2. Sakrament und Rechtsgeschichte

Bekanntlich sind die Sakramente in besonders starkem Maße Ansatzpunkt und Ausgangsort für kirchenrechtliche Entwicklungen gewesen. Ihre konkrete Realität nötigt zu Entscheidungen über Gewährung und Versagung, ihr Gemeinschaftscharakter schafft Verbände mit einer Fülle von rechtlichen Lebensformen. In Richtung auf den einzelnen wie auf die Kirchengemeinschaft bringt also der sakramentale Vollzug ipso facto einen großen Kreis von Rechtsproblemen mit sich. Daß daneben andere Probleme des Kirchenrechts bestehen und entstehen, braucht nicht besonders betont zu werden.

Das ursprüngliche Problem, welches sich dem Rechtsdenken stellt, ist die Frage nach der Wirksamkeit rechtlicher Handlungen. Was macht etwa die Übergabe einer Sache, die als solche vieldeutig und rechtlich indifferent ist, zu einer wirksamen Übertragung von Rechten? Was schafft die Verbindlichkeit einer mündlichen Abrede? Die Beantwortung dieser rechtlichen Urfrage ist begreiflicherweise von dem Wirklichkeitsverständnis abhängig, welches für die Beteiligten gilt. Dieses liegt vor allen konkreten Rechtsformen. Die Vorstellung, daß man jene Rechtswirkung nur zu wollen und dieses Wollen zu erklären habe, ist eine mögliche Antwort auf jene Frage. Aber sie ist nichts weniger als selbstverständlich. Sie setzt ihrerseits ein bestimmtes Wirklichkeitsverständnis voraus. Sie ist eine historische Lösung, keine kategoriale Gegebenheit im Rahmen des Rechtsbegriffes. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß von der Rechtswirksamkeit freier Verpflichtungsakte in bestimmten bedeutenden Rechtssystemen nur ausnahmsweise die Rede sein kann.13

Die Sakramentstheologie und folgeweise das Sakramentsrecht befinden sich nun in der dem Rechtsdenken analogen Lage insofern, als sie den theologischen Sinn eines bestimmten Realhandelns zu ermitteln hat (ich nenne diesen Gesamtbereich trotz der Problematik des nicht unbestrittenen Begriffs der Kürze halber den sakramentalen). Die Blickrichtung ist freilich eine entgegengesetzte: die Juristen suchen den spezifischen Grund der Rechtswirksamkeit und können den Ausdruck dafür verändern. Die Theologen sind an die vorgegebenen Erscheinungsform des gestifteten Sakraments gebunden. Die einen haben den Sinn im Auge und suchen die Form, die anderen haben das unverzichtbare Erscheinungsbild vor Augen und interpretieren den Sinn. Es ist begreiflich, daß beide sich auf diesem Felde gleichsam in der Mitte begegnen,

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auch wenn sie sich voneinander in keiner Weise abhängig machen. Um so stärker stehen sie unbewußt in der Gemeinsamkeit ihrer Zeit und der Geistesgeschichte. Diese Situation wäre längst ins Bewußtsein getreten, wenn nicht beide das Wesen des Rechtes in Sollensstrukturen sähen und damit die Wirklichkeitsfrage als eine außerrechtliche neutralisierten. So treffen sie sich freilich nicht. Es bliebe dann rechtlich nur die einzige Frage, unter welchen Voraussetzungen das sakramentale Handeln etwa zu sollen sei. Tatsächlich bestehen jedoch beide in der gleichen Wirklichkeitsproblematik. Mehr noch: ihre beiderseitigen Lösungen entwickeln sich kraft dieser gemeinsamen Lage wesentlich analogisch, freilich unter den Bedingungen des verschiedenen Standorts — und vor allem ohne Bewußtsein dieser Analogie in der ehrlich-unschuldigen Annahme reiner Sachlichkeit ihres Faches.

