5. Der Rechtsbegriff des Sakramentes40

Der lateinische Begriff sacramentum ist naturgemäß nicht biblisch. Wir wissen, daß Tertullian als römischer Jurist den griechischen Urbegriff

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mysterion mit sacramentum übersetzt und auf die Sakramente im späteren Sinne angewendet hat.41 Die älteste Form der lateinischen Bibelübersetzung, die afrikanische, scheint mysterion durchgängig mit sacramentum wiedergegeben zu haben, in mechanisch-einheitlicher Übersetzung jeder einzelnen Vokabel.42

Das lateinische Wort sacramentum selbst aber besitzt zwei verschiedene Bedeutungsrichtungen. Es stammt einerseits aus dem älteren Prozessrecht und bezeichnet eine im Tempel vor Beginn des Prozesses zu hinterlegende Geldsumme, die bei Abweisung der Klage an den Tempel verfiel. Es bezeichnet dann aber auch die personale Weihe an die Gottheit, insbesondere im Fahneneide. Es sind also zwei Worte und drei Bedeutungen zueinander in Beziehung zu setzen. Obwohl die ältere, prozessuale Bedeutung nie ganz verlorengegangen ist, hat doch die jüngere, militärische in ihrer konkreten Zuspitzung auf eine religiöse Verpflichtung fast allein Interesse erweckt und Beachtung gefunden.

Der Sacramentsprozeß ist eine regelmäßige Rechtsform des älteren Römischen Rechtes.

„Legisaktionen im Sinne von Klagen gab es ebenso viele, als es klappbare Rechte gab. Legisaktionen dagegen im Sinne von Formen des Verfahrens gab es fünf. Von diesen bezweckten drei (legis actio sacramento usw. ...) die Entscheidung von Streitigkeiten, die beiden anderen (..) dagegen Exekution. Von den drei ersten bildete die durch sacramentum (eine Summe Geldes, welche die Parteien ursprünglich in sacro, d.h. in einem Tempel deponierten, später durch Bürgen zu zahlen gelobten, und welche die unterliegende Partei an den Staat verwirkte) für alle Rechtssachen die regelmäßige Prozeßform...” 43

Das Sakrament als sakrale Pfandsetzung schließt die Bedeutung als Eid nicht aus, sondern ein: die in „ius” steckende Wurzel scheint auf den Begriff der Reinheit und den Schwurgott Jupiter hinzuweisen. „Dazu stimmt sowohl, daß im alten Privatrechtsstreit notwendig geschworen wird, weil jede Partei ihre Rechtsbehauptung mit dem sacramentum beeiden muß, wie auch, daß der Falscheid unrein macht. („Dafür sprechen die Rechtsvergleichung und vielleicht der Gebrauch des sacramentum, so wie die Parallele des justum bellum zum Austrag zwischenstaatlicher Streitigkeiten...” 44

Max Weber, auf dessen bedeutende Untersuchungen hier verwiesen wird,45 bemerkt insbesondere, daß ursprünglich jede Klage eine solche ex delicto war.46 Daher also die Verfallenheit der unterliegenden Partei. „Den uralten Succumbenzstrafen für die verlierende Partei im Privatprozeß werden die öffentlichen Opfertiere entnommen oder deren Kosten damit bestritten.” 47

Warum muß der Kläger vor Prozessbeginn eine Summe im Tempel niederlegen und verliert sie mit dem Prozeß? Die gerichtliche Klage ist die Anrufung der numinosen Macht, die durch den königlichen Richter

