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Kapitel III

Rechtfertigender Glaube und Taufe — zur Tauflehre der lutherischen Bekenntnisschriften

Die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben und der Glaube selbst hängen unmittelbar mit der Taufe zusammen. Rechtfertigung und  Taufe sind unstreitig in den Schrifttexten wie in der Sache von Grund auf mit rechtlichen Elementen verbunden und ohne sie nicht zulänglich zu interpretieren.1 Daraus müßte sich eine Verhältnisbestimmung, eine darstellbare Beziehung ergeben. Rechtliche Aussagen müssen kommensurabel sein. Rechtliche Phänomene können nicht als einzelne außerhalb eines sozialen und denkerischen Sinnzusammenhanges verstanden werden. Der Versuch indessen, das Verhältnis beider zu klären und systematisch zu verknüpfen, ist theologisch wie rechtlich nicht oder nur in einem unzureichenden Maße gemacht worden.

Dinkler faßt in dem Tauf-Artikel der RGG die für diese Frage bedeutsamen exegetischen Ergebnisse wie folgt zusammen:

„Notwendig stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Taufe, da letztere mit der Geistgabe verbunden ist und Glaube als Geschenk der Gnade ohne Wirkung des Geistes undenkbar ist. Paulus hat offenbar die Spannung von Wort und Sakrament nicht empfunden und deshalb nicht als Problem angefaßt. Beim Wort der Verkündigung wie bei der Taufe geht es Paulus um Gottes und Christi Präsenz (2. Kor. 5, 20; 1, 21 f.) und damit um die Gegenwart des Heilsgeschehens im Jetzt (2. Kor. 6, 2). Zweifellos ist der Glaube Voraussetzung der Taufe; nur deshalb kann mit dem Taufakt ein Glaubensbekenntnis verbunden werden (Röm. 10, 9). Will man differenzieren, so läßt sich dies schwerlich in der Weise tun, daß man auf Grund von 1. Kor. 1, 17 die Wertung der Taufe bei Paulus der der Wortverkündigung unterordnet. Eher läßt sich sagen, daß die Antwort des Glaubens in der Taufe als bindendes Ja Gottes durch die eschatologische Gemeinde ,versiegelt’ wird, daß der Täufling durch Gott dem Kurios ,notariell’ übereignet und durch die Geistgabe angenommen wird.” 2

Daraus ergibt sich vor allem, daß der Apostel Paulus zwischen Glaube und Taufe, zwischen Wort und Sakrament keinen Gegensatz gesehen hat. Wenn er die Spannung zwischen beiden nicht artikuliert hat, so muß es für ihn trotz dieser Diversität eine Brücke des Zusammenhanges gegeben haben, vermöge deren für ihn objektiv-theologisch und im subjektiven Verständnis eine positive Beziehung vorgegeben war. Wer diese Spannung deutlicher empfindet als er, muß — solange die Heilige Schrift als norma normans verstanden wird — davon ausgehen, daß es diese Brücke über eine nicht auzufüllende Tiefe gibt und daß sie von beiden Seiten begehbar ist. Keinesfalls aber können beide Begriffe und ihr Inhalt ohne diese Rückbeziehung jeweils isoliert oder als Folgeverhältnis behandelt werden. In den Texten der lutherischen Bekenntnisschriften

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von der CA über die Apologie bis zu den Katechismen besteht jedoch zwischen der Rechtfertigungslehre und der Tauflehre anstelle einer expliziten Verbindung ein deutlicher qualitativer Unterschied. Die Rechtfertigungslehre, die Dialektik von Gesetz und Evangelium und zu allererst der Begriff des Wortes haben eine dominierende Bedeutung und werden mit wegtragenden Folgen entwickelt. Im Verhältnis dazu erscheinen die Aussagen über die Taufe komplex und in gewissem Umfange inkongruent und widersprüchlich.

Dies beginnt bereits mit Luthers Bibelübersetzung. Die Übersetzung „im Namen” (Matt. 28, 19) ist unbestritten falsch und neuerdings durch die fragwürdige „auf den Namen” ersetzt worden. Diese im Apparat des Nestle-Textes vorbehaltene Berichtigung ist jetzt im Text der ökumenischen Übersetzung vorgenommen worden.

Es gibt freilich Motivationen für diesen auffallenden Fehler. Das erste Motiv ist die Verteidigung der göttlichen Stiftung der Taufe als solcher, ihre Interpretation als Sakrament und die Betonung ihrer Heilsnotwendigkeit. In einer vom Nominalismus beeinflussten Geisteslage mußte herausgestellt werden, daß es sich hier um ein von Gott legitimiertes Handeln handelt — eine für Apostel und Evangelisten von vornherein selbstverständliche Voraussetzung. Anders die CA und Apologie. Zwei Drittel der einschlägigen Texte befassen sich, zum Teil in ermüdender Länge, mit der Verteidigung dieser Positionen gegenüber den Wiedertäufern und gegen etwaige katholische Unterstellungen, die Reformation sei solchen Bestrebungen geistesverwandt. Das bloße „Daß” der Setzung wird auf diese Weise wichtiger als die Aussage der biblischen Texte über das Taufgeschehen selbst.

Das zweite Motiv liegt in den Schwierigkeiten der deutschen Sprache. Selbst das späte Koiné-Griechisch des Neuen Testaments kann das Verständnis voraussetzen, daß in den Namen (eis to onoma) getauft werde, weil hier noch Name mehr ist als Bezeichnung: es ist die Wirklichkeit der numinosen Macht im Namen. So kann das „eis”, das „Hinein”, die Integration in diesen Machtbereich ausdrücken und auch so verstanden werden. Der deutsche Leser und Hörer jedoch vermag das nicht mehr. Wenn der Übersetzer also textgetreu von der Taufe „in den Namen” spräche, müßte er dem Hörer eine Reflexion darüber zumuten, was diese ungewöhnliche Wortverbindung zu besagen hat. Die Übersetzung „auf den Namen” bedeutet primär: den gleichen Namen verleihen. Sie kann damit eine gewisse, aber unbestimmt bleibende Identifikation ausdrücken. Aber das ist unzweifelhaft nicht gemeint. Er erweist sich hier einmal mehr, daß die Exegese fremdsprachlicher Texte keineswegs eine Ausschöpfung der Muttersprache verbürgt.3

Für diese Schwierigkeit hat sich bisher keine befriedigende Lösung gefunden. Dieses Sprachproblem leitet aber eine verhängnisvolle Entwicklung ein, welches um der Vertretung des „Daß” willen darauf verzichtet, den Inhalt des Geschehens, das „Wie”, auszusagen und zu verdeutlichen. Mit unbewußter Folgerichtigkeit aber ist gerade der integrierende, inkorporierende Charakter dieses Geschehens durch verbale Aussagen verdrängt worden.

