|28|

Stellungnahme der Eherechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland

 

Hemer, den 18. Dezember 1953.

Haus Hemer

Die Eherechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland hat in ihrer Sitzung vom 11. bis 13. Dezember 1953 den ihr von Bundesjustizministerium übermittelten Referentenentwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts erörtert und die Unterzeichneten beauftragt, die Ergebnisse der Beratungen zu formulieren und den zuständigen Stellen zur Kenntnis zu bringen.

 

I. Allgemeines

Der vorliegende Referentenentwurf (RE) enthält eine Neufassung des Gesetzesentwurfes vom 23. 10. 1952 (Bundestagsdrucksache 3802). Wie schon aus der Überschrift ersichtlich, ist dabei der Gesichtspunkt der Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts durch Einbeziehung des Ehegesetzes in das Bürgerliche Gesetzbuch fallengelassen worden. Alle Vorschriften, deren Neufassung nicht durch den Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes erfordert wird, sind aus dem RE ausgeschieden worden.

Die Gesamttendenz des Entwurfes geht dahin, an Stelle subjektiver Einzelrechte der Ehegatten die Ehe als rechtliche Einheit hervortreten zu lassen. Dieses Bestreben ist zu begrüßen. Darüber hinaus ist in rechtsgeschichtlich bedeutsamer Weise nunmehr der Begriff der Familie in die Gesetzgebung eingeführt worden. Dieser Hervorhebung und Stärkung der Einheit von Ehe und Familie entspricht insbesondere die wiederholte Verweisung auf das wohl der Familiengemeinschaft als regulatives Prinzip, die neue Bezeichnung des gesetzlichen Güterstandes als den der Zugewinstgemeinschaft und das Verbot einseitiger Verfügung über Hausrat.

Die Kommission hat auch die Neufassung der am meisten umstrittenen Vorschriften der §§ 1354 und 1628 erwogen, aber keine Veranlassung gefunden, zu den Grundfragen die Stellung zu ändern, welche sie in ihrem früheren Gutachten zum Regierungsentwurf eines Familienrechtsgesetzes eingenommen hat.

Zu begrüßen ist auch die im RE hervorgetretene Straffung des Ausdrucks, der unklare Breiten der Formulierung vermeidet.

|29|

II. Zu den einzelnen Vorschriften wird bemerkt:

a) § 1354.

Diese Vorschrift hat eine wesentliche Neufassung erfahren. Die tragenden Gesichtspunkte sind ausgewechselt worden. An Stelle „der Angelegenheiten, die Ehe und Familie betreffen”, heißt es jetzt „die das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffen”. Umgekehrt ist als objektiver Maßstab für die Letztentscheidung des Mannes nicht mehr das wohlverstandene Interesse der Ehegatten, sondern das Wohl der Familie genannt. Diese Umstellung dürfte folgerichtig sein.

Die Einführung des Begriffs Familie läßt jedoch die Frage nach der Abgrenzung des hier gemeinten Personenkreises offen. Ist es die Kleinfamilie (Eheleute und Kinder)? Oder die erweiterte Kleinfamilie unter Einschluß der im Haushalt mitlebenden Großeltern und Geschwister der Eltern? Oder ist an eine weitere Gemeinschaft gedacht? Es ist zuzugeben, daß der Einfügung einer gesetzlichen Definition ähnliche Bedenken entgegenstehen wie beim Begriff der Ehe. Andererseits erscheint es zweckmäßig, daß der Gesetzgeber mindestens in der Motiven zu erkennen gibt, welche Vorstellungen er mit dem Begriff verknüpft. Die Vorschrift läßt die Möglichkeit offen, unter Familie hier grundsätzlich nur eine faktische Größe, nämlich den Kreis von Personen zu verstehen, der durch Bluts- und Geschlechtsgemeinschaft verbunden tatsächlich zusammen lebt. Es könnte auch daran gedacht sein, hier bewußt der Entwicklung von Richterrecht einen Platz offen zu lassen. Der Begriff umschließt und verdeckt jedenfalls ein noch zu lösendes Problem. Hierauf muß hingewiesen werden.

b) § 1357 (Schlüsselgewalt)

Hier ist erfreulicherweise die gänzliche überflüssige Einschaltung des Vormundschaftsgerichts bei der Entziehung der Schlüsselgewalt fallen gelassen worden. Neu ist die Vorschrift, daß die Frau die Erfüllung der Verbindlichkeiten aus der Ausübung der Schlüsselgewalt verweigern kann, wenn der Mann zahlungsfähig ist. Ob diese Sekundärhaftung der Frau mit Art. 3, 2 GG vereinbar ist, erscheint fraglich.

