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Es mag verwundern, daß auf die Zweireichelehre nicht gleich die Ekklesiologie folgte, sondern erst die Rechtstheologie1. Also eine falsche „Vorordnung des Rechts vor der Kirche”?, ein philosophisch-naturrechtlicher Rechtsbegriff, dem die Kirche untergeordnet wird und folglich auch das Kirchenrecht? Weit gefehlt! Denn die Kirchenlehre ist nur ein Ausschnitt aus der Zweireichelehre2 und das Kirchenrecht nichts anderes als der praktisch wichtigste Teil des Zweireicherechts, also der Rechtstheologie (weshalb sich auch das Kapitel „Kirchenrecht” sogleich an die Behandlung der Kirche anschließen wird).
Was Heckel vom Kirchenverständnis Luthers zu berichten hat, darf erhöhtes ökumenisches Interesse beanspruchen. Vergleicht man das herkömmliche Bild, so trifft man überall auf wichtige Veränderungen. Denn ein „gewaltiger Abstand (trennt) den Kirchenbegriff des modernen protestantischen Kirchenrechts von demjenigen Luthers”3.
Man ist darum versucht, der Ekklesiologie Heckels ein zweifaches Motto voranzuschicken: „Es weiß gottlob ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche sei”; aus unseren Tagen: „Nie hat Klarheit darüber bestanden! Das ungelöste Problem des Protestantismus!”4 — und des Katholizismus, möchte man anfügen5. Jedenfalls bezeichnen diese Worte besser als lange Ausführungen die sachlichen Schwierigkeiten, mit denen Heckel zu kämpfen hat.
1) Diese Folge wählt Gru. AÖR 1959 14 ff. —
wobei die Kirchenlehre nicht ohne Vorgriffe auf die Rechtslehre
geschildert werden kann (ebd. 16 f.).
2) Rechtlich ausgedrückt: das göttliche Naturgesetz
ist „Rechtsgrundlage” der geistlichen Kirche (Gru. LWB 64), denn
es ist sachlich identisch mit dem Wort Gottes = seinem
Rechtswillen (ebd. 66); etwas anders He. Lex 21: homo
spiritualis, lex spiritualis, ecclesia spiritualis sind
wechselbezüglich: „Eines folgt aus dem andern, eines verweist auf
das andere, und keines besteht ohne das andere.”
3) IZ 51.
4) Init. 3, KuK 223, Gru. LWB 9, nach Art. Smalcald.
BS 459,21, und E. Brunner 1951 7.
5) A. M. freilich He. Init. 3.
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Es sind vor allem drei — die drei Grundprobleme, vor denen jede Rechtsekklesiologie Luthers steht. Das erste läßt sich in die Frage fassen: Zählen die getauften Ungläubigen zur Kirche?
Damit zusammenhängend zum zweiten: Wie steht die Glaubens- zur „bloßen” Taufgemeinschaft?, und, weil Recht nur in letzterer denkbar schien: Hat die „Rechtskirche” der Taufgemeinschaft überhaupt noch geistliche Relevanz?
Schließlich: Wie stehen Glaubens- und Taufgemeinschaft zum „Staat”? Hat Luther, wie so viele behaupten, den mittelalterlichen religiös-politischen Einheitsverband bejaht?
Unter diesen drei Gesichtspunkten behandelt Heckel die Kirchenlehre Luthers; sie stehen deshalb im folgenden im Vordergrund. Auch das Gegenbild der Kirche, die politia, wird berücksichtigt. Und zwar wird zunächst die Verbindung zwischen der Zweireichelehre und „Kirche und Staat” aufgezeigt (unten 1), darauf wird der dreifache Grundriß der Kirche gezeichnet (2). Er führt zur Grundfrage nach dem einheitlichen Kirchenbegriff (3). Abschließend wird die politia auch inhaltlich geschildert (4) und die historischen Zusammenhänge der Kirchenlehre Heckels dargelegt (5).
Sieht man die Reiche und die Regimente in ihrer rechten Verbindung und Unterscheidung, so wird man auch des Standortes von „Kirche” und „Staat” im Rahmen der Zweireichelehre gewahr6.
Man erinnere sich: Das Reich Christi ist das corpus der Christen unter dem Haupt Christus, das Reich der Welt dagegen das der Unchristen unter dem Satan; das geistliche Regiment Gottes regiert das Reich
6) Hier zunächst allgemein als das geistliche und politische Gemeinwesen überhaupt, wie auch He. IZ 19; das eigentliche Problem „Kirche und Staat” wird zwar durch Luthers (auch organisatorische) Scheidung der beiden Reiche prinzipiell begründet (s.u. 169 f. 173 f.), wird aber politisch aktuell erst mit dem sich als souverän verstehenden Staat (teilweise anders Init. 118 f.m. A. 494, IZ 51). In der Rechtssprache He.s würde „Kirche und Staat” genauer heißen: ecclesia particularis und civitas (als Untergliederung der politia), Init. 119 A. 495 mit Lex 146 f., ZRL 1941; im Mittelalter dagegen ging es um das Verhältnis von ecclesia universalis und politia/imperium (AS 66), was im Kern etwas ganz anderes ist, nämlich das personhafte Verhältnis von „geistlich” und „weltlich”! — „Spur”: unten 1642.
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Christi auf geistliche, das weltliche das Weltreich auf weltliche Weise.
Die (geistliche) Kirche ist nun nichts anderes als das regnum Christi über seine cives; sie ist das corpus Christi. Ihr widersteht das corpus diaboli der Ungläubigen als „Gegenkirche”. Für beide Gemeinwesen hat Gott Organisationsformen bereitgestellt: die „Kirche in der Welt” (ecclesia universalis) und das politische Gemeinwesen (politia). Sie sind naturgemäß völlig verschieden; aber man sieht ein, daß ecclesia und politia zusammen behandelt werden müssen, genau wie die beiden Reiche und Regimente.
Der „Staat” steht so in einem Zwielicht. Einerseits sind seine Bürger cives diaboli, andererseits wird er vom weltlichen Gottesregiment geleitet. Daß auch die Kirche ihre zwei Gesichter hat, wird noch näher darzulegen sein. Jedenfalls steht die Kirche ganz im Reich Gottes zur Rechten, während der Staat zur Linken einzuordnen ist. Kirche und Staat sind deshalb inkommensurabel7.
Kirche und Staat, um die erste Skizze zu vervollständigen, haben teil am eschatologischen Kampf der Reiche. Die Kirche steht zwar in regno Christi, ist aber den ständigen Angriffen des Teufelsreiches ausgesetzt; der Staat steht zwar in regno diaboli, zugleich aber unter göttlichem Regiment8.
Das ist die doppelte Dialektik der lutherischen Sicht, die zu verstehen Katholiken9 wie Protestanten10 nicht leichtfällt.
Überall, wo Luther von der Kirche spricht, so belehrt uns Heckel, sind zwei „Eigenschaften”, ja „Gestalten” der Kirche auseinanderzuhalten:
7) (Gru.) J. Heckel zum 70. Geburtstag, AÖR
1959 491.
8) Es ist also irreführend, wenn He. WS 38 die beiden
Reiche als Kirche und Staat bezeichnet. Leider folgt ihm darin H.
Harten (InfBl 1959 330 ff.: „Kirche und Welt”) und gelangt
dadurch zu einer Rechtstheologie, die trotz ihrer Berufung auf
He. nicht mehr viel mit He. gemeinsam hat (übersehen von H.M.
Müller InfBl 1960 116): der Christ sei Bürger beider Reiche; in
der Kirche gelte auch das Gesetz; auch der civis diaboli
sei „Mitglied” der Kirche; darum werden geistliches Regiment und
„Rechtsregiment”, geistlich-leibliche Kirche und „irdische
Schauseite” (?) unterschieden usf. — Vorstufe SVK 27 ff.
9) Vgl. Diskussion WS 80 ff. für den Staat.
10) Z.B. P. Althaus ThLZ 1956 131 ff., LuJ 1957 55; W.
Künneth in der Diskussion WS 72 f.
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die ecclesia spiritualis und die ecclesia universalis, die geistliche Kirche und ihre irdische Schauseite1. In ihrer Unterscheidung und ihrem Zusammenspiel liegt „der Kern der Problematik des evangelisch-lutherischen Kirchenbegriffs”; er besteht im „Verhältnis des Göttlichen zum Menschlichen in der Kirche”2. Das ist zugleich das Hauptthema des Kirchenrechts. Da aber die ecclesia universalis, also die allgemeine Kirche, rechtlich in Teilgemeinschaften (ecclesiae particulares) verfaßt ist, besteht der Grundriß der Kirchenlehre aus drei Teilen: ecclesia spiritualis — ecclesia universalis — ecclesia particularis.
Zunächst zur „Kirche schlechthin”: der ecclesia spiritualis.
Das Kapitel über die ecclesia spiritualis oder auch geistliche Kirche3 ist das „Hauptstück” der Kirchenlehre, ihr „Richtpunkt”4. J. Heckel zitiert mit Zustimmung R. Sohm: In ihr „haben wir die Eigenart des lutherischen Kirchenbegriffs, zugleich den Quellpunkt der lutherischen kirchenrechtlichen Entwicklung”5. Ist von „der” Kirche die Rede, ist es die ecclesia spiritualis; an sie denkt Luther zunächst, von ihr geht er aus6.
1) Lex 172, SA Init. 475.
2) Gru. LWB 10 f.
3) Lex 168. So soll sie auch im folgenden genannt
werden. Bei Luther finden sich viele weitere Bezeichnungen:
ecclesia abscondita (und Gegensatz: manifesta;
dazu s.u. 15768), von Luther namentlich in den
Anfängen überaus häufig verwendet als Abwandlung der überkommenen
ecclesia occulta (Init. 15, Grat. 495 f., IZ 44), aber
von He. nicht bevorzugt („oder richtiger”: ecclesia et facies
ecclesiae, Lex 171), wohl wegen der naheliegenden
Verwechslung mit der e. invisibilis der Orthodoxie oder
der „romantischen” Trennung von unsichtbarer Glaubens- und
sichtbarer Rechtskirche; corpus Christi mysticum (s.u.
1288, 10 15459); communio
sanctorum Padua 330, Gemeine der Heiligen IZ 52, KuK 228 A.
33 (nicht „des” Heiligen, RuG 306, Th. Heckel 1961 27 f.; anders
mit der h. M. Gru. LWB 6: „Gemeinschaft der Gläubigen
und . . . gemeinschaftliche Teilhabe an den
Heilsgütern”), der wahren Gläubigen Lex 28, 34; communio
fidelium interna et externa Lex 136 A. 1099, 169 A. 1356;
congregatio sanctorum Init. 15 A. 52, Padua 332;
geistliche Gemein IZ 52, 54; wahre Kirche (Rhegius) ZRG 1960 624;
inwendige Christenheit KuK 228, 230; innere Kirche KuK 230;
mundus spiritualis oder coelestis Lex 34 usf.; zur
e. invisibilis s.u. 158.
4) SA Init. 475, Lex 21, 171, ZRL 1941 f.
5) Init. 15 A. 53.
6) Lex 169, 171, ZRL 1942; ecclesia proprie
dicta, Apol. VII, BS 241,13; dazu Mel. 87, Gru. LWB
11.
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Denn sie ist die Gemeinschaft der wahren Gläubigen7, das corpus Christi mysticum, von dem in der Reiche- und Regimentenlehre gehandelt wird8.
Wo also Christen, da Kirche9.
Weil die ecclesia spiritualis als corpus Christi ganz vom Haupt Christus und seinem lebenspendenden Geist lebt, gibt es nichts, was an ihr nicht geistlich wäre: geistlich ist ihr Haupt, ihr Regiment, ihr Staatsvolk; geistlich ist auch ihr Recht. Und alles, was geistlich ist, gehört ihr zu eigen10.
Drei Elemente sind deshalb an der Kirche auseinanderzuhalten, wie schon früher beim Reich Christi: Haupt, Regiment und Volk. Unter rechtlichem Gesichtspunkt ergeben sich daraus die zwei „Grundrelationen” oder auch „Strukturprinzipien”11: die „Vertikale” des Kirchenregiments Christi, sein Herrscher recht; und die „Horizontale”, das unter dieser Herrschaft lebende Gemeinwesen der Christen. Beide bilden ein einheitliches Ganzes: die „Vertikale” ist primär, sie begründet und erhält die „Horizontale”12. Insgesamt aber ist die Kirche „streng christozentrisch”13.
7) Lex 28, AS 60; es wird also nicht der
„Glaube” i.S. des kanonischen Rechts zugrunde gelegt, der an den
sichtbaren Bereich anknüpft (vgl. M. Schmaus KD III/1 420). Für
He. sind die Folgen einschneidend: Der theologische und der
juristische Kirchenbegriff sind identisch, nicht nur einander
zugeordnet; Theologie und Recht rücken eng zusammen, der
Rechtsbegriff wird „spiritualistisch”, besser gesagt, er
berücksichtigt die pneumatische Dimension, usf.
8) Lex 143, 171 f., 177, AS 60, 63, IZ 52, KuK 224;
auch corpus ecclesiasticum, AS 60. Verbindung zur
Reichelehre: das corpus mysticum ist das regnum
Christi im dritten Sinn, Christi Staatsvolk (anders KuK 224:
die e. spir. umfaßt auch das Haupt Christi und sein
Regiment); zur Regimentenlehre: es ist der personale Bereich des
geistlichen Regiments Gottes.
9) Zur Kirche gehört also das ganze Tun des Christen,
AS 64, IZ 53; — ein ekklesiologischer Ansatz der Sozialethik!
10) Die drei Elemente des regnum Christi! KuK
224 f. Wegen der Zweideutigkeit von „corpus”
Christi (1. Haupt und Glieder, 2. Glieder allein — wie
schon in der Reichslehre im Grundsinn oben 38 ff.) bleibt bei He.
unklar, ob Christus zur Kirche zählt oder ihr gegenübersteht
(s.o. A. 8 — welch letzteres „gemeinevangelische” Auffassung
ist); angesichts des mittelalterlichen Rechtsbegriffs des
corpus (oben 387) wohl eine falsche Alternative! Näheres
darüber bei der e. universalis, wie auch He. verfährt
(außer in KuK, vgl. wieder A. 8), wegen der Bedeutung dieser
Aussagen für die Kirchenrechtslehre.
11) Gru. ZRG 1959 385, Th. Heckel 1961 162 f.
12) Vgl. Lex 13 A. 14, Gru. LWB 36 ff., dazu ebd. A.
169 mit W. Elert, E. Kohlmeyer. ➝
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Nun wiederholen sich auch die anderen Aussagen der Reichslehre — und mit Recht, denn das regnum Christi „ist” ja die ecclesia spiritualis! „Christus als Mensch” ist das Haupt der geistlichen Kirche. Von ihm geht der influxus capitis auf die Glieder über. Sein geistliches Regiment leitet und eint die Kirche14, und sein Staatsvolk ist das Kirchenvolk, nämlich die wahren Christen.
Deshalb auch ist die Gliedschaft der ecclesia spiritualis strikt beschränkt auf die Bürger des Christusreiches — also die homines spirituales; auch die schwachen Christen, die noch der Führung bedürfen, nicht aber die Namenschristen15. Doch ist die Zahl der wahren Christen nur Gott bekannt; sie leben vor der menschlichen Vernunft verborgen in der Diaspora als ecclesia abscondita16, als eine „geistliche Bruderschaft”17 in der successio Evangelii18.
Ist die geistliche Kirche deshalb eine jenseitige civitas platonica19? Darauf antwortet der zweite Hauptteil der Kirchenlehre.
➝ Dieses „Kirchenkreuz” aus der Vertikalen und der
Horizontalen tritt sachlich (nicht terminologisch, Ausnahme
Einbruch 127) eigenartigerweise in frühen Veröffentlichungen
stärker hervor (noch unter dem Einfluß G. Holsteins, s.u.
1955; RuG 340 ff., Einbruch 127, Cura 244 ff.
regnum — ecclesia; herrschaftlich — genossenschaftlich),
wird später durch die drei corpus-Elemente verdeckt,
bleibt aber Grundlage der Kirche in beiden Gestalten (ZRG 1959
397: regnum — communio sanctorum; ferner Lex 12 A. 7, IZ
24, 61, KuK 239, 273), also auch des göttlichen und menschlichen
Kirchenrechts (s.u. 179 181 184). Gru. führt das Bild des
Koordinatenkreuzes in die He.sche Kirchen(rechts)lehre
nachdrücklich ein, LWB 3 ff., 21 f., 36 f. (Th. Heckel übernimmt
es, FS Heckel 256; 1961 162 f.) und verbindet es mit Wolfs (s.u.
331 ff.) Unterscheidung von bruderschaftlicher Christokratie und
christokratischer Bruderschaft (RGG III 1323, ThLZ 1962 336).
13) Gru. LWB 3 f., RGG III 1324, Th. Heckel 1961
117.
14) KuK 225. Christus also, und nicht erst der Glaube,
ist das einigende Band in der Kirche! (gegen Gru. z.B. FS
Liermann 52).
15) Lex 169 f., 176, AS 60, KuK 228; ebenso oben
4029 zum regnum Christi. Darum gleicht die
Kirche eher einem Sanatorium oder Krankenhaus!, Init. 42, Lex
139, 169, KuK 276.
16) S.u. 157.
17) So nicht nur He. mit Wolf (Lex 139 A. 1137),
sondern auch Luther selbst, KuK 228 A. 30.
18) KuK 229 A. 39. Ob die katholische „apostolische
Sukzession” mit der ununterbrochenen Lehramtssukzession
zutreffend umschrieben ist (KuK 229)?!
19) Mel. 91 (Melanchthon; Apol. VII BS 238 20 f.), IZ
53, KuK 229; G. Holstein 1928 86.
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Von der „geistlichen” Kirche ist zu sondern, sofort aber mit ihr wieder zu verbinden die „leibliche” Kirche20, auch ecclesia universalis oder „Kirche in der Welt” geheißen21.
Die leibliche Kirche ist die Gemeinschaft der Getauften22, also die „allgemeine”, die katholische Kirche23. Wie verhält sie sich zur geistlichen Kirche? Die Antwort scheint so einfach zu sein: hier Tauf-, dort Glaubensgemeinschaft24! Aber der Schein trügt! Dieses zweite — und fast verschollene-Hauptstück25 der Kirche ist zugleich das schwierigste. Obendrein ist sein richtiges Verständnis entscheidend für das Kirchenrecht: die ecclesia universalis ist sein ekklesiologischer Zentralbegriff26.
Das fordert ein besonders sorgfältiges Vorgehen, zumal Heckel gerade in diesem Kapitel nicht die leuchtende Klarheit seiner sonstigen Aussagen erreicht, vielmehr dem Verständnis nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten bereitet. Deshalb muß zunächst nach dem Grund der Einheit und Verschiedenheit von ecclesia spiritualis und ecclesia universalis geforscht werden; das führt zur Taufe (b 1). Dann erst kann der dialektische Grundriß der ecclesia universalis gezeichnet werden (b 2).
