Dombois, H.

Das Problem der Institutionen und die Ehe

1955

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Das Problem der Institutionen und die Ehe

 

Von Hans Dombois

 

Unsere bisherigen Erwägungen über das Eheproblem haben uns zu der Erkenntnis geführt, daß die Eheschließung nicht allein historisch, sondern strukturell einen doppelten Grund hat, — den Consensus und die Publizität oder in anderem Zusammenhange den consensus und die conjunctio. Der grundsätzlich freie consensus, der die negativen Treuverpflichtungen begründet und die Eheschließenden dadurch negativ ausgrenzt, führt in einem positiven Status hinein, der sowohl geistlich wie weltlich verstanden werden kann. Es ist also keinesfalls so, daß hier etwa nur um der äußeren Ordnung oder um der Würde der Ehe willen ein formalen Rahmen geschaffen sei, welcher gegenüber dem tragenden consensus grundsätzlich untergeordnet und von geringer, jedenfalls nicht konstitutiver Bedeutung sei. Diese Anschauung entspringt einer falschen Abwertung rechtlicher Ordnung, die der zutreffenden Erfassung ihrer existentiellen Bedeutung entgegensteht. Der consensus wird vielmehr in eine positive Ordnung hineingeschlossen und erst dadurch positiv und materiell erfüllt. Die weltliche oder kirchliche Publizität des consens-Aktes unterstellt die Ehe ganz bestimmten vorgegebenen Wertungen und Bindungen, die nicht abdingbar sind. Diese Publizität fällt sachlich mit dem Trauakt zusammen, der die material-positiven Verpflichtungen zugleich realisiert wie begründet. Daraus erklärt sich auch — in einiger Kürze gesagt — die rechtsgeschichtliche Funktion der copula carnalis. Sie hat Alternativ- oder Ergänzungsfunktion. Überall dort, wo die Publizität des Trauaktes verschwindet oder mangelhaft ist, oder im Ungewissen bleibt, tritt an ihre Stelle die Evidenz der copula. Es gehört zu den Unklarheiten der modernen canonistischen Ehetheorie, daß sie bekanntlich zwischen der consens-Theorie und der copula-Theorie schwankt, so daß offen bleibt, worin der ehebegründende Akt der sakramentalen Ehe eigenlicht liegt.

Das Problem, welches mit dem Verhältnis von Eheschließung und Trauung, von Consens und Publizität angeschnitten is, ist das der Institutionen. Um es zu behandeln, müssen zunächst einmal die zahlreichen spiritualistischen Vorurteile beiseite gelassen werden, die im protestantischen Raum einer zulänglichen Klärung entgegenstehen. Das Ausspielen von Person gegen Institution, von geistlicher Innerlichkeit und äußerlicher Ordnung, von Akt gegen Sein führt regelmäßig zu Kurzschlüssen.

Das lateinische Wort institutio ist ursprünglich doppeldeutig. Es bedeutet 1. vorfindliche Rechtseinrichtungen unterschiedlicher Art,

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2. die Begabung mit Rechten, aber auch 3. ganz allgemein die Lehre außerhalb des rechtlichen Bereiches. Calvins institutio religionis christianae ist mit Einübung ins Christentum nicht ganz treffend übersetzt. Instituere in der Bedeutung des Lehrens heißt eher unterrichten, wenn man dabei das Moment des Richtens, Einrichtens, Hinweisens hervorhebt. Der Lehrer bringt den Schüler an den richtigen Ort, an dem er sich im Gesamtzusammenhang der Welt und Umwelt richtig zu verstehen hat und lernt. Damit ist auch die Verbindung zu dem juristischen Gebrauch des Begriffs gegeben. Institutio bedeutet zunächst einen Akt, ein Einrichten, und nicht das Ergebnis oder eine Einrichtung als solche. Durch diesen Akt wird der Mensch in einen Status versetzt. Die Wurzel stare ist in dem Wort ja enthalten. Status aber bedeutet ein kontinuierliches Sein an einem Standort, Ort oder Raum, der schon durch seine Räumlichkeit in einem bestimmbaren und geordneten Verhältnis zu anderen Orten und Räumen steht. Der vulgäre Begriff der Institution als eines mehr oder minder formalen und deswegen an sich schon fragwürdigen Rahmens beruht also auf einer Vernachlässigung der aktmäßigen Seite, abgesehen von aller sonst darinliegenden Vorabwertung.

