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Die Neuregelung des Eherechts hat es zu tun mit einer Institution, die nach christlicher Überzeugung eine Stiftung Gottes ist. Die evangelischen Christen sind also an dieser Frage auf das stärkste beteiligt und haben sich mit ihr in den vergangenen Jahren vielfach nachhaltig befaßt. In der Diskussion über die Gleichberechtigung der Frau sind auf evangelischer Seite von Gremien und Einzelpersönlichkeiten verschiedene Stellungnahmen erfolgt. Die Entschließung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 19. 3. 1954 hat zur Regelung des väterlichen Entscheidungsrechts über die Kinder in aller Form erklärt, daß eine Einmütigkeit des Urteils nicht erreicht wurde.
Um so erfreulicher ist es, feststellen zu können, daß in aller Vielfalt sich ein breites Fundament gemeinsamer Überzeugung als vorhanden erwiesen hat, das uns als evangelische Christen gerade bei verschiedener Beurteilung von Einzelfragen wertvoll und wichtig sein muß. Die Eherechtskommission der EKiD möchte im Einvernehmen mit dem Rat der EKiD diesen Tatbestand den für die Gesetzgebung Verantwortlichen deutlich machen, indem sie als informatorischen Überblick über die Diskussion innerhalb und außerhalb der Kommission selbst eine Darstellung des erwähnten Konsenses vorlegt, und danach einige der kontroversen Gegenstände mitsamt den jeweiligen Argumenten nennt. Übereinstimmung bestand über den Charakter der Ehe als einer von Gott geschaffenen Institution. Einheit, grundsätzliche Unauflöslichkeit und Ausschließlichkeit sind ihre unabdingbaren Züge. In ihrer rechtlichen Regelung kann nicht von Individualrechten der Partner, sondern nur von der objektiven Ordnung der Ehe ausgegangen werden. Deshalb soll etwa der Familienname nicht der freien Wahl der Partner überlassen bleiben. Die Einheit des Wohnsitzes muß gewahrt sein. Die Freiheit beider Partner bei der Gestaltung ihres Lebens wird durch das übergeordnete Interesse der Familie beschränkt. Das gilt auch von dem Recht der Frau auf außerhäusliche Berufstätigkeit. Bei Wahrung dieser Züge der Institution Ehe hat der Christ die Freiheit , ihre rechtliche Ordnung der Wandlung der soziologischen Gegebenheiten anzupassen und damit Spannungen und Unordnung zu vermindern. Diese Anpassung würde niemals einen grundsätzlichen Fortschritt zur Befreiung des Menschen von Not, Zwang und Sünde bedeuten. Das
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gilt auch von dem Übergang von herrschaftlichen zu genossenschaftlichen Rechtsformen, der sich in unserer Zeit vollzieht.
I.
In den funktionalen Fragen, die nur einen Ausschnitt aus dem Problemkreis enthalten, aber z.Z. im Vordergrund der Erörterungen von Gesetzgebungsfragen stehen, bestand Übereinstimmung in folgenden Punkten:
a) Mann und Frau sind von Gott so geschaffen, daß jedes für sich einen unvertauschbaren Auftrag in der Ehe hat. Diese Unterschiedenheit ist der Ehe eingestiftet und darf nicht mißachtet werden. Darum sind alle Bestrebungen abzulehnen, die eine Gleichstellung von Mann und Frau unter möglichst weitgehendem Absehen vom ihrer Unterschiedenheit zum Zeil haben.
b) Mann und Frau stehen trotz ihrer Unterschiedenheit als gleichrangige Geschöpfe vor Gott, von ihm zu seinem Ebenbilde erschaffen und zu seinem Reiche berufen. Wo dies ernst genommen wird, kommt es trotz aller Unterschiedenheit nicht zu einer verschiedenen Bewertung von Mann und Frau, die ihre Einheit in der Ehe zerstören würde.
