Schumann, F.K.

Zur systematischen Erwägung der Fragen des Eheschließungsrechts

1955

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Zur systematischen Erwägung der Fragen des Eheschließungsrechts

 

von Friedrich Karl Schumann

(Nach einem Vortrag in der Sitzung der Eherechtskommission vom 23. bis 25. September 1954)

 

I.

Die Fragen des Eheschließungsrechtes haben in den letzten Sitzungen der Eherechtskommission der Evangelischen Kirche den Hauptgegenstand der Beratungen gebildet. Es galt insbesondere, eine Reihe kirchengeschichtlicher und rechtsgeschichtlicher Analysen durchzuführen, die zum Teil im Band VI der Reihe „Glaube und Forschung” unter dem Titel „Weltliche und kirchliche Eheschließung” gesammelt worden sind, teils in diesem Band vorgelegt werden. Inzwischen haben diese Fragen an gesetzgeberischen Dringlichkeit allerdings verloren, und allein unter diesem Gesichtspunkt gesehen könnte es nahe liegen, die Arbeit an ihnen vorläufig abzubrechen.

Während nämlich nach den Bundestagswahlen vom 6. September 1953 ein gesetzgeberischer Vorstoß auf Abschaffung der obligatorischen Zivilehe zu erwarten schien, ist mit einem solchen nach der kürzlichen Mitteilung des Bundeskabinetts für die Dauer des gegenwärtigen Bundestages nicht zu rechnen. In dieser Mitteilung stellt die Bundesregierung fest, daß zu keiner Zeit daran gedacht gewesen sei, durch Änderung des Personenstandsgesetzes eine Entwicklung zur Abschaffung der obligatorischen Zivilehe einzuleiten; die Zivilehe müsse vielmehr auch weiterhin den zeitlichen Vorrang vor der kirchlichen Trauung haben. Im ersten Teil dieser Feststellungen wird mit Recht der weithin in der politischen und kirchlichen Presse sich findenden Auffassung entgegengetreten, die in der Novelle zum Personenstandsgesetz vorgesehene Streichung des Gefängnisparagraphen bedeute den Versuch, auf indirektem, „kaltem” Wege die obligatorische Zivilehe auszuhöhlen, nachdem ihre direkte Beseitigung sich als undurchführbar erwiesen habe. Diese — vielleicht nicht ganz fernliegende — Konstruktion war objektiv schon deshalb falsch, weil jene Novelle zum Personenstandsgesetz schon aus dem Jahr 1952 stammt und zu dem vom neuen Bundestag aufzuarbeitenden Restbestand an Gesetzentwürfen gehörte. Der zweite Teil jener Feststellung der Bundesregierung dagegen geht weiter; er bezeichnet es als einstimmige Willensmeinung derselben, daß auch weiterhin die Zivileheschließung die Vorbedingung der kirchlichen Trauung

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sein solle. Damit wird von Regierungsseite bestätigt, daß jedenfalls an den gegenwärtigen Bundestag ein Regierungsgesetzentwurf auf Abschaffung der obligatorischen Zivilehe nicht gelangen werde. Nach dieser Feststellung wäre also in der Tat von der gesetzgeberischen Lage her gesehen, mindestens ein Zurückstellen der Arbeit an den Eheschließungsfragen nahegelegt und zu verantworten. Wenn die Eherechtskommission schon auf ihrer letzten Sitzung beschlossen hat, ihre Arbeit an diesem Fragegebiet fortzusetzen, so waren dafür schwerwiegende Gründe maßgebend. Zunächst hat die Kommission auf der Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche vom 13. Februar 1954 in Berlin, auf der ihr Vorsitzender informatorisch über die Problemlage berichtet hatte, den förmlichen Auftrag erhalten, dem Rat nunmehr Vorschläge für eine Stellungnahme zu den Fragen des Eheschließungsrechtes vorzulegen. Den Vorschlag, dem Rat gegenüber, diesen Auftrag im Blick auf die gesetzgeberischen Lage zurückzuziehen, glaubte die Kommission nicht verantworten zu können. Denn es sind ja offenbar aktuelle allgemeinpolitische Gründe, die zu der Stellung des Bundeskabinetts in diesen Fragen geführt haben. Andererseits besteht auf seiten der katholischen Kirche der Wille, eine fakultative kirchliche Eheschließung zu erreichen nach wie vor weiter. Mit einer neuen Aktualität der Frage muß also bestimmt gerechnet werden.

