Die bisherigen Erwägungen stellen uns die Frage nach der Einheit des Gottesdienstes und hierbei insbesondere nach dem Verhältnis von Predigt und Abendmahl. So konnte Karl Barth schon sehr frühzeitig schreiben:
„Es wird vielleicht eine von den dem Protestantismus gestellten Entscheidungsfragen der nächsten Zukunft bilden, ob es gelingt, den evangelischen Gottesdienst seiner von Luther wie von Calvin intendierten Ganzheit entgegenzuführen, d.h. die unsinnige Trennung von Predigt und Sakrament aufzuheben und ihre natürliche Zusammenordnung wiederherzustellen”.58
Und Peter Brunner warnt:
„Der selbständige Predigtgottesdienst, der seine verborgene Beziehung auf den Abendmahlsgottesdienst verliert, kann vor einer Rationalisierung seines Inhalts und seiner Form kaum geschützt werden”.59
Der eigentümliche Auseinanderfall von Predigt und Abendmahl wird auch in der katholischen Theologie als Mangel empfunden.
Dort tritt er in umgekehrter Richtung auf; die Messe wird als das Entscheidende regelmäßig gehalten, die Predigt spielt eine Nebenrolle,
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wiewohl die Ausdehnung der Predigt im Laufe der Geschichte und auch innerhalb der einzelnen Länder ganz außerordentlich gewechselt hat. Trotzdem ist das Schwer- und Übergewicht der sakramentalen Seite ganz unverkennbar.
Beide Teile begegnen sich also in diesem Ziele der Wiederherstellung des sog. Vollgottesdienstes, von entgegengesetzten Richtungen kommend, und finden infolgedessen oft sehr verwandte Formulierungen. „Das Sakrament ist der Verkündigung des Wortes zugeordnet, ja kann sogar als eine besondere Art der Verkündigung betrachtet werden. Das Sakrament hat also Verkündigungscharakter, während das Wort Sakramentscharakter hat.” 60
„Die neutestamentliche Forschung hat in jüngster Zeit erkannt, daß das NT den Gottesdienst der Gemeinde und die Sakramente in einem bisher nicht erkannten Maße voraussetzt.” Aber nicht nur das Faktum eines wesentlich sakramentalen Gottesdienstes hat sich ergeben, sondern auch eine sich deutlich abzeichnende Zuordnung seiner Elemente. In Auslegung von Acta 2, 42 und 20, 7 hebt Cullmann61 hervor, daß im Anschluß an die lange Predigt des Paulus das Mahl gefeiert worden sei, daß „die Mahlfeier Grund und Ziel aller Versammlungen” gewesen sei. Rudolf Stählin62 kann sagen, daß „die Folge von Unterweisung, Gemeinschaft (Beisteuer von Gaben für die Bedürftigen) Brotbrechen und Gebet wahrscheinlich auch die Abfolge des Gottesdienstes darstellt.” „Gleichgültig, ob (nach Cullmann) es in der Urkirche nur zwei gottesdienstliche Feiern gegeben hat (das gemeinsame Mahl mit Wortverkündigung und den Taufgottesdienst) — oder ob Wort und Sakramentsgottesdienst aus synagogalen Erbe und Abendmahlsfeier irgendwann, aber gewiß schon sehr früh zur ,Messe’ zusammengewachsen sind, steht schon um die Mitte des 2. Jahrhunderts bei Justin dem Märtyrer der Grundbestand der überlieferten Messeordnung fest. Bis zur Aufklärung ist über die Reformation hinaus der christliche Vollgottesdienst gleich einer Ellipse mit zwei Brennpunkten geblieben: Wortverkündigung und Mahlfeier in der Einheit eines Gottesdienstes. Auch die Reformatoren haben daran festgehalten.” Ein Ausspielen eines der beiden gegen das andere kommt dabei niemals in Betracht. Die missionarische Situation insbesondere des Hochmittelalters hat daneben eine besondere Form des reinen Predigtgottesdienstes hervorgebracht.63
Es ist freilich von vornherein zu beachten, daß die Wortverkündigung in zwei Formen vor sich ging: in den Lesungen und in der Lehre und Predigt. Beide letztere hatten einen sehr viel stärker lehrhaften und homiletischen Charakter als heute, waren aber zugleich weitgehend auf den Zielpunkt des sakramentalen Geschehens hin gerichtet, verloren dieses nicht aus dem Auge. Der Ausbau der Predigt zu einem eigenständigen, sehr viel umfangreicheren, schließlich barock-hypertrophen Hauptstück verdrängte und verlor nicht nur den Bezug zum Sakrament,
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sondern auch die Lesungen, die entsprechend in die pietistische Privatfrömmigkeit abwanderten. Die ungemeine Freiheit, dies alles ohne Verkürzung mit einer gewissen Lockerheit zusammenzuhalten, aber auch immer wieder aus gegebenem Anlaß gesondert breit zu predigen, ohne den homiletischen Charakter der Sonntagspredigt wie das Abendmahl durch eine umfangreiche Hauptpredigt zu verlieren und das Ganze zu sprengen, ist uns verloren gegangen. Denn so gewiß Verkündigung und Sakrament zusammengehören und auch Paulus endlos vor dem Abendmahl gepredigt hat, so zweifelhaft ist doch, ob unser akademischer Predigtstil gerade mit seinen Vorzügen (nicht nur wegen seiner von der Gemeinde oft seufzend ertragenen Schattenseiten) nicht diese Einheit unvermeidlich sprengt. Man kann hier also nicht mit abstrakten Größen rechnen, sondern muß die praktischen Verhältnisse in Raum und Zeit erwägen. Und doch steht dahinter ein Unterscheid des Zeit- und Geschichtsbewußtseins. Wenn eigentlich immer nur eines geschieht mit relativ unwesentlichem Zubehör, und Verschiedenes als Wesentliches nicht zusammengehalten werden kann, so fehlt das Bewußtsein, daß jedes einzelne in einem großen Lebenszusammenhang steht und gehalten ist, in dem nichts verloren geht. Diese Differenz wird mit den gewöhnlichen polemischen Antithesen der Kontroverstheologie nicht erfaßt.
Auch Zurücktreten und schließlicher Verfall des Sakramentsteils, des nach Cullmann ursprünglichen Grundes und Zieles, zeigt, daß die Selbstverständlichkeit dieser Einheit verlorengegangen ist und dies deutet auf einen Verlust des Verständnisses für die zentralen Anliegen hin, die sich in diesem Gesamtgeschehen ausdrücken. „Schon Luther mußte über das Ausbleiben der Abendmahlsgäste bei der sonntäglichen Deutschen Messe klagen, gewiß nicht ohne Zusammenhang mit einer einseitigen Auslegung des Abendmahls im 5. Hauptstück des kleinen Katechismus als individuelle Gewissenströstung.” 64 Seither stellen sich die Fragen nicht nur nach der Einheit des Gottesdienstes überhaupt und an sich, sondern auch nach ihrer Begründung und inneren Notwendigkeit.