c) Wenn Christen sich zu Gott als dem „Vater” Jesu Christi bekennen, so bedeutet dies mehr als die bildhafte Übertragung eines irdisch-menschlichen Verhältnisses auf Gott. Es bedeutet zugleich eine Ermahnung an alle irdischen Väter, ihr Vatersein an dem Vatersein Gottes auszurichten. Das christliche Verständnis des Vaterseins ist deshalb keine Bestätigung eines überlieferten Patriarchalismus; denn dieser bedeutet ein selbstmächtiges Verständnis des Vatertums als Herrschaft, während der Hinweis auf das Vatersein Gottes aller Selbstverherrlichung des Vatertums wehrt. Durch dieses Verständnis des Vaterseins wurde zugleich ein echtes Verständnis des Mutterseins erschlossen, das allerdings durch eine genossenschaftliche Eheauffassung allein ebenso wenig gewährleistet würde als es im Patriarchalismus gewährleistet ist.
d) „Die Heilige Schrift kennt Weisungen über das Verhältnis, in dem Mann und Frau wie auch Eltern und Kinder im Herrn miteinander leben. Die Einsicht in den geistlichen Charakter dieser Weisungen verbietet es, daraus verbindliche Rechtssätze unmittelbar abzuleiten.” (Synodalbeschlus Spandau 1954 I.) Ebenso wäre es ein gesetzlicher Mißbrauch des Evangeliums, wenn man eine genossenschaftliche Eheform zu einem christlichen Prinzip machen würde. Der Staat würde, wo dies geschähe, seine Grenze überschreiten. Überhaupt sollte „das staatliche Recht die innere Ordnung der Ehe möglichst unberührt lassen” (Synode Spandau I 2, 3).
e) „Den Eltern sind ihre Kinder von Gott gegeben und anvertraut. Von daher stammt ihre Verantwortung für die Erziehung der Kinder ...” Aus der gemeinsamen Verantwortung wird die Forderung abgeleitet, der Gesetzgeber möge „durch seine Ordnung dafür sorgen,
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daß bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern nicht die Mutter übergangen wird und die Kinder nicht zu Schaden kommen”. (Beschluß der Synode in Spandau 1954 I 3.)
f) Wo im Neuen Testament von der Unterordnung der Frau unter den Mann gesprochen wird, entspricht dieser unabtrennbar die Liebe des Mannes zu seiner Frau. Diese Liebe hat den Charakter der Selbsthingabe und des Opfers; denn sie ist ihrem innersten Wesen nach nichts anderes als die in Christus erschienene Liebe Gottes zu den Menschen — sie verträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. 1. Kor. 13, 8. Deshalb gilt für Eheleute unbeschadet aller Rechtsverhältnisse, in denen sie sonst zueinander stehen, „seid untereinander untertan”. Eph. 5, 21. Gegenüber einem patriarchalischen Mißverständnis der Heiligen Schrift ist damit festgestellt, daß dem Mann in der Ehe kein Herrschaftsrecht gegeben ist.
II.
1. Die Meinungsverschiedenheiten setzen ein bei der Beurteilung eines Letztentscheidungsrechts in der Ehe. Sie führen hier jedoch noch nicht zu verschiedenen praktischen Ergebnissen.
a) Die eine Ansicht argumentiert wie folgt: Die Bedeutung der apostolischen Mahnungen des Neuen Testaments, in denen die Ehefrauen zur Unterordnung unter die Männer angehalten werden, kann man nur ermessen, wenn man bei ihrer Auslegung beachtet, daß sie auch die sozialen Zustände ihrer Zeit widerspiegeln. Sie können daher nicht unmittelbar als konstitutive Elemente für die Ehe überhaupt verstanden werden. So unaufgebbar und deutlich vielmehr die Unterschiedenheit von Mann und Frau ist (vgl. etwa die unvertauschbare Rolle des Mannes bei der Brautwerbung), so unterliegt doch auch sie einen gewissen Gestaltwandel. Vor allem ist, da geistliches und weltliches Regiment nicht beziehungslos nebeneinander bestehen, die christliche Verkündigung nicht ohne Einfluß geblieben auf das „weltlich Ding” (Luther) Ehe. Man muß anerkennen, daß die Frau im Vergleich zur alttestamentlichen und urchristlichen Zeit eine andere Stellung hat und diesem Tatbestand ebenso Rechnung tragen, wie die Apostel von Sitte und Brauch ihrer Zeit ausgegangen sind.