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repräsentiert wird. Auch der republikanische römische Prätor etwa aus der Zeit des Zwölf-Tafel-Gesetzes vertritt das Doppelkönigtum der Konsuln. Nun stellt sich der Kläger mit der Klage dem Gericht wie der Gnade dieses Richters. Ist seine Klage unbegründet, so verfällt er ursprünglich wie beim Gottesurteil mit Leib und Leben dem Richter, weil seine Anrufung frevelhaft gewesen ist. Entspricht aber der Richter seiner Prozeßbitte, dem petitum, so erhält er nicht sein eigenes Recht, sondern das gnädige Recht des Richters, der ihm um der von ihm selbst repräsentierten Ordnung willen, gerecht und gnädig zugleich, nunmehr Recht gibt. Deshalb ist auch heute noch grundsätzlich der ausgeklagte Anspruch nicht mehr der vom Kläger erhobene, sondern ein durch das Urteil gewandelter, neu begründeter Anspruch, der im Urteil eine neue selbständige Rechtsgrundlage gewonnen hat. Die im Tempel niedergelegte Prozeßstumme, die dem Werte des vor Gericht Geforderten entspricht, ist also dem ursprünglichen Sinne nach eine gegenständliche Ablösung dieser Verfallenheit des Klägers für den Fall, daß er kein Recht erhält, eine Art Loskaufsumme oder Manngeld für die Todesschuld, die er auf sich geladen hat. Denn der ungerechte Kläger fordert den Gerichtszorn heraus. Die bedeutenden Höhe der Prozesskosten in den älteren rechten, auch heute noch im angelsächsischen Recht, ist keine prozeßökonomische Veranstaltung zur Eindämmung belangloser Bagatellprozesse, sondern ein Rest des existenziellen Charakters der Prozeßbitte, durch die sich der Kläger potentiell dem Gerichtszorn aussetzt. Die Prozeßbitte hat den Charakter der Homologe: sie will übereinstimmend mit der Gerechtigkeit und dem Gnadenwillen des Richters genau das bezeichnen, was dem Kläger zukommen soll. Dieser homofonische Charakter drückt sich in rituellen Formen darin aus, daß der Kläger nur dann ein zusprechendes Urteil erhält, wenn seine Klagbitte in feierlichter Klangformen genau mit dem ihm Zukommenden übereinstimmt. Sie ist nicht teilbar. Fordert er zuviel, so hat er das Ganze verloren. Die Prozeßbitte ist also nicht quantitierbar, wie es heute selbstverständlich ist, wo etwa von eingeklagten DM 1000 DM 800 zugesprochen und 200 abgewiesen werden, wobei die Kosten geteilt werden.

Das Sakrament im Sinne des Prozessrechts ist deshalb nicht der Mensch, sondern ein an seine Stelle tretender, ihn voll ersetzender Gegenstand von echtem Wert. Die fortschreitende Wertminderung dieser Loskaufsumme bis zur nur symbolischen, in sich wertlosen Erinnerungshandlung ist also nur eine sekundäre Spiritualisierung dieses leibhaften Einstehens für Schuld, welches der körperlichen Schuldhaftung der alten Rechte entspricht.

Im Prozeßsakrament bietet also der Kläger dem beleidigten Richter eine Ablösung seiner Schuld, die nicht in einer außerhalb dieses Vorgangs liegenden Straftat, sondern in dieser Anrufung, in seinem Rechtsbegehren, im Unternehmen der Begegnung selbst liegt. Er hat sich vor

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dem Richter eines Rechtes gerühmt, welches ihm nicht zukommt, er hat ihm zugemutet, ihm zu Unrecht Recht zu geben und damit zugleich versucht, unter Benutzung der richterlichen Macht einem anderen ein Recht abzunehmen, welches jenem von Rechts wegen, nach dem schützenden Willen dieses Richters zukommt. Das ist umgekehrt genauso bei dem Beklagten der Fall, der sich zu Unrecht weigert, dem Kläger das ihm zustehende Recht zu geben, der Anlaß zur Klage gibt und fälschlich den Schutz des Richters gegen die Klage in Anspruch nimmt. Die Frage gewinnt aber für die Beteiligten erst dadurch ihre tödliche Radikalität, daß sie vor den Richter gebracht wird. Solange dies nicht der Fall ist, solange sie nicht streitbefangen, sondern in der Schwebe ist und außergerichtlich verglichen werden könnte, hat sie den Charakter der Vorläufigkeit und Relativität. Deswegen sind Vergleiche vor Gericht an die Zustimmung des Richters gebunden, der mindestens formell die Beteiligten von seiner Seite aus dem Streitverhältnis entlassen muß.