So scheint es im ganzen darum zu gehen, das jeweils Fehlende zu ergänzen und ein Gleichmaß herzustellen, welches zugleich vor einem Umschlagen in die entgegengesetzte Richtung bewahrt ist.65
Innerhalb des Protestantismus deutscher Zunge wird die Lage noch dadurch kompliziert, daß es in ihm zwei Traditionen gibt: die niederdeutsch-lutherische, welche den Gesamtgottesdienst verhältnismäßig am stärksten bewahrt hat, und die oberdeutsch-lutherische und reformierte, welche, anknüpfend an die Tradition gesonderter Predigtgottesdienste der Bettelorden im Spätmittelalter, diese damalige Nebenform zur Hauptform gemacht hat.
Indessen ist die Wirkung dieser wohlbegründeten und ebenso wohlabgewogenen Mahnungen verhältnismäßig sehr gering. Fast ebenso
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stark wie das Anliegen selbst und oft noch stärker ist beiderseits die Sorge, es könnte auch im Überschwang der Entdeckerfreude und Neugestaltung auch nur ein Quentchen zuviel geschehen. Der freie Zug wird von vornherein gebremst. Aber weit mehr nimmt Wunder, daß so erfahrene Kenner meinen können, ein so mächtiges Geschehen wie der christliche Gottesdienst könnte mit wohltemperierten Mahnungen in Ordnung gebracht werden. Daß etwas unsinnig ist, besagt noch nichts darüber, ob in der Kirche Kraft und Interesse entsteht, es zu bessern.
Solange nicht ein Glaubensinteresse besteht, eine Wahrheits- und Entscheidungsfrage hervortritt, werden alle diese Gedanken und Arbeiten nur eine Randerscheinung sein. Und eben darum geht es: es ist in Wahrheit der christliche Gottesdienst der Ort mächtiger geistlicher Entscheidungen, in welchen es mit der Lebensform der Christenheit und deren geschichtliches Schicksal geht. Das Bewußtsein dafür ist nicht schlechthin geschwunden, sondern hat sich in das konfessionelle Beharrungsvermögen verlagert, welches mit seinen Gottesdienstformen weit mehr als mit seiner Lehre seine geschichtliche Existenz verteidigt und dabei nun allerdings verlernt hat, noch das Ganze des Gottesdienstes und damit das Ganze der Kirche zu sehen.
Die liturgische Bewegung hat in ihren Ursprüngen ganz richtig gemeint und gehofft, daß eine Wandlung des Gottesdienstes auch eine Wandlung der Kirche nach sich ziehen werde und müsse. Die amtliche Anerkennung der Aufgabe liturgischer Neubildung hat demgegenüber einen zweideutigen Charakter. Ist sie auf der einen Seite die tatsächliche Durchsetzung sachlicher Notwendigkeiten wie parallel das neue Lebendigwerden des reformatorischen Kirchenliedes gegenüber Rationalismus, Pietismus und Romantik, so hat die Liturgie doch zugleich in dem Maße ihrer amtlichen Anerkennung ihren reformierenden Charakter eingebüßt oder droht ihn einzubüßen. So groß als der Schritt für die kultusfremden Richtungen des Protestantismus ist, um auch nur für das jetzt allgemein und synodal Anerkannte, das in vielen außerdeutschen evangelischen Kirchen selbstverständliches Gemeingut ist, Verständnis aufzubringen, so ist es doch keine Frage der Quantität. Es geht nicht um „viel” oder „wenig” Liturgie — sondern um echtes, bindendes und scheidendes Geschehen. Dieser Entscheidungscharakter wird gerade in der Gegnerschaft echt empfunden, wirkt sich aber regelmäßig in der Verhinderung oder der gegenstandslosen Spekulation auf eine geschichtslose, die wahre Zukunftsliturgie aus.
Was aber für die Liturgie gilt, gilt auch für das Kirchenrecht. Karl Barths offene Sprache gegen einen ekklesiologischen Doketismus, gegen die Unfähigkeit zu verbindlicher Entscheidung, ändert nichts daran, daß die Dinge in der Tiefe lebensmäßig vorentschieden sind und bleiben. Die Kirche scheidet sich in „Verbalisten” und „Sakramentalisten”. Unsere Christlichkeit besteht um den hohen Preis der liturgischen Häresie. Wir
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nehmen das Evangelium nicht an, ohne es zuvor der Eingleisigkeit unseres Lebens und Denkens unterworfen zu haben.
Dahinter verbirgt sich der Gegensatz von Wahrheit und Wirklichkeit. In der Tat: wenn die Wirklichkeit nicht wahr ist im Sinne der evangelischen Wahrheit, so sind es eben andere Mächte, die sich hier erweisen. Ist die Wahrheit aber nicht wirklich, so ist sie eben von akademischere Belanglosigkeit. Hier helfen keine Postulate und Gleichsetzungen. Reden nicht die Verbalisten von der unerfahrenen Wirklichkeit des Gottesdienstes und der Sakramente mit ihrer ganzen Wissenschaftlichkeit wie die Blinden von der Farbe? Entgehen die Sakramentalisten der Entschärfung der Wahrheitsfrage? Der eine bekommt den anderen hier kaum noch wirklich zu Gesicht. Man empfindet sich gegenseitig — mit oder ohne persönliche Wertschätzung — als „massiv” oder „destruktiv”. Jener tiefe Bruch aber muß unweigerlich im Kirchenrecht als liturgischem und bekennendem zum Austrag kommen. Die Verdammung des Kirchenrechts zur Belanglosigkeit ist schon eine Entscheidung in der Sache selbst. Wenn die Kirche nicht das „Charisma der Entscheidung” hat, wie ein namhafte lutherische Theologe von der lutherischen Theologie meinte, so wird es heilsam sein, wenn die Jurisprudenz sie zur Entscheidung stellt und ihr zugleich die Selbsttäuschungen über die rechtsgeschichtliche Bedingtheit ihres bisherigen vermeintlich rein innertheologischen Haltungen zerschlägt.
Aber jenes tiefe Mißverständnis jener beiden Haltungen und Anschauungen ist noch nicht das Schlimmste. Wir sehen, daß heute zunehmend die radikalste, kanonzerschlagende Exegese sich mit einem, dem Freund der Liturgie fatalen und fragwürdigen hochkirchlichen Ritualismus verbindet, ja auf ihn zuführt. Existenzinterpretation und „Vollzug” stehen unter weitgehender Suspension der Wahrheitsfrage und der Frage nach ihrem beiderseitigen Verhältnis unvermittelt nebeneinander. Der primitive altliberale Antiliturgismus ist längst überholt und durch eine deutliche theologische Schizophrenie ersetzt. In dem Augenblick, in dem Sakrament und Liturgie theologisch nicht mehr mit Erfolg bestritten oder beiseitegedrängt werden können, tritt die unheilvolle Spaltung zwischen Wahrheit und Wirklichkeit erst recht hervor. Wer sich, wie es heute freilich immer noch reichlich geschieht, und deswegen auch kaum zu vermeiden ist, um jene falschen Antithesen von Predigt und Sakrament streitet, wer es trotz Bejahung ihrer dialektischen Spannung meint zum Dogma erheben zu müssen, es dürfe „das Sakrament das Wort nicht überformen (?)”,66 wer eine glatte Vorordnung und Höherwertung der Predigt als biblische und konfessionell-reformierte Lehre formuliert,67 der verkennt, daß alle die hier noch umstrittenen Dinge im Grunde schon (mit Recht und unwiderruflich) rezipiert sind, daß die Not darum nicht geringer geworden ist, aber die Fragen ganz woanders liegen.
