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Entschließung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland zu Fragen der Ehe und Familie

Vom 19. März 1954

 

Die Synode der EKD hat sich auf ihrer Tagung im März 1954 in Berlin-Spandau mit dem Wesen der Familie und mit ihrer Stellung in der christlichen Gemeinde und in der modernen Gesellschaft beschäftigt. Sie faßt das Ergebnis ihrer Beratungen in den folgenden Entschließungen zusammen.

 

I.*)

Ehe und Elternschaft sind Stiftung Gottes. Gott hat sie mit seiner Verheißung und seinem Gebot versehen. Die Eheleute binden sich daher nicht nur persönlich aneinander, sondern sie sind durch Gottes Willen einander für immer angetraut. Damit ist eine Verantwortung der Eheleute füreinander und der Eltern und Kinder füreinander gegeben, die der Mensch nicht willkürlich beschränken, der er sich nicht entziehen kann, eine Verantwortung, die das ganze Leben und die ganze Person des Menschen umschließt.

Die Heilige Schrift kennt keinen Wesensunterschied zwischen Ehen von Getauften und Nichtgetauften. Wohl aber kennt sie Weisungen über das Verhältnis, in dem Mann und Frau wie auch Eltern und Kinder im Herrn miteinander leben. Die Einsicht in den geistlichen Charakter dieser Weisungen verbietet es uns, daraus verbindliche Rechtssätze unmittelbar abzuleiten. Aufgabe der Rechtsordnung ist es, Ehe und Elternschaft in ihrem wesenhaften Gefüge zu sichern, ihnen dabei aber einen von staatlichen und gesellschaftlichen Mächten freien Raum für ihre innere Entfaltung zu gewähren. Im übrigen paßt sich die Existenzform der Familie in den gesellschaftlichen und rechtlichen Beziehungen ihrer Glieder zueinander den Wandlungen des politischen, wirtschaftlichen und geistigen Lebens der Zeit in lebendiger Gestaltung an. Der Staat hat darum die Pflicht, sowohl das einzigartige und unveränderliche Gefüge in der Familie, als auch die Freiheit ihrer geschichtlichen


* Die weiteren Teile der Entschließung beziehen sich nicht auf die Familienrechtsreform, sondern auf familienpolitische Fragen.

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Entwicklung zu schützen. Er hat dabei angesichts unserer heutigen Lage auf die Zuordnung von Familie und Volk besonders zu achten.

Die Ehe enthält zu allen Zeiten die beiden Elemente der gegenseitigen Ergänzung von Mann und Frau aus ihrer verschiedenen Anlage und Berufung und der gemeinsamen Verantwortung der Eheleute. Die rechtliche Ordnung darf nicht aus der gemeinsamen Verantwortung eine unterschiedslose Gleichheit und nicht aus der Ergänzung einen Rangunterschied machen.

Von diesen Erkenntnissen her erklären wir zu den schwebenden Problemen des Familienrechts:

1. Zur Eheschließung:

Nach evangelischem Verständnis der Ehe unterscheiden sich weltliche Eheschließung und kirchliche Trauung. Obwohl es möglich wäre, die rechtliche Konsenserklärung der Eheschließenden mit der kirchlichen Trauung zu verbinden, hält die Synode es für geboten, an dem geltenden Recht der obligatorischen Zivilehe festzuhalten. Sie befürchtet, daß die Einführung der fakultativen Zivilehe zu Gewissenszwang führt, die Rechtseinheit beeinträchtigt und Rechtsverwirrung stiftet, was um des Zusammenlebens der Menschen in unserem Volke willen vermieden werden muß.

2. Zum Verhältnis der Ehegatten zueinander:

Die rechte Verwirklichung ehelicher Lebensgemeinschaft ist von Gott den Eheleuten selbst in gegenseitiger Achtung und Liebe überlassen. Das Zeugnis der Schrift nötigt uns nicht zu einem gesetzlichen Verständnis der Frage, ob die Entscheidungen, die die ehelicht Lebensgemeinschaft betreffen, aus gemeinsamen Entschluß beider Eheleute oder auch aus überwiegender Bestimmung eines Teiles, dem sich der andere fügt, getroffen werden sollen. Das staatliche Recht sollte diese innere Ordnung der Ehe möglichst unberührt lassen.

3. Zum Verhältnis der Eltern zu den Kindern:

Den Eltern sind ihre Kinder von Gott gegeben und anvertraut. Von daher stammt ihre Verantwortung für die Erziehung der Kinder. Staat und Kirche, die eine eigene Verantwortung für diese Erziehung tragen, können die Eltern davon nicht befreien und müssen bei allen ihren Erziehungsmaßnahmen auf die besondere Stellung der Eltern Rücksicht nehmen. Insbesondere ist den Eltern die Möglichkeit der christlichen Erziehung ihrer Kinder vom Staat zu gewährleisten.

Die elterliche Gewalt über die Kinder steht den Eltern gemeinsam zu. Der Gesetzgeber muß durch seine Ordnung dafür sorgen, daß

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bei Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen die Mutter nicht übergangen wird und die Kinder nicht zu Schaden kommen.

Hinsichtlich der an den staatlichen Gesetzgeber zu stellenden Forderung für die Regelung des väterlichen Entscheidungsrechts ist die Synode zu einer Einmütigkeit nicht gekommen.

4. Zur Ehescheidung:

Die Ehe ist als von Gott gestiftete Ordnung der Verfügung der Eheleute entzogen; sie vermögen sie auch nicht aufzulösen. Die evangelische Kirche widerspricht nicht, wenn der Staat seinen Gerichten die Möglichkeit einer Scheidung von Ehen einräumt; unter welchen Voraussetzungen sie dem im einzelnen zuzustimmen vermag, bedarf noch sorgfältiger Klärung. In allen Fällen aber behält sie sich vor, selbständig darüber zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen Ehegatten aus geschiedenen Ehen bei einer Wiederverheiratung getraut werden können.