Von dieser älteren prozessualen Bedeutung ist diejenige als Fahneneid und Eid  trotz aller Beziehungen und Vergleiche mit dem Prozeßeid offensichtlich recht weit entfernt.

Unbefriedigend von dieser schwer erklärbaren Differenz sah sich Soden veranlaßt, weiter zu forschen. Zunächst fand er, daß bei den römischen Grammatikern die prozessuale Bedeutung im Vordergrund steht, also ein Bruch in der Begriffstradition und ein Verlust der älteren Bedeutung nicht eingetreten ist. Umso merkwürdiger ist freilich, daß diese Bedeutung in der theologischen Erörterung bisher kaum eine Rolle gespielt hat, bestenfalls erwähnt worden ist. Auf der Suche nach einer gemeinsamen Wurzel beider Bedeutungen (223) stellt Soden fest, das iusiurandum und sacramentum, so oft sie synonym sind, auch in einem gewissen Gegensatz stehen können.

„Der Eid auf Gehorsam, Tapferkeit, Todesmut war nicht ursprünglich Inhalt des sacramentum, sondern ist zu einer gewissen Zeit zu diesem hinzugekommen. Das sacramentum war nichts als die Verpflichtung zum Militärdienst überhaupt und ist geradezu gleichbedeutend mit Aushebung oder Einberufung ... Die Form des Eides ist für diese Verpflichtung nicht wesentlich, ihr Inhalt die Gestellungspflicht selbst ... Von hier aus erklärt sich, wenn s. geradezu die Bedeutung von Stipendium, auch von militärischen Graden, Kapitulationen annimmt. Von hier aus versteht sich auch der Ausdruck s. accipere mit dem Subjekt des Soldaten. So meine ich, daß das Mittel der ersten Verpflichtung ein Handgeld gewesen ist ... Damit wäre die gemeinsame Wurzel aufgezeigt. Sacramentum heißt das Pfand, das zwischen dem Pfandgeber und Pfandempfänger ein Verhältnis gegenseitiger Verpflichtung begründet. Das für alle religiösen Sakramentsgedanken — christliche wie nichtchristliche — so charakteristische Schweben zwischen den Auffassungen, die im Sakrament eine Stiftung, Gnade,

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Verheißung des Gottes und solchen, die in ihm eine Leistung, Verpflichtung, Darbringung des Menschen vorwiegend betonen, würde ebenfalls unmittelbar aus der Worterklärung begreiflich und begründet erscheinen” (224).

Diese Rückführung beider Bedeutungen auf eine Wurzel ist überzeugend und auch rechtsgeschichtlich befriedigend. Gerade dann aber muß auch die theologische Bedeutung der prozeßrechtlichen Vorstellung ausgeschöpft werden.48

Es ist nun eine sinnvoll-paradoxe Umkehrung dieses Rechtsgedankens, wenn der Richter dem ungerechten Kläger selbst die Möglichkeit darbietet, von dieser Prozeßhaftung sich freizumachen. Der Richter kann die Haftung für ungerechte Prozeßbitte nur dann ausgleichen, wenn er sich selbst mit seiner ganzen Existenz dem schuldigen Kläger zur Verfügung stellt, für ihn eintritt, an seine Stelle tritt. Das ist aber nur möglich, wenn er sich aus seiner Richterrolle heraus und in die Rolle eines abgewiesenen, der Ungerechtigkeit überführten Klägers begibt, ohne noch irgendeinen Widerspruch zu erheben, den aussichtslosen Prozeß zu erneuern. Er kann das aber wiederum nur tun, wenn noch ein anderer Richter vorhanden ist, für den er schon geamtet hat und dem gegenüber er sich nun zur Haftung darbietet. Hat ehedem der Kläger zu Unrecht den Richter angerufen, so gewinnt er erst jetzt einen Stand vor dem Richter, den er ehedem nur beansprucht, aber wegen seiner Ungerechtigkeit nicht besessen hat und kann nunmehr den Richter so bitten, wie er gebeten sein will. Dieser Kläger muß also aufhören, für seine Sache zu rechten, auch nur teilweise so behaupten, daß er im Rechte sei und die Gabe annehmen, vermöge deren allein er dann dem anderen Richter mit einer echten, diesem genehmen Bitte gegenübertreten kann. Es ist ihm deshalb auch diese Gabe nicht in irgendeinem Sinne für ihn selbst gegeben, sondern allein, damit er sie dem anderen Richter vorhalten und sich damit als Rechtsfähiger darstellen kann.

