Eduard Lohse hat in seiner bekannten Schrift den biblischen Befund der „Ordination im Spätjudentum und Neuem Testament” zusammengetragen. Seine fast überall anerkannte Darstellung habe ich als Grundlage der Erörterung des Problems übernommen. Einzelne etwa umstrittene Fragen verändern, soweit ich sehe, das Gesamtbild nicht. Lohses Ergebnisse reichen aus, hier eine Anschauung zu entwickeln. Es handelt sich also nicht so sehr um Fragen der Exegese, als um die Interpretation der in der Hauptsache unbestrittenen Ergebnisse.
Lohse macht deutlich, daß das Hereintragen späterer historischer und dogmatischer Begriffe wie Bischof, Priester, Sakrament, Weihegewalt, Hierarchie, Amt, Sukzession hier nicht weiter führt, sondern das Bild verzerrt. Das Verhältnis dieser Bildungen und Vorstellungen zum biblischen Befund ist in einem besonderen Arbeitsgang zu klären, nicht durch Gleichsetzung zu bestimmen. Denn damit gehen die geschichtlichen Wandlungen — auch bei Annahme eines sinngemäßen Zusammenhanges — ebenso verloren wie die Tatsache, daß es sich weitgehend um dogmatische Begriffe handelt, die nicht hier, sondern an ihrem Orte zu bilden und zu vertreten sind.
Für das Gesamtergebnis ist die Feststellung Lohses besonders wichtig, daß sich die Handauflegung im Neuen Testament zur Übermittlung von Heil- und Segenskräften und zur Verleihung des Geistes findet: „Es wird damit nicht nur eine symbolische Handlung vollzogen, sondern es handelt sich um ein wirkliches Geschehen, dessen tatsächliche Folgen an der Gesundheit der Geheilten und an der Geistbegabung derer, denen die Hände aufgelegt wurden, sichtbar in Erscheinung treten.” 1
„Die Handauflegung als äußeres Zeichen der Ordination ist vom Judentum übernommen worden. Hier hatte sie insofern eine bestätigende Bedeutung, als der Ordinand ein erfolgreiches Studium durchgeführt haben mußte und nun die Autorisation erhielt, selbständig Lehr- und Rechtsentscheidungen zu treffen. Wir hatten aber gesehen, daß diese äußere Seite der jüdischen Ordination nicht allein betrachtet werden darf. Denn es ist gerade von entscheidender Wichtigkeit, daß der Lehrer dem Schüler den Geist der Weisheit weitergibt. Schon aus diesem Grunde kann für die Handauflegung nicht nur ein bestätigender Charakter angenommen werden. Das gleiche Bedenken gegen die oben genannte Auffassung wird von den sonstigen Verwendungsarten der Handauflegung her nahegelegt. Bei der Heilung Kranker wird Kraft zur
|474|
Gesundung verliehen, in der Taufe kommt der Geist auf die Täuflinge herab, und die Segnung wird als wirkliche Verleihung des Segens verstanden. Die Handauflegung als lediglich äußeres Zeichen, dem keine inhaltliche Bedeutung zukäme, ist im NT nicht zu belegen.” 2
Dabei ist aber von der epithesis ton cheiron das cheirotonein und die cheirotonia zu unterscheiden. Das erste ist die bevollmächtigende Handauflegung, das zweite ist die erwählende Handerhebung bei der Abstimmung. Die Handauflegung in der Tradition der jüdischen semikhah ist die Ordination im engeren Sinne als Amtsbevollmächtigung.
