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Wenn Kirchenrecht in diesem Maß, wie es bisher hier versucht wurde, in den Zusammenhang der theologischen Rechtsbegründung und die Phänomenologie des Rechts hineingestellt wurde, so muß es zugleich auch ebenso deutlich vom weltlichen Recht abgehoben werden. Es hat einen anderen Grund und es hat eine andere Zeit.
Die bisherigen Ausführungen könnten das Mißverständnis hervorrufen, als ginge es in irgendeinem Sinne um bestimmte geschichtliche und gerade zurücktretende, ja vergangene Rechtsformen, denen hier eine neue Bedeutung beigemessen werden sollte. Das ist nicht der fall. Es sollten freilich drei unbestreitbare Tatsachen beachtet und ernstgenommen werden:
1. Die christliche Mission in der antiken Welt, in den Zeiten, die über Ausbildung und Ausbreitung der Kirche weithin entschieden, hat zwar mit der Welt der alten Götterkulte radikal und oft gewaltsam aufgeräumt, sie hat sich aber bei aller Gegensätzlichkeit die Religiosität der Völker in hohem Maße zunutze gemacht. Die Antike wußte, daß der Mensch nicht von sich selbst herkommt.
2. In diesen Bereich gehört auch die Tatsache, daß bei aller deutlichen Umbiegung der christlichen Wahrheit in den Vorstellungen der frisch missionierten germanischen Völker eben auch dort der Gnadenbegriff vorrationalen, sakralen Rechtsdenkens der Gnadenverkündigung des Evangeliums in unberechenbarem Maße entgegenkam.
3. Es ist schon hinreichend erwähnt worden, daß das allmähliche Überwiegen des normativen Gerechtigkeitsrechtes die Verständnismöglichkeit für die Formen des Gnadenrechts ebenso zunehmend einengt. Die Theologen sollten nicht gegen Werkgerechtigkeit und Gesetzlichkeit des Denkens eifern, wenn sie gleichzeitig genau diese formen des Rechtsdenkens als die echten betrachten. Die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz und die Rechtsphilosophie andererseits gewähren keineswegs die unbefangene Erhellung beider Phänomenkreise des Rechtes. Die, wie Karl August Emge mit Recht sagt, jeder Rechtsphilosophie zugrundeliegende Religionsphilosophie bewirkt im Gegenteil eine unbewußte Option für bestimmte rechtsgeschichtliche Formen, hier für die rationalen Probleme des Gerechtigkeitsrechts. Es gibt nicht einmal einen Versuch zu einer hier erforderlichen Theorie der Statusrechte.
Obwohl die säkulare Rechtswissenschaft an diesen ihrem eigenen Gegenstand zugehörenden morphologischen Formen uninteressiert ist, liegt die relative Wahrheit ihrer Haltung doch darin, daß sie nicht mehr in träumender Unschuld Gnade und Gerechtigkeit ungeklärt und ungeschieden in eins sieht. Es ist dieses Beispiel für die Beurteilung des Säkularismus sehr aufschlußreich. Er repräsentiert echt und ohne
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romantische Verschleierung die Zerstörtheit des gefallenen Menschen unter dem Gesetz — aber gerade nicht, wie die Theologen meinen, durch nüchterne Erkenntnis der Beschaffenheit ihres Gegenstandes, sondern durch Verlust ganzer Dimensionen, so wie die Jurisprudenz den Typus der Gnade verloren hat.
Doch sind diese Erwägungen im strengen Sinne sekundär.
Es muß vielmehr gerade unter Verwendung der morphologischen Einsichten die radikale Entgegensetzung von Kirchenrecht und innerweltlicher Rechtsgeschichte verstanden werden. Wenn die Geistesgeschichte des Rechts in einem Gefälle vom Gnadenrecht zum Gerechtigkeitsrecht, von der Einheit von Gnade und Gerechtigkeit zu deren Spaltung und Entgegensetzung und schließlich zum Verlust des Gnadenbegriffes und zur gnadenlosen Pseudoeschatologie totaler menschlicher Gerechtigkeit führt, so verläuft das im Kirchenrecht zu beschreibende und nachzudenkenden Geschehen genau gegenläufig. Die Gerechtigkeit Gottes beginnt, wenn diejenige der Menschen am Ende ist, indem diese Menschen bereit werden, das zuzugestehen, anzuerkennen. Diese schon hinreichend beschriebene Anerkennung erfährt die dem Menschen zugewendete Gnade als geschenkte Restitution, und führt weiter, wie das Gleichnis vom verlorenen Sohn zeigt, über die Restitution in die Neuinstitution, in eine über die Vergebung weit hinausgreifende freie Erhöhung. Das anerkennende Bekenntnis der Buße führt über die restituierende Gnade der Sündenvergebung in die Freiheit der neuen Gemeinschaft, der gnädigen Neuinstitution.
Der alte Äon vergeht in der beginnenden neuen Schöpfung. Diese in der Linie Gesetz-Evangelium liegende Deutung des Sachverhalts läßt sich freilich auch in der Linie Evangelium-Gesetz darstellen. Schon im Göttinger Rechtsgespräch wurde ex consensu dieses Problem wie folgt formuliert:
„Das Vorstehende (die theologische Begründung des Rechts) darf nicht im Wege abstrakter Logik dahin gedeutet werden, daß das Recht im Sinne eines allgemeinen Prinzips aus dem Evangelium folge (nova lex evangelii). Ebensowenig wie die grundsätzliche Reihenfolge ,Evangelium-Gesetz’ läßt sich für die Ableitung des Rechts die grundsätzliche Reihenfolge ,Gesetz-Evangelium’ 27 vertreten. Beide Wege führen, wenn sie zum Prinzip erhoben werden, zur Selbstrechtfertigung des Menschen und haben damit die Auflösung des Rechts zur Folge.” 28
Diese These ist freilich nur mutatis mutandis anzuwenden, indem im Kirchenrecht das Problem allgemeiner sich als Verhältnis von Gerechtigkeit und Gnade darstellt.