Nun haben aber die bisherigen Arbeiten der Eherechtskommission gezeigt, wie über Erwarten verwickelt, ja zum Teil tief verschüttet die hier aufbrechenden Fragen sind. Von den schwer erhellbaren und schwierig zu übersehenden theologiegeschichtlichen und rechtsgeschichtlichen Tatbestände her galt es zu einer systematischen Erfassung sowohl der Institution der Ehe wie des Wesens der kirchlichen Trauung nach evangelischem Verständnis vorzustoßen. Eine solche Arbeit aber kann nicht beliebig aus situationsbedingten Gründen unterbrochen werden, wenigstens nicht ohne die Gefahr unnötiger Doppelarbeit. Die notwendige systematische Klärung ist auch, falls eines schönen Tages die Fragen wieder praktische Aktualität gewinnen sollten, nicht von heute auf morgen zu erarbeiten. Ein erster Schritt zu dieser Klärung soll im folgenden versucht werden.

 

II.

Schon die Verwickeltheit und verschiedene Deutbarkeit des geschichtlichen Befunds zwingt zur Behutsamkeit in der systematischen Urteilsbildung. Es hat sich in der bisherigen Arbeit der Kommission der Arbeitsgrundsatz bewährt, zunächst unabhängig von der gegebenen Situation eine grundsätzliche Sicht der Problemlage anzustreben. So hatten wir von Anfang an gefragt: Besteht für die evangelische Kirche ein zwingender theologischer Grund, sich gegen den Fortbestand der obligatorischen Zivileheschließung zu wenden? Bedenken gegen sie waren bei ihrer Einführung auch von evangelischer Seite nachdrücklich erwogen worden. Hatten diese Bedenken

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nur traditionalistische Gründe, waren sie nur dem Mißtrauen gegenüber dem neuen entsprungen? Oder reichten sie tiefer? Im ganzen wird man sagen dürfen: Unter dem den Vordergrund beherrschenden Gegensatz der überkommenen obligatorischen kirchlichen Eheschließung und der neuen obligatorische zivilen Eheschließung konnte die entscheidende Frage — zumal im damaligen politischen Raum — kaum gesehen werden. Der Streit schlief schließlich ein, und auch die Gegner fügten sich am Ende der Berufung auf Luthers Satz von der Ehe als einem „weltlichen Ding”. Gerade mit diesem Hinweis aber wurde der entscheidende Punkt, den manche der Gegner mindestens gefühlt haben, verdeckt. Daß die Schließung der Ehe ein weltlich Ding sei, das hatte Luther freilich gesagt; aber das war gerade nicht eine seiner reformatorischen Erkenntnisse, das hatte das ganze Mittelalter so verstanden, das hatte trotz der Ausbildung der Lehre vom Ehesakrament auch die katholische Kirche bis zum Tridentinum gelehrt. Sie hatte zunehmend zunächst im territorialen Bereich zwar den Priester mit der Eheschließung in Verbindung gebracht. Aber doch nur so, daß sie im Personalunion eine Funktion für ihn beanspruchte, die ursprünglich eine Funktion der Sippe und in diesem Sinne eine weltliche Funktion gewesen war. Diese sollte nunmehr durch den Träger des Priesteramtes, aber nicht in Ausübung dieses Amtes übernommen werden. Etwas zugespitzt könnte man formulieren: daß die Eheschließung ein weltlich Ding sei, war zur Zeit der Reformation allgemeine Auffassung. Sie wurde freilich bereits verdeckt durch das in der spätmittelalterlichen Kirche vorhandene starke Gefälle auf einen immer stärker werdenden kirchlichen Einfluß. Es war ein ähnliches Gefälle, das später auf evangelischer Seite von Luthers Traubüchlein, welches das weltliche Handeln des Pfarrers „für der Kirchen” und sein geistliches Handeln in der Kirche unterschied, zur obligatorischen kirchlichen Zivileheschließung geführt hat.

