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Teil I

Zur Rechtstheologie

 

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Kapitel I

Institution und Recht

Die große Ausdehnung der Soziologie in allen Ländern europäischer Kultur und speziell in Deutschland hat auch auf die Theologie ihre Wirkung nicht verfehlt. Sie hat ihr wichtige Anstöße gegeben, bisher unbeachtete Erkenntnismöglichkeiten eröffnet, die über die klassische Religionssoziologie von Weber und Troeltsch weit hinausgehen. Sie bot zugleich ein ausgedehntes, wenn auch schwieriges und nicht selten vieldeutig-ungeklärtes Instrumentarium dar. Diese Begrifflichkeit setzte auf alle Fälle einen großen Teil derjenigen Begriffe außer Kurs, mit denen bisher die Theologie entsprechende Tatbestände angegangen hatte. Es ergab sich ferner die Möglichkeit und Notwendigkeit, bisherige Positionen in ungeahntem Maße zu hinterfragen. Diese Bewegung war freilich mit einer Tendenz zur Abstraktion, aber auch zur Ideologisierung verbunden, welche die Ergebnisse entweder fragwürdig erscheinen ließ oder unbestimmbar machte. Viele Aussagen stellten sich wie eine Art Blindflug dar, in dem der Ort des Beobachters über der gemeinten Wirklichkeit nicht mehr mit Bestimmtheit auszumachen war. Diese allgemeine Wirkung der Soziologie erstreckte sich dann auf das Problem der Institutionen. Sie hatte hier eine deutlich korrigierende Wirkung. Auch im Rahmen kritischer Betrachtung konnte das Phänomen der Institutionen nicht abgetan oder seiner Bedeutung entkleidet, womöglich denunziert werden. Positiv ergab sich jedoch im allgemeinen nicht sehr viel mehr als eine vielfältige, zugleich aber auch diffuse Beschreibung, die eben darum zu keinen konkreten Ergebnissen führte. Anerkennung und Kritik des Problembereichs ergänzten einander. Ausgeschaltet wurde auf alle Fälle die ältere Gewohnheit, mit Institution im besonderen Maße eine verhärtete und formalisierte Form und Steigerung von Gesetzlichkeit zu bezeichnen. Man war nahe daran, die Existentialität von Institution zu bejahen, ohne doch wiederum diesen Schritt ausdrücklich zu tun. Im übrigen kann man von den verschiedenen Formen der Verwendung des Begriffs die Altersschichtung der Theologie bestimmen.

Wenn 1949 der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland das Thema Kirche und Recht anstieß und damit seine wissenschaftliche Klärung kirchlich legitimierte, so ist damals das Problem der Institution zunächst nicht genannt worden und erst in der Folge hervorgetreten. Neben einem gewissen Einschlag des Institutionenproblems bei Ellul und der Ausschaltung des obsoleten Ordnungsbegriffs zeigten sich zunächst keine Wirkungen. Im Rahmen der von Friedrich Karl Schumann gegründeten Familienrechtskommision habe ich dann erstmalig 1953 die Frage der Institutionen thematisiert. Dies hat in der Folge, wie schon früher beschrieben, zur Bildung der Institutionen-Kommission des Christophorus-Stifts geführt, deren Arbeit sich bis in die 60er Jahre fortgesetzt hat. Hier waren von vornherein Institution und Recht thematisch