Aus dem Gesagten ergibt sich bereits, daß die Institution ohne den Akt des instituere nicht zur Wirksamkeit kommt. Das gilt für alle Institutionen, insbesondere auch für den Staat. Die neuere Staatslehre, insbesondere die Integrationslehre Rudolf Smends hat einen falschen statischen Begriff des Staates als Objektivum oder Idee überwunden und gezeigt, daß er in einer Kette sich immer wieder erneuernder intentionaler Integrationsakte besteht und lebt, die auf die Institution, in den Status, die Verfassung der politischen Kräfte hinführt. Man kann die Institutionen für sich allein darstellen und beschreiben; aber man kann sie ohne den Akt des Vollzugs nicht erfüllen, nicht in sie eintreten. Akt und Sein gehören hier zusammen. Die Institution gleicht einem Hause, welches man beziehen muß. Das ist seine Bestimmung; ohne das verfällt es. Man muß es mit Leben erfüllen; man kann es auch in gewissen Grenzen umbauen; aber seine architektonische Gesamtkonzeption unter Einschluß seiner Standorts, seiner Umgebung ist unverrückbar vorgegeben. Mit den Einzug aber bin ich unweigerlich verpflichtet, die Lasten und Risiken meines Wohnens zu tragen, das Verhältnis zur Nachbarschaft, Steuern und Brandgefahr. Mit dem guten Tropfen des Status ist der böse Tropfen der sachgebundenen Beziehungen und Lasten verknüpft.

Es ist zunächst der Akt zu betrachten, durch den ich in die Institution eintrete. Er ist grundsätzlich frei. Es mag eine zwingende Notwendigkeit bestehen, eine Unterkunft zu suchen; aber grundsätzlich und in der Konkretion ist der Akt dennoch ein solcher der freien Selbstbestimmung, der Wahl nicht allein zwischen verschiedenen Institutionen, sondern auch zwischen verschiedenen Konkretionen

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der gleichen Institution. Was aber schafft nun, daß ich gerade in diese Institution — generell betrachtet — eintrete? Das ist aus der Interpretation des erklärten rechtsgeschäftlichen Willens nur dort zu erschließen, wo dieser Wille den Rechtserfolg wesentlich bestimmt und gestaltet. Bei der Institution ist es gerade so, daß ich unweigerlich in einen Inbegriff von Rechten und Pflichten eintrete, ohne Rücksicht daraus, ob ich sie im einzelnen gewollt habe. Erscheinen mir diese Folgen unerträglich, so kann ich sie nicht einfach ablösen, sondern ich muß aus dem ganzen Verhältnis ausscheiden. Genau umgekehrt ist die Institution bedingungsfeindlich; man kann in sie mit wesentlichen Vorbehalten nicht eintreten. Nicht die Summe der rechtsgeschäftlichen Willensinhalte, sondern die Typizität des Aktes bestimmt den Erfolg. Die Institutionen haben Namen, die mehr sind als eine bloße begriffliche Umschreibung. Man kann durch die Verwendung des Namens wie Miete, Besitz usw. anzeigen, was typisch gemeint ist. Diese Bezeichnung kann irrtümlich ein und aus dem sachlichen Erklärungsinhalt berechtigt werden. Trotzdem bleibt der Name ein wichtiges Merkmal der Institution. In gewissem Betracht verschafft erst das nomen die res, den Inhalt. Tiefer tritt den Vorgang der Begriff der Intention. Rechtsprechung und Gesetzgebung haben oftmals über die Folgen zu entscheiden, wenn in einem bestimmten Sinne gehandelt worden ist, in einer intentionalen Richtung, in einem animus. Die Absicht rechtswidriger Zueignung beim Diebstahl, der Wille, Besitzer oder Besitzdiener zu sein, Stellvertreter oder Bote, ist entscheidend für Rechtsfolgen, die aus einem hierdurch selbstgewählten Rechtsstatus sich ergeben. Das ist dann nur noch eine Erkenntnisfrage. Obwohl hier der Name des Intendierten meist nicht genannt und das Gewollte nur indirekt erschlossen wird, hat doch der Status einen Namen, bei dem man behaftet wird. Man ist plötzlich Dieb oder Besitzdiener, weil man eine bestimmte Intention vollzogen hat. Je nach der Intention gewinnt das reale Handeln eine ganz verschiedene Bedeutung.