Beide sind zugleich untrennbar miteinander verschlungen, wie sie einander auch verdrängen. Proteusartig ist in allen Beziehungsformen je eine Seite dieses Verhältnisses darstellbar. Bedingung ist nur, daß der Dualismus von Gerechtigkeit und Gnade durchgehalten wird. Gerade
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das aber ist nicht geschehen. So ist das protestantische Kirchenrecht im Kampfe gegen eine verhängnisvolle Juridifizierung der Kirche in eine noch schlimmere gefallen, weil es sich vollends von der einseitigen Entwicklung des säkularen Gerechtigkeitsrechts abhängig machte, und damit die Möglichkeit eigener, angemessener Begriffsbildung nicht nur de facto, sondern nunmehr de jure aufgab.
Es ist nach alledem verständlich, daß die beiden großen Rechtsformen und -typen: die verpflichtende Gabe als Gnade und der Anspruch als Durchsetzung der herrschenden Gerechtigkeit als solche betrachtet unvereinbare Gegensätze sind, daß sie aber im Raum des Evangeliums und folgeweise des Kirchenrechts zusammengehören. Der Anspruch der Offenbarung wird erst dadurch vernehmbar, daß Gott zuvor mit uns Gemeinschaft gemacht hat (das ist die noëtische Seite). Dieser Anspruch aber geht nur darauf, daß wir die uns befreiende Gabe der Gnade annehmen, uns in Freiheit setzen lassen — und in ihr bleiben (das ist die ontische Seite). Gott ermöglicht noëtisch und ontisch, daß wir in ein neues Verhältnis zu ihm treten, indem er selbst in ein neues Verhältnis zu uns tritt, indem er den Anspruch — selbst erfüllt. Der „Indikativ” der Gnade und der „Imperativ” des Glaubens sind nicht identisch, sie sind nicht unterschiedliche Aussageformen über das Gleiche — sondern der „Imperativ” ist in den „Indikativ” eingeschlossen und von ihm bedingt. Wer nur den „Imperativ” des Glaubens ohne die Gegenwärtigkeit des Gnade verkündigt, verkündigt nicht das Evangelium. Die in der Welt getrennten Rechtsgedanken der Gnade und der Gerechtigkeit sind im Evangelium versöhnt.
Vermöge dieses Gnadencharakters des Kirchenrechts, des Ansprechens auf verheißene Gnade, wandelt sich auch die Form seines Vollzuges, aus dem Bewirken in das intentionale Bitten. Ja, es ist geradezu die Umkehrung jeder kausalen Vorstellung. Wir bitten, daß etwas geschehe, was zu bitten uns gegeben und aufgetragen ist, daß nämlich der Herr kommt. Wir bitten um seine verheißene Gegenwart. So wie Gott sich selbst als der legitimiert, der seinem Volke gnädig gewesen ist, es aus dem Diensthaus geführt hat, so sprechen wir Gott auf seine Treue an, die in Aposteln, Propheten, Märtyrern und Heiligen in seiner Macht gegenwärtig gewesen ist, auf daß er auch bei uns gegenwärtig sei und uns beistehe. Das ist der gute Sinn der liturgische Präfation. Gott hat seine Gegenwart verheißen, aber er will gebeten sein. Der intentionale Charakter geistlichen Handelns schließt jede kausale Kategorie streng aus — aber wer nicht bittet, wird auch nicht erhört.
Der materiale Grund des Kirchenrechts als Gnade und Gerechtigkeit ist ein streng christologischer. Gott selbst hat in seiner grundlosen Güte den Rechtfertigungsgrund geschaffen, der von der Treue seiner Gerechtigkeit wie seiner Barmherzigkeit, sie beide vereinend, Bestand hat.
Daß sich aber hier ein solcher materialer Rechtfertigungsgrund eines
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mitten in der Zeit sich vollziehenden und lebenden Rechtes zeigt, nötigt uns eben dieses Recht von dem Recht und den Rechtfertigungsgründen in der Zeit deutlich unterscheidend abzuheben, um jeder Verwechslung und unerlaubten Vermischung zu entgehen.
Ich habe früher29 als materiale Gründe der Rechtfertigung des Rechtes genannt: creatio, praedestinatio, baptisma. Sie sind damit bereits in die theologische Aussage übersetzt. Es kann m.E. hinsichtlich der beiden ersten Gründe nicht bestritten werden, daß die in der Geistesgeschichte des Rechtes anzutreffenden Rechtfertigungen des Rechtes sich immer entweder auf den einen oder den anderen Grund beziehen und berufen. Unser Denken ist eingespannt in die Kategorien der Zeit — deshalb kann und muß das Recht auf der Zeitebene entweder vom Ursprung her oder auf ein Ziel hin gedacht und gerechtfertigt werden. Entweder hat mit dem Ursprung das Altbewährte, Herkömmliche die Vermutung und die Gunst des Rechtes für sich, oder umgekehrt das Ziel, der Zweck, die Erfüllung menschlicher Existenz in Fortschritt und Aufstieg, und darum das Neue, Junge, Dynamische. Bewährte Standfestigkeit oder dynamische Wandelbarkeit gewinnen je nachdem einen Wert und Beweiswert für sich, der als grundsätzliches Vorurteil nicht widerlegbar ist, auch meist nicht reflektiert und begründet wird. Es zeigt die Vordergründigkeit unseres Rechtsdenkens, daß man über diese Teilbegriffe und Antithesen nicht hinwegkommt und ihre Bedingtheit nicht sieht. Ist die Rechtfertigung des Rechtes der Struktur des Rechtes zugehörig, kann Recht als nicht-gerechtfertigtes gar nicht gedacht werden, so wäre ja verwunderlich, wenn erst wir sie entdeckten und praktizierten und sie nicht von eh und je mit wechselnden Begründungen und Stilen der Aussage ganz selbstverständlich geübt worden wäre. Im Gegenteil liefert die Rechts- und Verfassungsgeschichte ein überwältigendes Material für jene beiden Rechtfertigungsgründe, für die ständige Berufung auf einen von beiden. Ich halte es nicht für möglich, uns von diesen weltbewegenden Denkformen überhaupt zu befreien, die uns kategorial anhaften. Aus ihnen stammen die typischen Rechtsvermutungen, von denen eine jede Zeit ausgeht. Aber beide scheitern immer wieder: der Legitimismus der Tradition am Kontinuitätsbruch des geschichtlich Zukommenden — der Versuch grundsätzlicher Erneuerung und Revolution an der heilenden Kraft der Beharrung und der notwendigen Wiederholung von lebensbewahrenden Grundfunktionen. Der Kreislauf von Tradition und Revolution ist ein durchaus innerweltlicher — einschließlich seiner transzendenten Grenzwerte von Ursprung und Ziel.