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Merkte man hier die Absicht, wäre man verstimmt. Aber nicht die Intention, der Wille war hier wirksam, sondern der Ausfall des Organs für diese Dimension. Zugleich erlahmt damit aber auch allen Bemühungen zum Trotz deutlich das Interesse daran, neben dem Rechtfertigungsglauben einen korrespondierenden Tatbestand in der gleichen Fülle und Weite zu entfalten; es regiert unreflektiert eine Tendenz zur Konzentration auf einen zentralen Tatbestand. Diese Komplizierung und Deformation der Aussage zeigt sich schon im 9. der Marburger Unionsartikel von 1529, wo es heißt:

„Von der Tauffe
Zum Neundten, das die heilge taufe, sei ein Sakrament, das zu solchem Glauben, von got eingesetzt, Und weil Gots gebot, Ite Baptizate, und Gots verheissung drinnen ist, Qui crediderit, so ists nicht allein, ein leddig zeichen oder losung, unther den Christen, Sonder ein Zeichen und werck Gottes, darin unser glaube gefordert, durch welchen wir zum leben widder geporn werden”

Auch hier finden wir zunächst die — durch die Lage indizierte — formale, dogmatische Begriffsbestimmung als Sakrament. Problematisch wird die Aussage bereits dadurch, daß dieses „zu solchem Glauben” — nämlich an das vorweg erörterte Wort — eingesetzt sei. Auch die Berufung auf „Gottes Gebot und Verheißung” verschmilzt „Daß” und „Was” in einer Kurzformel. Auch die spätere Redewendung von der „Förderung” des Glaubens lenkt von dem proprium ab.

Wenn Luther um eines sakramentalen Realismus in der Abendmahlsfrage willen („est”, Realpräsenz) den Marburger Konsens hat scheitern lassen, so zeigt sein und der BS Tauflehre diesen Realismus nicht, sehr wohl aber die traditionellen Taufliturgien der lutherischen Kirche. In den Lehraussagen konkurrieren Nominalismus und Spiritualismus. Der Nominalismus erlaubt und fordert jene positiv-reale Härte, der Spiritualismus wirkt in Richtung auf Zeichen und Interpretation. Aber bei wirken zusammen gegen Strukturverständnis und Charakter als communio. Dem Wort aber wird eine gegenwärtige Realität und Effizienz zugesprochen, welche dem bürgerlichen und akademischen Existenzverständnis nun auch wieder entgegengesetzt ist. Dieser Gegensatz jedoch wird dissimuliert.

Die Taufe ist nicht bestimmt, den Glauben zu begründen oder ihn zu stärken. Die hier verwendeten Worten „Zeichen” oder „Losung” sind, soviel Realität man immer in sie hineinlegen will, kein Ersatz für das Verständnis des Geschehens selbst. Auch daß es ein Werk Gottes sei, betrifft wiederum das „Daß” und nicht das „Wie”. Daß dieses Geschehen nach dem Evangelium (Nikodemus-Perikope) und Paulus selbst (Röm. 6) die Hineinnahme in den Tod Christi mit einer eschatologischen Ausrichtung ist, enthält nicht die Verdoppelung, daß wird durch den Glauben, sondern eben die Aussage, daß wird durch die Taufe selbst in dieses Geschehen hineingenommen werden.

Auf die Schwäche des Artikels IX der CA hat schon Schlink in seiner Theologie der Bekenntnisschriften hingewiesen:

Zur Lehre von der Taufe. Herkommend von den einzelnen Beobachtungen

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und Fragen zur Auslegung von Röm. 6, Matth. 28, 19, Kol. 2, 11ff. und 3, 1ff., sowie zum Zeichenbegriff wäre zusammenfassend zu fragen, ob die BS schriftgemäß Christi Tod und Auferstehung als das Ereignis bezeugen, in das der Sünder durch die Taufe hineingegeben wird. Denn die Vergebung der Sünden, die Erlösung von Tod und Teufel und die Gabe des Lebens sind in der Tauflehre von dem realen Mitbegraben-werden und Mit-auferstehen mit Christo ebensowenig zu trennen, wie Vergebung, Leben und Seligkeit im Abendmahl vom Ereignis der Hingabe des Wahren Leibes und Blutes Christi am Kreuz. Demgemäß spricht die Schrift in ihren Taufaussagen stärker als die BS von dem Faktum des Todes und der Auferstehung der Getauften und zwar sowohl in perfektischen Aussagen, als auch in Erwartung des Tages des Herrn.
Es ergibt sich vom gleichen Ausgangspunkt her die weitere Frage, ob es ratsam ist, in der Wesensbestimmung der Taufe einzusetzen beim Element, anstatt bei dem Ereignis, einzusetzen beim Wasser, anstatt beim „Wassertäufen”, „Ersäufen”, Hineintauchen und Begraben in Christi Tod und Grab bzw. bei dem Tod und dem Begräbnis Christi selbst.” 4

Schalten wir auch hier in der Analyse von CA IX die Problematik der Kindertaufe und damit der Wiedertaufe aus, so beschränkt sich der Text auf zwei Zeilen. Die eine enthält die Aussage über die Heilsnotwendigkeit der Taufe; sie ist wiederum gegen die Täufer gewendet, enthält aber keine konkrete Begründung. Die zweite Zeile beschränkt sich auf die knappe Aussage, daß dadurch „Gnade angeboten” werde. Wiederum fehlt jeder Verweis auf das Wesen des Taufgeschehens selbst. Vollends ist der Begriff des „Angebots” ganz unzulänglich, wenn er nicht überhaupt wiederum auf die Problematik der Kindertaufe gemünzt ist. Der Gnadenbegriff ist hier allgemein, vieldeutig und kann additiv oder womöglich gegenständlich verstanden werden.

Um so ausführlicher ist der entsprechende Artikel der Apologie, der wiederum von der Täuferfrage dominiert wird. Dabei ist die Feststellung bemerkenswert, daß der Tauf-Artikel — auf dem Reichstag — unstrittig war. Hier wird der Gedanke des Angebots der Gnade auf alle, Erwachsene und Kinder, erstreckt und als Inhalt des Angebots die „gemeine Gnade und der Schatz des Evangelii” genannt. Auch hier läßt dieser sehr allgemeine Gnadenbegriff als Inhalt und finales Handlungsziel nichts von dem Charakter der Todesgemeinschaft und der Übereignung erkennen. Denn das Angebot bedeutet, daß jemandem etwas hinzugegeben wird, nicht aber daß er mit seiner ganzen Existenz in ein (Todes-)Geschehen hineingenommen wird.