20) Lex 168; a. M. K. Holl, dagegen He. Lex 170
A. 1365; anders noch RuG 361.
21) Zur „Kirche in der Welt” s.u. 150 f.; He.
gebraucht gerne den Begriff e. universalis, Luther
dagegen immer seltener; Belege Lex 170 A. 1365, um so mehr aber
die Sache in sehr vielen Umschreibungen: orbis
christianus: Lex 139 A. 1129, KuK 230; tota
ecclesia: Lex 170 A. 1365, KuK 230 A. 48; e.
universa: Lex 139, KuK 230, u.v.a.; e. Christi:
Grat. 494, allgemeiner KuK 230; Kirchenwesen: Init. 39,
NR 51, Lex 138 f., 169 u.ö., d.h. res publica Christiana
bzw. ecclesiastica, s.u. 168 f.; christlicher
Körper und Körper Christi: s.u. 153
f.59; Christenstand: Lex 119,137, 139, 170,
und unten 15459; Christenheit: s.u. 151 ff.;
Christenvolk: Lex 139, Padua 330, KuK 230; Gemeinde
der Heiligen: Lex 168 A. 1343; Himmelreich: Lex 168 A. 1343;
„äußere” oder äußerliche Kirche: WS 35, KuK 230; e.
corporalis: Lex 145, 197 A. 1519. Zur ecclesia
manifesta s.o. 1273. Diese Begriffe bedeuten
alle, wenn sie unpolemisch verwendet sind, die e. univ.,
in der die e. spir. lebendig ist (Lex 171 f., IZ
54).
22) WS 34, IZ 54 f. u.ö.; bei Melanchthon dagegen ist
nicht die Taufe das Kriterium, sondern das öffentliche Bekenntnis
zur wahren Lehre (Cura 243, Mel. 86 ff.) — eine folgenreiche
Verschiebung!, vgl. u. 13235.
23) Mel. 89 (Melanchthon), KuK 230 (Luther); in Init.
meist „allgemeine Kirche”; ebenso Gru.
24) IZ 50 m. A. 46 f.
25) Lex 170 f. mit Hinweisen auf R. Rothe, K. Rieker,
E. Förster, K. Holl; Gru. LWB 23, 39-48.
26) ZRG 1957 498.
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Der Grundsatz, mit dem man beginnen muß, lautet: „Geistliches und Leibliches lassen sich (an der Kirche) zwar unterscheiden, aber nicht scheiden”. „Es ist der Grundirrtum der ,natürlichen’ ratio, daß sie immer nur die eine Eigenschaft sieht”27. Auch die „leibliche” Kirche ist im Wesen geistlich; sie ist die aus dem Jenseits in das Diesseits hereinragende geistliche Kirche, oder mit Th. Heckel: das „anhebende Reich Christi”28. Ihr theologisches Fundament ist die Taufe. Sie verbindet die Kirche mit den Reichen und Regimenten29.
Die Taufe soll hier nur in ihrem rechtlichen Bezug auf die Kirche entfaltet werden. Dabei stellt sich die überraschende Tatsache heraus, daß Luthers Kirchenbegriff gänzlich „sakramental geprägt” ist30. In der Taufe ergreift der Geist Christi den gläubigen Menschen und weiht ihn zum homo spiritualis; das ist der Rechtsakt der Verleihung des geistlichen Bürgerstandes im regnum Christi. Ipso facto ist er Glied der geistlichen Kirche, denn sie ist ja identisch mit dem Reich Christi31. Damit ist die von Christus verordnete Taufe der Eintritt in die ecclesia spiritualis.
Sie ist aber auch die Pforte zur ecclesia universalis. Um das zu verstehen, muß man mit der Tauflehre einen Schritt weitergehen. Denn sie unterscheidet bekanntlich zwischen res und signum32.
Es sind sogar drei Stücke bei der Taufe auseinanderzuhalten: erstens der Glaube als Wirken des Geistes Christi, zweitens die Taufe als (geistliches!) Zeichen dieses Wirkens, drittens der „äußere Ritus” des
27) Lex 69.
28) Th. Heckel 1961 118; ebenso He. für die „Kirche in
der Welt” KuK 224, Padua 282.
29) Init. 63, SA Init. 478. Dazu Gru. LWB 39-42.
30) IZ 23, 46, 54 ff. mit E. Kohlmeyer. Auch in seiner
historischen Entstehung! Für Luthers Anfänge vgl. Init. 26
(Tauflehre), Init. 12, IZ 44 f., Ernst Wolf ZevKR 1951 104
(Bußlehre, bes. bei Ablaßhandelstreit); IZ 45 f. (Eucharistie als
res und signum). Jedoch nur die Taufe in
Verbindung mit dem Glauben; oben 4028 gilt auch für
die Kirche.
31) Init. 26, Lex 119, 168 f., KuK 226 f. u.o. 38 ff.
126.
32) ZRL 1942; IZ 56 zu Wort und Sakrament; IZ 23 f.,
54, KuK 232 f. zum zeichenhaften Charakter der Kirche. Das
(augustinische) Begriffspaar (IZ 23, 45 A. 28 f.) ist Gemeingut
der scholastischen Sakramentstheologie. Bei He. treten wegen des
Spiritualismus res und signum sehr weit
auseinander, während Gru. den spätmittelalterlichen Sinn dieser
Terminologie aufgibt, vgl. LWB 40.
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„leiblichen Taufvollzugs”, der geistlich irrelevant ist: er ist litera, nicht spiritus, sagt Augustin; er ist nur soziologisch interessant, interpretiert Heckel33.
Geist Christi und geistliches Zeichen gehören zusammen. Angewendet auf die Kirche heißt das: Dem ersten Stück, dem Geist und dem Glauben, entspricht die ecclesia spiritualis; dem zweiten34 die ecclesia universalis, sie ist geistliches Zeichen der Anwesenheit der geistlichen Kirche. (Dem äußeren Ritus, als drittem, ist die bloße Taufgemeinschaft als Kirche im soziologischen Sinn zuzugesellen. Da bei ihr vom Glauben, d.h. von der geistlichen Substanz, abgesehen wird, heißt sie nicht eigentlich [proprie] „Kirche”35).
Daraus wird klar, daß, wie bei der Taufe, so auch bei der Kirche res und signum eng zusammengehören; wie es keine Taufe ohne Wirken des Heiligen Geistes gibt, so keine leibliche Kirche ohne die geistliche. Ebenso kann man nicht in die geistliche Kirche gelangen, ohne zugleich Glied der „Gemeinschaft der Getauften” (der leiblichen Kirche) zu werden. Die Taufe vermittelt die Gliedschaft zu beiden. Sie begründet die Verbindung von geistlicher und leiblicher Kirche36. Aus der einen Quelle der Taufe erstehen beide Gestalten der Kirche.
Schließlich: wie das Zeichen der Taufe nichts ist, wenn man es von der res ipsa, dem Geist, ablöst, so ist die leibliche Kirche tot, wenn nicht
33) IZ 54 ff., ZRG 1957 500, KuK 235 f.; vgl.
Grat. 501, IZ 56 nach 2 Kor 3.6, Röm 7. Der „äußere Ritus” ist
also nicht der geistliche Vollzug, sondern seine „Fotografie”,
juristisch: der objektive Tatbestand der Taufe.
34) IZ 54.
35) ZRG 1957 500; corpus civile
(Melanchthon), ebd.; d.h. Tauf- oder (!) Kultgemeinde ohne
Rücksicht auf den (aktuellen) Glauben der Mitglieder, IZ 50, 57,
AS 63, ZRG 1957 500. Anders noch (mit der h. M.) RuG 343 f.,
Init. 87, 118: Die Kirche als irdisch-soziologische Erscheinung
gehöre teils zum regnum Christi, teils zum regnum
mundi; daraus folge „die epochemachende Unterscheidung
zwischen der Glaubenskirche und der verfaßten Kirche”; letztere
bezeichnet er als die congregatio (im Unterschied zur
ecclesia), die aber gleichwohl wirklich Kirche sei!, RuG
360 f. Das gleiche gilt aus dem nämlichen Grund für die
„Bekenntnis-” (Konfessions-)kirche!, AS 63, ZRG 1957 500; denn
das öffentliche Bekennen vor Menschen (um dieses geht es) ist ein
äußerliches, „leibliches” Faktum ohne Sicherheit über den Glauben
dahinter. (Und als signum?!) Zur Entstehung des
konfessionellen, am (nicht-gottesdienstlichen) „Bekenntnis”
orientierten Kirchenbegriffs vgl. Cura 243, Mel. 86 ff.
(Melanchthon, Bellarmin usw.) — ein gewichtiger Unterschied zu
Melanchthons Kirchenbegriff, s.o. 13022.
36) Init. 26 m. A. 92 f. (gegen W. Köhler), 63, ZRL
1942 — wobei aber „Taufe” verschieden gebraucht wird: bei der
e. spir. ist es die Taufe als res, bei der
e. u. als signum!
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die geistliche in ihr lebt. Nicht nur die Zusammengehörigkeit, sondern auch der Rangabstand beider Gestalten der Kirche ist in der Taufe grundgelegt.
Heckel ist sich über den ekklesiologischen „Standort” der Sakramente, insbesondere der Taufe, nicht ganz schlüssig geworden, z.T. bedingt durch die Terminologie (unten II). Auch das Problem von Wort und Sakrament als notae ecclesiae ist ungelöst geblieben. (Die notae externae sind die geistlichen Zeichen, an denen — nur — der Gläubige die Anwesenheit der geistlichen Kirche erkennt; dazu III.) Es bleibt unklar, ob sie zur geistlichen oder zur leiblichen Kirche gehören oder zu beiden.
I. Dem „System” entspräche die dreifache Unterscheidung:
1. Zur ecclesia spiritualis gehören Predigt, Taufe
und Abendmahl als Wirken des Geistes Christi (res).
2. Zur ecclesia universalis gehört die Taufe usf.
als geistliches Zeichen dieses Wirkens (signum).
3. Der bloße Ritus ist als „äußeres” Zeichen leiblich, d.h.
für den Kirchenbegriff belanglos.
II. Die einzelnen Aussagen Heckels zu den Sakramenten sind
eigentümlich unscharf. Sie gehen das Problem von verschiedenen
Seiten an.
1. In den „Initia” (1950) ist das Problem noch nicht
expliziert. Die Taufe ist Aufnahme in die geistliche Kirche und
damit ipso iure in die leibliche37. Die Taufe
gehört also zu beiden. (Auch als Ritus? Wie steht es mit dem
signum?)
2. Taufe als Institution und actus
spiritualis:
a) Im „Decretum Gratiani” (1955) wird die Taufe als
Institution des positiven göttlichen Rechts gesehen, die — wie
sonst — nur im usus spiritualis iuris wirkliches ius
divinum ist. Es heißt dort (ebenfalls zur Frühphase
Luthers): die Taufe ist eine leibliche Institution der
streitenden Kirche (= ecclesia universalis); nur als
actus spiritualis, im geistlichen Vollzug, gehört sie
zur geistlichen Kirche. Darin besteht die „institutionelle
Verklammerung” von ecclesia spiritualis und
universalis38. Hier werden geistliche und
leibliche Kirche in Beziehung gesetzt.
37) Init. 26.
38) Grat. 500.
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b) Das Gegenteil scheint in der Wehrhahn-Rezension (1957)
zu stehen. Denn wie soll man das Lob Heckels verstehen, wenn er
es „dankbarst begrüßt”, daß es H. Wehrhahn gelinge, „die offenen
oder versteckten Versuche einer institutionellen . . .
Verklammerung (!) zwischen . . . der geistlichen und der
leiblichen Christenheit zu entlarven”39? Doch
geistliche und leibliche Christenheit bedeuten hier wohl
geistliche und soziologische Kirche!
3. In den „Zwo Kirchen” wird das augustinische Begriffspaar
spiritus-litera eingeführt und mit den „Zeichen”
verknüpft. „Zeichen” ist hier aber nicht das signum im
Gegensatz zur res ipsa, sondern die nota
ecclesiae! Da litera nicht das gleiche bedeutet wie
nota, ergeben sich folgende Komplikationen:
a) Im Text der „Zwo Kirchen” stehen
spiritus-litera einander gegenüber. Spiritus
meint das geistliche, litera das ungeistliche
Verständnis. Wort und Sakrament sind für die geistliche Kirche
„geistlicher Schöpfungsakt zur Herstellung der Glaubenseinheit”
und „Zeichen und Mittel” des göttlichen Wortes. Für die äußere
Kirche sind sie nicht spiritus, sondern litera
— nicht Bindeglied (Verklammerung), sondern sichtend und
scheidend40. Hier werden wieder geistliche und äußere,
d.h. hier soziologische, Kirche verglichen! (Zu ersterer gehört
die Taufe als res und als signum, zu letzterer
der Ritus.)
b) In einer Fußnote derselben Abhandlung polemisiert
Heckel gegen E. Seebergs dreifachen Kirchenbegriff. Er verbindet
aber die „Zeichen” (Wort und Sakrament) nicht mit der geistlichen
und der leiblichen Kirche, sondern mit der „Kirche in der Welt”
und der „leiblichen Kirche”41. Der Zusammenhang der
„zwo Kirchen” läßt vermuten, daß es sich nun um den Vergleich von
geistlich-leiblicher (!) und soziologischer bzw. Gegenkirche
handelt.
c) Die bestehende Unklarheit wird beim veränderten
Wiederabdruck nicht aufgeklärt, sondern umgangen: Die
ecclesia spiritualis erkennt und anerkennt die „Zeichen”
(deren Standort nun offen bleibt!); die ecclesia
universalis ist Kirche, soweit in ihr die ecclesia
spiritualis lebt42. (Das entspricht oben 2 a.)
39) ZRG 1957 498 (zur „Christenheit” unten 151
ff.).
40) Zwo Kirchen 224, IZ 55 f.
41) Zwo Kirchen 224 A. 46.
42) IZ 58 A. 73.
|135|
4. In dem wichtigen Artikel „Zwei-Reiche-Lehre” im EKL
zählen Wort- und Sakramentsverwaltung nun eindeutig zur
ecclesia spiritualis (die ja die „Mitte” der
ecclesia universalis ist)43.
5. Schwer zu erklären ist schließlich, wieso „der Ritus (!)
der Taufe” in die ecclesia universalis
aufnimmt44 (also nicht in die soziologische Kirche!) —
andernorts sogar in die ecclesia
spiritualis45!
III. Ebensowenig ist die Stellung der Heilsmittel unter dem
Gesichtspunkt der geistlichen notae ecclesiae geklärt.
Auch bei ihnen bleibt im Ergebnis offen, ob sie zur ecclesia
spiritualis oder zur ecclesia universalis zu zählen
sind.
1. Der Glaube nimmt an den notae das Walten des
Geistes in der leiblichen Kirche wahr. Zu den notae
gehören Wort und Sakrament46.
2. Man muß aber genauer zwischen den Kennzeichen der
geistlichen Kirche und denen der leiblichen unterscheiden. Sie
verhalten sich wie die res zum
signum47; beide aber nennt Heckel (mit den
Bekenntnisschriften) externae notae, „äußere”
Zeichen48! In diesen äußerlich wahrnehmbaren Zeichen
weist die leibliche Kirche unfehlbar auf die
geistliche49.
3. Anders dagegen in den „Zwo Kirchen”: Die Zeichen gehören
zur „Kirche in der Welt” im Gegensatz zur leiblichen (=
soziologischen?) Kirche50.
IV. Eindeutig sprechen dagegen Th. Heckel und S. Grundmann die
notae der geistlichen Kirche zu. Das ist der Standpunkt
der Bekenntnisschriften51.
1. Gegen ein enthusiastisches Verständnis der Kirche hebt
Th. Heckel hervor, daß „die lautere Verkündigung des Wortes und
die einsetzungsgemäße Verwaltung der Sakramente” zur ecclesia
spiritualis
43) ZRL 1939.
44) KuK 230 ff.
45) ZRL 1942.
46) Init. 94, IZ 55 f., ZRL 1939, KuK 232 f.; ferner
der usus spiritualis iuris!, Lex 121 A. 964, und das
Amt, KuK 259.
47) Mel. 88, ZRL 1942.
48) Notae externae, weil äußerlich
wahrnehmbar, wenn auch nur für den Gläubigen verstehbar!, im
Gegensatz zur fides scil. interna.
49) KuK 232 f.; vgl. noch Lex 143 A. 1168 a;
efficax et infallibile signum, WA VII, 236,19 „. . .
denn das Wort Gottes kommt nie leer zurück”, ZRL 1939, KuK 232 m.
A. 62.
50) Zwo Kirchen 224 A. 46; wie bisher anscheinend im
Wiederabdruck desselben Aufsatzes IZ 58 A. 73, s.o. 134 (3
c).
51) Einbruch 120 f.; ebenso He. zu den Sakramenten
(oben zu 43).
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gehören52. (Das ist der auf die ecclesia spiritualis
bezogene Wortlaut von CA VII.)
2. Ebenso und besonders entschieden betont Grundmann (mit
Th. Harnack und W. Eiert nach Ernst Wolf und E.
Schlink)53, daß die „äußeren” Zeichen (externae
notae) Wort und Sakrament überhaupt erst die ecclesia
spiritualis auferbauen und deshalb ihr notwendiger
Bestandteil sind (dagegen ist keine nota externa das
Existieren von Bekenntnisschriften)54. Die
spiritualistische Unterscheidung von res und
signum wird nur abgeschwächt übernommen. (Damit bezieht
Grundmann eine eindeutige Gegenposition zu J.W.F. Höfling und W.
Kahl, die die Gnadenmittel zur „sichtbaren” Kirche zählen, und
ganz besonders zu Sohm, der sie gar zur „Welt”
rechnet55.)
Nun kann die leibliche Kirche in ihrem charakteristischen Grundriß geschildert werden. Sie hat zwei Merkmale. Sie steht in „lebensnotwendigem Zusammenhang” mit der geistlichen Kirche und dennoch in „unaufhebbarer Spannung” zu ihr56: Sie hat ein doppeltes Gesicht57.
Die leibliche Kirche ist die „Gestalt” des Reiches Christi auf Erden58 und damit auch die „Gestalt” und „Schauseite” der geistlichen Kirche,
52) 1961 31, 53 f.
53) LWB 6 f., 10 f., 37 f., 530, ELKZ 1960 161, FS
Liermann 52.
54) LWB 44, 529 A. 126 mit E. Schlink; ebd. zur
ökumenischen Bedeutung der notae.
55) Im Grunde handelt es sich um ein logisches
Problem, das aus der Unterscheidung der beiden Gestalten der
Kirche entsteht. Wenn es Kennzeichen der leiblichen Kirche gibt,
die auf ihr geistliches Leben hinweisen, dann gehören sie zur
leiblichen Kirche. Andererseits müssen sie ausschließlich zur
geistlichen Kirche gehören, weil alles Geistliche ausschließlich
zu ihr gehört (so die Bekenntnisschriften). Man löst es am
einfachsten dadurch, daß man — mit He. oben 135 (III 2) —
zwischen den notae als res und als
signum unterscheidet, erstere der geistlichen und
letztere der leiblichen Kirche zuordnet und so den systematischen
Anschluß an die ekklesiologische Stellung der Sakramente
herstellt.
