Sieht man von jenem transitorischen und reduktiven Charakter der Aussagen über die Sakramente in CA und Apologie ab, so erweist sich rein für sich betrachtet die Auflösung der formellen Siebenzahl der Sakramente als fruchtbar und bedeutsam. Denn sie ist eben gerade nicht eine Auflösung, welche die Elemente der bisherigen Einheit in alle Winde verstreut, sondern eine Gruppierung, die in gewisser Weise die schon bei Rufin auftretende Problematik von der Sache her wieder aufgreift. Dieser Gesichtspunkt ist, soweit ich sehe, bisher kaum beachtet worden. Das Zentrum bilden naturgemäß wie von jeher die sacramenta salutaria. Ihre ausdrücklich bezeugte Dreiheit (Taufe, Absolution, Abendmahl) ist darin begründet, daß Luther nach der Darstellung Johannes
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Heckels in den „Initia juris ecclesiastici Protestantium” dem Bußsakrament eine überragende, ja fast ausschließende Bedeutung beigemessen hat. Eine ähnliche Tendenz zeigt sich bei den Calvinisten in der engen Verbindung von Predigt und Bußzucht im Heidelberger Katechismus. In der lutherischen Kirche hat sich nun freilich die Dreiheit bis zur Gegenwart in eine Zweiheit verwandelt. Während noch auf jenem Wittenberger Altarbild alle drei gleichrangig dargestellt werden, und in der altlutherischen Kirche die Schlüsselgewalt als konstitutive Zusprechung der Sündenvergebung kräftig gehandhabt wurde, auch die Beichtstühle in den lutherischen Kirchen erhalten blieben und benutzt wurden, hat das Luthertum durch Aufklärung und Idealismus dieses dritte Sakrament praktisch verloren.
Die zweite Gruppe, die nur hypothetisch und rhetorisch als Sakramente bezeichnet werden, sind die Standessakramente, des Amtes und der Ehe. Ihr Verhältnis wird in Kap. VIII und IX erörtert werden.
Ebenso sinngemäß gehören, auch in der Kritik, Konfirmation und letzte Ölung zusammen, für welche mangels Stiftung der Sakramentscharakter strikt und nicht nur hypothetisch verneint wird. Ihre Gemeinsamkeit liegt in ihrem konfirmatorischen Charakter. Die in Jakobus 5 empfohlene Ölung mit Handauflegung und Gebet ist ja eine Krankenölung, nicht eine solche der Sterbenden, ebenso die Krankenheilungen der Jünger mit Salbung, die in Mk. 6, 13 bezeugt werden.
Was die Bekenntnisschriften hindert, dieses biblische Handeln und Vorbild als Sakrament zu bezeichnen, ist einmal der Mangel einer erfolgten Stiftung durch den Herrn, das heißt: eines Auftrags zu bestimmtem Handeln und der ebenso bestimmten Aussonderung und Qualifizierung der Elemente.
Nach alledem bedeuten die über Taufe und Abendmahl hinausgehenden fünf Sakramente, abgesehen von dem spekulativen Sinn der Siebenzahl, keine bloße Weiterzählung von einem Ausgangsbestand der beiden Hauptsakramente. Ihre positive Gemeinsamkeit liegt zunächst in ihrem personalen Charakter. Die abendländische Kirche hat jene dann allgemein gewordene scharfe und wichtige Beschränkung des Begriffs auf Handlungen an Personen vollzogen und durchgesetzt. Innerhalb dieser Abgrenzung scheiden sich sachlich (immer unter der hypothetischen Voraussetzung des Sakramentsbegriffs) drei Gruppen: salutaria, ordinatoria, confirmatoria. Gerade als solche Gruppen werden sie durch ihre markanten Unterschiede vergleichbar. Die herkömmliche Erörterung ist an der Frage der Materie und des Zeichens orientiert. Der Gruppenvergleich läßt dagegen den zuordnenden Charakter solchen Handelns in der Vordergrund treten. Die sacramenta salutaria sind solche, in denen der ganze Mensch Christus und seinem Leibe zugeordnet oder wieder zugeordnet wird. Die ordinatoria, in denen der zuordnende Charakter besonders auftritt, verordnen den Christen, wiewohl als ganzen
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Menschen doch nur in einer bestimmten, für sein Heil selbst nicht in Betracht kommenden Beziehung: in der Kirche zu einem Amte, zu einem besonderen gliedschaftlichen Dienste, — oder in Analogie zur Kirche in der Ehe (Eph. 5). Amt und Ehe ergreifen den ganzen Menschen. Die konfirmatorischen Handlungen schließlich beziehen sich überall auf Christen, die der Bestärkung, der Vervollständigung und Ergänzung ihres Christsein bedürfen, die als Kranke, nicht als körperlich Kranke, sondern als geistlich Angefochtene erscheinen, so daß körperliches und geistliches Leiden nicht voneinander getrennt werden können. Konfirmatorischen Charakter hat auch die altkirchliche Übung, in anderen Kirchengemeinschaften gültig Getauften bei der Aufnahme in die orthodoxe Kirche die Hände aufzulegen.