Ausführlich ist auch die Darstellung im Kleinen Katechismus, wo die väterliche Art und die pastorale Genialität Luthers gegenüber der Dogmatik der CA durchbricht. Auch hier findet sich unbedenklich die falsche Übersetzung „im Namen”, welche offenbar nicht als problematisch empfunden worden ist. Die allgemeinen Äußerungen über Gabe und Nutzen der Taufe, Sündenvergebung, Erlösung und ewige Seligkeit, führen erst später im dritten Teil in eine inhaltliche Darstellung. Hier benutzt Luther ein Zitat aus dem Titus-Brief 3, 5-8. Es

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ist auffällig, daß ein so abgelegenes Zitat statt der direkt der Rechtfertigungsstelle in Röm. 3 entsprechenden Taufaussage in Röm. 6, 3-11, herangezogen wird. Der Entschluß, dieses Zitat anstelle der primären und original-paulinischen Aussagen zu verwenden, dürfte dadurch bedingt sein, daß hier zugleich ausdrücklich von der Rechtfertigung der Rede ist. Hier wird von dem „Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes” gesprochen, eine Sekundärformulierung gegenüber der Aussage des Römer-Briefes. Denn das entschiedene „auf daß” der Zukunft wird hier sehr viel präsentischer gefaßt als bei Paulus selbst, während die radikale Tödlichkeit dieses Geschehens durch die Positivität des Ausdrucks überdeckt wird. Man braucht sich nur Röm. 6 mit seiner Wucht und Tiefe vor Augen zu halten, um den Stil- und Niveauunterschied der Taufaussagen von Marburg bis zu den Katechismen zu empfinden. Die paulinische Theologie wird soweit dargeboten, als sie sich in der zentralen geistlichen Existenzerfahrung Luthers über Wort Gottes, Rechtfertigung und Gesetz widerspiegelt und sie bestätigt. Stiftung und Befehl, Angebot und Verheißung werden gepriesen; aber was die Taufe selbst sei, wird teils überhaupt nicht, teils in verkürzter Weise ausgesagt. Wie sie sich zum rechtfertigenden Glauben verhält, wird nicht ausgeführt, und der Glaubende veranlaßt, etwas, weil heilsam, anzunehmen, dessen Sinnzusammenhang selbst ihm nicht erschlossen wird. Auctoritas, non veritas facit fidem, quia benigna.

Der große Katechismus ändert diesen Tatbestand und Eindruck nicht. Mit großer Breite nimmt er sämtliche früheren Argumente noch einmal auf, überschreitet sie aber in keinem Punkte. Auch hier ersetzt der Titus-Brief den Römer-Brief. Beschwörend wird der Leser aufgerufen, eine — unverstandene — Gabe um ihrer Größe und Freundlichkeit willen anzunehmen.

Wir finden also eine, zum Teil verkürzte, zum Teil auf einer anderen Ebene liegende Interpretation, welche das von Dinkler hervorgehobene Verhältnis von Wort und Sakrament, vom Glauben und Taufe weder anspricht noch verständlich macht.

Die Kritik von Albrecht Peters an CA III und IV 4a trifft die Tauflehre des BS überhaupt. Durch die nominalistische Betonung des „Daß” tritt das „Wie” nur gebrochen und verkürzt in Erscheinung. Die heilbringende Zuwendung, nicht aber die Identifikation des Todesschicksals kommt zum Ausdruck. Daß die Tauflehre jedenfalls in keiner Weise den Tod Christi selbst als Leitmotiv nimmt, und die lutherische Theologie sich damit und mit einer Art Nachreichung dieses Gedankens begnügt hat, ist ein ernsthafter Anstoß, der zur Nachprüfung nötigt. Ebensoweinig tritt hervor, daß dies ein speziell und ausschließlich christologischer Tatbestand ist, der nicht „Gott” zugeschrieben werden kann, sondern konkret auf die Passion Christi zurückzuziehen ist. Hier ist die Quelle dessen, was die alte Kirche als „communio sanctorum” bezeichnet und was durch „congregatio” nicht ersetzt werden kann.

Unter diesen Umständen ergibt sich die Notwendigkeit, das Korrelationsverhältnis zwischen Glauben und Taufe als eigenes Problem herauszustellen.

Man kann das Ergebnis dieser Erwägung auch jetzt schon mit aller Schärfe

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vorwegnehmen. So gewiß die Rechtfertigung (allein) durch den Glauben geschieht, so geschieht die Taufe als die Realisation dieses Glaubens (allein) durch die Identifikation des Täuflings mit Christus in der Taufe.

Die Taufe ist notwendig, weil sie communicatio ist, und zwar des Todes. Dies ist die Gnade als solche, aber nicht direkt ausgedrückt.

Die Taufe ist zudem ein einmaliger, unwiederholbarer Akt, der weder zurückgenommen noch erneuert werden kann. Der legitime Gedanke des reditus ad baptismum, des Lebens in der ständigen Buße darf nicht dazu verführen, diesen geschichtlichen Akt nicht mehr als den terminus a quo zu verstehen.

Die besorgte Erwägung, daß es so sei, machte sich schon auf der Konferenz des Lutherischen Weltbundes in Helsinki 1963 bemerkbar, wurde aber sofort durch die noch stärkere Besorgnis zurückgedrängt, es könne eine ernste strukturelle Problematik in der Formulierungen des Bekenntnisses aufbrechen und den geschichtlichen Konsens in Frage stellen.

Wie kann die Taufe notwendig sein, wenn der Glaube allein rechtfertigt? Der Text gibt keine Antwort auf diese Frage.

Das Ergebnis langer exegetischer Untersuchungen über das Verhältnis von Taufe und Rechtfertigung faßt Ferdinand Hahn endlich wie folgt zusammen:

„So sieht sich der Glaubende auf das rechtfertigende Handeln Gottes unablässig angewiesen, dennoch ist die Situation vor und nach seiner Taufe nicht einfach dieselbe. Sie bleibt allerdings darin gleich, daß nur der Glaube, mit dem der Mensch sich Christus unter Verzicht auf alles Eigene anheimgibt, ausschlaggebend ist für das Heil.
Jedoch / vor der Taufe / ist er ein / zur Gnade Gottes Gerufener, nach der Taufe / ist er ein unter dem Zuspruch der Rechtfertigung bereits Lebender, der / als Glaubender / an der weltumspannenden Wirklichkeit der kainé ktisis Anteil erhalten hat und in der Kraft des Heiligen Geistes leben darf.”
(Hierzu Zitate und Abgrenzungen zu Schlier und Kertelge.) 5

Es kann hier nicht darum gehen, diese Exegese zu modifizieren. Es geht vielmehr um eine andere Ebene der Betrachtung — um die rechtliche und soziale.

