daß der altkirchliche Ordination eben die später weggefallene, durch die nachfolgende missio faktisch ersetzte jurisdiktionelle Wahl vorausging.
Das heißt aber: Mörsdorf hat den veränderten Tatbestand geschildert, aber doch nur wieder letztlich rein positivistisch. Eine rechtfertigende Erklärung ist er nicht zu geben imstande. Er hat freilich das Verdienst, sich den Tatsachen und der Frage bewußt gestellt zu haben. Nach wie vor genügt ihm aber die additive Zuordnung der beiden Gewalten, deren Einheit vorausgesetzt, aber in ihrer inneren Struktur nicht aufgewiesen wird. Dieser additive Charakter macht ihm kein Beschwer, obwohl er die frühere Einheit sieht. Er verlegt sie in eine bloße Dualität zurück.
Auch die Arbeit seines Schülers Kayser ist dieser Frage gewidmet; aber in dieser ist doch nicht wirklich das Problem gesehen. „Christus ist zugleich lebenspendendes und ordnendes Prinzip seines Volkes” heißt es dort.108 Beides wird möglichst nah aneinander herangeführt, aber doch nur um die vorfindliche Zweigleisigkeit der heutigen Ordnung zu rechtfertigen. Dann wird109 der Gedanke noch einmal anders dahin gewendet, das diese Gewalt „zugleich im göttlichen wie im menschlichen Bereich unabdingbare Geltungskraft besitzt”. Soll nun der ordo den göttlichen, die missio-jurisdictio den menschlichen Bereich bezeichnen? Die Fülle der nicht notwendig zur Thematik der Gewalteneinheit gehörigen ekklesiologischen Aussagen verdeckt die eigentliche Frage. Das göttlich-menschlich so aufzuteilen, widerspricht der christologie von Chalcedon, ist aber mindestens ein weiterer Beleg für die spiritualistische Spaltung. Zugleich taucht der Gedanke auf, daß die Teilung auf die Unterscheidung von Wortverkündigung, Mission und Sakramentsverwaltung zurückzuführen sei. Aber eine durchführende Begründung dieses Gedankens fehlt wiederum, während der Gedanke des triplex munus ausdrücklich als ungeeignet für die Erklärung der Unterscheidung der Gewalten bezeichnet wird: nicht von den Aufgaben, sondern nur von der Sendung her sei das Wesen der Kirchengewalt zu bestimmen. Wird nun — an und für sich genommen zu Recht — die Einheit der Kirchengewalt zentral herausgestellt, so wird doch Grund und Grenze der entstandenen Unterscheidungen nicht sichtbar. Die Arbeit löst also unser Problem nicht.
Mörsdorf hat das ihn bewegende Problem nach der ersten Erörterung von 1951/2 in der zu 2 genannten Abhandlung weiterverfolgt. Während er 1951 rein von der historischen Entwicklung her argumentiert, bringt er 1959 unter Wiederholung dieser Darstellung eine biblische Begründung nach, indem er sich auf Joh. 15, 1-11 beruft. Die Weihegewalt entspreche dem Leben im Weinstock, die Hirtengewalt sei das Prinzip der Ordnung, welches unfruchtbare Zweige entferne und reinige (389). Daran
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ist soviel richtig, wie mich110 bewogen hat, den Gedanken der missio nicht abzuweisen. Aber das johanneische Gleichnis rechtfertigt nun in keiner Weise, das vorausgehende Moment der Wahl und Erwählung völlig und stillschweigend beiseitezustellen. Es ist allzu deutlich, daß diese Beiseitestellung zunächst einmal lediglich eine historische Entwicklung ist, keine Frage der „apostolischen Tradition”, welch sich zu entfalten hätte. Aber es enthält nun doch auch eine systematisch-theologische Entscheidung, nämlich zur Beiseitestellung der mit der Berufung, vocatio gestellten Fragen. Daß die Weihe die Geistträger erzeugt, die das Volk leiten und die Liturgie vollziehen, wird in einer Selbstverständlichkeit gesagt, in der keine Rückfrage auf das göttliche Berufensein mehr enthalten ist und Platz hat.