Der Prozeßbegriff des Sakramentes erweist sich also als vollkommen geeignet, um in dialektischer Umkehrung unter genauester Wahrung des Rechtsgedankens, d.h. eines bestimmten Rechtsvollzuges das auszudrücken, was theologisch gesagt werden soll. Es wird von da aus vor allem sofort verständlich, warum überall im NT mit solcher Schärfe der heidnische Gottesdienst bekämpft wird. Denn in ihm wird eine naturale Gerechtigkeit des Menschen vorausgesetzt, die ihn befähigt, im Ritus der Bitte wirksam vor Gott zu treten. Es bedarf keiner besonderen Radikalisierung des Vorgangs selbst, sondern nur einer radikalen Konsequenz aus der schon gegebenen Lage des ungerechten Klägers.

Um es noch deutlicher zu sagen: der juristisch-prozessuale Sakramentsbegriff ist in zweifacher Richtung höchst geeignet, gerade das Wesentliche des Evangeliums auszusagen:
1. bei voller Durchführung erweist er das Ende aller natürlichen Religion,

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d.h. der Vorstellung, daß der Mensch kraft eines natürlichen Vermögens vor Gott zu stehen vermöge.
2. er bringt mit großer Klarheit das Handeln Gottes sub contrario zum Ausdruck, daß er den zur Sünde machte, der von Sünde nichts wußte, die communicatio idiomatum, die Rollenvertauschung, den Austausch des commercium und die Gemeinschaft des connubium, daß Gott Gemeinschaft mit den Zöllnern und Sündern macht, daß er die Hure Kirche als Braut heimführen will usf. — Gott selbst stellt sich an die Stelle und für den Verworfenen und Verdammten zum Pfand und Opfer.

Der kräftige Unterschied zwischen der älteren und der jüngeren Bedeutung von sacramentum löst sich also durchaus, wenn man sacramentum als sakralrechtliche Pfandsetzung versteht. Wird in der Prozeßwette durch die Hinterlegung im Tempel Sicherheit für die Succumbenzstrafe geleistet, so setzt sich im Eid, in der verpflichtenden Selbstauftragung und Selbstverschwörung der Mensch selbst mit seinem Seelenheil zum Pfande. Es ist nicht ungewöhnlich, daß bei einem solchen Begriff der Vorgang selbst und der Gegenstand des Handelns synonym mit dem gleichen Wort bezeichnet werden. Gerade für den Ding-res-Begriff ist dies auch der Fall: die Versammlung um den Fall und der Gegenstand der Verhandlung ist das Ding. Von der Vorstellung der sakralen Pfandsetzung erschließt sich auch die weitere Ausdehnung und Übertragung des Begriffs: alles, was beschlagnahmt ist wie die Handlung, durch die es so beschlagnahmt und also in den Heiligkeitsbereich einbezogen wird, kann dann darin einbegriffen werden. Solche Begriffe üben eine große Wirkung aus, wenn sie über ihren präzisen Kern hinaus ein der Ursprungsbedeutung nicht widersprechenden Vorfeld weniger scharf umrissenen Gehalts zu besetzen vermögen. Das ist in der ungemesssenen Ausdehnung des Sakramentsbegriffs in der alten Kirche denn auch geschehen.