„Berufen” ist ein Akt der Entscheidung und Aussonderung, die Hineinnahme durch die Taufe ein kommunikativer Terminus. Aussonderung und Zuordnung sind antithetische Begriffe, die prozeßförmig sich aneinander anschließen. Dieses Miteinander schließt aus, in einem von beiden das einzige und Ganze zu sehen.

Die exklusive Vorstellung des Allein rechtfertig nicht die Reduktion des Heilsgeschehens in einen Akt der Entscheidung — der radikal passive Vollzug der Glaubensentscheidung ist die Taufe. Das „allein” ist gegen die Werke im Recht — gegen die Taufe und als Strukturprinzip theologischen Denkens ist es eine Häresie.

Daß auf die Rechtfertigungslehre, gestützt auf den monumentalen Text von Röm. 3, trotz ihrer sichtbaren Korrespondenz nicht die ebenso bedeutsame

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Aussage von Röm. 6 über die Taufe folgt, sondern erst spät die drittrangige Textstelle aus dem bequemen Titus-Text, gibt selbst die Antwort auf die Frage nach dem Motiv. Wäre nach Röm. 3 für die Rechtfertigung Röm. 6 für die Taufe angezogen worden, so hätte sich eine offene Relation ergeben, und das in der deutschen Fassung von Röm. 3 eingefügte „allein” wäre unmöglich gewesen; es hätte einen empfindlichen Widerspruch erkennen lassen.

Neben der einen, als zentral verstandenen, über alle Wertungen der Kirchen- und Dogmengeschichte vor und nachher herausgehobenen Stelle Röm. 3 konnte und durfte keine gleichwertige in Relation stehen: dies verbot die Einzigartigkeit und den Rang — selbst gegen Paulus.6

So entsteht zur Bekämpfung einer Art Semipelagianismus eine Form von Semipaulinismus.

Luther hat von seinem Vorverständnis aus die Übersetzung des NT deutlich in einer Richtung akzentuiert, welche sich später als Ausfallerscheinung bemerkbar gemacht hat.7 Die Aussagen über Rechtfertigung, Gesetz, Wort werden voll ausgeschöpft, aber auch deutlich durch explikative Beisätze überzogen. Die Aussagen über die Sakramente, speziell die Taufe und das Amt, findend gegenüber dem Gesamten ein weit geringeres Interesse, werden nicht zum Vollsinn entwickelt. Man kann aber auch nicht auf der einen Seite Paulinismus allein anhand von Röm. 3 vertreten, im übrigen aber im systematischen Bereich eigenständig konstruieren. Luther ist entweder Spiritualist oder Nominalist — oder beides in Verbindung. Kasten,8 dem diese Beurteilung entnommen ist, verweist auf zwei gegensätzlichen Tauflehren bei Luther: die eine fideistische und die andere objektiv im Sinne der Tradition. Er hat recht, wenn er auf systematische Zusammenhänge verweist.

In der Tat: In der systematischen Interpretation fehlt eine sinnierende Verhältnisbestimmung zwischen Wort und Sakrament — wie sich diese in der personalen Institution herausstellt —, so daß die Interpretation zwischen einem betonten Nominalismus und noëtischer Auslegung hin- und hergerissen wird. Die von Alert erkennte duale Denkstruktur, z.B. der Begriff „sanctorum communio”, wird von manchen Theologen als „neutrisch” bezeichnet. Das ist sinnentstellend. Was soll eine Verbindung von zwei Elementen, wenn sie den Inhalt neutralisiert?

Diese Interpretation erklärt sich indessen völlig aus dem Interesse an einer Deutung, welche einer einseitig personalen, personalistischen Auslegung nicht im Wege steht. Dual heißt eine Aussage, in der die personale Existenz des beteiligten Menschen mit deren gesamtgeschichtlicher und kosmologischer Bedeutung verbunden ist. Das ist aber bei der Kirche der Fall, deren eschatologische Bestimmung und Ende mit den letzten Dingen in Schöpfung und Geschichte ineinsgeht. Zum Begriff der Eschatologie reicht der Gedanke der endzeitlichen personalen Verantwortung aller einzelnen, des Jüngsten Gerichts im forensischen Sinne nicht aus.

Die neutrische Deutung signalisiert ein bürgerliches Existenzverständnis. Denn dieses setzte eine Trennung von Person und geschaffener Welt, von Person

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und Geschichte und in diesem Horizont auch von Person und Gemeinschaft voraus. Hier treten die von mir auch an anderer Stelle aufgewiesenen bürgerlichen Motive und Charakterzüge in der reformatorischen Theologie mit selbstverständlicher Unbewegtheit und eben darum um so folgerichtiger und signifikanter hervor. Da aber die subjektiven Verstehensformen der Philologie über die transpersonalen geschichtlichen Formen des Verhältnisses von Mensch und Welt usw. nicht aufgeklärt sind,8a fällt es ihr nicht schwer, andere Weisen der Relation zu umgehen, — ja dies wird sogar denknotwendig und erscheint in der theologischen Konsequenz heilsnotwendig. Da hier ein Moment der geschichtlichen Selbsterhaltung betroffen ist, sind die Erkenntnisse von Elert und die damit zusammenhängenden von Schlink auf stillschweigende Abwehr gestoßen und daher auch folgenlos geblieben.

Andererseits bietet die Heilige Schrift zwar die Belege für diese duale, relationale Anschauung dar, kann aber nicht die theoretische Strukturerkenntnis vermitteln, die erst auf einer bestimmten Stufe des 20. Jahrhunderts möglich geworden ist.

Die erreichbare Erkenntnis aber wird zur Pflicht der Auslegung. Die lutherische Reformation drängt alles auf die eine Spitze der Glaubensentscheidung in der Rechtfertigung zusammen. Sie bekämpft den Juridismus der römischen Kirche und  treibt mit jener Entscheidung den jurisdiktionellen Typus der lateinischen Tradition auf die Spitze. Die Relation von Glaube und  Taufe als eines zusammengehörigen Geschehens kann nur mehr zum gebrochenen Ausdruck kommen.