Als neutestamentliche epithesis ton cheiron untersucht Lohse zwei Stellen: Act. 13, 1-3 und Acta 6, 1-6. Für die erstere Stelle kommt er zu dem Ergebnis, daß es sich um die Beauftragung von zwei bereits anerkannten Lehrern zu Aposteln handelt, unter Anknüpfung an die jüdische Fastenordnung. Dabei nennt er schon ausdrücklich die drei Elemente der Handlung, die wir später in der Folge vocatio, benedictio, missio wiederfinden werden, indem er sagt:
„Die Auswahl ist unmittelbar auf göttliche Anweisung geschehen. Die Bevollmächtigung erfolgt nach vorbereitendem Fasten unter fürbittendem Gebet und durch Auflegung der Hände. Der erteilte Auftrag geht dahin, das Evangelium in die Welt hinauszutragen.” 3
Für Acta 6 weist Lohse darauf hin, daß von einem eigentlichen Diakonat der dort genannten Sieben nichts berichtet wird, obwohl es anderwärts Diakone in unserem Sinne (Phil. 1, 1, Röm. 16, 1) gegeben habe. Es ist vielmehr die diakonia tou logou. Er sieht eine deutliche Parallele zur jüdischen Ordination; aber im Unterschied zu dieser wird sie unter Gebet vollzogen. Die Anrufung Gottes (Epiklese) ist wesentlich, denn nur sein Handeln und seine Bevollmächtigung hat letzte Gültigkeit. Die Handauflegung ist hier wie die rabbinische semikhah als eine Bevollmächtigung zur Lehre und Verkündigung zu verstehen. Daß die erwählten Sieben schon vorher im Besitze des Geistes waren (Act. 6, 3 ff.), schließt nicht aus, daß die Handauflegung dazu dienen sollte, die Ausrüstung zur Führung des Amtes zu verleihen. Denn auch bei der Ordination der jüdischen Gelehrten war die ihnen verliehene Gabe der Weisheit deutlich von dem „Heiligen Geist” unterschieden. Auch hier gliedert sich die Handlung in zwei Akte: die Gemeinde wählt (im Sinne der cheirotonia als Handerhebung), und die Apostel vollziehen den eigentlichen Akt der Bevollmächtigung durch die Handauflegung.4
Lohse fällt sodann die Abwandlung des jüdischen Ordinationsbrauchs auf, welche sich für das Sukzessionsproblem als besonders wichtig erweisen wird: es besteht kein Lehrer-Schüler-Verhältnis, denn die Apostel sind keine Schriftgelehrten. Die Handauflegung wird nicht durch den Lehrer, sondern ein Kollegium erteilt.5 Er hält es für denkbar, daß die durch Handauflegung erteilte Beauftragung zur Wortverkündigung, wie es Act. 13 nahelegt, ursprünglich an den Ritus der Beauftragten eines
|475|
Schaliach anknüpfte, und daß erst später die Ordination, die einen festen Stand von Amtsträgern voraussetzte, von den Christen übernommen wurde. Auf alle Fälle aber müsse die Ordination schon vor der Urgemeinde vor 70 n.Chr. geübt worden sein.
Die Verwurzelung der Ordination im schaliach würde ihr Gewicht freilich noch sehr verstärken.
Das bedeutsamste allgemeine Ergebnis der Untersuchung ist, daß sowohl das signifikatorische wie das konfirmatorische Verständnis der Ordination nicht der Bibel entspricht. Lohse wendet sich auch ausdrücklich gegen unklare Begriffsbildungen in dieser Richtung bei Behm und Schlier („wirksames Symbol”, „zeichenhaft und zugleich wirksam”).6
„Sowohl eine hochkirchlich-katholische Überbewertung wie auch eine Herabsetzung der Ordination zu einer feierlichen Handlung, die als ein Adiaphoron angesehen werden könnte, ist auszuschließen.” 7
Die im Schlußwort gegebene Ortsbestimmung zwischen Überbewertung und Unterbewertung reicht nun aber zur Klärung keineswegs aus. Es ist die beliebte Formel „Zwischen Rom und den Schwärmern”, “Zwischen Rom und dem Modernismus”. Diese doppelten Negationen nehmen der eigenen Position Raum und Kraft zur Entfaltung. Denn diese negativen Bestimmungsmomente tragen weit überwiegend sekundären Charakter. Ist die Ordination kein adiaphoron, so ist noch nichts darüber gesagt, welchen Grad der Notwendigkeit sie hat. Worin die andererseits abgewehrte Überwertung besteht, ist ebenfalls nicht klar. Handelt es sich um eine stimmungsgemäße Betonung oder eine Mystifizierung, so hat dies ohnehin nur geringe Substanz, ist sie nur ein Zeichen des Überdrusses an der Vernachlässigung der Ordination und der Entleerung des Amtes. Entscheidend sind diese subjektiven, relativen und reaktiven Meinungen nicht.
Die gewohnte Polemik gegen Magie, Simonie, Verfügbarkeit, die hier wie nirgends fehlt, betrifft ebenfalls keine theologisch ernstzunehmenden Kontroverspunkte. Den Gegensatz zur römischen und griechischen Theologie trifft man jedenfalls damit nicht. Behauptete Konsequenzen sind nicht einfach identisch mit vertretenen Anschauungen und grundsätzlichen Anliegen.