Nun hat die reformatorische Kritik darin durchaus Recht, daß alle diese unter den Sakramentsbegriff subsumierten Handlungen nicht einfach in dem gleichen Sinne Stiftungen des Herrn sind wie Taufe und Abendmahl. Aber eben damit ist die Frage nicht positivistisch erledigt.
Der Kirchenjurist muß Gehalt und Struktur derjenigen Handlungen erörtern, deren Recht in der Kirche behauptet oder bestritten wird, und er kann bei der Interpretation der Handlungen auf Zusammenhänge stoßen, die der Dogmatik fernliegen.
In der Tat führt die morphologische Vergleichung der fünf die beiden Hauptsakramente überschließenden, als Sakramente bezeichneten Handlungen zu weitergehenden Erkenntnissen. Sie haben nämlich allesamt keine spezifischen Elemente, keine „Materie” wie Wasser, Wein, Brot. Die Krankenölung hat zwar ihren Namen von der Salbung mit Öl, aber dieser konkurriert die Handauflegung und es ist sehr fraglich, ob gerade die Ölung als solche im gleiche Sinne Element ist. Auf alle Fälle überwiegt und zieht sich durch alle diese Sakramentshandlungen die Handauflegung hindurch, die ja nun gerade nicht Element oder „materia”, sondern instrumentale Aktion ist. Andererseits erstrecken sich diese Handlungen von der Handauflegung bei der Absolution als Rekonziliation, also einem zentralen Vorgang, in welchem sie sich mit der Absolution als verbalem Zuspruch verbindet, bis hin zur Handauflegung bei der Ölung.
Das Untertansein der Mächte ist ein Ausfluß der apostolischen Vollmacht, zugleich eine Frucht der Verheißung, die das Gebet hat, der Geistverleihung überhaupt. Auch dieses geistliche Handeln löst das leidende Glied des soma Christou aus einer nicht nur leiblichen, sondern zugleich geistlichen Verstrickung, stärkt und führt es wieder in die Gemeinschaft hinein, in der es angefochten worden ist. Ein ausscheidend abtrennendes wie zuordnendes Moment fehlt hier sowenig wie bei allen anderen geistlichen Verrichtungen. Aber der Kranke ist nun eben kein Abgefallener, der wieder hineinzuführen ist, sondern ein Angefochtener.
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Gleichwohl übt die Urgemeinde, üben die Apostel mit diskussionsloser Selbstverständlichkeit die Handauflegung als Akt der Geistmitteilung, im Anschluß an die Taufe, bei der Ordination zu Amt und Mission, aber eben auch bei der Krankenölung. Die so unterschiedlich bezogenen und unterschiedlich bedeutsamen Handlungen scheinen mir weit eher auf eine einheitliche Vorstellung zurückzugehen, von der aus die einzelnen auf ihre Bedeutung zu interpretieren sind, als daß sie einzelne Handlungen darstellen, wie die Zählung der Sakramente es voraussetzt. Denn es gibt gar nicht sieben verschiedene Materien, sieben verschiedene Zeichen. Diese einheitliche Vorstellung paßt nicht mit den Fragen zusammen, welche die Struktur der verschiedene Handlungen aufwirft.
In jenen Handlungen wirkt vielmehr der Heilige Geist, in der ihm entsprechenden Form durch das spezifische Instrument der menschlichen Hand, wie er anderwärts durch die ausgesonderten Elemente wirkt. Überall sammelt, erleuchtet, verbindet, stärkt, kräftigt er, was zu ihm gehört und gehören soll - unter sparsamster Zuordnung sonstiger realer Handlungsinhalte. Hebt man die unzutreffende Orientierung der fünft Sakramente an den Hauptsakramenten ebenso auf, wie ihre numerische Vereinzelung, so klärt sich der morphologische Tatbestand weitgehend und sinngemäß. Sie finden in sich ihren Vereinigungspunkt und aus ihrer Gemeinsamkeit ihre sachliche Deutung. Gerade dann aber kann auch der Vergleich und die Verhältnisbestimmung zu den beiden Hauptsakramenten wesentlich leichter vollzogen werden.
In ihnen vollzieht sich das fortwirkende Geheimnis der Geistmitteilung, ein mysterion pneumatos hagiou, ein sacramentum spiritus sanctie — wesentlich instrumental, nicht weniger wirksam, nicht weniger konkret. Die Kirche bittet zuversichtlich um den Geist als personale Gabe, nicht um Erfüllung eines inhaltlichen Anliegens und hat zugleich die apostolische Vollmacht, den empfangenen Geist weiterzugeben, wie Petrus den Getauften die Hände auflegt. So hat die Urkirche geglaubt und gehandelt. Diese Vorstellung wäre aber sinnlos, wenn sie auf die Apostel beschränkt würde. Wir haben so nicht fünf weitere Sakramente, sondern ein drittes, welches sich in verschiedenen Richtungen entfaltet, welches aber überall den zuordnenden, ordinatorischen Charakter solchen Handelns besonders deutlich macht.