Bei folgerichtiger Durchführung muß nun das apriorische, traditionale Rechtsdenken seine Vorstellungen bis an den Rand der Verhärtung unbedingt und absolut verstehen — das finale Denken vermöge seiner Tendenz zur Eschatologisierung muß ebenso alles radikal bis zur Selbstaufgabe in Frage stellen. Aber der innere Zusammenhang beider,
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ihre deutliche Entsprechung widerlegt beide gemeinsam und wechselseitig. Eine theologische Beurteilung, die rechts- und geschichtsfremd diese Gegebenheit verkennt und überspringt, muß fehlgehen. Zur Bewältigung reicht das Pathos weder der konservativen Erhaltung noch dasjenige fortschrittlicher Selbstentmachtung aus.
Wenn eine Begründung des Kirchenrechts einen theologischen Sinn haben soll, dann muß sie eine Position bestimmen, welche jene beiden Gegensätze von traditionalem und finalem Recht vereinend überwindet — eben deshalb kann sie von beiden als ihrem Widerlager nicht einfach absehen. Wer also vom Rechte in der Zeit gar nichts weiß und wissen will, kann auch nicht von der Rechtfertigung des Rechtes und des Kirchenrechtes reden.
Rechtfertigung des Sünders ist recht verstanden Vergebung der Sünden und Hereinnahme in eine neue Gemeinschaft. Rechtfertigung des Rechtes heißt deshalb, daß dem traditionalen Recht seine Sünden nicht zugerechnet werden, sondern daß trotzdem immer wieder ein neuer Anfang und Fortgang ermöglicht wird, so wie trotz unserer Sünden uns doch immer noch lebendige gesunde Kinder geschenkt werden. Rechtfertigung des Rechts heißt deshalb, daß das finale Recht von dem hektischen Krampf und der Anmaßung befreit wird, das Ende aller Dinge in einer neuen Gemeinschaft herbeizuführen. Beides steht unter einem eschatologischen Zeitmoment. Die Duldung und ständige Erneuerung des Traditionalen heißt, daß kraft einer göttlichen anoché noch nicht endgültig gerichtet wird, die Situation noch offenbleibt. Wenn von Erhaltung geredet wird, so handelt es sich nicht um die Erhaltung einer potentiellen Identität, sondern um die Erhaltung der Offenheit für das von Gott Zukommende.
Andererseits wird der Krampf der Finalität dadurch überwunden, daß ein eschatologisches „schon” dazwischentritt — ebenso wie auf der anderen Seite ein „noch”.
Beides aber erweist sich als für das menschliche Vorstellungsvermögen nicht vereinbar. Hängen wir die Begründung des Rechts am Ursprung auf, so kommen wir nur bis zu uns, zur Begründung unseres gegenwärtigen Rechtsstatus, nicht darüber hinaus. Wir vermögen die Aufhebung, Begrenzung, kritische Brechung dieses Rechtsgedankens nicht durchgreifend zu vollziehen. Blicken wir anstatt auf den Ursprung auf ein immanentes oder transzendentes Ziel, so verliert alles die Berechtigung, was nicht diesem Ziel dient, und dieses Ziel haben wir rational umschrieben und zu begreifen vermeint und vermeinen müssen. So werden wir bereit, alles Gegenwärtige und historisch Erwachsene im Blick auf diese Endbestimmung abzuschütteln und preiszugeben. Alles Kontingente, das die ratio als sinnvoll nicht zu deduzieren vermag, fällt herunter und wird zum Unrecht, zur Sünde. So gibt es Recht ab origine und Recht ad finem, traditionales und finales Recht. Das traditionale
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Recht ist irrational, aus der einen Quelle fächert es sich in der Vielfalt der Erscheinungen unübersehbar aus. Das finale Recht ist rational — es kanalisiert alles wieder unter Generalprinzipien der Bestimmung. Gewordenes Sein und Bestimmung lassen sich formal denkerisch miteinander ausgleichen: lebensmäßig überein bringen lassen sie sich nicht. Das traditionale Rechtsdenken lebt in Statusrechten und ihrer Tradition als ständigem Vorgang — es ist deshalb zu kurz gesagt, es nur als statisch zu bezeichnen. Das finale Denken ist progressiv und lebt in funktionalen Formen. Das traditionale Rechtsdenken ist, wie die Verfassungsgeschichte ausweist, dualistisch: es hält, rational nicht bis ans Ende aller denkerischen Konsequenzen gehend, die Relationsspannung gegensätzlicher Elemente, etwa von König und Volk, Mann und Frau konstruktiv aus.