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Die gleiche Erkenntnis wie Brunner und Barth spricht auch J.J. v. Allmen aus, wenn er als ausdrückliche These sagt:68
„Der Gottesdienst der Gemeinde ist nur vollständig, wenn das Sakrament die Predigt begleitet: denn die Predigt bedarf ebenso des Sakraments wie das Sakrament der Predigt.”
Er zitiert Heinrich Vogel: „Das Wort ist die Wahrheit des Sakraments, das Sakrament ist die Wirklichkeit des Wortes.” (186) v. Allmens weitere Begründung ist lesenswert, braucht hier aber nicht zitiert zu werden.
Es fragt sich nach alledem, warum eine nunmehr in allen Kirchengemeinschaften und allen theologischen Richtungen anerkannte Einsicht trotzdem so geringe Wirkungen zeitigt.
Der Grund liegt nicht in erster Linie in der traditionellen Option für das eine oder das andere bei Amtsträgern wie Gemeinde, auch nicht an der Theologie der Angst. Es liegt daran, daß diese Einsicht eine sehr viel radikalere Wandlung unseres Denkens erfordert, als es zunächst angesichts so einleuchtender Begründungen erscheint.
Wenn jene Autoren Recht haben, so besteht
1. zwischen Predigt und
Sakrament ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis, eine
Interdependenz,
2. die Tendenzen jedoch,
welche die Predigt und das Abendmahl ohne jenen Ausgleich, ohne
Berücksichtigung jener Abhängigkeit entfalten, werden nicht ohne
weiteres in dem einzelnen Gottesdienst, in der einzelnen Predigt,
dem einzelnen Abendmahl sichtbar, sondern erst in ihrer
bestimmungsgemäßen stetigen Wiederholung. Sprechen wir von „der”
Predigt, „dem” Abendmahl, so setzen wir voraus, daß jedes von
ihnen jeweils in sich vollständig ist, so daß die Folge der
Verrichtungen nur eine Wiederholung solcher abgeschlossenen,
vollgültigen Einheiten ist. Dennoch wird jene wesentliche, ja
konstitutive Beziehung erst in der Wiederholung sichtbar. Obwohl
die vollgültige und rechte Ausrichtung jedes einzelnen gar nicht
in Frage gestellt werden kann, so ist doch erst in der
Wiederholung das Ganze. Beide dienen der Förderung, der
Weiterführung, der ständigen Ernährung, der Erziehung der
Gemeinde — wie immer wir es ausdrücken wollen. Mit allem
Vorbehalt sei ein biologisches Bild gebraucht: man kann durch ein
unbekömmliches Essen krank werden. Aber was man Ernährungsfehler
nennt, wird beim sonst gesunden Menschen nicht auf Grund einer
Mahlzeit, sondern erst durch eine ständig einseitige Ernährung
sichtbar.
Wir setzen also zu Unrecht die einzelne Predigt mit der Predigt überhaupt, die einzelne Sakramentsfeier mit dem sakramentalen Leben in eins.
Die Interdependenz von Predigt und Abendmahl, ihre aktuelle Querverbindung bedeutet daher zugleich eine Längsverbindung, eine
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zeitliche Erstreckung auf ein Ziel zu, das wir uns freilich nicht setzen, sondern das uns gesetzt ist — und auf uns zukommt. Die handgreifliche Unbereitschaft, jene Interdependenz anzuerkennen und die Folgerungen aus ihr zu ziehen, beruht letztenendes auf einem Selbstverständnis des Menschen, der sich als abgeschlossen und autark ansieht und der deshalb auch alles, was er tut, was er an sich geschehen läßt und annimmt, ebenso in sich abgeschlossen, für sich allein bestehend und suffizient betrachtet. Zwischen der Vollgültigkeit des einzelnen und jener Ergänzung wie Erstreckung besteht, wie ersichtlich, ein durchaus dialektisches Verhältnis — aber die Leugnung von Interdependenz und Erstreckung bedeutet unzweifelhaft eine radikale Verkürzung gerade der eschatologischen Dimension des Gottesdienstes (so wie dies umgekehrt auch geschehen kann). Aber erst in dieser Breite und Länge bildet sich das, was Karl Barth den „gottesdienstlichen Raum” nennt. Die Radikalität, mit der wir in jedem einzelnen immer auf das Ganze gehen und sehen, bis hin zu der Bekehrungstheologie der Sekten, ist also durchaus anthropomorph und anthropozentrisch.
Die berechtigte Scheu, eine explizite Verhältnisbestimmung der Elemente des Gottesdienstes zu versuchen, hat uns dennoch wehrlos gemacht gegen noch sehr viel verhängnisvollere Tendenzen.
In der kontroverstheologischen Auseinandersetzung spielt die Formel „Wort und Sakrament” eine große Rolle, mit der versucht wird, die signa ecclesiae auszudrücken und abgrenzend festzuhalten. Eine von Löhe gebildete Faustregel besagt, die römische Kirche habe das Sakrament allein, die lutherische Kirche Wort und Sakrament, die reformierte nur das Wort. Diese Formel dienst zur Begründung eines problematischen Anspruchs und Selbstverständnisses der lutherischen Kirche als „Mitte der Konfessionen”.69
Die Formel „Wort und Sakrament” unterscheidet sich von der Begriffsbestimmung von CA VII in zwei Richtungen: sie ersetzt den Vollzug („in qua recte docetur…”) durch den gegenständlichen Begriff (Wort), sie nennt sodann anstelle der Sakramente im Plural nur das Sakrament als Einzahl oder auch als Sammelbegriff.
Diese Verschiebung hat zunächst den logischen Widerspruch zur Folge, daß ein Dualismus aus ungleichen Gliedern gebildet wird. Denn die verbale Verkündigung des Evangeliums und die reale Austeilung der Sakramente sind zwei Weisen ein- und desselben Wortes Gottes, welches zu uns kommt. In der Formel dagegen steht der Generalbegriff „Wort” dem Teilbegriff „Sakrament” gleichgeordnet gegenüber. Das ist nicht nur logisch schief, sondern bedeutet vor allem, daß vermöge der nahegelegten Gleichsetzung von Wort Gottes überhaupt und verbalem Wort der Verkündigung dieses letztere ein (in CA VII durchaus nicht zum Ausdruck kommendes) Übergewicht erhält, ein Gefälle in dieser Richtung begründet wird.70
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Das ist genauso, als ob man nur dem realen Handeln im Sinne des Gegenständlichen den Charakter der Wirklichkeit einräumen wollte. Zu der auf diesem Felde herrschenden Verwirrung sagt Paul Tillich:71
„Die kirchliche Predigt setzt ein Wortverständnis voraus, das
dessen Ausdrucks- und Beziehungsfunktion mit seiner
Mitteilungsfunktion verbindet. Unter diesen Umständen darf es
nicht wundernehmen, daß man den Versuch unternommen hatte, das
Ganze der Theologie zu einer erweiterten Lehre vom ,Wort Gottes’
zu machen (Barth). Aber wenn das geschieht, muß das ,Wort’
entweder mit Offenbarung identifiziert und der Begriff ,Wort’ so
weit gefaßt werden, daß jede göttliche Selbstmanifestation unter
ihm subsumiert werden kann, oder die Offenbarung muß auf das
gesprochene Wort beschränkt bleiben. Das ,Wort Gottes’ wird
buchstäblich statt symbolisch verstanden. Im ersten Fall geht der
spezifische Sinn des Begriffes ,Wort’ verloren; im zweiten Fall
bleibt der spezifische Sinn erhalten, aber es gibt kein
ohne Wort sich vollziehende Selbstmanifestation Gottes.
