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Kapitel XII

Die verfassungsrechtliche Bedeutung des Art. XXVII des Augsburgischen Bekenntnisses

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1. Reformation und Mönchtum

Bis in die Gegenwart war es allgemein unangefochtene Tradition der lutherischen Kirche, daß es in ihr keine monastischen Gemeinschaften geben könne.

Als aber in unserer Zeit auch in ihr Formen gemeinsamen Lebens neben der verfaßten Ortsgemeinde — mit oder ohne monastische Bindung — entstanden, ergab sich die Notwendigkeit, sich damit auseinanderzusetzen. Daß die Konsequenz einer Aussage der CA zu einer Verengung der Formen geistlichen Lebens geführt haben könnte, die jetzt aus dem Glauben selbst sich korrigiert, ist als selbstkritischer Gedanke hier nicht vertreten. Vielmehr wird in der gegenwärtigen Debatte über eine Anerkennung neuer monastischer Kommunitäten in der lutherischen Kirche behauptet, die Ablehnung des Mönchswesens in der CA sein keine grundsätzliche gewesen. Dafür wird angeführt, daß Artikel XXVII das ältere Mönchswesen ausdrücklich lobe: „Olim erahnt (monasteria) scholae sacrarum litterarum et aliarum disciplinarum, quae sunt Stiles ecclesiae, et sumebantur inde pastores et episcopi: nunc alia res est…”

Trotz aller berechtigten Kritik an müßigem und fruchtlosen Klosterleben ist deutlich, daß hier der humanistische Schulgedanke wirksam ist. Angesichts der jedem geschichtlich interessierten Christen einsichtigen immensen geistlichen Fruchtbarkeit des Ordenswesens, der Bedeutung und des Ranges der großen Ordensstifter ist diese Schulmeisterei geradezu peinlich.

Die These, daß sich die CA nicht gegen das Mönchtum als solches, sondern im wesentlichen gegen die Mönchsgelübde gewendet habe, ist jedoch nicht in vollem Umfange zutreffend, wenn auch wohl verbal richtig. Bernhard Lohse2 hat ein Wort Luthers zitiert, wonach Franz von Assisi die Katholizität des Glaubens aufhebe, da er ja eine besondere Lebensregel aufstellt.3 Diese Äußerung Luthers ist sehr viel grundsätzlicher, sie ist charakteristisch und weittragend. Aber sie ist sicherlich ebenso unbiblisch wie unkatholisch. Daß diese Katholizität hier als Einheitlichkeit aufgefaßt wird, steht zudem in Spannung zu der Kritik an unifizierenden Tendenzen in CA VII. Man kann auch bei Beschränkung auf den Text der CA den Kontext der nachweisbaren Grundhaltung nicht ausscheiden.

Wie die Dinge im Reformationszeitalter verlaufen sind, zeigt ein oft zitierter Vorgang aus Herford (Westfalen). Dort bestand ein Brüderhaus als Kommunität, welches sich geschlossen der Reformation zuwendete. Darauf forderten die lutherischen Pfarrer die Auflösung. Auf den Appell der Brüder entschied Luther aufgrund dogmatischer Prüfung ihrer Lehre, daß die Gemeinschaft

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als evangelische weiterbestehen könne und solle. Mit oder ohne solche Angriffe ist das Haus Jahrzehnte später aufgegeben worden. Charakteristisch ist, daß weder hier noch sonst eine Neubildung solcher Gemeinschaften zu verzeichnen war. Die Monoformität der congregatio als Gemeinde hatte sich durchgesetzt. Die Freiheit Luthers aber bestand praktisch nur darin, daß er eine solche Bildung ohne Zwang aussterben ließ. Das Verständnis für den Sinn einer solchen Form war zum Absterben gebracht. Das war wirksamer als jedes Verbot.

Mit der Interpretation der verbalen Texte ist aber noch keineswegs die objektive Tragweite und Bedeutung dieser wie immer begründeten und gemeinten Entscheidung getroffen. Denn auf alle Fälle ist mit diesem Artikel das Mönchswesen für die lutherische Kirche in der Wurzel abgeschnitten worden. Bis in die Gegenwart hat es keinen Versuch in der lutherischen Kirche gegeben, in eigener Weise das — angeblich nicht grundsätzlich verneinte — Ordenswesen Wirklichkeit werden zu lassen, bis in einer wesentlich veränderten Situation der alte Stamm von sich aus wieder Triebe gezeitigt hat.

Nunmehr haben sich aber im Bereich mindestens des europäischen Protestantismus beider Konfessionen in beträchtlicher Zahl und Verschiedenheit Kommunitäten (Orden und Bruderschaften) gebildet, deren Vorhandensein und Wirksamkeit vielfaches Interesse gefunden hat. Kirchenregimentlich und konfessionstheologische hat sich damit im lutherischen Bereich die Konferenz der Bischöfe der Vereinigten Lutherischen Kirche Deutschlands befaßt, indem sie in Corpora eine Visitation fränkischer Kommunitäten vornahmen und deren Ergebnis in einer Klausurtagung klärten. Sodann sind im Horizont des Augsburger Konfessionsjubiläums von 1980 in einer gemeinsamen Untersuchung die Aussagen des Artikels XXVII überprüft worden.4

 

— Zur geschichtlichen Entwicklung —

Das Ordenswesen in der hier in Betracht kommenden lateinischen Form kann man angemessen nur als eine komplexe Lebensform beschreiben. Durchweg sind die Ordensgemeinschaften durch charismatische Stifter begründet worden, die ihren Anhängern und Nachfolgern in Gestalt erprobter und wohlbedachter Regeln Modell und Anleitung für die Gestaltung gemeinsamen geistlichen Lebens mitgegeben haben. Diese Konzeption läßt sich etwa wie eine Bruchzahl beschreiben, in der eine Anzahl von Größen im Zähler sich multipliziert, im Nenner aber auf eine gemeinsame Grundlage gestellt ist. Wir finden in sorgfältiger Verbindung eine ständige Gebetsordnung, ein Element der Meditation, Kontemplation und Introspektion unter geistlicher Leitung und Weisung, theologische Besinnung und Arbeit und die Stämmigkeit des gemeinsamen Gottesdienstes. Dies alles ist getragen und eingebettet in die vita communis, ohne deren verbindende Kraft die Gesamtheit der Vollzüge und Perspektiven nicht durchzuhalten ist.

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Die theologische Arbeit entsteht aus mehreren Antrieben. Einmal aus dem meditativen Element, welches sich das Vorbild Christi, der Apostel und Heiligen zur Nachahmung vor Augen stellt, durch die gottesdienstliche Verkündigung und den Schriftgebrauch, aber auch aus der Notwendigkeit, die spezifischen Motivationen und Anregungen des Stifters und der besonderen Gemeinschaft in einen denkerisch verantworteten Zusammenhang mit Lehre und Leben der Kirche zu bringen. Ein jeder Orden hat darüber hinaus einen sog. scopus, das heißt die Umschreibung derjenigen Dienste in der Kirche, die er in freier Wahl zum Schwerpunkt seines Lebens gemacht hat. Denn begreiflicherweise kann etwa ein Lehrorden nicht zugleich ein Pflegeorden sein.

Die Orden, insbesondere die großen Gemeinschaften, deren älteste, die Benediktiner, anderthalb Jahrtausende überdauert haben, sind innerhalb und außerhalb der Kirchengeschichte von einer unermesslichen Wirkung gewesen, die sich kaum im vollen Umfang ausgrenzen und abschätzen läßt. Sie besitzen in besonderen Formen der Spiritualität jeweils ihre eigene Individualität und Identität. Sie stehen damit zugleich in einer ständigen Dialektik zur Großkirche. Sie können, wie sie eigenständig entstanden sind, sich auch nur aus eigenen geistlichen Kräften erhalten. Sie müssen daher ihre Autonomie als eine lebenswichtige Voraussetzung festhalten, sich gleichzeitig aber in die Einheit und Lehre der Kirche und deren Disziplin einfügen. Daraus entstehen die bekannten, die ganze Kirchengeschichte hindurch auftretenden Probleme, die notwendig waren und sind, wenn sich auch niemals ganz befriedigend haben gelöst werden können.

