Vaterschaft im Neuen Testament
1955
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Von Karl Heinrich Rengstorf.
I.
Die bisherigen Arbeiten über die Frau und ihre Stellung im ältesten Christentum und in der frühen Kirche — wie überhaupt über das christliche Bild der Frau — verfahren fast ohne Ausnahme so, daß sie „die Frau” als eine Größe besonderer Art ansehen und als solche, also isoliert, zum Gegenstand ihrer Untersuchungen machen1. Aber „die Frau” gibt es in dieser Weise gar nicht. Der Theologe muß sich vom Poeten belehren lassen, wenn dieser die Frau nur in der Bezogenheit auf den Mann zu sehen und zu begreifen vermag; denn „in der großen Gotteswelt ist alles Mann und Weib” (Matthias Claudius).
Natürlich hat auch dieser Sachverhalt geschichtliche Gründe. Die landläufigen Fragestellungen um „die Frau” kamen zustande im Zusammenhang mit der modernen Frauenbewegung und mit ihrem Drängen auf Gleichstellung der Frauen mit den Männern im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben. In ihnen ist dabei immer noch, ob auch längst nicht mehr bewußt, der Nachhall der Stimmen jener Vorkämpferinnen der Frauenemanzipation zu hören, die über Herkommen und Vorurteil nur dann siegen zu können meinten, wenn sie ihren Kampf eben für „die Frau” führten. Es ist nicht zum besten der Sache ausgeschlagen, daß das „den Mann” auf den Platz gerufen hat. Auch ihn gibt es ja nicht an sich, sondern wiederum nur in der Bezogenheit auf die Frau.
Die Heilige Schrift stellt schon in ihrem ersten Kapitel fest, daß es für sie den nach Gottes Bilde geschaffenen Menschen nur als „männlich oder weiblich” (1. Mose 1, 27) gebe. Im Neuen Testament ist das, und zwar unter nachdrücklicher Betonung des „und” (Gal. 3, 28), aufgenommen. Theologisch korrekt läßt sich deshalb über die Frau nur im Rahmen des Themas „Mann und Frau” sprechen2. Die Frau teilt das in jeder Hinsicht mit dem Mann, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob zwischen beiden eine eheliche Bindung besteht
1 Vgl. zuletzt Johannes Leipoldt, Die
Frau in der antiken Welt und im Urchristentum, Leipzig 1954.
Desselben Verfahrens bedienen sich im allgemeinen auch
einschlägige kultur- und religionsgeschichtliche Abhandlungen von
nichttheologischer Seite.
2 Vgl. Karl Heinrich Rengstorf, Mann und Frau
im Urchristentum, in: Arbeitsgemeinschaft für Forschung des
Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswissenschaften Heft 12, Köln
1954, S. 7-52; hier S. 9ff. zu Gal. 3, 28.
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oder gar aus einer solchen Verbindung Kinder hervorgegangen sind oder nicht. Das hat u.a. die bedeutsame Folge, daß im Neuen Testament da, wo vom Kinde die Rede ist, nicht allein die Mutter, sondern auch der Vater in Erscheinung tritt, wie vor allem die sogenannten Haustafeln zeigen3.