Aus dem Gesagten ergibt sich weiter, daß trotz einer gewissen Veränderlichkeit der Kern jeder Institution in ihrer Vorgegebenheit, ihrer Unverfügbarkeit liegt. Die Freiheit des Eintritts und die Freiheit zur Veränderung des institutionellen Gehalts sind zweierlei. Aus der Freiheit des Eintritts kann nicht die Freiheit unbegrenzter Veränderung der Institution gefolgert werden. Es steht mir frei zu heiraten oder in eine Handelsgesellschaft einzutreten. Aber die damit typisch, d.h. institutionell verknüpften Verbindlichkeiten vermag ich nicht abzuwälzen oder auszuschließen. Eine rationalistische Definition der Ehe, wie sie das preußische Allgemeine Landrecht bringt, läßt neben der Ehe im Regelfall („Zweck”: Erzeugung und Erziehung der Kinder) eine Ehe zur nur wechselseitigen Unterstützung zu. Aber das Gesetz läßt sie zu; eine willkürliche Vertragsgestaltung ist sonst nicht zulässig; sie hört sonst auf, Ehe zu sein. Sonst

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entstehen typische andere Rechtsformen der Geschlechtsverbindung, wie das Konkubinat.

Eben dies und selbst der rationalistische Definitionsversuch macht sichtbar, daß die Institution zwar beschrieben und in ihren Einzelheiten ausgestaltet werden, aber in ihrer Ganzheit und Singularität nicht abschließend definiert werden kann. Es gibt keine erschöpfende Aufzählung der Rechtswirkungen einer Institution, welche weitere Rechtswirkungen ausschließen könnte, die in der Definition nicht enthalten sind. Das Wesen der Institution bestimmt unabdingbar die Rechtsfolgen. Es führt daher jeder Versuch abschließender Definition einer Institution (was einer nur hinweisenden Umschreibung nicht entgegensteht) — meistens ausgehend von einem teleologischen Zweckgedanken — zu einer Verkürzung des lebensmäßigen Gehaltes, weil aus der Definition zugleich eine Begrenzung auf die dort genannten Merkmale und Zwecke und damit die Ausschließung anderer definitionsmäßig nicht hinreichend erfaßbarer Momente folgt. Daraus ergibt sich dann wieder eine falsche Spaltung zwischen „ethischem” und „rechtlichem” Gehalt und ein zerstörendes Ausspielen beider gegeneinander.

Die Institutionen sind also der rechtliche Ausdruck typischer Beziehungsformen oder Gemeinschaftsformen, die zwar weitgehend gestaltet, aber in ihrem Ansatz vorgegeben sind. Sie sind wie Pflanzen, die man setzen, beschneiden und auch verkümmern lassen kann, deren Ausgangsformen aber vorgegeben sind. Sie bieten also ein Problem des Verhältnisses von Freiheit und Determination, der doppelten Freiheit des Eintritts überhaupt und der begrenzten Gestaltung, und der Vorgegebenheit des Beziehungsschemas als solchen. Je größer der Grad der Vorgegebenheit ist, desto stärker der Institutionscharakter. Restlos verfügbare Lebensformen ermangeln dieses Charakters. Aber das ist eigentlich nur als Grenzwert, nicht als Typus vorstellbar, weil vollkommen verfügbare Formen überhaupt jeder Verbindlichkeit entbehren, und den Formcharakter völlig verlieren würden. Man kann sich also durch die Freigabe aller Lebensformen zur unbeschränkten Verfügbarkeit von den Institutionen — (die man verdächtigt, entwertet, verteufelt) nur um den Preis der Verbindlichkeit alles Zusammenlebens überhaupt, also der Anarchie, sei es mechanistisch, sei es schwärmerisch, befreiten. Eine Existenz von reiner Aktualität gibt es nicht. Andererseits verzerrt ein rein deterministisches Verständnis die eingangs dargestellte Doppelheit des Begriffs von Akt und Status und läßt die Institution als schlechthin irrationale Größe erscheinen, was sie nicht ist. Gerade eine falsche Trennung beider Momente lehrt auf der einen Seite eine freie, aktuale, wenn auch immer ethisch gebundene Verfügbarkeit des Handelns und auf der anderen Seite die irrationale Vorgegebenheit der Institution, die dann nicht mehr zueinander finden. Diese Trennung ist in bedenklichem Umfange der Ansatz protestantischer Staats- und Soziallehren gewesen. Hieraus hat sich im lutherischen

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Ansatz die Preisgabe an den Idealismus, im calvinischen Raum die Hinwendung zum Liberalismus und aus dieser ganzen Spaltung das tragische Widereinander deutscher und westlicher Staatsauffassungen ergeben. Weil man nicht erkennt, daß das Gesamtproblem und Phänomen der Institution verkannt und aufgespalten worden ist, hält man sich wechselseitig die Vereinseitigung vor: die Calvinisten den Lutheranern die einseitige Neigung zum Institutionellen, und die Lutheraner den Calvinisten die ebenso einseitige Neigung zur freien Verfügung über alle Bezüge, die Verkennung ihrer unabdingbaren Struktur. Beide Dinge gehören auf einer dritten Ebene zusammen, die für den Blick der protestantischen Soziallehre verlorengegangen ist.

