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Stellungnahme der kirchlichen Ostkonferenz zu dem Entwurf eines Familiengesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik

 

Berlin, den 1. September 1954

 

Die Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland im Bereich der Deutschen Demokratischen Republik halten es für erforderlich, vor einer Stellungnahme zu dem Entwurf eines Familiengesetzbuches, wie er von dem Ministerium der Justiz vorgelegt ist, folgendes zum Ausdruck zu bringen:

Alle Bemühungen um eine zeitgemäße Fortentwicklung des geltenden Rechtes müssen die vom ganzen deutschen Volke ersehnte Wiederherstellung der Einheit Deutschlands im Auge haben. Aus diesem Grunde halten wir es für erforderlich, daß alles getan wird, was eine, wenn auch noch nicht gemeinsame, so doch parallele Entwicklung der beiden Hälften des einen Deutschland fördert, und daß alles vermieden wird, was in einheitliche deutsche Kulturzusammenhänge eine künstliche Kluft hineinträgt.

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat die Fragen der Gestaltung des Ehe- und Familienrechts immer als eine gesamtdeutsche Aufgabe gesehen. Demgemäß hat sie auf ihre Synode in Berlin-Spandau im März dieses Jahres für Ost und West einheitliche Thesen erarbeitet, die wir als Anlage überreichen.

Wir halten eine weitere gesamtdeutsche Bearbeitung der Materie für erforderlich. Der Ausgangspunkt hierfür ist gegeben. Die Grundforderungen für die Weiterentwicklung des Familienrechts: „Gleichberechtigung von Mann und Frau”, „Schutz der Familie”, „Gleichberechtigung des unehelichen Kindes” sind in der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik und in dem Grundgesetz der Bundesrepublik fast wörtlich übereinstimmend festgelegt.

Familienrechtliche Bindungen bestehen für unzählige deutsche Menschen diesseits und jenseits der Zonengrenze. Wir halten es für unerträglich, daß diese Lebenszusammenhänge durch im Ansatz verschiedene Rechtsordnungen zerrissen werden.

Die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung in Ost und West gehört einer christlichen Kirche an. Diese Tatsache hat der vorgelegte Entwurf nicht beachtet.

Nach evangelischem Verständnis ist die Ehe eine Ordnung des Gemeinschaftslebens der Menschen, die sowohl von den Ehepartnern wie auch vom Staat bei seiner Rechtssetzung als gegeben vorgefunden wird. Die Kirche spricht darum vom „Ehestand”, um zu

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bekunden, daß die Ehe die von Gott gebotene Form des Zusammenlebens von Mann und Frau innerhalb der menschlichen Gemeinschaft darstellt. Der Staat hat daher die Aufgabe, die Ehe als eine für das Volk lebensnotwendige Institution zu schützen. Nur in dieser Begrenzung kann er Gesetze erlassen, um dem Familienleben die Möglichkeit der freien Entfaltung zu geben und es vor Beeinträchtigung und Zerstörung zu bewahren. Es kann aber nicht Aufgabe des Staates sein, dem Ehe- und Familienleben seiner Bürger bestimmte politische Ziele zu setzen und die Gesetzgebung dementsprechend zu gestalten. Aus diesem Grunde müssen wir einen Legaldefinition der Ehe wie sie in den beiden ersten Paragraphen des Entwurfs versucht wird, ablehnen; denn damit überschreitet der Staat die Grenzen, die ihm für seine Gesetzgebung gezogen sind. Eine solche Überschreitung wirkt sich zwangsläufig zerstörend auf das Ehe- und Familienleben aus.

Als einen Schutz der Ehe bewerten wir die Tatsache, daß Ersatzformen der Ehe wie „Lebenskameradschaft” u.ä. zugunsten der Einehe abgelehnt werden. Eine Gefährdung der Ehe liegt aber in den Formulierungen des § 1. Politische Begriffe wie „Demokratie”, „Sozialismus”, „Patriotismus”, „Völkerfreundschaft” gehören nicht in ein Familiengesetz. Überdies wird in der heutigen Diskussion das Wort „Sozialismus” weithin im Sinne des dialektischen Materialismus verstanden. Christen können einem Gesetz, das als Ziel des Ehe- und Familienlebens eine Ordnung im Geiste eines atheistischen Materialismus herausstellt, niemals zustimmen.