Es beleuchtet den Stand der Arbeit, kennzeichnet aber vor allem die allgemeine Lage, wenn es bis jetzt nennenswerte Untersuchungen über den Vater und über Vaterschaft im Urchristentum nicht gibt. Das ist nicht bloß eine Folge dessen, daß wir bis heute keinerlei eingehendere Arbeiten über die urchristliche Familie und ihre Elemente besitzen. Hier wirkt sich vor allem aus, daß man den Parolen der Zeit gefolgt ist und auch die Frau im Urchristentum als solche, gelöst aus ihrem jeweiligen Lebenszusammenhang, betrachtet hat. Es ist recht aufschlußreich, daß auch vom Kinde im ältesten Christentum in den letzten Jahre lediglich im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen über Recht und Unrecht der Kindertaufe die Rede gewesen ist, also in einer Weise, die es eigentlich nur als Objekt der Erlösung bzw. als unmündiges Glied der erlösten Gemeinde erscheinen läßt. Man hat den Eindruck, daß das Kind als die Frucht ehelichen Zusammenlebens von Mann und Frau, die es doch auch im Urchristentum zunächst ist, von der Bibelwissenschaft bis jetzt noch nicht einmal entdeckt ist. So muß es auch zu denken geben, wenn das Theologische Wörterbuch zum Neuen Testament wohl dem Mann (ἀνήρ) und der Frau (γυνή) Artikel gewidmet hat, nicht aber auch den Eltern (γονεῖς). Soweit die beiden am ehelichen Zusammenleben beteiligten Personen überhaupt in den Blick der Historiker des Urchristentums kommen, konzentriert sich ihr, ohnehin recht bescheidenes, Interesse auf die Frau als Mutter. Dabei spielen häufig auch noch apologetische Motive eine Rolle: Die Stellung und die Achtung der Frau im Neuen Testament sollen mithelfen, die Überlegenheit des ältesten Christentums über die religiösen und kulturellen Anschauungen und Praktiken der Zeit von seinen Anfängen an zu erweisen.
Nun darf es als sicher gelten, daß von christlicher Seite in dieser Hinsicht im allgemeinen mehr behauptet wird, als sich quellenmäßig nachweisen läßt4. Aber noch sicherer ist, daß durch diese einseitige und mit Vorurteilen belastete Art der Betrachtung ein völlig schiefes und noch dazu unlebendiges Bild der natürlichen Ordnungen und hier noch wieder besonders der Ordnung der Familie auf dem Boden des Urchristentums entsteht5. Es hätte natürlich wenig Sinn,
3 Zu den „Haustafeln” vgl. zuletzt
Rengstorf, a.a.O., S. 22ff.
4 Leipoldt, a.a.O., bietet eine Fülle von
wichtigem und wertvollem Vergleichsmaterial.
5 Erstaunlich mager ist der Ertrag in dem großen
Artikel von Schrenk in ThWbzNT V 946 ff. Als Kennzeichen des
Bildes des Vaters im Neuen Testament erscheint hier geradezu die
Einschränkung der Vatergewalt ➝
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darauf jetzt ausführlich einzugehen und eine Korrektur zu versuchen. Immerhin kann auf den Hinweis als solchen nicht verzichtet werden. Er begründet, wenn im folgenden nur ein erster Versuch6 über Vaterschaft im Neuen Testament geboten werden kann, der beanspruchen darf, auch als solcher beurteilt zu werden.
II.
Im Neuen Testament ist vom Vater vor allem in den „Haustafeln” die Rede. So könnte es als am nächsten liegend erscheinen, bei ihnen einzusetzen, um von da aus das urchristliche Bild des Vaters zu gewinnen. Indes ist es zweckmäßiger und fruchtbarer, einen anderen Ausgangspunkt zu wählen, und zwar gerade deshalb, weil er sich nicht ohne weiteres bietet. Es handelt sich um jene Vorstellungen,
➝ auf Grund ihrer Vorläufigkeit und Vergänglichkeit,
besonders unter Hinweis auf Hebr. 12, 4ff. (S. 1005). Kol. 3, 21;
Eph. 6, 4 werden als Proteste „gegen die Willkür und Brutalität
ausartende patria potestas” verstanden (ebd.). 1. Kor. 7, 14 soll
bewußte Relativierung der väterlichen Stellung durch den Apostel
vorliegen. Von dem Amt des Vaters und erst recht von seiner
Stellung in der göttlichen Ordnung usw. wird kein Wort gesagt.