56) SA IZ 474, KuK 231 mit H. Bornkamm.
57) „Gesicht” oder facies ecclesiae, vgl. Lex
171, KuK 229 f., ebenso Calvin, Gru. RGG III 1574 f.
58) IZ 49, d.h. seine „Organisationsform”, WO 159, WS
35; das anbrechende Reich Christi, KuK 224, die geistliche
Gemeinschaft inmitten der Welt, Grat. 535.
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denn Reich Christi und geistliche Kirche sind dasselbe. In der ecclesia universalis kommt die ecclesia spiritualis zu sichtbarer59 Erscheinung und Verleiblichung, ja zu ihrer „Organisation”. Sie ist das „Gefäß” der ecclesia spiritualis60.
Nicht um zwei verschiedene Dinge also handelt es sich, sondern um zwei zusammengehörige Aspekte derselben Sache, zwei „Eigenschaften” oder „Gestalten” der einen Kirche.
Deshalb kann man sie zwar logisch unterscheiden, muß sie aber sachlich in eins sehen; eine kann ohne die andere nicht gedacht werden61.
Geistliche und leibliche Kirche hängen so eng zusammen wie Seele und Leib. Wie der Leib nur bestehen kann, wenn die Seele in ihm wohnt, so die ecclesia universalis nur, wenn die ecclesia spiritualis in ihr lebt62. Luthers Sorge sind die fideles, die cives Christi; sie müssen Lebensprinzip der verfaßten Kirche sein, sonst ist sie geistlich tot. Dabei läuft der Weg des Gedankens von innen nach außen, nicht umgekehrt63. „Immer handelt es sich ... um das corpus der ,rechten Christen’ inmitten der Taufgemeinschaft”64.
Man darf also die Rede von den beiden Gestalten, Eigenschaften und Aspekten der Kirche nicht statisch sehen, sondern muß sie dynamisch65 verstehen. Sie trifft nur solange und soweit zu, als die geistliche Kirche
59) „Sichtbar” aber nur dem Glaubenden!, dem
„natürlichen” Menschen ist sie e. invisibilis, s.u. 158.
Deshalb ist der von He. genannte Maßstab der Vernunft (KuK 229,
231) der der ratio christiana et libera (Lex 40).
60) Lex 68 f.; Init. 41, ZRG 1954 324, WS 35, Gru. LWB
41, 526.
61) Padua 332; Lex 69, 171 f., Grat. 494, 500, ZRL
1942, KuK 230; derselbe Gegenstand, aber zwei Aspekte: KuK 230,
232, von verschiedenem Blickpunkt: Grat. 494; einmal wie Gott sie
sieht, das andere Mal unter dem Blickwinkel der Menschen: Mel.
88; geistliche Seite des Kirchenwesens: ZRG 1956 532; sie
verhalten sich also nicht wie Möglichkeit zu Wirklichkeit, Init.
26 A. 97 gegen R. Seeberg mit P. Althaus; die e. univ.
ist selbst Wirklichkeit.
62) Lex 171 f., IZ 59 f., ZRL 1942, KuK 236 f., je mit
einer Menge anderer Auslegungen anderer Ausleger. Der
anthropologische Zusammenhang steht in Lex 68 f.: „Geistlich” und
„leiblich” lassen sich nicht trennen; das Leibliche ist das
„Gefäß” des Geistlichen.
63) Init. 85, IZ 58 A. 73 mit H. Diem, ZRG 1960 624 zu
Rhegius’ Sakramentsgemeinschaft; nur scheinbar anders Lex 172
(man könne von beiden Seiten her definieren); dazu s.u. 144 ff.
zum canon fidei.
64) Lex 171, IZ 50.
65) Init. 41, KuK 235, Gru. LWB 42, — und zwar
dynamisch auch insofern, als der geistlichen Kirche nicht immer
eine rechte leibliche Kirche als Schauseite entspricht wegen des
influxus diaboli; aber die lex spiritualis
gebietet dann wenigstens, daß „man . . . sich zu einer Gemeinde
zusammenfinden” soll, IZ 61 f., KuK 279.
|138|
in der leiblichen lebendig ist. Nur insoweit ist die ecclesia universalis überhaupt „Kirche”66! Das ist die Herzmitte der Kirchenlehre Luthers. Wer sie verfehlt, dem wird die Kirche zum „blinden, undeutlichen Wort”67.
Hier erinnert man sich der geistlichen Anthropologie und Rechtslehre Luthers. Wie der Christ nur Christ ist innerhalb des personalen Bezugs zu Christus, für sich betrachtet aber ein geistliches nihil (totus iustus totus peccator), wie das Gottesrecht nur ius divinum im spiritualis usus iuris, sonst jedoch geisttötende litera — so auch die leibliche Kirche. Für sich betrachtet ist sie nichts, ohne Glanz der Heiligkeit, eine Gemeinschaft der Sünder; zu Christus gewendet tritt sie ins strahlende Licht der Gnade, und niemand darf gering von ihr reden68. Nun ist klar, weshalb die ecclesia universalis sich mit Recht „Kirche Christi” nennen darf; sie ist es um der ecclesia universalis willen, und ihretwegen ist auch sie eingesetzt69.
66) Grat. 500, KuK 232. Es ist also recht
pointiert gesagt, wenn He. gegen den „romantischen
Kirchenbegriff” ausführt, es gebe kein „kollektives” (oder
„institutionelles”, ZRG 1957 497 f. mit H. Wehrhahn) Bindeglied
zwischen der leiblichen und der geistlichen Kirche, nur den
Glauben des einzelnen (z.B. IZ 40 ff., 59 gegen F.J. Stahl u.a.);
gemeint ist, daß nur im usus spiritualis, also im Geist
eine Verbindung besteht (IZ 25). Aber dieses Bindeglied ist der
Geist, oder anders, die geistliche Institution (Stiftung) der
geistlich-leiblichen Kirche, vgl. Lex 119 und dazu unten
1765 227 f.
67) Lex 169; vgl. den Titel der Gesammelten Aufsätze;
nach WA L 625,5 u.ö.; dazu Gru. im Vorwort (Wort XI) und bes. He.
Lex 143 f., KuK 232.
68) ZRG 1956 520; Kirche als Sünderin: KuK
232; Gru. mit E. Kinder: ZevKR 1962/63 13, ZRG 1964 XXV. Zur
Kirche als simul iusta simul peccatrix sagt Luther: „Die
Kirche bleibt eine untertänige Sünderin vor Gott bis an den
Jüngsten Tag und ist allein heilig in Christo, ihrem Heiland,
durch Gnade und Vergebung der Sünden” (WA XXXVIII 216, zit. bei
Th. Heckel 1961 30). Uneigentlich also trägt sie die Prädikate
der geistlichen Kirche, Cura 270 mit ZRG 1956 520 (z.B.
Unfehlbarkeit: KuK 232). Luther hat deshalb oft von der
leiblichen Kirche, der Taufgemeinschaft, so gesprochen, wie wenn
sie mit der geistlichen identisch wäre (IZ 54 u.ö.), aber nicht,
weil er die (bloße) Taufgemeinschaft als die eigentliche Kirche
aufgefaßt und damit auf das Mittelalter zurückgegriffen hätte (IZ
50 u.ö. gegen W. Köhler), sondern weil er a postiori von
den Christen in der e. u. her dachte (Lex 169 zu:
„christlicher Körper”, „christliche Kirche” — an sich Synonyma
der e. u.). Auch das ist nichts Neues, wenigstens nicht
für das Mittelalter; es ist das uralte patristische Lehrstück von
der Kirche als reine Magd ohne Flecken und Runzel (Eph 5.27) und
der babylonischen Hure (vgl. H.U. v. Balthasar II 203 ff. mit E.
Przywara), das seit der Reformation in der Dogmatik (und sonst)
verschollen ist; seitdem gibt es nur noch die Unheiligkeit der
Einzelchristen, obwohl die Kirche wieder ecclesia semper
reformanda geworden ist (Vaticanum II: De Eccl. I 8, De
Oecum. II 6).
69) Grat. 494, KuK 230, 232; sie ist also in beiden
Aspekten (als geistliche und als leibliche Kirche) ecclesia
sua, Init. 40, 114 A. 484, KuK 232, Gru. FS Arnold 46
u.ö.
|139|
Aus der Wesensverbindung von ecclesia universalis und ecclesia spiritualis folgt der entscheidende Unterschied der so verstandenen Kirche zu allen Fehlinterpretationen späterer Zeit: Auch die ecclesia universalis steht „zur Rechten” Gottes. Wegen der in ihr lebenden cives Christi gehört sie zum Reich Christi, nicht zur Welt. Deshalb kann sie nicht dem weltlichen Regiment unterliegen, sondern gehorcht dem geistlichen Regiment Christi70.
Aus dem Wesenszusammenhang folgt auch der analoge innere Aufbau. Auch die leibliche Kirche trägt Kreuzesgestalt. Sie ist sowohl Schauseite der Gemeinschaft der Gläubigen (Horizontale) als auch — und vor allem — Schauseite des Kirchenregiments Christi (Vertikale)71.
Damit ist fürs erste die Nähe der leiblichen zur geistlichen Kirche hinreichend geklärt; die leibliche erwächst aus der geistlichen Kirche. Aber fragen wir umgekehrt: Warum bedarf die geistliche Kirche der leiblichen? Ist sie nicht überflüssig? Was ist ihre Aufgabe und ihr geistlicher Sinn72? Die Antwort lautet: Sie ist um der Welt willen da. Sie ist das Zeichen, das unter den Völkern aufgerichtet wird73. An ihr erkennt man den Geist Christi auf Erden. Auch darum ist sie „Schauseite”! Mit einem modernen Begriff könnte man sagen, die ecclesia universalis trägt „Signalcharakter”. Allzu absonderlich sind auch ihre Gebräuche in den Augen der cives mundi . . . In ihr leben die Christen in geistlicher Bruderschaft einträchtig zusammen, in ihr wird das Wort verkündigt und die Sakramente gespendet. Davon leben diese Fremdlinge, davon teilen sie sogar der Welt mit. Sie tragen ihr geistliches Leben hinaus in die Welt und predigen ihr das Gesetz und das Evangelium74.
70) Lex 137, 142 A. 1161 gegen früher (Einbruch
121, Init. 87) und gegen K. Matthes; ferner 169 ff., IZ 34 ff.
gegen P. Althaus; ebenso Gru. LWB 36-42 u.ö. — mit weitreichenden
kirchenrechtlichen Folgen!
71) Das besonders klar herausgearbeitet zu haben, ist
das Verdienst Gru.s, s.o. 128 f.12 und KuSt 33. Auf dieser
Grundeinsicht baut die Doppelstruktur des menschlichen
Kirchenrechts auf.
72) IZ 21 — an sich die Frage der „Schwärmer” (Lex 69
A. 478 zu Karlstadt) nach dem Sinn der Sakramente!
73) Vgl. Padua 332.
74) Lex 44, 136, Grat. 535, KuK 228. — Es ist in der
evangelischen Theologie streitig, ob die Kirche der Welt nur das
Evangelium oder auch das „Gesetz” zu verkündigen habe (letzterer
Meinung ist He., s.u. 17033) — ein Problem verwandt
der potestas ecclesiae indirecta in temporalibus, deren
mittelalterliche Fassung die Reformatoren (mit Recht) ablehnen,
Mel. 98, Lex 156.
|140|
Nicht nur sakramental ist also dieser Kirchenbegriff, sondern zugleich zutiefst missionarisch bestimmt75.
Aber trotz dieses lebensnotwendigen Zusammenhangs besteht eine „unaufhebbare Spannung” zwischen der geistlichen und der leiblichen Kirche. Geradezu eine Kluft trennt die ecclesia universalis von der ecclesia spiritualis! Wie kommt es dazu? Immer wieder gelingt es dem Teufelsreich, tiefe Einbrüche in die Taufgemeinschaft zu erzielen; so kann es geschehen, daß die Namens- und Scheinchristen die Mehrheit bilden. Da sie cives diaboli sind, versuchen sie mit allen Mitteln, die Rechtsstruktur der ecclesia der des Weltreichs anzugleichen, und wie oft gelingt ihnen das76!
Wenn auch das Wort Gottes immer wieder die Namenschristen ausscheidet, so werden doch unter den Getauften stets Angehörige des Weltreichs leben77, zwar nicht de iure, wohl aber de facto. Sie werden auch beständig ihren verderblichen Einfluß geltend machen. So steht die ecclesia universalis in einem trüben Zwielicht.
Das ist die notvolle Existenz der ecclesia militans78. Die geistliche Kirche dagegen ficht das alles nicht an. Sie steht hoch über dem Kampfgetümmel, denn sie kennt nur wahre Christen in ihren Reihen. Eine tiefe geistliche Kluft trennt so die geistliche und die leibliche Kirche und droht, sie in „zwo Kirchen” zu spalten79.
75) So Gru. RGG III 1324 u.ö., aber unter
anderem Gesichtspunkt.
76) WS 36, AS 1956 45, IZ 20, ZRL 1943, Padua 332 f.,
KuK 234, 284.
77) Init. 40, Lex 169 f., IZ 21; zur Exkommunikation
s.u. 190 ff.
78) Init. 63, IZ 24, KuK 234 u.ö.: e.
militans = „Ritterkirche”!
79) Lex 170, AS 64, IZ 24, 54 u. ö. (noch weiter geht
IZ 63 „voller Gegensatz” und Init. überhaupt: „Die Aufgaben und
Zuständigkeiten haben da und dort nichts miteinander gemein”,
Init. 35). Zu den „zwo Kirchen” s.u. 148 ff. — Ein dritter
Umstand trübt das Bild der leiblichen Kirche: Selbst wenn man von
den cives diaboli in der Kirche absieht, ist doch auch
der Christ immer zugleich peccator. Und das wird sich in
allem bemerkbar machen, was die leibliche Kirche tut und läßt.
He. erwähnt diesen Punkt nicht eigens; aber er folgt aus dem
anthropologischen simul peccator et iustus und mag
vollends erklären, weshalb die eccl. universalis — erst
die Kirchenrechtslehre wird das in vollem Maße zeigen — so sehr
im Zwielicht steht. — Anders dagegen Th. Heckel und Gru. Vgl. Th.
Heckel 1961 156 u.ö. gegen jede „dualistische” Betrachtung der
Kirche; auch Gru. hebt die negative Seite der eccl.
univ. bei weitem nicht so stark hervor, obgleich er
natürlich das Problem der Anwesenheit der Namenschristen und der
sündigen Kirche ausführlich im Sinne He.s behandelt, LWB 35 f.,
39 ff. u.ö.
|141|
Doch nicht nur in dieser Richtung geht der eschatologische Kampf der Reiche; die ecclesia universalis ist nicht nur Einbruchsteile des Fürsten dieser Welt; sie ist auch „Ackerfeld des Heiligen Geistes”, auf dem der Geist Christi aus den Namenschristen wahre Glieder Christi gewinnt. Damit ist ihr die Aufgabe zugedacht, die fideles zu sammeln und zu bewahren80.
Es ist ein höchst bewegtes Bild, das Heckel von der leiblichen Kirche zeichnet! Stätte des Kampfes zwischen den Reichen, Hin und Her der ständig wechselnden Fronten, Unsicherheit über Freund und Feind, Pflanzschule des Geistes — vor allem aber Hort des kostbaren Schatzes, der ecclesia spiritualis.
Die allgemeine Kirche (ecclesia universalis) ist rechtlich verfaßt in Teilkirchen (ecclesiae particulares)81.
Darunter versteht man die örtlichen oder überörtlichen82 kirchlichen Teilgemeinschaften83, wie die (Orts-, Para- usf.) Gemeinden84, aber auch die römische Kirche 85.
80) Zur „sammelnden Kirche” Init. 40, Lex 44 A.
275, IZ 18, 62, Padua 332, Gru. LWB 24, 42; „Ackerfeld des
Heiligen Geistes” Padua 332 zur eccl. univ., XL 55 zu
den eccl. part.; Mel. 89 bei Melanchthon.
81) Lex 139, AS 64, Padua 332, KuK 230 f.;
Melanchthon: Mel. 90. Das ist der mittelalterliche Sprachgebrauch
(Init. 15 A. 55); im kanonischen Recht spricht man meist einfach
von ecclesia (K. Mörsdorf 1937 232); in den Texten des
Vat. II steht beides, cf. De Eccl. 23 ff., De Eccl. Or. 2 ff.);
theol. Begründung: De Eccl. ebd.
82) Gegen das „independistische Nebeneinander von
Gemeinden” Gru. RGG III 1325, LWB 45 f., 71; gleichbedeutend
gegen das „kongregationalistische Gemeindeverständnis” FS Heckel
162 u.ö. Zu den Landeskirchen als eccl. particulares
(He. übergeht sie mit Stillschweigen!) vgl. Gru. LWB 23, 43 ff.,
72 f., FS Heckel 144, ZevKR 1964/65 29.
83) Lex 146, 169; dagegen nicht die „Volkskirche”,
Padua 292, dieser „unklare Zwischenbegriff zwischen der eccl.
univ. und den eccl. part.”, Lex 170 A. 1364, mit
einem bemerkenswerten Zitat aus E. Foerster I (1905!) 168.
Kritisch auch Gru. FS Heckel 161: „immer mehr zur Selbsttäuschung
werdend”.
84) Lex 139, IZ 55, KuK 230; d.h. Kultgemeinden, AS 64
(scheinbar a. M. Gru. RGG III 1325, die Kultgemeinde sei nur ein
Ausschnitt aus der eccl. part.: He. meint die
gottesdienstlich verfaßte Ortsgemeinde, Gru. deren „aktiven”
Teil); andere Bezeichnungen sind: Sammlung (Lex 139, IZ 55; auch
Melanchthon, Mel. 90; zur „Sammlung” Höflings vgl. ZRG 1956 516)
bzw. lat. = congregatio (RuG 361). Zur wichtigen
Verhältnisbestimmung der Gemeinde zur eccl. univ. und
den größeren eccl. part. vgl. Gru. FS Heckel 144 ff.,
bes. 162 f. Zur „Paragemeinde” vgl. H.D. Wendland 1958 220
ff.
85) Lex 140 A. 1143, KuK 277 A. 233, erst recht der
frühe Luther, Init. 27 A. 99, ➝
|142|
Da die ecclesia universalis (die Weltkirche) als ganze weder verfaßt86 noch verfaßbar87 ist, ruht das Schwergewicht auf den ecclesiae particulares, und unter diesen auf den Ortskirchen. Darum hat die übergemeindliche Organisation vor allem dem geistlichen Leben der Ortsgemeinden zu dienen88.