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verbunden. Institution und Institutionalität wurden also nicht als alleiniger Gegenstand unter konsekutivem Einschluß rechtlicher Dimensionen verhandelt. Eine besondere Not erhielt diese Arbeit durch die primäre Anwendung auf den weiten Bereich der Geschichte und Systematik des Ehe- und Familienrechts — insbesondere aus dem gegebenen Anlaß der Familienrechtsreform und damit unter der Notwendigkeit unmittelbarer Anwendung auf konkrete gesetzgeberische Probleme, welche auch kirchenrechtliche Tatbestände mit einschlossen. Damit war aber gegeben, daß es sich nicht zunächst um Institution im allgemeinsten und umfassendsten Sinne handelte, sondern um die Phänomene und Strukturen der personalen Institution. Daraus ergab sich die Notwendigkeit und Indikation der Anwendung auf kirchenrechtliche und theologische Fragestellungen. Unter personaler Institution ist ein mehraktiges, dialektisch strukturiertes Geschehen zu verstehen, durch welches eine Person einer anderen Person oder einem Personenverband zu- oder eingeordnet wird — mit oder ohne vermittelndes Substrat. Personale Institution wird dem begründeten Kern des protestantischen Personalismus gerecht, ohne in dessen Subjektivierung oder Spiritualisierung zu verfallen. Sie widersteht einem kausalen Weltbild, auch in einer nominalistischen Form. Dem Kirchenrecht als Personenrecht und Personenverbandsrecht bietet sie brauchbare Kategorien zur Interpretation seiner spezifischen Vollzüge und damit überhaupt seine eigene Begrifflichkeit. Demgegenüber ist das gegenwärtige Desinteresse an konkreten Begriffen ebenso charakteristisch wie unverständlich. die Ausdehnung des Institutionenbegriffs zu seiner weitesten Bedeutung konnte deshalb dazu führen, den konkreten Gehalt dieser Forschungen und Theorien aus dem Blick zu verlieren oder in Frage zu stellen. Wenn im weiten Felde der Soziologie Institutionen eine allgemeine und darum kaum begrenzbare Bedeutung besitzen, so lassen sich die konkreten Erkenntnisse im Bereich des Personenrechts und des Personenverbandsrechts nicht in Frage stellen. Die Differenz zwischen dieser Aufgabe und Möglichkeit und der Allgemeinheit des Problems hat dann unerkannt und unbewältigt dem Fortgang der Diskussion durch den Übergang in allgemeine rechtsphilosophische Probleme eine Schranke gesetzt, die nicht mehr überwunden worden ist. So ist auch der Gang der Publikationen zu verstehen. Diese Notwendigkeit einer bestimmten Begrenzung und der Klärung der damit verbundenen Aussagen zur theologische Anthropologie hat mich später veranlasst, das Ergebnis der rechtstheologischen Bemühungen in diesem Bereich in einem besonders durchgearbeiteten Artikel für das „Evangelische Staatslexikon” niederzulegen. Dies geschah unter Berücksichtigung der aufgetretenen systematisch-theologischen Gegenfragen und zur bewußten Ausräumung von Missdeutungen, die durch „ungeschützte” Formulierungen entstehen konnten. Ich füge daher diesem Kapitel jene Formulierungen als authentische Interpretation der Erkenntnis bei, welche ich als Ergebnis dieser Arbeit ansehe und für die ich einzustehen bereit bin. Anlässe zu Fehldeutungen habe ich mit Sorgfalt zu beseitigen unternommen.1

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Die konkrete Anwendung auf die Phänomene und vor allem Prozesse der personalen Institution erlaubt mir, auf der Begrenzung dieser Lehre und deren Legitimität für das Personenrecht und Personenverbandsrecht zu bestehen. Diesem Gebiet aber gilt das zentrale Interesse der Kirchenrechtslehre im eminenten Sinne. Die allgemeine Ausdehnung der Institionenproblematik in die weitesten Felder der Organisationssoziologie kann hier ausgeblendet oder in einen zweiten und dritten Range verwiesen werden, ohne den ersten Rang zu berühren. Diese Konzentration auf das Personenrecht ergab von vornherein und im Konsens der ursprünglich beteiligten Juristen und Theologen qua definitione einen prozessualen Charakter des hier verwendeten Begriffs, der also gerade nicht statutarische Setzungen oder imperative Akte im Auge hatte. Gerade dieses Moment war es, welches uns erlaubte, zwischen Ordnungstheologie und Existentialismus quer durchzugehen.