Der Primat der Theologie vor der Natur, ja, vor der Schöpfung,
ist vollkommen. Im Bereich der Erlösung durch Christus scheint es
nur noch eine Theologie des Vatertums zu geben, und zwar unter
der Erwartung des drohenden Gerichts über alle Ordnungen, Werte
und Maßstäbe dieses Äons, aber keine Väter mit Würde und Gewicht
mehr. Soweit ich sehe, gibt es in der neueren Literatur nur eine
nennenswerte Ausnahme von dieser Schau. Werner Jentsch
hat in seinen Buch „Urchristliches Erziehungsdenken” (Gütersloh
1951) in dem Abschnitt über die Träger der Jugenderziehung dem
„Vateramt” neben der Stellung der Mutter und dem Dienst der
Eltern einen eigenen kurzen Abschnitt gewidmet (S. 222-224) und
auf einige wichtige Gesichtspunkte wenigstens aufmerksam gemacht.
Was er bietet, ist aber doch bestenfalls ein erster bescheidener
Ansatz.
Das hat natürlich erhebliche und keineswegs glückliche Folgen für
die christliche Ethik. Sie zeigen sich im evangelischen noch
deutlicher als im katholischen Bereich. Indes mag ein Beispiel
genügen: In der neuesten und mit Recht mit Anerkennung
aufgenommenen Sexualethik von evangelischer Seite (Otto A.
Piper, Die Geschlechte, Hamburg 1954) erreicht die
Erkenntnis der gegenseitigen Bezogenheit der beiden „Partner” in
der Ehe ihren Höhepunkt darin, daß der Mann zum „Beschützer der
Gebärerin” wird. Als Vater wird er demgegenüber nur gelegentlich,
und nie mehr als nicht ganz zu vermeiden, erwähnt. Hier zerfällt
die Familie. Und so ist es sicher auch kein Zufall, wenn das, was
in diesem Buche über ,,Nachkommenschaft” in den Kindern gesagt
wird, zu seinen schwächsten Stücken gehört (S. 75f.; 205ff.).
Aber auch in dem klugen und gründlichen Buch der Katholikin
Gertrude Reidick, Die hierarchische Struktur der Ehe
(München 1953), spielt der Vater so gut wie keine Rolle.
6 Doch vgl. noch Rengstorf, a.a.O., S.
32ff.
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die sich im Urchristentum um den Begriff der Ordnung (τάξις) gruppieren7.
Erstaunlicherweise wird ihm und seiner Bedeutung für das älteste Christentum in den Gesamtdarstellungen des Urchristentums und auch fast allen Einzeluntersuchungen kaum oder gar keine Beachtung geschenkt. Dabei geht es hier um außerordentlich weitgreifende Zusammenhänge, deren Nichtbeachtung sich nachhaltig auswirken muß. So liegt hier der Grund dafür, wenn in der Regel übersehen wird, daß die Vorstellung, die die ältesten Christen von Autorität hatten, nur im Zusammenhang mit dem Ordnungsgedanken des Urchristentums überhaupt erfaßt und richtig beurteilt werden kann. Die mangelnde Klarheit hierin hat dann aber weiter zur Folge, daß der Blick für die eigentümliche Differenziertheit fehlt, in der sich auf urchristlichem Boden Autorität darstellt, obwohl hier doch niemals und nirgends daran gezweifelt wird, daß die letzte Autorität unter allen Umständen vorläufig, in ihrer Vorläufigkeit aber auch immer relativ ist. Nirgends im Neuen Testament kommt es nämlich zur Einebnung von Autorität. Das gilt sogar für nicht spezifisch christliche Autorität, wie sowohl das Zinsgroschengespräch der Synoptiker (Matth. 22, 15ff. und Par.) als auch Röm. 13, 1ff. erkennen läßt.
