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Kapitel XI

Die Stellung der lutherischen Reformation zu Konzil und Synode

Welche Bedeutung besitzen in der Ekklesiologie und Kirchenrechtslehre der lutherischen Reformation Synode und Konzil? Das ganze Corpus der Bekenntnisschriften enthält im Unterschied zu anderen Merkmalen der Kirche — Amt, Verkündigung, Schlüsselgewalt usw. — keinen positiven Satz über diese Institutionen mit Ausnahme von Luthers Bemerkung in der Vorrede zu den Schmalkaldischen Artikeln,1 wo zwar von der Wünschbarkeit eines Konzils, aber zugleich davon geredet wird, daß die evangelische Seite seiner nicht bedürfe, weil ich auch von einem Konzil nichts Besseres und Vollkommeneres gezeigt werden könne als sie schon besäße. Auch hier ist also die geschichtliche Funktion der Konsens- und Bekenntnisbildung durch das Konzil vollständig ausgeschieden.

Die Bekenntnisschriften selbst sind nicht durch synodale Beratungen zustande gekommen, sondern durch die Arbeit von Theologenkreisen unter führender Beteiligung der Reformatoren, gedeckt und gestützt durch Hilfe und Autorität der Reichsstände, die der Reformation zugewandt waren. Ihre Ergebnisse sind dann wiederum nicht in synodaler Form, sondern durch den Beitritt weiterer Reichsstände im Einvernehmen mit dem sich sehr unterschiedlich artikulierenden Konsens der örtlichen Theologen und Gemeinden in Kraft gesetzt worden. In einer ähnlichen Weise ist nach den Lehrstreitigkeiten der folgenden Generation die dogmatische Einheit des Luthertums erneut durch das Konkordienbuch hergestellt worden. Auch hier findet sich nichts, was mit synodalen Formen vergleichbar wäre.

Aber die Funktion der Dogmenbildung und der Gültigkeitsanspruch der so neu entstandenen Bekenntnisse waren die gleichen wie die der konziliaren Lehrbeschlüsse. Man verfuhr bei Lehrabweichungen jurisdiktionell wie die Kirche eh und je. Daß man das könne und müsse, unterlag keinem Zweifel.

Nun haben die Beschlußgremien, aus denen die kirchenrechtlich verbindlichen Bekenntnisse von 1530/1580 entstanden sind, die einen weitreichenden Konsens der beitretenden Kirchengebiete für ihre Beschlüsse erlangt haben, in der Sache nicht anders verfahren wie irgendein Konzil, welches ausweislich der Einleitungsformel den kirchenrechtlichen Anspruch erhebt, die universale Kirche zu repräsentieren. Denn diese Gremien haben in der Überzeugung gehandelt, daß sie ohne Zusammenhang mit dem ordentlichen Lehramt im früheren Sinne, ohne formelle kirchenrechtliche Legitimation, die wesentlichen Wahrheiten des Evangeliums in ebenso suffizienter wie verbindlicher form zu bezeugen in der Lage waren, zugleich veranlaßt und befugt, die bestrittenen Gegenmeinungen ebenso unter ein Anathema zu stellen, wie dies die Konzilien der allgemeinen Kirche beansprucht und getan haben. Insofern wird die Sachfunktion gültiger Aussage in der Kirche durch den Unterschied der institutionellen

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Voraussetzungen nicht berührt. Der institutionelle Unterschied besteht wesentlich darin, daß solche Entscheidungen nicht unter der Voraussetzung der historischen Einheit der Kirche und der Verbindung mit einer bestimmten Amtstradition (Sukzession), sondern von einem partikularen Gremium, jedoch nicht weniger mit dem Anspruch auf universale Gültigkeit getroffen worden sind.

Es zeigt sich, wie wenig jene abstrakten Begriffe von Unfehlbarkeit und ius divinum hier austragen. Denn die Rechtsbasis, welche jene Gremien in Anspruch nahmen, war weder „ius divinum” in der herkömmlichen Identifikation mit den geschichtlichen Verfassungsformen der Kirche, noch bloßes „ius humanum” mit einem begrenzten Anspruch. Nötigung und Recht, das Notrecht zu solchen Beschlüssen ist weit mehr als „ius humanum”; sie enthalten Appell und Anspruch des Evangeliums selbst an jedermann, sich der hier gültig bezeugten Wahrheit des Evangeliums zu unterstellen, Mißbräuche, Irrtümer und Interessen beiseite zu stellen, unter einer eschatologischen Drohung, einer Warnung, sich durch eine Weigerung von eben dieser Wahrheit verhängnisvoll zu trennen. Der „dekretale Iussiv” des Apostels Paulus an die Gemeinde von Korinthe, den Blutschänder auszuschließen, ist nicht härter und reicht nicht weiter als der reformatorische Anspruch, mit der neubezeugten Wahrheit, die Kirche vor eine notwendige Entscheidung im strengen Sinne zu stellen.