Den Kern des Institutionsproblems werden wir also dort zu suchen haben, wo der Unverfügbarkeitscharakter klar ausgeprägt, aber nicht isoliert ist. Die Frage läßt sich auch anders stellen: Wo kommen die Institutionen her, wo gründen sie?

Die positivistische Antwort lautet: sie sind Ordnungsschemata, die das Recht für typische Abläufe aus Zweckmäßigkeitsgründen darbietet. Das verlagert den Fehler einer nur subjektiven Betrachtung von der Freiheit her nur auf eine höhere Ebene und erklärt nicht den Unverfügbarkeitscharakter, die relative Bedingungsfeindlichkeit, die ein genuines Merkmal, kein Moment der Erstarrung ist. Als zweite Möglichkeit ergibt sich die Versuchung, die Institutionen als Ideen oder Ordnung, als Wesenheiten eigener Art in eine mehr oder weniger weit durchgeführte Metaphysik einzubauen. Rudolf von Ihering hat mit barockem, aber grausamen Humor in seinem juristischen Begriffshimmel eine solche Rechtsmetaphysik ad absurdum geführt. Hier wimmeln nämlich alle Rechtsbegriffe bis zum nasciturus und der diligentia quam in suis personifiziert durcheinander; gerade die Vergleichung des Unvergleichbaren macht den Humor aus, dessen Entladung jede metaphysische Gliederung tötet. Gerade bei solcher metaphysischen Betrachtung entwertet sich der freie Akt zum bloßen Anlasser eines juristischen Automatismus und treibt dadurch umgekehrt zur Isolierung und Überwertung des Akts und der Freiheit. Es darf gerade die Institution von dem, der in sie eintritt, nicht gelöst werden.

Wenn also die Institution weder als metaphysische Idee für sich besteht, noch das bloße kausale Produkt des Aktes ist, so muß die eigentümliche Verknüpfung von Akt und Sein in einer anderen Weise zustande kommen. Wer durch einen Akt den Eintritt in einen Status intendiert, geht ein doppeltes Risiko ein: Dasjenige des Rechtsbestandes und dasjenige der Erfüllung. Es gibt Verhältnisse, die erfüllbar, aber nicht rechtswirksam und solche die rechtswirksam, aber nicht erfüllbar sind. Ein Partner kann sich in einer gültigen Ehe eheuntauglich erweisen und ein tauglicher Partner kann rechtlich eheunfähig sein. Treu und Glauben als allgemeiner Rechtsgedanke ist ein Wechselbezug: Glauben heißt Eingehen des

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unvermeidlichen doppelten Risikos. Treue heißt die Beständigkeit — wessen? Gedacht ist im Zivilrecht an den Partner, ebenso bei öffentlich-rechtlichen Verträgen. Was jedoch der zweite Partner gewährleistet und was nicht, was über das zweite Risiko zu ermitteln ist, das sagt uns im allgemeinen die Gesetzgebung und Rechtsprechung. In jedem institutionellen Akt haben wir dergestalt zwei Partner — sozusagen mikrokosmisch den uns gleichwertigen Partner, makrokosmisch die Gesamtrechtsordnung. Bei öffentlich-rechtlichen Unterwerfungsakten fallen beide zusammen. Es ist wie im Versicherungswesen. Von einer gewissen Größenordnung an treten Verbände und Unternehmen als Selbstversicherer auf. Das Wesen der Souveränität ist die Garantieunbedürftigkeit. Nach fränkischem Recht wurde mit dem Tode bestraft, wer die Gültigkeit einer Königsurkunde auch nur bezweifelte. In der Form des magischen Realismus tritt hier die Koinzidenz der Gewährleistung zutage. Die Treue des Partners und die des Königs fallen zusammen.