Diese Daten sind auch für unser Thema wichtig. Sie entbinden zunächst von der auf den ersten Blick recht verlockenden Neigung, die Autorität des menschlichen Vaters aus der Autorität Gottes als des himmlischen Vaters abzuleiten. Jede Bemühung in dieser Richtung führt mit Sicherheit in das Gestrüpp. Die Vorstellung Gottes als des Vaters hat sich nämlich sicher an dem Bilde des menschlichen Vaters gebildet und nicht umgekehrt. Die Religionsgeschichte bietet dafür hinreichend Belege: Gott als Sippenhaupt, als Vater der als seine Familie gedachten Menschheit. Deshalb bleibt bei Erwägungen über Vaterschaft im Neuen Testament besser auch eine Stelle wie Eph. 3, 14f. beiseite. Sie ist gefährlich, weil sie in ihrer Anschaulichkeit dahin mißverstanden werden kann, daß sie den menschlichen Vater a priori theologisch sehe, währender doch richtig nur an seinem Platz innerhalb der zugleich göttlichen und menschlichen Ordnung zu erfassen und zu begreifen ist.
Aus demselben Grunde sollte man weiter nicht das Alte Testament anrufen, wenn es sich darum handelt, ein Bild des urchristlichen Vaters zu zeichnen. Das Neue Testament beruft sich zwar gelegentlich auf das Vorbild des Alten Testaments, wenn es um die richtige Ordnung in der Ehe geht, so etwa 1. Petr. 3, 6; es ruft aber niemals das Alte Testament an, um die Autorität des Vaters als Vater zu begründen oder zu sichern. Deshalb hat in diesem Zusammenhang sogar eine so eindrucksvolle Szene wie 1. Mose 22 nichts zu suchen. Es ist schon beachtlich, daß das Neue Testament sein Vaterbild nirgends an Abraham orientiert. Vor allem steht das
7 Vgl. hierzu und zum folgenden Rengstorf, a.a.O., S. 36ff.
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Urchristentum aber ohne Vorbehalt in den natürlichen Ordnungen und korrigiert diese nur, wo „der Herr” es notwendig macht. So können die alten Ordnungen bestehen bleiben und lediglich eine andere, nämlich „christliche” Motivierung erhalten, wie es z.B. in den „Haustafeln” durch das begründete „in dem Herrn” geschieht8. Nirgends wird sichtbar, daß von dieser Regel der Vater ausgenommen war. Von einer Absetzung christlicher Vaterschaft von vor- oder nichtchristlicher Vaterschaft kann nicht die Rede sein. Die Stellen, die so verstanden werden9, sind ganz anders zu erklären: Seid Väter; aber seid es „in dem Herrn”, seid es als Christen!
Zu den erstaunlichsten Zügen der Haustafeln gehört, daß in ihnen nirgends die Mutter als solche genannt, daß sie vielmehr nur in den Eltern mitgenannt wird (Eph. 6, 1; Kol. 3, 20; 2. Tim. 3, 2; vgl. Röm. 1, 30; 2. Kor. 12, 14; Luk. 2, 27ff.), während der Vater als solcher stets seinen Platz empfängt. Das darf um so weniger übersehen oder verwischt werden, als es nirgends mit einem herabsetzenden Wort über die Mutter verbunden ist. Ganz im Gegenteil steht die Mutter in der ältesten Christenheit in höchstem Ansehn. Eine Szene wie die Anvertrauung Marias an Johannes durch den sterbenden Jesus allein würde ausreichen, um das zu belegen; wir haben aber auch 1. Tim. 5, 3 und 1. Tim. 5, 2, sowie 2. Joh, einerlei, ob hier eine Allegorie vorliegt oder nicht. Das alles bleibt im Rahmen der Ordnung. Da, wo — sehr bald — diese in der Kirche aufgegeben wird und die „Gleichberechtigung” eindringt, ist der alttestamentlich-biblische Boden verlassen und setzt die Intellektualisierung des Christentums ein. Diese greift und durchdringt auch die Ordnungen für das Zusammenleben von Männern und Frauen. So hat der Montanismus seine weiblichen Bischöfe ausdrücklich aus Gal. 3, 28 begründet, wie wir durch Epiphanias wissen, obwohl die Stelle mit Gleichberechtigung gerade nichts zu tun hat10.