Die Morphologie der Rechtsgeschichte seit etwa dem 12. und 13. Jahrhundert und die Sakramentstheologie seit der gleichen Zeit ist gemeinsam gekennzeichnet durch die Auflösung der Sinneinheit der bereits früher näher erläuterten mehraktigen Rechtsvorgänge, die Umdeutung der verbleibenden Teilerscheinungen auf die Grundlage eines sich wandelnden Wirklichkeitsverständnisses und Wirklichkeitsverhältnisses. Die Einzelformen bleiben weitgehend erhalten. Ihnen wird nunmehr außerhalb des Zusammenhanges ein durch die Isolierung bedingter veränderter Sinn unterlegt. Es werden das Objekt des Handelns, oder der Status, oder der intentionale Akt, oder der Glaube, oder die Annahme jeweils für sich allein so sehr akzentuiert, daß ihre Bedeutung sich wandelt und der Zusammenhang vollends zerstört wird.

Die Auflösung der Einheit von Vorgang und Zustand, von bestimmender Ausgrenzung und realer Einordnung zeigt sich auf den verschiedensten Gebieten:

1. in der scholastischen Theologie und Kirchenrechtslehre:

a) in der Sakramentenlehre im allgemeinen entsteht subjektiv die Lehre vom Charakter, der ein wirksames Handeln auch als unerlaubtes ermöglicht; objektiv die Lehre vom opus operatum, wodurch der absolute orde bedingt wird, die auf diese Entwicklung direkt bezügliche Verwandlung der relativen Ordination in die absolute (d.h. die Ablösung der Weihe von einer bestimmten Zuordnung zu einem gemeindlichen Dienst, und die Verselbständigung der Weihetitel).14

b) In der Beseitigung des Papstwahlrechts der römischen Gemeinde, die mit der Papstwahlordnung Nicolaus II. 1059 vergeblich versucht, aber erst auf dem III. Laterankonzil (1179) durchgesetzt wurde. Damit trat das Kardinalskollegium als besonders verfaßter, von der römischen Gemeinde abgelöster, privilegierter und abgeschlossener Körper in Wirksamkeit. Offenbar war der von Jungmann geschilderte Ablösungsvorgang im 11. Jahrhundert noch nicht weit genug gediehen, um eine solche eingreifende Verfassungsänderung zu tragen, war

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dann aber Ende des 12. zur Reife gekommen. Im Hintergrund steht im übrigen das im Jahre 1054 endgültig gewordene große Schisma mit der Ostkirche, in welcher analoge Tendenzen durchaus fehlten, und deren Verdammung der lateinische Kirche den Weg zu ihrer Sonderentwicklung freigab.

c) In der Spaltung des potestas ecclesiastica in zwei nicht mehr voneinander abhängige, sondern selbständige potestates: die potestas jurisdictionis und die potestas ordinis. Wird hier in frühnominalistischer Thetik wenigstens der genuine Dualismus noch aufbewahrt, so kann später zeitweilig eine sinnwidrige Dreiteilung durch Hinzufügung einer besonderen potestas magisterii erfolgen.

d) In dieselbe Zeit fällt nicht nur die förmliche Dogmatisierung der Ehe als numerisch erfaßtes Einzelsakrament,15 sondern vor allem die Lehre von ihrer Begründung ausschließlich durch den consensus nupturientium. Durch einen bloßen verbalen Akt spenden sich nun bis heute die katholischen Brautleute das Sakrament der Ehe, und erst nachträglich hat kraft kirchlichen Rechts das Tridentinum dem einen kirchlichen Öffentlichkeitszwang beigefügt.16 Der geschichtlich-institutionelle Vorgang des Eheschlusses als gestreckter Rechtsakt aussondernden Verlöbnisses und zuordnender Trauung wird in ein opus verbale zusammengezogen, zu dem nun der Mensch qualifiziert erscheint.
Dieses neue Subjektverständnis: der Mensch als zu bestimmten Dingen an sich qualifiziert — abgesehen von der nur nachfolgenden Geschichtlichkeit der Vorgänge — ist das hier Entscheidende und das Gemeinsame, welches allen diesen Wandlungen des Kirchenrechts zugrundeliegt.