Wenn die Quelle der konkreten Institutionen dort liegen muß, wo der Charakter der Unverfügbarkeit am deutlichsten sichtbar wird, so müssen sie sich an diejenigen Gemeinschaftsbezüge anschließen, aus denen sich der Mensch am wenigsten oder vielleicht überhaupt nicht lösen kann, die den höchsten Grad der Existentialität besitzen. Dies ist das Verhältnis von Mensch zu Mensch in der politischen Gemeinschaft, es ist die Ehe als Geschlechtsgemeinschaft und es ist das Verhältnis des Menschen zu Sache und Tier. Jedes dieses Verhältnisses hat seine Unlösbarkeit darin, daß der Mensch an seinem Partner oder für ihn handeln muß: Im Gemeinwesen stellvertretend in der Geschichte, in der Ehe als Geschlechtsgemeinschaft, im Verhältnis von Mensch und Sache in deren Beherrschung und Nutzung. Dem entspricht, daß zu allen Zeiten es Versuche gegeben hat, diesem Zwang des Handelns und damit der Unausweichlichkeit des Institutionellen konsequent zu entgehen, — durch politische Weltflucht, durch geschlechtliche Askese, durch Verzicht auf Eigentum.

Denn kraft der Intention dieses Handelns wird der Mensch in der Institution zugleich in unberechenbarer Weise verantwortlich gemacht; er muß für die Folgen einstehen; er verfällt mit diesem Handeln zugleich dem Bereich, in welchem er handelt. Das moderne Schwärmertum freilich wählt nicht mehr die asketische Alternative, welche in einer klaren Korrelation zur Institution steht, sondern versucht die Institutionen als solche aufzuheben. Dazu gibt es zwei Wege. Der liberale Versuch besteht darin, das Strukturmoment der intentionalen Freiheit als das einzige zu verstehen und die institutionellen Vorgegebenheit als bloße kausale Folge und verfügbare Form zu verstehen und zu gestalten. Alles ist freie Vernunft und vernünftige Freiheit. Die protestantische Ethik trägt viele Züge dieses Versuches; Mißtrauen gegen die Institution, Mißverständnis der christlichen Freiheit als ethischer Freiheit ihr gegenüber usw.

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Hier bestehen enge Verbindungen zum Idealismus. Seitdem der ethische Optimismus erschüttert ist, tritt der entgegengesetzte Versuch auf, der noch zugleich eine gedankliche Fortentwicklung darstellt. Die Institutionen müssen geändert, umstrukturiert werden, und zwar so, daß das freie Moment der Intention ganz wegfällt. Das darin liegende Entscheidungsmoment, welches in der Institution haftbar und verantwortlich wird, wird durch radikalen Determinismus ausgeschaltet. Die Ehe (und mit ihr die Familie) droht heute ihre Eigenständigkeit und Eigentümlichkeit zu verlieren und ein Sonderfall menschlicher Vergemeinschaftung zu werden, in der zwei Menschen ohne eigentliche konstituierende Differenzierung ihre „Freiheit und Würde” gemeinschaftlich verwirklichen. Man weiß nicht mehr von dem spezifischen Charakter der Geschlechter und ihres Verhältnisses, wagt sie nicht mehr rechtliche auszudrücken, weiß auch nichts mehr von der Geschlechtsverfallenheit des Menschen und dem Charakter der Ehe als remedium libidinis. In weiterer Fortführung dessen werden der Ehe gesellschaftspolitische Zielsetzungen unterschoben und auferlegt. Rationalistische Zweckverwirklichung, idealistische Selbstverwirklichung und Verwirklichung des objektiven Geschichtssinnes (biologisch im Nationalsozialismus, ökonomisch im Marxismus) sind die Etappen der Umdeutung der Ehe, die ein deutliches Gefälle aufweisen. Indem nach dem Gleichberechtigungsgesetz die Pflicht der Frau, den Wohnsitz des Mannes zu teilen, wegfällt und planwirtschaftliche Verpflichtungen der Gemeinsamkeit der Ehegatten grundsätzlich vorgeordnet werden, wird der Ehe der Ort genommen, wo sie ihre Eigenexistenz entfaltet. Denn der Ort ist mehr als ein polizeilich registrierbares Domizil; er ist die Chiffre für die Eigenständigkeit und zugleich die Gewährung eines bestimmten, unangetasteten Platzes in der Gesamtrechtsordnung. Ordnung heißt gerade hier auch Ortung. Die freie Möglichkeit einer stabilitas loci ist eine entscheidende Voraussetzung für die Entfaltung der Ehe in sich, zur Familie, zum Familieneigentum usw. Junge Ehen ohne Eigenraum gehen erfahrungsgemäß leicht zugrunde. Was die Askese durch Verzicht unternimmt, wird hier durch direkte Aufhebung der Selbstmächtigkeit institutionell versucht. Wei der Intention Freiheit, damit auch Schuld und Verantwortlichkeit anhaftet, wird versucht, diese tiefer als im bürgerlichen Optimismus empfundene Schuld und Verantwortlichkeit durch die Aufhebung zu beseitigen. Aber gerade dieser radikalste antiinstitutionelle Versuch, der alle Institutionen in den geschichtlichen Prozeß eschatologisch hineinzieht, zeigt noch in der Perversion, daß in der Institution immer ein dritter Mann, der zweite und eigentliche Treugeber beteiligt ist. Das mythische Denken hält diesen Tatbestand noch klar fest, wenn man ihn zu deuten versteht: Herrschaftsbegründung als Inkarnation eines Gottes oder Heros, Eheschluß als Bild des hieros gamos, Landvermessung und Zueignung als kultische Handlung (temnere, temnein, templum haben dieselbe Wurzel). Erst später