Wenn nun auch die Bekenntnisschriften an de Frage der Synoden vorbeigehen, so hat Karl Gerhard Steck in einer Studie über den „Locus de synodis in der lutherischen Dogmatik” darauf hingewiesen,2 daß die Klassiker lutherischer Dogmatik eine subtil ausgeführte Lehre von den Synoden enthalten. Es wird unterschieden zwischen der ecclesia repraesentativa und der ecclesia synthetica, zwei Formen der sichtbaren Kirche.3 Die erstere sind die Lehrer, Bischöfe, praepositi „utpote qui plenius et melius repraesentare et exponiere posaunt publicam doctrinam ecclesiae quam Soli auditores (!) remotis doctoribus”. Die ecclesia synthetica „constat ex tota fidelium universitate tam doctorum quam auditorum … designatque internam et externam fidelium societatem in una ecclesia”. Zu ihr gehören auch die „eminentiores politiae” als solche.3a Der synodus entscheidet über Fragen der Lehre und des Lebens. Auffällig ist, wie doktrinär hier die Kirche verstanden wird, die sich vom Vollzug der Predigt her eindeutig in die doctores und die auditores scheidet. Weder von einer Differenzierung der geistlichen Gaben und Aufgaben noch von der Allgemeinheit des Priestertums ist hier die Rede, ebensowenig vom Ausschluß des Repräsentationsgedankens. In der ecclesia synthetica, in der die verschiedenen Stände, die doctores et praepositi, die eminenteres politiere, die auditores mit aktiven Rechten zusammenwirken, ist die der als auditores qualifizierten fideles von vornherein schwach, und das Ganze ist nützlich, aber nicht notwendig, mehr akzidentiell und subsidiär als konstitutiv. Die Funktionen der ecclesia synthetica können unschwer von der ecclesia repraesentativa absorbiert und ersetzt werden.

Von vornherein bis zu dem dogmatischen locus de synodis in der späteren

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Orthodoxie gilt für die lutherischen Kirchen der Grundsatz, daß reine Amtsträgerversammlungen keine Synoden sind. Es hat also keine einfache Übertragung des Synodalrechts der Bischöfe auf das ministerium ecclesiasticum im Sinne von CA V stattgefunden, obwohl dieses in CA XXVIII als bischöfliches bezeichnet wird. Abgesehen von der Ingerenz des landesherrlichen Kirchenregiments treten neben die Vertreter des Amtes in die Synode einerseits die schon erwähnten eminentiores politiae, andererseits die zur Beurteilung von Lehrfragen geeigneten potentes et doctissimi als Vertreter der Gemeinden ein. Von einer Repräsentation der Gemeinden selbst, derjenigen Christen, die weder sozial bedeutend noch theologisch besonders urteilsfähig sind, ist nur in der ecclesia synthetica die Rede, im Ganzen nur relativ unbestimmt. Die Grundstruktur dieser Synodalordnung ist ein deutliches Abbild der ständischen Verfassung der damaligen Zeit, wo der Adel als fundierte politische, soziale und ökonomische Macht, regimentsfähiges Bürgertum, vertreten vor allem durch Magistrate und Korporationsvorsteher, und ein sehr geringer Bestaunt der bäuerlichen Gemeinden zusammenwirken. Nirgends wurde deren Beteiligung grundsätzlich ausgeschlossen, nirgends kam sie zu voller Entfaltung.

Die Kirche ist als geschichtliche Größe hier strukturell und sachlich in zunehmenden Maße unmündig geworden. Ihre äußeren Interessen werden vom fürstlichen Landesbischof in guten Treuen zwangsverwaltet und sequestriert, nicht ohne Berücksichtigung der eigenen politischen und ökonomischen Interessen. Als geistliche Größe aber wird sie vom Amt und den Trägern theologischen Urteils belehrt und erzogen, wie ein unmündiger Erbe nicht nur einen Vermögenspfleger, sondern auch einen guten Erzieher erhalten soll.