Das finale Denken ist monistisch und deshalb alternativ: es ist tyrannisch oder liberal. Beide Formen weisen nach theologischem Urteil in sich die Selbstmächtigkeit des Menschen aus. Das traditionale Rechtsdenken, in gutem Bewußtsein der ererbten und wohlerworbenen Rechte vermag sich selbst nicht der eschatologischen Kritik auszusetzen. Es stellt sich freilich in der Kontingenz der Geschichte dem unverfügbar Zukommenden als einem Urteil. Das finale Denken unternimmt es, die letzte Bestimmung des Menschen unter Verletzung ihrer radikalen Transzendenz in ihre innerweltlichen rationalen Begriffe zu pressen und durch die Aufhebung der sündigen Kontingenz des Menschen dessen Existenz in einer Selbstaufhebung zu vollenden. Der Finalismus als Selbstentmachtung ist die moderne Mönchswerkerei.
Beides ist Verfehlung der Wirklichkeit — beides enthält ein Moment der Romantik, Romantik der Vergangenheit — Romantik der Zukunft: Rückgriff und Vorgriff auf eine verloren gegangene heile Gemeinschaft.30
Der Gedanke der Erhaltung des Ursprünglichen entschärft den Ernst des jederzeit zukommenden, nicht nur einmal linear zukünftigen Gerichts. Der Gedanke der zu erfüllenden Gottesherrschaft verkennt die gegenwärtige zukommende Gnade, die unser nicht bedarf. So ist alle Theokratie, mag sie hierarchisch sich des weltlichen Armes bedienen oder mit um so stärkerem Eifer gewaltlos predigen, offene und verborgene selbstmächtige Finalität, die die letzten Dinge in die eigene Regie nimmt. Sie beide halten nicht die Paradoxie des „noch nicht” und „doch schon”, von Zukunft und Gegenwart durch. Eben dies ist die im Glauben gegebene Möglichkeit.
Die Rechtfertigung des Rechtes durch den Glauben fällt gleichsam vertikal in den horizontalen Fluß der Geschichte, der konkreten Rechtsgeschichte ein, ihre Mitte bezeichnend, ihren Grund erhellend. Seither ist die zyklische Wiederkehr der Erhaltung in Richtung auf die endzeitliche Erfüllung aufgebrochen, aber dieser Weg geht nicht aufwärts im Sinne des Fortschritts. Je strenger unser Eifer um die Herbeiführung
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des Reiches Gottes, desto mehr provozieren wir das Gericht. Darin sind Finalität und Eschatologie amphibolisch. Sie entziehen sich — fast ironisch! — unserem Zugriff. Mitten in dieser Spannung ist die Rechtfertigung des Rechts die Ermöglichung des Rechtes in seiner Unmöglichkeit — denn der Mensch vermag das A der Schöpfung mit dem O der Vollendung nicht überein zu bringen.
Gott ist in Christo in die Aporien unserer Existenz stellvertretend eingetreten, indem er, das Unmögliche tuend, uns das Unmögliche ermöglichte. Das Wort „ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte” faßt eben das zusammen, was zusammenzubringen dem Menschen versagt ist. Die Erscheinung Gottes im Fleisch hat ihren Sinn in der heilsgeschichtlichen Verknüpfung beider in der Mitte der Zeit.
Deswegen hat das Kirchenrecht seinen Grund und Ursprung im Missionsbefehl und Wiederholungsbefehl und beginnt seine konkrete Wirksamkeit im Taufrecht. Es verbindet hier Gegenwärtigkeit und Zukunft. Der natürliche Mensch wird gegenwärtig mit Christus begraben in den Tod, auf daß er mit ihm aufstehe. Dies begründet nicht seine Individualexistenz, sein „Zu-sich-selbst-Kommen”, sondern sein „esse cum Christo”, auf das es allein ankommt. Dies verbindet das „schon jetzt” mit dem „noch nicht, aber in Zukunft” und eröffnet den sakramentalen Raum, von dem Barth spricht, in welchem sich dieses Zusammenfall der Zeiten vollzogen hat und immer wieder vollzieht. Damit ist sowohl der theologische wie der rechtssystematische und rechtshistorische Ort des Kirchenrechts in der Mitte der Zeit bestimmt.
Die protestantische Angst vor dem Kirchenrecht und die liberale Verneinung desselben haben ihren echten Grund darin, daß es in der Tat etwas Außerordentliches enthält: aber nicht mehr, sondern genau das Außerordentliche, welches das Evangelium vom fleischgewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Sohne Gottes überhaupt aussagt. Wenn man den Mut hat, dies unverkürzt jederzeit und allerorten zu verkündigen, so sollte man hier nicht weniger Mut haben.
Das Kirchenrecht hat eine andere Blickrichtung als das weltliche Recht. Hier geht es nicht um die Rechtfertigung menschlicher Ansprüche gegenüber Menschen: hier geht es um den Anspruch Gottes ganz allein und mit voller Ausschließlichkeit — und erst auf der Grundlage dessen um Rechtsbeziehungen zwischen Menschen. Es handelt sich um das, was nach Gottes Anspruch und als Gottes Anspruch zu geschehen hat, notwendig durch Menschen, deren er sich hierzu bedient. Es ist hier erneut daran zu erinnern, daß dieser Dienst der Kirche Gottes eigenes Handeln ist. Leiturgia ist seinem ursprünglichen Wortsinn nach ein Handeln nicht im Auftrage des Volkes im Amte, sondern munus, eine freie „Munfizenz” eines Menschen für das Volk, etwa das Handeln eines reichen Mannes, der aus eigenen Mitteln für das Volk öffentliche Bauten oder Veranstaltungen durchführen läßt. Auch daß wir uns im
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Gottesdienst dankend und betend Gott anvertrauen, muß uns zuvor gegeben werden.