Mindestens die großen Orden haben einen überregionalen, ökumenischen Charakter. Jedes Ordensglied findet seine Gemeinschaft mit allen ihren Merkmalen in den Niederlassungen fremder Länder selbstverständlich wieder, hat dort Heimatrecht. In einem selbst für moderne Verkehrsverhältnisse erstaunlichem Maße hat sich der Austausch der Gedanken und Personen über weiteste Räume hin mit unbefangener Selbstverständlichkeit vollzogen. Die Orden waren und sind ein Element und Ferment der transnationalen Universalität der Kirche. Die Orden sind auch darin bedeutsam, daß vermöge der unterschiedlichen Spiritualität sich auch Unterschiede der rationalen Theologie herausbildeten, die ein besonderes Problem, aber auch eine Bereicherung für die Gesamtkirche bedeuten.

Das Ordenswesen hat dabei einen Januskopf. Es blickt auf der einen Seite auf das Amt, auf der anderen Seite auf die Gemeinde. Ein Großteil der Ordensmitglieder wird theologisch ausgebildet und zum Priester geweiht. Ein Teil dieser Priester dient dem Orden selbst, ein Teil stellt sich der verfaßten Kirche zur Ergänzung des pastoralen Versorgung, aber auch zu besonderen Aufgaben und für die bischöfliche Leitung zur Verfügung. Aber der Orden umfaßt auch solche Glieder, die ohne theologische Bildung den Dienst der Kirche außerhalb des bürgerlichen Berufs vollamtlich in irgendeiner Weise wahrnehmen. Diese ganze Seite blickt also auf die verfaßte und aktive Arbeit der Kirche.

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Eben aus dieser Verbindung der Elemente ergibt sich, daß der Orden, selbst wenn er in hervorragendem Maße Theologie treibt, keine Lehranstalt ist, die man besucht und auch wieder verläßt.

Nach der Gemeindeseite integrieren die Orden eine sehr große Zahl von Menschen, die — mit welcher Dienstbestimmung auch immer — auch ohne theologische Schulung und Verantwortung ein gemeinschäftliches Leben führen wollen. An das eigentliche Ordenswesen schließt sich eine unübersehbare Fülle brüderlicher und schwesterlicher Gemeinschaften an, die sich bis in das Gemeindeleben hinein verzahnen.

Die katholische Ekklesiologie und Kirchenrechtslehre hat diese Doppelseitigkeit des Ordenswesens und seine Stellung zwischen Klerus und Laien immer beachtet, sinnvoll zu ordnen und zu bedenken versucht.

Mit dieser Dualität von territorialer Kirche und weit verbreiteten Ordensgemeinschaften verbindet sich dann ein drittes Element im Leben der Kirche. Es ist jene große Zahl von Christen, welche in der Ortsgemeinde kaum gebunden, auch nicht in die verfaßten und verpflichteten Zusammenschlüsse hineinpassen. Auch in dieser Gruppe sind starke, sogar immer wieder explosiv wirkende Kräfte vorhanden, die als kritische Anfrage wie als Ansporn für die geordnete Kirche wirken. Dieser Tatsache entsprechend hat sich ja auch die Lutherische Bischofskonferenz parallel zu den Kommunitäten mit den überall heute aufwachenden charismatischen, typisch unverfaßten Bewegungen beschäftigt.5

Der Verbund von Orden und Großkirchen in seiner Dualität hat aber die Bedeutung und Wirkung, daß diese mindestens seit 1000 Jahren bemerkbaren freien Kräfte im Gesamtgefüge der Christenheit wenigstens bis zu einem gewissen Grade aufgefangen und angeschlossen werden können, was keiner von beiden für sich allein vermöchte, wozu aber die Orden und Bruderschaften als Gemeinschaften eigenen Entschlusses um einen Grad besser gerüstet sind als die stabile Flächenkirche.

Aus dem Gesagten ergeben sich weitreichende Folgen für das Gesamtgefüge und die Verfassung der Kirche. Für die Lehrtradition der Kirche waren in der Situation der Reformation drei institutionell getrennte Linien der Vermittlung gegeben: das Lehramt der Großkirche in Papst, Konzil und Bischofsamt, die Ordenstheologie und die Fakultätstheologie. Diese Pluralität der Bildung und Vermittlung ist durch das Augsburgische Bekenntnis zerstört worden. Die Aussagen über den Konsens in CA VII („satis est”) machen jede Form ständiger aktiver Verantwortung für den Lehrkonsens der Kirche in institutioneller Form gegenstandslos. Nachdem die Autorität des Primats, aber auch des Konzils in entscheidender Weise problematisiert worden ist, erscheint in den Aussagen des Bekenntnisses kein vergleichbares Leitungs- und Entscheidungsorgan mehr.

Spätere ergänzende Erwägungen sind nicht in das Bekenntnis eingeschlossen. Sie haben niemals den Charakter verbindlicher Gestaltung gewonnen. Sie sind potentielle Möglichkeiten, keine konstitutive Notwendigkeit. Wer den in

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CA VII gemeinten Konsens etwa, wenn gefährdet, klären und herstellen soll, bleibt der geschichtlichen Zufälligkeit überlassen. Verständigen sich die Professoren über Lehrstreitigkeiten, so können die jeweiligen und als solche nicht vorbestimmten Träger der Repräsentation diesen Konsens übernehmen und anerkennen. Ist also das übergemeindliche Lehramt der Kirche in jeder Form aus dem Grundbestande der Kirchenverfassung ausgeschieden, so fällt mit dem Orden gleichzeitig auch die Ordenstheologie. Damit bleiben als einzige Träger der theologischen Belehrung und Tradition die Fakultäten übrig, die in eine Monopolstellung eintreten. Dies hat eine weitreichende methodische Konsequenz. In der Alten Kirche sollte die lex credendi zugleich die lex orandi sein. In dieser zirkulären Form hat die stärker rationale lateinische Theologie diesen Grundsatz nicht vertreten und nicht durchgehalten. Gerade in der Ordenstheologie jedoch ist dieser Zusammenhang in einem bedeutenden Maße durch die Einbettung der theologischen Arbeit in das gemeinsame geistliche Leben erhalten geblieben. Dieses methodische Element von höchster Bedeutung fällt jetzt weg. Aus der gesunden Lehre, die im Kontext des konkreten geistlichen und geschichtlichen Lebens der Kirche steht, kann auf diese Weise der der Heiligen Schrift fremde Begriff der „reinen” Lehre werden. Aus der wechselseitigen Tragkraft und Begrenzung beider Elemente, von Lehre und geistlicher Erfahrung wird eine zweiwertige Logik von richtig und falsch. Das in jener zirkulären Form enthaltene und bis zu einem gewissen Grade gelöste Problem von Theorie und Praxis entsteht in seiner vollen Schärfe. Die kompetente Belehrung über Gehalt und Gebrauch der Schrift im Horizont einer ernsthaften Hingabe und Bemühung als solche soll nun genügen, um diese Gegenläufigkeit von Belehrung und Erfahrung stillschweigend überflüssig zu machen. Die Selbstmächtigkeit des Wortes Gottes überdeckt und überspielt als Postulat die methodischen Besonderheiten, die historischen Grenzen und Schwächen des akademischen Wesens.

