Das schon früher zitierte Werk von Erik Wolf kam in meine Hände, nachdem der Text dieser Arbeit im wesentlichen abgeschlossen war. Unter Voraussetzung der schon in Kap. I vollzogenen methodologischen Kritik nehme ich jetzt im Vergleich zur eigenen Konzeption zu den liturgierechtlichen Aussagen Wolfs in dessen Teil II Stellung.
Wolf lehnt es ab, den exegetischen Befund als fließend und gegensätzlich zu werten, und faßt ihn als eine feste, prägnante, durchaus auch rechtliche Ordnung in klaren Grundlinien zusammen. Das historische Bild geht in ein systematisches über. Es ist ein vom alten Bund hinübergreifender, im neuen Bund verwandelter sakralrechtlicher Ansatz — in dem schon zitierten Sinne repraesentatio des Gottesreichs. Hier ergibt sich für ihn ein Schema von drei jeweils dreifach gegliederten Aussagereihen (S. 155).
1. Berufung zur Nachfolge — Taufordnung = die Taufe als Berufung zur Lebensgemeinschaft mit Christus begründete die Zugehörigkeit zur Gemeinde als Abbild des Gotesreichs.
2. Bevollmächtigung zum Apostolat (Verkündigungsauftrag) = Zeichen der Bevollmächtigung durch Christus war die Teilnahme an der Verkündigung, das Hören des Evangeliums. Der Versammlung unter dem Wort anzugehören, begründete die Zugehörigkeit zur Gemeinde las Abbild des regnum Christi (Verkündigungsordnung, Predigtordnung).
3. Versammlung zur Eucharistie (Abendmahlsordnung). Die Jünger … waren geordnet in der Lebens- (Tisch) gemeinschaft mit Christus. Zeichen dieser Versammlung (ekklesia) war der gemeinsame Dienst für den in Menschengestalt anwesenden Herrn, er wurde nach der Entrückung des Auferstandenen als Gottesdienst bezeichnet. Seine Grundordnung stiftete Christus selbst als Abbild der jenseitigen Gemeinschaft mit ihm. Seit Paulus … bedurfte jede Gemeinde einer Abendmahlsordnung.
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Innerhalb des Punktes 2 entwickelt er dann als zweite Linie eine
Lehre vom Schlüsselamt als triplex munus Christi (S. 157):
1. Kerygmatisches Lehramt (Missionsauftrag) = Kerygma,
Lehramt
2. Apostolisches Priesteramt (Vollmachtsauftrag) = Taufe,
eucharistische Feier, Dämonenaustreibung
3. Diakonisches Hirtenamt (Leitungsauftrag) = Aufsicht,
Unterstützung, Gemeindeleitung (leitourgia), Hirtenamt.
Am Ende der historischen Darstellung der Urkirche steht dann eine
Lehre von den drei Urämtern als Ausgliederung des ursprünglich
(jerusalemitisch) einen Amtes (S. 167):
1. Episkopoi
2. Presbyteroi
3. Diakonoi.
Die älteste Form der Gemeindeordnung ist ihm die Abendmahlsordnung. Apostel, Apostelschüler, Propheten, Lehrer oder Älteste leiten die Feier als Aufseher (episkopos). Dieser wurde (als Vorbeter, Evangelist und Interpret verlesener Schrifttexte) von Erstbekehrten, Gründungsmitgliedern unterstützt. Den Tischdienst leisteten die Helfer (diakonoi).
Die Episkopoi müssen gewisse Qualifikationen aufweisen. Sie sitzen im Gottesdienst vor, verwalten die Gaben, leiten und vertreten die Gemeinde.
Die Presbyteroi werden im Gegensatz zu den Bischöfen nicht gewählt, sondern auf Grund von Bewährung anerkannt. Während zwar von episkopoi auch in der Mehrzahl gesprochen wird, aber das Vorhandensein von Bischofskollegien unbezeugt ist, sind die presbyteroi immer in der Mehrzahl.
Die Diakonoi sind der Qualifikation den Episkopoi gleich (dies entspricht nicht den unterschiedlichen Beschreibungen der Pastoralbrief), aber in der Funktion den episkopoi und presbyteroi untergeordnet als Diener zu Tische und Armenpfleger.
Daß dies alles gottesdienstliche Verrichtungen sind, daß die Ämter sich vom Dienstgedanken her verstehen, daß der Bischof nicht ohne die Ältesten und die Gemeinde handelt, versteht sich dabei von selbst.
Das Schema der Ämter (III) deckt sich nun einigermaßen mit demjenigen der munera und Funktionen (II). Bischofsamt = sakramentale Verrichtungen, Presbyterat = Verkündigung, Diakonat sub contrario Hirtenamt, wenn man beachtet, daß der Diakonat sehr stark der Leitungstätigkeit des Bischofs zugeordnet ist, freilich auch der Verkündigung: diakonia tou logou, bis hin in die traditionellen Ambtsbezeichnungen des älteren Protestantismus, Verlesung und Schriftauslegung).