Die Vertreter dieser Ansicht sind daher dafür, daß das künftige Familienrecht keine Entscheidungsbefugnis des Mannes in der Ehe mehr vorsehen möge.
b) Für die andere Seite haben die obengenannten apostolischen Mahnungen eine weitergehende Verbindlichkeit auch für die rechtspolitische Situation der Gegenwart. Die Unterordnung der Frau unter den Mann, die sie fordern, berührt ein von der Ehe nicht abtrennbares Geheimnis. Für den Christen wird dieses Geheimnis erhellt durch den Hinweis auf das Verhältnis von Christus zu seiner Gemeinde (Eph. 5). Die Mahnung an die Frau, sich dem Mann unterzuordnen, begründet ihr gegenüber nicht eine Herrschaftsstellung
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des Mannes, die sie seiner Willkür ausliefert. Wenn die Unterordnung der Frau gegenüber dem Mann dem Verhältnis der Gemeinde zu Christus entspricht, so ist damit ein solches Mißverständnis abgewiesen und die Stellung des Mannes der Frau gegenüber als Verpflichtung und besondere Verantwortung gekennzeichnet. Wenn auch der Sinn der Unterordnung der Frau dem Mann gegenüber in der Ehe nur dem Christen deutlich wird, so ist sie doch ein Wesenselement der Ehe überhaupt. Außerhalb des christlichen Verständnisses ist dieses Geheimnis der Ehe ständig dem Mißverständnis und der Verkehrung ausgesetzt. Trotzdem würde der Gesetzgeber um der Wirklichkeit der Ehe willen, wenn er die Entscheidung innerhalb der Ehe überhaupt regelt, nicht von diesem Strukturelement der Ehe absehen dürfen.
Wenn dem Gesetzgeber jedoch das Geheimnis dieses Strukturelements bewußt ist, wird er auf eine Regelung des Entscheidungsrechts in der Ehe am besten verzichten. So haben denn auch die Vertreter dieser Ansicht sich mit einem ersatzlosen Wegfall der Bestimmung des § 1354 BGB einverstanden erklärt, die dem Ehemann in den Fragen der Ehe das Letztentscheidungsrecht gab. Dabei sind für sie auch folgende Gründe maßgebend:
Wenn der Staat glaubt, die inneren Verhältnisse der Ehe durch seine Gesetzgebung regeln zu können, so verfällt er einer Selbsttäuschung. Es ist deshalb für die staatliche Gesetzgebung besser, auf einen solchen Versuch zu verzichten. Dazu kommt, daß in der Praxis gerichtliche Entscheidungen nach dem bisherigen § 1354 BGB so gut wie nicht vorgekommen sind. Schließlich wird durch den Verzicht auf eine § 1354 BGB entsprechende Regelung am besten der Gefahr der Vergesetzlichung der apostolischen Mahnungen entgegengetreten.
2. Auch die Stellung des Vaters den Kindern gegenüber wird verschieden gedeutet. Hier gat diese verschiedene Deutung zu verschiedenen praktischen Vorschlägen geführt.
a) Gottes Vatersein spiegelt sich in der menschlichen Vaterschaft grundsätzlich nicht anders als in der Mutterschaft. Wie Mann und Weib zusammen den Auftrag bekommen: „Seid fruchtbar und mehret euch!”, so wird den Kindern Ehrfurcht gegen Vater und Mutter geboten, die Gott als Werkzeug seiner weitergehenden Schöpfung personenhaften Lebens gebraucht. Nirgends, wo es um diese gottgeschuldete Ehrfurcht des Kindes vor seinen Eltern geht, fällt eine unterscheidende Betonung auf den Vater. Daß Gott nur ganz gelegentlich mit der Mutter verglichen wird („Ich will euch trösten wie einen seine Mutter tröstet”, Jes. 66, 13), erklärt sich daraus, daß seine Macht und Majestät durch den Vaternamen anschaulicher als durch den der Mutter ausgedrückt war. Das gilt besonders für den antiken Menschen, entspricht aber überhaupt der Beschützerrolle, die dem physisch besser ausgerüsteten Mann in der Verteilung
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der Aufgaben zufällt. Aber gerade da, wo es um die „inneren” Fragen der rechten Pflege und Erziehung der Kinder geht, tragen Vater und Mutter gemeinsam die Verantwortung.