Die ökumenisch so bedeutsame Frage, ob die allgemeine Kirche prinzipiell oder nur aus zeitbedingten Gründen einer rechtlichen Organisation entbehrt, läßt Heckel offen — vielleicht weil die wahren Christen in der Diaspora leben müssen89 —, aber dann gäbe es auch keine verfaßte Teilkirche!
Jedenfalls ist die Einheit der Christen immer schon im gemeinsamen Haupt Christus gegeben. Von ihm her sind die Teilkirchen eins im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe90. Eins sind sie auch durch ihr geistliches Wesen. Denn wie die Gesamtkirche (ecclesia universalis) sind sie Kirche nur durch die in ihnen lebenden wahren Christen, die ecclesia spiritualis91.
➝ 46. Weil die römische nur eine Teilkirche ist (auch nach
ihrem Selbstverständnis! CIC c. 1), braucht Luther die
Gesamtkirche nicht bekämpft zu haben, wie es K. Holl möchte (Lex
138 A. 1128). — Gru. faßt die römisch-katholische Kirche nicht
mehr als eccl. part. auf, dafür aber u.U. übernationale
kirchliche Zusammenschlüsse (RGG III 1324, ELKZ 1960 162), z.B.
den Lutherischen Weltbund (so Gru. ausführlich in seiner
gleichnamigen Habilitationsschrift).
86) Lex 28, 179 f.; RuG 361, Mel. 89, 93 f.
(Melanchthon); Gru. FS Liermann 53 u.ö.
87) KuK 230; anders Gru., unten 244 249.
88) ZRG 1960 619 f.; die eccl. part. ist auch
zuständig zur Rechtsetzung usf. Wo deshalb im folgenden von der
eccl. univ. die Rede ist, bedeutet das grundsätzlich die
in Teilgemeinschaften gegliederte Kirche.
89) Vgl. Lex 38; ebenso Mel. 89 (Melanchthon), KuK
229. Man hört die geistliche Klage Luthers: Die räumliche
Gemeinschaft der Christen ist nur selten möglich, denn ihrer sind
arg wenige, sie „wonen fern von eynander” (WA XI 251,37) in der
Zerstreuung (Lex 38 m. A. 223 f.). Zur Diaspora als „Wesensform
der Kirche” vgl. Th. Heckel 1961 33-47, Gru. FS Liermann 53, auch
K. Rahner StZ 1965 481-489.
90) Lex 146, IZ 52 f.; Gru. FS Liermann 52
(Glaube).
91) ZRG 1956 531 (III.), Init. 15, Gru. LWB 45. Gru.
fügt hinzu: eccl. part. est tota eccl. spir.; denn
überall, wo „zwei oder drei” im Namen Christi versammelt sind,
ist „die Kirche in ihrer Totalität” (d.h. die eccl.
spir.) zugegen. Weil die eccl. part. zugleich Teil
der allgemeinen Kirche ist, lautet der Satz vollständig:
Eccl. part. est tota eccl. spir. et pars ecclesiae
universalis (LWB 72 f.; pars, d.h. auf die
eccl. univ. ausgerichtet, FS Heckel 144, 162 f.). (Das
ist freilich paradox ausgedrückt, da die eccl. univ. nur
die Schauseite der eccl. spir. ist, also nicht die
eccl. part. zugleich ganz diese und Teil jener sein
kann. Ist überhaupt die Kategorie „das Ganze-seine Teile”
➝
|143|
Man möchte meinen, daß die verborgene Einheit in caput und corpus ihre leibliche Schauseite in der Rechtseinheit der ecclesiae particulares finden müßte. Denn geistlich und leiblich lassen sich auch hier nicht trennen92.
Es scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein, daß sich die allgemeine Kirche in Teilgemeinschaffen gliedere — und doch hat man schon wenige Jahre nach Luther — bis heute — die ecclesiae particulares zu etwas ganz anderem gemacht. Man verfälschte sie zu Konfessionskirchen, Bekenntnisgemeinschaffen oder „Kirchentümern”93! Man verwechselte räumliche Gliederung mit konfessioneller Zerspaltung . . .
Der ekklesiologische Grundriß zeigt einen eindeutigen Aufbau: die geistliche Kirche der wahren Gläubigen hat ihre Schauseite in der leiblichen Kirche der Getauften, die wiederum in Teilkirchen verfaßt ist.
Bei näherem Zusehen ändert sich das Bild. Fragen über Fragen ergeben sich. Einen Vorgeschmack davon gab der Exkurs über die notae ecclesiae.
Unklar bleibt vor allem die Stellung der ungläubigen Getauften. Gehören sie wenigstens zur leiblichen Kirche? Wie kann diese dann aber noch Schauseite der geistlichen Kirche sein? Lassen sich die Aussagen über geistliche und leibliche Kirche überhaupt auf einen Nenner bringen? Kennt Luther einen einheitlichen Kirchenbegriff, oder hat die h.
➝ für das Verhältnis der Gesamtkirche zu ihren
Gliedkirchen anwendbar?) Richtig Gru. FS Heckel 163: die
eccl. spir. „verwirklicht sich” (nicht: „ist”) in der
eccl. part. Ebenso z.B. R. Bultmann NT 448 f., K. Rahner
Qd 11 26 ff., H. Conzelmann RGG I 336; ferner H. Schlier, F.X.
Arnold u.a.; vgl. J. Pascher FS Guardini 675 ff. (683 f.):
gottesdienstliche Gemeinde als „Zeichen” der eccl. univ.
(mit Hinweis auf die Liturgiekonstitution). Die einleuchtende
kirchenrechtliche Konsequenz lautet: Die Verfassung jeder
eccl. part. muß die ganze (ius
divinum-)Verfassung der geistlichen Kirche widerspiegeln,
Gru. ELKZ 1960 166. Selbstverständlich ist sie juristische Person
kirchlichen Rechts, FS Smend II 309 ff., D. Pirson ÖAfKR 1965 30
ff. — eine Novität im ev. Kirchenrecht.
92) Anders Mel. 89: die eccl. univ. hat keine
durch menschliches Recht faßbare Aufgabe (also auch keine
ökumenische!).
93) Cura 273, Init. 15 A. 55 mit Hinweis auf E.
Schlink (1948 303 A. 32), ZRG 1956 516, IZ 36, 51; vorsichtiger
Gru. LWB 43 f., RGG III 1324 f. u.ö.
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M. recht, die seit alters bis herauf zu P. Althaus einen „Riß im Kirchenbegriff” Luthers behauptet1?
Heckel glaubt, alle Fragen einleuchtend beantwortet zu haben („Einheit des Kirchenbegriffs”, unten a). Es sind aber keineswegs alle Zweifel beseitigt, wie eine „wortstatistische” Untersuchung der wichtigsten Bezeichnungen der Kirche ergibt (b). Sie lassen sich jedoch unter der Voraussetzung einer Hypothese lösen, die unter der Überschrift „Eschatologische Kirche” entwickelt werden soll (c).
Heckels Überlegungen zur Einheit des Kirchenbegriffs sind gerade unter rechtlichem Aspekt besonders wichtig. Denn ein eigenständiges Kirchenrecht verlangt als Grundlage die einheitliche Kirche. Heckels Begründung kann auch deswegen besonderes Interesse erwarten, weil er die Einheit der Kirche mit dem Gliedschaftsproblem verbindet, wie es bekanntlich die gleichlaufende katholische Diskussion weithin tut. Er mißt die Kirchengliedschaft der ungläubigen Getauften mit einem doppelten Maßstab, dem canon fidei und dem canon charitatis. Also kein doppelter Kirchenbegriff, sondern doppelte Gliedschaft (a 1). Dadurch gelingt es ihm, alle Formen des doppelten Kirchenbegriffs zu widerlegen, sei es die Kirche als „konzentrische Kreise” (a 2) oder als corpus permixtum aus Gläubigen und Ungläubigen (a 3). Auch die „zwo Kirchen” Luthers stoßen dieses Ergebnis nicht um (a 4).
Das Problem der Einheit des Kirchenbegriffs ist bei Heckel auf das der Kirchengliedschaft reduziert. Dabei ist das entscheidende Kriterium nicht die Anerkennung eines menschlichen Oberhauptes in der Kirche, sondern der personhafte Bezug zum Haupte Christus, sprich Taufe und Glaube. Zugrunde liegt auch hier die Zweireichelehre. Kirchenglied2 ist der Reichsbürger im Reich Christi. Er hat im Glauben durch die Taufe die geistliche Staatsbürgerschaft erlangt.
1) Vgl. Gru. FS Arnold 44.
2) He. sagt „Mitglied” und „Glied” ohne Unterschied,
vgl. Lex 37, 77 A. 555, 136, KuK 235 f. usf.; Rechtsfolge der
Gliedschaft ist Notwendigkeit und Kompetenz zur Rechtsetzung (ZRG
1960 614 f., KuK 236 u.a.).
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Unproblematisch ist deshalb zunächst der „gute Heide”, also der „anonyme Christ”. Er ist für Luther (wie für das Mittelalter überhaupt) ein so großer Sonderfall, daß er für die weiteren Überlegungen außer Betracht bleiben kann3.
Ohne Schwierigkeit ist auch die Frage nach der Gliedschaft in der geistlichen Kirche. Der civis Christi ist ipso facto Glied der geistlichen Kirche, wie schon ausgeführt wurde4, und selbstverständlich auch ihrer Schauseite, der leiblichen Kirche, wie sogleich gezeigt werden wird.
Wie steht es aber mit dem ungläubigen Getauften? Kann ein civis diaboli in der leiblichen Kirche Christi das Heimatrecht erlangen, der es wagte, sich das Zeichen der geistlichen Bürgerschaft zu erschleichen, oder der später zum Fürsten dieser Welt abgefallen ist? Offensichtlich nein! Aber damit ist nichts gewonnen. Hat doch Christus durch die Taufe die Bürgerschaft verliehen! Wie kann da ein Mensch dieses mißachtend sein eigenes Urteil an die Stelle setzen und so Christus beleidigen5?
Hier führt Heckel einen zweifachen Maßstab zur Ermittlung der Gliedschaft in der leiblichen Kirche ein: die „Betrachtungsweise” Gottes und die der Menschen. Die erste ist der canon fidei, die zweite der canon charitatis6.
Der erste ist der Maßstab des Glaubens. Er geht von der geistlichen Kirche aus. Glied der ecclesia universalis nach dem canon fidei ist jeder Gläubige7; also nur, wer das Zeichen der Einbürgerung ins Christusreich (die Taufe) im Glauben bewahrt hat, demnach ausschließlich, wer auch zur geistlichen Kirche gehört.
3) Er wird dem gläubigen Getauften gleich
behandelt, s.o. 4244.
4) Vgl. oben 129; für die geistliche Kirche gilt
nur der (Maßstab =) canon fidei, weil für sie
der Glaube entscheidet, KuK 228, 236.
5) Init. 41 A. 171.
6) So He. terminologisch ab 1957, sachlich aber von
Anfang an: AS 64, IZ 23, ZRL 1942; „Richtmaß”: ZRG 1960 614 f.,
617; „Betrachtungsweise”: IZ 23, KuK 236, Gru. LWB 24. Die
Unterscheidung macht gelegentlich auch Luther, Init. 41 A. 171,
IZ 23; für Gru. vgl. LWB 24, ZevKR 1957/58 280, FS Arnold 45 f.
u.a. Zum „canon” rationis s.o. 13759.
7) S.o. 4244; Apol. BS 241,16; ZRG 1957
500, KuK 236.
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Der zweite ist der Maßstab der Liebe. Er geht von der leiblichen Kirche aus, genauer gesagt von der Taufe8 als signum des verborgenen Waltens des Geistes9. Glied der ecclesia universalis nach dem canon charitatis ist — auf den ersten Blick — jeder Getaufte.
Hier soll die Liebe keineswegs den fundamentalen Unterschied zwischen geistlich und weltlich, nämlich zwischen civis Christi und civis diaboli verwischen und vertuschen! Aber wer wirklich gläubig ist, das weiß nur Gott. Er hat sich das endgültige Urteil über jedermann vorbehalten. Am Jüngsten Tag wird sein Spruch verkündet. Der Mensch kennt ihn nicht und kann ihn auch nicht vorwegnehmen. Vielmehr ist ihm aufgetragen, seinen Bruder zu lieben und sich mit dem Geisteszeichen der Taufe zu begnügen10. Wer also getauft ist, wird als Glied der leiblichen Kirche vermutet11, selbst wenn er in Wahrheit nicht dazugehört, bis das Gegenteil durch Exkommunikation12 festgestellt ist.
Daraus folgt für die Scheinchristen: Auch nach dem canon charitatis spricht nur der Rechtsschein für sie; sie sind nur Scheinglieder der leiblichen Kirche. In Wahrheit haben sie nichts in ihr zu suchen13.
Echte Glieder der leiblichen Kirche sind nur die wahren Christen; die Namenschristen, so sagt Luther mit Augustin, gehören nur numero non merito zu ihr; corpore non spiritu. Sie sind „in” ecclesia, aber nicht „de” ecclesia14. Trotz der Taufe sind sie zu Unrecht in der Kirche: sie haben das Bürgerrecht nicht in der Kirche, sondern in der „Welt”15.
8) KuK 236 f.; bei anderer Gelegenheit freilich
rügt He. die „theologische Unzulässigkeit einer solchen in sich
gegenläufigen Methode”, ZRG 1956 516! Denn von der leiblichen
Kirche führt keine Vernunft zur geistlichen, selbst von der
geistlichen zur leiblichen geleitet nur das Wagnis des Glaubens,
Init. 63.
9) Init. 63.
10) Init. 63, IZ 54, AS 64, KuK 237 f.; Gru. ZRG 1964
XXV.
11) Secundum quid, IZ 54, KuK 237 f.;
prima facie, Gru. LWB 104, RGG III 1324.
12) S.u. 190 ff.
13) IZ 57, Gru. RGG III 1324; IZ 24, KuK 238 f.
specie — revera; membra mortua, KuK 235 A. 78, in
anderem Sinn als in der Scholastik, wo sie in potentia
zur Kirche gehören, IZ 24, 54, 57, KuK 235, aber wie bei
Bellarmin (sie gehören nur secundum apparentiam et putative,
sed non secundum interiorem coniunctionem et vere =
Putativgliedschaft),mit dem Unterschied, daß Bellarmin wegen
seines Rechtsbegriffs die „innere” Gliedschaft nicht als
Gliedschaft im Rechtssinn anzuerkennen vermag (vgl. M. Honecker
ZThK 1965 33 f.). (Übrigens hat auch Turrecremata das negative
Element der fehlenden Exkommunikation in den Begriff der Kirche
aufgenommen, vgl. Mel. 86.)
14) Lex 169, IZ 22, KuK 238 aus der kanonistischen
Kirchenlehre, ebd. A. 91; numero non merito: Init. 14 A.
45, IZ 59 A. 81, KuK 238 A. 89; Augustin, In Joh., ➝
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Damit decken sich geistliche und leibliche Kirche. Sie sind im Wesen, wenn auch nicht in der Erscheinung, gleich. Durch die Unterscheidung von canon fidei und canon charitatis wahrt Heckel die Einheit der Kirche16. Es ist eine „dialektische” Einheit im Glauben17.
Das Bild von den „konzentrischen Kreisen” zeigt sehr gut, wie sich Luthers ekklesiologischer Zentralgedanke der inneren Einheit von geistlicher und leiblicher Kirche mit wachsender Folgerichtigkeit durchsetzt.
Konzentrisch sind nicht, wie bei K. Barth, die Christen- und die Bürgergemeinde18, sondern die Glaubens- und die Taufgemeinschaft. Die Glaubensgemeinschaft (also nach dem bisherigen die ecclesia spiritualis) nennt Luther das concilium iustorum, die Taufgemeinschaft (oben: die „soziologische” Kirche) die congregatio iustorum et iniustorum. Erstere ist der engere Kreis, letztere der weitere, da er auch die ungläubigen Getauften mit umfaßt19. Luther hat demnach die „konzentrischen Kreise” ursprünglich bejaht20.
Später nicht mehr!21, denn geistlich und rechtlich haben die cives diaboli in der leiblichen Kirche nichts zu suchen. Geistliche und leibliche Kirche sind nun kongruent. Die soziologische Kirche ist aus dem
➝ PL 35,1799; G. Biel AS 58; Gru. ebenso, LWB 23 u.ö.; in
diesem Sinne ist es zu verstehen, daß die eccl. univ.
„alle Getauften ohne Rücksicht auf ihre Gläubigkeit . . .
umfaßt”, FS Liermann 53. Vgl. noch das Zitat IZ 59 A. 81.
15) Lex 169, AS 64 f., KuK 237 f., Gru. RGG III 1324,
LWB 36 gegen 24.
16) IZ 23 f.; ebenso zu CA VII f. Mel. 87 f.; Gru. LWB
23, 36, RGG III 1324 usf. Man kann die Kirche nicht, wie es das
19. Jh. tat, in zwei Hälften zerschneiden, die miteinander nichts
zu tun haben: die Glaubens- und die Rechtskirche, Lex 12 ff.,
Grat. 493, Gru. LWB 13 ff.
17) IZ 23 f.; hervorgehoben von Gru. ThLZ 1962 337, FS
Arnold 46, FS Liermann 53: „Das Verhältnis zwischen eccl.
spir. und eccl. univ. . . . ist das Verhältnis
einer dialektischen Identität”, LR 1964 221, ZevKR 1964/65 27.
„Ein linear-einspuriges Denken führt hier nicht zum Ziel”, ZevKR
ebd.
18) Lex 163 A. 1294; dazu K. Barth 1946 9 mit Hinweis
auf O. Cullmann.
19) Grat. 500; Init. 13 ff., IZ 57, KuK 232 (zur
eccl. manifesta).
20) Init. 14 m. A. 48, IZ 57 A. 68 gegen O. Scheels
Verdikt als „unlutherisch” und mit K. Holl; übrigens auch
Melanchthon, Cura 244 (wie Augustin, F. Hofmann 233 ff.).
21) Lex 171 A. 1368, IZ 57. Es ist interessant zu
beobachten, wie diese Entwicklung Luthers sich auch bei He.
selbst (IZ 57 gegen Init. 14) und dann noch einmal bei Gru.
wiederholt (LWB 22 ff. gegen 36). H. Fagerberg 1965 274 f.
dagegen sieht hier keinen Unterschied zu Augustin.
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rechtstheologischen Bereich ausgeschieden. Denn auch nach dem canon charitatis gehören die Unchristen nicht zur Kirche.
Sie ist, mit einem weiteren mittelalterlichen Ausdruck, kein corpus permixtum, kein Rechtsgemisch aus Gläubigen und Ungläubigen.
Die Ausführungen Heckels zum corpus permixtum bestätigen die geistliche Einheit der Kirche. Das corpus permixtum ist ein theologischer Unbegriff; denn es bezeichnet „ein Mischprodukt geistlich-ungeistlicher Art”, nämlich die congregatio iustorum et iniustorum des frühen Luther, d.h. die „Gemeinschaft” der gläubigen Getauften und der getauften Ungläubigen22. Es hat keine einheitliche Rechtsstruktur, da es cives Christi und cives diaboli in dem chaos unius vocabuli23 zusammenzwingt24. Es wird deshalb genauso abgelehnt wie das Bild der konzentrischen Kreise.