In diesem „sacrmanetum spiritus sancti” ist ein epikletisches Element noch stärker ausgeprägt, in höherem Maße konstitutiv als bei den anderen Sakramenten. Zugleich ist verständlich, daß die abendländische Kirche insgesamt, welcher der Gedanke der Epiklese relativ fremd ist, den spezifischen Charakter der Handlungen im Bereich des „sacramentum spiritus sancti” von Taufe und Abendmahl her mißverstanden hat. Damit ist auch die Frage der Stiftung erleichtert: es ist sowohl einerseits die Schlüsselgewalt eine bestimmte Geistvollmacht wie umgekehrt die Geistausgießung zu Pfingsten eine Vollmacht zur Weitergabe, zur Unterscheidung
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und Zuordnung ganz allgemein in allen Bezügen, die hier in Betracht kommen. Sogar die Entstehung der sakramentalen Handlungen, welche als gegenstandsbezogene aus dem personalen Sakramentsbegriff ausgeschieden worden sind, wird von daher erst eigentlich verständlich: sie entstammen nicht aus einem kausativen Heiligungsbegriff, sondern aus der Vorstellung, daß die Dynamik des Pneumas alle Dinge sich zuordnet und durchdringt, welche ihm zu dienen bestimmt werden. In dem Maße, in dem die (Selbst-)Gewißheit der Vernunft, des Glaubens, die Erwählung in den Vordergrund tritt, und auf der anderen Seite die Objektivierung des Heilsgeschehens auch im sakramentalen Raum, desto mehr tritt die epikletische Geistmitteilung zurück, verliert an Interesse oder wird umgedeutet. Gerade die Beschwörung des Geistes, die zunehmende Berufung auf ihn und schließlich auf die „innere Erleuchtung” 23 zeigt an, daß der Glaube an das Pneuma die Unbefangenheit verloren hat, mit der er in der frühen Kirche lebte — und zur Weitergabe drängte.
Der von der Scholastik begründete abendländische Personalismus stand unter einem individualistischen Vorzeichen. Die römische Kirche hat von Anfang an versucht, in einer Mischung von Gewaltsamkeit, Sorge und Großartigkeit diese Tendenz einzubinden. Es ist ihr wegen des darin liegenden Selbstwiderspruchs in der Tiefe und auf die Dauer nicht gelungen. Die Reformation hat diesen, schon im lateranensischen Katholizismus angelegten Zug zur individuellen Heilsaneignung und Heilsvergewisserung mächtig verstärkt und zuendegeführt. Liturgie, Sakramentslehre und Sakramentsrecht weisen es aus. Bürgerliches Lebensgefühl und Rechtsdenken, humanistisch-philologische Wissenschaft führten ungebrochen in die gleiche Richtung. Das Ergebnis droht in der modernen Gesellschaft der Interdependenz und Sozialität anachronistisch zu werden oder ist es schon. Die Kirche muß freilich hier den Herrn, den Heiligen Geist anrufen, der da lebendig macht, sie kann sich nicht darauf verlassen, daß das Selbstverständnis der Moderne sie über die Krise in eine neue Form hinüberträgt, so wie im 13. und 16. Jahrhundert eben auch solche Kräfte sie vorwärtsgetrieben haben — sie muß dabei selbst hart arbeiten.
Das Ergebnis dieser Gesamtentwicklung der abendländischen Kirche kann freilich nicht einfach verleugnet, abgeschafft oder romantisch übersprungen werden. Aber die ausgefallene oder wesentlich verkürzte kommunikatorische Seite des Evangeliums muß zu ihrem vollen Rechte kommen und zwar in unserer heutigen geistigen Situation angemessenen Begriffsmitteln. Das Spitzenproblem ist noch immer und von Anbeginn Sakrament und Sakramentsrecht. Deswegen brauchen wir eine Neuformulierung, die Sakrament und Sakramensrecht in angemessenen Begriffen verstehen hilft. Wir müssen damit zugleich von dem unfruchtbaren Streit über die modi der Präsenz und der Apperzeption
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wegkommen.24 Das augustinische Erbe, das in allen drei abendländischen Konfessionen wirksam geworden ist, war ungeheuer fruchtbar — und hat doch kein glückliches Ergebnis gezeitigt, wie v.d. Leeuw sehr wohl erkannt hat.
Die Rechtswissenschaft ist eine Wissenschaft vom wirksames Handeln zwischen Personen — durch das Wort und nie ohne Wort. Sie kann nie im Begriff oder der bloßen Satzung aufgehen — sie bezieht sich immer auf konkrete Beziehungen, drückt sie aus und gestaltet sie zugleich. Mit den Mitteln ihrer Dogmatik wird hier versucht, der kirchlichen Dogmatik zu dienen, ihr aus einer sozialgeschichtlichen Bedingtheit herauszuhelfen, die ihr jedenfalls mehr hinderlich als hilfreich ist.
Diese Neuinterpretation der gesamten Handlungen, welche in der Kirche als sakramentale betrachtet worden sind, nach ihrem Zusammenhang erleichtert nun auch die kirchenrechtliche Betrachtung erheblich. Es handelt sich überall nicht um „Objekte” des kirchlichen Handelns, deren Verwaltung dem Subjekt Kirche aufgetragen ist, sondern Zuordnungsvorgänge, die nach ihrem spezifischen Gehalt zu verstehen sind.
