|789|

 

 

D.
Summula

 

|791|

 

Einleitung

 

Die Methode des Systemvergleichs

 

Eine ökumenische Rechtstheologie kann nur eine Rechtstheologie des Dialogs sein. Die Methode eines solchen Dialogs umfaßt das Verstehen und die Interpretation des Gesprächspartners wie den Vergleich mit eigenen und dritten Ansichten.

Ich möchte diese Methode die Methode des Systemvergleichs nennen — wobei freilich „System” in einem denkbar umfassenden Sinn gemeint ist1. Sie ist die methodische Voraussetzung der folgenden Thesen.

Sie ergab sich zwingend aus der dreifachen Aufgabe der vorliegenden Untersuchung: die Existenz einer evangelischen Rechtstheologie zu erweisen, durch Klärung von Streitpunkten einen innerevangelischen Gesprächsbeitrag zu leisten, schließlich die Ergebnisse der katholischen Rechtstheologie zu vermitteln.

Die Methode des Systemvergleichs umfaßt drei Schritte in unumkehrbarer und unüberspringbarer Reihe: Verstehen, Interpretation, Vergleich.

 

I. Sie versucht in einem ersten Schritt („Verstehen”) den Partner in seiner nur ihm eigenen Besonderheit zu begreifen und in strenger Bescheidung allein aus sich selbst heraus zu erklären. Erst daran anschließend wird die geistesgeschichtliche Einordnung versucht.

Das verlangt zunächst die Erlernung der je besonderen „Sprache” des anderen Teils; die wichtigeren Begriffe sind nach Bedeutungsumfang und „Stellenwert” festzulegen. Ein Begriff, der beim einen Autor an zentraler Stelle steht, ist vielleicht bei einem anderen peripher.


1) „System” ist hier die je spezifische theoretische Gesamtkonzeption eines Autors, gleichgültig ob dieser „systematisch”, aphoristisch, dialektisch denkt, ob es sich um ein „offenes” oder um ein „geschlossenes” „System” handelt, usf. — Der Verf. teilt im übrigen die Bedenken Ernst Wolfs (FS Ruppel 15, 26 ff.) gegen jedes romantische oder idealistische „System” des Kirchenrechts bzw. der Rechtstheologie.

|792|

Sodann ist zu beachten, welche spezifischen Eigenarten die untersuchte „Sprache” hat. Jeder Autor hat seine besondere Struktur des Denkens; der eine denkt systematisch, der andere dialektisch, der dritte komplementär usf. Es gilt also, die (immer fremde) „Denkform”2 des anderen kennenzulernen.

Des weiteren müssen die je verschiedenen Intentionen des Autors erkundet werden, seine Forschungsrichtungen, die nicht immer offen zutage liegen müssen3, seine Fragestellungen: sie alle präjudizieren seine Ergebnisse.

Schließlich gilt es, den theologie- und philosophiegeschichtlichen Kontext aufzusuchen, die expliziten und vor allem die impliziten anthropologischen, (rechts-)philosophischen und sonstigen Voraussetzungen aufzuspüren, die bei jedem Autor anders und in neuer Kombination zu finden sind4 und zu je anderen Resultaten führen5.

Vor allem bedingt die verstehende Haltung, der es um das Kennen-und Schätzenlernen des anderen geht und nicht um seine Widerlegung, einen weitgehenden Verzicht auf Kritik von außen, und zwar selbst dann, wenn sie auf den ersten Blick nahezuliegen scheint.

 

II. In einem zweiten Schritt („Interpretation”) geht es darum, den bisher erfaßten Verstehenszusammenhang, das „System”, in seiner nur ihm eigenen Besonderheit dem anderen Gesprächspartner (hier: einem vorgestellten katholischen Rechtstheologen) interpretierend vorzustellen.

Das bedingt zunächst die Entwicklung der je besonderen „Architektonik” des vorzustellenden Systems, seiner „Bauform”, die aufs innigste mit der jeweiligen Denkform zusammenhängt.