Zwar redet Luther selbst gelegentlich ungeschützt von der ecclesia mixta oder permixta25, aber es wäre ein „theologischer Abweg”, von daher die ecclesia universalis und ihr Recht definieren zu wollen. Man fiele entweder in den „soziologischen” Begriff der ecclesia universalis in der Scholastik zurück oder beginge eine μετάβασις εἰς τὸ ἄλλο γένος des modernen statischen Körperschaftsbegriffs26. Gleichwohl hielt man an diesem „seit der altlutherischen Orthodoxie unausrottbaren Irrtum” zäh fest. Denn man brauchte ihn, um die Weltförmigkeit (und damit die Zwangsnatur) des Kirchenrechts mit der Anwesenheit der (des „Gesetzes” bedürftigen) iniusti in der Kirche zu legitimieren27.
Das fälschlich so genannte corpus permixtum der (soziologischen) Taufgemeinschaft, die scheinbaren konzentrischen Kreise zerfallen in
22) Init. 14, IZ 21, 57, ZRG 1957 500.
23) Init. 69 A. 289 u.ö.
24) AS 64 f., Padua 331.
25) IZ 22, AS 64 f. u.ö
26) IZ 22, AS 64 f., KuK 235 f.; Th. Heckel FS Hechel
258 f., Gru. RGG III 1324. Das ist nicht ganz schlüssig; denn das
corpus permixtum stammt von Augustin, so He. selbst IZ
21 f. unter Hinweis auf De civitate Dei I 35.
27) IZ 21 f., AS 65; so die bis heute in der
lutherischen Theologie herrschende Meinung, z.B. F. Lau, G.
Holstein, Th. Harnack. Dabei will CA VIII, an den die Orthodoxie
anknüpfte, den — Donatismus bekämpfen!
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Wahrheit in zwei streng voneinander geschiedene corpora, nämlich die wahre Kirche und ihr krasses Gegenteil, die Teufelskirche28.
Denn die Unchristen, die sich unter falschem Namen in der ecclesia vera aufhalten, versuchen dem Herrscher der Welt im eschatologischen Kampf zum Siege zu verhelfen. Sie organisieren sich und bilden eine ecclesia simulata, eine „gemachte” Kirche, die der „natürlichen” Kirche entgegentritt. Das also sind die „zwo Kirchen”!, die Kirche Christi und die Heuchel- oder Satanskirche29.
Durch die Zweireichelehre wird ihre Stellung noch klarer. Die wahre Kirche ist die Schauseite des regnum Christi, die Satanskirche die Schauseite des regnum diaboli, oder genauer nur ein Ausschnitt davon, nämlich derjenige Teil, der sich unter falscher Flagge in der Taufgemeinschaft organisiert hat30.
Was also zum corpus permixtum unter dem „individualistischen” Gesichtswinkel ausgeführt wurde, erfährt hier seine „kollektive” Ergänzung.
Die Gegenkirche kommt auf zweierlei Weise zu ihrer Organisation: Entweder schleichen sich Heuchelchristen ins kirchliche Amt ein, predigen Irrlehren, gewinnen die Mehrheit, verkehren die Verfassung, so daß sich eine ecclesia particularis — die ganze Kirche kann nicht untergehen, die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen, sie ist perpetuo mansura31 — in eine politia mit geistlichem Decknamen verwandelt (und damit weltförmig wird). Oder eine ecclesia particularis lehnt hartnäckig den berechtigten Ruf zur Reform ab.
In beiden Fällen verliert nicht nur der einzelne Scheinchrist, sondern die ganze ecclesia particularis den lebensnotwendigen Zusammenhalt mit der geistlichen Kirche und schließt sich damit selbst aus.
28) IZ 22 f., 57 f., KuK 234 f.
29) Zwo Kirchen: IZ 58, KuK 234, terminologisch eine
Schöpfung von Hieronymus (Comm. in Gal., PL 26,313; Init. 41 A.
170), sachlich eine Neuprägung He.s gegenüber Luther und dem
kanonischen Recht (eccl. catholica und eccl.
haereticorum, Belege zu Luther und Glosse IZ 58 A. 74);
„natürliche” Kirche, weil sie ihre wahre Glaubens- und
Sakramentsnatur bewahrt hat, IZ 57 f. m. A. 72; „gemachte”, d.h.
von den Kanonisten künstlich erzeugte Kirche, ebd. 58; wahre
Kirche: AS 64, KuK234; rechte Kirche: IZ 57 f.; dagegen die
Teufels- (KuK234), Satans- (KuK 237) oder Heuchel- bzw.
Scheinkirche (Lex 140, AS 65, Padua 331, KuK 234, 277 f.);
corpus simulatum ecclesiae: IZ 22 f., AZ 60;
ecclesia hypocritica: Lex 99 f.; ecclesia
malignantium: Lex 99, AS 59, mit G. Biel nach Ps 25.5
(Vulg.).
30) IZ 58 A. 74, KuK 234.
31) Apol. VII 9 zur CA VII; vgl. E. Schlink 1948
304.
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Aus der ursprünglichen Spannung von geistlicher und leiblicher Kirche ist dann der vollendete Bruch zwischen zwo Kirchen geworden32.
Kennt nun Heckel wirklich keinen doppelten Kirchenbegriff, wie er selbst behauptet? Oder bleibt nicht doch ein Rest von Zweifel? Heckel beantwortete die Frage nach dem Unterschied zwischen der geistlichen und der leiblichen Kirche durch den Hinweis auf das Gliedschaftsproblem: Die getauften Ungläubigen führen nur eine kirchliche Scheinexistenz. Wenn dies aber der einzige Unterschied zwischen den beiden Erscheinungsformen der Kirche ist, dann wäre also der Unterschied zwischen geistlicher und leiblicher Kirche nur scheinbar ein Unterschied! Die „Kluft” zwischen ecclesia spiritualis und ecclesia universalis wäre also nicht im Wesen der Kirche begründet, sondern nur eine noetische oder allenfalls existentielle Distinktion! Aber vielleicht kann man überhaupt von der Gliedschaftsfrage her allein die beiden Gestalten der Kirche nicht erklären? Die bisherige Untersuchung ergab keine letzte Klarheit. Nehmen wir deshalb unsere Zuflucht zu einem „ungeistlichen” Hilfsmittel, zu einer Art Begriffsstatistik.
Verhältnismäßig unproblematisch scheint die „Kirche in der Welt” zu sein, auch ecclesia in mundo geheißen. Ist sie doch oft genug mit der ecclesia universalis ausdrücklich oder stillschweigend gleichgesetzt33, und zwar, vergewissern wir uns, im strengen Sinne der „aus dem Jenseits in das Diesseits hereinragenden geistlichen Gemeinschaft” unter Betonung ihrer Verfaßtheit34.
Doch der Schein trügt! Denn an der „Kirche in der Welt” muß man andererseits zwei Eigenschaften oder Gestalten unterscheiden und sogleich wieder in eins setzen: die geistliche und die leibliche Kirche. Jetzt ist die ecclesia in mundo nicht mehr ein Synonym zur ecclesia universalis
32) Lex 140, 194, IZ 57 ff., KuK 234, 276 ff.
und oben 112 f. zur atl. Kainskirche.
33) Init. 52, Lex 101, 138, WS 35, IZ 18, Padua 332
usf.; = ecclesia in mundo, Lex 138 m. A. 1127 u.ö.;
ferner Kirche auf Erden, Mel. 89, Lex 139; Gestalt des Reichs
Christi auf Erden, IZ 49, ZRG 1959 395 (398).
34) Padua 282, ähnlich Lex 171 f., Grat. 535; verfaßt:
WO 159 f., IZ 46, 49.
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wie bisher, sondern Oberbegriff zu ihr und der ecclesia spiritualis — besser vielleicht: ihr Einheitspunkt. Sie ist „das hienieden anhebende Reich Christi”35.
Wie steht es um die „Christenheit”?
„Die ,innerliche’ und ,äußerliche’ Christenheit fallen nicht zusammen”36. Und dennoch: „Es geht . . . nicht an, den Begriff Christenheit als mehrdeutig auszugeben”37. Wie soll das zusammengehen?
„Diu Christenheit” war in den deutschen Texten ab dem 12. Jahrhundert die Übersetzung von ecclesia universalis; sie und die christianitas hatten weithin die ecclesia universalis terminologisch abgelöst. Man muß sich diese Christenheit als einen religiösen und zugleich politischen Begriff vorstellen38, angeblich sogar auch noch bei Luther: die Christenheit sei eine „die politia, oeconomia und ecclesia . . . übergreifende Einheit”39.
Wie stellt es nun Heckel dar? Bei Luther ist die Christenheit ein Synonym der ecclesia universalis; aber das impliziert schon einen Bedeutungswandel! Denn die ecclesia universalis steht nun, gemäß dem Dualismus der Reiche, der politia gegenüber; der Einheitsverband der mittelalterlichen res publica christiana ist gesprengt40. Die „Christenheit” verliert so ihre politische Färbung.
Bei genauerem Zusehen muß man jedoch, wenigstens bei Heckel selbst, einen mehrfachen Gebrauch unterscheiden. Die Christenheit ist erstens ecclesia universalis im oben beschriebenen Sinn als irdische Schauseite der ecclesia spiritualis; wie bei dieser ist auch hier der
35) KuK 224; Lex 172, IZ 58 A. 75 (dazu o.
Exkurs III 133 ff.), ZRL 1941. — Ebenso Gru.: a) Kirche in der
Welt = eccl. univ., LWB 94; b) = Oberbegriff für
eccl. univ. und eccl. spir., ebd. 41 f.
36) AS 64.
37) Lex 171 gegen W. Köhlers Unterscheidung von
Christenheit als geistliche und als soziologische Kirche.
38) Init. 27, Lex 168, RGG I 1871 f.; vgl. den Hinweis
auf den Zusammenhang der „Christenheit” mit der
Zwei-Schwerter-Lehre Lex 171 A. 1373. Dazu F. Heer 603, A.
Mirgeler 120; nicht zu verwechseln mit dem „Christent(h)um”!,
dazu unten 15459.
39) So F. Lau; ähnlich K. Matthes, H. Diem, Ernst
Wolf, W. Köhler, Lex 175 f. m. A. 1395 f.
40) RGG I 1872.
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doppelte Maßstab des Glaubens und der Liebe anzulegen41. Zweitens kommt sie gelegentlich auch als Oberbegriff zur geistlichen und leiblichen Kirche vor42, wie die „Kirche in der Welt”. In diesen beiden Bedeutungen umfaßt die Christenheit jedesmal alle cives Christi. Daneben gibt es noch eine dritte „soziologische”, i.S. der bloßen Taufgemeinschaft, die aus dem corpus der Gläubigen und dem corpus ma-lignantium der Ungläubigen zusammengesetzt ist, wenn sie auch Christenheit nur genannt werden kann wegen der in ihr verborgenen Christen43. Nie aber faßt sie nach mittelalterlichem Gebrauch politia und ecclesia zusammen44.
Sieht man von dem Gebrauch als „Oberbegriff” ab — er dürfte der Versuch sein, „dialektisch” die innere Einheit von geistlicher und leiblicher Kirche zu zeigen —, so findet man drei verschiedene Sinngehalte: die Christenheit i.e.S. sub specie fidei und i.w.S. sub specie charitatis, und schließlich die Christenheit im nur soziologischen Sinn.
Es wiederholen sich also die drei Begriffe, die schon bisher notwendig waren, um die sakramentale Kirche zu beschreiben: die geistliche, die leibliche und die uneigentliche soziologische Kirche.
Damit aber nicht genug! Dem „irenischen” steht der polemische Sprachgebrauch zur Seite. Dann unterscheidet Luther zwischen der „auswendigen” oder „äußerlichen, leiblichen, gemachten” und der „inwendigen, wesenhaften” oder „innerlichen, geistlichen” Christenheit45.
Heckel übernimmt diese Terminologie und verwendet sie ebenso weitherzig46: Einmal ist die äußere (oder äußerliche) Christenheit die ecclesia universalis (in der doppelten Bedeutung der beiden Maßstäbe!)47, ein andermal nur die soziologische Kirche48, schließlich gar
41) RuG 345, Init. 34, Lex 138 f., 171 f., AS
1956 44 f., IZ 55, wohl auch AS 64, 66 f.; für die Anwendung des
canon charitatis vgl. IZ 54 (mit 23).
42) Lex 171 f., IZ 50.
43) WS 34.
44) Lex 175.
45) IZ 54, KuK 230; also eine stillschweigende
Korrektur an Lex 171 (oben A. 37).
46) IZ 54 f. (= Zwo Kirchen 224).
47) Z.B. AS 64, KuK 230, 236 f.; äußere = äußerliche,
arg. Lex 196 f. mit AS 64.
48) Lex 196 f. m. A. 1514 („ohne Rücksicht auf deren
Gläubigkeit”), A. 1519 (dazu Init. 14 A. 46), IZ 54 f., ZRG 1957
498.
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die böse Gegenkirche49, während die innere Christenheit die ecclesia spiritualis ist50.
Vergleicht man mit „der” Christenheit, so lautet der Befund: Die „innere” Christenheit ist die ecclesia spiritualis, die „äußere” die Teufelskirche; daneben finden sich zur „äußeren” Christenheit die drei Bedeutungen „der” Christenheit wieder.
Mag auch Luther keine „Christenheit” als religiös-politische Körperschaft gekannt haben; hat er aber nicht doch das corpus christianum bejaht?
Mit scharfen Worten wendet sich Heckel gegen diese „Erfindung der Lutherinterpreten”, als habe Luther einen einheitlichen „christlichen Gesellschaftsorganismus” auf der Grundlage der Taufgemeinschaft angestrebt und habe nur die Vorordnung der geistlichen Gewalt beseitigt51. Von diesen Interpreten werden u.a. K. Rieker, E. Sehling, W. Köhler, K. Matthes genannt52. Nur E. Schlink habe Zweifel an dieser Konstruktion angemeldet, F. Lau die Frage offengelassen53.
Die Behauptung eines corpus christianum ist eine rechtstheologische Kardinalsünde gegen die Unterscheidung der beiden Reiche! Die bloße Taufgemeinschaft kann weder Grundlage der politischen noch der religiösen Ordnung sein. Damit ist das einheitliche mittelalterliche Weltbild zerbrochen54.
Erst der protestantische Humanismus konnte wieder diese Lehre vertreten, um das landesherrliche Kirchenregiment zu begründen — freilich ohne zu bemerken, daß sich das weltumspannende Ideal des
49) Zwo Kirchen 224, IZ 58 f.
50) Vgl. die A. 47/48 angegebenen Stellen und KuK
228.
51) NR 54 f., Lex 35 A. 187, 167 f., 176, 180, WS 34,
IZ 50 A. 45; dazu ZRL 1937.
52) Zu F. Meinecke und Th. Pauls vgl. IZ 50 f. A. 48;
von K. Rieker stammt corpus christianum als Übersetzung
des „christlichen korpers” Luthers, RGG I 1871 f.
53) Lex 168 A. 1336 (in RGG VI 1946 schließt sich F.
Lau der Meinung He.s an!). Zu ergänzen wären z.B. Ernst Wolf ThLZ
1939 225, G. Wehrung 1952 213 f. u.v.a.
54) Lex 35, 180, WS 34, IZ 18 ff., ZRL 1940, Padua
331, RGG I 1871 f.; zustimmend Ernst Wolf ZevKR 1955 245 gegen
früher z. B. ThLZ 1939 223 ff. (zu K. Matthes), und II 96 f.
(1947); Gru. LWB 32, FiLex 3 182.
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mittelalterlichen geistlich-weltlichen Gemeinwesens55 auf die kleinstaatliche Ebene der Landesfürsten verschoben hatte.
Aber hat nicht Luther selbst wiederholt und betont vom „christlichen Körper” geschrieben? Gewiß, doch nur im Rahmen seiner (Reichs- und) Kirchenlehre! Der christliche Körper ist nicht mehr konstituiert durch das „leibliche” Merkmal des Taufritus, sondern durch das „geistliche” des Glaubens, d.h. der Zugehörigkeit zum corpus Christi56.
Nun wiederholt sich, was schon bei der „Christenheit” und der „Kirche in der Welt” festgestellt wurde: Corpus christianum ist zum ersten das corpus Christi, will sagen die ecclesia spiritualis; zum zweiten die ecclesia universalis, und zwar nach beiden Maßstäben57; schließlich zum dritten ist der christliche Körper die „dialektische” Einheit beider58. Nur im Sinne der soziologischen Kirche kommt es bei Heckel nicht vor.
Das Fazit der „statistischen” Zwischenbetrachtung — sie ließe
sich noch um ein Beträchtliches weiterführen59 —
lautet:
1. „Die” Kirche (als Oberbegriff zu ecclesia spiritualis
und universalis) wird bezeichnet mit „Kirche in der
Welt”, „Christenheit” und corpus christianum.
2. Die geistliche Kirche (ecclesia spiritualis) heißt
„innere Christenheit” und corpus christianum.
3. Die leibliche Kirche (ecclesia universalis) kann
unter allen hier behandelten Bezeichnungen vorkommen, und zwar
grundsätzlich sowohl nach dem canon fidei als auch nach
dem canon charitatis.
55) NR 54 f., Lex 183, IZ 50 f., AS 67.
56) IZ 50 f., 55, AS 67.
57) NR 37 A. 3, 51, Lex 136, 139, 167, 169, AS 1956
48, IZ 54 f. (eccl. spir. „mit dem Auge der charitas
christiana geschaut”), KuK 230 A. 48.
58) Lex 171 f.
59) Ähnliches würde z.B. eine genauere Betrachtung des
„Körper/corpus Christi” ergeben (s.o. 3920
1273 13021); das gleiche trifft auf den
„Christenstand” oder christlichen Stand zu (ebd.); in
polemischer Zuspitzung (geistlicher Stand, z.B. Lex 169 m. A.
1351) ist der Begriff gegen die Identifizierung des Klerus mit
der Kirche gerichtet, vgl. oben 54 f.21 und unten 171
f.; ähnlich Christentum, Lex 122 A. 981 a, aber nur bei
Luther; vgl. anders bei Wolf OdK 25 „Kulturerscheinung” (im
Gegensatz zur „Christenheit”).
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4. Außerdem gebraucht Heckel den „soziologischen”
Kirchenbegriff60 (ecclesia universalis im
mittelalterlichen Verständnis), auch „Christenheit” und „äußere
Christenheit” genannt.
5. Schließlich steht der Kirche als teuflischer Widerpart die
andere der „zwo Kirchen” gegenüber, die „Teufelskirche”. Auch sie
kann sich unter der „äußeren Christenheit” verbergen.