Analog zu der Stellung, die in der konstantinischen Kirche der Kaiser hatte, wird der weltlichen Obrigkeit als einer christlichen das primäre Recht, für die Ordnung der Kirche zu sorgen und daher auch die Synoden einzuberufen, zugesprochen. Versagen sie in dieser Aufgabe, so besitzt auch das geistliche Amt ein Notrecht zur Einberufung. Daß die Kirche zunächst einmal durch eigene Leitungsorgane solche Aufgaben wahrnimmt und lediglich bei Verwirrung, Versagen oder Behinderung die guten Dienste der weltlichen Gewalt in Anspruch nimmt, tritt immer mehr zurück. Das wäre eine Form gewesen, die der grundsätzlichen Anschauung nicht widersprochen hätte. Um so auffälliger und wichtiger ist die stillschweigende Übergehung einer solchen Möglichkeit. In der geschichtlichen Entwicklung ist die begründungslose Ausscheidung einer Möglichkeit ebenso signifikant wie die positiv vertretene Lösung. Wo die bischöfliche Diözesanverfassung erhalten blieb, wie in England und Skandinavien, ist diese Lage nicht in der Schärfe und Klarheit hervorgetreten. Daß die kaiserliche Gewalt in ihrer Einwirkung auf das Konzil, im Horizont einer universalen Aufgabe und Verantwortung, Einheit und Frieden von Kirche und Reich zu wahren, etwas qualitativ anderes ist als die obrigkeitliche Aufgabe irgendeines Fürsten oder städtischen Magistrates, geht zugunsten einer radikalen Partikularisierung unter. In den Beratungen ist dem geistlichen Amt für

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die geistlich-theologischen Gegenstände der Vorsitz gesichert und im ganzen ein überwiegender Einfluß eingeräumt.

So ist mit scholastischer Genauigkeit alles durchdacht. Es kann daher nicht gesagt werden, daß die Synode ein spezifisch reformiertes Institut und die lutherische Kirche im Grundsatz ohne Synoden sei.

Leider hat Steck seine Aufmerksamkeit nicht auf der Frage zugewendet, welche Bedeutung solche Synoden tatsächlich im Leben der Kirche besessen haben. Man kann nur aus der Kirchengeschichte einzelner Territorien erheben, inwieweit diese Theorie der Synoden wirksam gewesen ist. So ist etwa der kirchenrechtlich bedeutsame Frederussche Ordinationsstreit im Herzogtum Pommern auf einer Synode in Greifswald 1556 entschieden worden. Eine schwedische Reichssynode von 1593 hat die Eröffnung der Universität Uppsala beschlossen. Im ganzen erscheinen trotz des Verfalls der Synoden in der vorreformatorischen Kirchen die Synoden der lutherischen Kirche ähnlich wie die Fortsetzung des Bischofsamts als ein altkirchlicher Traditionsrest, der sich nicht aus eigenen Kräften erneuert und langsam zurückgeht. Im 17. und 18. Jahrhundert ist kaum noch von Synodalbildungen etwas zu spüren. Allerdings ist es eine Verkürzung, wenn Bäumlin4 die Synode im lutherischen Bereich rein als doktrinäre Bildung darstellt. Der Abbau des Synodalwesens ordnet sich zwanglos in das Gefälle zur Verstärkung der Autorität ein, welches vom 16. bis zum 18. Jahrhundert ebenso unwiderstehlich und offenbar nicht zufällig sich durchgesetzt hat wie heute der Zug zur Demokratisierung.

Das Ergebnis kann man wie folgt zusammenfassen:
1. Die Bildung von Synoden wird durch die Struktur der lutherischen Kirche nach ihrem Selbstverständnis sehr wohl ermöglicht. Die Synode bildet aber kein konstitutives Merkmal ihres Kirchenbegriffs.
2. Keine der im Luthertum der ersten drei Jahrhunderte abgehaltenen Synoden hat eine für die Gesamtentwicklung der lutherischen Theologie und Kirche bedeutsame Entscheidung getroffen. Die Synoden sind vollständig partikularisiert und auf die jeweiligen Territorien nach Maßgabe der politischen Abgrenzung beschränkt. Es findet sich kein Versuch, eine gesamtlutherische oder überhaupt Synoden über die territorialen Abgrenzungen hinaus zu bilden.
3. Als ein sekundäres Moment der Kirchenverfassung bilden sich die Synoden schrittweise zurück, bis ihre Existenz und Legitimität vergießen wird. Sie werden ohne Konflikt durch autoritative Satzungen obrigkeitlicher Konsistorien oder der geistlichen Ministerien ersetzt.
4. Es findet sich kein Fall, in welchem die Vertreter des geistlichen Amtes die ihnen vindizierte Befugnis, Synoden bei Weigerung der Obrigkeit selbst einzuberufen, ausgeübt haben.