Die Tendenz zur Monoformität, welche durch die einseitig jurisdiktionelle Tendenz der lateinischen Theologie befördert, durch den Nominalismus zur Reife gebracht wird und die Anfänge des Subjekt-Objekt-Schemas mit sich führt, dominiert zwar, kann aber wegen der Vorgegebenheit anderer lock theologici nicht voll durchgesetzt werden. Die Gebrochenheit zeigt sich überall, wo das Verhältnis von Wort und Sakrament ansteht, in der Doppelbedeutug des Begriffs Predigtamt, in der Ungleichwertigkeit und Unbestimmtheit des Verhältnisses von vocatio und ritus. Diese jeweilige andere Seite kann weder ausgeschieden noch zu freier Entfaltung gebracht werden. Daraus ergibt sich der historische Typus einer Anderthalbheit — aus der die einen Momente zur Alleinigkeit, die anderen zur vollen Verhältnisbestimmung drängen —, die aber in dem gebrochenen Verhältnis zu den Sakramenten, von dem Tillich und Jetter in verschiedener Weise und Blickrichtung sprechen, mit großer Breitenwirkung fortdauert.

Rudolf Sohm verdanken wir die Einsicht, daß mit der Rezeption des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten das Ende des pneumatischen Rechts der alten Kirche gekommen sei — mit dem Grundsatz vom ausgeschlossenen Zweiten beginnt die Konfessionalisierung. Daher steht auch hinter dem mächtigen Artikel IV (und über die Brücke der problematischen Verbindung von Wort und Geist in Artikel V) der auffällig schwache Artikel IX der Taufe. Der Schritt, das rechtfertigende Gnadenurteil so zur Einmütigkeit zu konzentrieren, ist

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ebenso radikal und folgenschwer wie das Unfehlbarkeitsdogma des Ersten Vaticanums und diesem vergleichbar, wenn nicht verwandt. So groß war die Bedeutung und Macht des Augustiners und Professors Luther, daß er der Papstkirche den Charakter als Konfessionskirche aufzwingen und sie zur Formulierung eines geistesverwandten Bekenntnisses veranlassen, Papst und Konzil auf Jahrhunderte antizipatorisch präjudizieren konnte. Dies kann man in einem Augenblick aussprechen, in dem das transzendentale Kirchenrecht im Bereich der römisch-katholischen Kirchenverfassung durch die Episkopalisierung in den nur unvollständig reflektierten Entscheidungen des Zweiten Vaticanums schrittweise zurückgenommen worden ist. Dem entspricht aber auf der lutherischen Seite keine Selbstreform.

Die Aussagen von Genesis 2, 24 bieten für unser Problem im Vorgriff wichtige anthropologische Hinweise. Hier wird ein Bruch mit der elterlichen Autorität legitimiert, welcher die Anwendung des 4. Gebots auf der Eheschließung der Kinder keinesfalls als primäre Stelle anzuwenden erlaubt. Mit diesem Verlassen der Eltern geht es nicht um eine emanzipatorische Autonomie des je einzelnen. Gemeint ist vielmehr das Freiwerden für die communio, durch welche dieser Mensch erst (wieder) ein ganzer wird.

Diese Freiheit findet ihren gewiesenen Gegenstand, ihr Ziel und ihrer Erfüllung in ihrer Einbettung in den unwiderruflichen, die ganze sarx umfassenden Bund. Diese Freiheit geht in einer einmaligen, nicht rücknehmbaren Vergemeinschaftung auf. Eben durch diesen Bund aber setzt sich dann die unterbrochene Geschlechterfolge fort. Dadurch erweist sich der Bruch als legitim. Die Schöpfung ist also nicht ohne den Bruch der Freiheit der Grund des Bundes. Der Bund aber erhält die Schöpfung, nicht diese sich aus sich selbst. Beides hat eine providentielle Bestimmung. Es handelt sich also nicht um eine ständige Dialektik von Freiheit und Gemeinschaft, in der beides durch Gleichstellung aufgehoben wird, sondern um einen Prozeß. Aber wie die Freiheit auf den Bund zielt und in ihm aufgeht, der Bund aber nicht ohne vorgängige Freiheit ist, so kann auch das eine das andere für unseren Blick verdecken. Kognitiv ist dieses Verhältnis als komplementär zu erfassen. In der Auflösung solcher Komplementarität muß ein einseitiges Glaubensverständnis des freisprechenden Wortes ebenso entstehen wie ein solches der sakramentalen koinonia.

Eine Wertung wie ein Folgeverhältnis wäre hier aber als Verstehensform auszuschließen. Sinnwidrig dagegen sind auf alle Fälle die Versuche, das Ganze dieses Geschehens als ein einziges zu verstehen — die Freiheit läuft leer, wenn sie nicht zum Bund führt und der Bund ist nicht ohne seine Gründung in der Freiheit. Dies Geschehen als einziges nicht komplementär zu fassen, begründet wirklich den so oft grundlos erhobenen Vorwurf der Verfügbarmachung. Noch einmal, schon am Anfang der Bibel, finden wir hier Freisetzung, Bindung und Drittwirkung als das Ganze eines heilsgeschichtlichen Geschehens.

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Schlußbemerkung

In den zitierten Verhandlungen hat Ernst Wolf wiederholt mit Betonung als Fundamentalsatz formuliert: hominem fide iustificari. Mit gleicher Prägnanz — wie sie selten gefunden wird — sagt Can. 87 CIC (1917): baptismate in ecclesia catholica homo constituitur persona usw. Die katholische Dogmatik verleugnet hier gewiß nicht die Bedeutung des Glaubens. Aber sie spricht hier an der Basis des kanonischen Rechts ausdrücklich nur von der Taufe — so wenig Wolf die Taufe verleugnen wird.

Das verkündigte Wort, das angenommen wird, die Taufe, die empfangen wird, sind hier jeweils das Moment an der Spitze. Barth kann in der Kritik an einem folgenlosen Rechtfertigungsglauben das, was als geistliche Existenz und communio sanctorum zwischen Grund und Folge liegt, fast wie einen unverantwortlichen Selbstgenuß problematisieren.9

Die Diversität der Konfessionen ist deutlich — bei Lutheranern und Katholiken ist die Annahme alles — ihrer beider vertikaler Grundzug, die Schwäche des Horizontalen und daher die Schwierigkeit, eigenständiger Laienschaft Raum und Recht zu gewähren, ist sehr ähnlich. Umgekehrt aber muß in der reformierten Lösung die vorausgehende Erwählung bewährt werden, und eben dies ist entscheidend für die gesamte, wesentliche synodale, kollegiale Konzeption.