Aber all diese Betonungen des weltlichen Charakter der Eheschließung haben im Grunde sehr wenig zu tun mit dem, was mit Einführung der obligatorischen Zivilehe durch staatliches Gesetz geschah. Denn diese war nicht eine Bestätigung des alten Grundsatzes, daß bei der Eheschließung „nach des Landes Sitte und Brauch” — nämlich nach Sippenbrauch — zu verfahren sei. Hier griff vielmehr, abgesehen von einigen Ausstrahlungen der französischen Revolutionsgesetzgebung auf den Westen Deutschlands, zum erstenmal auf der Gesamtheit des deutschen Rechtsbodens der inzwischen entstandene souveräne Staat nach der Ehe und beanspruchte für sich selbst das Recht, zu bestimmen, wie allein in seinem Bereich eine Ehe zustande kommen könne. Dies war zwar formal auch z.B. im preußischen Landrecht schon so gewesen, material hatte dort aber der Staat die Eheschließung im Bereich der Kirche bestätigt. Die eigentliche Tendenz der Neuregelung in den Jahren 1874 und 1875 wird am besten erkennbar in einer reichsgesetzlich dann nicht zur

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Annahme gelangten Entwurfsformulierung, die besagte, daß die Eheschließung nicht nur vor dem Standesbeamten, sondern durch ihn erfolgen solle. Diese ob auch schließlich verworfene Formulierung läßt die Grundtendenz deutlich erkennen: Mit der staatlichen Einführung der obligatorischen Zivilehe unternimmt der moderne Staat einen entscheidenden Schritt gegen die Selbständigkeit der Ehe und damit auch der Familie. Die obligatorische Zivilehe ist ihrer Intention nach der Schritt zur Unterwerfung von Ehe und Familie unter den Staat und damit zur „Verstaatlichung des Menschen” (Theodor Heuss). Demgegenüber kann die evangelische Kirche nicht gleichgültig sein. Denn die grundsätzliche Unabhängigkeit der Ehe vom Staat gehört zum Sein derselben als Ordnung und als „Stand”. Wenn die Ehe nicht mehr „Stand” sein kann, kann sie gerade der Aufgabe nicht mehr genügen, um derentwillen sie nach evangelischem Verständnis als Institution gesetzt ist. Die obligatorische Zivilehe bedeutet also eine ständige Gefährdung des Standes und Ordnungscharakters der Ehe.

Gegenüber diese Gefahr hatte in der damals gegebenen Situation die evangelische Kirche als Warnerin sicherlich einen schweren Stand. Denn die obligatorische Zivileheschließung löste damals ja die obligatorische kirchliche Eheschließung ab. Diese aber war von der evangelischen Kirche — gewiß nicht nur von ihr — mindestens geduldet, wenn nicht gefordert und behauptet worden. Eine obligatorische kirchliche Eheschließung ist aber ebenso eine Gefährdung der Selbständigkeit der Institution Ehe wie eine staatliche verordnete obligatorische Zivileheschließung. Die Kirche, welche bisher die Absaugung der Ehe in den kirchlichen Bereich geduldet und gefördert hatte, war nicht recht dazu berufen, sich als Anwältin der grundsätzlichen Eigenständigkeit der Ehe einzusetzen. So war sie verurteilt, in die zwielichtige Haltung und Lage zu geraten, in der sie von den neuen Fragestellungen der Gegenwart überrascht worden ist.

 

III.