Das widerspricht jedoch nicht nur dem Sinn der göttlichen Macht,
sondern auch der religiösen Symbolik in den biblischen und
außerbiblischen Schriften, die, wenn sie die Erfahrung der
göttlichen Gegenwart beschreiben, ebenso oft vom Sehen, Fühlen,
Schmecken sprechen wie vom Hören. Daher kann das ,Wort’ nur dann
zum allumfassenden Symbol der göttlichen Selbstmanifestation
werden, wenn das ,Wort Gottes’ sowohl gesehen und geschmeckt als
auch gehört wird. Die christliche Lehre von der Inkarnation des
Logos schließt das Paradoxon ein, daß das Wort Gottes zum
Gegenstand des Anblicks und der Berührung geworden ist.
Die Lehre von der Offenbarung
wird in der Tradition gewöhnlich als Lehre vom ,Wort Gottes’
entwickelt. Das ist möglich, wenn ,Wort’ als Logoselement im
Grund des Seins verstanden wird. Das ist die Interpretation,
welche die klassische Logoslehre ihm gegeben hat. Aber das Wort
Gottes wird oft halb wörtlich, halb symbolisch als ein
gesprochenes Wort dargeboten. Diese Intellektualisierung der
Offenbarung widerspricht dem Sinn der Logoschristologie. Die
Logoschristologie war nicht überintellektualistisch; in
Wirklichkeit war sie sogar eine Waffe gegen diese Gefahr. Wenn
Jesus als Christus der Logos genannt wird, so meint Logos eine
Offenbarungswirklichkeit und nicht Offenbarungsworte. Wenn die
Logoslehre ernst genommen wird, verhindert sie die Entwicklung
einer Theologie des gesprochenen oder geschriebenen Wortes, die
dem Protestantismus zum Verhängnis geworden ist.”
Freilich ist das verbale Wort nicht nur eine Form innerhalb vieler Formen der Manifestation Gottes, sondern wie die Leiblichkeit der Sakramente eine besondere, ausgesonderte, hervorgehobene Form, womit weder eine Exklusivität noch ein grundsätzlicher Vorrang vor den
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Elementen gemeint sein kann. Denn ihre Auszeichnung besitzt den gleichen Grund und den gleichen Rang. Die Bevorzugung des verbalen Wortes beruht auf der Wertung der vernehmbaren Vernunft und der Sprache als einer dem Menschen überhaupt gegebenen Möglichkeit.
Genauso wie CA VII leidet jene Formel unter dem Mangel, daß sie einer konkreten Verhältnisbestimmung zwischen Wortverkündigung und Sakrament(en) entbehrt. Eine solche ist überhaupt in der lutherischen Theologie nicht durchgreifend und allgemein ausgebildet worden. Sie hat keinesfalls als Gemeinüberzeugung das Handeln und die Entwicklung der Kirche bestimmt. Eher begegnet die Frage einem entschiedenem Desinteresse. Im Ganzen herrscht die rein tatsächliche Nebeneinanderstellung, die „rohe Juxtaposition”.72
Sowie man aber auf den Unterschied zwischen dem Sakramentsbegriff im Allgemeinen und der Pluralität der Sakramente blickt, so ändert sich sofort das Bild. Kommt die Gemeinde schon von der Taufe her, so ergibt sich schon die erste Verhältnisbestimmung. Es steht dann nämlich die Predigt eindeutig zwischen Taufe und Abendmahl.73
Es ist also völlig klar, daß die Taufe der Predigt vorangeht, das Abendmahl ihr nachfolgt. Die Predigt hinter dem Abendmahl zu halten, würde etwas völlig Unangemessenes bedeuten. Würde sie nachfolgend der Erläuterung dieses Geschehens oder einer Ermahnung der Gemeinde dienen, so würde sie die Würde des Abendmahls, der Präsenz des Herrn, der sich hier selbst imponiert, widersprechen, noch schlimmer, wenn sie nach einem solchen Geschehen sich anderen Dingen zuwendete. Legitim folgt dem Abendmahl die Danksagung, vor allem aber die missio. Gerade der eschatologische Charakter kommt darin zum Ausdruck, daß das Abendmahl in die missio zur Ausbreitung des kommenden Reiches Gottes ausläuft.
Es ist also die Reihenfolge Taufe-Predigt-Abendmahl, so gesehen, nicht veränderbar und als geschichtlich-progressive unumkehrbar. Als solche Folge ist der christliche Gottesdienst eine Sinneinheit, auch wenn die Teile vielfach ausgegliedert werden. Auf eine inhaltliche Verhältnisbestimmung aber können wir nicht verzichten. Die uns heute unmöglich erscheinende Umkehrung der Reihenfolge Predigt-Abendmahl hat tatsächlich im 17. Jahrhundert lange Zeit in bestimmten Gebieten bestanden. Dadurch wird das Abendmahl zum Initiationsritus für die Verkündigung. Selbst ein noch so reduziertes, signifikatorisches Abendmahlsverständnis hält wenigstens die geschichtliche Folge durch. Denn bekräftigt, versinnbildet werden kann nur etwas, was zuvor geschehen ist. Jene Umkehrung dagegen läßt die völlige Aufhebung der liturgischen Struktur als eines geschichtlichen Vorgangs erkennen. Es zeigt sich daran, wie schwach diese liturgische Struktur in der Gottesdienstlehre der Reformationszeit ausgeprägt war. Sonst hätte sie nicht so leicht noch im Zeitalter der Orthodoxie verwischt werden können.
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Der barocke Gottesdienst zeigt gerade im Kerngebiet der lutherischen Kirche, in Kursachsen, noch weitere, gerade kirchenrechtlich wirksame und bedeutende Merkmale. Mit oder ohne Umkehrung der Folge Predigt-Abendmahl wird der Predigtteil (der „Predigtauftritt”) so ausgestaltet und maßlos ausgedehnt, daß Predigtteil und Sakramentsteil auseinanderbrechen. Zugleich aber wird die Wahrnehmung der Predigtfunktion in dieser pompösen und plerophoren Form zu einer Rangfrage. Sie wird etwa am kursächsischen Hofe dem Oberprediger als Doktor der Theologie vorbehalten, beansprucht nunmehr akademischen Rang. Dieser Oberhofprediger aber fordert ausdrücklich, vom Altardienst befreit zu werden, welcher den nachgeordneten Geistlichen zufällt. So bis in die Gegenwart bei den hamburgischen Hauptpastoren. Aus dem liturgischen Zusammenwirken wird alsbald ein Subordinationsverhältnis.