Das Jubiläum der Augustana hat zu ausführlichen Untersuchungen über deren Sakramentslehre Veranlassung gegeben.10 Diese Bemühung hat die Mißlichkeit einer biographischen Arbeit. Sie kann um kein Jota mehr sagen, als geschrieben steht und sich aus vorausgehenden Entwürfen erläutern läßt. Man kann aber keinen Torso ergänzen. Zugleich muß der Anspruch gewahrt werden, daß dieser Gesamtbestand das wesentliche der biblischen Lehre zulänglich wiedergebe, ohne Lücken und Fehler, die die Bedeutung des Ganzen ernstlich in Frage stellen. Der Versuch, aus der Profundität der einschlägigen Schriften Luthers diesen Bestand, sei es zu ergänzen, sei es auszulegen, ist ein ganz anderes, in den Ergebnissen unvermeidlich umstrittenes und nicht hinreichend bestimmtes Unterfangen. Es gibt ohnehin eine Theologie, die eine gewisse Malaise an Melanchthon mit Luthers Werken bekämpft, sich dabei aber sagen lassen muß, daß Luther die CA ohne Vorbehalt bejaht hat. Für die desideria Ernst Wolfs und Peters’ ist dann hier vollends kein Platz. Diese Sakramentenlehre bietet das Bild eines ausgedehnten Flächenfeuers, das immer wieder aufflammt, wenn es an einem Ort endet, aber keinen erkennbaren Herd hat — abgesehen von der unbestrittenen Stiftung als solcher. Die Vielfalt der Aspekte und Dimensionen, der Frontstellungen zeigt keinen zentralen Punkt, an welchem Erfahrung und Besinnung sich treffen, sich vertiefen und wovon sie sich dann ausbreiten können. Jede Aussage ist an ihrem Ort mehr oder minder berechtigt und doch ergibt sich kein konzentriertes Ergebnis.

Was auf der eine Seite fehlt, ist das Proprium der Sakrament und

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konsequenter Weise dann umgekehrt ihr Verhältnis zu Wort und Verkündigung. Wo Ferdinand Hahn direkt vor dieser Frage gestellt worden war, hat er sie in der Tauflehre kalt beantwortet.11 Wo er die Sakramentenlehre für sich allein behandelt, fehlt wiederum dieses Ergebnis, bleibt das Ganze offen.

Die Sakramente sind nicht irgend etwas, was dem Menschen gnädig hinzugegeben wird, keine Erläuterung oder Bestätigung, sondern ein eigenes, das die angenommene Verkündigung selbst nicht enthält. Nur die Bereitschaft, ein Proprium anzuerkennen, kann die Sakramententheologie überhaupt in Bewegung bringen und aufrecht erhalten; sie erfordert aber notwendig eine Verhältnisbestimmung. Die Sakramente sind nicht in irgendeinem Sinne Gaben, sondern die Weise, in der sich Christus selbst zur Vergemeinschaftung hergibt, und zwar in beiden Sakramenten in die Gemeinschaft seines Todes. Alle übrigen begründbaren Aussagen sind demgegenüber sekundär.

Für die dan — gegen jede Isolierung und damit Verabsolutierung — notwendige Verhältnisbestimmung fehlen die Aussagen und Begriffsmittel, aus deren Fehlen die Unbereitschaft erwächst, sich eben dieser bezüglichen Zweiheit als solcher zu stellen. Hieran hängt nicht nur (gegen die Schwärmer die Sichtbarkeit und Verbindlichkeit der Kirche), sondern deren Geschichtlichkeit als eines mehraktigen Geschehens, gegen die Reduktion alles Geschehens auf das Mehr oder Weniger, das Ja und Nein, das Für und Wider jedes einzelnen. Dies aber ist am allerwenigsten ein gesondertes Geschehen, dessen sich der Mensch mit dem Anspruch des Glaubens zur eigenen Heiligkeit bemächtigen kann. Das verhängnisvollste Mißverständis ist und erzeugt wohl der Begriff der Gnadenmittel. Nie ist durch ein brauchbare Halbwahrheit der Sinn der Sache selbst so dem Mißverständnis preisgegeben worden.

Ich beschränke mich hier auf die in den BS verbindlich und geschichtlich wirksam gewordenen Aussagen.

Stellt man dem die von Maurer im Kommentar zur CA gegebene Zusammenfassung von Luthers Sakramentenlehre gegenüber, so kommt man zu Abweichungen und Differenzen, aber auch zu einem disparaten Inhalt.

Luthers allgemeine Sakramentsdefinition wird so wiedergegeben: „er bindet die drei Sakramente an die worterfüllte, heilsmittlerische Tätigkeit des heiligen Geistes; durch sie werden die wohltätigen Heilsgaben Christi zugeteilt und empfangen und behalten. Innerliche und äußerliche Gaben werden dabei nicht wertmäßig gegeneinander abqualifiziert, sondern durch das Band des Geistes und Glaubens miteinander verbunden”.12

Der im weiteren Text angeführte Torgauer Artikel geht in eine noëtische Richtung weiter „… unnd daß solches geben werde denn glauben dadurch zu stercken daß man Trost empfahe das Christus unser wollte sein, unnd helfen” (178).

Das Verhältnis von Wort und Geist deckt sich wiederum nicht einsichtig mit der Aussage von CA V: es weckt den Eindruck einer Umkehrung oder Vertauschbarkeit.

Pesch faßt diese Haltung wie folgt zusammen:

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„So ist das Wesen des Sakramentes für Luther nicht zusammengefaßt in der augustinischen Formel vom verbum visibile, sondern in der Formel vom verbum actuale, worin die Lutherforschung den Unterschied zwischen Augustin und Luther zum Ausdruck bringt: Das Sakrament ist ein in eine Handlung gekleidetes Wort. Warum Gott diesen Weg des Sakramentes, des Wortes, das sich in eine Handlung kleidet, gewollt hat, ist letztlich unbefragbarer Wille Gottes. Allerdings kann das gläubige Nachdenken auch nach Luther einiges von den Gründen dieser Verfügung Gottes entdecken. Gott hat Sakrament vor allem eingesetzt — wir sprachen schon davon — zur Stärkung des Glaubens: Die Sakramente sind sie das Siegel Gottes unter das Evangelium. Wir begegnen bei Luther ferner dem traditionellen Argument von der ,Leibhaftigkeit’ des Heils: Auch der Leib soll das Heil berühren, soll selbst Heil werden, und daher soll das Heil in sinnfälligen Symbolen zugeeignet werden. Und schließlich gibt es noch einen ,typisch lutherischen’ Grund, über den wir noch einmal nachdenken müssen: Das Sakrament stellt im Gegensatz zur mündlichen, an die Allgemeinheit ergehenden Predigt den einzelnen Christen unausweichlich vor das Gnadenangebot Gottes, sprich ihm ganz persönlich und unvertretbar das Heil zu, engagiert ganz individuell seinen Glauben.” 13

Der lateinische Formalbegriff „verbum actuale” erreicht nicht die Konkretion der deutschen Sprache; er entspricht auch nicht dem Gehalt, den er beansprucht, und ist dazu bestimmt, die Durchgängigkeit des Wortes als petitio principii zu sichern.
Dies zeigt schon das immanente Gefälle des Gedankens. Voranstellt der Wortcharakter und darum die noëtische Bedeutung. Der traditionelle Gedanke des Siegels schließt sich dem an und hat seinen eschatologischen Realitätgsgehalt verloren. Die dann betonte Verleiblichung und personale Direktheit verbinden das noëtische Moment mit der Individualität, aber trotz einer Wendung zur Geschöpflichkeit führen sie nicht zur communio der neuen Schöpfung.