In der lutherischen Reformation ist das synodale Element nur so schwach und sekundär ausgebildet worden, daß die neulutherische Theologie es später als Fremdkörper verstehen konnte. In dieser steht insbesondere die Auffassung fest, daß zu den signa ecclesiae allein das Amt, und zwar in einer primären

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und dominierenden Stellung gehöre. Wenn also schon Synoden stattfinden müssen, müsse das Amt dort die Vorhand haben, so daß eigentlich die Synode zu einer nur hörenden Versammlung unter dem ihr autoritativ verkündeten Wort wird.

Steck bringt in seiner Arbeit über „Lehre und Kirche bei Luther” auch ein Zitat von Ernst Wolf, wonach „in der Reformation das schlechte Gegenüber von ecclesia discens und docens, d.h. der dem Neuen Testament widersprechende hierarchische Grundcharakter der römischen Kirche überwunden” sei. Es sei, so bemerkt er, „eine andere Frage, wieweit diese grundsätzliche Erkenntnis in den lutherisch bestimmten Kirchen in die Wirklichkeit umgesetzt” werde (!).5

Dies stimmt wenig damit überein, daß die von Steck selbst in Erinnerung gebrachte Lehre von der Synoden in der altlutherischen Orthodoxie die Laien schlicht als „auditores” bezeichnet.6

Wenn aber die Folgerungen aus einem angeblich so fundamentalen Schritt in solchem Maße ausbleiben, wenn eine Konzeption kaum Kräfte ihrer eigenen Verwirklichung entbindet, während sie in anderer Richtung höchst wirksam ist, dann muß der Soziologe und sollte der Theologe hellhörige werden. Dann geht es nicht mehr um menschliches Versagen oder geschichtliche Behinderung, sondern vorweg um die Frage, ob sich objektive Bedeutung und subjektive Aussage, Sein und Bewußtsein überhaupt decken.

Seit dem 19. Jahrhundert hat sich dann in der lutherischen wie den übrigen reformatorischen Kirchen unter landesherrlichen Kirchenregiment schrittweise aufgrund liberaler und demokratischer Einflüsse ein anerkanntes Synodalwesen herausgebildet. Dieses hat mit Erfolg seinen kirchlichen Charakter herausgearbeitet und eine Parlamentarisierung im großen und ganzen vermieden. Eine Art Anwachsung glich einen Teil der in der Reformation erlittenen Ausfallerscheinungen wieder aus.

Die Aktivrechte der Laien sind nun grundsätzlich unbestritten. Sie können — im Gegensatz bisher zu vergleichbaren Bewegungen der nachkonziliaren katholischen Kirche — auch in verfassungsrechtlich relevanter Weise ausgeübt werden, sind also nicht auf administrative beratende und Hilfsaufgaben beschränkt.

Auch hat sich eine angemessene Zusammensetzung der Gremien herausgebildet. Wenn grundsätzlich eine Mehrheit der Laien eine Minderheit der ordinierten Amtsträger gegenübersteht, so ist dies evident notwendig, weil auch nur ein Gleichstand beider Gruppen zu einer unvermeidlichen Majorisierung der Laien führen würde, während umgekehrt eine einseitige Laisierung die Synoden aktionsunfähig machen würde, die zu einer zureichenden Herausarbeitung der theologischen Implikationen ihrer Entscheidungen nicht imstande wären. Für eine Verfassung ist nicht nur das wesentlich, was ihre Träger können und was zu entscheiden ist, sondern auch die Einsicht, was die Berufenen nicht vermögen. So wenig also das Amt die Laien hier zu repräsentieren vermag, so wenig vermögen die Laien ohne das Element informierter

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Entscheidungsbildung tätig zu werden. Die Synode gleicht einem Schwurgericht, welches das Rechtsbewusstsein der Gesamtheit auszudrücken berufen ist, aber ohne konkrete Rechtsbelehrung gerade dann zur Entscheidung außerstande ist, wenn die rechtskundigen Mitglieder von der Entscheidung selbst ausgeschlossen sind. Bei Ausschluß der Rechtskundigen müssen deshalb die zu entscheidenden Fragen formuliert werden. Ebenso sachgemäß ist die Ergänzung der gewählten Mitglieder durch Berufene.7

Diese pragmatischen Erwägungen decken sich im großen und ganzen mit der kirchliche Aufgabe der Synode. Die Synode jedoch entscheidet und wählt, aber sie leitet nicht.