Es ist ein deutlicher Fortschritt, wenn in Band II der Studien der EKU über Barmen III gesagt wird:

„Die Kirche ist Institution nicht erst, sofern sie das Werk menschlicher Institutionalisierung ist, sondern zuvor und zuerst als ,Stiftung’ Jesu Christi. … die Verheißung(en) seiner Gegenwart … schließt ein von dem erhöhten Jesus Christus selbst gewolltes institutionelles Moment ein. ,Institutionell’, nämlich auf Wiederholung … gestellt, ist eben die auftragsgemäße … Verkündigung” usw.2

Es wird auch vom Rechtsakt der Taufe gesprochen. Zur Terminologie wird gesagt:

„Der Institutionsbegriff der dogmatischen Tradition hat dieses Moment vorgegebener göttlicher Setzung bzw. Einsetzung aufgenommen. [Vgl. besonders CA V] … Da dieser dogmatische Begriff und der heute gängige Begriff von ,Institution’ auseinanderfallen, wird hier der Stiftungsbegriff verwendet. Er ist zwar weniger gebräuchlich, aber eindeutiger theologisch. Er vereinigt das Moment der Dauer der göttlichen Setzung mit dem des Anfangs und erlaubt insbesondere die Anwendung auf personale Verhältnisse.” (43 Anm. 32).

Dieses letztere ist durchaus nicht der Fall. Denn hier setzt gerade erst das Problem des Verhältnisses von Institutionalität und Institutionen wie von Person und Institution an, für welche der bloße Begriff der Stiftung noch nichts austrägt. Diese Fragen wurden bereits unter Anknüpfung an den Stiftungsbegriff in den Thesen von 19553 thematisiert, jedoch hier weder aufgenommen noch geklärt. Im Gegenteil führt der bloße Stiftungsgedanke über die Gegenüberstellung von Stiftung und Institutionalisierungen nicht hinaus.

Die Mehraktigkeit, aber auch Ständigkeit personaler Institution führt dann notwendig auch zu der Konsequenz, daß mit der Institution zugleich Konstitution verbunden ist. Ein lebendiges Gefüge, welches die Fähigkeit besitzt, sich selektiv zu ergänzen, sich von Mißbildungen zu reinigen und in der Fortbildung seine Identität verwandelnd zu bewahren, liegt also außerhalb früherer Kontroversen. Mit dem Element der Konstitution ist aber auch eine Spiritualisierung

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ausgeschlossen, welche gleichsam metaphysische Setzungsakte als Primärphänomene ansieht, um dann von allen Folgerungen abzusehen oder diese als nur pragmatisch-banale Dispositionen zu entwerten. Wer also, wie etwa Heckel, im Einklang mit den Aussagen des Augsburgischen Bekenntnisses das Ambt der Kirche als von Gott eingesetzt bezeichnet und deshalb notwendig die Institutionalität des geistlichen Amts anerkennt, muß auch die Konsequenz der Verfassungsbildung, der Konstitutionalität auf sich nehmen, ohne in dieser Konkretion bereits wieder eine Entleerung oder Erstarrung zu sehen, eine Art zweite Abfalltheorie zu begründen.