Daß gerade im frühen bürgerlichen Zeitalter sich die existentielle Verbindung von Person und res sich in das Subjekt-Objekt-Verhältnis auflöst, hat die Theologie nicht gesehen.

In dem Abschnitt „Mittelalterliche Voraussetzungen zum reformatorischen Verständnis des Evangeliums als Viva vox” sagt Peters:

„In Luthers sog. reformatorischer Wende erfolgt gleichsam eine Heraustreten des Evangeliums als einer worthaft personalen Zusage aus dem Eingefaßtsein in die sakramentale Gnadenvermittlung einerseits und die kirchlichen Lehren andererseits.” 14
„In, mit und unter den einzelnen biblischen Aussagen wurde das eine Christusevangelium als wesenhaft mündlicher Gnadenzuspruch entdeckt.” (260) (Hervorhebungen vom Verf.).
Das „Heraustreten” des Evangeliums aus jenem Zusammenhang ist ein „Hereintreten” in andere, zeit- und geschichtsbedingte Verstehens- und Ausdrucksformen. Die Reformation ist selbst eine neue geschichtliche Form. Sie

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versteht sich nur selbst außerhalb der Geschichte — und wird heute in der Sprache des Existentialismus vertreten.

Wenn man mit Bedauern für die deutsche Sprache das existentialistische Modewort von der „Worthaftigkeit” des Evangeliums aufnimmt, so ist mit gleichem sachlichen und besseren wörtlichen Recht davon zu reden, daß das Evangelium auch leibhaften Charakter trägt. Und beides ist im gleichen Maße personal.

Das Unvermögen und die Unbereitschaft, diese Diversität sinngemäß zum Bewußtsein zu bringen, stammt aus dem Syndrom sehr verschiedener Motive, von dem Wilhelm Maurer warnend gesprochen hat. Wie anders sieht das aus, was Maurer über das Taufgeschehen in „Bekenntnis und Sakrament” sagt:

„Wenn die Urgemeinde ihren Glauben bekannte, ließ sie sich dazu weder von den Irrlehrern treiben, noch von der Welt reizen. Sie hatte auch noch nicht die Neigung, das, was ihr von Christus her durch die Apostel überliefert war, einheitlich in einem System zusammenzufassen. Und wo das katechetische Interesse obwaltete, wo die Gemeinde denen, die aus dem Heidentum Anschluß suchten, Wegweisung zu geben hatte, da war sie sich dessen wohl bewußt, daß alle Lehrunterweisung etwas sehr Vorläufiges ist, und daß die christliche Lehre nur von dem richtig verstanden werden kann, der in der Christusgemeinschaft lebt. Die Gemeinschaft mit Christus wird erfahren in den Sakramenten. Wegweisung zur Kirche hin bedeutet Einführung in ihre Sakramentspraxis. Sie zu geben war der Sinn des urchristlichen Katechumenats. Soweit das Bekenntnis dabei eine Rolle spielt — und es ist wichtig! — ist es ein Bestandteil dieses sakramentalen Praxis. Im Zusammenhang mit ihr ist es entstanden.
So liegt die eine Wurzel der christlichen Bekenntnisbildung im Sakrament der Taufe. Hier gehört die sakramentale Handlung des Eingetauchtwerdens unauflöslich mit dem Wortbekenntnis des Täuflings zusammen. Die ganze Handlung ist ein Bekenntnisakt; Gemeine und Täufling bekennen sich zu der Wirklichkeit des dreieinigen Gottes. Das Wortbekenntnis spricht aus, was im Tatbekenntnis geschieht. … Wort und Handlung gehören zusammen.
Die vorangehende Lehrunterweisung hat keinen selbständigen Charakter. Sie dient nicht der Einübung im Christentum, noch weniger der apologetischen Schulung. Sie soll den Taufbewerber vorbereiten auf das, was in der Taufe an ihm geschehen wird. Dann tritt er in den Zusammenhang mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus und soll sich darin bewähren.” 15

Noch schlichter und selbstverständlicher redet die Schrift selbst über die Folgeordnung des gebotenen Handelns:

„Gehet hin und machet zu Jüngern (matheteusate) alle Völker und taufet sie in den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret (didaskontes) sie zu halten alles, was ich euch befohlen habe.” (Matth. 28, 18).

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Das personale Werben, Überzeugen und Bekehren, das Zum-Jünger-Machen (so daß, mit Max Weber gesprochen, „jemand jemandes wird”) geht der Taufe (unter Einschluss eines Moments der Belehrung) voraus. Die Lehre selbst aber setzt wiederum das schon gewonnene glaubende Vertrauen voraus.

So wie die deutsche Übersetzung des Taufbefehls selbst den inkorporierenden Charakter nicht ausdrückt, so zerstört die doppelte Verwendung des Worts „lehren” (auch für „zum Jünger machen”) den sinngemäßen Aufbau des Wortes und muß den mitdenkenden Hörer verwundern. So groß ist der Lehreifer, daß er auch vor dem Schrifttext selbst nicht halt macht. Die Ordinationsagende der VELKD hat diesen Fehler stillschweigend ebenso korrigiert wie die gemeinsame Übersetzung des NT. Aber leider ist er signifikant.

Die Einführung eines Vorverständnisses in die Übersetzung, zu der sich Luther mit erschreckender Selbstverständlichkeit und den größten geschichtlichen Folgen bekannt hat, ist zwar insoweit und relativ zu rechtfertigen, als in actu selbst Grundsatzentscheidungen der Deutung unvermeidlich werden. Jedoch, sie deckt keinesfalls die bemerkenswerten Abweichungen vom eindeutigen Text, deren bedingende Motivationen ihm selbst gewiß nicht, uns aber um so einsichtiger sind.