Die Neufassung kann nach Auffassung der Kommission nicht empfohlen werden. Der früher gegebene Regelfall, daß der Mann der Erwerbende ist, ist in so zahlreichen Fällen durch die tatsächliche Entwicklung durchbrochen, daß eine solche Vorschrift zu erheblichen Härten und Mißständen führen muß. In Ehen, in denen beide Ehegatten oder die Frau allein erwerbstätig ist, ist eine solche Einrede der Vorausklage auch gegenüber den Gläubigern unbillig. Die Vorschrift geht von einem überholten Bild der Verhältnisse aus und ist auch ungeeignet, in Richtung auf eine Wiederherstellung anderer — angeblich oder tatsächlich gesünderer — Verhältnisse zu wirken.

|30|

c) § 1360c.

Nach dieser neuen Vorschrift ist jeder Ehegatte verpflichtet, unterhaltsberechtigten Eltern oder Kindern des anderen Unterhalt zu gewähren, soweit es ihm zuzumuten ist, und andere näher Verpflichtete zahlungsfähig sind. Die Kommission hat sich nach einigen Bedenken von der Praxis her überzeugen lassen, daß hier keine unzumutbare Ausdehnung von Unterhaltsverpflichtungen und keine unbillige Abwälzung von öffentlichen Verpflichtungen erfolgt. Sie begrüßt die Vorschrift, welche die Familiengemeinschaft stärkt und geeignet ist, manchen unbilligen Härte entgegenzuwirken, die auf Grund des geltenden Rechts aus der eigensüchtigen Haltung eines Eheteils entstehen konnten und häufig entstanden sind.

d) § 1364.

Unter den Grundbestimmungen für den Zugewinstausgleich ist jetzt auch die Möglichkeit eines zwischenzeitlichen Ausgleichs geschaffen worden. Hiergegen ist nichts einzuwenden, zumal sonst der Zugewinnausgleich nur bei Scheidung oder Tod zum Zuge kommt. Zu begrüßen ist weiter, daß der gesetzliche Güterstand (§ 1363) jetzt ausdrücklich Güterstand des Zugewinnausgleichs im Gegensatz zu der bisherigen Bezeichnung „Gütertrennung mit Zugewinnausgleich” heißt. Damit hat der Begriff der Gütertrennung seinen alten eindeutigen Sinn als Ausnahmefall wie im BGB wieder erhalten. Die Veränderung der Bezeichnung ist nicht unwesentlich, da auch hier stärker die positive Gemeinschaft der Ehegatten hervortritt, während bisher der gesetzliche Güterstand und die Gütertrennung sich nur durch die gleichsam hinzugefügte Zugewinnverteilung unterschieden.

e) § 1371.

Der Gemeinschaftscharakter der Ehe wird hier am Anfang der Bestimmungen über den gesetzlichen Güterstand dadurch betont, daß jeder Ehegatte sein Vermögen selbständig verwaltet, jedoch „im Interesse der Familiengemeinschaft” nach Maßgabe der folgenden Vorschriften in der Verwaltung seines Vermögens beschränkt ist. Die grundsätzlichen Bemerkungen hierzu sind schon oben gemacht worden.

f) § 1376.