Gerade die gegensätzlichen Lösungen sind bemerkenswert. Bei den Hauptsakramenten der Taufe und des Abendmahls wie bei der Priesterweihe liegen stiftungsgemäße bzw. traditionelle Realhandlungen vor, welche von dem bedingenden Sinnzusammenhang mit Wahl, Glauben und Glaubensgemeinschaft abgelöst und auf sich selbst gestellt werden; sie werden aber jetzt isoliert und in Annäherung an kausale Vorstellungen als supranaturales Bewirken verstanden.

Umgekehrt läuft es bei der erst allmählich in den förmlichen Bereich der Sakramentstheologie hineinwachsenden Ehe. Sie besitzt bei aller Hochschätzung naturgemäß weder das gleiche dogmatische Gewicht noch ist sie mit der gleichen Tradition bestimmter Vollzugsakte im kirchlichen Raum belastet. So kann hier der nudus consensus, der Akt der Ausgrenzung mit ehedem unvollkommenen Wirkungen, das selbstmächtige Verpflichtungsgeschäft jurisdiktionellen Typus, die Selbstverurteilung ohne jedes Element des Realvollzugs zur sakramentalen Eheschließung tauglich erscheinen. Das ist erst gleichzeitig mit der Entstehung einer Wortjurisprudenz im Zeitalter bürgerlichen Rechtsdenkens möglich. Seither laufen in der abendländischen Theologie das

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Ehesakrament und die übrigen Sakramente auf verschiedenen, geradezu gegensätzlichen Bahnen: auf der einen Seite das objektive Handeln, auf der anderen Seite die subjektive Selbstverpflichtung, welches sakramentale Bedeutung beigemessen wird. Die orientalische Kirche hat diese (kurz lateranensisch zu nennende) Linie bis heute weder auf dem einen noch auf dem anderen Gebiet mitgemacht. Noch heute räumt selbst der Codex orientalis der römischen Kirche den orientalisch-unierten Kirchengemeinschaften die relative Ordination bei der Bischofskonsekration auf der einen, reale Trauungsakte des Priesters über die Assistenz beim Consens hinaus auf der anderen Seit ein. Die Zerspaltung von Wahl und Ordination, von Consensus und Trauung ist hier nicht vollzogen worden. Ein systematischer Ausgleich zwischen diesen beiden Kirchenrechtssystemen ist bemerkenswerterweise von der römischen Kirche nicht vollzogen worden.17

2. In der lutherischen Reformation:

Die scholastische Sakramentslehre bezeichnete genau die rechtsgeschichtliche Situation, in der sich das 12. und 13. Jahrhundert in der Ablösung und Auflösung des relationalen Realrechts befand. In dem so eingeleiteten geschichtlichen Gefälle bedeutet die lutherische Reformation einen weiteren Abschnitt, der seine Vorbildung im Ordensrecht der spiritualen Bettelorden erfahren hatte, welche bereits funktionale Ämter ohne ordo ausbildeten. Denn dogmatisch nicht ebenso festgelegte Nebenbildungen wie die Orden vermögen neuere Entwicklungen mit größerer Freiheit auszuprägen, als die mit Verantwortung für das Ganze und mit der Tradition belastete Großkirche. Diesen Ansatz verallgemeinerte die Reformation und bedeutete insofern einen Einschnitt.