Als nächstes ist eine leichte Systematisierung dort erfordert, wo es sich nicht um eine i.e.S. „systematische” Bauform handelt6. Diese


2) Im oben schon beschriebenen umfassenden Sinn (vgl. Einleitung 10 f.82).
3) Vgl. J. Heckels systematisch-aktuelle Intention!, oben 19 f., 22 ff.
4) Vielleicht ist die Beachtung der philosophischen Implikationen ein spezifisch „katholischer” Gesprächsbeitrag . . .
5) Besonders deutlich ist es bei den hier behandelten Autoren: Bei J. Heckel fällt die rechtsphilosophische Entwicklung, die für Erik Wolf so wichtig ist, ganz aus zugunsten der Zweireichelehre, die bei Wolf und Dombois fehlt, bei Grundmann zugunsten der Kirche in den Hintergrund getreten ist, während letztere bei Dombois als Unterabschnitt der Institutionentheorie erscheint, diese wiederum bei Heckel nur Nebenergebnis, bei Wolf nur in Andeutungen vorhanden ist, usf.
6) Hier: bei Wolf und besonders bei Dombois.

|793|

Systematisierung besteht darin, daß der Denkvorgang, der zu diesem „System” geführt hat, mit seinen Verflechtungen und Verästelungen offengelegt und dadurch nachvollziehbar gemacht wird. Wegen der Untrennbarkeit von Form und Inhalt wird dabei unvermeidlich auch eine gewisse Inhaltsverschiebung mancher Aussagen eintreten. Sie muß zur besseren Mitteilbarkeit und Vergleichbarkeit in Kauf genommen werden7.

Nun kommt die Fragestellung des Interpretierenden selbst ins Spiel. Je nach dessen Verstehenshorizont, „Sprache”, Denkform, Intention verändert sich das Ergebnis der Interpretation. Diese Rückwirkung eliminieren zu wollen, wäre Selbsttäuschung; „Objektivität” gibt es hier nicht. Was dagegen möglich und notwendig ist, besteht in der selbstkritischen Bewußtmachung und Mitteilung der eigenen Voraussetzungen. Dies kann freilich nie vollständig gelingen.

Endlich muß der notwendig immer auch fehlschlagende Versuch gewagt werden, dieses so gewonnene „System” in der Denkform des anderen Gesprächsteilnehmers (hier: in einer „katholischen” Denkform8) auszusagen — auf die Gefahr hin, daß der so zur Rede Stehende seine eigene Stimme — wie vom Tonband — nicht mehr sicher als seine eigene identifizieren kann. Der Dolmetsch ist also auf das Vertrauen der beiden Gesprächsteilnehmer angewiesen.

 

III. In einem dritten Schritt („Vergleich”) sind die am Gespräch beteiligten „Systeme” auf spezifische Unterschiede und vor allem Gemeinsamkeiten zu befragen — hier also J. Heckeis und S. Grundmanns Zweireichelehre, Erik Wolfs christokratische Bruderschaft, H. Dombois’ Gnadenrecht.

Der Vergleich hat von der Einsicht auszugehen, daß kein „System” ohne Rest in ein anderes übersetzt werden kann — eine Einsicht, die jedem Teilnehmer an interkonfessionellen Gesprächen ebenso vertraut ist wie dem rechtsvergleichenden Juristen. Denn jeder Begriff hat bei jedem Autor eine andere Funktion oder Stelle im „System”, einen anderen „Stellenwert”. Folge: Es kommt bei einem Vergleich nicht auf den gleichen Wortlaut, sondern auf den gleichen oder ähnlichen (weil „Systeme” verschiedener Autoren nie zur Deckung gebracht werden können) Stellenwert an.


7) Prinzipiell tritt diese Inhalts- und Gewichtsverschiebung schon dort ein, wo aus irgendwelchen Gründen nicht das vollständige „System” dargestellt wird, etwa wo scheinbar Nebensächliches weggelassen wird.
8) H.U. v. Balthasar 1962 hat hierzu das Nötige gesagt.

|794|

Darum sind gleiche bzw. ähnliche Probleme (Sinnverhalte) bei verschiedenen Autoren wegen der Verschiedenheit der „Systeme” an verschiedenen systematischen Orten und mit verschiedenen Begriffen behandelt (wenn sie nicht aus gleichen Schultraditionen stammen)9.

Ein solcher Systemvergleich wird darum zu der weiteren Einsicht gelangen, daß es keine „wörtliche” Übersetzung eines „Systems” in ein anderes geben kann10, ebensowenig eine direkte und unmittelbare Übertragung eines Begriffs von der einen „Sprache” in die andere11, sondern nur etwas, was man Systemtransformation nennen könnte.