Ich sehe nicht, daß diese konkreten Ergebnisse, sei es durch allgemeinere, sei es durch spezielle Kritiken in Frage gestellt worden sind. Im Gegenteil: es liegt der Vorgang der institutionellen Bindung formallogisch vor dem Recht, das er Schaft und insofern hieße das Thema dann: Institution und Recht, so gewiß die institutionellen Formen des Rechts im allgemeinen Horizont der Rechtslehre zu betrachten sind. Damit ergibt sich eine eigenartige Konsequenz. Während im allgemeinen, in dem schwer vermeidlichen räumlichen Bild, die Rechtssetzung vertikal von oben nach unten als eine Art Machtsausübung und Statuierung erscheinen muß, vollzieht sich der Prozeß der Institutionsbildung im Personenrecht gleichsam auf der Waagerechten, der Horizontalen, in der ein Element der freien Unterwerfung, genauer Darbietung, der eigenständigen Fortbewegung in Richtung auf etwas Zukommendes in Erscheinung tritt. Wenn also das Gesamtbild der Kirche sich konstitutionell in drei großen Schichtungen verschiedener Ausdehnung darstellt — universale Kirche, Partikularkirche, Gemeinde, aber auch Amt, Presbyterat, Laiengemeinde — so liegt die Institutionalität, genauer die Bildung der personalen Institution, in der Zielrichtung einer eher und besser horizontal zu verstehenden Bewegung auf einen vorgegebenen Endpunkt hin. Der vertikalen Schichtung widerspricht, immer mit den Mitteln des Bildes dargestellt, der Charakter der horizontalen Folge und Zielrichtung. Diese beiden, einander kreuzenden Dimensionen machen sich denn auch in jedem Versuch bemerkbar, den Gesamtbestand institutioneller Bildungen im Bereich der Kirchenrechtslehre zu durchdenken und zu geordneten Darstellung zu bringen.

Aber auch die erneute Preisgabe erreichter Einsichten meldet sich als Reaktion wieder an:

„Für die evangelische Ethik besteht im Blick auf die Institution allerdings das Problem, daß die Theologie keinen unmittelbaren Zugang zu sozialen Phänomenen bietet (!). Denn sie geht von einem Verständnis des Menschen aus, demzufolge er seine wahrhafte Bestimmung nicht durch oder in einer von ihm selbst zu schaffenden Wirklichkeit findet. Die Rechtfertigung des Gottlosen bedarf keinen sozialen Beziehung wie der Institution, sondern geschieht allein durch die ihm zukommende Gottesbeziehung. Da aber diese nicht ohne Wirkung auf sein Handeln bleibt, muß die theologische Ethik sich die realen Bedingungen, unter denen sich christliches Handeln vollzieht, bedenken, wozu auch dessen sozialen Folgen (!) wie z.B. die Institution

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zählen. Bei dieser Aufgabe der Ethik, und hier besonders der Sozialethik, ihr Thema im Blick auf die überindividuellen Lebensphänomene wahrzunehmen, ist in der deutschen evangelischen Theologie die Frage der Institution erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgegriffen worden.”4

Die Einschränkung des Verstehens auf das Schema von Ursache und Wirkung ist deutlich sichtbar, ebenso die primäre Einengung des Existenzverständnisses auf die des je einzelnen.

Diese Position belegt die schon von Steinmüller5 und Dreier6 geschilderte rückläufige Bewegung: weder eine geschichtliche Katastrophe noch die Selbsterfahrung des Versagens in der Geschichte sind imstande gewesen, eine Selbstreformation einzuleiten.

Aber: Recht ist ein Existential, welches aus der Verbindung von Gewissen und Verantwortung entsteht und besteht, und welches nach Erfüllung ausschaut. Es gründet auf Tatsachen: da mihi factum, dabo tibi ius. Diese gehen ihm immer voraus. Der Schöpfer verleiht seiner Schöpfung Leben, indem er sich damit einer anderen Weise der Gestaltung dieses Lebens entäußert. Er bleibt der Herr dieser Schöpfung und hat einen Anspruch auf Gehorsam. „Ich glaube, daß nicht Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen” usw. Er verhält seinen Zorn gegen den in selbstmächtiger Freiheit ungehorsamen Menschen, der sich im Brudermord gegen den Nächsten, auch gegen beider Schöpfer vergeht. Er läßt sich anstelle einer Verdammung, die er durch Verbannung ersetzt, in einen Prozeß mit dieser Freiheit des Menschen ein. Am Ende aber erfüllt er stellvertretend für den Menschen durch die Selbsthingabe in der Person seines Sohnes den schuldigen Gehorsam. So erfüllt seine Liebe seine Gerechtigkeit; ohne sich etwas zu vergeben, vergibt er um dieses Geschehens willen. Der mörderische Mensch lebt vom Todes Gottes.