Wir sind daher veranlaßt, einen Sakramentsbegriff zu bilden, welcher das in der Bibel bezeugte sakramentale Handeln in einer liturgisch, anthropologisch und juristisch zugleich zulänglichen Weise interpretiert. Als solcher wäre vorzuschlagen:
Sakrament ist eine der Kirche Jesu Christi übertragene verbale und reale, sein Heilshandeln und seine Zukunft dankend und bittend vergegenwärtigende (repräsentierende) Handlung, welche intendiert, einen Menschen zu einem Gliedmaß Christi zu verordnen, und welcher für den Glauben die Verheißung der Erfüllung beigegeben ist.
Zur Erläuterung der einzelnen Begriffsmerkmale:
1. Mit dem Wort „übertragen” ist versucht, den gemeinsamen Bedeutungsinhalt von Berufung und Vollmacht zusammenzufassen, für den die deutsche Sprache kein präzises Wort darbietet.
2. „verbale und reale Handlung” nimmt Rücksicht darauf, daß es kein sakramentales Handeln ohne Wort gibt, und daß dieses Handeln ein Moment der Verkündigung enthält, schließt aber zugleich die Reduktion auf ein nur verbales Handeln aus, welche mit dem Verzicht auf die sakramentale Dimension gleichbedeutend ist.
3. Wenn nur von einer Handlung geredet wird, so wird damit die Einheit des Handlungsvorgangs gemeint, die differente Akte einschließt.
4. Die Verknüpfung von Handlung und Intention der Gliedschaft drückt den institutionellen und Vorgangscharakter aus.
5. Der Begriff der Verordnung will den inkorporierenden Charakter festhalten und damit von allen sakrifiziellen Handlungen abheben. Taufe, Abendmahl und Ordination kämen dabei als Akte der Verordnung in Betracht, als Wiederverordnung die Absolution. Die Akte konfirmatorischen
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Typus (Benedictionen) bleiben im Blick auf diese Unterscheidung
doppeldeutig.
Sofern dieses Verständnis
festgehalten wird, bewährt sich hier der reformatorische Satz:
„de numero sacramentorum non esse disputandum”. Er ist von der
Sinneinheit sakramentaler Handlungen im Bereich des „sacramentum
spiritus sancti” her zu verstehen.25
Als diese Arbeit im wesentlichen schon vorlag, kam mir erst die lang erwartete deutsche Übersetzung der Sakramentstheologie von Gerardus van der Leeuw in die Hände.26
Dieses Werk van der Leeuws, dessen „Phänomenologie der Religion”
ich schon viel verdankte, ist mir über eine große Zahl einzelner
Gedanken und Hinweise hinaus im Ansatz und in der Fragestellung
wichtig, und ebne darin eine Rechtfertigung des eigenen Versuchs.
Er zieht in großer Freiheit die Entwicklung der
Sakramentstheologie im ganzen in Erwägung und stellt zweierlei
fest:
1. „Glaube und geschaffene
Wirklichkeit lassen sich nicht voneinander lösen. Katholiken und
Protestanten haben beide darin gesündigt, sie sind — mit Luther
gesprochen — beide aus dem Schiff gefallen, die einen vorn, die
anderen hinten, aber beide sind naß geworden.” (210)
2. „Der reformatorische
Streit über das Abendmahl mit all seinen Schattierungen (Luther,
Calvin, Zwingli, Bullinger, Melanchthon) ist noch nicht
ausgefochten, sondern in starrer Orthodoxie und Pietismus
versandet.” (193)
Das heißt auch für ihn nicht, daß die kirchentrennenden Gründe fehlen, aber daß gerade sie zulänglich weder erkannt noch formuliert sind. Die gewisse Überzeugung, bestimmte Anschauungen verneinen zu müssen, wie etwa die Transsubstantiation oder den hierarchischen ordo bedeutet noch keineswegs eine zulängliche eigene Anschauung. Es rechtfertigt diese Erkenntnis den auch von ihm selbst unternommenen Versuch einer neuen Formulierung.
Van der Leeuw, zeitlebens ein führendes Glied der Reformierten Kirche der Niederlande, setzt sich auch mit Calvin, dem Calvinismus und den konkreten Ordnungen seiner Kirche auseinander. Er tut das in sorgsam abwägender und differenzierter Weise. Dies zeigt zunächst, daß es sich nicht etwa einfach um gegebene Alternativen handelt, daß man, wenn man Calvin nicht folgt, nun einfach Luther folgen müsse usf. Er sprengt von der Sache her die geschichtlich-konfessionellen Typologien.