Die Fragen um die Gleichberechtigung der Frau beschäftigen in Ost und West gleichermaßen die gesetzgebenden Organe, die Kirche und weite Kreise der Bevölkerung. Artikel 7 der Verfassung gibt dem Gesetzgeber auf, die Gleichberechtigung der Frau auch im Familienrecht der Deutschen Demokratischen Republik zur Geltung zu bringen. Dabei darf aber die schöpfungsbedingte physische und psychische Verschiedenheit von Mann und Frau nicht übersehen werden. Die Gleichwertigkeit von Mann und Frau ist im Evangelium begründet. Sie darf nicht mit Gleichartigkeit verwechselt werden. Ohne einer patriarchalischen Auffassung vom Wesen der Ehe das Wort zu reden, müssen wir daher vor einer unterschiedslosen Gleichsetzung von Mann und Frau nachdrücklich warnen.

Eine solche Gleichsetzung finden wir z.B. in § 39, durch den die elterliche Sorge beiden Eltern gemeinsam übertragen wird. Er läßt entsprechend dem Grundsatz des § 9 völlig die Frage offen, was zu geschehen hat, wenn sich die Eltern in einer konkreten Frage der persönlichen Sorge für das Kind nicht einigen können. Versuchen, diese Fälle in Analogie zu den §§ 44 und 58 (Entscheidung durch den Rat des Kreises) oder durch Entscheidung einer anderen außerfamiliären Stelle zu lösen, müßten wir mit allem Nachdruck widersprechen. Eine solche staatliche Einflußnahme und Entscheidungsgewalt ist mit dem Wesen der Familie unvereinbar und würde die

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für Ehe und Familie wesentliche Eigenständigkeit aufheben. Für einen solchen Konfliktsfall halten wir es entsprechend einer Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland für richtig, an einer gewissen Entscheidungsbefugnis des Vaters festzuhalten.

Wie der Entwurf klar erkennen läßt, geht er davon aus, daß in der Ehe Mann und Frau beide berufstätig sind, unter Umständen sogar an verschiedenen Orten. Wenn wir auch nicht verkennen, daß bei der derzeitigen Struktur des wirtschaftlichen Lebens eine Berufstätigkeit von Mann und Frau sich nicht immer vermeiden läßt, so sollte das doch nicht als Normalzustand im Gesetz fixiert werden. Wir sehen hier Gefahren für die Ehe und für die Kinder. Zum Wesen der Ehe gehört dauernde Gemeinschaft, die ihren Ausdruck auch in der gemeinsamen Wohnung findet. § 8 Abs. 1 Satz 2 trägt dem nicht Rechnung. Auch die Kinder gedeihen in der häuslichen Gemeinschaft der Familie am besten. Andere Formen der Erziehung vermögen diese Gemeinschaft nie ganz zu ersetzen. Wenn die Sorge um die Kinder ein wesentliches Anliegen des Entwurfes sein soll, dann darf der Gesetzgeber nicht von vornherein die Berufstätigkeit der Frau als selbstverständlich voraussetzen; es muß vielmehr der Erfüllung ihrer Aufgaben in Haus und Familie mehr Raum gelassen werden. Darin liegt ein wesentlicher Teil der Würde der Frau. Die vermögensrechtlichen Sicherungen, die die §§ 17 und 22 der nicht berufstätigen Ehefrau bieten, reichen allein nicht aus.

In der Frage der Sorge für die Kinder geht der Entwurf einen Weg, den wir als Kirche nicht bejahen können. Unsere Bedenken richten sich besonders gegen § 4. Auch wir sind der Meinung, daß „die Sorge für die Kinder nicht nur das Recht der Eltern, sondern zugleich auch ihre Pflicht ist”; in dieser Aufgabe erfüllt sich recht eigentlich der Sinn einer Familie. Auch wir betonen, daß es der Sinn der elterlichen Erziehung ist, die Kinder zu verantwortungsbewußten, gemeinschaftsfähigen Menschen heranzubilden. Neben das Elternhaus tritt auch für uns als weiterer Erziehungsträger die Schule. Das enthebt jedoch die Eltern nicht ihrer letzten Verantwortung. Christliche Eltern legen bei der Erziehung ihrer Kinder zugleich auf die Mithilfe der Kirche besonderen Wert.

