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1 „… jedes Recht (hat) Begriffe, die in einer gewissen Ordnung, d.h. durch ein System miteinander verbunden sind. Die Systematik wird daher nicht von außen her vom Juristen an das Recht herangebracht.” (Paul Koschaker, Europa und das römische recht, 1947, S. 251)
2 H.D. Wendland, Sukzession im Neuen Testament, in „Credo Ecclesiam”, Kassel 1955.
3 Vgl. Brunner, Lehre vom Gottesdienst, s.o. Kap. V.
4 s.o.
5 s.o. Kap. XII.
6 s.u. Kap. XIV.
7 Bemerkenswert ist jedoch eine Entscheidung einer griechischen Bischofssynode, welche den sog. Ethnizismus, d.h. die grundsätzliche Verbindung von Kirchenverfassung und Volkszugehörigkeit ausdrücklich ablehnt. Obwohl also die autokephalen Kirchen praktisch weitgehend Nationalkirchen sind, sind sie doch grundsätzlich Territorialkirchen mit einer überwiegenden Nationalität, nicht aber auf der sprachlichen und völkischen Einheit aufgebaut. Man vergleiche damit die Schwierigkeiten zwischen der dänischen und der schleswig-holsteinischen lutherischen Kirche, und man sieht den Mangel an realer oekumenischer Gemeinschaft, der durch das Landeskirchentum und seinen späteren Übergang in das politische Gemeinbewußtsein entstanden ist, nachdem Jahrhunderte hindurch nicht einmal mehr zwischen Wolfenbüttel und Halberstadt eine kirchenrechtliche Gemeinschaft bestand.
8 Kirchenrecht II, § 8, S. 131.
9 Das eben gegebene Zitat habe ich in meinem Aufsatz „Altkirchliche und evangelische Kirchenverfassung” (Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, Bd. II, H. 1, 1952, und wieder abgedrückt in „Glaube, Recht, Europa” — Glaube und Forschung IV, S. 134 ff.) kritisch erörtert.
10 a.a.O. S. 143.
11 Selbst ein so liberales staatliches Kirchenregiment
wie das bremische hat im Falle Mauritz (als nämlich ein Pfarrer
jahrelang nichttrinitarisch getauft hatte) einschreiten müssen,
weil die Anerkennung der bremischen Taufen in den übrigen
deutschen Landeskirchen dadurch in Frage gestellt war. Selbst
dort also, wo die theologische Einsicht längst nicht mehr
selbstverständlich ist, und zugleich ohne jeden Rückgriff auf
positives Kirchenrecht hält der der Kirche immanente
Rezeptionsvorgang als Element des allgemeinen Kirchenrechts noch
ein Band aufrecht. (vgl. hierzu Rudolf Smend, Glaubensfreiheit
als innerkirchliches Grundrecht, Festschr. für Herbert Kraus, S.
211 ff., insbes. S. 219)
Die beschwerliche Übung der bedingten Taufe von Konvertiten aus
evangelischen Kirchen durch die römische Kirchen beruht sachlich
auf der Notwendigkeit, das Vorliegen einer gültigen —
trinitarischen — Taufe jurisdiktionell zu prüfen, ebenso aber auf
dem Zwang, eine gültige Taufe zu rezipieren. Denn die Taufe ist
unwiederholbar. Anstößig
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ist hierbei nur die Neigung, Bedenken künstlich hervorzuheben und gelegentlich vorkommende Mängel zu verallgemeinern.
12 Hans Frhr. v. Campenhausen hebt in seiner
Untersuchung „Die Begründung kirchlicher Entscheidungen beim
Apostel Paulus” (Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie der
Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse 1957/2, S. 35 f.) das
„oekumenische Argument” hervor, welches Paulus verwende, um von
ihm den Gemeinden empfohlene Regelungen zu stützen, „daß sie auch
sonst” „in allen Kirchen Gottes” gehalten würden. Weder der
Hinweis noch die Frage selbst sollte man überschätzen. Aber er
passe doch zu der kirchlichen Haltung, die Paulus überhaupt
einnehme, der zufolge „die Gesamtkirche die Priorität vor den
Einzelkirchen hat” — so auch Bultmann, Theologie des NT, 1953, S.