Er übt aber, in Übereinstimmung mit einem anderen niederländisch-reformierten Theologen, Dankbaar (Anm. 102), auch eine eingreifende Kritik an allen dreien, an Calvin, Calvinismus und gegenwärtiger reformierter Kirche. Die Loyalität dieser Kritik eines Mannes, der der Voreingenommenheit nicht verdächtig ist, ist mir wichtig, weil die unvermeidliche Auseinandersetzung nicht zum pauschalen Urteil werden
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darf. Was ihn hindert, schärfer zu urteilen, ist nicht Irenismus, auch nicht allein abwägende Gerechtigkeit, sondern offenbar die Erfahrung der lebendigen Gemeinschaft der Kirche, in der er selbst lebt. Aber er sagt doch mit großer Entschiedenheit, in welchem Maße hier das Sakrament durch Rationalismus und Spiritualismus überdeckt und entwertet ist. Dem Außenstehenden begegnen freilich diese Kräfte gerade als die stärksten in aggressiver Form. Sie verbinden sich gern und leicht mit Gesinnungsgenossen, denen das große und bewährte Erbe des Calvinismus völlig abgeht. Die Flanke nach dieser Seite scheint hier immer offen, nach der entgegengesetzten immer scharf umrissen.
Rein theologisch gesehen läßt seine und Dankbaars Kritik freilich wenig übrig: Calvins Sakramentsbegriff ist außerordentlich kompliziert (68), seine theoretische Konstruktion sehr schwach (69), sie entbehrt einer logischen Struktur (70).
„Er bewegt sich mehrmals am Rande des Rationalismus und überschreitet die Grenze des Spiritualismus. Aber er zeugt auch von einem starken Begreifen der realen Gegenwart Christi, des Mysteriums und der Wirkung de Sakramente” (68).
Van der Leeuw lehnt die Ableitung des Sakraments aus dem pädagogischen Moment der Stärkung unserer Glaubensschwäche durch ein äußeres Zeichen mit Recht ebenso ab wie das neuplatonische Ideal klarer Geistigkeit des Wortverständnisses und der Gottesgemeinschaft (69). Er kann sagen „nirgends erkennt Calvin, daß Gott im Sakrament die ganze Schöpfung ehrt” (ebda) und findet dann doch das schöne Wort:
„Etwas wird durch Gott inscriptum und erhält dadurch eine nova forma. Daraufhin fangen (die Dinge) an zu sein, was sie vorher nicht waren. Die natürlichen Gegenstände sind durch Gott gezeichnet, sie sind in hanc significationem a Deo signatae”.
Er findet, daß ein allzu weiter Zeichenbegriff (Regenbogen, Gideons Fell usw.) die menschliche Handlung des Ritus aus dem Blick setzt. Er sieht ihn gegenüber Luther als Nominalist, gegenüber Zwingli und Bullinger als Realist, also in einem Gefälle, nicht in einer starken Position, teils biblisch, teils modern denkend (70). Der von Augustin ausgehende Zeichen- und Siegelgedanke geht soweit, daß für das Sakrament eigentlich nicht viel übrigbleibt (69).
Fragwürdig ist ihm auch das historische Argument, daß Gott die Geisteskräfte nicht mehr gebe, mit denen im Handeln der biblischen Gemeinde gerechnet, von denen berichtet wird. Diese Skepsis ist uns schon begegnet. Sie wird durch die exegetische Umdeutung eben dieser Tatbestände27 ohnehin unglaubwürdig. Calvin weiß, erfährt, lebt mehr, als seine formulierte Theologie aussagt. v.d. Leeuws Beurteilung berührt sich in vielem mit der schon zitierten Barths zum Jubiläum.28
Dieser widersprüchliche und auf alle Fälle unbefriedigende Tatbestand ist für das Kirchenrecht wichtig, weil er sich in der Beurteilung
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und Gestaltung alles konkreten Handelns der Kirche in vielfältiger Weise auswirkt. Die Rechtsvorstellungen, kirchenrechtliche Konzeptionen und Tendenzen, die so entstehen, entsprechen jenem bilde, lassen es eher noch schärfer hervortreten.
v.d. Leeuw findet in Liturgien, Katechismen und Kirchenordnungen der niederländischen und schottischen Kirche vielerorts ein volleres Verständnis der Dinge aufbewahrt und ausgedrückt.
Er gibt in vielem Luther mehr Recht, wie er auch die Wahrheitsmomente der katholischen Lehre aufzunehmen versucht. Aber er lutheranisiert sowenig wie er katholisiert. Da er gerechter Beurteilung so ernst nachjagt, darf er auch auf Gerechtigkeit rechnen gegenüber einer vereinfachende Einordnung, die den Versuch neuer Inangriffnahme ungelöster Fragen wieder zunichte machen würde, dies um so mehr, als im katholischen Lager von Casel über den Thomismus bis zu den calvinisierenden Anklängen Söhngens sich vielerlei Formen des Verständnisses vorfinden.
Van der Leeuws Werk ist daher wichtig, nicht so sehr wegen der Bestätigung oder Ablehnung bestimmter Auffassungen, sondern als ein ernster Versuch, eine tatsächlich ungelöste Frage, an der sich doch die Kirchen geschichtlich getrennt haben, neu anzugreifen. Wir dürfen heut gewiß sein, daß die bisherige Begrifflichkeit hier nicht ausreicht, und diese Ungewißheit ist unerträglich.
Van der Leeuw versucht eine eigene Definition des Sakramentes: (194)
„Sakramente sind elementare Lebensvorgänge, von Gott hervorgerufen und bestimmt, Träger zu sein der wahrhaftigen Gegenwart Christi in seinem ganzen Erlösungswerk und seiner Ausstrahlung in das Leben der Kirche.”