Das schließlich verwendete und sogar graphisch zur Anschauung gebrachte Bild (391) der Polarität beider Gewalten ist statisch gedacht und auf die Geschichtlichkeit des Geschehens nicht bezogen. Zuzustimmen ist ihm dabei, daß der materiale Gedanke der drei munera nicht hierher gehört und die Gewaltenlehre als solche verwirrt.
Mörsdorf sucht nun zugleich beide Gewalten möglichst nahe beieinanderzuhalten, wodurch das Fehlen einer konkreten Verhältnisbestimmung verdeckt wird. Er zieht als Beispiel das Bußsakrament heran (390). Man dürfe nicht das eigentlich sakramentale Moment der Weihgewalt zurechnen, und das jurisdictionelle als dessen bloßes Substrat verstehen. Beide seien an dem sakramentalen Tun beteiligt. Die Form des Bußsakraments sei nun eben der judizielle Spruch, freilich in Verbindung mit der sakramentalen potestas ordinis. Wieviel deutlicher weiß dagegen die altkirchliche Reconciliationsform hier zu scheiden und zusammenzuordnen! Der redliche Wunsch nach der Einheit der Kirchengewalt verdeckt letzten Endes den Mangel einer wirklichen Konzeption für die Zuordnung beider potestates, und damit befestigt dieses Postulat doch nur die faktische Trennung, die erlaubt, alles Gewünschte zweckhaft zu tun. Diese Begriffserklärung führt zu keiner Änderung der Praxis.
Aus dem Bemühen um die Einheit der Kirchengewalt spricht ein ehrliches Ungenügen an dem gegenwärtigen Zustand. Aber eine Lösung ist das Vorgelegte nicht. Der wesentlichste Ertrag dieser Darstellung aber ist, daß sie uns das Urteil ermöglicht, daß die reformatorische Ordinationslehre unter Bewahrung der gleichen Denkstruktur eine dialektische Umkehrung der scholastischen ist. Diese überraschende Einsicht ist bisher hintangehalten worden durch die ungeprüft wiederholte Behauptung von einem grundsätzlichen Neuansatz, in welcher ein Stück Selbstrechtfertigung steckt, weiter durch die auffällige Lähmung des Strukturverständnisses und schließlich durch den Mangel einer Konzeption, welche ermöglicht, die Dinge auch anders zu betrachten. Das Postulat der Einheit auf der katholischen Seite, die Behauptung des
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grundsätzlichen Neuansatzes auf der evangelischen sind schlichte Selbsttäuschungen.
Andererseits verschenkt Mörsdorf selbst einen Ansatz der Lösung, wenn er sagt:111
„Der Herr gab die apostolische Sendung allein durch das Wort ohne sinnbildliches Zeichen, jedenfalls ist uns von einer symbolischen Handlung nichts berichtet.”
Die in Kap. V/1 angeführten Sendungsworte zeigen jedoch deutlich Vorgänge der sich von der Sendung abhebenden Bevollmächtigung. Dabei ist in den Worten Mörsdorfs die Reduktion des Gesuchten auf das bloße Zeichen auffällig. Sie zeigt die auch von v.d. Leeuw belegte Spannbreite der scheinbar so festgefügten römischen Sakramentstheologie von Casel über Scholastik bis zu calvinisierenden Formulierungen.
So sinnfällig verschieden in Selbstverständnis und Gestalt die römische und reformatorische Ordinationslehre sind, so nahe stehen sie sich bei näherer Untersuchung in Struktur und Gehalt. Für den ersten Blick erklärt sich der enorme Abstand daraus, daß innerhalb des Gesamtvorgangs das Schwergewicht hier auf die (sakramentale) Ordination, dort auf die vocatio gelegt wird. Der zweite Blick zeigt dann, daß ein Rückweg zur absoluten Ordination, freilich einer nicht-sakramentalen, vocatorisch oder unbestimmt verstandenen Ordination begangen wird. Damit rücken beide bei voller Aufrechterhaltung des unterschiedlichen Verständnisses und Menschenbildes noch um viele Grade näher aneinander. Der Unterschied besteht nur noch in der verschiedenen Ausfüllung des gemeinsamen Thetik: der (berufende oder sakramentale) Setzungsakt ist ausschlaggebend.