Es ist ersichtlich, daß überall das, was in der Kirche auftragsgemäß zu geschehen hat, als Recht von der Kirche und in der Kirche in Anspruch genommen wird — gegenüber der Welt wie den eigenen Gliedern —, als Recht innerhalb der Kirche anerkannt und geübt wird. Wo aber nichts in der Kirche geschieht, gibt es auch kein Kirchenrecht. Dann geht gleichsam die mathematische Funktion auf Null. Keine Kirche oder gar Sekte hat auch nur einen Moment gezögert, als das göttliche recht, als von ihr zu vertretenden göttlichen Anspruch zu verfechten, wozu sie sich berufen und bevollmächtigt wußte. Hierzu bedurfte es keiner vorgängigen Reflexion auf irgendeinen akademischen Rechtsbegriff, auch keiner Anstellung juridischer Oberkirchenräte als Sachverständige. Rechtsbildung ist in keiner Weise von dem Vorhandensein einer Rechtswissenschaft abhängig — das Recht kommt auch nicht, wie das idealistische Grunddogma der akademischen Jurisprudenz behauptet, erst durch deren Begrifflichkeit zu sich selbst.
Was in der Kirche zu geschehen hat, und was wir zu tun haben, dem haben wir uns aktiv und passiv zu unterziehen, als Dienst und Gehorsam, als Handelnde und Empfangende. Davon empfängt die Kirche ihre Gestalt und ihr Recht, ihre rechtliche Gestalt und ihr gestaltendes Recht, in dem dieses beides nicht gegeneinander gesetzt werden kann. Missionsbefehl und Wiederholungsbefehl legen uns ein ganz bestimmtes Tun auf, weisen uns eine ebenso bestimmte Stellung zu. Nicht mehr und nicht weniger macht das Kirchenrecht aus. Das Verständnis dessen, was hier zu geschehen hat, bestimmt mit der Gestalt der Kirche die Gestalt des Kirchenrechts. Was aber nicht in diesen besonderen gottesdienstlichen Bereich, aber och in den sonstigen Lebensbereich der vorfindlichen Kirche gehört, gehört auch nicht zum eigentlichen Kirchenrecht. Aber es muß immer und in jeder Hinsicht diesem Tun zugeordnet werden, darf ihm nicht widersprechen und von ihm nicht zu autonomer Sachlichkeit abgelöst werden.31
Was hier zu geschehen hat, kann sehr unterschiedlich verstanden werden, unterliegt aber der Wahrheitsfrage. Wir übersehen heute in einer umfangreichen Kenntnis von Liturgie und Kirchengeschichte zweier Jahrtausende vollständiger und unbefangener als zuvor diese Verschiedenheit in ihren Zusammenhängen und Verirrungen. Darin liegt vielleicht gerade ein eigentümliches Merkmal unserer Zeit.
Es gibt freilich eine Meinung, die alles Gesagte theoretisch und formal bejahen könnte, um es doch praktisch wieder aufzuheben in eine negative Liturgik, ein negatives Kirchenrecht. Alles ist, so sieht es hier aus, durch das einmalige und unwiederholbare Opfer Christi, durch die Prädestination zum Heil, die sich in der Erweckung zum glaubenden Bekennen ausdrückt und anzeigt, dem Menschen in die Hand gegeben.
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Dann geschieht, heilsgeschichtlich gesehen, im Gottesdienst nichts mehr, sondern es gibt nur die Verkündigung, die die noch nicht erweckten Erwählten aus ihrem Weltschlafe aufruft, für die Erwählten aber nur die Einschärfung des nachfolgenden Gesetzes und dessen Durchsetzung in der den Gläubigen anheim gegebenen und anbefohlenen Welt, mit einem Radikalismus, der von totalitären Denk- und Lebensformen oft nicht sehr weit entfernt ist. Diese Meinung, die in vielfachen Abstufungen denkerischer Folgerichtigkeit auftritt, kann unmöglich dem entgehen, das der Akt des Glaubens sich intellektualisiert, seinen Wirklichkeitscharakter verliert. Es ist diese Anschauung die Umkehrung der Vorstellungen kausalen Bewirkens, welches in seiner gegenwärtigen Kontingenz für sich besteht. Zwischen diesen beiden Vereinseitigungen bewegt sich das Kirchenrecht und erweist sich eben dadurch als media et recta via. Als Spielart dieser Anschauung tritt eine reine Aktualitätsvorstellung auf, die sich zu Unrecht als „geschichtlich” versteht. „Geschichtlichkeit ist nicht Entscheidungsfähigkeit in einer gleichsam punktuellen Situation, sondern bezeichnet (entsprechend etwa L.E.J. Brouwers ,mathematischer Urintuition’) die Zusammenordnung mindestens zweier zeitlich verschiedener Ereignisse.” 32
Sodann muß die Liturgie verkümmern, ja als ein verderblicher Pelagianismus und Synergismus erscheinen. Das ermöglicht die grundsätzliche Preisgabe der Rechtsgestalt der Kirche an die Formen des weltlichen Lebens. So ergibt sich eine neue Souveränität des Menschen, ein neuer christlicher Humanismus in einer typisch spiritualen Trennung von äußerer Freiheit und innerer subjektiver Bindung des Gewissens.
So kann gerade die Bejahung des Bekenntnisrechts als eines grundsätzlichen Ansatzes doch im Ergebnis zur Vernichtung des Kirchenrechts führen, weil die Entleerung der Kirche vom heilsgeschichtlichen Geschehen vom Kirchenrecht nichts mehr übrig läßt. Kirchenrecht hätte dann nur die Bedeutung, die Herrschaft der Kerngemeinde der wahren Gläubigen, der Bekennenden in der Kirche, mit Mitteln der Verfassungsgestaltung zu sichern. Im übrigen bleibt dem Kirchenrecht nur das Existenzrecht der Kirche als solche als des Trägers der Verkündigung des Anspruchs Gottes an die Welt.