Die völlig neue Vorschrift betont, daß ein Ehegatte ohne Einwilligung des anderen über ihm gehörende Haushaltsgegenstände nicht verfügen kann. Sie entwickelt damit den Rechtsgedanken weiter, der durch die Hausratsteilungsverordnung vom 21. 10. 1944 in die Gesetzgebung eingeführt worden ist. Was damals jedoch eine Notvorschrift während des Krieges war und nach dem Kriege aus ähnlichen Gründen aufrechterhalten blieb, ist jetzt in höchst

|31|

bemerkenswerter Weise zum positiven Rechtsgedanken entwickelt worden. In Ansehung des Hausrats treten die Ehegatten ohne Veränderung der sachenrechtlichen Lage in eine besondere Rechtsgemeinschaft ein, deren Folgen dann im einzelnen, insbesondere in den §§ 1361a, 1377 geregelt sind. Diese Neuregelung ist insofern besonders beachtlich, als hier ohne Veränderung des Rechtsbestandes mit einfachen Mitteln eine höchst wirksame Bindung geschaffen ist, die der Auflösung der Ehe als wirtschaftlicher Gemeinschaft kräftig entgegentritt.

g) § 1628.

Auch die zweite der am meisten umstrittenen Vorschriften, der § 1628 ist im RE beträchtlich umgeformt. Nach Absatz 1 ist jetzt die Entscheidung des Vaters zum konstitutiven Prinzip erhoben; er hat in Übereinstimmung mit dem alten Entwurf auf die Auffassung der Mutter Rücksicht zu nehmen. Es ist jedoch diese väterliche Entscheidung nicht mehr von der Voraussetzung abhängig gemacht, daß sie dem wohlverstandenen Interesse des Kindes am besten zu entsprechen habe. Damit ist anerkannt, daß es Entscheidungen der elterlichen Gewalt im Allgemeinen und der väterlichen Gewalt im Besonderen gibt, die rein emotionalen Charakter tragen und an einem objektiven Maßstab schlechthin nicht zu messen sind. Es ist weiter anerkannt, daß der Rechtsgrund der elterlichen Gewalt nicht ausschließlich in dem — mehr oder minder objektivierbaren — Kindeswohl liegt, sondern daß die Eltern auch ein echtes eigenes Gestaltungsrecht in der Erziehung der Kinder besitzen. Daß es solche Entscheidungen und Bereiche gibt, ergibt sich aus den Sondervorschriften des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung. Bei der Entscheidung über die Konfession des Kindes kann ja ebenfalls von einem wohlverstandenen Interesse des Kindes in einer objektivierbaren, der Allgemeinheit oder dem Richter notwendig erkennbaren Weise nicht die Rede sein. Der neue Entwurf vermeidet also die gesetzesstaatliche Fiktion, daß jede wie immer geartete Entscheidung an einem objektiven Maßstabe meßbar sein müsse. 

Dem konstitutiven Grundsatz des Abs. 1 stehen die regulativen Vorschriften der Absätze 2 und 3 gegenüber. Die Übertragung der allgemeinen Sorge für das Kind auf die Mutter ist jetzt möglich, wenn dies dem Wohl des Kindes entspricht, während bisher nur die Vereinbarkeit mit dem Kindeswohl erfordert wurde.

Gegen die Neufassung des Abs. 3 muß die Kommission jedoch nach besonders eingehender Erwägung Bedenken erheben. Die Vorschrift fordert vom Richter die beschwerdefähige Darlegung, daß seine Entscheidung dem Kindeswohl positiv entspricht, nicht nur mit ihm vereinbar ist. Hier wird der gleiche Versuch einer Objektivierung vorgenommen, dem oben entgegengetreten worden ist. Wenn der Richter überhaupt Veranlassung hat, einzugreifen, muß ihm

|32|

unausweichlich ebenso ein gewisser diskretionärer Raum gelassen werden. Dies kam in der Fassung des früheren Entwurfs besser zum Ausdruck; sonst wird der Richter häufig überhaupt nicht handeln können, wo es nötig ist. Die neue Fassung droht eine Fülle von mißlichen Streitigkeiten zu erzeugen.

h) § 1671.

In ähnlicher Richtung liegt die Neufassung dieser Vorschrift bei der Übertragung der elterlichen Gewalt im Falle der Scheidung. In Abs. 4 wird daran festgehalten, daß dem allein oder überwiegend schuldigen Teil nur aus besonderen Gründen die elterliche Gewalt übertragen werden soll. Nunmehr ist dies dahin verschärft, daß nur bei schwerwiegenden Gründen der schuldige Teil die elterliche Gewalt erhalten soll.