Dies bedeutet zugleich die Akademisierung des ministerium ecclesiasticum. Während die radikale Reduktion des Ambtsbegriffs dieses gerade von allen historischen, menschlich bedingten Elementen zu reinigen unternommen hat, um es von da aus frei in den Dienst stellen und gestalten zu können, wird dieses Amt in eine akademische Form umgewandelt. Zugleich sind auf diese Weise die Träger dieses Amtes je einzelne, die in keinem konstitutiven Verbund untereinander mehr leben. Sie sind weder ein organisierter Klerus, der bestimmten Verpflichtungen unterliegt, aber zugleich doch auch in einem konkreten Verbande lebt. Diese einzelnen werden zwar notwendigerweise von neuem einer Inspektion und Visitation durch vorgeordnete episkopale Superintendenten unterworfen. Aber auf eine ständige Gemeinschaft sind sie in keinem Sinne verwiesen; sie werden auch von einer solchen nicht getragen. Infolgedessen tritt ihnen die verfaßte Kirche als eine transpersonale Anstalt gegenüber, deren Leitungsspruch dann wiederum durch die Interpretation als brüderliche Visitation, als mutua consolatio fratrum auszugleichen versucht wird. Was hier nun fehlt und ausgefallen ist, wird schließlich in den Zeiten

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ständischer Sozialformen durch einen, weltlichen Vorstellungen entnommenen Standesbegriff unvermeidlich, aber sinnwidrig ausgeglichen und ergänzt.

An dieser Folge des anstaltlichen Charakters stößt man sich dann später, sobald die ständischen Lebensformen im ganzen obsolet geworden sind. Was man also durch die reine Abstraktion des Ambtsbegriffs hat vermeiden wollen, tritt ipso facto und dann in der weiteren Konsequenz erst recht ein. Man verengt die personale Institution und bekommt die Anstalt, die man nicht will — und verliert dabei selbst das Unterscheidungsvermögen zwischen Institution und Anstalt. Ebenso eingreifende Wirkungen wie auf das ministerium hat auch die Beseitigung des Ordenswesens auf die Struktur der congregatio. Die congregatio stricte dicta im Sinne von CA VII ist ja nicht die Ortsgemeinde. Sie ist jede durch das Wort Gottes bewirkte Versammlung. Aber in concreto ist sie doch dann wieder nichts anders als die Gemeinde. Daß es aber faktisch so geworden und in der ganzen Breite der Gemeindeglieder bis heute so verstanden wird, ist die unvermeidliche Folge der Tatsache, daß der abstrakte Begriff als solcher immer nur in seiner geschichtlichen Konkretion Bestand haben kann, daß die Reformation selbst aber jede andere Verbandsform als die der Ortsgemeinde unterdrückt hat. Denn alle anderen Lebens- und Arbeitsformen werden ja von der Gemeinde her, in Analogie zu ihr und unter ihrer Voraussetzung verstanden, dergestalt, daß deren Träger in ihrer Person immer nur als Gemeindeglieder verstanden werden können, niemals eine von der Gemeinde abgelöste Verbandsmitgliedschaft zu besitzen vermögen. Die Ausschlußwirkung solcher Entscheidungen in ihrer Faktizität ist mindestens ebenso wirksam wie dogmatische und gesetzliche Regelungen. Dies führt nun dazu, daß der einzelne Christ im Grundsatz nur eine einzige Form der Frömmigkeit, der Spiritualität kennenlernt und für legitim hält, nämlich die allgemeine in der Form der Ortsgemeinde.

Daß die charismata in der Kirche sich in verschiedenen spirituellen Erscheinungsformen auswirken und ausleben, wird ihm niemals mehr als legitim sinnfällig vorgeführt, und damit aus seinem Bewußtsein ausgeschlossen. Dies hat zur unbeabsichtigte Folge, daß die nach eigener Gestaltung drängenden charismata entweder in einen Gemeindeverband und eine Einheit eingeschlossen werden, die ihnen eine spezifische Auswirkung höchstens sehr bedingt ermöglichen, oder daß sie in eine falsche Separation, in den Gegensatz zwischen Großkirche und Heiligkeitsgemeinde abgedrängt werden. Jannasch drückt diesen Tatbestand mit ungemein schonsamer Milde folgendermaßen aus:

„Auf den Gesamtprotestantismus gesehen mag vielleicht die Abspaltung zahlreicher Sekten auch damit zusammenhängen, daß von ihm bei seiner starken Betonung der Ortsgemeinde die Möglichkeit oder gar Notwendigkeit eines besonderen bruderschaftlichen Dienstes innerhalb der Einzelgemeinde und für die Kirche im ganzen nicht genügend gesehen würde.” 6

Schon durch Art. XXVII ist das Amt akademisiert, die congregatio aber unifiziert worden. Die Reduktion der Merkmale der Kirche auf ministerium, congregatio und consensus ging von der Annahme aus, daß eine begriffliche

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Beschreibung und Umschreibung der Grundelemente der Kirche ermöglichen werde, in der Folge frei von falschen menschlichen Ansprüchen, historischen Überformungen und Dignitäten etwa hierarchischer Form, das Schriftgemäße zu tun. In Wahrheit ist aber der hier angestrebte und vermeintlich eröffnete Freiheitsraum durch die Vorentscheidung des Art. XXVII in Verbindung mit dem congregatio-Begriff des Art. VII bereits ipso facto beschlagnahmt und ausgefüllt worden. Es ist also nicht eine großartige, freie Konzeption im Nachhinein unvermeidlich den Brechungen unzulänglicher Verwirklichung unter den widrigen Bedingungen der Zeit erlegen, so daß man immer wieder auf die Ursprungskonzeption zurückverweisen könnte. In actu, im Augenblick dieser Entscheidung selbst, war die historische Gestalt der lutherischen Kirche bereits als solche entschieden. Diese Tatsache jedoch ist als solche wie auch in ihrer außerordentlichen Tragweite niemals in das Bewußtsein getreten. Das Selbstverständnis geht vielmehr bis heute dahin, daß es sich in Art. XXVII um eine Teilentscheidung von begrenzter Bedeutung gehandelt habe. Es ist also auch die unvermeidliche Interdependenz des Gesamtgefüges der Bekenntnisaussagen übersehen worden. Vollends ist auch das ökumenisch-übernationale Moment des Ordenswesens stillschweigend dahingefallen und preisgegeben worden.

Nun vermag gewiß der geschichtlich Handelnde die volle Tragweite seines Handelns nicht zu übersehen. Ein anderes ist es aber dennoch, wenn der konkrete Gehalt schon der augenblicklichen Entscheidung aus erkennbaren Gründen nicht ins Bewußtsein getreten ist. Zumal lag der denkerische Fehler in der Annahme, man könne den reinen Begriff von der geschichtlichen Konkretion getrennt halten.

Als Drittes kommt hinzu, daß die humanistische Wissenschaftlichkeit allem Verständnis sozialer Lebensformen vermöge seiner reflexiven, literarischen Subjektivität methodisch abgekehrt war und geblieben ist. So entsteht die absurde Vorstellung, daß man soziale Lebensformen aus Texten verbal und imperativ ableiten und verstehen könne. Auf diese Weise sind weder im aktuellen Geschehen noch in der nachfolgenden theoretischen und historischen Erwägung diese von Anfang an mitgegebenen Strukturelemente ins Bewußtsein getreten.

Was ist auf diese Weise entstanden? Eine Basis, die in Form der Gemeinde eine sehr alte, mindestens altkirchliche Traditionsstruktur hat, wie denn der Gemeindepresbyterat sich durch die ganze Geschichte der Kirche hindurch nicht entscheidend verändert hat. Diese alte Substruktur hat in der CA zu einer Art Romantik geführt.