Nehmen wir nun unserer erste Frage wieder auf: Bestehen für die evangelische Kirche zwingende theologische Gründe, sich gegen den Fortbestand der obligatorischen Zivilehe zu wenden? Der evangelischen Kirche muß die Eigenständigkeit der Ehe gewissensmäßig am Herzen liegen. Nur die selbständige Institution der Ehe kann die Aufgabe erfüllen, die nach evangelischem Schriftverständnis ihr gestellt ist, nämlich bewahrender Stand und Mittel der Erhaltungsgnade Gottes zu sein. Auch fällt mit der Auffassung der Selbständigkeit der Ehe und Familie die wesentlichste Sicherung gegen die Entartung des Staates in den Totalitarismus weg. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft trat deutlich hervor, wozu die obligatorische Zivilehe gebracht werden konnte. Aus grundsätzlicher Einsicht kann die evangelische Kirche der obligatorische Zivilehe nur mit Sorge und Bedenken gegenüberstehen und wird ihr gegenüber

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immer wachsam sein müssen. Die Frage, ob die evangelische Kirche zu einem bestimmten Zeitpunkt sich gegen die obligatorische Zivilehe wenden solle, ist aus zwingenden theologischen Gründen allein nicht zu entscheiden, da diese Frage immer auch eine Situationsbeurteilung in sich schließt. Ein solches Urteil kann zu einer bestimmten Zeit etwa dahin gehen, daß die obligatorische Zivilehe keine akute Gefahr bedeute und daher aus Ermessensgründen mit der notwendigen Wachsamkeit getragen werden könne. Aus solchen Ermessensgründen kann die evangelische Kirche unter Umständen es auch geradezu ablehnen, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt gegen diese Regelung zu wenden. Aber sie muß sich dann klar darüber sein, daß sie aus Ermessensgründen diese Stellung einnimmt, und zugleich darüber, daß es für sie zwar keine zwingenden theologischen Gründen gibt, sich auf alle Fälle gegen die Zivilehe zu wenden, daß aber jederzeit eine Lage eintreten kann, in der sie es aus solchen Gründen tun muß. Die Kirche ist ja überhaupt nicht dazu berufen, ein für allemal ein harmonisches Verhältnis zwischen sich und der geschichtlichen Welt herzustellen, sondern dazu, der Welt gegenüber, ihr Amt und ihr Zeugnis zu bewähren.

Damit ist die zweite Frage schon mit beantwortet, ob es für die evangelische Kirche zwingende theologische Gründe gebe, für die Erhaltung der obligatorischen Zivilehe einzutreten. Wenn diese eine grundsätzliche, wenn auch manchmal latente Gefahr für die Eigenständigkeit von Ehe und Familie darstellt, so kann offenbar ein zwingender theologischer Grund dafür nicht bestehen, sich für das Fortbestehen dieser Gefahr einzusetzen.

Man kann nun freilich fragen: Ist es nicht eine zwingende theologische Aufgabe, das reformatorisch Anliegen der Weltlichkeit der Eheschließung bewußt zu erhalten? Ist das aber im heute gegebenen politischen Raum überhaupt anders möglich als durch positives Eintreten für die obligatorische Zivilehe? In Bejahung dieser Fragen hat der kirchliche Liberalismus des ausgehenden 19. Jahrhundert das Ja zur obligatorischen Zivilehe für ein Stück der Wahrung des Erbes der Reformation und damit für eine echte protestantische Position erklärt. Er glaubte, „aus dem Geist der Reformation heraus” zwingende theologische Gründe dafür anführen zu können. Dagegen ist zu sagen: Das, was Luther unter Weltlichkeit von Ehe und Eheschließung verstand, bedeutete etwas ganz anderes als die ausschließliche staatliche Verfügung über die Eheschließung. Und man muß darüber hinaus fragen, ob nicht vielmehr durch die staatlich gesetzte obligatorische Zivilehe gerade der Öffentlichkeitsraum aufgesogen wird, innerhalb dessen Luther die Weltlichkeit der Eheschließung verstanden hat. So kann also auch von der Sorge um die reformatorisch verstandene Weltlichkeit her kein zwingender theologischer Grund für die Beibehaltung der obligatorischen Zivilehe abgeleitet werden.