Ein nicht sehr ermutigendes Resultat!, und eigentümlich widersprüchlich dazu. So sehr Heckel die Einheit des Kirchenbegriffs hervorhebt, benötigt er dennoch fünf verschiedene Gruppen von Bezeichnungen, um dem „Phänomen Kirche” gerecht zu werden.
Woher kommt diese Diskrepanz zwischen Terminologie und Sache? Es wäre allzu vordergründig, wenn man nur annähme, Heckel habe eben an der vieldeutigen Begrifflichkeit Luthers partizipiert. Er wäre ein schlechter Historiker, wenn er nicht auch hier sachlich präzise ein verborgenes Problem beschrieben hätte, das — vielleicht — aus Luther selbst nicht zu lösen ist, für dessen näherungsweise Klärung aber das Material bereitsteht.
Die bisherigen Untersuchungen zur Rechtsbegründung Heckels legen die Hypothese nahe, daß in Luthers Kirchenbegriff mehrere heterogene Elemente zusammengeflossen sind, die die Spannung zwischen ecclesia spiritualis und ecclesia universalis erzeugen.
Die Hypothese, die im folgenden skizziert werden soll, setzt noch einmal dort an, wo die ersten Zweifel an der Einheitlichkeit des Heckelschen Kirchenbegriffs auftauchten: beim zweifachen Gliedschaftsbegriff, genauer beim canon fidei et charitatis. Wörtlich aufgefaßt führt der doppelte Maßstab in die Aporie. Denn wie sollten fides und charitas zu verschiedenen Ergebnissen führen? Was wäre das für ein Begriff von Liebe! Auch der zunächst einleuchtende weitere Unterschied zwischen der Betrachtungsweise Gottes und derjenigen der Menschen trägt nicht weiter. Wenn das erste Richtmaß in Gott verborgen ist, dann entschwindet mit ihm zuletzt die geistliche Kirche den Blicken und kann nicht mehr Grundlage der leiblichen Kirche, erst recht nicht mehr des göttlichen und menschlichen Kirchenrechts sein; der Mensch müßte sich auch in
60) Dazu Th. Heckel 1961 16-20.
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der Kirche mit dem Recht der Welt behelfen. Oder aber die leibliche Kirche geht in der geistlichen auf; denn canone fidei, von Gott her, sind beide identisch — sowohl was den Personenkreis, wie was das Regiment und das Haupt betrifft. — Eine weitere Erwägung: Bisher hat die reformatorische Theologie immer daran festgehalten, daß man nicht „von unten nach oben” — hier also von der leiblichen auf die geistliche Kirche — schließen dürfe. Solch ungeistlicher analogia entis müßte man sich aber bedienen, wenn der Weg „von oben nach unten” versperrt ist61, oder aber — diese Konsequenz hat ja Sohm gezogen — auf ein genuines Kirchenrecht verzichten.
Aber vielleicht hat der canon fidei et charitatis noch eine andere Seite, die bisher nicht genügend in den Blick kam, aber diese Schwierigkeiten als Scheinprobleme entlarven würde?
Das erste Richtmaß, so hieß es, sei das des Glaubens: nach dem Glauben des einzelnen bestimmt sich, wer Glied der geistlichen Kirche ist. Das zweite ergibt, wer zur leiblichen Kirche gezählt werden muß, aus drei Gründen: Schon die Achtung vor dem verborgenen Walten des Geistes gebietet, sein Zeichen der Taufe „für voll zu nehmen”. Ferner verlangt die Achtung vor dem getauften Bruder, ihn für gläubig zu halten, bis er das Gegenteil erwiesen hat. Hoc est, Charitas, quae omnia optima de quovis cogitat. Endlich darf man Gottes Urteil nicht vorgreifen, weil es dem Menschen verborgen ist62. Der erste und der zweite Grund verweisen auf die Vergangenheit und Gegenwart der Taufe. Der dritte aber nennt die „Zukunft” des Urteils Gottes. Sind da nicht inkommensurable Größen nebeneinander gestellt?
Fragen wir zunächst nach dem göttlichen Richtspruch. Welchem Menschen ist dieses Urteil uneinsichtig, dem „natürlichen”, der in der Knechtschaft der Sünde lebt, oder auch dem gläubigen, der von Gottes Geist erleuchtet ist?
Anfangs sagt Heckel, wer gläubig ist, entziehe sich wissenschaftlicher Feststellung, also dem natürlichen Urteil. Später erweitert er auf alle
61) Zur Unzulässigkeit dieses Vorgehens äußert
sich auch He., allerdings bei anderer Gelegenheit; vgl. oben
1468 und 93115.
62) S.o. 144 ff.; WA XVIII 652,1.
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Menschen: „Niemand” könne die Gläubigen aus der Taufgemeinschaft herausfinden63. Also auch der Gläubige nicht! Woher diese Unsicherheit? Sollten Heckel moderne Zweifel an der Hellsichtigkeit des Glaubenden gekommen sein?
Auch wo Heckel nicht vom canon charitatis spricht — den doch der Gläubige anlegt! —, sondern allgemein von der geistlichen Erkenntnisfähigkeit, stehen unverbunden gegenüber: „Nur Gott kennt die Seinen!”64 Kein Mensch sieht dem andern ins Herz65! — und dagegen: Homo spiritualis iudicat omnia. Das ist seine „Gerichtsgewalt” und sogar seine Rechtspflicht66!
Mit Christus erkennen und beurteilen die wahren Christen den Geist überall kraft ihrer geistlichen Erfahrung; oculis spiritualibus cognoscuntur, erläutert Luther in der Sprache der mystischen Psychologie; wenn auch nur „in Hüllen”67.
Die geistliche Erkennbarkeit vertritt Heckel bei der ecclesia „abscondita”68. Wieso ist sie „verborgen”, und wem ist sie „offenbar”? Verborgen heißt sie, weil sie rein geistliche ecclesia spiritualis ist, weil sie, der „Welt”, dem natürlichen Menschen und seiner Vernunft unfaßbar, in der ecclesia universalis verborgen ist. Bekannt dagegen ist sie Gott und seinen Gläubigen (!), die alles beurteilen69.
63) IZ 23 f., AS 64, KuK 237 f. gegen früher,
z.B. Grat. 494 mit 499. Ebenso unentschieden Th. Heckel z.B. 1961
116, Gru. RGG III 1324, AÖR 1959 16, FS Liermann 53 u.ö.
64) IZ 53 f., AS 60, ZRG 1960 624.
65) Lex 39.
66) 1 Kor 2.15, dazu allgemein IZ 16; ferner Init. 124
f. zum Urteil über die „Geistlichkeit”, d.h. Rechtmäßigkeit eines
Befehls eines Oberen; Lex 143, KuK 284 über geistliches Handeln
überhaupt; WO 159 über das daraus erfließende
Widerstandsrecht.
67) KuK 230, vgl. 1 Kor 13.12 „durch einen Spiegel”,
nicht mit Sicherheit (AS 60, anders Init. 124 f.), weshalb es der
notae ecclesiae bedarf (s.o. Exkurs III 133 ff.); Luther
WA IV 81,12, Grat. 499.
68) An sich ist die eccl. abscondita die
geistliche, die eccl. manifesta die leibliche Kirche
(dazu oben 1273). He. stellt das Problem der eccl.
abscondita-manifesta mit dem des canon
fidei-charitatis parallel (IZ 23 f.); daher ist es zulässig,
die eccl. abscondita mit heranzuziehen.
69) Init. 14 f. m. A. 50, 24, 63, 85, Lex 171, IZ 23,
ZRL 1942, KuK 229, 231; mit Christo in Gott verborgen, IZ 22, 52;
daneben weil sie in der Diaspora lebt, Lex 100, KuK 229 f.; aber
perceptibilis sola fide, Init. 125 f., KuK 230
ff.
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Ebenso wird beantwortet, inwiefern die ecclesia invisibilis70 „unsichtbar” sei: sie ist es für die menschliche Vernunft; sichtbar ist sie jedoch dem Gläubigen71.
Weshalb sollte nun nach alledem der Gläubige nicht beurteilen können, wer canone fidei „jetzt” zur ecclesia universalis zählt? Oder sollte es sich gar nicht darum handeln, zu erkennen, wer jetzt gläubig ist, sondern wer sich zukünftig als treu erwiesen haben wird, wenn er vor dem Richterstuhl Gottes erscheint, wenn die Böcke von den Schafen gesondert werden? Richtet sich der Glaubensmaßstab nach dem gegenwärtigen oder nach dem „endgültigen” Glauben?
Was führt Heckel dazu an? Meist ist offengelassen, welcher status fidei gemeint ist72, aber angedeutet, daß es sich um den zukünftigen
70) Die terminologische Unterscheidung von
unsichtbarer und sichtbarer Kirche, die von Luther
(Belege KuK 230 A. 44 f.; a. M. zunächst He. [Mel. 101 zu
Melanchthon; allgemein Lex 12, IZ 41 f.] und ihm folgend Gru.
[LWB 10, 38 u.ö.] und Th. Heckel [1961 109 f.]) und Zwingli
stammt, sachlich (auch terminologisch?, so Wolf OdK 356 A. 1)
aber von Augustinus (A. Adam RGG III 1307 f.), ist über
Melanchthon (dazu allgemein Mel.) Allgemeingut der
altlutherischen Orthodoxie geworden; die Aufklärung setzt die
sichtbare mit der verfaßten Kirche gleich, seit Puchta und der
Romantik des vorigen Jahrhunderts wurde sie teils völlig zur rein
soziologischen Rechtskirche degradiert, die mit der unsichtbaren
Glaubenskirche nur noch die Endsilben gemein hatte, teils
versuchte man, ihre theologische Notwendigkeit nachzuweisen, was
auf der Grundlage der Spaltung zwischen Glaube und Recht nicht
gelingen konnte (dazu Lex 12 f., IZ 41 f.; Gru. LWB 9-17, 526).
Aus der inneren Verbindung von eccl. spir./univ. — eccl.
invisibilis/visibilis erhellt — nur nebenbei — , daß die
interkonfessionelle Meinung falsch ist, Luther habe eine
sichtbare und eine unsichtbare Kirche gekannt: es gibt nur die
„Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Kirche” (Titel einer
Untersuchung von H. Olsson in: Ein Buch von der Kirche). Ebenso
Gru. LWB 16 f., 38, ELKZ 1960 165 (mit F. Brunstäd, ähnlich E.
Schlink, F. Kattenbusch, V. Vajta u.a.) mit Hinweis auf das
„Hauptparadox des Christentums”, nämlich die „Lehre von der
Gottmenschheit Christi” (E. Brunner), die Inkarnation: „Wort und
Sakrament (kommen) nur in den Erscheinungen dieser Welt zum
Menschen.”
71) RuG 347 A. 7 und wieder KuK 229-232 (vgl. ZRG 1956
517: „,Sichtbarkeit’ für den Glauben und ... Sichtbarkeit für die
Statistik”). Anders zunächst Gru. ZevKR 1962/63 12 f., FS Arnold
46 mit E. Kinder; der scheinbare Widerspruch löst sich aber im
Sinne des Textes, vgl. wieder Gru. ELKZ 1960 165: unsichtbar ist
die geistliche Kirche nur, insofern sie nach dem göttlichen
Maßstab (scil, des canon fidei) des Gerichts gemessen
wird. Weiterführend G. Müller ZSTh 1965 105 f. und J. Lortz
FS Schmaus II 975 ff.
72) Init. 63, AS 64, KuK 228; auch bei den angegebenen
Lutherzitaten, vgl. Init. 41 A. 171, IZ 23 A. 72.
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handle, denn man darf dem Endurteil Gottes nicht „vorgreifen”73. In die richtige Bahn lenken die Initia: Die Gläubigen urteilen kraft des Geistes Christi sicher über den Glauben anderer, aber nicht darüber, ob er sich in der Zukunft bewähren wird. Luthers getreuer Interpret Rhegius steuert bei: Die Christen und ihre wahre Kirche sind absconditi bis zum Jüngsten Tag74.
Damit steht fest: Der canon fidei richtet sich nur nach der endgültigen Bewährung des Glaubens am Jüngsten Tage. Sie ist dem gegenwärtigen lumen fidei verborgen. Hingegen ist der „vorläufige” geistliche Wandel des Menschen je und je geistlich „sichtbar”.
Fassen wir noch einmal zusammen! Der canon fidei bezieht sich auf die wahren Gläubigen am Jüngsten Tag. Fideles in diesem Sinne sind nur diejenigen, die sich im endzeitlichen Gericht als treu erweisen werden. Ihre Zahl ist unbekannt. Denn in die Zukunft sieht auch der Glaube nicht. Der canon fidei ist also der eschatologische Maßstab der Zukunft.
Der canon charitatis dagegen stützt sich auf die Taufe als geistliches Zeichen des gegenwärtigen Glaubens. Nach ihm allein darf der Mensch urteilen. Der canon charitatis ist der eschatologische Maßstab der Gegenwart.
Nun kann die Frage nach dem doppelten Kirchenbegriff beantwortet werden. Der Schlüssel hierzu liegt im doppelten Maßstab. Heckel hat zwar einen einheitlichen Begriff der Kirche; ihr Wesen ist jedoch mehrschichtig.
Zum ersten gibt es die Kirche der Gläubigen nach dem zukünftigen Urteil Gottes am Jüngsten Tag, das wegen der praescientia Dei auch sein gegenwärtiges, aber dem Menschen unbekanntes Urteil ist. Das ist die ecclesia spiritualis; sie ist also zukünftig und gegenwärtig zugleich. Nach dem Urteil Gottes, dem canon fidei, ist sie mit der gegenwärtigen ecclesia universalis identisch. Denn Gott allein weiß, welches Kirchenglied seinen jetzigen Glauben bewahren wird. Sie ist, wie Luther mit Augustin sagt, die civitas coelestis75.
73) Init. 63, IZ 54, KuK 228.
74) Init. 63. Vgl. ebd. 22: regnum Christi =
Jenseits!; zu Rhegius: ZRG 1960 624.
75) Zur civitas coelestis vgl. Lex (34) 38 A.
225, 227 f.
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Zweitens gibt es die Kirche der jetzt Gläubigen, deren gegenwärtiger Glaube jetzt im Glauben „sichtbar” ist. Das ist die ecclesia universalis als gegenwärtige Schauseite der civitas coelestis spiritualis, oder die „Kirche in der Welt”, wegen des Kampfes um die Bewahrung des Glaubens auch ecclesia militans geheißen76.
Drittens gibt es die Kirche der Getauften, die aus Achtung vor dem Geisteszeichen der Taufe und aus Bruderliebe als wahre Glieder Christi behandelt werden, bis der Abfall ins Teuf eisreich erwiesen ist. Das ist die ecclesia universalis nach dem canon charitatis, nach dem Maßstab der Menschen77. Dagegen gehören nicht zur Kirche die ungläubigen Getauften. Sie bilden, viertens, die Heuchelkirche, die zur civitas diaboli zählt.
Mit anderen Worten: Gott sieht die endgültige Bewährung der Taufe am Jüngsten Tage; das ergibt die ecclesia spiritualis. Der Gläubige dagegen kann sein Augenmerk nur auf die gegenwärtige vita christiana richten und wird darum nur der Kirche der jetzt Gläubigen, der stets gefährdeten ecclesia militans gewahr, also der unsicheren Schauseite der künftigen ecclesia spiritualis in der gegenwärtigen ecclesia universalis78. Ob freilich die jetzt dem intuitus fidei „sichtbaren” wahren Glieder der leiblichen Kirche in der Zukunft ihre Bürgerschaft im Himmel behalten werden, das weiß nur der ewige Gott. Nur für ihn fallen Gegenwart und Zukunft in eins, denn, wie Boethius gesagt hat, die Ewigkeit ist die tota simul et perfecta possessio omnium79. Für Gott sind geistliche und leibliche Kirche dasselbe. Nur das schwache Auge des Menschen vermag das nicht zu erkennen80.
76) Lex 139.
77) Trifft diese Interpretation He.s zu, so würde
nicht nur die Zweireichelehre, sondern auch die Kirchenlehre
näher zu Augustin gerückt, als man bisher annahm (für Augustin
vgl. F. Hofmann 233 ff., bes. 242 ff. zu der „dreifachen
Tiefenschichtung” und den zwei Existenzweisen der Kirche, dazu M.
Schmaus KD III/1 421-425). Der rechtstheologische Unterschied
bestünde darin, daß Augustins neuplatonisch gestufte
Ekklesiologie die Kirchengliedschaft des ungläubigen Getauften
(noch) bejaht (s.o. 14720 14826), während
Luthers personhaftes Denken sie ablehnen muß. — Im übrigen liegt
die literarkritische Frage außerhalb des Rahmens dieser
Arbeit.
78) „Je nachdem (man) den Endpunkt oder die
vorangegangenen Stadien der Kirche ins Auge faßt, kann (man)
unter dem Wort ecclesia . . . die Gemeinschaft nicht nur der
vollkommenen Christen, sondern auch der . . . Getauften”
verstehen. „Ja, diese stellt recht eigentlich die ,Gestalt’ der
geistlichen Kirche auf Erden dar”, Init. 41 f. mit bezeichnendem
Hinweis auf Hieronymus, der zwischen der eschatologischen Kirche
sine macula et ruga (Eph 5.27!) und derjenigen
unterscheidet, die aus denen besteht, qui incipiunt et in
profectu positi sunt (ebd. A. 170; PL 26,313).
79) Boethius De cons. phil. V 6; auch Thomas STh I q
10 a 1, u.a.
80) Übrigens ebenso Augustin, F. Hofmann 241.
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Alle drei Wesensschichten bilden die eine eschatologische Kirche in der Dialektik von „Noch-nicht” und „Schon-jetzt”. Die erste Schicht (die ecclesia spiritualis = ecclesia universalis canone fidei) ist der eschatologisch-futurische81 Aspekt der Kirche Christi, die zweite und dritte (die ecclesia spiritualis in ecclesia universali, und die ecclesia universalis canone charitatis) der eschatologisch-präsentische. Je nach der gewählten Betrachtungsweise ergibt sich demnach ein drei- bzw. zweifaches Bild von der Kirche.
Das eschatologisch-futurische und das eschatologisch-präsentische Moment der Kirche gehören sachnotwendig zusammen, wie eine wichtige Richtung der modernen Theologie gezeigt hat82. Denn die Kirche ist das eschatologische Gottesvolk. Die Spannung und notwendige Zusammenschau von „Noch-nicht” und „Schon-jetzt” charakterisiert die eigentümliche Geschichtlichkeit der Kirche. In der Rechtssprache Heckels: Die „Kirche in der Welt” existiert in der Spannung und Zuordnung von („präsentischer”) ecclesia universalis und („futurischer”) ecclesia spiritualis83.
Nun scheinen die eingangs aufgezeigten Aporien ihrer Lösung wenigstens ein kleines Stück84 nähergebracht zu sein: Wenn die ecclesia spiritualis die „zukünftigen” Glieder der Kirche meint, die ecclesia universalis dagegen die „gegenwärtigen”, dann leuchtet ein, daß die beiden Betrachtungsweisen zu verschiedenen Ergebnissen führen müssen, und zwar ohne Widerspruch zu „Glaube und Liebe”. Damit ist auch der
81) „Futurisch” wieder nur in der
unzulänglichen Sicht des Menschen; für Gottes Urteil fallen
Gegenwart und Zukunft zusammen.