III.
Wie es um das Verständnis der Vaterschaft im Urchristentum steht, mögen nun einige typische Stücke wenigstens im Umriß zeigen. Vollständigkeit ist weder angestrebt noch bei dem Stande der Vorarbeiten überhaupt möglich.
1. In der Gemeindeordnung der Pastoralbriefe bildet die Vaterschaft, genauer: die rechte Vaterschaft ein konstitutives Moment. Sowohl vom Bischof (ἐπίσκοπος) wie vom Diakon (διάκονος) wird verlangt, daß, sofern sie Väter sind, ihr Vatersein in Ordnung sei Bezeichnenderweise wird dabei das „Haus” gelegentlich (1. Tim. 3, 4) sogar vor den Kindern genannt. Das „Haus”11 schließt ja die Kinder
8 Vgl. Rengstorf, a.a.O., S. 31f.
9 Vgl. oben Anm. 5.
10 Vgl. Rengstorf, a.a.O., S. 9ff.
11 Gr. οἶκος; vgl. zu ihm Rengstorf, a.a.O.,
passim.
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ein; aber an den Kindern zeigt sich auch, ob es im „Hause” stimmt. Ob ein Mann den „eigenen Hause wohl vorsteht”, wird deshalb (1. Tim. 3, 4) daran erkennbar, ob sich seine Kinder ihm unterordnen. Auch von der Frau ist im gleichen Zusammenhang die Rede (1. Tim. 3, 2), aber nur in der nicht ganz klaren Wendung, der Bischof solle „eines Weibes Mann” sein. Das Gewicht der Frage, ob er die Autorität besitze, deren er zur „Fürsorge” für die Gemeinde bedarf, liegt also deutlich bei seinem Verhältnis zu den Kindern. Und darauf ist um so mehr zu achten, als der Zusammenhang nicht den leisesten Ansatz zu einer Unterbewertung der Frau als Gattin und Mutter erkennen läßt. Ganz im Gegenteil scheint in der Aufzählung der vom Bischof zu fordernder Eigenschaften eine große Linie zu liegen, die auf „Fürsorge” zunächst im Hause, dann außerhalb des „Hauses” hinausläuft (vgl. noch 1. Tim. 3, 7).
1. Tim. 3, 12ff. wird von den Diakonen in etwa dasselbe verlangt wie von den Bischöfen. Die „eine Frau” erscheint auch hier; ebenso wird auch hier die Ordnung im „Hause”, sichtbar in der Stellung des Hausherrn und Hausvaters, gefordert. Auch hier ist mit Betonung vom „eigenen Hause” die Rede. V. 12 umschreibt, was in V. 4 im Hinblick auf die Kinder des Bischofs verlangt wird, mit „wohl vorstehen”. Damit ist die Synonymität beider Wendungen im Blick auf das „Haus”, wie es sich in den Kindern darstellt, gesichert: Nur derjenige ist ein Hausvater, wie Gott ihn haben will, der der Unterordnung seiner Kinder unter ihn und damit ihrer Einordnung in das „Haus” gewiß sein kann. Das unterstreicht noch Tit. 1, 6 mit verwandten Worten.
Somit erscheint der Vater in allen diesen Sätzen der Pastoralbriefe eindeutig als der für die Erziehung der Kinder Verantwortliche. Indes bedeutet das nicht etwa eine Ausschaltung der Mutter aus der Erziehung. Für die Kinder sind die Eltern gemeinsam maßgebend; aber auf deren Seite liegt die Führung und mit ihr die Verantwortung gegenüber Außenstehenden wie gegenüber Gott eben beim Vater. Sittliches Versagen der Kinder fällt deshalb dem Vater zur Last, nicht der Mutter. Die negative Formulierung ist hier nicht zu überhören. Sie unterstreicht, daß es sich hier um besondere Verantwortung, nicht um besondere Rechte handelt. Vaterwürde, Vaterautorität und Vaterverantwortung erscheinen also im Ganzen der göttlichen Ordnung unlösbar verbunden, und zwar so, daß es sich vor allem andern an den eigenen Kinder zeigt, ob sie wirklich wahrgenommen werden und der Vater auch als Vater „in dem Herrn” ist.