Der in den lutherischen Bekenntnisschriften für Bereiche des kirchlichen Handelns jeder Art wie des Kirchenrechts durchgängig wiederkehrende Begriff der „Verheißung” gewinnt im Lichte dieser Erkenntnisse eine eigentümliche Bedeutung. Er kann sehr wohl, positiv interpretiert, den Versuch darstellen, die rechte Mitte zwischen präsentischer Vergegenständlichung und futurischem Zukommen zu bezeichnen, die eschatologische Präsenz auszudrücken, die diesen Vorgängen eignet. Verheißung kann aber ohne weiteres in das rein Linear-Futurische umgedeutet werden. Jede Verhältnisbestimmung, Lösung und Mißlösung dieser Fragen kann unter diesem nie falschen Worte verborgen werden. Es bietet selbst keine Grenze und Abwehr gegen die Auflösung dieser paradoxalen Koinzidenz. Wenn man es nicht von woandersher weiß, kann man es aus dem Begriff nicht entnehmen.

Geschichtlich sieht es wesentlich anders aus. Dieser lutherische Begriff der Verheißung bedeutet genau den Durchgangspunkt und Mittelbegriff, ein transitorisches Moment in Richtung auf die weitergreifende

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Spiritualisierung, die sich im Zwinglianismus und Calvinismus anschließt. Wie im 12. Jahrhundert nach Sohms Darstellung die lang vorbereitete Entwicklung plötzlich stürmisch wurde, so machten hier schon wenige Jahrzehnte, aber auch die soziologische Differenz zwischen ländlichem Norden und Osten und bürgerlichem Süden und Westen sich erheblich bemerkbar. Im Maße der Durchsetzung bürgerlicher Lebensformen setzt sich auch das entsprechende Rechtsdenken im Kirchenrecht durch.

Deshalb zeigen sich beträchtliche Unterschiede und Unsicherheiten in der Durchführung. Das oben schon zitierte Taufbüchlein Luthers hält die Mehraktigkeit in voller Differenzierung in so großer realistischer Kraft der Einzelakte durch, daß sich hieran die Opposition der calvinischen Theologie entzündete. Wieder anders ist das berühmte „est” Luthers des Marburger Religionsgespräch zu werten. Hier wird eine bestimmte Schriftstelle in einem realistischen Verständnis festgehalten, ohne daß es dabei auf den Sinnzusammenhang differenter Akte ankäme. Das biblische Stiftungswort hindert die Derogation des Realaktes. Schließlich aber finden sich auch in der Sakramentstheologie Luthers breite Passagen eines konfirmatorischen Verständnisses, welche Barth in seiner bekannten Kritik der Tauflehre benutzt hat: das Sakrament ist Bekräftigung und Versiegelung des im promissorischen Wort schon vollmächtig Gegebenen. Der Sinnzusammenhang ist verändert. An die Stelle der Handlungsfolge tritt eine Verdoppelung. Diese in der konfirmatorischen Handlung liegende Verdoppelung ist folgeweise nicht mehr als sinnvoll verständlich zu machen.

In der Taufliturgie insbes. dem Taufbüchlein Luthers ist also der differenzierte Vorgangscharakter am stärksten erhalten. Jedoch ist ganz allgemein das Verhältnis von verbalem und realem Handeln sowohl in der Beziehung von Verkündigung und Sakramenten wie innerhalb des sakramentalen Handelns unter teilweise schroffem Festhalten an der Realpräsenz ungeklärt. Ebenso ist die Verhältnisbestimmung von vocatio und ordinatio wie von kirchenregimentlicher potestas jurisdictionis und ordinis unscharf und wird durch geringes Interesse fortschreitend unklarer.

Wir haben uns an verschiedenen Stellen mit einer These von Christhard Mahrenholz auseinanderzusetzen, der eine einheitliche Konzeption Luthers hinsichtlich des Handelns der Kirche behauptet (von Mahrenholz durchgeführt für Taufe, Konfirmation, Tischgebet, Ordination, Trauung). Luther habe hier überall und überhaupt grundsätzlich in der Zitation der betreffenden biblischen Stiftungsworte und dem Vaterunser das entscheidende Handeln, den liturgischen Grundansatz gesehen, an welche Segenshandlungen — bei Festhalten an dem real-exhibitiven Charakter des Segens — nur anhangweise, nicht konstitutiv, sondern fakultativ angefügt werden können.