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Wiederum kann man natürlich auf evangelischer Seite relative Ermessensgründe für Beibehaltung der obligatorischen Zivilehe geltend machen, weil man sie etwa zu gegebener Zeit für die beste erreichbare Lösung oder für kleinere Übel hält. Aber bei solchen Stellungnahmen steht man dann nicht unter der Last und der Bindung theologischer Erkenntnisse, sondern in der Freiheit und im Wagnis möglicherweise irrtümlicher Situationsbeurteilung. Solche Stellungnahmen mögen dann auch von kirchlichen Persönlichkeiten und Körperschaften gewagt und vorgeschlagen, nicht aber im Namen der Kirche als evangelische Forderung erhoben werden. Sehe ich recht, so gehört z.B. das, was die Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Spandau vom März 1954 zur Frage des Eheschließungsrechtes gesagt hat, durchaus dem Modus der ermessensmäßigen Situationsbeurteilung an. Die grundsätzliche Frage theologisch zwingender Urteile für oder gegen die obligatorische Zivilehe hat die Synode offenbar kaum beschäftigt. An ein theologisches Urteil rührt höchstens der einleitende Satz von der Notwendigkeit, zwischen Eheschließung und kirchlicher Trauung zu unterscheiden. Über das Wie dieser Unterscheidung wird freilich nichts gesagt. An eine theologische Frage rührt etwa auch noch der Hinweis auf die Möglichkeit „die rechtliche Consenserklärung der Eheschließung mit der kirchlichen Trauung zu verbinden”. Wenn dann aber fortgefahren wird: „So hält es die Synode für geboten, an dem geltenden Recht der obligatorischen Zivilehe festzuhalten”, so wird hier offenkundig ein situationsbedingtes Ermessensurteil gefällt. Das zeigen dann auch die dafür angeführten Gründe. Zunächst wird befürchtet, „daß die Einführung der fakultativen Zivilehe zu Gewissenszwang führt”. Diese Gefahr mag bestehen, aber der Hinweis auf sie bedeutet kein theologisches Bedenken gegen die Aufhebung der obligatorischen Zivilehe und also auch kein theologisches Argument für sie. Denn es wird ja nicht gesagt, die Aufhebung müsse notwendig zum Gewissenszwang führen, sondern dies wird nur befürchtet. Ein Gewissenszwang kann aber per abusum bei jeder Regelung entstehen. Wir haben es erlebt, wie solcher unter dem Nationalsozialismus eben aus der obligatorischen Zivilehe entstand (Ahnenpaß, Rassehindernisse). So ist der Hinweis auf möglichen Gewissenszwang kein wesentliches Argument, sondern Abschätzung einer etwa eintretenden Möglichkeit. Der weiterhin angeführte Grund, daß das Ende der obligatorische Zivilehe „die Rechtssicherheit beeinträchtige und Rechtsverwirrung stifte”, gehört wiederum in den Bereich der Ermessensurteile. Ja, man muß hier sogar fragen, ob derartige Mutmaßungen sachlich überhaupt begründet sind. Wenn sogar nach den von römisch-katholischer Seite gemachten Vorschlägen die Prüfung des Vorliegens von Ehehindernissen aus dem Gebiet des bürgerlichen Recht oder des internationalen Privatrechts beim Standesbeamten verbleiben soll, ebenso wie die gesamte Registerführung, so ist schwer einzusehen, wie unter

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diesen Voraussetzungen durch die Zulassung einer fakultativen kirchlichen Eheschließung „Rechtsunsicherheit” und „Rechtsverwirrung” entstehen solle. Wie auch immer man nun zu derartigen Mutmaßungen stehen mag, so bewegen sie sich jedenfalls nicht in der Linie theologischer Argumente, sondern in derjenigen situationsbezogener Ermessensurteile. So bestätigen auch die Äußerungen der Synode von Berlin-Spandau das Urteil, daß es zwingende theologische Gründe für die Beibehaltung der obligatorische Zivilehe im Raum der evangelischen Kirche nicht gibt.

 

IV.