Leider stimmt diese Entwicklung nur zu gut mit einem Worte Luthers zusammen:
„Wem das Predigamt übertragen wird, dem wird das höchste Amt in der Christenheit übertragen. Der kann dann auch taufen, Messe halten, und alle Seelsorge übernehmen; oder, wenn er das nicht will, so kann er allein beim Predigen bleiben und das Taufen und andere untergeordnete Ämter anderen überlassen.” 74
Wenn man auch ein einzelnes Wort nicht überbewerten soll, so ist doch bedenklich genug, daß es überhaupt so formuliert werden konnte. Es zeigt sowohl eine Einlinigkeit der Betrachtung, den Verlust der Proportionen, wie eine unmögliche Abwertung der Sakramente.
In der orthodoxen Riten kommt die Predigt nach der Messe vor. Die geschichtliche und gegenwärtige Ausdehnung dieses Gebrauchs wäre noch zu prüfen. In der abendländischen Kirche ist er, wenn ich recht sehe, auf jene zweifellosen Mißbildungen im Barock beschränkt. Die Gegenbildung liegt noch nicht in der zweifellos im ganzen überwiegenden Folge Predigt-Abendmahl, sondern in einer generellen Behandlung der Predigthörer als Katechumenen.
Wird mit Luther die Predigt als vox vocans infideles ad fidem verstanden, so wird der Unterschied zwischen Missionspredigt und Gemeindepredigt, und das Herkommen der versammelten Gemeinde von Taufe und Glauben vernachlässigt.
Die ostkirchliche Predigt dagegen rechnet mit einer Gemeinde, die das Mysterium schon empfangen hat und nur nachträglich ausspricht, was in der Liturgie im Leibe Christi geschehen ist. Dadurch wird freilich weder mit den noch vor der Tür der Kirche stehenden Katechumenen gerechnet (damit auch im Gegensatz zur alten Kirche). Es wird aber auch nicht in die Welt jenseits der Kirche hineingerufen. In beiden Richtungen ist das Moment der missio ausgefallen, die ja sonst am Ende der Messe steht. Dem entspricht in der Ordination das Fehlen der missio canonica. Man kann also an der einseitigen Ausbildung der
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Doxologie und der entsprechenden der missio in Gesamtgottesdienst und Ordination die korrespondierenden Mißbildungen deutlich zeigen. Beide heben die geschehende Geschichte in der Kirche auf. Die orthodoxe Haltung verkürzt das in der Mission immer noch zukommende, vor der Kirche Liegende, die Behandlung der Gemeinde als funditus erst wieder zum Glauben zu Rufende entwertet das Herkommen vom Glauben. Die extreme Steigerung des Missionsrechts schließlich entrechtet die schon in der Geschichte begründete Gemeinde und Diözese.75 Die Geschichtlichkeit der Kirche liegt und lebt zwischen gewissen Grenzen, sie ist implizit, nicht explizit.
Daß auch die Ostkirche große Mission getrieben hat, darf deshalb nicht geleugnet werden. Aber wo die dinge so gehen, ist die Tendenz und Wirkung unverkennbar.
Die bereits gegebene Interpretation von Taufe, Predigt, Abendmahl je für sich hat nun gezeigt, daß es sich niemals um eingleisige, nur einem Zweck dienende Handlungen handelt, sondern um höchst komplexe, gegliederte Gebilde je in sich. Nun bestehen hier insbesondere zwischen Taufen und Predigt eine Reihe von Berührungspunkten. Der Charakter des Bekenntnisses, der Verkündigung, der Proklamation, des Exorzismus, aber auch der Sündenvergebung sind in beiden miteinander verbunden. Während der einheitliche Fluß der Predigt als Rede diese Bedeutungen und Funktionen verschmilzt, sind sie im Taufvollzug geschieden und in Einzelakte zerlegt. Wäre der Taufvollzug selbst nicht so differenziert, so würde das nicht ändern, daß er im engeren Sinne diese Momente teils mitumgreift, teils stillschweigend voraussetzt. Bei aller Bezüglichkeit kann natürlich von einer Art Synonymität von Taufe und Predigt nicht die Rede sein.
Versuchen wir nun die Vielfalt dieser Aspekte, Teilhandlungen und Bedeutungen im Zusammenhang zu verstehen, so zeigen sich dem Blick in allen drei Handlungen immer zwei Schwerpunkte und Hauptbedeutungen. Auf der einen Seite steht die bestimmende Beschlagnahme, welche sich mit einer Losreißung von fremder Herrschaft und einem Bekenntnis zu dieser Inanspruchnahme verbindet — auf der anderen Seite eine Inkorporation.
Sie liegt zwischen
Exorzismus/Absage und Wassertaufe
Scheidung von der Welt und Zuspruch des Evangeliums in der
Predigt
Konsekration und Epiklese/Sumptio beim Abendmahl.
Überall besteht eine strukturelle Ensprechung.
Immer sind auch diese beiden Elemente in unumkehrbarer Folge hintereinander geordnet, sind sie in dieser Unumkehrbarkeit geschichtliches Geschehen. Die Handlungen Taufe, Predigt usf. stellen aber je in sich abgeschlossene Einheiten dar, die diese Struktur für sich allein voll enthalten. Trotz der vorgegebenen Gesamtfolge Taufe-Predigt-Abendmahl
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sind sie nicht Bruchstücke, die nur aneinander angepaßt lebensfähig, nur im Miteinander existent und realisierbar wären.
Gerade auch bei starker Betonung des sakramentalen Charakters der Predigt, wie wir sie bei Niebergall finden, ist nun nicht zu verkennen, das die Predigt nicht im gleichen Sinne Sakrament ist, wie Taufe und Abendmahl. Die Predigt hat — sakramental betrachtet — keine spezifische, stiftungsmäßige gegenständliche Leiblichkeit, sie hat einen spiritualen Wort-Leib —: so haben die Sakramente eine doppelte Art der Leiblichkeit. Daß die Predigt zum Worte Gottes wird, ist nicht weniger wunderbar als daß Brot und Wein Christi Leib und Blut werden. Nur ein humanistischer Wörtlichkeitsglaube kann meinen, daß das (vernehmbare) Wort uns irgendwie näher stände. Eben darum hat sich einer Voranstellung der Predigt geschichtlich zugleich Betonung und Ausdehnung des Bußsakramentes als einer Art zweiter Taufe zugesellt, die wesentlich verbalen Charakter trägt. In der vollen Ausbildung des Taufritus, wie sie etwa Luthers Taufbüchlein zeigt, sind sehr starke verbale Elemente mit dem Realhandeln als eigenständige verbunden. Die Taufe erscheint als eine Gesamthandlung, welche die beiden Formen des Wortes in besonderem Maße verbindet, welche nun in Predigt und Abendmahl auseinandertreten. Denn das verbale Handeln im Abendmahl ist ja im Wesentlichen auf dieses Handeln selbst gerichtet und verkündigt gerade dadurch. Es liegt aber nahe, gegenüber der „Einheitshandlung” Taufe die in ihrer Form gegensätzlichen Handlungen Predigt und Abendmahl als eine aufeinander gewiesene, sich ergänzende Einheit zu verstehen. Man kann auch sagen, daß Predigt, Absolution mehr scheidenden als zuordnenden Charakter, das Abendmahl mehr zuordnenden als scheidenden habe, wobei es sich jeweils nur um einen Schwerpunkt, nicht um die Verneinung der anderen Seite handelt. Bei der Taufe wäre wohl beides fast gleichmäßig ausgebildet.