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Würden dergestalt nicht unterschiedliche Motive in Luthers Anschauung miteinander ringen, sondern ein Ganzes vorliegen, so würde freilich gerade dieser Typus die hier vorgetragene These und Deutung bestätigen. Der verfügende und stiftende Setzungsakt der jeweiligen verba testamenti im weiteren Sinne (nicht nur im Abendmahl) wäre dann im Gebetsakt des Glaubens zu aktualisieren und aufzunehmen. Die spezifisch kommunikatorischen Akte der konkreten Gabe jedoch geraten überall dort, wo sie nicht im strengsten Sinne angeordnet sind, in den Hintergrund, werden abgestoßen und entwertet. Das Übergewicht des Entscheidungstypus über den Gabetypus ist deutlich. Daß der Protest gegen die innere und äußere Juridifizierung der Kirche in der Konsequenz, ausgehend von der jurisdiktionellen Struktur der Rechtfertigung bis in alle einzelnen liturgischen Verrichtungen dem jurisdiktionellen Typus der Entscheidung zu noch radikalerer, ausschließlicherer Durchsetzung verhilft, entbehrt nicht der inneren Folgerichtigkeit, ist aber merkwürdigerweise kaum bemerkt worden.

3. Aus dieser Lage zieht der Calvinismus im Gefälle des bürgerlich-spiritualen Rechtsdenkens die Folgerungen:
a) Wo die Realhandlungen eindeutig biblisch bezeugt sind, werden sie nunmehr signifikatorisch umgedeutet (s.o. zur Konfirmation).
b) Die Attribute des Sakraments werden auf das Wort übertragen.18
Der scholastische Versuch, die Realität der Gegenwart des Herrn in der Kirche zu sichern, war bei aller heute im römischen Katholizismus wirksamen Leidenschaft ein Versuch mit untauglichen Mitteln, der das Gegenteil als Reaktion im Calvinismus hervorrief. Dieser hat als hervorragendstes Merkmal die Scheu vor jedem realen und exhibitiven Handeln. Der römische Katholizismus hat immer ein Bewußtsein dafür aufbewahrt, daß die lutherische Kirche auch in einer abweichenden und von ihr verworfenen Lösung in der Realpräsenz, der Consubstantiation, das Problem festhielt, um das es ihm ging, während es im Calvinismus preisgegeben wurde.

Im Zuge der gleichen Entwicklung setzt sich auch die Rechtslehre mit dem Realvollzuge auseinander. Sie wird vom Subjektbegriff und kausalen Denken her in vierfacher Weise mit ihm fertig:

1. Das Sachenrecht wird als getrenntes Rechtsgebiet eigener Struktur durchgebildet, aber seine Akte als Erfüllungsgeschäfte der schuldrechtlichen causa nachgeordnet, soweit sie nicht ausnahmsweise und absichtlich als abstrakte ausgeformt werden. Damit vollzieht sich die Umbildung des relationalen gemeinschaftsgebundenen Eigentums (richtiger „rechtliche Sachherrschaft”), des Familieneigentums, des Lehns und des Gemeindeeigentums, — Allod, Feod und Allmende — in das absolute Eigentum, als das begriffliche Voll- und Höchstrecht, wie denn selbst das Rechtswort „Eigentum” bei uns erst in den Kölner Rechtsbüchern des 13. Jahrhunderts auftritt.19