Der wichtigste, immer wiederkehrende und eben deshalb nicht wirklich reflektierte Gedanke ist der der Alleinwirksamkeit Gottes in der Ordination. Daß Gott der eigentlich handelnde Ordinator ist,8 daß auch der Zuspruch seiner Verheißung Gottes Tat ist,9 ist unbestritten zwischen allen Konfessionen und bezeichnet deshalb keineswegs den Punkt, an dem man sich konkret scheidet. Es geht vielmehr gerade um die Auslegung dieses Tatbestandes, d.h. darum, daß die Alleinwirksamkeit Gottes keine Alleintätigkeit ist. Wiewohl Gott allein wirksam handelt, handelt sichtbar der Mensch. Infolgedessen geht es um das Verhältnis dieses doppelten Handelns, dieser zwei Handelnden in jenem typischen
|476|
Akt — und zwar sowohl zeitlich wie sachlich-inhaltlich. Hier gibt es nun verschiedene Möglichkeiten:
1. Das — wiewohl unvergleichliche — Handeln Gottes und des Menschen kumuliert sich, verbindet sich im Sinne der Addition. Einen solchen Ordinationspelagianismus habe ich bisher nirgends gefunden.
Eine semipelagianische Ordinationsauffassung ergibt sich freilich aus der psychologisierenden Auslegung des Begriffs „charis” in der liberalen Exegese. So sagt Behm:10
„charisma ist bei Paulus wie durchweg eine Naturanlage, die durch Einwirkung des Geistes geläutert oder vertieft ist und der Ausbreitung des Evangeliums bzw. dem christlichen Gemeindeleben dienstbar gemacht wird, eine individuelle Tüchtigkeit durch Geisteskraft angewandt im Dienste der Gemeinde. Als Supranaturalist neigt freilich Paulus dazu, alle Betätigung menschlicher Persönlichkeit (sic!) zum Besten der Gemeinde unmittelbar auf Wirkungen Gottes oder des Geistes zurückzuführen … Eine besondere Begabung für Lehrtätigkeit, etwa die Gabe zündender Rede, rhetorischer Fertigkeit, ein sympathisches Organ (!) und dgl. hat Timotheus schon von Natur. Die braucht ihm nicht mehr ,gegeben’ zu werden. Und wenn auch das eigentliche ,Geben’ der göttlichen Gnadengaben in der Steigerung oder Vertiefung der natürlichen Anlagen zu sehen ist, so kann dies Wirken des Geistes doch nicht an eine der im Text genannten Handlungen gebunden gedacht werden, im Sinne einer einmaligen Geistbegabung in eben jener Stunde. Wohl aber mag Timotheus damals in entscheidender Weise die innere Klarheit gewonnen haben über seine Befähigung zum kirchlichen Lehrberuf. Religiös-psychologisch bedeutet jene Stunde für ihn den Empfang seines charisma, weil er in ihr desselben innerlich gewiß geworden ist. ,ho edothe soi’ wäre dann so viel wie ,das dir subjektiv gegeben ist’ ,dessen du gewiß gemacht worden bist’. Darin, wie Paulus den Anknüpfungspunkt (!) für seine ermunternden Worte in der inneren Erfahrung des Timotheus sucht, liegt gerade die psychologische Feinheit seiner Paränese.”
Mit Recht sagt Lohse dagegen:
„In den Charismen besondert sich die für alle gleiche Gnade, die den Glaubens- und Heilsstand begründet, nach den Bedürfnissen des gliedlichen Zusammenhangs der Gemeinde und schafft die Befähigung zu jeder diesen Bedürfnissen entgegenkommenden diakonia.” (so Cremer-Kögel). Die natürlichen Gaben des Menschen werden dabei mit in Dienst genommen, entscheidend aber ist das Moment der charis, durch die Gott in die Gemeinde stellt. Die Charismen sind also nicht Ergebnisse natürlicher Begabung, sondern Gaben, die Gott gibt. Das charisma ist eine „Besonderung der charis” (Käsemann, Leib und Leib Christi, S. 129 ff.).