Hier lebt also durchaus nicht das alte Pathos der Kirchenrechtsverneinung. Im Gegenteil: es wird mit geradezu totalitärer Härte und in entsprechenden soziologischen Formen Kirchenrecht als Herrschaftssicherung gehandhabt. Aber eben doch nur, um mit radikaler Wendung nach außen im rechtstheologischen Stil des Finalismus in die Welt zu wirken. Diese oft empfundene und selten exakt beschriebene metabasis eis allo genos hebt das im Vordersatz bejahte Kirchenrecht im Nachsatz wieder auf.
Zum Verständnis ist das Gegenbild nötig: es ist die Meinung, daß im objektiven Handeln der Kirche sich alles zum Heil Notwendige
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entscheide und vollziehe. Der Gegensatz läßt sich zunächst einmal deutlich machen in den kirchenrechtliche Folgen der verschiedenen Auffassungen vom gebotenen kirchlichen Handeln. In allen Teilkirchen und Sekten des calvinisch-puritanischen Zweiges sind die Rechte der Gemeindeglieder bis zu dem höchst-möglichen Maß entwickelt. Der Zusammenhang ist klar: je ausschließlicher die Prädestination gesehen wird, die im Glaubensstande und damit dem Bekenntnis hervortritt, desto umfassender und umso weniger begrenzbar wird die Freiheit der Erwählten. Der Übergang zu einem an sich gegebenen, säkularen Menschenrecht der Selbstbestimmung und Mündigkeit und die Gleichsetzung damit ist dann kein großer Schritt. Allein eine strenge Gemeindezucht, der auch die Diener am Wort unterworfen sind, ist zur Erfüllung des nachfolgenden Gesetzes nötig, damit man die zuteil gewordene unverlierbare Gnade nicht freventlich mißachte. Hierfür ist eine presbyteriale Verfassung insofern typisch, als der Presbyter seinem ursprünglichen und hier auch wirklich erneuerten Verständnis nach eben kein Amt — nämlich keine liturgische Funktion hat, sondern ein bewährter und geehrter Ältester ist, an dem die Glaubenserwählung in der Gabe der Bewährung sichtbar wird. Wird er zum Liturgen, wie wenn die Presbyter in der frühen Kirche weithin Gemeindeleiter wurden, so geht er eigentlich in das Bischofsamt über. Nur wegen der Strenge der Gemeindezucht und unter ihrem Vorbehalt wird das geistliche Amt ausgebildet, das mit der Verkündigung grundsätzlich und immer nur deklaratorisch wirkt; auch die Sakramente werden zum deklaratorischen Zeichen. Indem so die Sakramente reduziert werden, wird die Taufe mit ihrem richtenden Charakter in den Vordergrund gestellt, die Altäre verschwinden; an ihrer Stelle tritt der Taufstein und dessen Platz an Stelle des Altars zeigt, daß der Gottesdienst nicht mehr repraesentatio, Gegenwärtigsetzung des Heilsgeschehens ist. Alles drängt zur Punktualität, Aktualität und Einmaligkeit. Das Extrem dessen ist die sektenhafte Verzerrung bei denen, die das Datum ihrer Bekehrung anzugeben verstehen. Dieser zeitlichen Fixierung des Heils entsprechen die vulgären Quantitätsvorstellungen bei römischer Messe und Ablaß. Das ehedem dinglich, objektiv und räumlich verstandene Heilsgeschehen wird nun in die Zeitkategorie übersetzt und subjektiviert.
Der Neukatholizismus, der dem Pelagianismus mindestens praktisch viel Raum gibt, der ein entschiedenes Interesse an der cooperatio des Menschen hat, gibt diesem Menschen ebensowenig eine kirchenrechtliche Stellung wie der universitas fidelium, dem gesamten Leib der Kirche. Alles drängt zu den opus operatum für sich bestehender konstitutiver, konsekratorischer Weiheakte. Aus der Kontinuität dieser konsekrativen Akte fließt in der Sukzession der Weihe die Legitimität der Kirche und ihres rechtliches Handelns. Diese Handlungen können nur am und für das Volk, die Gemeinde, nicht von ihr und mit ihr vollzogen werden.
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Gerade diese Objektivierung, die Aufhebung des gottesdienstlichen Dualismus drängt dazu, der cooperatio Raum zu schaffen, und daher am falschen Platz. In beiden Konzeptionen wird die den Zeit- und Kausalbegriff überschreitende Paradoxie der realen Gegenwärtigsetzung eines ein für allemal Geschehenen zerstört.