Wenn dies gilt, und wenn ferner ein grundsätzliches Bedenken gegen die obligatorische Zivilehe besteht, so ist für die evangelische Kirche offenbar die grundsätzliche Möglichkeit (nicht Notwendigkeit), für eine fakultative kirchliche Trauung mit bürgerlicher Rechtswirkung einzutreten, freigegeben. Ob von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden soll, falls sie eingeführt wird, wäre dann zur Entscheidung gestellt. Ein solche Eintreten würde z.B. dann zu bejahen sein, wenn einmal auf seiten des Staates die obligatorische Zivilehe so gehandhabt würde, daß die Eigenständigkeit von Ehe und Familie akut gefährdet würde.

Es erhebt sich weiter die Frage, ob die evangelische Kirche nicht aus Erwägungen der Toleranz gegenüber der katholischen Kirche für eine fakultative kirchliche Eheschließung eintreten könne und solle. Die evangelische Kirche würde damit dem Gedanken Raum geben, daß zwar nicht für sie, wohl aber — von deren Standort aus — für die katholische Kirche zwingende theologische, nämlich dogmatische und kirchenrechtliche Gründe die Möglichkeit kirchlicher Eheschließung fordern. Sie würde damit sozusagen in christlicher Solidarität die katholische Forderung sich zu eigen machen, obwohl sie selbst sie für sich nicht zu erheben braucht.

Da für die evangelische Kirche keine zwingenden theologischen Gründe die obligatorische Zivilehe fordern, so besteht für sie grundsätzlich die Möglichkeit, die Forderung einer fakultativen kirchlichen Eheschließung aus Toleranzgründen zu unterstützen. Allerdings müßten dafür doch einige Voraussetzungen erfüllt sein. So müßte Sicherheit dafür bestehen, daß in diesem Fall die Toleranz nicht einem heimlichen Indifferentismus entspränge. Eine Unterstützung der katholischen Forderung dürfte also nicht die bestehenden Lehrdifferenzen — z.B. in der Lehre von den Sakramenten und in der Beurteilung des kanonischen Rechts — ignorieren und übergehen. Diese Lehrdifferenzen dürften nicht stillschweigend im Hintergrund gehalten, sondern sie müssen ausdrücklich zur Sprache gebracht werden. Die evangelische Kirche würde auch in diesem Fall der katholischen Kirche ihr reformatorisches Zeugnis schuldig sein und könnte sich von dieser Schuld nicht eigenmächtig dispensieren. Sonst würde einer evangelischen Unterstützung der katholischen

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Forderung die notwendige Lauterkeit und Offenheit fehlen, und sie würde infolgedessen leicht unter das Gesetz konfessioneller Taktik und Berechnung geraten.

 

V.

Wenn die evangelische Kirche, wozu sie die grundsätzliche Möglichkeit hat, sich aus welchen Gründen auch immer für eine fakultative kirchliche Eheschließung einsetzen will, so müßte schließlich noch folgende Voraussetzung erfüllt sein. Es müßte auf evangelischer Seite eine verantwortbare Lösung des Problems erarbeitet werden, auf welche Weise mit einer kirchlichen Trauung eine Eheschließung mit bürgerlicher Wirkung verbunden werden könne.

Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die evangelische Kirche für sich die Forderung fakultativer kirchlicher Eheschließung nicht erheben muß, auch nicht etwa darum, weil nur als Eheschließung die evangelische Trauung ihr Wesen darstellte und erfüllte. Aber auch bei Unterstützung der Forderung der katholischen Kirche müßte die evangelische Kirche sich über den Modus des Entstehens bürgerlicher Rechtswirkung Klarheit verschaffen, weil sie ohne solche diese Unterstützung nicht verantworten kann.

Es haben sich bisher drei verschiedene Konstruktionsmöglichkeiten gezeigt:

a) Der Modus der Delegierung: Der Staat würde generell an sämtliche kirchlichen Amtsträger Rechte und Funktionen des Standesbeamten delegieren. Diese Lösung würde allerdings m.E. gerade nicht die Einführung einer kirchlichen Eheschließung, sondern die Bestätigung der obligatorischen Zivileheschließung bedeuten. Denn die Eheschließung käme ja nicht im Zusammenhang mit dem kirchlichen Handelns des Pfarrers, sondern nur vermöge seines weltlichen Handelns als Standesbeamter zustande. Durch diese Lösung würde also auch dem echten Anliegen der katholischen Kirche kein Genüge getan.