1. In dem Begriff der elementaren Lebensvorgänge kommt seine
phänomenologische Grundlage zum Ausdruck. Er hat sie zuvor gegen
alle natürliche Theologie, aber auch gegen Tillich in den
entschiedenen Entgegensetzung von Kreatur und Natur gedeckt. Der
Begriff erfährt seine Begründung und Begrenzung durch den
christologischen Bezug. Aber er ist so weit genug, um die
Schöpfung ohne falsche Isolierung von der Heilgsgeschichte
aufzunehmen.
2. Der gleiche Begriff
bedeutet die Abweisung einer biblizistisch-nominalistischen
Begrenzung der Sakramente auf exegetisch schwierige
Stiftungsakte.
3. „Träger der wahrhaftigen
Gegenwart” schließt den Zeichengedanken recht verstanden mit ein,
erweitert und überschreitet ihn aber in der notwendigen Weise in
Richtung auf den hier nicht ausdrücklich genannten, anderwärts
entwickelten Begriff der Repräsentation. Dessen Umschreibung ist als klassisch
zu bezeichnen (S. 204):
a) Er bedeutet keine
Identität, wohl aber Wesenseinheit im Sinne des
Mysteriums.
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b) Er setzt keine Wiederholung voraus.
c) Er macht die Theorie der
Transsubstantiation überflüssig und setzt sie außer
Kraft.
d) Er ermöglicht die
„Applikation”, die Anwendung auf unsere Existenz und gibt der
Gleichzeitigkeit die richtige Form.
e) Er rechnet mit ganzer
Tatsächlichkeit des Heilsgeschehens, von Inkarantion zur
Auferstehung und Himmelfahrt.
4. Der Gedanke des Vorgangs
überwindet die Bindung an einzelne kausative Akte, die Struktur
der Akthaftigkeit überhaupt.
5. Der Gedanke der
Elementarität dieser Lebensvorgänge bedeutet zugleich deren
Existenzialität.
6. Weniger deutlich ist der
geschichtlich-heilsgeschichtliche und der kommunikatorische
Charakter am Ende der Formulierung ausgeprägt. Die Frage nach der
Geschichtlichkeit des sakramentalen Handelns ist bei ihm nicht so
stark wie die nach seiner Wirklichkeit. Und doch brauchte die
Sakramentstheologie diese Frage am allerwenigsten zu scheuen.
Sakramentales Handeln ist im eminentesten Sinne geschichtliches.
Das Verständnis der Geschichte als Vorgang bedingt die Revision
der gleichen Vorstellungen, welche er bekämpft.
Ich benutze gern seine Definition, um den Rechtsbegriff des Sakraments nachzuprüfen. Ich sehe beide als verwandt und vereinbar an. In seiner Begründung wird dieselbe Problematik deutlich, die sich auch hier ergeben hat und in der Institutionentheorie29 noch deutlicher hervortreten wird: die Frage nach der Stiftung, nach der Aussonderung durch ihre Existenzialität geeigneter Bezüge.
Eine echte Frage stellt sich nur dadurch, daß van der Leeuw, wie mir scheint, nicht ganz folgerichtig, auch die Wortverkündigung in den Sakramentsbegriff zieht. Verweist er anderwärts die bei Calvin angeführten handlungslosen göttlichen Zeichen aus dem Begriff, so müßte er ebenso die zeichenlosen Handlungen ausscheiden. Um die verhängnisvollen Folgen der traditionellen Formel von „Wort und Sakrament” zu vermeiden, kommt er zur völligen Sakramentalität allen kirchlichen Handelns. Ich halte das für eine Überziehung. Die falschen Alternativen lassen sich mit modernen Begriffsmitteln durchaus vermeiden, sobald erst einmal das Vorurteil und die Tendenz zur Reduktion der Sakramente überwunden ist. Letztlich sind diese, und nicht die sachlichen Schwierigkeiten hinderlich.
Bei alledem wird deutlich, daß die Weite seines Begriffes auch eine gewisse Unschärfe mit sich bringt, die durch nähere Interpretation beseitigt werden muß.
Van der Leeuw hat unbefangen, ohne sich sachlich daran zu binden, die hochmittelalterliche Siebenzahl der Sakramente zur Gliederung des Stoffes benutzt, um alle als Sakramente in Anspruch genommenen Vorgänge kritisch durchzugehen, und so sein Ziel einer neuen
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Begriffsbestimmung des Sakramentes zu erreichen. Da er die nominalistisch-humanistische Begründung der Sakramente in formell aufweisbaren Stiftungsakten ablehnt, muß er die numerische Begrenzung auf sieben (Konzil von Florenz), drei (Lutherische Kirche), zwei (Calvinismus) ablehnen. Die griechische Kirche, die lutherischen Bekenntnisschriften, die Oekumene, einzelne moderne Autoren halten die formelle und auch die positivistische Begrenzung für unzulänglich (S. 197 f. mit Nachweisungen). Er betont den Gesamtzusammenhang allen sakramentalen Handelns und seinen gottesdienstlichen Ort. Bei alledem ist er aber doch genötigt, eine positive Konzeption zu finden, die jeder einzelnen Handlung ihren Ort zuweist — die bloße Aufhebung einer formellen Begrenzung reicht nicht aus. Diese Konzeption aber macht die Grenze seiner Anschauung deutlich. Als elementare Lebensvorgänge bleiben ihm übrig: Mahlzeit (Abendmahl), Reinigung (Taufe), Wort (Predigt), Geschlechtsgemeinschaft (Ehe). Er ist dann genötigt, alle übrigen Handlungen der Kirche an einen dieser Vorgänge anzuschließen, oder in ein Vorfeld der Sakramentalien zu verweisen, während er andererseits andere Lebensverrichtungen als Sakramentssubstrat nennt, von der Erziehung, Sterben, Tanz, Prozession, Kampf hin zu Recht und Kunst, und damit den Bereich des opus proprium der Kirche überschreitet und verläßt.
