3. Das Verhältnis der kirchenrechtlichen Grundbegriffe zueinander

Jurisdiktion und Ordination stehen in einem engen Verhältnis zu dem ersten hier entwickelten Begriffspaar der traditio und receptio. Denn die receptio hat Entscheidungscharakter und entspricht insofern der jurisdictio. Ebenso entspricht die einordnende ordinatio der traditio. Aber diese Parallelität macht zugleich deutlich, daß das Zuordnungsverhältnis ein umgekehrtes ist: die traditio stellt vor die Entscheidung der receptio: die Entscheidung der jurisdictio führt zum ordinatorischen Handeln. Demgemäß verlaufen die Vorgänge in einer zusammenhängenden Folge: die traditio, die rezipiert wird, führt zugleich zur jurisdiktionellen Entscheidung über das zukünftige Handeln.

Weil dieser Zusammenhang besteht, ist die jurisdictio kein primärer, sondern ein sekundärer Begriff des Kirchenrechts. Jurisdictio kommt, wenn sie legitim ist, immer von traditio und receptio her, ist weder eine isolierte Funktion noch ein allgemeines Urteilsvermögen überhaupt. Die in den Begriffen der potestas jurisdictionis et ordinis auseinander gelegte potestas ecclesiastica im Sinne der Bekenntnisschriften darf also von der receptio der traditio nicht abgelöst werden. So wie zwischen jurisdictio und ordinatio zu unterscheiden ist, beide aber ohne Substanzverlust nicht voneinander getrennt werden können, so dürfen auch diese Vorgänge nicht von jenem vorausgesetzten Zusammenhange mit traditio und receptio gelöst werden.

Ein Kirchenrecht vollends, welches keine receptio mehr kennt, muß die Kirchengewalt fälschlich zum Attribut eines souveränen, im sicheren Geistbesitze befindlichen Idealsubjektes machen. Jener Zusammenhang aber schließt gerade die Selbstbestimmung der Kirche als eines Eigensubjektes aus: sie ist Leib Christi, aber selbst nicht Haupt. Sie lebt von der Selbsthingabe dieses Hauptes, die sie in der receptio bei Verlust des Heils annehmen muß, die sie dann in verantwortlicher

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Entscheidung ordinatorisch weitergibt. In diesem ordinatorischen Handeln vollzieht sich wiederum traditio, welche vom Gläubigen, vom Täufling, von der Gemeinde anzunehmen ist — in der Freiheit des Geistes mit dem ganzen eschatologischen Ernst der Entscheidung zwischen dem rechten und dem falschen Herrn. Das Handeln der Kirche hängt also davon ab, daß sie die traditio als die rechte annimmt, und daß diese im Glauben wieder angenommen wird. Es ist also in der receptio begründet und durch sie begrenzt. Die empfangende fides ist nach Augustins Wort virtus sacramenti. Erst in diesem Zusammenhang entfaltet dieses Worte seine volle Bedeutung. Das gleiche Verhältnis tritt in dem Worte hervor: umsonst habt ihr es empfangen, umsonst sollt ihr es geben. Sieht man von dem hier nicht interessierenden Problem der Simonie ab, so ist hier das doppelte Geben im Empfangen und Weitergeben deutlich erkennbar. So bilden die eigentümlichen Vorgänge des Kirchenrechts gleichsam eine unendliche Kette, der Weitergabe von Geschlecht zu Geschlecht, eine Wellenfolge von Empfangen und Geben, bis der Herr kommt.

Jurisdictio als richterliche Entscheidung und ordinatio als statuszuweisende Einordnung wären für sich allein den Attributen der Staatsgewalt noch allenfalls vergleichbar: die Vorgänge der traditio und receptio beziehen sich auf einen von Anbeginn an bis zu einem eschatologischen Ziel Bleibenden — allem staatlichen Handeln, auch der Kontinuität irdischen Königtums unvergleichbar. Der Staat mag geschaffen sein: er ist selbst nicht Schöpfung; er mag ein Ziel haben — er hat keine Eschatologie — wenn er nicht entartet: er hat deswegen zu Recht auch keine Mission. Deswegen kann auch niemals die polis der Typus der ekklesia sein. Wenn die Kirche meint, zum vollkommenen Staat oder seinem Idealbild bestimmt zu sein, oder aber meint, sich ihm preisgeben zu müssen, verfehlt sie ihren Auftrag, verkennt sie ihre Vollmacht. Der Rechtskundige braucht den Staat weder als einen Ausdruck des Zornes Gottes zu verdüstern noch als Zielbild und zugleich Abbild der ekklesia zu verherrlichen. Ein so radikaler, extremer Pendelschlag der Anschauungen zeigt, daß das Gleichgewicht und Maß des Urteils verloren gegangen ist. Es führt zu seltsamen Ergebnissen, wenn das Zwielicht des evangelischen Kirchenrechts, in dem noch alle Konturen unscharf sind, in die grelle Überbelichtung einer Idealisierung übergeht. Aber nicht verwunderlich ist es, wenn auf diese Weise die unverzichtbaren Unterscheidungen verloren gehen.