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2. Die Verpflichtungsgeschäfte und der normative Gesetzestypus breiten sich zur dominierenden Rechtsform aus und verdrängen die personal-institutionalen Rechtsvorgänge der Verleihung, Privilegierung.
3. Das Verständnis der Eigenart dieser letzteren Rechtsvorgänge wird zerstört. Die Realakte erscheinen als symbolistische Verdeutlichungen des wörtlichen rechtsgeschäftlichen Erklärungsgehaltes, als archaische Reste eines ungelenken und ritualistischen Formalismus. Verständnis und Kritik der Rechtsgeschichte verläuft in denselben Formen wie die aufgeklärte Religionsphilosophie.
4. Der Gnadenbegriff wird isoliert, bestritten oder supranatural umgedeutet.
5. In die Linie dieser rechts- und sozialgeschichtlichen Strukturwandlungen gehört auch der Übergang vom „Personenverbandsstaat” (Th. Mayer) zum „institutionellen Flächenstaat” der Neuzeit. Dasselbe gilt für die Verbandsformen des Handelsrechtes; hier verzeichnet Erich Hassinger die Genueser „Maonen” als die ersten Korporationen „deren Fortbestehen unabhängig von dem persönlichen Schicksal des einzelnen Teilhabers war”. Mit der neueren Geschichtswissenschaft verlegt Hassinger den wesentlichen Umbruch von 1500 etwa zwei Jahrhunderte zurück. Das entspricht auch der hier gewonnenen Einsicht und vertretenen Ansich. Damit aber rückt die Reformation stark in die Linie der von ihr bekämpften scholastischen Kirche.20

Das Geschichtsbild und das geschichtliche Selbstverständnis der reformatorischen Kirchen, die sich von einem radikalen und fundamentalen Bruch mit Rom her verstehen (die Gegenbildung ist der tridentinische Katholizismus, der sich an der protestantischen Opposition orientiert), ist durch die sozialgeschichtliche Forschung durchgreifend bedroht. Deren Periodisierung weist immer mehr daraufhin, in der Reformation weit eher als einen Neuansatz eine dialektische Gegenbildung innerhalb der seit dem 12./13. Jahrhundert einsetzenden Entwicklung der abendländischen Kirche zu sehen. Besonders deutlich ist dies in der Geschichte des Ordinationsrechts zu zeigen (vgl. Kap. VIII). Eben darum hat die römische Kirche nicht verstanden, die Ganzheit zu bewahren und dem Protestantismus ist nicht gelungen, bis zu ihr vorzustoßen. Aber indem das so deutlich in den Blick tritt, scheint zugleich etwas zu Ende zu sein, was diesen „rätselhaften Riß” (Barth) hervorgebracht hat — aber eben darum gibt es hier kein Zurück, sondern nur ein Vorwärts.21

Im ganzen setzt sich die Subjekt-Objekt-Spaltung durch: der Mensch steht in einsamer Verfügungsfreiheit den Objekten der äußeren Welt gegenüber, mit denen ihn keine existenziale Beziehung mehr verbindet. Die Tiefe der Korrelation von Mensch und gegenständlicher Welt ist preisgegeben und unverständlich geworden.

Es soll nicht behauptet werden, daß die Entwicklungskräfte der

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Sakramentstheologie hiermit in ihrer einzigen Linie getroffen seien. Aber ohne dieses Element der auch im Rechtsbereich auftretenden Wandlung des Wirklichkeitsverständnisses und ohne die analogische Bezüglichkeit der Formen ist sie gewiß nicht voll verständlich. Vollends kann nicht ernstlich mehr behauptet werden, daß sie allein aus einem wechselnden Schriftverständnis und einer rein innertheologischen Gedankenentwicklung erwachsen sei. In den konkreten Formen des Sakramentsrechts fließen vielmehr Theologie und Rechtsgeschichte so zusammen, daß aus dieser Formentwicklung Entscheidendes deutlich wird. Die Unzulänglichkeit einer nur theologisierenden konsekutiven Kirchenrechtstheorie wird hier besonders deutlich.