Systemtransformation ist die mittelbare Übersetzung eines Begriffs von einem in ein anderes „System” dergestalt, daß zuerst der ursprüngliche Stellenwert des Begriffs im ersten „System” festgestellt wird und dann vorsichtig mit einem stellenwertähnlichen (funktionsverwandten) Begriff im zweiten in Beziehung gesetzt wird. Oder mit anderen Worten: Es werden nicht mehr Begriffe verglichen, sondern primär die „Systeme” und Problemverbindungen, erst sekundär die Begriffe.

Daraus ergibt sich als wichtigste Folgerung: System vergleiche können (wegen des Erfordernisses der Systemtransformation) nie Gleichheiten feststellen, nur Ähnlichkeiten konstatieren. Gleiche oder stellenwertähnliche Begriffe sind grundsätzlich nur analog. Wo also eine Gleichheit ausgesagt wird, ist es nur eine Analogie, eine Gleichheit in der („System”-)Ungleichheit.


9) Ein bemerkenswertes Beispiel erbrachte die Untersuchung von S. Pförtner: Die Glaubensgewißheit Luthers sei — vereinfacht ausgedrückt — „gleich” der Hoffnungsgewißheit bei Thomas von Aquin (oben 3542). Eine Fundgrube für weiteres ist die Untersuchung H. Küngs 1957 über die Rechtfertigungslehre K. Barths. — Gegenbeispiel: Das „evangelische” Problem der unsichtbar-sichtbaren Kirche erscheint „katholisch” überwiegend nicht unter diesem Terminus (obwohl es ihn gibt, aber mit verschobener Bedeutung), sondern unter so unterschiedlichen Begriffen wie forum internum-externum, potestas ordinis-iurisdictionis, Kirchengliedschaft, Pneumatologie, ist also z.T. in die Kanonistik verlagert. (Daraus folgt, daß das ökumenische Gespräch in gewissen Bereichen die Zusammenarbeit mehrerer „Fächer” verlangt und nicht sozusagen im Alleingang geführt werden kann!)
10) Jede neue Denkform läßt bisher Aussagbares aus dem Blick kommen, eröffnet jedoch zugleich bisher nicht mögliche Erkenntnisse — so wird etwa ein „existentielles” Denken nicht leicht das „metaphysische” Anliegen verstehen können, und umgekehrt.
11) Man mag diese Vorsicht für übertrieben halten; sie scheint jedenfalls für eine endliche Verständigung dienlicher zu sein als eine Verwischung der Unterschiede. — Es spricht übrigens einiges dafür, daß dieser bescheidene ökumenisch-hermeneutische Versuch mit den Mitteln der modernen Sprachwissenschaft wesentlich zu vertiefen wäre — nur leider sieht sich der Verf. dazu mangels Kenntnissen außerstande.

|795|

Als Ergebnis kann festgehalten werden: Wenn in dieser abschließenden Summula das Fazit der drei bzw. vier „Systeme” evangelischer Rechtstheologie gezogen wird; wenn ein evangelischer Konsens formuliert wird in „katholisierender” Begrifflichkeit — so handelt es sich überall und in jedem Fall um Analogien, nicht um Kongruenzen. Die Ähnlichkeiten in der Unähnlichkeit sind freilich tragfähig genug, daß von einer breiten Gemeinsamkeit evangelischer Rechtstheologie gesprochen werden kann.

Die Summula ist also eine Zusammenfassung von Systemanalogien12.

Weil in jeder der folgenden Thesen die Kenntnis der behandelten vier „Systeme” vorausgesetzt wird, kann die Summula keine Inhaltsangabe für Rezensenten sein13. Vielmehr geht ihre Thesenform auf einen — wie der Verfasser meint, notwendigen — Kompromiß zurück: Hätte die Summula die Ergebnisse der Arbeit ausführlicher dargelegt, es wäre ein eigenes Werk daraus geworden; hätte man sie weggelassen, so wäre die ganze Arbeit in vier Monographien zerfallen, ohne deren innere Einheit beweisen zu können mit der These: Es existiert eine relativ einheitliche

EVANGELISCHE RECHTSTHEOLOGIE.

 


12) Z.B. bedeutet der Satz „Es gibt ein evangelisches ius divinum” zwar bei jedem der hier behandelten Autoren etwas anderes; zugleich aber wird behauptet, daß das katholische ius divinum stellenwertähnlich ist, so daß es erlaubt ist, dasselbe Wort zu gebrauchen.
13) Die folgenden Leitsätze heben nur einige dem Verfasser wesentlich erscheinende Aspekte hervor, sind also keine Inhaltsangabe. Sie sind in dieser Form bewußt unvollständig und nicht aus sich selbst heraus zu verstehen.

|796|

 

 

I. Gott

 

1. Trinität

 

Eine systematische Trinitätslehre stellt nur Dombois voran1; bei Wolf tritt besonders Gottes Hoheit und Souveränität hervor2.