Jene abgelebte Meinung mußte hier so breit vorgeführt werden, weil
|477|
erst ihre unverkürzte Darstellung ihre biblische Unmöglichkeit zeigt. Sie wirkt aber noch bis heute nach, sie wurde und wird nicht als unvereinbar empfunden mit einem korrekten Rechtfertigungsglauben. Im Gegenteil: die Allgemeinheit — auch des rechtfertigenden — Glaubens, der Glaube an die charis steht dem biblischen Verständnis der charismata entgegen. Dieser Glaube erzeugt ein Subjekt, dem zwar immer wieder dieser angefochtene Glaube, aber kein charisma hinzugegeben werden kann, keine Gabe, die er im Grunde nicht schon hat. An die Stelle des homo religiosus im vergleichsweise naiven Pelagianismus tritt ein sehr viel sublimeres und nicht weniger selbstmächtiges Subjekt des Glaubens, das in seiner Personalität den Geist hat (oder nicht hat) und wegen dieser charis das charisma nicht mehr braucht.11 Deshalb kann die Frage der Ordination und der Gliederung des Amtes zu einem Prüfstein für die Abweisung dieser modernen Häresie werden. Nur wenn beides festgehalten wird: die Besonderung der charismata und ihre konkrete Verleihung, kann sie vermieden werden.
Die berechtigte Kritik an einer ungesicherten Formalisierung und Institutionalisierung der verschiedenen Charismata verliert ihr eigentliches Recht und fällt auf der anderen Seite vom Pferd, wenn sie mit der Unifizierung der wesentlichen Verrichtungen in der Kirche zugleich die konkrete Geistmitteilung leugnet. Wenn die Lehre von den drei Ämtern nicht mehr für sich hätte als Tradition und historische Kontingenz, so würde sie immer noch den biblischen Glauben an die konkrete Verleihung verschiedener Charismata für jedermann und gegen jenes Mißverständnis deutlich bezeugen.
2. Es tritt die erstmalige göttliche Stiftung und Bevollmächtigung so in den Vordergrund, daß aus ihr — in relativer — Selbständigkeit die ständig sich fortsetzenden vollmächtigen menschlichen Handlungen hervorgehen.
3. Eine der zweiten Lösung analoge Verständnisform ist der Gedanke, daß die Ordination nur die von Gott vollzogene Berufung kundbar, publik, gewißzumachen, anzuzeigen, bestenfalls zu bestätigen und zu bekräftigen habe (signifikatorisches oder konfirmatorisches Verständnis). Man kann natürlich die Alleinwirksamkeit Gottes dadurch am leichtesten sichern, daß man sie überhaupt von dem Ordinationsakt wegverlagert sieht.
Damit ist aber das pneumatologische Problem der Präsenz Gottes in der Ordination und dasjenige des Zusammentreffens von göttlichem und menschlichem Handeln von vornherein beiseitegestellt. Bei einem konfirmatorischen oder signifikatorischen Verständnis der Ordination hebt sich der Satz Christus = Ordinator selber auf. Denn wenn das eigentliche der Amtsbestellung in der Erwählung, der Führung auf das Amt zu liegt, und infolgedessen die Bedeutung der Ordination in den Tendenz abgeschwächt wird, so braucht man für diese Folgeerscheinung
|478|
Gott in Wahrheit nicht mehr. Denn ist es wesentlich Kundbarmachung einer den beteiligten Menschen gewordenen Erkenntnis, der Berufung. Dann ist es ganz folgerichtig, daß Ordination nichts Wesentliches bedeutet. Man kann die Lage durch eine starke Überspitzung klarstellen: in der zweiten Lösung, katholischer Tendenz, gibt es eine Ordination, aber Gott wird nicht mehr gebraucht. In der dritten Lösung, die die protestantische Tendenz ausdrückt, ist die Souveränität Gottes gewahrt, aber dafür gibt es keine Ordination mehr.