Es wäre nicht angemessen, in solchen Sätzen eine Überbewertung des Vaters durch die Pastoralbriefe zu finden. Sie läge dann vor, wenn sich auch eine Unterbewertung der Mutter nachweisen ließe. Das ist aber, wie bereits gesagt, weder in den Pastoralbriefen noch überhaupt im Neuen Testament möglich. Ausdrücklich wird z.B. 1. Tim. 5, 2 gefordert, man solle sich alten Frauen gegenüber wie zu
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Müttern verhalten. Mutter zu sein, erscheint damit hier wie überhaupt im Neuen Testament und im Urchristentum wie schon im Judentum als Erfüllung fraulichen Daseins und als frauliche Würde. Der Mutter gebührt deshalb besondere, ihr angemessene Ehre. Der Mutter ist es von Gott gegeben, Kindern das Leben zu schenken (1. Tim. 5, 10). Und wenn vom Vater erwartet wird, daß er das „eigene Haus” in Ordnung halte, so steht sie doch in der vollen Mitverantwortung daran.
Dies „mit” kann nicht deutlich genug gesagt und gehört werden. Es schließt Gehorsam und Ehre auch für die Mutter ein. Das belegt 1. Tim. 5, 4f. Hier wird nämlich von den Kindern einer Witwe verlangt, sie sollen zuerst lernen, Frömmigkeit im Blick auf ihr Haus zu üben und den Vorfahren zu vergelten12. Es ist schwerlich Zufall, daß hier in εὐσεβεῖν ein Wort aus dem Bereich der Frömmigkeit erscheint. Auch im vaterlosen „Hause” bleibt es also bei der Geltung des 4. Gebotes, obwohl dies die Eltern, nicht aber einen einzelnen Elternteil im Auge hat und obwohl die Funktionen von Vater und Mutter im „Hause” nicht austauschbar sind13. Das „Haus”, aus dem Timotheus stammt, könnte nach 2. Tim. 1, 5 diesem Bilde sehr wohl entsprochen haben.
2. Eine schwierige Frage ist es, ob wir für die urchristlichen Gemeinden so etwas wie einen Stand, eine „Klasse” der Väter anzunehmen haben14. 1. Joh. 2, 13f. ist gelegentlich so verstanden worden mit seiner gesonderten Anrede der Väter. „Vater” ist im Judentum ein Ehrenname gewesen und von da in das Christentum übergegangen. Er klingt 1. Kor. 4, 15 auch bei Paulus im Blick auf sein eigenes Verhältnis zu der von ihm angeredeten Gemeinde an und ist offenbar schon früh auf die Bischöfe übergegangen bis hin zu seiner ausgezeichnenden Verwendung für den Bischof von Rom. Aber wir erwähnen das nur und gehen darauf nicht näher ein.
3. Dagegen muß noch auf andere Zusammenhänge hingewiesen werden, die m.W. für unser Thema bis jetzt noch niemals herangezogen sind. Es handelt sich um die Stellen, in denen vom „Hause” Jesu und seinem Verhältnis zu ihm die Rede ist15.
Bekanntlich setzt die synoptische Überlieferung ebenso wie das Johannesevangelium mit großer Wahrscheinlichkeit voraus, daß Jesu Vater bereits gestorben war, als Jesus auftrat und seine öffentliche Arbeit begann. Da er der älteste Sohn war, lag die Verantwortung für den Unterhalt seines „Hauses”, hier der Mutter und der Geschwister, in erster Linie bei ihm. Gewisse Stücke bei den Synoptikern
12 Der Satz ist mit besonderen Schwierigkeiten
behaftet, auf die hier nicht eingegangen werden kann.