Die hier einschlagenden Zeitbegriffe des Herkommens von und des Zukommens sind höchst geeignet, die spezifischen Haltungen gerade im Bereich des kirchlichen Handelns und damit des Kirchenrechts zu klären, ihren Standort nachzuweisen. Die abendländische Kirche hat in zunehmendem Maße das „Herkommen von” akzentuiert. Die römische Kirche betont in ihrem Handeln, in dem was wir darin als repraesentatio verstehen können, das präsentische Moment in höchstem Grade in Verbindung mit einem festen Kontinuum der Sukzession. Das futurische Moment der re-praesentatio tritt dabei zurück: die Abstoßung oder Nichtaufnahme der Epiklese ist dafür ein markantes Zeichen. Noch stärker betont das Luthertum das „eph’ hapax”, welches die Möglichkeit eines gegenwärtigen Geschehens einengt, und das Handeln in das Zwielicht zwischen deklaratorischem und konstitutivem Handeln bringt. Am stärksten greift der — philosophischer Aussageweise nahekommende und nicht entgehende — Prädestinationsglaube zurück, in dem der vorweltliche Ratschluß Gottes überhaupt nur offenbar werden, im Zukommen eigentlich nichts mehr geschehen kann. Indem die beiden letzteren Haltungen die Objektivierung der Präsenz als Verdrängung der futurischen Offenheit bekämpfen, verstärken sie doch eigentlich nur die Tendenz zum Rückgriff auf das „Herkommen von”. Dadurch aber verlieren sie wieder die präsentische, für die gegenwärtige Zwischenexistenz des Christen gültige und tragende Bedeutung des Zukommens, welche auch mit der Objektivierung immer noch gemeint ist. So hat das heftige Bestreiten präsentischen Handelns der Kirche — auch von einer eschatologischen Sicht her — fast noch weniger und jedenfalls nicht grundsätzlich mehr Platz für das „Zukommen”. Das zeigt sich in der Entwicklung der reformatorischen Sozialethik. Die Kirche selbst ist nicht mehr der Ort, in dem der Anbruch einer neuen Schöpfung erfahren wird. Der Schwerpunkt verlagert sich nach außen: die Haltung des Christen ethisiert sich, aber spaltet sich zugleich — in das gehorsam-duldende Hinnehmen und Tragen der vorläufigen, gefallenen, einmal aufzuhebenden Welt, verbunden mit einer tiefen Todessehnsucht — und in die heftige, bis zum Rigorismus gesteigerte Aktivität zur Mehrung der Ehre Gottes und der Durchsetzung seines Willens, seiner Herrschaft. Deswegen ist die heutige Haltung der abendländischen Christenheit bei aller redlichen Treue gegenüber der Schrift der Haltung der biblischen Gemeinde so fremd. An die Stelle der geglaubten, erhofften, immer wieder erbetenen, riskierten, gewagten, aber auch trostreich erfahrenen Hilfe und Zukunft des Heiligen Geistes in
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der Kirche ist aus der eschatologischen Zukunft ein von jedermann jederzeit leicht zu handhabendes kritisches Prinzip zur Bestreitung und Infragestellung aller Gegenwärtigkeit geworden. Deduktion und Kritik als Denkmethoden sind einander wert. Die Verbindung von Herkommen und Zukommen ist freilich nicht objektivierbar. Sie scheinen sich sogar für unsere Begriffs- und Ausdrucksvermögen zu verdrängen. Aber ihr Verständnis wird gewiß dann verfehlt, wenn sie sich gegenseitig dialektisch aufheben. Der christliche Glaube würde seine scheidende und bindende, seine missionierende und umbildende Kraft vom ersten Tage an nicht haben bewähren können, wenn er nicht eben in großer Schlichtheit und Unmittelbarkeit beides zusammengesehen und gelebt hätte. Und so gewiß sich dieser Glaube dann früher oder später allzu selbstverständlich auf das Zusammentreffen von Herkommen und Zukommen eingerichtet und verlassen hat, so hatten Glauben und Gebet der Kirche darin kein grundsätzliches falsches Ziel. Denn davon weiß sich der Glaube gehalten, und die Kirche betet in jedem einzelnen Handeln um das Kommen, weil es ein Wiederkommen ihres Herrn ist. Alle Gegenwärtigkeit in der Kirche hängt zwischen Prädestination und Eschatologie, in dieser nicht auszumachenden, nicht zu isolierenden, aber zu glaubenden und zu erbittenden Verbindung, kraft der wir allein hier zu leben vermögen.
Wer, um die Vorstellung eines Kirchenrechts zu vollziehen, eines Begriffs bedarf, mag ihn bilden. Recht an sich ist nicht definierbar, weil es Recht subjektlos und inhaltslos nicht gibt. Recht ist — als Relationsbegriff — relativ auf einen rechtfertigenden Grund und Ursprung und ein zu erfüllendes Ziel. Das Kirchenrecht aber ist nicht auf einen unserer Zeitbegriffe einzuengen: es hat die bleibende Dauer des Geistes, die Identität der Kirche, hinter sich, die verheißene Gegenwart des Geistes für sich, und die Zukunft des Herrn vor sich.
Die Zeitkategorien des Evangeliums und folgeweise der Kirche und des Kirchenrechts unterscheiden sich von denjenigen des innerweltlichen Rechts. Dieses hat das „Herkommen von” und das „Zielen auf”, den Ursprung und das Ziel. Aber beides müssen wir im Raum der Kirche umkehren. Die Zukunft kommt dann und dort auf uns zu: sie wird erhofft und erbeten. Das „Herkommen von” jedoch ist verwandelt in die Nachfolge. Die vor uns waren, liegen nicht zurück hinter dem Jetzt und Hier — sondern sie sind uns vorausgegangen. Nur dorthin kann man vorausgehen, wo jemand ist, zu dem man geht. Daran aber, ob die Tradition avantgardistisch und die Enderwartung von wachsamer Geduld ist, erweist sich, ob es sich um das Reich Gottes handelt, oder die eingestifteten, immanenten Zeitkategorien unseres Denkens.
Nach dem Gesagten ist die traditionelle theologische Kritik an den Rechtsvorstellungen, in denen unvermeidlich etwa zur Reformationszeit das Gottesverhältnis begriffen worden ist, in mehrfacher Hinsicht
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unzulänglich. Wenn etwa im Ablaßwesen Rechtsvorstellungen aus dem Bereich der Zweckkontrakte sich bemerkbar machen und durchsetzen, so ist dies nicht nur ein subjektiver, sondern entspringt aus einer geschichtlich-objektiven Zersetzung und Unterwanderung des statusrechtlichen Denkens durch das zweckrechtliche. Diese Zweckform ist allerdings dem Gottesverhältnis unangemessen. Über die vorausgehenden, mit handhaftem Handeln verknüpften Formen der rechtlichen Vergemeinschaftung ist aber damit noch kein zureichendes Urteil gefällt. Denn die statusrechtlichen Handlungen gehen ja gerade auf die ganze Person. Der Vorwurf der „Vergegenständlichung” des „Nicht-Personalen” trifft also wesentlich die Verzwecklichung, nicht den Realismus des Handelns. Die Lösung nach vorwärts aber, die nun versucht wird, ist von Weber oben schon charakterisiert; sie liegt darin, daß in demselben Gottesverhältnis man „fortan ein neues in bestimmter Art sinnhaft qualifiziertes Gesamtverhalten zueinander in Aussicht stellt”. Diese dem Zweckdenken anhaftende ethische Struktur kann jetzt nur dadurch auf das Gottesverhältnis angewendet werden, daß erstens eine (spirituale) Scheidung zwischen äußerem und innerem Bereich vollzogen wird und daß für das Nichtvermögen des Menschen zu diesem neuen Verhalten die durch den Rechtfertigungsglauben erlangte Freiheit unterstellt wird. Daher die Notwendigkeit der Scheidung von Recht und Glauben und die Tendenz zur Scheidung von Recht und Ethik. Deshalb auch die Abstoßung aller Formen statusrechtlicher Vergemeinschaftung, welche von den besonders im Blick befindlichen Unterwanderungselementen des Zweckrechts her fehlinterpretiert werden.