Für uns ist also die Präsenz Gottes in der Ordination die Voraussetzung, die Koinzidenz des göttlichen und menschlichen Handelns das Problem. Dieses Problem kann man nur durch die Annahme einer offenen Koinzidenz lösen. D.h.: Gott als der eigentlich Handelnde ist frei, aber er hat seine Präsenz verheißen. Da der Mensch nun nichts dazuzutun vermag, fällt ihm zu, diese Präsenz für den Ordinanden zu erbitten und ihm in der Glaubensgewißheit der Verheißung auch diese verheißene Gabe wirklich zu verleihen. Die Annahme, daß hier nicht wirklich gegeben und verliehen würde, wäre ein Akte des Unglaubens. Unser Zweifel könnte immer nur ein Zweifel hinsichtlich der Erwählung zum Amt, niemals aber hinsichtlich der Verleihung der Gaben in der Ordination sein. Der offenen Koinzidenz würde die von Lohse mit Recht angeführte altkirchliche Regel entsprechen, daß der Märtyrer nicht der Ordination bedürfe.12
Erst eine spätere Zeit hat die offene Koinzidenz durch eine geschlossene ersetzt, in der auf alle Fälle etwas, die Verleihung eines sakramentalen Charakters geschieht, welcher auch dem Unberufenen ein wirksames Handeln ermöglicht. Die Ablehnung dieser Vorstellung hat nun keineswegs zur Wiederherstellung der offenen Koinzidenz geführt, sondern im Gegenteil zur Preisgabe der Ordination in unterschiedlichen Graden der Entleerung.
Lohse sagt mit Recht, daß die Bedeutung der Ordination aus der Beurteilung der Handauflegung zu gewinnen sei, d.h. vor und unabhängig von einer geformten Begrifflichkeit. Das Endergebnis seiner Erwägung wurde schon eingangs zitiert. Die urchristliche Ordination ist von fürbittendem Gebet begleitet.13 Fürbitte und Handauflegung als Handlung gehören zusammen. So Augustin „manus impositio quid est enim aliud nisi oratio super hominem?” 14 Das heißt aber, daß die Ordination in einem doppelten oder zweiseitigen Akt des Ordinators besteht. Wiewohl die geistliche Wirkung der Ordination nicht in der Macht des Menschen liegt, wird sie durch seine Bitte und sein zuwendendes Handeln in einer ähnlichen Weise bedingt, wie das Heil durch den Glauben. Wer nicht bittet, daß gegeben werde, vermag auch nicht instrumental zu geben. „Dem Ordinanden werden die Hände aufgelegt, damit ihm die erbetene Gnade zukomme” 15. Die Paradoxie dieses Vorgangs bietet hinreichende Möglichkeit, durch Überbetonung eines Moments und Zurückstellung
|479|
des anderen das Ganze zu zerstören und ad absurdum zu führen.
Denn zwischen Bitte, göttlicher Erfüllung und menschlicher
Weitergabe bestehen Spannungen. Was uns gegenüber diesen
Spannungen in der Sache selbst und dem biblischen Vorbild fehlt,
ist
1. die Bereitschaft, diese
paradoxe Einheit so anzunehmen, wie sie ist,
2. der ungebrochene Glaube an
die Präsenz des Heiligen Geistes, ohne welchen Glauben die
Handhabung der Handauflegung nach dem Zeugnis der Bibel gar nicht
zu verstehen ist. Je mehr die Selbstgewißheit des Glaubens oder
der Erwählung und schließlich diejenige der Vernunft in den
Vordergrund tritt, desto schwieriger wird die Vorstellung einer
konkreten Geistmitteilung durch einen Akt vollziehbar.
3. Für das Verständnis dieses
eigenartigen Vorgangs fehlen die Begriffsmittel, weil das Für und
Wider des geprägten Sakramentsbegriffs davorsteht.
4. Die Begriffsmittel wären
jedoch längst gefunden, wenn nicht — mindestens zum großen Teil
aus den vorgenannten Gründen — das theologische und
Glaubensinteresse an der Frage zurückgetreten wäre. Das mangelnde
Interesse verhindert die Klärung und die Unklarheit verstärkt das
Desinteresse. Das Ganze ist ein Beispiel für die „incurvatio in
se ipsum critica”.