13 Vgl. Rengstorf, a.a.O., S. 44ff.
14 Die Frage ist zuletzt wieder von Jentsch,
a.a.O., S. 225 Anm. 1 aufgeworfen worden.
15 Vgl. Rengstorf, a.a.O., S. 43f.
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lassen erkennen, daß sein Fortgang von Hause von den Seinen zunächst und wohl überhaupt bis Ostern als Ausbruch aus der Ordnung, in die er von Geburt an hineingestellt und die zu achten er verpflichtet war, angesehen worden ist. Er hat es offenbar sogar unterlassen, sich in aller Form aus der Ordnung seines „Hauses” zu lösen, wie er es auch von seinen Jüngern erwartet (Luk. 9, 61). Der gelegentlich erscheinende Vorwurf, er habe ein δαιμόνιον, d.h. er sei nicht Herr über sich und bleibe nicht auf dem ihm gewiesenen Wege, unterstreicht diesen Sachverhalt (Mark. 3, 30; Joh. 10, 20). Angesichts dessen ist auch eine Stelle wie Joh. 2, 12 von erheblicher Bedeutung. Hier ist Jesus als ältester Sohn des „Hauses” in diesem offenbar an die Stelle des Vaters getreten. Dasselbe wiederholt sich in der Abschiedsszene mit der Mutter Joh. 19, 25ff. Es ist also auch hier nicht so, daß nach dem Tode des Vater die Mutter ohne weiteres an dessen Stelle getreten wäre.
4. Wichtig wäre eine Klärung der Zusammenhänge zwischen Eph. 5; Matth. 16, 18ff. und der Tatsache der ausschließlich männlichen Führung der urchristlichen Gemeinden. Die ἐκκλησία als Kirche wie als Gemeinde erscheint hier doch wohl als „Haus”, und auch das „Haupt” mag vom Vater in seiner Stellung im „Hause” genommen sein. Aber dieser ganze Komplex kann jetzt nur angerührt, nicht auch noch erörtert werden.
IV.
Man wird, wenn man sich diese Dinge vergegenwärtigt, schwerlich von Zeitgebundenheit sprechen dürfen. Vielmehr gehört der Vater, wie ihn das Neue Testament zeichnet, unablösbar zu einem ganz bestimmten Bild von Ehe und Familie. Dies Bild ist nicht patriarchalisch und erst recht nicht frauenfeindlich. Man könnte es „hierarchisch” nennen, sofern man dies Wort richtig versteht als Ausdruck für eine von Gott gegebene Ordnung in der Beziehung der Geschlechter und in dem aus ihrer Gemeinschaft in der Ehe entstehenden „Hause”.
Natürlich meldet sich nun die Frage, was an praktischen oder gar gesetzgeberischen Folgerungen dies Bild nahelegt. Um darauf antworten zu können, wird es indes zunächst weiterer Untersuchungen über das christliche „Haus” bedürfen. Diese Untersuchungen sollten auch mindestens die dem apostolischen und dem nachapostolischen Zeitalter folgenden Jahrhunderte einbeziehen und der Frage nachgehen, ob und wieweit das urchristliche Bild des Vaters sich durchgesetzt und bleibendes Eigentum der Kirche geworden ist.
Zu welchen Ergebnissen solche Untersuchungen auch führen mögen, es bleibt wichtig, daß für das Neue Testament das „Haus” in seinen „Lebensäußerungen” durch eine besondere väterliche Autorität, Verantwortung und Initiative des Vaters geprägt wird. Es ist zunächst an Kirche und Theologie, davon Kenntnis zu nehmen. Beide werden aber auch nicht umhin können zu überlegen, welche Folgerungen hier zu ziehen sind.