Das Recht liegt daher dem Gesetz voraus, in welchem es entfaltet und reguliert wird. Das Gesetz ist zwischeneingekommen. Es braucht der Richter des Gesetzes nicht; denn es steht geschrieben: „Aus deinem eigenen Munde will ich dich richten.” Die Ansprüche sind es, die aus dem eigenen Munde kommen — etwas zu sein, was wir in Wahrheit nicht sind.

Deswegen treffen sich in der Formel ,Gesetz und Evangelium’ ein sekundärer Tatbestand mit einem primären in einer hinkenden Verbindung.

Recht drückt sich in An-Sprüchen aus und sollte schon deshalb eine Worttheologie interessieren. Der Anspruch bedarf immer eines rechtfertigenden Grundes; — er erfordert Anerkennung, darf sie „beanspruchen”. Die Anerkennung bleibt nicht bei sich stehen — sie fordert Erfüllung. Der rechtlich Gesonnene wird den Anspruch erkennen, auch wenn er ihn und soweit er ihn nicht erfüllen kann. Erfüllung des Anspruchs aber ist immer Entäußerung. Gerade die sachenrechtliche Rechtsübertragung, „Ver-fügung”, heißt „resignatio”, Rechtsverzicht, Einräumung eines Platzes, von dem der bisherige Inhaber weicht. Er weicht aus Rechtsgründen von seinem bisherigen Recht — auch der Tote erbt (transitiv) den Lebenden.

Darum ist Recht und auch mutatis mutandis weltliches Recht „bekennendes

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und liturgisches Recht” — Bekenntnis als Anerkenntnis der geschuldeten Verpflichtung auf jeder Ebene — liturgisches Recht verschlüsselt den Vorgang der Entäußerung, an der wir — geistlich — als proleptische Erfüllung Anteil erhalten. Diese Entäußerung ist von der Jordan-Taufe an die Erfüllung aller Gerechtigkeit. Diese aber kommt hier mit der Barmherzigkeit zur Deckung, wiewohl wir uns diese Komplementarität nicht vorstellen können.

Es ist dieselbe Denkstruktur des Rechtes — auf wesentlich verschiedenen Ebenen.

Nachdem Rudolf Smend eine normative Verfassungslehre, Karl Barth eine Ableitung des Kirchenrechts aus dem Kirchenbegriff überwunden haben, müßte es gelingen, auch jenes Mißverständnis zu beheben, diese Sperre zu durchbrechen.

Ulrich Kühn7 hat mit der neuen Unbefangenheit gegenüber Begriff und Thema „Institution” diese auf die Kirche als solche und ihre Hauptvollzüge angewendet; er hat zugleich den innertheologischen Diskussionsstand zusammengefasst. Er bedauert aber selbst, die sogenannten „drei großen Entwürfe” gegen diese Positionen und Auslegungen nicht vermittelt zu haben. Es fragt sich, warum hier und anderwärts ein so naheliegender Versuch nicht gemacht worden ist, — aber sein Fehlen wird als Argument gegen die Sache selbst verwendet. Es fehlt, diese Deutung liegt nahe, an einem Einstieg, an einem Anknüpfungspunkt, einer Methode. Das Hindernis liegt, so scheint mir, darin, daß die genannten Elemente der Ekklesiologie, insbesondere die Hauptvollzüge der Kirche je für sich als ein Ganzes betrachtet, zugleich aber auch nicht miteinander sinngemäß verbunden werden, — so daß weder ihre Innenstruktur noch der Zusammenhang der verschiedenen Vollzüge als Aufgabe und Frage gestellt werden. Daß das Handeln und Geschehen der Kirche eine pneumatisch-personale und eine inhaltliche Struktur besitzt, wird ebensowenig deutlich wie der zielgerichtete Sinnzusammenhang. Der Hinweis von Barth auf den liturgischen und bekennenden Charakter des Kirchenrechts hat den Übergang in diese Strukturfragen noch nicht selbst eingeleitet.