Dennoch greifen alle drei Handlungen jeweils für sich, eigenständig und direkt auf den gemeinsamen Urgrund christlicher Existenz zurück: auf Absage, Buße, Umkehr. Bei Taufe und Predigt braucht das nicht noch einmal besonders dargelegt zu werden. Es ist aber auch beim Abendmahl der Fall. Denn einmal ordnet sich dieses unverzichtbar und sinngemäß das Confiteor zu: sodann bring noch einmal die Ausweisung der Katechumenen aus der missa fidelium die kritische Aussonderung der Gemeinde aus der Welt zum Ausdruck, die ja kein Privileg, sondern eine fordernde Frage an alle Beteiligten ist. So sind die drei Handlungen gleichsam von einem Punkt aus angelegt und werden angetreten wie ein Weg, der dann eine verschiedene Länge hat, verschiedenweit führt. So könnte man sagen: es führt die Taufe in den Christenstand überhaupt, an seinen Anfang, es führt die Predigt weiter, das Abendmahl am weitesten. Daß deshalb die je weitergreifende Handlung die kürzere sinngemäß in sich aufnimmt, ist so verständlich. Man
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könnte diesen Gedanken der Erstreckung so formulieren: es
führt
die Taufe zum Sterben mit Christus
die Predigt zum Leben mit ihm
das Abendmahl zum Herrschen mit ihm.
Dies aber zunächst doch nur als Versuch, als Hypothese. Denn es
steckt so in diesem Satz noch ein quantitierendes Moment, das
zweifellos ausgeschieden werden muß.
Denn es steht jetzt ein harter Gegensatz noch als ein zu lösender da. Das lutherische, strenge „est” der Realpräsenz im Abendmahl steht dem „est” des Heidelberger Katechismus für das Predigtwort gegenüber. Wir haben also eine gegenständliche und eine verbale Realpräsenz gegen- und nebeneinander. Es sind die mehr oder minder folgerichtigen Konsequenzen verständlich: diejenige, die Heidler als die lutherische formuliert hat, daß die Predigt „nur” hinweise, die calvinische und zwinglianische Tendenz: daß hinter und gegenüber der Realpräsenz des verkündigten Wortes das Sakrament doch nur zeichenhaften und bekräftigenden Charakter besitze. Es sind hier die präzisen Lehren weit weniger von Bedeutung als das Gefälle, die praktischen Gesamttendenzen. Es leuchtet ein, daß so die lutherische Konzeption den Gesamtcharakter des Gottesdienst eher festzuhalten imstande war, weil ja dieser im Zielpunkt des Abendmahls immer noch etwas vor sich hat, während bei aller Ehrfurcht vor dem Abendmahl dies nicht sein volles Gewicht behalten kann, wenn das Predigtwort eben schon alles vollgültig und unüberbietbar enthält.
Es wird nun unzweifelhaft durch das beiderseitige „nur”, welches als eine Folgerung aus dem entschiedenen „est” abgeleitet wird, eben beiden wiederum zu wenig gegeben. Das beruht darauf, daß der Realitätsbegriff, der beiderseits, sei es auf das Predigtwort, sei es auf das Abendmahl, angewendet wird, ein eigentümlich exklusiver ist, der eben darum alles andere neben sich abwerten muß. So bliebe bei hinreichender Konsequenz eben dann doch nur Gottes Wort in einerlei Gestalt — zweifellos gegen die Schrift. Es ist uns die zweifache Weise der Erscheinung des Wortes schon deswegen so heilsam, weil sie uns hindert, sie einseitig als durchgängiges Prinzip zu benutzen — oder wenigstens hindern sollte. Tatsächlich machen wir ständig Ausbruchsversuche aus dieser vorgegebenen Lage — wir leisten dem Worte Gottes nicht den geforderten Gehorsam gegen die Lage, die es selbst für uns schafft.
Es geht also darum, Predigt und Abendmahl als je in sich vollgültige Erscheinungsweisen des Wortes Gottes in ihrer unverwechselbaren Besonderheit zugleich sinngemäß aufeinander zu beziehen. Daß es dabei keinen präjudiziellen Vorrang, sei es der verbalen, sei es der gegenständlichen Präsenz, geben sollte, wird dabei vorausgesetzt.76
In dieser Frage ergeben sich etliche Schwierigkeiten und Widersprüche. Folgen wir Käsemann, so hat die sich mit dem Sakrament
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ergänzende Predigt doch ihre Voraussetzung wie Wirkung im sakramentalen Raum. Eine Predigtkirche ohne ein solches starkes und ungebrochenes sakramentales Leben wäre demnach bei Paulus völlig unmöglich. Schließt sie auch die Proklamation der neuen Ordnung für die Welt mit ein, so spielt in dem Zusammenhang, von dem Käsemann redet, die missionarische Predigt keine entscheidende Rolle.
Dies einmal vorausgesetzt, ist die Rolle der Predigt in der frühen und alten Kirche auffällig. Man kann dieser Kirche der weltweiten Mission, der philosophischen Auseinandersetzung, der großen Bekenntnisbildung keineswegs ein Desinteresse an Lehre und Predigt unterstellen. Wichtig ist ihr aber, soweit ich sehe, immer nur der Inhalt der Lehre, und eine große Predigttätigkeit, nicht dagegen der kirchliche Akt der Predigt als solcher. Auch die Lehre der Kirche, Bibel, Symbole, regula fidei, werden unter die Unzahl der Sakramente gerechnet — der Vorgang der Predigt dagegen, der heute als Zuspruch des Wortes extensiv interpretiert wird, begegnet im Verhältnis zum Sachgehalt der Lehre keinem wesentlichen Interesse. Der Inhalt, nicht der Akt, die apostolische Herkunft, nicht der aktuale Vorgang erscheinen bedeutsam. Bei entschiedenstem Lehrinteresse ist die Predigt nie unter die sakramentalen Verrichtungen gerechnet worden. Der moderne Gegensatz zwischen realem Handeln und wörtlich-gedanklicher Übermittlung lag ohnehin fern. So entstand eine wesentlich sakramentale Kirche, die aber der Predigt keineswegs entbehrte, sie auch nicht abwertete, sondern immer wieder starke Predigtbewegungen aufwies.
Die Predigtsituation des 16. Jahrhunderts war höchst unterschiedlich. So stark auch Verfall der Predigt und das Bedürfnis des unbelehrten Volkes nach christlicher Unterweisung war und sich elementar bemerkbar machte, so ist doch die Entstehung einer dezidierten Worttheologie dadurch ebensowenig zu erklären wie das Bekenntnis aus dem apologetischen Bedürfnis. Es ist eine Art „Quantensprung” der Geschichte. Nunmehr trat die Predigt in einem formellen Dualismus neben die Sakramente. Dieser entsprach zwar der traditionellen Einheit des Gottesdienstes, konnte aber in einer anderen geistigen Lage eine Konkurrenz nicht ausschließen. So verschieden die reformatorischen Verhältnisbestimmungen waren und so wenig sie im Grunde das Problem lösten, wurden sie doch durch eine gewisse Selbstverständlichkeit des Miteinanders in einer ungebrochenen Tradition getragen. Aufklärung und Liberalismus versuchten mit einer Religionsphilosophie des Fortschritts und der Ablösung angeblich archaisch-magischer Reste vergeblich, die Sakramente und ihre Schriftgrundlage umzudeuten und auszuschalten. Sie wurden vielmehr zusammen mit der Eschatologie, der Kirche und dem Kultus im Zentrum der Schrift wiederentdeckt. Die Folge war jedoch die zunehmende Neigung, durch eine simultane Interpretation gerade der Predigt selbst sakramentalen Charakter zuzusprechen.