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erscheinen Institutionen zweiter Hand, solche des Verkehrsrechts, bei denen die vertragsrechtliche Verfügbarkeit den institutionellen Charakter überwiegt, einschränkt, aushöhlt. Für diese Institutionen zweiter Hand genügt als Garant die Rechtsordnung des Marktgerichts. Die Institutionen erster Hand, die sich auf Grundbezügen aufbauen, insbesondere des öffentlichen und des Sachenrechts bewahren jenen Charakter auch in einer rationalen Welt noch lange.

Dieser Befund trifft nun strukturell mit der von der Rechtswissenschaft vernachlässigten Tatsache überein, daß grundsätzlich jeder Rechtsakt, der zu einem irgendwie gearteten Status erster oder zweiter Hand führt, eine Vergemeinschaftung höherer Art voraussetzt, die Ehe ein connubium, das Handelsgeschäft das Commercium, jeder politische Akt auch nur des Gastrechts, der Paßausstellung eine völkerrechtliche Anerkennung der beteiligten Gemeinwesen. Immer ist also eine vorauslaufende, von dem Einzelakt unabhängige Vergemeinschaftung vorauszusetzen.

Daß der Mensch aber überhaupt in Communikation treten kann, das verdankt er allein der ebenso vorauslaufenden gnädigen Tatsache, daß Gott mit der Welt in der Schöpfung einen Bund gemacht hat. Denn er hat den Menschen nicht allein geschaffen, sondern ihn zu seinem Kinde und Ebenbilde in seinem Reiche gemacht, ihm ein Weib zugeordnet, und ihm die Herrschaft über Dinge und Tiere übertragen. Hier lebt er in freiem Gehorsam der Kinder Gottes an einem in dreifacher Richtung bestimmten Platz im Kosmos.

Dies alles verändert sich durch den Fall. Aber nicht das Vorhandensein der Bezüge als solche wird aufgehoben, sondern diese selbst werden durch die angemaßte Autonomie des Menschen verderbt. An die Stelle der Kindschaft im Reiche Gottes tritt die Selbstmächtigkeit der Reiche dieser Welt; die Ehe tritt unter das Gesetz der Herrschaft und der geschlechtlichen Verfallenheit; das Eigentum wird zum Herausnehmen der Dinge aus der Ordnung des Kosmos. Eben weil dieses Bewußtseins des Falles in der Menschheit so tief verwurzelt ist, versucht sie mit allen Kräften der tödlichen Verantwortung dafür zu entgehen, ohne reumütig in den Gehorsam Gottes wie der verlorene Sohn zurückkehren zu müssen. Gott hat nicht die Bezüge zerstört, sondern gerade in ihnen kracht ihrer Verkehrung den Menschen verantwortlich gemacht. Deswegen spricht das kommunistische Ideal eine urmenschliche Erinnerung und eine eschatologische Hoffnung so stark an. Eben darum ist dieser Versuch so tief verderbt, weil er am Gehorsam und an der Buße vorbei gewaltsam dies mit eigener Macht erreichen will.