Lohse aber bietet der Sache nach selber den Hinweis auf eine Lösung durch den Vergleich mit der charismatischen Krankenheilung, der Geistmitteilung in der Taufe, der Segnung im allgemeinen. In diesem Charakter der Geistmitteilung verbinden sich Handlungen sehr verschiedener Bedeutung, in sehr verschiedenen Lagen und Zusammenhängen. Der Geist weht nicht nur, wo er will, sondern er wird auch in sehr verschiedenen Beziehungen wirksam, wobei weder die Identität dieses Geistes noch die Form der Mitteilung sich ändern. Diese Form greift auch hinüber in den Bereich der unbestritten gestifteten Sakramente, wie der Taufe. Damit rückt auch die Frage der „Stiftung” der Ordination in ein neues Licht und einen weiteren Zusammenhang. Mir scheint die Frage ebenso unangemessen, wie die Frage nach der Stiftung der Kirche. Jesus hat sicherlich keinen Ordinationsritus geschaffen und ihn dann selber als erster angewendet. Er hat sich auch nicht hier einem bestehenden Ritus unterzogen wie bei seiner Taufe, er hat nicht eine bestehende Kulthandlung verwandelnd benutzt wie das Mahl, welches das Herrenmahl geworden ist. Aber ebenso selbstverständlich entspricht und entspringt die konkrete Geistmitteilung seiner Wirksamkeit überhaupt. Wenn die Jünger zu Lebzeiten Jesu pneumatisch Kranke heilen, dann ist es die ihnen verliehene Kraft, und dieses Handeln unterscheidet sich nicht von den entsprechenden Handlungen pneumatischer Cheirotonie nach Pfingsten. Die eingangs dieses Buchteils angeführten Parallelstellen über die Aussendung der Jünger aber zeigen, daß der Herr selbst so pneumatisch bevollmächtigt. In voller sachlicher und struktureller
|480|
Übereinstimmung mit den in Kap. V/1, S. 282, angeführten Stellen aller vier Evangelien über die Berufung und Bevollmächtigung der Jünger als Apostel legitimiert Paulus sein Apostelamt in der inhaltsreichen Präambel zum Römerbrief (1, 1-7). Berufung zum Apostel, Aussonderung zur Verkündigung des Evangeliums stehen kontrapunktisch der charis und der apostolé gegenüber, welche er als Vollmacht empfangen hat. Die Gegenprobe und Bewährung dieser Auffassung liegt darin, daß sich hier und gerade hier der Unterschied und die Dualität von Berufung und Bevollmächtigung zeigt. Auch Lohse scheidet ganz klar Berufung und Ordination, als getrennte, wiewohl eng zusammengehörige Akte. Die Unklarheit und der Verfall der Ordination setzt in der Geschichte der Ordination in dem Maße ein, in dem beide auseinandergerissen oder aber miteinander vermischt und verwechselt werden. Ein ungeschichtlicher Geistbegriff duldet nicht, daß verschiedene Akte wesentlich sind und doch zusammengehören. Die Suffizienz jedes Aktes für sich allein ist die unausgesprochene Voraussetzung dieser Meinung, die ebensosehr zur Zerreißung der Zusammenhänge wie zur Verwischung der Unterschiede führt.
So ist es also erforderlich, das Geheimnis der Geistmitteilung in seiner Vielfalt als Gesamterscheinung ins Auge zu fassen, um zu der gesuchten Lösung zu kommen.
Das Material Lohses (und die von ihm erreichte Ausscheidung sachwidriger Auffassungen) bedeutet eine Bestätigung des von mir vorgeschlagenen Gedankens des „sacramentum spiritus sancti”,16 welches zugleich die epikletische Seite, das epikletische Element in Taufe und Abendmahl bedeutet und sich mit beiden widerspruchslos verbindet. Ich verkenne nicht die Belastetheit und den sekundären Charakter des Sakramentsbegriffs. Aber solange man ihn nicht für Taufe und Abendmahl aufgibt, solange man Geheimnis und Würde dieses Geschehens nicht tiefer und verpflichtender (und der ganzen Christenheit verständlicher!) auszudrücken versteht, sondern mit der kritischen Erörterung des Begriffs immer zugleich die Sache selbst ins Ungewisse verlaufen läßt, statt sie dichter und mächtiger vor Augen zu stellen — solange darf man nicht scheuen, nun eben auch für dieses Geheimnis die einmal gewählte lateinische Übersetzung von mysterion = Geheimnis zu verwenden. Unverkennbar enthält die Ordination die ganze Problematik des Sakraments. Und so wenig uns die Lehre von der Transsubstantiation verhindert, Abendmahl zu feiern, so wenig darf irgendeine unsachgemäße Lehre von der Priesterweihe uns hindern, die Ordination als das zu bezeichnen, was sie schlicht gesagt ist: ein Sakrament (als eine Form des sacramentum spiritus sancti) und sie auch so zu behandeln.