Romantisch ist auch die ständige Beschäftigung mit den paulinischen Geistgemeinden in der labilen Vielfalt ihrer charismatischen Kräfte. Je mehr die Predigtgemeinde unter der reinen Lehre sich in einer bis dahin unbekannten Weise vereinheitlichte, desto mehr mußte sich der sehnsüchtige Blick auf diese lebendige Vielfalt richten, ohne sie jedoch erreichen zu können.

Auf der anderen Seite schuf das Fakultätsmonopol und die Akademisierung

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des Pfarrerskindes eine humanistisch zeitgemäße und in der Richtung auf eine wissenschaftliche Theologie bis in die Moderne entwicklungsfähige, aber in unbekannten Ausmaße säkulare Lebensform. Der Bedeutsamkeitsanspruch der akademisch-theologischen Lehre entmächtigte das ordentliche Kirchenregiment und entwöhnte es zugleich der Wahrnehmung theologischer Verantwortung.

In dieser Spaltung zwischen Basis und Überbau vertritt die akademische Theologie die Verantwortung für die denkerische Universalität, wie sie in dieser Weise auch der Philosophie immanent ist.

Das Basis dagegen ist partikular orientiert, an die Sprachgemeinschaft der einzelnen Nationen gebunden und sucht innere Deckung in der vertrauten regionalen Tradition. —

Die Entstehung der Kommunitäten ist aber nicht allein als eine Kompensation zu verstehen, um wenigstens teilweise die Engführungen und Mängel auszugleichen, welche die reformatorische Theologie im Lauf der Geschichte selbst hervorgebracht hat und die wettzumachen sie offensichtlich weder Einsicht noch Vermögen besitzt. Die Kommunitäten haben mit unwillkürlicher Sicherheit den Fehlweg der „ekklesiola in ecclesia” vermieden, der sowohl in gewissen Tendenzen des Ordenswesens wie im protestantischen Pietismus, ja sogar in Ansätzen bei Luther zu finden war und ist. Sie haben vielmehr durch diese Entschlossenheit das unverzichtbare Recht der Ortsgemeinde wie des Kirchenregiments bestätigt. Sie haben aber zugleich die Ideologie der Ortsgemeinde durchbrochen, indem sie in die in Band II, Kap. IV und V, entwickelte Dialektik der Lebensformen der Kirche wenigstens anfangsweise grundsätzlich wieder herstellten. Aus dem Unverständnis dieser Tatsache erklärt sich auch der Umfang der diffusen und ziellosen Reaktionen auf diesen Tatbestand. Ideologien sind jedoch nicht leere Spekulationen auf Geschichte und Existenz. Sie entstehen vielmehr aus dem verzweifelten Versuch, von einer evidenten und gewichtigen, aber vernachlässigten Wahrheit aus das Ganze zu erfassen, zu deuten und zu bewältigen. Sie entstehen nicht aus Willkür, sondern aus Not, aus der Verzweiflung der Erkenntnis und des Handelns. Je gewichtiger aber die evidente Wahrheit ist, der sie zur Anerkennung verhelfen wollen, desto drückender ist auch die Wirkung auf das Ganze, welches von dieser Ideologie her mißverstanden und eingeschränkt gedeutet wird. Es ist diese Kraft der Verzweiflung, ein (beinahe) apokalyptisches Element, welches diese Kräfte in ihren Konsequenzen treibt. Auf alle Fälle entsteht aus der Ideologie eine Monokausalität, die der Ökonomie der Wirklichkeit und der Lebensformen widerspricht und eben dadurch an ihre Grenzen kommt. Die Reformation bedeutet für die Kirche und durch die Kirche eine einschneidende, weittragende Veränderung in der Wissenssoziologie. Der Fortfall eigenständiger, theologisch verantwortlicher Kirchenleitungen und ihrer administrative Ersetzung durch landesherrliche Konsistorien auf der einen und der produktiven Potenz der Ordenstheologie auf der anderen Seite versetzt die akademische Theologie in eine gefährliche Isolation. Diese kann nicht durch die Annahme

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wettgemacht werden, daß die ständige Befassung mit der Heiligen Schrift und das Schriftprinzip selbst die soziologischen Bedingungen einer derartigen Stellung zu ersetzen imstande seien. Es handelt sich hier auch um weit mehr als um die von Maurer deutlich und warnend gekennzeichnete humanistische Hypothek. Der in den Bekenntnisschriften vorkommende Begriff der „doctores” für die altkirchlichen Theologen ist zweideutig. Er schließt an den Sprachgebrauch an, der diese, wie auch heute noch die katholische Kirche, als große Lehrer der Kirche voranstellt. Ungetrennt davon verbindet sich damit aber der Horizont eines späten Humanismus, der sich dann in der geschichtlich wirksamen, von beiden Konfessionen getragenen Verschulung fortsetzt.

Die drei alten Fakultäten hatten bis dahin die Gemeinsamkeit, daß sie nicht von inhaltlichen Wahrheiten, sondern von menschlichen Notwendigkeiten her zu verstehen waren. Die Medizin impliziert den Begriff des Heilend (Virchow), die Jurisprudenz versteht sich als eine Kunst, notwendig verbunden mit der notitia rerum humanarum. Sie impliziert den Begriff der Entscheidung. Als perpetua voluntas ist sie die Entschlossenheit, die Wahrheit des Rechtes und das Recht der Wahrheit gegen die Unwahrheit des Unrechts durchzusetzen. Die Theologie handelte und handelt vom Heil und der Vollendung der Menschheit. Vermöge dieser Ausrichtung war für alle drei Fakultäten ein zirkuläres Verhältnis zwischen Theorie und Praxis wesentlich und angelegt. Wenn es auch Professoren der Medizin gegeben hat, die wie Scholastiker sich für zu gut hielten, sich mit dem konkreten Patienten zu befassen, so ist doch ein Professor der Medizin undenkbar, der nicht auch Arzt ist. In der Jurisprudenz ist die Rechtsprechung niemals die bloße Exekution vorausgehender Theorien und Erkenntnisse gewesen. Vielmehr haben sich immer der Professor (früher mehr der Doktor) der Rechte und der Richter von Rang auf der gleichen Ebene verstanden und im wechselseitigen Austausch gewirkt. Dem hat solange auch die Einbettung der akademischen Theologie in die regionale Praxis und die kommunitäre Erfahrung der Kirche entsprochen. Dieses Verhältnis löst sich jetzt für die Theologie, die weder regiminal verantwortlich noch kommunitär gebunden ist. Die Anlehnung an das Ständewesen ersetzt das nicht.

Inzwischen hat die Entwicklung der Kommunitäten und ihres Verhältnisses zur Großkirche einen Punkt erreicht, an dem eine objektive Bestandsaufnahme der Merkmale der ersteren und eine Klärung des Verhältnisses beider möglich und sinnvoll geworden ist.

 

2. Die ekklesialen Merkmale der neuen Kommunitäten und ihre kirchenrechtliche Stellung im Bereich des europäischen Protestantismus

1. Die Entstehung zahlreicher Kommunitäten im gesamten Bereich des europäischen Protestantismus als der historischen Basis der reformatorischen Kirchen weist diese Bewegung als eine objektive und von zufälligen persönlichen Initiativen unabhängige Bewegung aus. Die Differenz zwischen

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ordensmäßigen Lebensgemeinschaften und in der Welt lebenden Bruderschaften ist dabei nicht entscheidend, ebensowenig die trotz allem deutliche Konfessionsdifferenz auf der jeweiligen regionalen Basis.