Die von Wolf aufgeworfene Frage nach dem Proprium der Sakramente und dem Verhältnis von Wort und Sakrament wird als kritische Frage zur Verhältnisbestimmung wesentlich verschiedener Vollzüge präzise nur selten gestellt. Eine klare Aussage wie die von Ferdinand Hahn steht vereinzelt da und ist ohne Einwirkung auf diese Haltung.15a Da die vorreformatorischen und die reformatorischen Kirchen schwerpunktmäßig klar nach der einen oder der anderen Seite orientiert sind, scheuen sie sich, die übergreifende Gemeinsamkeit als Erkenntnisproblem ernstlich zu thematisieren, weil eben dies ihre eigene Begrenztheit aufdeckt und damit in Frage stellt. Denn der Begriff „worthaft” konnte in der deutschen Sprache nicht ausgebildet werden, weil die Silbe „haft” stets eindeutige Merkmale ausdrückt (wahrhaft, nahrhaft usw.). Die Verlässlichkeit des Wortes dagegen hängt ganz von der Person der Sprechenden ab. Daher gibt es hier allein und in anderer Bedeutung „wörtlich” und „wortgetreu”.

Ebensowenig kann man (für Verkündigung und Sakrament) von „zusprechen und zuhandeln” reden. Nur „zusprechen” ist sprachgemäß, „zuhandeln” nicht. Zutun, Zugabe, Zutat bezeichnen immer nur Teile. Wenn die Theologie des Wortes mit der Sprache selbst in Widerspruch gerät, ist sie an ihrem eigenen Ende.

Wenn der Missionsbefehl einfach und offen von Gewinnung und Überzeugung wie von Aufnahme, von Bleiben in und von den letzten Dingen spricht, so ist hier die prozessuale Folge verschiedener Dinge unbeschwert und evident. Keinesfalls reicht die einfache Nebeneinanderstellung aus. Wenn der Gedanke des Prozesses nicht ausreicht, müßte heute von Komplementarität sprechen und diese epochale Erkenntnis einbringen. Denn hier würde das sich Ausschließende als das Übereinstimmende ausgesagt.

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Pesch erklärt es — ohne Begründung oder Verweis — für ausgemacht, daß die Sakramente nichts mit der Inkarnation zu tun haben. Das ist verwunderlich. Verbum Domini Manet in aeternum, so schrieben unsere Väter an Kirchen und Häuser. Aber der Sohn Gottes stirbt für uns. Die Fleischwerdung des Wortes ist die Voraussetzung seines Todes. In seinen Tod werden wir getauft, seinen Tod verkünden wir und gewinnen in der Anamnese daran Anteil. Wer diesen Tod nicht verkündet, kann auch die Verheißung des Lebens nicht verkündigen.

Deshalb umfaßt das „Pro nobis” von CA III alles, was für uns gesagt und getan worden ist.

Darum sind Taufe und Abendmahl als Sakramente des Todes zum Leben die christologischen, die übrigen Sakramente aber solche des Heiligen Geistes.16 Die beschriebene subordinatianische Pneumatologie von CA V führt zu deren Absterben trotz Apologie XIII — und an der Grenze beider steht heute die Absolution im Zwielicht.

 

Anmerkungen zur Kapitel III

1 Vgl. RdG I, Kap. III, 163-233, und V, 280-362.
2 Erich Dinkler, Art. Taufe, II. Im Urchristentum, in: RGG Tübingen 31962, Bd. VI,627-637, hier: 633.
3 Vgl. hierzu: Dombois, Was meint ,Verfügung’? — Analyse eines fragwürdigen theologischen Begriffs, in: LM 13, 1974, Nr. 12, 617-621.
4 Edmund Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, München 21946, 416.
4a Vgl. Kap. II, 45.
5 Ferdinand Hahn,  Taufe und Rechtfertigung, in: Rechtfertigung. FS für Ernst Käsemann, Göttingen 1976, 95-124, hier: 123.
Die „gängige Meinung”, das Sakrament sichere bei Paulus das rechte Verständnis der Wortverkündigung, umgekehrt schütze die Predigt das Sakrament von einem schwärmerischen Mißverständnis und einer magischen Auffassung (Eduard Lohse, Taufe und Rechtfertigung bei Paulus, in: ders., Die Einheit des Neuen Testaments, Göttingen 1973, 228-244; zitiert bei F. Hahn, a.a.O. 100) verfehlt das eine wie das andere und beide zusammen.
6 Das Verhältnis von Wort und Sakrament ist ein besonderes Anliegen der lutherischen Ekklesiologie. „… Diesen beiden Momenten muß jede Definition der Kirche gerecht werde. Sie muß also personell und institutionell (!) in einem sein.” So sagt Althaus in seiner Dogmatik (Paul Althaus, Die christliche Wahrheit, Gütersloh 1947/48, § 49, 286). Hier wird die Begriffsverwirrung sichtbar.

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7 Vgl. Kap. XVIII.
8 Horst Kasten, Taufe und Rechtfertigung bei Thomas von Aquin und Martin Luther, Forschungen zur Lehre und Geschichte des Protestantismus, Reihe 10, Bd. 41, München 1970.
8a Joachim Fest faßt die Kritik Mommsens an Niebuhr im Kern wie folgt zusammen:

„Schwerer wog, daß ihm die wissenschaftliche zureichende Kenntnis des Rechts fehlte, das unverfälschter wie es seiner Natur nach war, seiner (Mommsens) Auffassung zufolge weitaus verläßlichere Auskunft bot als alle anderen Quellen; denn das Recht setzte die Institutionen, regelte die öffentlichen wie die privaten Angelegenheiten. Es war der reinste, konzentrierteste Ausdruck jenes vergangenen Lebens, dessen Vergegenwärtigung die Aufgabe des Historikers war.” (FAZ 31. 7. 1982, Nr. 174).

Diese Bemerkung zeigt wie sehr Traditionen und Haltungen eines Fachs Einsichten strukturell verstellen können.
9 Vgl. Kap. II.
10 So Wilhelm Maurer, Historischer Kommentar zur Confessio Augustana, Gütersloh 1976/78, Bd. 2, 175 ff. und Ferdinand Hahn, Die Sakramente der Kirche in der Confessio Augustana auf dem Grund der apostolischen Tradition, in: KuD 27, 1981, 287-308.
11 F. Hahn, a.a.O., 296 ff.
12 Wilhelm Maurer, Historischer Kommentar zur Confessio Augustana, Gütersloh 1976/78, Bd. 2, 175.
13 Otto H. Pesch,  Besinnung auf die Sakramente, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie, Bd. 18, 1971, H. 1-2, 266-321, hier: 298 f.
14 Albrecht Peters, Gesetz und Evangelium, Handbuch systematischer Theologie, Bd. 2, Gütersloh 1981, 259.
15 Wilhelm Mauer, Bekenntnis und Sakrament — Ein Beitrag zur Entstehung der christlichen Konfessionen, Berlin 1939, 3f.
15a Vgl. hierzu: Stuhlmacher in Kap. II und VII.
16 RdG I, Kap. VII/1, 439-447.