442, im Hinblick auf „das allgemeine Selbstverständnis der
Ekklesia”, nicht nur bei Paulus.
„Wenn die Berufung auf die alten Glaubenstraditionen deutlich in
die Richtung der kommenden schriftkanonischen Entwicklung
vorausweist, so kann man in der Betonung der gemeinkirchlichen
Übereinstimmungen vielleicht schon die ersten Ansätze zu den
späteren harmonisierenden Bestrebungen der Concilien erkennen und
den kirchenrechtlichen Canones, die sie verwirklichen” (S.
36).
Es ist für die durchschlagende Kraft der nominalistischen
Tradition bezeichnend, daß dieses doch durchaus nicht völlig neu
hervorgetretene „allgemeine Selbstverständnis der biblischen
Ekklesia” und bei allem theologischen Paulinismus die
oekumenische Haltung des Paulus keine Beachtung und Nachahmung
gefunden hat. Es ist nichts Ungewöhnliches und wird nicht als
Widerspruch empfunden, wenn in den ersten Sätzen einer
Kirchenverfassung die oekumenische Symbole, die Zugehörigkeit zur
Ökumene und zur Evangelischen Kirche in Deutschland
verfassungsmäßig vorausgestellt, aber im nächsten Absatz die
grundsätzlich unbeschränkte rechtliche Autonomie in Anspruch
genommen wird.
Auch Harnack (Mission und Ausbreitung des Christentums in den
ersten drei Jahrhunderten I, S. 375) sagt: „Es ist in der Tat so:
Das Ganze war früher als der Teil, d.h. die durch die Apostel
bewirkte Organisation war zunächst eine universale und
provinzialkirchliche. Judäa, Samarien, Syrien … usw. stehen den
Aposteln vor der Seele und figurieren in ihren Berichten”. Dieser
Sachverhalt ist unbestreitbar und offenkundig. Es ist biblisch
und apostolisch und nicht in den „Abfall in die Kirche” zu
verlegen. Aber er zeigt, wie unwirksam das ständig angezogene
biblische Vorbild überall da geblieben ist, wo es genötigt hätte,
der nominalistischen Vereinzelung, dem geistlichen und weltlichen
Souveränitätsanspruch partikularer Gewalten, kurz: dem Zuge und
dem Geiste der Zeit zu widerstehen.
13 Communio sanctorum S. 167, Anm. 2.
Ist dies schon für den Vergleich der beiden ersten falsch, so
finde ich nirgends eine evangelische Lehre, die der Gemeinde
Unfehlbarkeit zuspricht. Der objektivierende Begriff der
Unfehlbarkeit setzt einen ebenso
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objektiven, für sich bestehenden Wahrheitsbegriff voraus. Er ist ganz etwas anderes als die Gewißheit des Glaubens über die Verheißung des Beistandes des Geistes. Bonhoeffers Meinung hat nur insofern eine gewisse Berechtigung, als die orthodoxe Kirche diesen Grundsatz nicht ohne zeitweiliges Schwanken durchgehalten hat. Heiler (Urkirche und Ostkirche S. 217 ff.) zeigt, daß die ostkirchliche Theologie von dem zeitweiligen Satz der Unfehlbarkeit des Konzils wieder zu der ursprünglichen und ihr gemäßeren Lehre von der freien Rezeption zurückgekommen ist. In der orthodoxen Kirchenrechtslehre, so auch in dem Standardwerk von Milasch finden sich gelegentlich Rationalisierungen des pneumatischen Rechts, die aber niemals Überhand gewinnen und den Unterschied der Grundauffassung sehr deutlich werden lassen. Es sind dies zuweilen römische Einflüsse, zuweilen unbewußte Annäherungen.
14 a.a.O. I, S. 398.
15 Mörsdorf in seinen zitierten Studien über die Kirchengewalt bestreitet die letztere Form, aber wohl zu Unrecht.
16 Bei nicht wenigen Theologen besteht heute die
Neigung, gewisse Grundbegriffe der rechtsstaatlichen Demokratie
ganz selbstverständlich auf die Kirche anzuwenden. Die
theologische Zulässigkeit dieses Verfahrens wird entgegen
sonstiger Akribie nicht einmal erwogen. Ebenso verwunderlich ist
die unbedenkliche Anwendung der sonst so verdächtigen
Generalbegriffe. Bei näherem Zusehen fehlen jedoch zulängliche
Kenntnisse der staatsrechtlichen Formen, die man anwenden will.