2. Diese Gemeinschaften sind autonome Bildungen, in denen regelmäßig einzelne pneumatische Persönlichkeiten sich mit einer Kerngruppe verbinden. Sie bilden dabei eigene Verfassungsstrukturen. In diesen verbindet sich die geistliche Autorität personaler Leiter (Prioren, Älteste) mit einer konventualen Gemeinschaft. Autorität und Bruderschaft tragen sich gegenseitig ohne grundsätzliche Schwierigkeiten mindestens in dem Maße, in dem die Überschaubarkeit des Bestandes erhalten bleibt. Bei größerer Ausdehnung treten dem Leiter gewählte Räte zur Seite. Ihre spezifische Versammlungsform ist — anstelle Konzil, Synode, congregatio in den anderen Lebensformen der Kirche — der (geschlossene) Konvent.

3. Diese Gemeinschaften erkennen ohne Vorbehalt die Legitimität der verfaßten Volkskirche an. Im Gegensatz zu vergleichbaren Bildungen, etwa des Pietismus, aber auch gelegentlicher Äußerungen Luthers verstehen sie sich nicht als ecclesiola in ecclesia, als Kirche in der Eigentlichkeit. Die Vergleiche und Ableitungen aus diesem Gedanken sind unzutreffend. Die entschiedene Zuwendung zur kirchlichen Dienstverpflichtung ist die positive Folge eines dialektischen Verhältnisses. Wenn die heutigen Kommunitäten ecclesiolae in ecclesia wären, so wären sie unnütz, und die reformatorischen Kirchen hätten ihre eigene Irreformabilität unter Beweis gestellt.

4. Eine Verbindung zur Lebensgemeinschaft bedingt eine gestufte Mitgliedschaft, d.h. eine Probezeit zur beiderseitigen Klärung. Eine solche wurde anfänglich in den reformatorischen Kirchen als eine anstößige Neuerung angesehen.

5. In Verbindung mit der Spiritualität gemeinsamen Lebens stellen sie sich externe Aufgaben und sind nach ihren Möglichkeiten bereit, solche Aufgaben in der Kirche auch auf deren Hinweis zu übernehmen.

6. Unter Waldung ihrer Autonomie sind sie bereit, in ein geordnetes Verhältnis zu ihren Ursprungskirchen zu treten, Kuratoren und Visitationen anzunehmen. Dieses personale Vertrauensverhältnis zu Repräsentanten der institutionellen Kirche schließt jedoch eine direkte Jurisdiktion in personalen und Sachfragen aus. Konflikte können und sollen ausgetragen, aber nicht autoritativ entschieden werden.

7. Alle diese Gemeinschaften sind unter Bejahung ihrer geschichtlichen Grundlage ökumenisch offen und unter Vermeidung formeller Konflikte auch offen für die Mitgliedschaft über die Konfessionsgrenzen hinaus. Überall wird jedoch der Gedanke einer dritten Konfession abgelehnt.

8. Der Vorrang der praxis pietatis vor der theologischen Reflexion schließt die theologische Arbeit nicht aus, wie Taizé und die Michaelsbruderschaft zeigen, die insoweit in die historische Funktion der Ordenstheologie eingetreten sind.

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9. Eine übergreifende Typologie dieser Kommunitäten und eine unmittelbare Mitgliedschaft über die einzelne Kommunität hinaus in der ökumenischen Form der alten Orden besteht (abgesehen von der Erneuerung von Ordenstradition in der Kirche von England) nicht. Partikularität und mangelnde Bodenfreiheit weisen sie als echte Erben reformatorischer Traditionsschwächen aus.

10. Dies alles zeigt eine bemerkenswerte spontane Gemeinsamkeit. Dem Verhältnis zu den Großkirchen entspricht auf der anderen Seite ein offenes Verhältnis zu den unverfaßten Bewegungen und der großen Schar engagierter christlicher Jugend.

Aufgrund dieser Neubildungen sind auch bereits in einzelnen Kirchengebieten kirchenrechtliche Regelungen getroffen worden. So in der Kirche von England mit einem Advisory Council für die Orden, mit der Recherche communitaire in der evangelische Kirche in Frankreich, mit der Bestellung des Altbischofs von Württemberg, Class, zum Bevollmächtigten für die Kommunitäten im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland. Als erste Kirchenverfassung spricht die Ordnung der Lutherischen Kirche in Nordelbien Kommunitäten die Synodalfähigkeit zu (vergleichbar mit der Synodalfähigkeit von Ordensoberen im Ökumenischen Konzil der Römischen Kirche). Diese Regelung beruht auf einer Anregung aus dem französischen Protestantismus.

Eine kirchenrechtlich und ökumenisch singuläre Erscheinung stellt das Abkommen der Evangelischen Michaelsbruderschaft mit dem Bistum der Altkatholiken in Deutschland dar, welches von der Utrechter Altkatholischen Bischofskonferenz rezipiert worden ist und die Vollmitgliedschaft von Altkatholiken in der Bruderschaft erlaubt. Nach der Konfessionskunde von Algermissen ist diese auf einer theologischen Grundsatzerklärung beruhende Regelung die weitestgehende kirchenrechtliche Verbindung zwischen einer Kirche der bischöflichen Sukzession und einer Gruppe aus Kirchen ohne Sukzession, wobei die strukturelle Differenz zwischen Kirche und Kommunität zu beachten ist.

Die Gesamtbewegung stellt eine Art Kompensation gegenüber volkskirchlichen Gemeinden dar, die bei ihrer notwendigen Offenheit die Gemeinschaft des Glaubens nicht deutlich genug zu verwirklichen vermögen. Bekannt und trotzdem nicht zulänglich beachtet ist, daß sämtliche Gemeinschaften über die Gebetsordnung hinaus entscheidend von der eucharistischen Gemeinschaft getragen sind. Dies trifft sich mit der Tatsache, daß die christliche Jugend der ganzen Welt sich heute spontan auf dieser Basis begegnet. Aufgabe und Anspruch der verfaßten Kirche, die Sakramente rite zu verwalten, hat die Einsicht verhindert, daß die Dystrophie des sakramentalen Lebens in den reformatorischen Kirchen sowohl ein Anlaß und Motiv für die Kommunitäten als auch eine objektive Differenz zwischen ihnen und der Großkirche bildet. Hier zeigt sich, daß das Festhalten der „res” noch nichts über den „modus” und die Proportion, über den Sitz im Leben selbst aussagt.

Die oben beschriebene Anerkennung der Kommunitäten in großen

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Kirchengebieten kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der ekklesiale Ort und damit die kirchenrechtliche Stellung der Kommunitäten noch nicht grundsätzlich geklärt ist. Dies hat sich bei zwei Gelegenheiten gezeigt.