 

Anmerkungen zu Kapitel I

1 Vgl. hierzu Dombois, Art. Institution, II. Juristisch C. Rechtstheologisch, in: EStL, Stuttgart 21975, 1018-1022, hier: 1020 ff: „Der I.(nstitution)enbegriff hat in den letzten Jahrzehnten Bedeutung für die theol. Begründung des Rechts (Rechtstheol.) gewonnen. Die nach 1945 lebhaften Bemühungen um eine solche standen zunächst unter dem traditionellen Gesichtspunkt der Gerechtigkeit (Betheler Synode und Göttinger Rechtgespräch 1949, Dt. und Ökumenische Naturrechtskonferenz Treysa 1950). Arbeite nam Familienrecht (Eherechtskommission der EKD) zeigten, daß die hier gewonnenen Gesichtspunkte nicht ausreichten, und führten seither zur planmäßigen Aufnahme des I.enproblems, das zuvor schon J. Ellul

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angeschnitten hatte. Die sog. Ordnungstheol. verschiedener Richtungen vermochte der freien Entscheidung des Menschen zur Ordnung ebensowenig angemessenen Raum zu gewähren wie ein sog. „personalistischer” Aktualismus dem Dauercharakter und der Verbindlichkeit des Rechts. Wechselseitige Ergänzung und bewußter Ausgleich beider Richtungen bot sich in der I.enlehre an. I. wurde als strukturelle Einheit von Stiftung und Annahme, aber auch von Vorgang und Zustand verstanden. Das stiftende Gebot Gottes erweist sich als Angebot, das in freiem Gehorsam angenommen wird. Diese doppelte Relation ist später formal in einer Folge zusammengefasst worden: actio dei, reactio hominis, status (Calliess). Wie schon vielfach die Soziologie ging die rechtstheol. I.enlehre fast unbestritten von der Struktur der Ehe aus. Schwierigkeiten ergaben sich in der Übertragung auf makrosoziologische und damit transpersonalen Formen (Gegensatz von I. und Anstalt). Wurde die Annahme eines I.ensystems als schlüssiger Zuordnung einer Anzahl von I.en zueinander abgelehnt (wechselseitige Unverfügbarkeit der I.en), so stellte sich doch die Frage nach dem Verhältnis von I. und I.en. Anstelle eines Begriffs von I.en trat der Begriff der Institutionalität des Menschen hervor, „neben Sozialität und Rationalität einer der spezifischen Nenner für die Grundbedürftigkeiten des Menschen in seiner Menschwerdung” (Ernst Wolf). Institutionalität ist hier etwa das, was in der Existenzphilosophie unter Existenzialien verstanden wird. I. als (An-)Gebot, als Möglichkeit, steht so zwischen Vorgegebenheit und zweckhafter Verfügbarkeit der Ordnung. Als weiterer Problemkreis ergab sich das Verhältnis zwischen I. und Norm. Die I.enlehre beanspruchte Berücksichtigung bestimmter Phänomene, aber nicht die Deckung des Gesamtbereichs der Rechtstheorie. In Erweiterung des herkömml. Normenbegriffs und unter Abweisung einer unzulängl. Imperativentheorie wurden I.en als „gewährende Normen” begriffen, „bereitgestellt, um der Lebensverwirklichung Raum zu geben” (Wolf). Daraus folgt der Satz, daß Normen im strengen Sinne nur in Relation zu I. en zu definieren und zu verstehen sind. Mit der I. sind inhärente Verpflichtungen verbunden, soziologisch der „Rollenerwartung” entsprechend. Die theol. Durchführung verweist — in einer gewissen Verwandtschaft zur luth. Lehre von den drei Erzhierarchien — auf die drei exemplarischen I.en der Ehe, des Eigentums und des Bundes (in Kirche und Staat different und bezügl. dargestellt). Die Auffassung läßt sich theol. nicht auf die traditionelle Unterscheidung von supra- und infralapsarisch verrechnen. I.en sind vom Ansatz her nicht bloße Sicherungen um der Sünde willen, werden aber in concreto von der Gefallenheit des Menschen betroffen. Als verfehlbare Möglichkeit sind sie weder ein heiles System idealer Gestaltung noch bloße äußere Zwangsordnung im vermeint. Gegensatz zu personaler Eigentlichkeit. Die von J. Moltmann interpretierte Mandatslehre Bonhoeffers hat sich trotz vieler Berührungen hier nicht als tragfähig erwiesen. Einzelarbeiten haben in selbständiger Auffassung die I.enlehre auf bestimmten Rechtsgebieten angewendet: Grundrechte (Häberle), Eigentum (Calliess), Kirche (Dombois). In der kath. Soziallehre ist das I.enproblem bisher verhältnismäßig wenig aufgenommen