Die Vertreter dieser Ansicht sind dafür, es möge auch das sog. Recht der Letztentscheidung des Vaters den Kindern gegenüber künftig im Familienrecht wegfallen. Wenn die Eltern sich nicht einigen können und durch das Ausbleiben einer Entscheidung das Wohl des Kindes gefährdet wird, soll jeder Ehegatte die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts beantragen können. Der Vormundschaftsrichter soll sich bei seiner Entscheidung im Rahmen der Vorschläge der Eltern halten, soweit es das Wohl des Kindes gestattet. In der Praxis wird bei einer solchen Regelung der Eingriff des Staates nicht in erheblich mehr Einzelfällen aktuell werden, als bei der geplanten Beibehaltung eines eingeschränkten Entscheidungsrechts des Vaters. Der Vorteil dieser Regelung ist, daß nicht von vornherein der Mutter praktisch die Last des Beweises für den Mißbrauch eines Entscheidungsrechts des Vaters aufgebürdet wird und daß nicht in allen Fällen dieser Art sie es ist, die den Ehekonflikt nach außen tragen muß; daß ferner nicht sofort der Richter bei den heiklen Frage einsetzen muß, ob ein derartiger Mißbrauch vorliegt, sondern daß er sich zunächst nur mit der Frage, was das Wohl des Kindes gebietet, zu befassen hat. Diese Frage läßt sich leichter mit den Eltern gemeinsam ohne Verschärfung der zwischen ihnen bestehenden Spannungen erörtern, als die Frage nach Schuld und Mißbrauch. Im praktischen Verfahren bleibt also der Staatsbeamte mit seiner Entscheidung mehr außerhalb des Gefüges der Ehe, als bei der Beibehaltung eines Entscheidungsrechts für den Vater.
b) Die entgegengesetzte Meinung argumentiert wir folgt:
Im Vatersein will etwas Besonderes sichtbar werden, das dem Vatersein Gottes genauer entspricht, als das Muttersein. Nicht umsonst heißt Gott nicht die Mutter, sondern der Vater. In den apostolischen Mahnungen werden daher die Väter angesprochen, wo es um das rechte Verhalten gegenüber den Kindern geht.
Die Vertreter dieser Ansicht setzen sich für ein — wenngleich der bisherigen gesetzlichen Regelung gegenüber eingeschränktes — Entscheidungsrecht des Vaters den Kindern gegenüber ein. Sie werden in dieser Ansicht bestärkt, weil sie angesichts totalitärer Gefahren des Zeitgeists befürchten, das innere Gefüge der Familie werde, auch bei Berücksichtigung der unter a) geschilderten Umstände, jedenfalls beim Wegfall des Letztentscheidungsrechts des Mannes staatlichen Eingriffen stärker ausgesetzt sein. Es ist eine Illusion, wenn man annimmt, die Entscheidung eines Vormundschaftsrichters sei generell in den in Betracht kommenden Fällen objektiver und richtiger als die des Vaters. Eine Entscheidung über die Kinder ist immer ein Wagnis. Dieses Wagnis darf den Eheleuten als ihre eigene Aufgabe außer in den dringendsten Notfällen nicht abgenommen werden. Sie tragen für sie Gott gegenüber die Verantwortung.
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Im Gegensatz zu der Entscheidung in der Ehe muß hier nach den praktischen Erfahrungen der Gerichte eine gesetzliche Regelung des Entscheidungsrechts um des Wohls der Kinder willen erfolgen. Die Vertreter dieser Ansicht sind dafür, daß die Mutter gegen einen Mißbrauch solchen Entscheidungsrechts des Vaters soweit als möglich gesichert sein sollte. Insbesondere soll schon als Mißbrauch des Entscheidungsrechts des Vaters gelten, wenn er ohne Versuch einer gütlichen Einigung sich über die Meinung der Mutter hinwegsetzt. Sie sind der Ansicht, es solle der Mutter in Zukunft auch das Recht der Vertretung der Kinder gegeben werden. Um nach Möglichkeit einen Mißbrauch des Entscheidungsrechts des Vaters in zerrütteten Ehen auszuschließen, solle, sobald die Ehegatten dauernd getrennt leben der Vormundschaftsrichter befugt sein, zu bestimmen, welchem Elternteil die elterliche Gewalt zustehen soll.