Über Gewaltenteilung, Mehrkammersystem, Repräsentation usf.
werden Aussagen ohne Sachkunde gemacht. Es besteht vollends keine
Vorstellung davon, daß die Verfassung großer politischer
Gemeinwesen eine vielfältige, sinngemäß anzuwendende Struktur
besitzt, die man nicht ungestraft mißachtet. Diese Gedanken
bereiten einer geistlichen Ordnung erhebliche Hindernisse.
Die folgerichtige Gewaltenteilungslehre setzt einen geschlossenen
Zirkel von Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung voraus, in
der die Rechtsprechung sich wieder mit der Gesetzgebung deckt. De
relative Eigenständigkeit der einzelnen Gewalten bedeutet kein
Gegenüber; sie sollen in der Identität der Vernunft eins sein.
Wer diese Lehre übernimmt, bekennt sich zu einer
Vernunftmetaphysik, keineswegs zu einer gegebenen „weltlichen”
Form oder etwas Neutralem.
17 s. weiter in Kap. XIV.
18 vgl. S. 191 oben.
19 vgl. Kap. II/6.
20 Ev. Theologie 1947/48, S. 324 ff.
21 vgl. das in Kap. II über Sanktion Gesagte.
22 s. Kap. VIII.
23 Auf neuere Versuche der Kanonistik, diese Lehre endgültig zu überwinden, wurde bereits in Kap. VIII (Ordination) eingegangen.
24 Confessio Augustana Art. 28, 20 ff.; Apologie Art. XXVIII Ziff. 13 ff., sachlich übereinstimmend Heidelberger Katechismus Frage 85.
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25 W.O. Münter, Begriff und Wirklichkeit des geistlichen Amtes, S. 17, nach Calvin O.S. V, 133,11.
26 Vgl. hierzu die Ausführungen zur Begründung der Agende IV der VELKD in Kap. VIII.
27 Insbes. S. 153 f.
28 SZfRG Kan. Abt. XLII 117 ff.
29 Privatbeichte, S. 64.
30 Ebda zit. 158 a.
31 Der Chr. Glaube, S. 525.
32 Vgl. hierzu Ulrich Scheuner, Grundfragen einer
kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, ZfEvKr 6, S. 337 ff.
Hartmut Maurer, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Ev. Kirche,
Götting. Rechtswiss. Studien, Bd. 25 (1958).
33 Scheuner, a.a.O. S. 345.
34 Scheuner, a.a.O. S. 354.
35 Can. 196 CIC definiert zwar den Begriff der
Jurisdiktion in bestimmter Richtung, setzt ihn aber im übrigen
voraus — und zwar als einen wesentlich formalen
Entscheidungsbegriff, für den dann der Gegenstand der
Entscheidung selbst nicht wesentlich ist. Der Begriff der
Jurisdiktion ist jedoch immer zugleich ein materialer Begriff. Er
enthält die Wahl, Berufung, Herauslösung, und ist zugleich auf
das hin gerichtet, was auf Grund der formalen und materialen
Entscheidung zu geschehen hat.
Nach can. 367 § 3 darf zum Generalvicar der Poenitentiar des
Domkapitels nicht berufen werden. Das Kirchenregiment und das
Beichtwissen dürfen nicht vermengt werden (vgl. auch Ulrich
Stutz, D. Geist d. Codex iuris canonici — Kirchenr. Abhandl.
92/93 [1918], insbes. Seite 279 ff.). Ein sehr erfahrener
(evangelischer) Seelsorger sagte mir, daß er das in der Beichte
Gehörte ganz unwillkürlich zu vergessen vermöge. Mit Recht
vermeidet jedoch die römische Kirche hier bewußt jeden Konflikt
und Mißbrauch.
Mörsdorf nennt unter den Problemen, die im Zuge einer Reform des
kanonischen Rechts auf dem II. vatikanischen Konzil zu klären
wären, auch die Gewaltenlehre (Arch. f. kath. K.R. [129],
1959/60, Heft I).