Die Texte des Berichtsheftes über die Visitation der fränkischen Kommunitäten durch die Bischofskonferenz der VELKD „Modelle gelebten Glaubens — Zur Sache” 7 zeigen die Ungeklärtheit dieser Lage. Hier wird mit dem flachen und undefinierten Begriff der Sozialität operiert. Zahlreiche namhafte lutherische Theologen werden zitiert, ohne die theologischen Unterschiede zwischen ihnen zu klären. Überraschend wird das Ganze mit folgender Aussage im Widerspruch zwischen Wohlwollen und grundsätzlicher Kritik unter Berufung auf die bisher durchgängig als heterodox beurteilte Ekklesiologie Richard Rothes abgeschlossen:

„Wo diese Gruppen — etwa grundsätzlich im Sinne Rothes — ein Leben in Freiheit ihrer besonderen Ausprägung bei dennoch vorhandener Einbindung in die Kirche führen, tragen sie in ihrer Differenzierung geistlicher Existenz aus dem Glauben zum inneren Reichtum der Kirche bei und sind unverzichtbare Äußerung der sozialen Gestaltung von Glaube.” 8
„Die verschiedenen evangelischen Kommunitäten und Bruderschaften stehen in unterschiedlichem Verhältnis zu den verfaßten Landeskirchen. Diese wiederum haben auch wegen ihrer volkskirchlichen Vielfalt, vor allem aber wegen der theologischen Spannweite des Kirchenbegriffs, die von der um Wort und Sakrament versammelten Schar bis zur universalen Kirche des dritten Glaubensartikels reicht, daran festzuhalten, daß die Kirche weiter ist als die Kommunitäten.” 9 (!?)
„Die grundlegende Funktion der Rechtfertigungslehre kommt nicht von ungefähr.” … „Dies ist die einzigartige, unverwechselbare Grundlage des christlichen Glaubens, nicht die Lebensregeln religiöser Gemeinschaften, wie sie sich quer durch die Religionsgeschichte in großer Vielfalt und mit ungezählten Analogiebildungen finden lassen.
Dieser Ansatz bedeutet nun allerdings eine radikale Problematisierung jeder Suche nach einer ekklesialen Sozialität des Glaubens. Kann der Zuspruch der Gnade anders laut werden als in der mündlichen Verkündigung des Wortes Gottes? Kommt dieses Wort nicht stets zu dem einzelnen Hörer, den es in seinem Gewissen trifft? Is der Rechtfertigungsglaube nicht unvertretbar, individuell, höchster Austrug der Subjektivität, weil der einzelne allein vor dem richtenden und rettenden Gott steht?” (117)
„Wir sind genötigt, mit radikaler Schärfe danach zu fragen, ob es überhaupt eine theologische Brücke zwischen der fundamentalen Lehre von der Rechtfertigung und einer gemeinschaftlichen praxis pietatis gibt. Auch wenn die ekklesiale Sozialität des christlichen Glaubens aufgewiesen ist, bleibt ekklesiale Sozialität der lutherischen Spiritualität noch ein eigenes Problem. Dennoch führt die Rechtfertigung den Menschen nicht in die Vereinsamung, sondern in die Kirche. (W. Elert)” (118 f.)

Es wird eine radikal individualistische Auslegung der Rechtfertigungslehre

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vorgetragen und die Kommunität auf den Willen ihrer Glieder zurückgeführt, als Kirche zu leben. Die Regeln des geistlichen Lebens werden abschätzig als „bloße Religion” dargestellt.

„Der Rechtfertigungsglaube, der nicht durch ,eigene Bereitung’ erworben und nicht durch fromme Übung bewahrt werden kann, kommt ja aus der Predigt, er ist nichts als das Ja zum Zuspruch des Evangeliums. … Erst wenn die Dimension des Lebens aus dem Wort der Rechtfertigung klargestellt ist, kann sich der Blick dem Zusammenleben als Kirche zuwenden, um dann schließlich auch auf das praktische ,Arrangement’ zu sehen, das in großer Vielfalt, als Landeskirche, als Kommunität oder wie immer, zu treffen ist.” (121)

Die Beurteilung bleibt zweideutig. Es ist der (letztlich freie) Wille der Glieder, also eine Art Werk, es ist nur ein Epiphänomen, eine Folgeerscheinung, als welche dann sogar die verfaßte Kirche selbst erscheint.

Auf eine sehr widersprüchliche Weise setzt sich Bischof Wölber mit dem Phänomen der Kommunitäten als Frage der Pneumatologie auseinander. Er sagt:

„Hendrikus Berkhof hat darauf aufmerksam gemacht, daß es im Neuen Testament zwei Haupttypen des geistlichen bzw. spirituellen Lebens gibt. Der eine Typ weiß sich strikt an den historischen bzw. kerygmatischen Jesus gebunden. Berkhof (dagegen?) beruft sich auf Stellen wie Johannes 14, 26: ,Der Heilige Geist wird euch alles lehren und euch erinnern alles des, was ich euch gesagt habe’ oder I. Korinther 12, 3: ,Niemand kann Jesus den Herrn heißen ohne durch den Heiligen Geist.’ Calvin hat das in seiner Institutio sozusagen klassisch formuliert: ,… Der Heilige Geist ist das Band, durch das Christus uns wirksam mit sich vereinigt.’ Es geht also um eine strikt christozentrische Pneumatologie. Geist gibt es niemals neben oder über das Wort Jesu hinaus.
Die Confessio Augustana enthält nicht einmal einen Artikel über den Heiligen Geist (!). Natürlich wirkt der 3. Glaubensartikel ständig in den Aussagen mit (!). Die ganze lutherische Situation kennzeichnend, die sich auf der Linie entfaltet, die Berkhof zuerst gekennzeichnet hat, heißt es in CA V bekanntlich vom Predigtamt: …” 10 (59/60)

Offensichtlich handelt es sich um eine Differenz zwischen einer pneumatologisch und einer — im Sinne der Worttheologie — christologisch begründeten Konzeption.

Die angeblich vorhandene zweite Weise des spirituellen Lebens im NT als die anschließend dargestellte lutherische Haltung zum Problem ist also nur eine der beiden möglichen — er nennt sie eine „Exegeten-, Theologen- und auch Disputationsspiritualität” — ohne die geschichtliche und schichtenspezifisch begrenzte Bedeutung dieser Frömmigkeit wahrzunehmen. Tatsächlich liegt gerade zwischen Calvin, Barth11 und Berkhof einerseits, CA V und Wölber andererseits ein spezifischere, hier relevanter Gegensatz. Denn in Wirklichkeit hat der Calvinismus von jeher von seinem Begriff und Zeil der Heiligung

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her die Tendenz zur Bildung aktiver Minderheitsgemeinden — gerade auch innerhalb der volkskirchlichen Gemeinden — gehabt, eine der lutherischen Tradition entgegengesetzte Motivation. Luthers Stellungnahme zu Lambert von Avignon12 ist nur so zu verstehen.

Die spontane Zuwendung der Kommunitäten zum Abendmahl wird als solche überhaupt nicht gesehen und gewertet (weil ja ein dogmatischer Konsens über die Sakramente vorliegt). Etwas anderes, Neues gegenüber den tradierten Lösungen kommt nicht vor.

In dem Sammelband „Bekenntnis des einen Glaubens” aus Anlaß des Jubiläums der Confessio Augustana wird eine Revision der Aussagen des Artikels XXVII der CA über die Orden vorgenommen. Es wird anerkannt, daß die Aussagen dieses Artikels dem Wesen und der Bedeutung des Ordenslebens nicht gerecht werden.

Dabei geht es sowohl um Inhalt, Tragweite und rechtliche Verbindlichkeit der Gelübde als auch um die Wertung des ehelosen Standes. Nach Matth. 19, 12 kann nicht geleugnet und ausgeschlossen werden, daß es einen Eheverzicht aus geistlichen Gründen gibt und geben kann. Er wird nicht verworfen. Er wird als eine pneumatische Entscheidung ausgelegt, welche mit der schöpfungsmäßig vorgegebenen Geschlechtlichkeit aller Menschen nicht im Sinne strikter Logik ausgeglichen werden kann. Zugleich ist es eine Entscheidung einzelner, eine Minderheit, eine Entscheidung, die nicht gefordert werden kann, am wenigsten gesetzlich. Es ist vielmehr eine eschatologische Existenz in proleptischer Form. Ein Protestantismus, der Kierkegaard mit Recht als eine bedeutsame Gestalt anerkennt, kann angesichts seines antiinstitutionellen Mönchtums „im einzelnen Fall” dieses Problem nicht von sich weisen.