Wenn hier aufgrund zeitgeschichtlicher Einflüsse eine Restitution oder Anwachsung notwendiger Organe erfolgt ist, so wurde diese zwar schrittweise angenommen, sie ist aber nicht aktiv aus dem Selbstverständnis der Kirche hervorgegangen. Ein so wesentlicher und primärer Gedanke wie der des Priestertums aller Gläubigen ist in den ersten drei Jahrhunderten nach der Reformation ohne wesentlichen Widerspruch der Wirkung beraubt gewesen (während man die lebhafte Verfassungsentwicklung der Alten Kirche in den ersten drei Jahrhunderten mit dogmatischer Kritik und Mißtrauen begleitet hat).

Diese Haltung in den Hochzeiten der frühen Reformation wie der geistmächtigen Orthodoxie verweist auf die dogmatische Basis in der CA in den Bekenntnisschriften: in Art. V sind Wort, Amt, Geist in einer solchen Weise miteinander verbunden, daß es im wesentlichen immer nur die Aufgabe der synodus repraesentativa geben kann, und die synodus synthetica ein Schattendasein führt. Gerade diese praktische Ungleichheit der beiden Formen — ja schon ihre Unterscheidung verweist auf das dogmatische Motiv. Wolfs Deutung schlägt den Tatsachen ins Gesicht — er meint die Öffnung der Schrift grundsätzlich und durch die Landessprache für alle Christen mit ihren tatsächlich bedeutenden Wirkungen und verwechselt sie mit den Formen der Verfassung.

So gibt es in der Deutung nur zwei Alternativen:

Entweder hat die altlutherische Orthodoxie hier die Konsequenzen aus der subordinatianischen Pneumatologie mit der Folge einer Amts-Theologen- und Gebildeten-Kirche gezogen, oder sie war durch Jahrhunderte bis zu ihrer unfreiwilligen Befreiung infolge ihrer Verachtung der Institutionen in stets wechselnder Weise nicht frei, sondern situationsabhängig. Beides konnte sich auch in gefährlicher Weise untereinander verschlingen und gegenseitig verdecken. Weder das eine noch das andere ist in das Bewußtsein getreten. Der aufgeklärte Kollegialismus konnte dann mit dem Wesen der Kirche nur in Widerspruch treten. Denn sein Autonomiegedanke konnte der Vorgegebenheit des Evangeliums und des Amtes nicht Rechnung tragen und mußte so die Gegenposition hervorrufen. Was sich daran — gerade in den Streitigkeiten des 19. Jahrhunderts — ausdrückt, ist die Unausgetragenheit des Verhältnisses von Wort und Geist. CA V klärt nicht das Gefüge der Kirche, sondern verdeckt das Problem.

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Anmerkungen zu Kapitel XI

1 Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-lutherischen Kirche, hrgg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, Göttingen 81979, 411. Das Stichwortregister enthält das Wort „Synode” nicht. Die wenigen Stellen unter dem Stichwort „Konzilien” beziehen sich fast ausschließlich auf aktuelle Fragen.
2 Karl G. Steck, Der Locus de Synodis in der lutherischen Dogmatik, in: Theol. Aufsätze, Karl Barth z. 50. Geburtstag, München 1936, 338-352.
3 Man muß hier den uns fremden Sprachgebrauch beachten, — wir würden beide Formen eher umgekehrt bezeichnen.
3a Hier Zitat von Johann A. Quenstedt, de eccl. IV, 15, th 4, nach K.G. Steck, a.a.O. 343.
4 Richard Bäumlin, Art. Synode, in: RGG, Tübingen 31962, Bd. VI, 569-571, hier: 569.
5 Karl G. Steck, Lehre und Kirche bei Luther, München 1963, 189, Anm. 164.
6 Über die Nichtverwirklichung des Priestertums aller Gläubigen, vgl. RdG Bd. II, Kap. VII/3, 154-158.
7 Dombois, Formen der Kirchenleitung. Zugleich grundsätzliche Bemerkungen zur Kirchenordnung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, in: ZevKR 12, 1966, 39-60.