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Das Verhältnis von Predigt und Sakrament hat Luther in großer Klarheit umschrieben. Erich Roth führt es77 gerade im Zusammenhang und Vergleich mit dem verbalen Zuspruch der (sakramentalen) Absolution aus.
Wenn Manfred Metzger gegen Schmidt-Lauber78 ein Wort Luthers zitiert, daß Gott am Wort mehr gelegen sei, als am Zeichen, so setzt dies eben jene von Tillich gekennzeichnete Wörtlichkeit des logos auf der einen, und die Reduktion der Realakte auf das Zeichen auf der anderen Seite voraus. Es wird eine Interpretation, deren geistes- und sozialgeschichtliche Bedingtheit erhellt werden kann, mit Entschiedenheit als schlechthin gültiges Verständnis des Willens Gottes vertreten.
Freilich besteht ein Mißverhältnis der heutigen theologischen Gesprächslage zur kirchlichen Wirklichkeit. Eine Untersuchung der Predigtliteratur in Deutschland von 1919-45 zeigte, daß es mit wenigen die Regel bestätigenden Ausnahmen keine Sakramentspredigt gab, d.h. eine Predigt, die sich bewußt hinführend und vorbereitend zum Sakrament in Beziehung setzt. Es gibt aber auch keine sakramentale Predigt, d.h. eine solche, in welcher der theoretisch beanspruchte Zuspruchscharakter manifest wird. Eher begegnet man dem Glauben an das opus operatum der Predigt, welche die Verheißung habe, nicht leer auszugehen. Die theoretische Konzeption hat also bisher keinen Eingang in das Selbstverständnis der Prediger gefunden und die Intention bestimmt. Bemerkenswerterweise ist Karl Barth in seinen Formulierungen sehr viel vorsichtiger als die diesbezüglichen ja schon in allen Konfessionen vorkommenden Formulierungen.
Die Differenz zwischen (sakramentalem) Zuspruch der Sündenvergebung in der Predigt und sakramentaler Gabe im Abendmahl ist nun genau die Differenz, die wir im zentralen Gleichnis vom verlorenen Sohn finden (Luk. 15, 20 f.).79
Indem der Vater dem Sohn entgegenkommt, und ihn liebevoll aufnimmt, ist ja die Gemeinschaft von ihm bereits wiederhergestellt. Dann aber befiehlt er den Knechten, ihn zu kleiden, zu schmücken, das Mahl zu bereiten. Das erste ist Gnade der Restitution, das zweite Gnade der Neuinstitution. Die Entscheidung zur Wiederaufnahme und diese selbst ist nur der Anfang für diese Neueinsetzung nicht in den vorigen Stand (restitutio in integrum), sondern einen neuen Stand, der mit dem früheren freilich auch den Charakter der Sohnschaft gemeinsam hat. Ehedem aber ist er der jüngere, nicht der vorzugsweise Geehrte gewesen, damals nach dem Fleisch, heute nach der freien Wahl, der Gnade, dem Geist. Jetzt wird er bekleidet und gespeist. Die Wiederaufnahme entnimmt ihn ein für allemal dem Elend, in der ganzen Bedeutung, die dieses Wort ehedem gehabt hat als Außensein, Ausgestoßensein und Mangelleiden. So ist die nicht nur deklaratorische, sondern restitutive Aufnahme nur ein transitorischer Akt, der über sich hinausführt und
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eine Konkretisierung in einen bestimmten (neuen) Status erfordert. Denn mit der Aufnahme als solcher ist ja zunächst nur gesagt, daß er aufgenommen ist, noch keineswegs, wie er nun eingeordnet wird. Darum ist die Leidenschaft begreiflich, mit der gesagt werden konnte, es sei auf die Sündenvergebung allein abzuheben „solum esse respiciendum ad remissionem peccatorum”, aber damit geht die Konkretisierung in ein neues „Wie” notwendig verloren. Weil es in eine eschatologische Zukunft der Unerkennbarkeit verwiesen wird, wird auch die Restitutionsentscheidung ganz formal, in der unzulänglichen, die Bedeutung gerichtlichen Handelns verkennenden Ausdrucksweise „forensisch”.
Ganz anders das Gleichnis. Der verlorenste Sohn ist dem Vater auch der geliebteste und ersehnteste, auf dessen Wiedergewinnung sein ganzes Herz zielt. In diesem Sinne ist die quantitative Vorstellung zu revidieren; tatsächlich nimmt das Geschehen seinen Fortgang, hat seine Erstreckung. Wieder finden wir hier die Dualität institutioneller Akte, der auswählenden, erwählenden Aussonderung, die zugleich damit Entscheidung zu jemand oder etwas ist, und der positiven Zuordnung in einen bestimmten Stand, nunmehr innerhalb des Verhältnisses von Predigt und Abendmahl. Deswegen trifft auch der Gegensatz von deklaratorisch und konstitutiv diese Spannung nicht. Konstitutiv ist schon die Entschließung zur Aufnahme — aber sie geht in der Konkretisierung weiter. Es ist auch hier die Struktur eines geschichtlichen Vorgangs, eines Vorgangs, der in einen Status führt.
Das Gleichnis gibt aber noch weitere Aufschlüsse. Die Bekleidung des verlorenen Sohnes ist ein deutlicher Ausdruck für die Taufe. Indem er das neue Kleid anzieht, zieht er Christus an. Indem er am königlichen Mahl teilnimmt, zu dem das Besthaupt geschlachtet wird, hat er Teil an Christus. In beiden wird er syssomos mit ihm. Er trägt das Kleid und empfängt ihn im Mahl.
Das Verhältnis von Restitution und Institution sollte auch im Zusammenhang mit dem biblischen Bild von Braut und Bräutigam, ebenfalls einem Rechtsbild, gesehen werden. Das Verlöbnis ist hier gewiß nicht jener römisch-rechtliche Vorvertrag zur Eheschließung, der nur einen sehr geringen Grad konkreter Verbindlichkeit besitzt. Auf alle Fälle setzt ein Verlöbnis die Erwählung der Braut durch den Bräutigam, seine Werbung wie deren Annahme voraus. Es begründet den personenrechtlichen Status einer bestimmten ständigen Verbundenheit, die aber ihrer Natur nach unvollkommene Vergemeinschaftung ist und auf die endliche Erfüllung in einer vollkommenen Gemeinschaft angelegt ist. Nichtsdestoweniger ist es mehr als ein „Versprechen”. Es ist in diesem vorläufigen Sinne auch schon gegenwärtige Gemeinschaft und Verbundenheit. Selbst in dem reduzierten Sinne des „Versprechens”: die sich so versprochen haben, sind dadurch andere geworden — sie sind „Versprochene”, „promessi sposi”.