Was bedeutet nun diese Strukturerhellung für unser Eheproblem? Zunächst wird die Bedeutung des Herrenwortes Matth. 19, daß Gott zusammenfügt um vieles deutlicher. Jeder Status, in den wir auch durch unser willkürliches Handeln eintreten, hat seine Substanz, seinen eigentlichen Geltungsgrund in einem vorauslaufenden

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gnadenvollen Handeln. Sodann fürchte ich, daß wir mit dem lutherischen Satz über die Ehe als weltliches Ding ins Gedränge kommen, gerade weil wir es von hier aus besser verstehen können, vielleicht sogar in Zusammenhängen, deren sich die Reformationszeit selbst nicht bewußt sein konnte. Daß Weltlichkeit nicht Profanität heißt, ist dabei ebenso unbestritten, wie daß die Ehe nicht zum Heile dient und notwendig ist. Dies aber behauptet auch die Lehre der römischen Kirche vom Ehesakrament nicht! Weltlich Ding konnte aber hier im Sinne unserer vorläufigen Begriffsbestimmung bedeuten, daß die Ehe eine Ordnung zweiter Hand sei, deren ausreichender Subsistenzgrund die öffentliche weltliche Ordnung wäre wie für andere freie consensuale Akte. Aber hier komen wir in einen Konflikt mit der Heiligen Schrift selbst. Sie zeigt die Ehe im Urstand, unter dem Fall, unter dem Gesetz, in der Restitution durch den Herrn (Matth. 19), in der apostolischen Paränese und in der eschatologischen Aufhebung, also in ständiger Parallele zur Heilsgeschichte. Wir sehen sie in Epheser 5 abbildfähig für das Verhältnis von Christus und der Gemeinde. Sodann kommen wir in Konflikt mit den weit ausgreifenden anthropologischen Aussagen Karl Barths zu diesem Problem, der im Zusammenhang der Trinitätslehre dem Verhältnis von Mann und Frau eine analogische Bedeutsamkeit zubilligt. Und es wäre doch vielleicht kein Zufall, daß Staat und Kirche den Eheschluß und der Staat zudem die Verfügung über Grundeigentum in einer freilich äußerlichen Form wieder institutionalisiert haben, aus dem Bereich des ohne öffentliche Mitwirkung Vollziehbaren herausgenommen haben. Es könnte also sein, daß hier das polemische Interesse gegen einen formalen scholastischen Sakramentsbegriff und auf der anderen Seite eine nicht unbedenkliche Einengung des Blicks auf das für den einzelnen Menschen im strengsten Sinne Heilsnotwendige doch wesentliche Momente hätte zurücktreten lassen. Die Weltlichkeit der Ehe, d.h. ihre Rückbeziehung auf bürgerliche Rechtsordnung und bürgerlichen Rechtsstatus wäre deshalb nicht falsch, aber doch keinesfalls erschöpfend und für unser Verständnis nicht ausreichend. Die schon früher gewählte Formel, daß die Ehe bilateral sei, würde dem Tatbestand erheblich mehr gerecht werden, daß sie also in den Bereich von Staat und Kirche gehört, sofern die Partner Christen sind und daher dieser Tatbestand für sie aufgedeckt ist

Daß die Ehe in facie ecclesiae und in facie civitatis geschlossen werden muß, bezeugt gerade unaufhebbaren institutionellen Charakter. Der Staat kann nach den ihm gegebenen Möglichkeiten dies nicht anders als in der standesamtlichen Form zum Ausdruck bringen.

Die schlichte, an Luthers Formel anschließende Aussage, daß die rechtliche Gestaltung dieser Dinge der weltlichen Obrigkeit obliege, ist schon angesichts Luthers eigener Haltung zu diesen Problemen so einfach nicht verwendbar (vgl. meine Ausführungen über

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Strukturprobleme des Eheschließungsrechts, Teil II). Sie klingt aber auch vorweg schon nach falscher Abwertung äußerer Ordnung. Andererseits: Indem der Staat die Ordnung dessen übernimmt und damit in die Garantiefunktion eintritt, mediatisiert er ipso facto die Ehe, nimmt er ihr die Unmittelbarkeit göttlicher Einsetzung und Begründung. Nach dem direkten Zeugnis der Schrift ist nicht nur die Ehe als Institution von Gott gestiftet, sondern wird er auch im konkreten Eheschluß wirksam. Diese Mediatisierung kann nicht durch die Behauptung vermieden werden, daß die Ehe der staatlichen Anerkennung an sich nicht bedürfe, indem also auf ihrer Innerlichkeit und auf die Genügsamkeit des Consensus zurückverwiesen wird. In facie ecclesiae allein wird diese Unmittelbarkeit der Ehe bezeugt und aufgedeckt. Daß die Ehe auch der staatlichen Gesetzgebung untersteht, wird auch von der Canonistik mindestens seit der constitutio „ne temere” (1907) nicht mehr bestritten. Aber daß sie nur vom Staate ressortiert ist falsch. Daß sie auch von der Kirche ressortiert und in facie ecclesiae geschlossen werden sollte, heißt nicht einen Machtanspruch erheben, sondern nur die Unmittelbarkeit der Ehe zu Gott bezeugen, an dem einzigen Ort, wo dies geschehen kann. Die ausschließliche Rückverweisung auf das consensuale Innenverhältnis ist ein geistesgeschichtlich bedingter, in seinen Voraussetzungen deutlich nachweisbarer Irrtum. Das Verhältnis von altchristlicher Eheschließung und römischen Eheschließungsrecht wäre noch näher aufzuhellen; es muß dort mit einer sehr fortgeschrittenen Profanisierung der Rechtsformen gerechnet werden, in welche die Kirche unter sehr eigentümlichen Bedingungen eintritt. Auf der katholischen Seite entspricht das unverbundene Gegenüber von Consens und Brautmesse dem unverbundenen Gegenüber von eheschließendem Consens und staatlichen Fixierung. Schon in der Ausbildung der römischen Sakramentslehre ist diese Spaltung zu bemerken. Die Kirche vermag das private Sakrament der consensualen Ehe und die Forderung der kirchlichen Eheschließung nicht übereinzubringen und kommt auch im Tridentinum nur zu einer äußerlichen Einheit, in dem sie jure humano den Consens vor den Priester erzwingt.