82) Zur ntl. Spannung von Schon-jetzt und Noch-nicht
vgl. z.B. O. Cullmann 1962 12 ff., M. Schmaus KD IV/2 139 ff.
gegen R. Bultmann einerseits, A. Schweitzer andererseits, P.
Hoffmann HthG II 424 m. Hinw. auf O. Kuss’ „gespaltene
Eschatologie”. Dazu unten 480 m. A.
83) Der Gedanke läßt sich weiterspinnen: Die leibliche
Kirche der wahren Christen ist nichts anderes als der
gegenwärtige, zeichenhafte Hinweis auf die geistliche Kirche.
Oder in der Rechtslehre: Der usus spiritualis iuris ist
der präsentisch-eschatologische Gebrauch des Rechts, der auf das
futurisch-eschatologische ius divinum der eccl.
spir. hinweist, in hoc mundo, schon jetzt.
84) Keineswegs sind alle Rätsel „gelöst”! Zwar
beurteilt der homo spiritualis omnia, auch den
gegenwärtigen Glauben; gleichwohl legt der canon
charitatis nicht primär die fides, sondern die
Taufe zugrunde. Ferner darf die eccl. spir. = das
regnum Christi nicht rein futurisch gesehen werden,
sondern muß als „das gegenwärtige Reich nach dem das zukünftige
Urteil vorwegnehmenden jetzt schon gültigen Urteil Gottes”
interpretiert werden, weil sonst unerklärlich wäre, wieso
Christus nur secundum humanitatem in ihr (bzw. ihm)
herrscht.
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doppelte Gliedschaftsbegriff erklärt. Zugleich erhellt der Rangabstand beider Aspekte der Kirche: Sie verhalten sich wie die irdisch-vorläufige zur himmlisch-endgültigen Kirche85.
Warum tritt das bei Heckel (wie anscheinend bei Luther) nicht deutlicher hervor? Darüber kann man nur Vermutungen anstellen, da Heckel nichts dazu sagt. Zunächst ist auf den Spiritualismus Luthers hinzuweisen; seine Trennung von Innen und Außen, angewandt auf die Kirche, verdeckt mehr als sie zeigt. Außerdem laufen im Kirchenbegriff sachlich verschiedene Linien86 zusammen, die die scheinbar widersprüchlichen Aussagen hervorbringen.Denn die „futurische” ecclesia spiritualis ist nichts anderes als die uralte ecclesia praedestinatorum87, deren Geschichte von Augustin88 und Thomas89 über G. Biels ecclesia electorum90 zu Luther, Calvin und weiter geht.
85) Diese Arbeitshypothese vermag einige sonst
unerklärliche Beobachtungen im Kirchenrecht verständlich zu
machen: daß nämlich z.B. das menschliche Recht in der Kirche nur
an den Maßstab der Liebe anknüpfen kann, und daß die analoge
Anwendung des Maßstabs des Glaubens auf das Kirchenrecht gewissen
Schwierigkeiten begegnet, vgl. u. 183 f. mit 7.
86) Ob auch aus verschiedenen Quellen, läßt sich aus
He. nicht feststellen (vgl. 171 f.).
87) Lex 139 A. 1136 lehnt He. nur die Annahme (Jedins)
einer rein „futurischen” Prädestiniertenkirche ab (die obendrein
kein ius divinum kennen solle, dazu Th. Heckel 1961 55
f. gegen K. Barth). Sie ist aber hier im augustinischen, nicht im
„reformierten” Sinne gebraucht. — Damit ist noch nicht gesagt,
daß die eccl. spir. mit der (ihrerseits keineswegs
eindeutigen) eccl. praedestinatorum identisch
ist; das bedürfte einer gesonderten Untersuchung, die den
gesamten Sprachgebrauch Luthers beizuziehen hätte; hier soll nur
auf mögliche Zusammenhänge hingewiesen werden. — Eine indirekte
Bestätigung der Annahme einer futurischen eccl. spir.
besteht in folgender Überlegung: Wären die fideles der
eccl. spir. die gegenwärtig simul iusti, simul
peccatores „in via”, dann wäre der Rangabstand zwischen der
geistlichen Kirche und ihrer irdischen Schauseite unerklärlich.
So aber sind es die iusti vor dem forum Dei.
Damit findet auch der „Sprung” des Glaubens (Init. 63) von der
geistlichen zur leiblichen Kirche zwanglos seine Erklärung.
88) Vgl. zu Augustins ecclesia sancta (=
civitas Dei) F. Hofmann 133 ff., 239 ff., 496. Augustins
civitas Dei ist eine endzeitliche Größe; ihr Maßstab
ist, mit Luther gesprochen, der canon fidei. Sie drückt
den futurischen Aspekt der eschatologischen Kirche aus.
89) Vgl. Thomas von Aquin: numerus
praedestinatorum certus est Deo, sed incertus est nobis, In
Sent. q 1 d 40 3 sol.
90) Nur G. Biel kommt nach He. Luthers Auffassung sehr
nahe (vgl. aber oben 16077 zu Augustins
Kirchenbegriff!), wenngleich die eccl. spir. nur eine
von vielen distinctiones Biels ist, nicht die alles
beherrschende Mitte wie bei Luther (dazu unten 171 f.). Er kennt
die ecclesia electorum, die aber bis zum Gericht mit dem
regnum ➝
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Die ecclesia universalis dagegen — sowohl des Mittelalters wie Luthers — versucht, ungeachtet aller Unterschiede, die präsentische Seite der Kirche als notwendige Ergänzung mit der futurischen zusammenzuhalten91. Bei Luther kommt das in den beiden „Maßstäben” zum Ausdruck.
Wie verträgt sich diese Interpretation der eschatologischen Kirche mit der Zweireichelehre? Das ist in der Tat der Prüfstein. Befragt man sie unter diesem — vielleicht ungewohnten — Aspekt, so ergibt sich vollkommene Übereinstimmung. Auch dort begegnen beide Komponenten, und zwar in beiden Teilen der Reichelehre: der Reichslehre im Grundsinn und der Regimentenlehre.
Die beiden Reiche sind konstituiert durch die Zukunft.
Die gläubig empfangene Taufe begründet zwar die Zugehörigkeit zum Reich Christi (und zu der damit identischen geistlichen Kirche!) — aber nur auf Widerruf; sie geht durch Unglauben sofort verloren. Die endgültige Bestimmung der Bürgerschaft obliegt dem eschatologisch-verborgenen Urteil Gottes am Jüngsten Tag. Bis dahin ist sein Reich stets im Kommen92. Das ist der canon fidei. Der Maßstab der Zukunft ergibt also die Reichslehre im Grundsinn.
Die Regimentenlehre setzt dagegen den Maßstab der Gegenwart voraus.
➝ und der ecclesia diaboli vermischt ist; ihre
Gestalt ist die eccl. universalis. Anders als Luther
zählt Biel aber die ungläubigen Getauften deshalb zur allgemeinen
Kirche, weil sie am Schatz der Glaubenswahrheit
(„intellektuellen”) Anteil haben, AS 1956 38-41, AS 59 f. (Einen
weiteren Unterschied zeigt erst das Kirchenrecht: Die
„spiritualistische” Wendung des Rechtsbegriffs erlaubt es, auch
ein Recht der eccl. spir. anzuerkennen und damit die
Einheit des Kirchenbegriffs auch im Rechtsbegriff
wiederzufinden.)
91) Wenn man jedoch die weitere Entwicklung der
„geistlichen Kirche” bis zur Gegenwart zu Rate zieht, so hat es
den Anschein, als ob die futurische Seite, also die
„Eschatologie”, immer mehr aus dem Blick gekommen sei (man vgl.
das absolute Überwiegen der strukturell uneschatologischen
Regimentenlehre!) — bis endlich R. Sohm wieder das „Reich Gottes”
in seine negative Rechtstheologie aufnahm (Sohm I 463 ff., 468),
worin dann G. Holstein ihm folgte (Holstein 1928 5 ff.), der aber
nicht die Realität des Reiches Gottes kirchenrechtlich fruchtbar
zu machen vermochte (H. Wehrhahn ThR 1950 71 A. 2), was erst He.
gelang (Lex 12 f.), nämlich durch die Verbindung der eccl.
spir. mit dem Recht der Zwei Reiche, hier des regnum
Christi.
92) AS 62.
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Die beiden Regimente Gottes richten sich nach dem jetzigen Glaubensstand. Wer jetzt glaubt, unterliegt dem geistlichen Regiment, wer nicht, dem weltlichen. Jetzt erhält Gott durch die Obrigkeit die Welt, damit jetzt Entscheidung für das anhebende Reich Christi mit seinem geistlichen Regiment möglich wird. Das ist der canon charitatis.
So wiederholt sich die eschatologische Dialektik des Schon-jetzt und Noch-nicht der Kirche in der Zweireichelehre93.
Das politische oder weltliche Gemeinwesen heißt bei Luther politia1. Sie ist die „Gestalt” des Reichs der Welt, seine Organisationsform2. Ihre Stellung innerhalb der Reichs- und Regimentenlehre ist nicht ganz einfach zu durchschauen.
Die Rechtsformel hierzu lautet: Die politia ist das Reich der Welt, jedoch unter dem göttlichen Regiment3.
Vier heterogene Momente sind bei ihr zu einer stets gefährdeten Einheit verbunden.
Ihr Ursprung liegt in göttlicher institutio. Dabei ist es müßig zu streiten, ob Luther die infra- oder supralapsarische Stiftung des „Staates” vertreten hat — viel wichtiger ist es, daß schon das erste politische
93) Ob die Reichslehre im Grundsinn nicht nur
der systematische, sondern auch der historische Ursprung der
„zukünftigen” Kirche bei Luther ist, muß freilich offen bleiben.
Bei Gru. wird das Gegenüber von präsentischem und futurischem
Element besonders deutlich (wenngleich auch er „eschatologisch”
und futurisch in eins setzt, s.u. 22932, was aber
nicht irreführen darf). Die Regimentenlehre sieht die Welt von
der Schöpfung bzw. von der Erlösung her, vernachlässigt aber die
eschatologische Frage nach dem Gericht (LWB 32 A. 149, FiLex 3
183, ZevKR 1957/58 279 f.); sie ist deshalb durch die Zwei Reiche
zu ergänzen, die ganz vom Gericht her bestimmt sind (LWB 33 ff.,
ELKZ 1960 161 u. ö.); die Bürgerschaft wird endgültig
bestimmt durch das Urteil Gottes am Jüngsten Tag (LWB 35, für die
Kirche ZRG 1964 XXV).
1) NR 51, WO 158 u.ö.; „die rechtliche Lebensform der
auf irdische Ziele ausgerichteten menschlichen Gemeinschaft”, Lex
146; zur politia ZRL 1941, Lex 146 m. A. 1171 f. über
verschiedene Bedeutungen; ZRG 1956 531 sogar für das
Kirchenwesen; ferner regnum politicum IZ 18, Reich IZ
49.
2) WS 35, AS 65; Gestalt . . ., entspr. IZ 49; „Spur”
des Teufelsreichs WS 35.
3) WS 81. Die Auffassung Gru.s deckt sich mit der
He.s, z.B. FS Arnold 47 f.
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Gemeinwesen sich als Gegenkirche gegen Gott konstituierte und durch die pervertierte Ehe die weltliche Obrigkeit entstand4.
Ihr territorialer Bereich ist die ganze Erde. Als weltliches Spiegelbild der ecclesia universalis ist die politia im wesentlichen unorganisiert5, aber in regna oder civitates partikulär gegliedert6.
Ihre Mitglieder sind die cives diaboli. Sie stehen unter dem Einfluß ihres Hauptes und versuchen deshalb die Gegenordnung des Satansreichs durchzusetzen. Darum gehört die politia ins Reich der Welt7. Der Christ hat in ihm kein Bürgerrecht. Sein Los ist die Fremdlingschaft8.
„Damit aber die Menschheit nicht gänzlicher Zerstörung durch den Teufel anheimfällt, sondern durch die Kirche für Christus gewonnen wird”, aus zwei Gründen also, unterliegt das weltliche Gemeinwesen dem weltlichen Regiment Gottes. Der „Staat” gehört also auch ins Reich Gottes zur Linken9. Das ist kein Widerspruch. Das Reich Gottes zur Linken ist das göttliche Regiment über das Reich der Welt.
Menschliches Ausführungsorgan dieses Regiments ist die „Erzgewalt” der Obrigkeit, die gut mittelalterlich von der Richterwürde her gesehen wird10. Die Obrigkeit ist Werkzeug des göttlichen Zorns über die Sünde, zugleich aber seines Erbarmens und hat deshalb Gewalt über Leben und Tod. Durch sie erhält und regiert, aber auch zwingt und straft Gott; ihr „Strafamt” und „Schwertamt”11 ist also eine Schutzwehr gegen den influxus satanae und trägt dadurch das Gemeinwesen12.
4) WS 81, AS 65; dazu oben 112 ff. Entgegen
z.B. P. Althaus(ThLZ 1956 131 f., 1965 116 ff.) neigt He. der
Annahme des infralapsarischen Ursprungs der politia zu
(Lex 108, IZ 30, ZRL 1943), aber er läßt sie in der
(Paradieses-)Ehe mitgestiftet und vor allem durch die Sünde
mitverdorben sein (Lex 107 ff., WS 35, AS 1956 47, IZ 30).
5) AS 1956 46 f., AS 66, IZ 49, Padua 333, Lex 107
ff., 146 — als Faktum, nicht als rechtspolitische Maxime!, und
auch nur, wenn man vom Kaiser absieht. Auch darin unterscheidet
sich die politia vom modernen Staat.
6) Lex 146 f.; politiae i.e.S., ZRL 1941.
7) WS 81, AS 1956 45; zur Gegenordnung s.o. 99 ff.
8) Vgl. oben 54.
9) Lex 44, 109 A. 838, AS 65, IZ 18; das Wohl der
Kirche gibt aber nicht mehr die Legitimation des Staates; er ist
eigenen Rechtes, IZ 19. Der Staat als Reservoire künftiger
cives Christi: Lex 44 u.a.
10) Lex 44, WS 73, 81 u.ö.; Lex 110 „Statthalter”.
Ihre Stiftung liegt in der pervertierten Ehe, oben A. 4.
11) Lex 36, 92, 108, Padua 333.
12) Lex 45, 108 ff., WO 158, WS 36, 87, AS 1956 46, AS
65; also nicht nur Werk ➝
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Damit ist zugleich ihre Aufgabe umschrieben: Sie soll den inneren und äußeren Frieden wahren, „das Recht soll setzen und handhaben”, sagt Luther von ihr — und damit das Gemeinwohl fördern13. Damit fördert sie indirekt auch die Kirche und die Ausbreitung des Evangeliums14.
So steht die Obrigkeit, ihr selbst meist unbekannt, in dreifachem Bezug zum göttlichen Weltregiment: als Vollstrecker des göttlichen Strafgerichts über die Menschheit (also der lex irae), als Werkzeug der erhaltenden Liebe Gottes und endlich als verborgenes Zeichen des göttlichen Weltregiments überhaupt15.
Damit ist die Zwitterstellung der Obrigkeit noch nicht vollständig beschrieben. Sie trägt ein Janusgesicht wie die politia, der sie vorsteht. Sie hat nicht nur das hohe Amt, Werkzeug des weltlichen Regiments Gottes zu sein; zugleich ist sie vom Reich der Welt angefochten und in steter Gefahr, ihre Grenzen zu überschreiten16.
Ihre Grenzen sind die des weltlichen Regiments17, also das weltliche Naturrecht. Eine Überschreitung ruft nach Natur- und positivem Recht den Widerstand hervor. Doch nicht jeder Mißbrauch berechtigt, der Obrigkeit Achtung und Gehorsam zu versagen. Aber ein Verstoß gegen das Naturrecht macht den obrigkeitlichen Befehl nichtig18. Die Kirche verkündigt dann der gegen weltliches Recht verstoßenden Obrigkeit die Strafe Gottes.
➝ des Zorns, sondern ebenso der Liebe Gottes!; Lex 44, 109
f., oben 46 13 zur ira misericordiae (übersehen von P.
Althaus 1965 61 A. 63, der allerdings die Erhaltungs- und
Liebesfunktion voranstellt).
13) Lex 44, 108, 151, 167, ZRL 1943; Lex 45 (Leib und
Gut schützen); IZ 18, Padua 333 (aber nicht den innerlichen
Frieden Gottes); ähnlich Melanchthon, Cura 242.
14) Lex 109 A. 838, Gru. FiLex 3 184; s. o. A. 9;
besonders nachdrücklich Melanchthon, Cura 242, Mel. 97 f.
15) IZ 19 (wohl ebenso Melanchthon, Mel. 97 f.); zur
Einheit der göttlichen Vorsehung s.o. 47 f., zum dreifachen
geistlichen Bezug der Obrigkeit Lex 109 f. (wie schon des
weltlichen Rechts, s.o. 108 ff.). Dem hohen und gefährdeten Amt
der Obrigkeit entspricht die Sorgfalt, die Luther ihrer Ethik
widmet (vgl. den Fürstenspiegel Lex 111 f.).
16) Sie ist „Zeichen” (AS 1956 47) der Anwesenheit von
Gottes Allmacht (darum wird sie bei Gelegenheit geradezu
verherrlicht, Lex 111) und des Teufels Perversion der Welt, Lex
45; entsprechend „dialektisch” klingt, was Luther über sie sagt,
Lex 107 ff. Anders jedoch die h. M.: sie sieht in der Obrigkeit
nur Gottes erhaltenden Willen (vgl. z.B. W. Künneth in WS 72
f.).
17) Lex 45 f., 108 f., 151 f.
18) Lex 112 f., 153 f. (A. 1229 gegen E. Brunner), WO
163.
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Es ist sogar möglich, daß innerhalb des eschatologischen Kampfes das Amt der Obrigkeit durch cives diaboli okkupiert wird. Dann pervertiert das weltliche Gemeinwesen zu einer satanischen Gegenkirche, wird zum instrumentum diaboli, und der „Großtyrann” setzt sich selbst zum Gott ein: diese Ausgeburt der Hölle muß jedermann aus Naturrecht niedermachen wie ein reißendes Tier19.
So steht jeder Bürger der politia unter doppeltem Einfluß: als civis diaboli steht er unter dem verderblichen influxus seines Hauptes, des Satans, der in seinem Herzen spricht; von außen dagegen unterliegt er zugleich dem göttlichen Regiment der Welt20.