Lassen wir diese Erweiterung des Blicks auf sich beruhen, so ist entscheidend die Unterscheidung von Sakramenten und Sakramentalien. Hier steht nun aber doch v.d. Leeuw wesentlich in einer von ihm selbst nicht kritisch erwogenen Tradition. Denn der umfassende Sakramentsbegriff der alten Kirche hat ja, wie gezeigt, zunächst in der lateinischen Kirche des Mittelalters eine Aufspaltung in Sakramente und Sakramentalien durchgemacht, wobei letztlich die Personenbezogenheit das — sehr bedeutende — Unterscheidungsmerkmal abgab. In einer zweiten Begriffsspaltung hat dann die Reformation die gestifteten Hauptsakramente in nicht ganz scharfer Terminologie von anderen kirchlichen Handlungen abgegrenzt, diese aber auch nicht begrifflich zusammengefaßt. Van der Leeuw ersetzt nun die gestifteten Sakramente durch die sakramentsfähigen, elementaren Lebensvorgänge von christologischer Bezogenheit, und faßt andererseits die sonstigen Handlungen, die in der reformatorischen Theologie ohne zulängliche Klärung herumvagieren, unter dem traditionellen begriff der Sakramentalien zusammen. Die Einzelabgrenzung ist hier im Augenblick weniger wichtig als der Grundsatz selbst. Dieser bedeutet aber doch nur, daß der sakramentale Charakter sehr vielfältigen kirchlichen Handelns wieder in den Blick gerückt wird, er wertet dieses Handeln auf und stellt es in den Zusammenhang der überhaupt unter Einschluß der Wortverkündigung strikt sakramental verstandenen Kirche. Aber er kann sich doch nur auf die allgemeine sachliche und terminologische Unklarheit berufen
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und sie überdecken. Denn inhaltlich bedeutet dieser Sammelbegriff gar nichts, vollends nachdem die präzise Abgrenzung der personbezogenen Handlungen aufgegeben ist. Die mit dem abendländischen Personalismus gestellte Frage drängt aber auf Beantwortung, die ich im weiteren Rahmen des Institutionsbegriffs mit der These vom sacramentum spiritus sancti wenigstens versucht habe.
Daß die augustinische Begrifflichkeit einem sachgemäßen Verständnis des Sakraments schwer übersteigbare Hindernisse entgegensetzt, erkennt auch Theodor Süß.30
„Sie (die Reformation) unterschied (nach Augustin) also Wort und Element, oder nach einer anderen Formel Sache und Zeichen. So ordnete sie sich … der über tausendjährigen Tradition der Kirche ein. Das erklärt dann wohl auch der Mißerfolg der reformatorischen Sakramentslehre. Eine von vornherein falsch gestellte Frage läßt sich nicht richtig lösen. Genau wie in der gesamten kirchlichen Tradition werden von der Reformation die … Elemente … in einer besonderen Weise betont. Diese … sind geradezu selber das Sakrament. So definiert Luther im kleinen Katechismus die Sakramente ausgehend von ihren materiellen Bestandteilen. Gewiß weiß man in der Reformation auch, daß die Sakramente Handlungen, Riten sind: aber das führt nur dazu, den Ritus in den Dienst des Elementes zu stellen. Das Element ist hier nicht ein für die rituelle Handlung unentbehrlicher, aber nicht weiter betonter Bestandteil des Sakraments. Es ist vielmehr die Hauptsache, und die rituelle Handlung hat den Zweck, das Element an den Menschen heranzubringen, es ihm, wie man so sagte, zu applizieren … Versteht man dagegen … das Sakrament als eine Handlung, so rückt der (von Süß vorher formulierte) Satz, daß es nichts anders als Wort ist, in greifbare Nähe. Denn eine Handlung kann so gut wie das Wort Ausdrucksmittel für das innere Leben des Geistes sein, für Gedanken, Gefühl oder Willen und dadurch unter einen erweiterten Begriff des Wortes fallen.”