Die Gesamtrichtung der geschilderten Bewegung ist dabei eindeutig. Sie geht auf den Primat der Entscheidung des Subjekts. Weit bedeutsamer als der Streit und Gesetz und Freiheit zwischen den abendländischen Kirche ist ihre fundamentale Gemeinsamkeit in diesem Primat des jurisdiktionellen Denktypus. Wer entscheidet, Gott allein, der Papst, die Synode, der einzelne Gläubige im Geiste kraft des allgemeinen Priestertums, ist relativ bedeutungslos gegenüber die Tatsache, daß in Heteronomie und Autonomie, in aktualer Entscheidung des Gewissens und kirchlichem Normensystem, in einzelner und genereller Bestimmung, in Erwählung und Kooperation immer diese Moment der jurisdiktionellen Entscheidung durchschlägt. Alles Handeln anderen Typus wird entweder (1) als für sich bestehendes isoliert (opus operatum), (2) als konfirmatorische Bekräftigung (Verdoppelung), (3) als Zeichen (Signifikation) oder (4) als konsekutiv-kausale Folge der Heiligung in der Ethik verstanden. D.h.: es werden alle denkerischen Auswege gegangen, alle Möglichkeiten erschöpft, die es erlauben, jener Zuordnung zu entgehen. Die Kraft, mit der sich der Jurisdiktionsprimat des Papsttums im Mißverhältnis zu den ordinatorischen Elementen und unter Abstoßung der Element des Ausgleichs durchgesetzt hat, ist dafür ebenso bezeichnend wie die extremen Formen der Prädestinationslehre.

Diese auf den Entscheidungstypus hindrängende gemeinsame Entwicklung der abendländischen Theologie formalisiert auch den Gnadenbegriff. Für die säkulare Rechtswissenschaft ethisch-normativen Gepräges wird der Gnadenbegriff systematisch überflüssig. Deshalb wird er beiseitegestellt und reduziert. Die ihm analogen institutionellen Formen werden in das normative Denken hineingenommen, wie ein Strom auch heterogene Dinge mitreißt. Die Theologie hält den Gnadenbegriff begreiflicherweise fest. Aber es kommt nicht mehr zur Entfaltung seiner Struktur, so sehr sich diese anbietet.

Die systematischen Probleme dieses Bereichs von Sakramentstheologie und Kirchenrecht, beide zusammenfließend im Sakramentsrecht bieten daher dem Blick des rechtsgeschichtlich und morphologisch geschulten Juristen in breiter Ausdehnung die Wiederholung seiner eigenen

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geistesgeschichtlichen und formgeschichtlichen Probleme. Eine jede theologische Lösung steht hier in einem deutlich aufweisbaren Zusammenhang, eine jede hat ihren für den Entwicklungsstand typischen Platz.

Andererseits ist damit eine einfache Relativierung auf wechselnde Aussageformen und Verständnisweisen keineswegs gerechtfertigt. Wie das Verhältnis von Person und Kerygma, so bleibt auch dasjenige von Entscheidung und Vollzug als zu bewältigendes vorgegeben, wenn nicht der geschichtliche Charakter im strengen Sinne preisgegeben werden soll. Dem Gefälle der Lösungen, welches heute an einem Wendepunkt zu stehen scheint, steht die Konstanz des Problems gegenüber.

Systematisch gesehen hat die Fortbildung der Sakramentslehre und des Kirchenrechts von der Scholastik bis zu Calvin die Auflösung der Akt-Sein-Einheit (um diesen geschichtlichen und Vorgangscharakter institutionellen Typs mit Bonhoeffer auf eine Formel zu bringen) ebenso zum Gegenstande wie die Desintegration der altkirchlichen Meßliturgie. Auch an diesen mächtigen Stoff hat man lange zu tun gehabt, bis man ihn endlich zerschnitten und mit dieser Zerteilung auch dem Verständnis des Ganzen und der Zusammenhänge bis heute nahezu unüberwindliche Hindernisse bereitet hatte. Auch die heutige Rückläufigkeit zur Bejahung der Realpräsenz bedeutet noch keine Neugewinnung des Gesamtverständnisses. Das promissorische Element umgekehrt verliert seinen umgreifenden eschatologischen Charakter und verlagert sich in eine Realpräsenz des verkündeten Wortes. Diese wiederum löst sich in die deklaratorische Übermittlung auf,  welche der Verkündigung den Geschehenscharakter nimmt oder ihn weder beim Prediger noch bei der Gemeinde deutlich werden und festhalten läßt. Die fruchtlose Alternative zwischen deklaratorischem und konstitutivem Handeln, deren Gegenstandslosigkeit sich schon oben erwies, ist das Anzeichen dafür.