Auch eine Jugendorganisation kann ein Hilfsfaktor bei der Erziehung sein. Aber unannehmbar ist es für uns, wenn der Entwurf neben der Schule „Jugendorganisation” als gleichberechtigten Erziehungsträger hinstellt. Damit wäre die „Staatsjugend” gesetzlich proklamiert. Wir fragen: Soll mit § 4 den Eltern die Verpflichtung auferlegt werden, ihre Kinder den Jungen Pionieren bzw. der FDJ zuzuführen? Versäumen sie andernfalls ihre Erziehungspflicht mit den Konsequenzen aus § 44 des Entwurfes? Die Kirche müßte dagegen sich verwahren, daß evangelische Eltern, die die Hilfe der Jugendorganisation der FDJ bei der Erziehung ihrer Kinder nicht

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in Anspruch nehmen, als verantwortungslos verdächtigt werden. Das Recht auf christliche Erziehung muß gewährleistet bleiben.

Auch gegen § 38 Ziff. 2 und 3 tragen wir Bedenken, da hier eine Auslegung des § 4 in einem ganz spezifischen, aus der derzeitigen politischen Situation bedingter Sinn vorliegt.

Die Fragen der Eheschließung sind nach unserem Dafürhalten in § 29 allzu sehr vereinfacht. Auch wenn immer wieder betont wird, man wünsche keine Erleichterung der Ehescheidung, muß der völlige Verzicht auf die Schuldfrage zur Aufhebung des Ernstes der Ehe führen. Wir kennen die Nöte, die hier entstehen, und den Mißbrauch, der mit der Schuldfrage getrieben werden kann. Die Scheidung der Ehe stellt aber einen so schweren Eingriff dar, daß der Staat nicht von vornherein darauf verzichten kann, in eingehender Untersuchung nach der Schuld zu fragen. Wo sie bei einem der Ehepartner festzustellen ist, darf dieser nicht aus seiner Unterhaltspflicht entlassen werden.

Auch im Interesse der Kontinuität und der Einheitlichkeit der deutschen Rechtsprechung erscheint uns ein Verzicht auf konkrete Ehescheidungstatbestände nicht vertretbar. Die Beschränkung auf eine Generalklausel verleitet zur ausweitenden Auslegung und ist deshalb abzulehnen. Soll etwa schon eine verschiedene politische Anschauung der beiden Ehegatten das Tatbestandsmerkmal erfüllen, „daß die Ehe ihren Sinn für die Eheleute, für die Kinder und für die Gesellschaft verloren hat”?

Aus diesen grundsätzlichen Darlegungen ergeben sich zugleich gewichtige Bedenken gegen die Regelung von Einzelfragen. Dabei möchten wir uns auf einige, uns besonders bedeutsam erscheinende Fragen beschränken und beispielhaft auf folgende Punkte hinweisen:

Bei den in § 7 aufgeführten Ehehindernissen vermissen wir die Eheverbote der §§ 4 und 7 des Ehegesetzes von 1946 (Eheverbot zwischen Personen, von denen die eine mit Eltern, Voreltern oder Abkömmlichen der anderen Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hat, und Eheverbot in den Adoptivverhältnissen). Solche Bestimmungen erscheinen uns sittlich geboten.

Die in § 10 gegebene Möglichkeit, daß Mann und Frau verschiedene Namen führen, mindert das Zusammengehörigkeitsgefühl und gefährdet die Kontinuität der Familie. Außerdem könnte eine solche Bestimmung zu einer Anonymisierung der Familie und zu Unordnung und Verwirrung führen.

Bei der Adoption scheint die Festlegung eines Altersabstandes zwischen Adoptiveltern und Adoptivkind unerläßlich, damit durch die Annahme an Kindes Statt ein

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Eltern-Kind-Verhältnis geschaffen wird, das natürlichen Verhältnissen entspricht.

Gegen den Abschnitt über Vormundschaft und Pflegschaft greifen im wesentlichen die Bedenken Platz, die oben bereits zur Frage der Sorge für die Kinder ausgesprochen sind. Besonders vermissen wir eine Bestimmung, daß der Bekenntnisstand des Mündels bei der Bestellung des Vormunds gebührend zu berücksichtigen ist.

Die Evangelische Kirche kann dem Entwurf in wesentlichen Punkten nicht zustimmen. Sie sieht in dem Wortlaut des Entwurfs und in den amtlichen Verlautbarungen dazu die Tendenz, auch das Ehe- und Familienleben unter politische Kontrolle zu stellen. Das aber muß die Eigenständigkeit der Ehe und Familie vernichten und auf die Dauer zu einer schweren Schädigung der Familie als der Grundlage des Volkes und der Gemeinschaft führen.