Die Problematik des Begriffs wird freilich erst deutlich, wenn man auf die Subjekte dieses Handelns blickt. Der Prozeß setzt ja voraus, daß ein Richter mit unbestrittener Gerichtshoheit da ist, an den die Parteien als Handelnde gewiesen sind, weiter aber die Rechtsnot dieser Parteien, die den Richter brauchen und anrufen müssen. Zugleich vollzieht sich dies in einem Verfahren, einem notwendig geordneten Vorgang auf ein Ziel zu. Der Eid dagegen kann, aber muß keineswegs in einem solchen Zusammenhang stehen. Gerade die Verschwörung zur Gefolgschaft, die so sehr im militia-Gedanken wirksam wird, kann sehr wohl der streitbare Mutwille eines religiösen Reisläufers sein.

Die necessitas gehört nicht begrifflich zum Eid, wohl aber die Fähigkeit zur Selbstdarbringung. Die tiefe Bedeutung, daß gerade der gerechte Richter sich zum heiligen Pfände gibt, kann mit dieser voluntaristischen Sicht nicht wohl verbunden werden. Mindestens muß der Begriff

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so gefaßt werden, daß er von beiden Partnern aus gesehen werden kann, wenn man der Seite des Glaubens als „Sich-Geloben” Raum geben will.

Soden entwickelt dann die Verschiebungen in dem Verhältnis der Begriffe mysterion und sacramentum gegeneinander. Beide ständen auch bei unterschiedlicher Nuancierung im Gegensatz zum arcanum und zum griechischen Mysterien. Die mysteria bezögen sich freilich auf die eschatologische Zukunft, die sacramenta auf die vergängliche Gegenwart. Trotzdem kann Bornkamm in THWNT IV, 833 sagen, daß der Bedeutungsumfang von sacramentum sich ohne Einschränken mit dem des griechischen Begriffes decke. v.d. Leeuw differenziert ähnlich wie Soden: „Das Wort, das Christus betrifft, ist ein Eid, ein Gelöbnis, ein Bekenntnis, abgelegt bei der Taufe, dem Glaubensmysterium. In der Taufe fallen Glauben und Bild, figura, zusammen: ein feierlich ausgesprochener Eid, zugleich Bild von Tod und Auferstehung des Herrn. Die sacramenti Verba, die der Jurist Tertullian der alten legis actio entlehnte, dann die Worte der regula fidei, dem ältesten Taufbekenntnis ... es ist ja nun klar, daß das typisch Christliche, die Heilsoffenbarung, in ihrem eschatologischen Charakter durch das Wort mysterion ausgedrückt wird, während sacramentum die formale Seite andeutet.” 49

Während hier erstmalig direkt, auch über Soden hinaus, die prozessuale legis actio in die theologische Erwägung einbezogen wird, wirft Bornkamm a.a.O. noch die Frage auf, wie sacramentum Übersetzung für mysterion werden konnte. Er begründet dies mit der Tradition aus dem Verpflichtungscharakter des Eides, muß aber bemerken, daß dieser militärische Gedanke vom 4. Jahr. ab völlig verschwindet.

Wenn aber der Ursprung wie die Einheit des vielschichtigen Begriffs in dem Gedanken des Pfandes und des Angeldes liegt, dann kann er nicht einseitig von der Glaubensverpflichtung her ausgelegt werden. Der Charakter des Angeldes, welches der Soldat ja empfängt und nicht gibt, muß vor und über seiner Selbstverpflichtung stehen. Das vermag wie gezeigt gerade die tiefe dialektische Umkehrung des prozeßrechtlichen Gedankens in sehr voller Weise auszudrücken.