Nichts hat der Sicht dieser Fragen so verdeckt wie die zwischeneingekommene Vorstellung von einer Höherwertigkeit des Mönchtums und womöglich seiner Verdienstlichkeit. Denn die aus spekulativem und scholastischem Denken stammende Stufenvorstellung verdeckt gerade die dialektische Andersartigkeit und damit zugleich den eschatologischen Charakter dieses Weges.

Erst heute kann wieder erkannt werden, daß Ehe und Ehelosigkeit einander ergänzen. Die Ehe verweist jeden Christen, auch den ehelosen an die Schöpfung und umgekehrt die Ehelosigkeit den unter dem Gesetz der Geschlechtlichkeit Lebenden auf die letzten Dinge. Dieses Verhältnis stellt sich heute als eine Komplementarität dar. Bekanntlich ist die Komplementarität in einer bedeutenden Debatte über die theologische Ethik zur Lösung unbehebbarer Widersprüche verwendet worden, ohne daß damit eine abschließende Klärung des Problems beansprucht wurde. Die Ausnahmelosigkeit der klassischen Physik ist jedenfalls nicht das Gesetz Gottes.

Mit jener Durchgängigkeit aber wäre hier die Reformation in der Bekämpfung eines falschen, sich von seinem eigenen Sinn entfernenden Verständnisses unter das fremde Gesetz eines unbiblischen Weltverständnisses geraten. Das paulinische „Haben als hätte man nicht” — kaum vollziehbar — wird zum bloßen

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Postulat, während die Dialektik differenter Lebensformen unverstanden zerstört wird.

Dies war aber zugleich und unmittelbar eine geschichtliche Option für eine bestimmte soziale und rechtliche Gestalt. Es ist nicht der Ausgang in die Freiheit des Christenmenschen, sondern dessen Bindung an eine bestimmte innergeschichtliche Verstehensform. Denn diese Allgemeingültigkeit führt zur Monoformität der christlichen Existenz in der Form der Alleinigkeit der Gemeinde. Es bedeutet zugleich, daß es für den Christen als solchen nur Vereine gibt. Der Christ hat die Freiheit, sich für Mission oder Diakonie zusammenzufinden, bestimmte Aufgaben wahrzunehmen (adunatio ad unum faciendum — im Sinne des scholastischen Begriffs von societas). Aber das Wesen des Vereins ist die jederzeitige Rücknehmbarkeit der Bindung. Der Christ wird zum Kirchenbürger, der sich auch zusammentun kann.

Es zeigte sich in der Erörterung zu allererst, daß die traditionell im Vordergrund stehenden Fragen (Werkgerechtigkeit, Vorrangigkeit, Gelübde) hier gegenstandslos sind. Unschwer war die obsolete Frage auszuscheiden, ob mit Mönchtum und Kommunität der Gedanke der Verdienstlichkeit verbunden sei. Im Gegenteil zeigte sich, daß längst versäumt worden ist, die veränderte geistliche Situation zur Kenntnis zu nehmen. Die erneuerte Erörterung der Verdienstlichkeit usw. kann nur die theologische Kompetenz der Verhandlung in Frage stellen. Die Situation des heutigen Gesprächs wäre eine andere, wenn die lutherische Kirche statt dogmatischer Betrachtung historischer Texte ihre eigenen Erfahrungen mutatis mutandis zu Rate gezogen hätte. Die Bildung der Diakonissenschwesterschaften hatte längst gezeigt, daß die Bildung solcher Gemeinschaften den Glauben voraussetzt, diesen Glauben aber zur geistlichen Gemeinschaft und zu gemeinsamem Dienst aufruft. Beide Berufungen stehen nicht im Widerspruch. Sodann hätte sich ergeben, daß die Verbindlichkeit der Gelübde längst eine, wenn auch differente Klärung gefunden hat. Die Kommunitäten bejahen mit Bestimmtheit die Institutionalisierbarkeit dieser Verpflichtungen. D.h.: in sollender Form wird eine geistliche Verpflichtung (Gelöbnis) übernommen, welche damit zugleich eine Vollmitgliedschaft in fester Bindung begründet. Die Untersuchung stellt fest, daß die existentielle Verbindlichkeit als solche nicht in Frage gestellt werden kann. nach der Interpretation: „In diesem Punkt konvergieren die evangelischen Kommunitäten meist stärker mit den katholischen Orden als mit der allgemeinen Meinung im Luthertum” (318), stellen genauer betrachtet die Kommunitäten eine Mittelposition dar — gleich weit entfernt von einer sakramentalen Deutung und einer vereinsmäßigen Auffassung. Das in Aussicht genommene weitere Gespräch wird diese Situation nur noch präzisieren können. Ein einfacher Hinweis auf säkulare Erfahrungen hätte diese Frage erleichtert. Daß selbst eine Studentenverbindung mit der Verpflichtung auf eine Lebensgemeinschaft und eine bestimmte Haltung einen anderen Bindungsgrad enthält als die jederzeit zurücknehmbare Verpflichtung des Willen zu einem bestimmten Tun im bürgerlichen Verein, hätte zu denken geben müssen. Die Abklärung der Positionen

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wird zeigen, daß der Tatbestand in einem gewissen Sinne nicht objektivierter ist. Fraglich muß sein, ob der Mensch in dieser Weise eine Verpflichtung coram Deo im Sinne absoluter Verbindlichkeit übernehmen kann. Jedoch so wenig wie das einmal übernommene und verliehene geistliche Amt kann man eine solche Bindung aus bloßer Willkür jederzeit aufgeben. Aber es kann geistlich bedeutsame Lebenswendungen und Führungen geben, vermöge deren der Betreffende in eine andere, genauer in die allgemeine Lebensform des Menschen auch als Christ und gerade als Christ zurückkehrt.

Die entscheidende Frage:„Werden die evangelischen Kommunitäten (Bruder- und Schwesterschaften) so wie die katholische Orden als Gemeinschaften der Kirche verstanden und in welchem Sinn? Ist der ekklesiale Charakter der Gemeinschaften — dort, wo er angenommen wird — nur eine Frage der Kirchensoziologie oder auch der Kirchentheologie im strengen Sinn?” 13 ist sowohl im Visitationsbericht wie hier offengeblieben.

Sie wird nicht nur nicht beantwortet, sondern noch nicht einmal in ihrem Gehalt und ihrer Tragweite erkannt. Es liegt dieser Haltung eine soziologisch wirksame, unbewußte Grundentscheidung voraus, welche nicht erst die Antwort, sondern schon die Frage als solche verstellt. Diese ist sarkastisch in der früher zitierten Äußerung dargestellt, wonach für Lutheraner Gemeinschaft immer nur eine soziologische Größe darstellt. Mit der Prüfung der ekklesiologischen Stellung und damit des kirchenrechtlichen Anspruchs der Kommunitäten auf Anerkennung ist jedoch eine Frage an die reformatorischen Kirchen selbst gegeben.

Der Kampf gegen die extreme Auslegung der Mönchsgelübde verdeckte, daß es um die Frage ging, ob es überhaupt besondere pneumatische Berufungen des Glaubenden zur Gemeinschaft und deswegen geistliche Verpflichtungen geben könne. Diesen Kern der Sache hat die Reformation nicht aufgedeckt.

Theoretische, gelegentlich aufzufindende Bejahungen der Bruderschaften sind als eine folgenlose Gedankenbildung belanglos.