Irrtum und Wahrheit sind hier seltsam gemischt. Süß macht deutlich, daß die Reformation durch das Verbleiben in der augustinischen Tradition das verstärkt hat, was sie bekämpfte. Je mehr sie den Ritus beiseitestellte, die Handlung als adiaphorische Ceremonie entwertete, desto mehr vergegenständlichte sich in der Fragestellung das Sakrament. Man wurde dann gezwungen, innerhalb dieses falschen Ansatzes zwischen Realismus und Spiritualismus hin und her zu pendeln. Daß man sich von der Transsubstantiation befreite, änderte nichts daran, daß das Thema gegenständlich gefaßt wurde. Aber freilich: der Ritus (und die Elemente der kreatürlichen Welt) als „Ausdruckmittel für das innere Leben” usw. ist religionsgeschichtlich unmöglich. Ja, der Wortbegriff der Reformation selbst, der die Mächtigkeit Gottes meint, wird hierdurch preisgegeben.
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Aber wichtiger ist die Frage: warum verengt denn die Reformation ihr Sakramentsverständnis, indem sie es noch stärker als die schon isolierte römische Konsekration aus dem Handlungszusammenhang herauslöst? Der Augustinismus, der sich auf anderen Gebieten, etwa in der Ordinationslehre, keineswegs ebenso stark durchgesetzt hat, ist doch nicht einfach die Kirche, und die Kirchengeschichte keine theologische Ideengeschichte. Fortschreitend ist vielmehr, mit oder ohne Augustin, die Einsicht geschwunden, daß Handlung, Handlungsinhalt und Versammlung zu beiden ganz eng bis zur Synonymität zusammenhängen. Das „Ding” ist die Versammlung, dadurch auch der Anlaß und Gegenstand der Versammlung, in der entschieden und geordnet wird. Im „res”- und „Ding”-begriff sind die drei Dinge genetisch nicht zu scheiden. Augustin hat die Begriffsmittel hergegeben, die bei diesem Bedeutungsschwund in die Lücke treten konnten. In diesem Bedeutungsschwund stellt die Scholastik einen Abschnitt, und die Reformation einen folgerichtigen weiteren dar. Innerhalb dieser Anschauung ist es gleich hoffnungslos, mehr den Realismus oder mehr den dynamischen und spiritualen Charakter des Sakramentes zu betonen. Denn Handelnde wie Teilnehmer sind und bleiben so von dem Inhalt und Gegenstand ihres Handelns und Empfangens tief getrennt. Der Handlungsvorgang, durch den der Mensch kommunikatorisch jemand jemandes wird, muß erst wieder als instituierender Prozeß zur Gemeinschaft und innerhalb der Gemeinschaft mit Begriffsmitteln geklärt und verstanden werden, zu deren Gewinnung die Rechtswissenschaft und Rechtsgeschichte Dienste leisten kann.
Eine umgekehrte Schwierigkeit auf der gleichen Grundlage tritt bei Karl Rahner31 auf, welcher sagt:
„Die Theorie der ,intentionalen’ Kausalität der Sakramente aber macht entweder da halt, wo die Frage noch einmal beginnen müßte, nämlich, wie nun denn der dem Sakramentenempfänger verliehene Rechtstitel die Gnade selbst bewirke, oder sie fällt in die Theorie der ,moralischen’ Kausalität zurück, die sie doch vermeiden wollte, wenn sie nämlich den Rechtstitel auf die Gnade als Gott ,bewegend’ denkt.”
Ich beschränke mir hier auf die markanten Formulierungen, deren juristischer Gehalt sich der juristischen Kritik darbietet.
Die Gnade, von der hier die Rede ist, ist sicherlich kein Ding im Sinne der körperlichen Sache, auch nicht durch die Zuordnung und Beziehung auf die sakramentalen Elemente. Aber sie ist doch der gedachte Gegenstand eines Handelns, Gottes, des Menschen, beider. Diese Vorstellung eines Rechtstitels aber ist, wenn wir alle sonstigen sich aufdrängenden theologischen Erwägungen beiseitelassen, nur auf Grund eines Rechtsverhältnisses denkbar, dessen Erfüllung in einem Tun außerhalb dieses Verhältnisses selber liegt. Im Sakrament aber fällt die Kommunikation zwischen Gott und Mensch und jeder denkbar,
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explizierbare, erfahrbare Inhalt grundsätzlich in eins. Das kann rechtlich lediglich in der Form des Personalkontraktes ausgedrückt werden, durch den man in dem beschriebenen und wiederholt angezogenen Sinne „jemand jemandes” wird. Gnade ist Gemeinschaft mit Gott — nichts weiter. Die Anschauung Rahners dagegen gehört dem verkehrsrechtlichen Kontraktsrecht an, welches auf Grund irgendeiner rechtlichen causa ein außerhalb dieser liegendes Rechtsgut versprochen wird. Die seit der lateinischen Patristik32 eindringende Vorstellung vom schuldrechtlichen debitum kraft eines pactum supra partes verderbt nicht nur die Tauflehre, sondern auch die Sakramentstheologie überhaupt. Die Gemeinschaftskategorie findet innerhalb der praktisch unentbehrlichen Rechtsbegriff aus den geschilderten geschichtlichen Gründen keinen Platz mehr. So geht auch Rahner nicht zufällig an einem Verständnis vorbei, welches ihn jedenfalls der meisten hier formulierten Schwierigkeiten, wenn auch vielleicht nicht aller, überheben würde.