Über das Angeld ist noch weiteres zu sagen. Die älteren Rechte kennen keine consensualen Verpflichtungsgeschäfte, welche in der Gegenwart nichts, auf Grund der Vertragsbindung, einer selbstgeschaffenen Verbindlichkeit in der Zukunft alles geben, welche also wesentlich auf zukünftige Erfüllung angelegt sind. Nicht aus technischen Gründen, sondern auf Grund ihrer anthropologischen Voraussetzungen kennen jene älteren Rechte nur Realverträge und mit den Realakten verbundene Formalverträge. Der Tausch vollends ist völlig präsentisch, enthält kein wesentliches Moment zeitlicher Erstreckung. Da aber grundsätzlich nur sachenrechtliche Rechtsverhältnisse wirksam geschaffen werden können, aber durchaus nicht immer alles präsent sein kann, was geleistet

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und übertragen werden soll, bildet sich das Angeld aus.

Das Angeld ist im Realvertrag ein Anfang der Erfüllung. Da die Sachhingabe personalen Anteil am Geber selbst vermittelt, nicht gegenständlich-objektiv auf ein Abgetrenntes beschränkt ist, gibt das Angeld als Anfang der Erfüllung auf der einen Seite Anteil am zukünftigen Ganzen der Leistung. Die spätere Leistung ist nur die Vollendung der schon begonnenen: der Empfänger des Angeldes hat auch schon direkt ein Recht an der später zu leistenden Sache. Das Angeld vermittelt aber auch ein personales Band zum Geber, als eine Gewährleistung der künftigen Erfüllung von seiner Seite, weil mit dem Anteil an seiner Identität auch seine Treue gebunden ist. In consensualen Verträgen dagegen wird die zukünftige Erfüllung ausschließlich durch die wörtliche Zusage des anderen Teils, die innere Willensbindung gewährleistet. Jeder direkte und vorgreifende Anteil, jede Anwartschaft auf die Sache ist streng ausgeschlossen. Wird hier ein Angeld gegeben, so besitzt es einen völlig anderen Charakter als im Realvertrag: es hat nur symbolische, signifikatorische Bedeutung, um die Tatsache des Vertragsabschlusses unzweifelhaft sichtbar zu machen, allenfalls zusätzlich zu bekräftigen. Da das Angeld zusätzlich gegeben oder als quantitative Teilleistung später verrechnet wird (Anzahlung), ist es wesentlich quantitierbar — oder wenn nicht quantitierbar, sachlich unwesentlich. Mehr kann hier eine sachliche Vorleistung nicht austragen. Sie hat nicht mehr konstitutive, sondern nur noch noetische Bedeutung. Je höher das Kommerzielle Verkehrsrecht ausgebildet wird, desto mehr spiritualisiert es sich unter Beiseitesetzung der Realakte. Sogar die Eigentumsübertragung als sachenrechtliches Geschäft sublimiert sich in der immer größeren Verfeinerung der Ersatzabtretung von Herausgabeansprüchen, also Rechtsformen, die selbst nicht mehr dem Sachenrecht angehören. Unter Kaufleuten ersten Ranges jedoch gilt für Millionengeschäfte das bloße Wort — es ist beschimpfend, diesem Wort nicht zu trauen — auch der königliche Kaufmann in Shakespeares „Kaufmann von Venedig” glaubt sich etwas zu vergeben, wenn er für ein großes Darlehen eine Schuldverschreibung ausstellt.

Das Angeld begründet also ursprünglich nicht eine schuldrechtliche Verpflichtung, sondern eine personenrechtliche Zugehörigkeit. Obwohl das Angeld eine kognitive Funktion mit zu erfüllen geneigt ist und mit erfüllt, kann es von daher nicht primär verstanden und erklärt werden. Im Gegenteil: wer solche Realhandlungen wesentlich von der kognitiven Seite her erklärt, zeigt damit, daß seine Vorstellungen ohne kritische Einsicht in die eigene historische Bedingtheit vom verkehrsrechtlichen Rechtsdenken bestimmt sind.