Es ist grundsätzlich wünschenswert, dem Schuldspruch im Eheprozeß wieder erhöhte Bedeutung zu verschaffen und die Grenze des Zerrüttungsprinzips mindestens schärfer zu bestimmen. Solange jedoch der Eheprozeß in weitem Umfang der Parteimaxime anheimgegeben ist, und praktisch trotz aller Einschränkungen Konventionalscheidungen zuläßt, kann der Schuldspruch des Ehegerichts nicht zum Maßstab der Entscheidung über die Kinder genommen werden. Es wird daher vorgeschlagen, die weniger scharfe Fassung des alten Entwurfs beizubehalten. Es ist auf § 74 Abs. 2 des Ehegesetzes von 1946 hinzuweisen, wonach die gesamten Verhältnisse zu berücksichtigen sind. In diesem Zusammenhang scheint dringend erforderlich, nach dem Vorbilde anderer Länder ein einheitliches Familiengericht zu schaffen. Ein Auseinanderfallen des Scheidungsverfahrens, unterhaltsrechtlicher und vormundschaftsgerichtlicher Entscheidungen muß verhindert werden. Dazu gehört auch ein Ausgleich der Verfahrensgrundsätze, da im Scheidungsverfahren die Offizialmaxime weitgehend preisgegeben, vor dem Vormundschaftsgericht jedoch erhalten geblieben ist.

i) Übergangsvorschriften.

Die Kommission begrüßt lebhaft, daß der Entwurf innerhalb der durch das Grundgesetz gezogenen Grenzen bestrebt ist, Übergangsvorschriften für das eheliche Güterrecht zu schaffen, welche rechtsstaatlichen Grundsätzen weitgehend entsprechen und unnötige Eingriffe vermeiden. Damit sind jedoch die von der Kommission schon früher erhobenen Bedenken gegen die vollständige Überleitung der personenrechtlichen Vorschriften nicht beseitigt. Daß dies bei der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches für selbstverständlich gehalten worden ist, ist ohne Beweiskraft, da damals viele inzwischen hervorgetretene Probleme und Gesichtspunkte noch nicht gegeben waren. Es ist unbestritten, daß die Ehegatten durch ihren Konsens den Rechtsgehalt der Ehe als eines vorgegebenen und gesetzlich

|33|

geregelten Instituts nicht zu verändern imstande sind. Andererseits kann jedoch der Gesetzgeber weder den Bestand bestehender Ehen noch das Institut der Ehe in beliebigem Umfange willkürlich ändern. Eine Ehegesetzgebung, die etwa die Ehe zum kündbaren Vertrag machen würde, könnte unmöglich Wirkung für die bestehenden Ehen beanspruchen. Hier sind der Souveränität des Staates bestimmte materielle Grenzen gesetzt. Auch könnte die Kirche eine bloße Vertragsehe ihrerseits nicht mehr als Ehe anerkennen, sondern müßte im Gegensatz zu der heutigen Rechtslage bei der kirchlichen Trauung eine Wiederholung des Ehekonsens mit dem Ziele fordern, die grundsätzliche Unauflöslichkeit der Ehe als Wesensbestandteil dieses Konsenses klarzustellen. Es mag zutreffen, daß die jetzt vorgenommenen Veränderungen des Eherechts das Wesen der Ehe nicht in unmittelbarer Weise grundsätzlich gefährden und in Frage stellen, wie es bei dem erwähnten extremen Beispiel der Fall wäre. Trotzdem erscheint es der Kommission nötig, auf die Grenzen der öffentlich-rechtlichen Seite der Ehe nachdrücklich hinzuweisen. Sie hätte es für besser gehalten, wenn die Überleitung der personenrechtlichen Beziehungen mindestens in der gleichen Weise geregelt worden wäre, wie bei den güterrechtlichen Fragen.

gez. Friedrich Karl Schumann.
gez. Hans Dombois.