Es sind also entgegengesetzte Elemente in der politia zu einem „eigentümlichen Spannungsverhältnis” zusammengezwungen, wie es dem doppelten Antlitz der Welt entspricht21. Sie ist Reich der Welt — aber unter Gottes weltlichem Regiment. Vor Gott, d.h. zum Heil, ist sie zu nichts nütze; sonst aber ist sie so notwendig und angesehen wie der Henker — ein „notig ampt und stand”, ein köstliches Werk der göttlichen Güte, eine „nützliche und herrliche göttliche Ordnung”, göttlich gestiftet, göttlich erhalten, göttlich regiert — und zugleich von innen her weltlich korrumpiert bis in die Spitzen der Obrigkeit. Das ist das doppelte Antlitz der politia, und ihr Anteil am eschatologischen Kampf der Reiche.
Die politia zeigt so zu jeder Zeit ein anderes Gesicht je nach dem Grad ihrer Korruption oder Integrität. Dementsprechend wechselt ihr
19) Init. 64, Lex 45, AS 1956 48, IZ 20, Gru.
LWB 33 A. 157, ZevKR 1957/58 280 f. Der einzige Fall gewaltsamen
Widerstandes bei Luther! Zur Unterscheidung a) der drei Tyrannen
(1. tyrannus particularis ex defectu tituli, 2. ex
parte officii — so weit nach antikem und patristischem
Vorbild auch Thomas von Aquin, Belege bei J. Spörl [vgl. He. WS
26 A. 55] — und 3. tyrannus universalis, d.h.
apokalyptischer Großtyrann) sowie b) des weltlichen (soweit die
mittelalterliche Einteilung) und des geistlichen Tyrannen und zum
Widerstand überhaupt s.o. 91102.
20) Das darf nicht so verstanden werden, als erginge
nicht (drittens) der Ruf der Gnade an ihn: zunächst im göttlichen
Naturgesetz (das er aber als weltliches Naturrecht mißversteht),
sodann in der Predigt von Gesetz (Gottes Strafe für die Sünde)
und Evangelium (den durch Christus wiederaufgedeckten Sinn des
göttlichen Naturgesetzes); aber er verwehrt sich ihrem
Gnadeneinfluß (sonst wäre er ipso facto civis
Christi!).
21) Lex 109; Gru. LWB 33, FiLex 3 183.
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Verhältnis zu der jeweiligen ecclesia particularis. Nicht nur die Kirche, auch der „Staat” bietet demnach ein äußerst dynamisches Bild. Er befindet sich in einer höchst „labilen Schwebelage” „zwischen Röm 13 und Apok 13”, „für die unsere jüngste Vergangenheit und die Gegenwart furchtbarste Anschauungsbilder beigetragen haben”22.
Die wichtigsten Konsequenzen dieses aus der Zweireichelehre
abgeleiteten Staatsbegriffes sind folgende:
1. Es gibt keinen „christlichen Staat” (politia
christiana); man kann Kirche und Staat nicht unter eine
Organisation zwängen23; und ebenso gibt es keine
„respublica christiana”; diese Vermischung der beiden
Reiche ist der rechtstheologische
Kardinalfehler24!
2. Es gibt keine „christliche Obrigkeit”, nur Christen
im weltlichen Amt25.
3. Es gibt kein landesherrliches Kirchenregiment. Das
weltliche Regiment hat keine geistliche Aufgabe und deshalb der
Kirche nichts vorzuschreiben. Der Staat steht tief unter der
Kirche26.
4. Der Christ ist kein civis politiae. Er ist vom
weltlichen Recht exemt. Ex charitate spirituali nimmt er
gleichwohl die juristische
22) Gru. FiLex 3 184 f. i. V. m. FS Arnold 48;
dazu Lex 108 ff. Gerade diese eschatologische Ambivalenz des
Staates ist dem Naturrechtler besonders schwer verständlich; vgl.
die bezeichnende Diskussion zwischen J.B. Lotz SJ und He. über
den lutherischen Staatsbegriff, wiedergegeben in WS 79-85, dazu
mit Recht Gru. LWB 33 f. A. 158.
23) NR 54, Lex 138 A. 1128, 164, 180, AS 1956 49, mit
K. Holl, Ernst Wolf gegen E. Sehling u.a., vorsichtiger jedoch E.
Seeberg. Wie He. Gru. FiLex 3 184, FS Arnold 43; dazu oben 125
f., unten 177.
24) IZ 18-20. Luther gibt der mittelalterlichen
respublica christiana eine neue Bedeutung: sie wird zur
respublica ecclesiastica = ecclesia universalis! Vgl. NR
51, Lex 138 f. m. A. 1128 und 1134, 174 f., 181, WS 34, IZ 18, 51
m. A. 49, 54, AS 67, ZRL 1940, RGG I 1871 f., KuK 230 gegen K.
Holl; anders noch RuG 362: „Für Luther war es . . . aus
religiösen Gründen selbstverständlich, daß das politische
Gemeinwesen eine respublica christiana sein und die
verfaßte Kirche als deren integrierenden öffentlichen Bestandteil
(!) anerkennen müsse” . . .
25) Gegen fast die gesamte bisherige lutherische
Soziallehre, s.o. 89 f.97, und gegen die Praxis von
vier Jahrhunderten, vgl. Lex 182, WS 44 f., ZRG 1960 621 zum
„protestantischen Staatsgedanken”.
26) Lex 108 f., IZ 19, KuK 249 ff.; „ungeheuerliche
Anmaßung”, Mel. 93 ff., ebd. zu Melanchthon. Demgegenüber sieht
etwa G. Törnvall die beiden Regimente auf gleicher Ebene!, Gru.
LWB 26 f.
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Staatsbürgerschaft an, achtet das weltliche Recht und arbeitet im
Staate mit27.
5. Damit tritt bei Luther die Spannung von „Kirche und Staat” an
die Stelle der mittelalterlichen Einheit. Nur der alte
Kerngedanke der respublica christiana bleibt: die
Verantwortung des Christen in der Öffentlichkeit, nun aber aus
einem neuen Rechtstitel, der lex charitatis spiritualis.
Das alles ist den Zeitgenossen Luthers so unerhört, daß sie eilends die respublica christiana als „Lieblingsidee” der mittelalterlichen Publizistik, Staatslehre und28 Theologie wiederherstellen. Das beginnt mit dem frühen Melanchthon29, geht weiter über die altlutherische Orthodoxie, die aber die universale respublica christiana in eine Vielheit von Fürstenstaaten zertrümmert30, setzt sich fort im Bündnis von „Thron und Altar” (nicht: „Staat und Kirche”), überdauert als Traum den Sturz der Monarchie, bis es mit dem apokalyptischen Drama des Dritten Reiches endgültig in Frage gestellt ist.
S. Grundmann bemerkt dazu: Diese Lehre Heckels bedeutet „einen Wandel in der lutherischen Staatsauffassung, (dessen) revolutionäre Tragweite heute wohl von den meisten noch nicht erkannt wird”31.
Nun ist es möglich, auch das Spannungsverhältnis32 von „Kirche und Staat” zusammenfassend zu umschreiben. Es ist das Verhältnis der Kirche in der Welt (ecclesia universalis) zum politischen Gemeinwesen (politia) entsprechend dem der Teilkirchen (ecclesiae particulares) zu den Staaten (politiae/regna).
Die Kirche gehört in das Reich Gottes zur Rechten, der Staat in das zur Linken. Das bedeutet erstens die Unterscheidung von Kirche und Staat: Sie haben eigenständige Aufgaben, das Seelenheil bzw. das Gemeinwohl; sie ruhen auf verschiedenem Rechtsgrund, ihnen eignet völlig unterschiedliche Gewalt; zwischen ihnen klafft der Rangunterschied
27) S.o. 88-91.
28) Anders K. Holl, dagegen Lex 138 A. 1128, 168 mit
Turrecremata.
29) Später vertrat Melanchthon die custodia
utriusque tabulae des Christen im obrigkeitlichen Amt, Lex
181 m. A. 1434.
30) Lex 182, Grat. 535, AS 51, IZ 18, 50 f., RGG I
1871 f.
31) Chronik 23.
32) RGG I 1871 f.
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von geistlich und weltlich. Das befestigt ihre unaufhebbare Unterscheidung, ja Trennung. Keiner kann dem anderen in seinen legitimen Eigenbereich hineinreden.
Zweitens sind beide einander unlöslich zugeordnet. Der Staat schützt den Frieden; dadurch dient er mittelbar der Ausbreitung des Evangeliums. Die Kirche kennt das inwendige Wesen des Staates und predigt ihm den geistlichen Sinn des weltlichen Naturrechts, nämlich die lex charitatis spiritualis. Die Christen helfen dem Staat als Untertanen, Amtsträger oder im geistlichen Widerstand zur Einsicht des Rechten; darin dient nun die Kirche dem Staat33.
Beides zusammen macht die Zuordnung der zwei großen Gemeinwesen aus, die bis zu einer — je nach geschichtlicher Lage wechselnden — Zusammenarbeit gehen kann. Die Zuordnung beruht auf dem göttlichen Liebeswillen, der der „Welt” verborgen ist. Also ist auch diese Zuordnung dem civis diaboli uneinsichtig (nicht aber dem Christen als Weltperson).
Die „Lösung des dialektischen Problems der Unterscheidung und Zuordnung” von Staat und Kirche ist Unterscheidung und Zuordnung der beiden Reiche und Regimente aus Gottes einigem Liebeswillen34.
Luther ist damit zum Bahnbrecher der Neuzeit geworden, indem er die Kirche von der politischen Ordnung löste35, wenn sich auch seine Lehren in der Praxis zunächst nicht durchsetzen konnten.
Heckel vergleicht zunächst die von ihm rekonstruierte Ekklesiologie Luthers mit spätscholastischen und kanonistischen Auffassungen, dann mit der Lutherforschung bis heute.
33) Gru. FiLex 3 184 f. Zur Predigt des
Gesetzes vgl. Lex 44, 97, 153 A. 1218, 184 A. 1445, Regim. 259,
IZ 24, Gru. LWB 57, FiLex 3 184; „Gesetz” ist nicht die verderbte
menschliche lex des AT, auch nicht das
juristisch-neutrale Gesetz, sondern die lex Dei
spiritualis in ihrer Eigenschaft als lex irae (so Gru. ZevKR
1957/58 282); die Predigt von „Gesetz und Evangelium” ist also
die Verkündigung des doppelten Sinnes der lex
spiritualis als lex fidei et irae, Lex 184 A.
1445.
34) Selbständigkeit, Gegensatz, Zuordnung: Padua 332;
Gru. FiLex 3 184, FS Arnold 54.
35) Padua 332 u.ö., Gru. ZRG 1959 383.
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Die scholastische Theologie überließ die Ekklesiologie im wesentlichen der Kanonistik. Diese ging — gemäß den Bedürfnissen der Praxis — von einer vorzugsweise rechtlichen Betrachtung der Kirche aus. Die verfaßte Kirche stand im Mittelpunkt. Von dort aus bestimmte man die Kirche in ihren verschiedenen Aspekten.
Anders Luther. „Die ecclesia universalis, das äußere Kirchenwesen mit seinen rechtlich verfaßten Teilgebilden, den ecclesiae particulares, verliert ihren Rang als Ansatz der Kirchenlehre und macht der ecclesia spiritualis, der Gemeinschaft der wahren Gläubigen Platz. Von ihr sind die Darlegungen Luthers über das Wesen der Kirche bestimmt, auch wo sie überkommenes Lehrgut wiedergeben. Gegenüber der zeitgenössischen Kanonistik bedeutet das eine Umwälzung”1.
Wie verhält sich also die Kirchenlehre Luthers zu den mittelalterlichen Theorien? Heckel zieht die Kanonistik, Gabriel Biel, Silvester Prierias, Paulus Burgensis und Johannes Turrecremata zu Rate; auch Marsilius wird nicht vergessen; doch Augustin fehlt2.
Die Kanonisten und Turrecremata, aber auch Marsilius, haben mehrere Züge gemeinsam — soweit sie nicht kurzerhand Kirche und Hierarchie identifizieren3. Sie unterscheiden zwar zwischen der ecclesia occulta und der ecclesia universalis4, aber sie gehen nicht von der geistlichen Kirche aus, sondern von der leiblichen. Sie denken also von außen nach innen5. Ferner sehen sie die leibliche Kirche (die Taufgemeinschaft und Kultgemeinde) nicht als geistliches Zeichen für die in ihr anwesende Glaubensgemeinschaft, sondern abstrahieren vom Glauben, weil er rechtlich nicht faßbar ist6. Schließlich ist der mittelalterlichen Kirche eigentümlich, daß sie eingebaut ist in die mittelalterliche respublica
1) Lex 28, Init. 15 f.; zweifelnd allerdings
Wolf ARG 1952 117.
2) Lex 28, IZ 57 A. 71, 61, Padua 334. Zu Augustin
vgl. F. Hofmann (civitas Dei = ecclesia sancta = ecclesia
catholica, 492-496)!
3) Init. 12 A. 36, Lex 169 A. 1354, IZ 61 mit Belegen
aus dem Corpus, G. Biel usf.; zur „Kirche” als Kirchengut IZ 61
mit Luthers beachtlicher rechtssprachlicher Kritik.
4) Init. 12 f. (G. Biel, Paulus Burgensis), Lex 136 A.
1099, Grat. 495 f. (Turrecremata), IZ 44, KuK 231.
5) Lex 28, Grat. 500 f., IZ 57 f., KuK 231; diese
„Umwälzung” hat die gesamte Lutherliteratur nicht bemerkt, Lex 28
A. 125.
6) Mel. 86 (Turrecremata), IZ 61.
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christiana, das einheitliche, geistlich-weltliche Gemeinwesen, womit also, von Luther her gesehen, geistlich und weltlich vermischt werden — wieder der rechtstheologische Kardinalfehler — und damit auch die beiden Reiche7.
In diesen drei8 Merkmalen hebt sich Luther vom Mittelalter ab. Zwar findet sich kaum ein wichtiger rechtstheologischer Begriff bei ihm, den man nicht schon vorher und in der zeitgenössischen Lehre nachweisen könnte9; dennoch gibt es einen Grund-Satz, durch den er sich von allen übrigen grundlegend unterscheidet und der jedem der überkommenen Begriffe einen neuen Inhalt gibt: „Die” Kirche ist das corpus der wahren Gläubigen, das corpus Christi. Die traditionelle Lehre kehrt sich also um. Die Gemeinschaft der Gläubigen tritt an die erste, die Taufgemeinschaft an die zweite Stelle. Daß Luther von Christus, dem Haupt, und seinem rechtfertigenden Einfluß her urteilt, darin liegt der eigentliche Grund, weshalb er — entgegen der mittelalterlichen Praxis und Kanonistik — von der ecclesia spiritualis ausgeht und nicht von der verfaßten Kirche10.
Der veränderte Kirchenbegriff hat auch einen Wandel im Verhältnis der Kirche zum „Staat” zur Folge. Die religiös-politische Taufgemeinschaft bildet nicht mehr ein corpus christianum einheitlicher Struktur, sondern tritt in zwei scharf geschiedene geistliche corpora auseinander, die civitas Christi und die civitas diaholi, also die ecclesia spiritualis und das corpus diabolicum. Beide corpora haben ihre Außenseite und Verfassung, zwar grundverschieden, aber einer Herkunft: das ist das doppelte Regiment des einen Gottes.
Damit folgt der theoretisch-theologischen Unterscheidung auch die organisatorische Konsequenz mit Notwendigkeit. Den beiden geistlich begründeten corpora entsprechen zwei getrennte Gemeinwesen, die ecclesia universalis mit den ecclesiae particulares einerseits, die politia (das Imperium) mit den verschiedenen civitates andererseits. Und was noch wichtiger ist: aus der Unterscheidung der beiden Reiche folgt, daß keiner dem andern in seinen legitimen Bereich (!) hineinreden darf, wie schon wiederholt ausgeführt wurde.
7) S.o. 153 f. und 167 ff.
8) Ein weiteres Merkmal ist die Spiritualisierung, die
He. sonst (zum Rechtsbegriff) hervorhebt.
9) Vgl. Lex 28, Grat. 493 f.
10) So Luther wohl schon 1513-15, Init. 27, 124 f.,
Lex 28, 174, 176, Grat. 492, WS 34, IZ 52.
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So ist Luther und niemand sonst zum Ahnherrn der modernen Unterscheidung von Staat und Kirche geworden11, wenn sie sich auch erst nach langer Zeit durchsetzte.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, versteht sich die gesamte lutherische Kirchenlehre als Lutherinterpretation. Die Geschichte dieses Kirchenbegriffs ist noch nicht geschrieben; doch genügt es für unsere Betrachtung, mit Heckel auf die wichtigsten Probleme hinzuweisen12.
Die lutherische Ekklesiologie hat eine im einzelnen äußerst komplizierte Entwicklung, in der sich philosophische und soziologische Einflüsse mit einer für einen unbeteiligten Beobachter oft unfaßbaren Stärke bemerkbar machen. Nur zu oft folgt die Theorie den Bedürfnissen der politischen Praxis.
Nicht lange bestimmt Luthers Theologie die Anschauungen der Zeit. Sie ist sogar weithin nicht einmal geschichtlich wirksam geworden, wenn man von der Trennung von Staat und Kirche absieht. Der landeskirchliche Partikularismus bemächtigt sich der Theorie und gestaltet sie zu seinem Gleichnis. Zudem hatte man sich der machtvollen Angriffe der Gegenreformation zu erwehren13. Was Luther wollte, geriet in Vergessenheit.
Der geistliche Realismus Luthers, ausgedrückt in der ecclesia spiritualis, verkümmert zur „rein geistlichen” ecclesia invisibilis; die weltumspannende ecclesia universalis wird zur partikulären Bekenntniskirche oder entschwindet den Blicken. Die ecclesia particularis unterwirft sich als Landeskirche den Gesetzen des weltlichen Fürsten.
Geistlich bedeutsam bleibt die unsichtbare Kirche; die sichtbare Kirche (des Rechts, der Organisation und Verfassung) gehört zur „Welt”, und die Welt nimmt die leichte Beute mit Freuden. Das ist wenigstens die Tendenz. Jedenfalls ist die Einheit der Kirche zerstört. Daß die Kirche in zwei lebensunfähige Bruchstücke aufzuspalten sei, wurde sodann vom Juristen Rudolph Sohm mit logischer Unanfechtbarkeit
11) IZ 19, Padua 332; vgl. noch einmal oben
169.
12) Vgl. zum folgenden Lex 12-15, 28-30 (Sohm); Grat.
492 f., AS 49 f. (Kirche im Glaubens- und im Rechtssinn); Gru.
LWB 10 ff.
13) Mel. 86 ff. u.a.
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theologisch begründet; die Theologie14 glaubte ihm gern, ein Teil der Deutschen Christen trieb die Entwicklung weiter zur offenen Häresie.
„Die Glaubensgenossen Luthers stehen (nun) vor der schwierigen Aufgabe, die Probleme der neuen Lage theologisch und juristisch zu meistern.” Deshalb „zurück zu den Quellen”15!
14) Lex 14 f. u.ö. — Die weithin einzige
Ausnahme waren K. Barth und einige dem „Luthertum” ohnehin
verdächtige — „Barthianer”.
15) Lex 183, KuK 223.