Nachdem die lutherische Bewegung von der Kritik am Ordenswesen ausgegangen ist, droht ihre eigene Theologie an einem bescheidenen und in seiner Ausdehnung und Bedeutung sicherlich begrenzten Phänomen nach 500 Jahren zu scheitern. Es ist nichts weniger als die Frage, ob die Aussagen in Art. V CA über die Verbindung von Wort und Geist aufrechtzuerhalten sind. Denn sie würden bedeuten, daß das Wort in beiderlei Gestalt und der Geist eng verbunden, dieser auch mächtig erscheint, dem einzelnen charismata zu verleihen. Ausgeschlossen würde dann aber durch die exklusive Interpretation der Rechtfertigungslehre die Anerkennung eines pneumatischen Geschehens in dem Aufruf, der Berufung zur Vereinigung und Wirksamkeit in einer Weise, die nicht von vornherein allgemein und öffentlich ist. Diese Einschränkung auf bestimmte soziale Formen würden den Geistbegriff des Augsburgischen Bekenntnisses theologisch in Frage stellen. Der Geist würde hier analogisch in die

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Nähe des „für alle geltenden Gesetzes” geraten, welches zwar für alle und dann wiederum jeden einzelnen — und damit als Gesetz der Freiheit! — gilt, dazwischen aber keine anderen legitimen Lebensformen kennt. Es würde sich sowohl historisch eine Anpassung an ein bürgerliches Lebensverständnis wie denkerisch an eine bestimmte Interpretation des Vernunftbegriffes ergeben. Das Wort ist alles und der Glaube des je einzelnen. Für das 16. und 17. Jahrhundert ist dies noch durch ständische und ordnungstheologische Gedanken überlagert und tritt erst allmählich nach dem Abbau dieser historisch bedingten Lebensformen hervor. Das egalitäre Motiv tritt aber auch in der Darstellung Heckels hervor.

Während nach Carl Schmitt die präzisen Begriffe der Staatslehre säkularisierte Begriffe der Theologie sind, würde der Formenbestand christlicher Existenz umgekehrt die Spiritualisierung einer säkularen Konzeption, einer egalitären Struktur sozialen Lebens und Denkens bedeuten. Die Unterstellung des gesamten Lebens unter Gesetz und Evangelium würde dann heißen, daß das Evangelium in die soziologische Analogie des bürgerlichen Gesetzes mit seiner Vernunftmetaphysik gebracht wird, daß also die theologische Bewegung in ihrer ekklesialen Gestalt das Gegenteil dessen erreicht, was sie selbst als unabdingbare Forderung vertreten hat. So erklärte sich dann die strenge Egalität des Amtes wie die grundsätzliche Allgemeinheit der gemeindlichen Lebensform. Aber das NT kennt Gleichheit und Ungleichheit nebeneinander. Sie steht über dieser Antithese.

Wenn also in beiden Untersuchungen die pneumatische Bedeutung des Tatbestandes bisher nicht ins Bewußtsein getreten ist, so steht die praktische Konsequenz in den beschriebenen Bildungen einer sinngemäßen Lösung schon wesentlich näher.

Das II. Vatikanische Konzil hat auch zum Ordenswesen Aussagen gemacht und eine Revision der betreffenden kirchenrechtlichen Regelungen in die Wege geleitet. Die früheren Dekane der kanonistischen Fakultät der Päpstlichen Universität Gregoriana, Beyer und Huizinga, haben anerkannt, daß diese Neuregelungen im Vergleich zu anderen Lebensgebieten am besten die Intentionen des Konzils verwirklicht haben. Auf der Centenar-Feier der Universität 1977 wurden unter Vorsitz des zuständigen Kardinals Pironio diese Fragen mit dem Ziele differenzierter Einordnung gerade der neueren Gemeinschaftsformen der sog. Säkularinstitute behandelt.

Bischofskonferenz, Kirchenamt und Bekenntnistheologie haben sich alle Mühe gegeben, das Phänomen der Kommunitäten zutreffend zu erfassen. Doch war es deutlich mehr Pflicht als Neigung. Von dem spontanen Verständnis einer Kongenialität ist kaum etwas zu merken. Verdacht und Vorbehalt, Verständnis und Mißverständnis, Sachlichkeit und Wohlwollen überlagern sich. Die Visitation spiegelt den Alltag der Konfession: das Votum der Theologen den Feiertag der Ökumene. Beider Ergebnis ist befremdend und enttäuschend. Wem man es vorhält, empfindet dies auch und räumt es ein. Vermerkt oder kritisiert worden ist es jedoch nirgends.

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Methode und Inhalt der Texte ist auffällig verschieden. Die Theologie vermeidet dabei die deutlichen Fehlleistungen der Visitation. Trotz dieser Divergenz kommen beide zur vollständigen Deckung. Noch niemals hat wohl eine so bescheidene, gutwillige Bildung ohne Protest und Programm die eigene Kirche in solchem Maße zur Selbstdarstellung veranlaßt. Das Ergebnis bedeutet: keine Pneumatologie, keine Entscheidung, keine communio. Der scharfe Umriß der konfessionellen Position entspricht den an anderer Stelle und auf anderem Wege hier gewonnenen Einsichten.

 

Anmerkungen zu Kapitel XII

1 Hans Dombois, Referat „Kirche und Kommunitäten” vor der Kirchenrechtlichen Arbeitsgemeinschaft in Heidelberg vom 8. bis 10. 7. 1977.
2 Bernhard Lohse, Luthers Kritik am Mönchtum, in: EvTh 20 (NF 18) 1960, 413-432.
3 Das Luther-Zitat lautet:
„Sed et s. Franciscus, vir admirabilis et spiritu ferventissimus, sapientissime dixit, Regulam suam esse Euangelium Ihesu Christi … Falsus tamen est vir sanctus vel multidudine contemnentium Euangelium in mundo, vel operatione erronea Papisticae confirmationis et approbationis captus, ut commune Euangelium cunctis fidelibus faceret singularem regulam paucorum, et quod catholicum esse Christus voluit, traheret in schismaticum …” (Martin Luther, De votis monasticis Martini Lutheri iudicium, in: WA 8, 579, 26 ff.; vgl. hierzu Bernhard Lohse, a.a.O., 417).
Vgl. hierzu auch: Bernhard Lohse, Mönchtum und Reformation, Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Bd. 12, Göttingen 1963 und Dombois, Mönchtum und Reformation, in: ders., Evangelium und soziale Strukturen, Witten 1967, 203-213, hier: 205.
4 Harding Meyer/Heinz Schütte, Confessio Augustana. Bekenntnis des einen Glaubens, Paderborn/Frankfurt 1980, bes. 281 ff.
5 Vgl. hierzu das Referat von Arnold Bittlinger, Charismatische Erneuerung der Kirche, in: Lutz Mohaupt (Hg.), Modelle gelebten Glaubens, Zur Sache — Kirchliche Aspekte heute 10, Hamburg 1976, 78-89.
6 Wilhelm Jannasch, Art. Bruderschaften, III. 2a), in: RGG, Tübingen 31962, Bd. I, 1430.
7 Lutz Mohaupt (Hg.), Modelle gelebten Glaubens, Zur Sache — Kirchliche Aspekte heute, Hamburg 1976.
8 Johannes Hanselmann, Soziale Gestaltung von Glaube, in: Lutz Mohaupt, a.a.O., 9-37, hier: 28.
9 Lutz Mohaupt, Spiritualität als Leben aus der Rechtfertigung — Zusammenfassung des Gespräches, in: ders., a.a.O., 108-141, hier: 116.

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10 Hans-Otto Wölber, Spiritualität — Das Gebet des Gerechtfertigten, in: Lutz Mohaupt, a.a.O., 55-77, hier: 59 f.
11 Vgl. hierzu Kap. II zu Barth (Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV/1, Zürich 1955).
12 Vgl. RdG II, 136, 152, 237.
13 Bernhard Lohse/K.S. Frank u.a., Mönchtum, in: Harding Meyer/Hein Schütte, Confessio Augustana, Bekenntnis des einen Glaubens, Paderborn/Frankfurt 1980, 281-318, hier: 318.