Es stehen hier zwei verschiedene Formen des Personalismus gegenüber: ein seinshafter, der sich auf Vergemeinschaftung aufbaut, und der wegen seines den ganzen Menschen umfassenden Charakters spezifisch religiös ist, und ein ethischer, der den Menschen Gott und der Welt in radikaler Trennung gegenübersieht, aber ihn auch dialektisch in der Entscheidung zu ihnen und zwischen ihnen versteht. Jenes Sein ist keine irgendwie beschreibbare Beschaffenheit, sondern ein In-und-durch-Gemeinschaft-Sein, ein Sein, das durch Gemeinschaft mit Anderem und Anderen konstituiert wird. Für den ausschließlich wortvermittelten Anspruchtypus in einem ausgezeichneten und exklusiven Sinne Charakter und Rang des „Personalen” zu fordern, ist sozialgeschichtlich absurd. Beiden kann mit gleichem Recht der Vorwurf gemacht werden, daß sie die Existenz des Menschen abgesehen vom Gottesverhältnis voraussetzen, für beide aber kann es mit ebenso guten Gründen bestritten werden. Je für sich setzen beide voraus — der eine einen mindestens im Ursprung magischen Symbolrealismus, der andere eine radikale Isolierung der Person von allen Relationen. Aber eben darin ist keine von beiden für sich allein eine zureichende Existenzbestimmung
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des Menschen. Unbestreitbar denkt das Neue Testament in allen seinen Teilen das Gottesverhältnis im Neuen Bunde in einer Form personaler Kommunikation, welche dem statusrechtlichen Denken entspricht. Das Wort Joh. 1, 12 (soviele ihn aber aufnahmen …) ist gar nicht anders als im Sinne solcher Kommunikation zu verstehen. Eine Herauslösung dieser, keineswegs auf die im engeren Sinne sakramentalen Bereiche beschränkten Vorstellungen ist keinesfalls möglich. Ebenso gewiß ist dieses Verständnis nicht mehr magisch. Aber ebenso gewiß wird das gleiche Verhältnis zugleich in Kategorien der Freiheit beschrieben, welche das oben von Weber formulierte „neue Gesamtverhalten” zum Inhalt und zur Folge haben. Indessen handelt es sich nicht um einen historisch-rechtsgeschichtlichen Durchgangspunkt aus der archaischen Gebundenheit in eine neue Freiheit, sondern um eine eigentümliche Verbindung, Reinigung und Befreiung beider. Die Vergemeinschaftung wird von der Magie, die Freiheit von der Zweckhaftigkeit befreit: und zwar eben dadurch, daß die Vergemeinschaftung in die Freiheit führt, und die Vergemeinschaftung durch ihren umfassenden Charakter die Isolierung von Person und die Zweckhaftigkeit ihres Handelns überwindet. Beider Verhältnis ist in dem Sinne supplementär, daß das eine die Vorhand hat und ein Gefälle zum anderen unumkehrbar enthält. Die Vergemeinschaftung zielt auf die Freiheit, diese aber kann jene nicht als vergangene hinter sich lassen.33 Es kann also keine Vergemeinschaftung als geschlossene geben, welche nicht auf die Freiheit hin offen ist, sie wagt und als Supplement enthält. Es kann auch keine Freiheit geben, die vermöge irgend einer theologischen Prämisse vorangestellt wird — die von Gott gegebene Vergemeinschaftung steht (durchaus entsprechend der schon öfter angezogenen juristischen Axiomatik) voran. Der Satz: nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt — drückt dies aus. Jedes muß das Andere tragen und bewahren, vor der Verbürgerlichung sowohl wie vor der Objektivierung. Darin, daß beides hier so — geschichtlich wie sachlich — zusammentrifft, liegt der christologische Grund dieses Geschehens.
In der Spaltung der abendländischen Kirche ist dieses supplementäre Verhältnis — auch konkret rechtlich — aufgelöst worden. Durch den Ausschluß des freien und konstitutiven consensus ecclesiae ist das Supplement der Freiheit in der römischen Kirche ausgeschlossen und dann in der Reformation ausgestoßen worden. Der Protestantismus war entweder (konservative Form) das supplementäre Folgeverhältnis von Vergemeinschaftung und Freiheit umzukehren genötigt oder (liberale Form) hat sich allein auf die — vom Subjekt-Objekt-Schema abhängige — Entscheidungsdialektik begeben. Die Situation der Reformationszeit ist deswegen mit einigem Recht als exemplarisch aufgefaßt worden, weil in ihr sich die biblische Situation des Übergangs vom statusrechtlichen in das zweckrechtlich-ethische Denken geschichtlich in etwa noch
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einmal wiederholte. Aber sie ist hier nicht bewältigt und erkannt worden, sondern (in einer durchaus begreifliche Weise) im Zuge der innerweltlichen Geistes- und Rechtsgeschichte konsequent weitergelaufen.