Aber der katholische Protest gegen die Mediatisierung der Ehe durch den Staat und die verschiedene Bewertung der weltlichen und kirchlichen Eheschließung in der gemeinchristlichen Öffentlichkeit ist ohne Rücksicht auf die Unzulänglichkeit der Begründung durchaus echt und ernst zu nehmen.

Unbestritten wird heute auch im Raum der evangelischen Kirche mit der Möglichkeit gerechnet, daß Staat und Kirche in gewissen Fällen (z.B. rassische Mischehe) in der Beurteilung der Zulässigkeit des Eheschlusses auseinandergehen. Daraus ergibt sich klar die Mehrschichtigkeit der Ehe, die ebenso unbezweifelbar ist wie die von einander unabhängige Rechtsexistenz von Kirche und Staat.

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Aus dem Gesagten läßt sich das rechtliche Verhältnis der Artikel 3 und 6 des Bonner Grundgesetzes näher bestimmen. Ein jedes Gemeinwesen garantiert und objektiviert immer nur solche Institutionen und Rechtsformen, die seinem eigenen Strukturprinzip voll entsprechen, z.B. der liberale Staat nur solche Vereine, deren Zweck den Mitgliedern voll verfügbar ist, so daß sie auch jederzeit austreten können. Werden aber besondere institutionelle Garantien ausgesprochen wie bei Ehe und Familie, so bedeutet das, daß diese Rechtsforen sich nicht von vornherein und nicht vollständig der Allgemeingültigkeit des Prinzips einfügen. In einem Gemeinwesen, dessen Grundprinzip unbestritten, eindeutig und durchgängig durchgeführt ist, bedarf es institutioneller Garantien nicht. So ist etwa der Protest Friedrich Wilhelm IV. dagegen zu verstehen, daß sich eine papierene Urkunde in das patriarchalische Verhältnis von König und Volk eindränge. Ernstgemeinte institutionelle Garantien bedeuten immer einen unausgetragenen Kompromiß zwischen dem allgemeinen Staatsprinzip (heute dem der Gleichheit) und der historischen Gestalt eines besonderen Rechtsbereichs, den man nicht vollständig umformen kann oder will. Deshalb sind in einem totalitären Staate institutionelle Garantien von so geringer Wirkung. Deshalb können jene beiden Verfassungsartikel grundsätzlich nur im Sinne eines Kompromisses zwischen dem allgemeinen Prinzip der Gleichheit und der grundsätzlichen Eigenständigkeit und historischen Besonderheit der Ehe und Familie zutreffend ausgelegt werden.

Recht kann man diese Lage nur verstehen, wenn man einsieht, daß Familie, Staat und Kirche auf diesem Gebiet heute in einem eigentümlichen dreieckigen Verhältnis zueinander stehen. Staat und Kirche nehmen Ersatzfunktionen für die Familie wahr, welche die Ehe nicht mehr ausreichend zu objektivieren, in ihrem institutionellen Charakter zu erhalten vermag. Der Staat seinerseits vermag dies nur in einem sehr formalen Sinne, die Kirche, indem sie den objektiven Grund aller menschlichen Vergemeinschaftung im vorauslaufenden Gnadenhandeln Gottes zur Geltung und zum Bewußtsein bringt.