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Es geht also die Wahl Gottes, die den Menschen seiner Gemeinschaft würdigt („kecharitoméne” in der Verkündigung Mariae) und ihn damit seiner Gemeinschaft überhaupt erst fähig macht, über in einen sehr bestimmten Status der (auf die Eschatologie hin offenen) Gemeinschaft.80
Das heißt aber für unser Problem, daß die Aufnahme, die Restitution, in der er sich aufnehmen läßt, vor Taufe und Abendmahl vor sich geht. Die Verkündigung ist hier in der Tat Hinweis auf das freundliche Entgegenkommen des Vaters, der den sich zu ihm Kehrenden schon von ferne sieht. Das heißt aber, daß die Folge des Gottesdienstes jetzt heißt: (Bekenntnis, Buße) Gnadenverkündigung-Taufe-Abendmahl. Es ist hier der Ruf, der außen, die Bettler von Hecken und Zäunen zum Mahl in die Königshalle ruft.
Demnach wäre die Gemeindepredigt gleichsam zwischeneingekommen? Ja und nein. Zwischeneingekommen wäre sie wie die Buße als zweite Taufe und Reconciliation der immer wieder neu Fallenden, gerade soweit sie diesen konstitutiv-sakramentalen Charakter des Gnadenzuspruchs, der repraesentatio des Wortes besitzt. Nicht aber wäre sie es im Sinne des Auftrages „Lehret sie alles, was ich euch geboten habe”, auch nicht im Sinne des Berichts der Apg. 2, 42: sie blieben im Brotbrechen, im Gebet und der Apostel Lehre. Dies ist jedenfalls zu einem wesentlichen Teil Erneuerung, Wiederholung, Vertiefung der Lehre, Auferbauung der bestehenden Gemeinde, apostolische Paränese. Diese Verkündigung sagt nicht, wie man in die Gemeinde hineinkommt oder daß man (wieder) hineinkommt, sondern wie man vermeidet, daß man herausfällt — wiederholt mahnt der Apostel, die Gläubigen möchten „nicht entfallen aus ihrer Festung”. Dementsprechend hat sich Stellung und Gehalt der Predigt in dem Maße verändert, in welchem die Gemeinde mit dem Herausfallen ihrer Glieder rechnete. Nahm sie das nur bei bestimmten großen Sünden an (deren Ausgrenzung ja höchst fraglich ist) und beim Abfall vom Glauben, so war die Stellung der Predigt eine andere als bei einer Radikalisierung des Problems der zweiten Sünde. Daher die Entsprechung zur Ausbildung und Ausdehnung des Bußsakraments. Freilich wird damit ein Gefälle geschaffen, welches die Bedeutung der Taufe inhaltlich immer mehr vermindert.
Der rechtliche Aspekt dieser Betrachtung ist ein dreifacher:
1. Es zeigt sich, daß nicht nur Rechtsbilder, sondern
Rechtsstrukturen dem biblischen Geschehen so eingestiftet sind,
daß ohne ihre Klärung ein volles Verständnis nicht möglich ist —
oder (anders gesagt), daß Rechtsstrukturen bestimmte Aspekte
dieser Aussagen in einem besonderen, sonst nicht erreichenden
Maße evident machen. Insbesondere reicht dazu die philologische
Begriffserklärung nicht aus.
2. Aus diesen Rechtsstrukturen folgen ebenso bestimmte
Kirchenrechtsstrukturen,
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und umgekehrt werden historische Kirchenrechtsbildungen von hier
aus in ihrer Bedeutung und Begrenzung einsichtig.
3. Aus dem Zentrum des Gottesdienstes, von den hier fallenden
Entscheidungen aus formiert sich auch das Verhältnis zur Welt,
die Grundansätze der Diakonie, der Ethik, der Mission.
Bilden Predigt und Abendmahl als die Hauptteile des Gottesdienstes in den vorgeschlagenen Sinne eine Einheit, so sollten wir freilich die Vollmacht zur Predigt im sakramentalen Leben und den rechten Gebrauch der Sakramente in der Krisis und im Zuspruch der Verkündigung finden: jeder aber sollte vor allem das tun, was den fleischlichen Neigungen seiner alteingewurzelten Theologie am fernsten liegt und dessen er deswegen sicherlich am bedürftigsten ist.
In der Schrift „Credo ecclesiam” stand die in dieser Kürze mißverständliche und auch vielfach mißverstandene Formulierung über das Verhältnis von Predigt und Abendmahl: „die Pfarrer müssen die selbstüberwindende Erkenntnis gewinnen, daß das Predigtwort über sich hinaus zum Altare führt.” (S. 75).
Ich habe nunmehr versucht, ein Verhältnis beider so zu erschließen, daß Mißverständnisse und Mißdeutungen vermieden werden könnten. Es liegt auf der Hand und wird wohl kaum bestritten werden, daß die barocke Folge: Abendmahl — Predigt eine Sonderstellung, aber auch eine eindeutige Mißbildung ist. Aber sie ist deshalb so eindeutig als Mißbildung zu beurteilen, weil der Gottesdienst in der Folge des Heilswegs zu sehen ist, der von der Bußtaufe kommend über die Predigt zum Abendmahl geht.
Aber eben diese Folge ist vom Menschen her gesehen. Denken wir dem Handeln Gottes nach, das uns bezeugt ist, so kehrt sich diese Folge um. Gott kommt in Christo ins Fleisch, macht Gemeinschaft mit seinen Jüngern wie mit Heiden und Zöllnern, und zwar insbesondere Mahlgemeinschaft, eröffnet und verkündet ihnen erst nach und nach, was er zu offenbaren hat und sendet die zuvor erwählten, in seine Gemeinschaft hineingenommenen und belehrten schließlich und endlich, und eben erst am Ende dieser Gemeinsamkeit als Apostel aus. Hier ist die Folge eine ganz andere: communio, Verkündigung, missio. Und dieses Geschehen ist schon auf dem Plan, bevor jener uns so selbstverständliche Weg begangen wird und werden kann, ja ermöglicht ihn erst. Beides widerspricht sich nicht. Aber es entspricht der schon wiederholt aufgewiesenen Tatsache, daß jedem einzelnen Rechtsakt eine Vergemeinschaftung immer schon vorausgegangenen sein muß (commercium, connubium).
So kann, ja muß der (mit Barth zu reden) sakramentale Raum von beiden Seiten, in beiden Richtungen her gesehen und begangen werden. So muß auch die Kirche beiden Richtungen in ihrer Struktur ausprägen, wenn sie nicht einseitig werden soll. Sie muß sich als Kirche
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verstehen, die immer schon da ist, und von der empfangenen communio zur missio geht, und als die Kirche, die von der Bußtaufe zu der erst zu empfangende communio hinstrebt. Das eine hat eine Tendenz zur Kontinuität und zur Gemeinschaft, das andere zur Diskontinuität und zur Individualisierung. Aber erst, wenn dieses im letzten Sinne gleichsinnige Geschehen voneinander getrennt und in einen Gegensatz gebracht wird, wird es beiderseits verfehlt.
Von beiden Linien, von der Taufe wie vom Abendmahl her bilden sich begreiflicherweise die unterschiedlichen Ansätze auch des Kirchenrechts als Taufrecht und als Recht der communio und in ihr des Vorsitzes. Diese Gegenläufigkeit des Sakramentsrechts und damit des Kirchenrechts im ganzen wird uns noch weiter in Kap. XII beschäftigen.