Eine bestimmte Rechtsgeschichtsphilosophie — die nach einem Worte des Rechtsphilosophen Carl August Emge22 immer eine Religionsphilosophie impliziert! — hat diese langanhaltende (in neuerer Zeit durch andere Momente gekreuzten) Tendenz zur Spiritualisierung der Rechtsformen als einen Fortschritt zur Freiheit gedeutet, und damit eine große Propagandawirkung erzielt. Nun wurde schon gezeigt, daß das absolute Eigentum und (am Beispiel der Ehe) der exklusiv konsensuale Vertrag sich zu gleicher Zeit herausbilden. Sie haben aber zur gemeinsamen Voraussetzung auch eine Umbildung des juristischen Subjektbegriffes: es ist nicht mehr der Mensch innerhalb der Gemeinschaft und in der Relation zu seinem Besitz: es ist die absolute Person, die vor und unabhängig von allen Relationen, Bindungen und Bezügen an sich existiert, verpflichtungsfähig und verfügungsfähig. Diese absolute Person hat im Kirchenrecht durch den absoluten ordo Eingang und Ausdruck gefunden, der gewisse Fähigkeiten unverlierbar besitzt (nachdem er sie einmal erhalten hat) und von ihnen wirksam auch Gebrauch machen

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kann, selbst wenn es seinem Auftrag zuwiderläuft, unerlaubt ist. Auftrag und Vollmacht fallen potentiell auseinander. Wer also jedenfalls real-konstituierende Handlungselemente ausscheiden will, muß den absoluten Personbegriff als Voraussetzung übernehmen. Hält er Realhandeln und absoluten Personbegriff beiderseits für einen unangemessenen Ausdruck dessen, worum es ihm zu gehen hat, so muß er eine dritte Form ausbilden, welche den Aussagegehalt der Schrift in einer uns heute gemäßen Form ausdrückt.

Die Voraussetzung ist freilich die Aufdeckung dieser formgeschichtlichen Zusammenhänge und damit zugleich die Ablösung von ihren Voraussetzungen. Den herkömmlichen — auch den scheinbar radikalsten! — Auslegungen liegt das Wirklichkeitsverständnis voraus, welches sie dann in den Deutungen auch der biblischen Texte selbst wiederzufinden meinen. Die Gedanken der repräsentativen Rolle und der geschichtlich-instituierenden Vorgänge, des Vorgangs überhaupt, sind die Denkformen, in denen, wie mir scheint, ein neues Verständnis erschlossen werden kann, welches die alten Kategorien nicht mehr braucht, aber doch den in ihnen ausgedrückten Wahrheitsgehalt kritisch aufzunehmen imstande ist. Das protestantische Kirchenrecht vertritt nur die negative Seite und Phase des spiritualen Rechtsdenkens, welches auf das realrechtliche Denken folgt. Deshalb hat es auch parallel zur Liturgiebildung hier nur mehr oder minder folgerichtig abgebrochen, aber nicht grundlegend neu zu bauen vermocht. Jeder existenzialistische Ausbruch aus dem Subjekt-Objekt-Schema wird solange im Bereich des Alten bleiben, als er nicht in der Lage ist, das Rechtsproblem neu zu interpretieren. Die harten Worte Wolfs und Heckels über die Verantwortlichkeit der Theologie für die Rechtslehre gelten auch hier — nicht um der Rechtslehre, sondern um der Theologie und Kirche willen! Wie gezeigt, ist bei Bultmann bisher kein Anhalt für eine Überschreitung und Überwindung des liberalen Rechtsbegriffs zu verzeichnen.