Schema I enthält im Sinne Barthscher Gedanken sachgemäß die Erstreckung des Gottesdienstes von der Taufe über die Predigt zum Abendmahl. Die verschiedene Bezeichnung der christologischen Bezüge
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berührt sich stark mit den von mir in der Auslegung des Gesamtgottesdienstes gewonnenen Gesichtspunkten.81 Daß aber die Ämterordnung mit ihrem ausdrücklich bemerkten historischen und genetischen Ansatz im Abendmahl umgekehrt verläuft, wird nicht vermerkt. Die nicht mit Wasser, sondern mit Geist getauften, in der Tischgemeinschaft lebenden Apostel verkündigen und taufen die Bekehrten. So entsteht ein Widerspruch zwischen dieser Ämterfolge und der Lokalisierung der Ämter in der Verkündigungsordnung (Schema I, Ziff. 2). Diese letztere Ableitung ist nur möglich, wenn auch Taufe und Abendmahl trotz des Nebeneinanders der drei Ordnungen als Elemente der Verkündigung und damit der Verkündigungsordnung verstanden werden. Das würde Barths Sakramentslehre, insbesondere seine Tauflehre82 entsprechen, ebenso dem lehrhaft-deklaratorischen Zug der reformierten Theologie. Es ist aber in Text und Anordnung nicht ausgesprochen. Es widerspricht aber dem Gefälle beider Linien (I und III) von der Taufe zum Abendmahl wie umgekehrt. Eingeschlossen in die historische Darstellung entbehrt diese weittragende Sachentscheidung in der Gottesdienstlehre der ausdrücklichen Begründung. Der Widerspruch bleibt stehen. Auffällig ist dabei die dem Wortsinn direkt entgegengesetzte Gleichsetzung von Hören und Sich-versammeln-Lassen mit Vollmacht. Gewiß kann man alles in der Welt, und so auch in der Theologie, dialektisch übereinbringen. Biblisch steht dem jedoch der konkrete Missionsbefehl entgegen, dessen es sonst nicht bedurft hätte. Hier ist gerade zwischen Berufung in der Taufe (immer in Wolfs Begriffen gesprochen) und eschatologischer Mahlgemeinschaft das concretissimum der Vollmacht ausgespart. Wer richtet denn die Predigt aus, wer versammelt, wenn eben dieses beides im Passivum die Vollmacht begründet? Man ist versucht, die fehlende Ergänzung des Gedankens im sich selbst ausrichtenden Worte Gottes zu suchen. Zwischen prädestinatarischer Berufung und eschatologischer Gemeinschaft ist hier wie anderwärts in der reformatorischen Gottesdienst- und Kirchenrechtslehre die ordinatorische Mitte ausgefallen, wiewohl Wolf so entschlossen die „fides ordinata” fordert. An diesem Punkte wird deutlich, warum trotz der sakralrechtlichen Grundlage von Teil II Einleitung und Teil I wesentlich anders verfahren und in herkömmliche Bahnen der Ableitung aus dem theologischen Ansatz einlenken.
Als ein viertes Dreierschema bringt Wolf die Unterscheidung von petrinischer (jerusalemitischer), paulinischer und johanneischer Gemeindeordnung. Die erstere ist durch feste, ein für allemal angenommene, durch geistliche Tradition, nicht so sehr auf dem Charisma beruhende Autorität gekennzeichnet, die zweite als missionarische durch charismatisch-autoritative Persönlichkeiten. Die dritte wird als ökumenische verstanden. Sie ist exegetisch bestritten, wird aber von Wolf als sinngemäß bejaht, weil die beiden ersten Formen heilsgeschichtlich auf
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Vereinigung im Überzeitlichen ausgerichtet seien. Es ist die im „Ereignis” des Glaubens „geschehende”, geistlich einigende Ordnungsstruktur, die erst am Ende der Tage voll in Erscheinung kommende ökumenische Ordnung der Kirche.
In diesem bisher mehr geschichtstheologisch als wissenschaftlich vertretenen Schema wird sonst der johanneische Typus der orientalischen Kirche zugewiesen. Grund und Grenze der Bezüglichkeit zwischen Calvinismus und Ostkirche ist in der Interpretation der personalen Rollen im Abendmahl schon deutlich geworden.
Die Einklammerung des Ganzen in Allgemeinbegriffe „Christokratie” (deren Belastetheit er offenbar nicht empfindet) und „Bruderschaft” kann an dieser Stelle auf sich beruhen bleiben. Wie schon erwähnt, sind auch die Strukturfragen des Bekenntnisbegriffs (trotz formellen Rückgriffs auf dessen Charakter als homologie) nicht aufgenommen.
Wolfs Buch ist getragen von einem lebhaften Ungenügen an herkömmlichen Absolutsetzungen und Antithesen, deren Einseitigkeit am Tage liegt, damit auch einer deutlichen Kritik an einem prinzipiellen Paulinismus,83 sodann von dem aktualistischen Zug des modernen Calvinismus und schließlich einer starken ökumenischen Sehnsucht. So darf man wohl die Charakteristik der johanneischen Gemeindeordnung (in die das aktualistische Moment auf alle Fälle eingetragen ist) als sein eigenes theologisches Ideal erkennen, auf welches hin er auch seine eigene Kirchengemeinschaft auslegt und entwickeln will.
Geschichte, Systematik und eigener Wunsch verbinden sich, nicht überall unterscheidbar, und mit abnehmender Konkretion der Begründung. Glanz und Elend dieses großen Gegenstandes werden zugleich sichtbar. Wer freilich die Systemfrage einmal, auch nur in den Anfängen anschneidet, kann nicht mehr zurück, auch nicht auf das historische Vorbild — er muß auf die Gefahr der Fehllösung bis zuende denken. Die Unklarheit darüber ist wohl der hauptsächlichste Einwand gegen Wolfs Versuch.