b) Der Modus der Substituierung: Hier würde der Staat einräumen, daß die Kirche in langen Zeiträumen und auch gegenwärtig noch in weiten Gebieten die Eheschließung als kirchliche Handlung vollzogen habe und noch vollziehe. Er würde zugeben, daß die Forderung der obligatorischen Zivilehe für ihn eine sekundäre Angelegenheit sei, und daß an Stelle der Stelle des staatlichen Standesbeamten der kirchliche Amtsträger substituiert werden könne. Diese Lösung erscheint allerdings ziemlich positivistisch und wenig grundsätzlich. Der kirchliche Amtsträger würde damit in eine gewisse Analogie zum Notar treten, vor dem Rechtsgeschäfte mit bürgerlicher Wirkung getätigt werden können, auch wenn er nicht im eigentlichen Sinn Träger amtlicher Staatshoheit ist. Da diese Lösung ohne grundsätzliche Klarheit ist, könnte sie praktisch leicht zu Verwirrungen und Mißdeutung führen.

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c) Der Modus der Anerkennung: Diese Lösung geht davon aus, daß bei der evangelischen kirchlichen Trauung eins der konstitutiven Momente die „coniunctio” ist, — unabhängig von dem liturgischen Gebrauch oder Nichtgebrauch der Formel „ego coniungo vos”. Wird unter coniunctio hier die Zusage an die Ehegatten verstanden, daß die von ihnen eingegangene Ehe — trotz aller Menschlichkeiten, die daran beteiligt sein mögen und über sie hinaus — nunmehr für sie Gottes Ordnung, Segensgabe und ihnen bereiteter heilige Stand sei. Unter Voraussetzung dieses Verständnisses würde die coniunctio den consensus der Ehegatten, der nach geltendem Recht vor dem Standesbeamten erklärt wird, zwar nicht unmittelbar darstellen, aber doch einschließen und involvieren. Der Staat könnte dann seinerseits anerkennen, daß in der kirchlichen Handlung der consensus eingeschlossen sei und daß diese insofern eine Eheschließung involviere, dem dann auch staatlicherseits bürgerliche Rechtswirkung zukäme. Auch diese Lösung ist nicht ohne Bedenken. Es ist nicht leicht, den Beteiligten deutlich zu machen, inwiefern hier wirklich eine Eheschließung in der kirchlichen Trennung eingeschlossen sei. Eine überzeugende Gründung der bürgerlichen Rechtswirkung der Eheschließung wird auch bei dieser Auffassung kaum erreicht.

Es fehlt also noch an einer allseitig befriedigenden Theorie über die Verbindung der Eheschließung mit der kirchlichen Trauung. Ohne den Besitz einer solchen würde die evangelische Kirche es aber kaum verantworten können, sei es im eigenen, sei is im Interesse der römisch-katholischen Kirche, die an diesem Punkt ja in anderer Lage ist, sich für eine fakultative kirchliche Eheschließung einzusetzen.

Für die weitere Besinnung auf eine befriedigende Lösung dieser Frage wird man jedenfalls festhalten müssen, daß jede Ergänzungstheorie (Kumulativ-Theorie) fernzuhalten sein wird. Zwar ist es richtig, daß die Eheschließung nach geltendem Recht rechtsgeschichtlich gesehen eine Kümmerform ist. Sie enthält zwar den Consensus und gewisse jurisdiktionelle Momente, läßt aber jeden juristischen Realakt vermissen. Dadurch ist die Auffassung nahegelegt, die kirchliche Trauung könne das in der weltlichen Eheschließung Fehlende nachbringen und auf diese Weise zu einer Vervollständigung der Eheschließung beitragen. Damit würde aber die kirchliche Trauung unter den Gesichtspunkt der Richtigstellung und Ergänzung der weltlichen Eheschließung rücken und dies müßte zu einer Verdunkelung ihres eigentlichen kirchlichen Wesens nach evangelischer Auffassung führen.