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worden. Da der I., als konstitutiver Vorgang begriffen, kein Analogon des Abbaus entsprach, geriet die Fragestellung in den Verdacht des Konservativismus. Zugleich trat das Interesse an der Klärung des Person- und Subjektbegriffs zugunsten transsubjektiver Systemzusammenhänge zurück. Die neuere Soziologie zog die I.problematik wesentlich in die Organisationssoziologie hinein („I.alisierung”). Daher fand die direkte Thematisierung des Problems ein vorläufiges Ende.
Wie die personalen und die transpersonalen Formen von I. nicht in einer einheilt. Theorie geklärt werden konnten, so kann umgekehrt heute eine funktionalistische Anschauung die Fragen nicht klären, welche den eingangs geschilderten Bemühungen zugrunde lagen. „Die I. ist … immer auch eine, humane Existenz als solche in bestimmter Weise konstituierende Voraussetzung für alle denkbaren Regungen des Subjekts. … die Voraussetzung alles subjektive Selbstbewusstseins” (Willms). I. bildet einen unaufgeklärten Rest der heutigen Soziologie, der Wiederaufnahme unter neuen Aspekten erfordert. Der Nachweis, daß nicht nur affirmative Antriebe, sondern gerade das kritische Bewußtsein spezifisch i.bildend wirkt, kann hier weiterführen.
In die theol. Lehre von der Kirche ist das I.enproblem durch eine Schrift des Schweizers J.L. Luba eingezogen und thematisch in einer Unterkommission der Abt. Faith and Order des Ökumenischen Rats der Kirchen verwandelt worden. Der dort verwendete Begriff Institutionalism(us) bezeichnet sonst eine hier nicht zu behandelnde national ökumenische Theorie.”
2 Alfred Burgsmüller (Hg.), Kirche als ,Gemeinde von Brüdern’, Votum des Theologischen Ausschusses der Evangelischen Kirche der Union, Bd. 2, Gütersloh 1981, 42 f.
3 Vgl. Dombois (Hg.), Recht und Institution I, Glaube und Forschung 9, Witten 1956, 71 f.
4 Helge Siemers, Art. Institution, in: ESL, Stuttgart 71980, 621-624, hier: 623.
5 Wilhelm Steinmüller, Hypothesen und Fragen zu einer katholischen Rechtstheologie, in: Mensch und Recht, FS für Erik Wolf, Frankfurt 1972, 236-249.
6 Ralf Dreier, Entwicklungen und Probleme der Rechtstheologie, in ZevKR 25, 1980, 20-39.
7 Ulrich Kühn, Kirche, Handbuch systematischer Theologie, Bd. 10, Gütersloh 1980, 167-173, bes. 183 Anm. 1.