 

2. Christus

 

a) Christus ist bei Heckel und Grundmann3 vor allem der König seines Reiches, bei Wolf der präexistente Logos, der sich in die Mitmenschlichkeit entäußert hat (Kenosis), bei Dombois der inkarnierte Mittler (Chalcedonense)4.
b) Die Inkarnation tritt bei Heckel und Wolf im Gegensatz zu Grundmann zurück; bei Dombois steht sie im Mittelpunkt5.
c) Ungeachtet dieser Unterschiede ist die „christozentrische” Sicht sowohl Wolf und Dombois als auch (!) Heckel und Grundmann eigen6, ohne daß die Schöpfung unterschlagen wird (kein „Christomonismus”)7 — wobei gerade diese entscheidenden Punkte erst durch den „Systemvergleich” sichtbar werden.


1) C 465 ff. Sie ist die Grundlage seiner „trinitarisch-heilsgeschichtlichen” Rechtstheologie, 732 ff.
2) B 290.
3) Soweit (im folgenden, wie oben A 238 ff.) keine Belege angegeben sind, ist Grundmann gleicher Ansicht wie Heckel.
4) A 38 ff., Exkurs I 48 ff. — B 290 ff., 305 ff. — C 468 f., 546 f.
5) A 46 9, 239 f. (Grundmann). — B 290 ff., vgl. aber zur Mitmenschlichkeit Gottes in der Bruderschaft Christi 305 ff. m. A. 32. — C 469, 695-721.
6) „Christus die Mitte”: A 45 ff. mit Exkurs I (I3b) mit 4929, 81 f., 447 ff. — B 289 ff., 292 ff., 303 ff., 444 ff. — C 468 f., 526 f., 597 ff., 601.
7) A 69 f., 81 ff. — B 303-309, bes. 443 ff. — C 467 ff., 732 f.

|797|

3. Geist

 

a) Die Lehre vom Geist Gottes bzw. Christi ist nur bei Dombois gesondert vorhanden.
b) Ebenso verhält es sich mit der Verhältnisbestimmung von Pneuma, charis und Charismen.
c) Eine — nicht einheitliche — Äonenlehre findet sich bei Heckel und Dombois8.

 

4. Folgerungen

 

a) Verschiedenheiten der Gotteslehre weisen auf Verschiedenheiten der Rechtstheologie.
b) Auch wo eine explizite Gotteslehre fehlt, ist sie implizit vorhanden9.
c) Die unterschiedliche systematische Stellung der Gotteslehre läßt nicht nur auf theologische, sondern auch auf philosophische und juristische Vorentscheidungen schließen.


8) A 63 f. — C 475, 481.
9) Die bei Heckel und Wolf scheinbar fehlende Pneumatologie ist enthalten in: A 77 ff., 127 ff., 181 (Rechts- und Kirchen [rechts] lehre), 230 ff., 234 ff. („geistlich”); B 294 ff., 301 („geistliches” Schriftverständnis), 339 ff., 361 ff. (ökumenische und johanneische Kirche, Institution und Ereignis), 379 f. (Kirchenrecht).

|798|

 

 

II. Mensch

 

1. Theologische Anthropologie

a) Urstand

a1. Zum Urständ äußern sich ausführlich Heckel, weniger ausführlich Wolf, nur scheinbar nicht Dombois1.
a2. Dabei liegt überall die „augustinische” bzw. christlich-existentielle Natur zugrunde, nicht die metaphysische Wesensnatur2.
a3. Sachlich stehen sich gegenüber die mittelalterlich-lutherische Urstandslehre Heckels und die von Barth beeinflußte Strukturanthropologie Dombois’ einerseits, die stärker christologische Urstandsauffassung Wolfs andererseits.

 

b) Erbsünde

b1. Die hier behandelten Juristen vertreten ohne Ausnahme eine gemäßigte Erbsündenauffassung; nur der Gottesbezug ist „total” korrumpiert3.
b2. Dementsprechend bleibt auch der gefallene Mensch (abgeschwächte) imago Dei, bei Heckel nach Luther, bei Wolf und Dombois nach Karl Barth4.
b3. Einen (nach katholischer Auffassung) „pessimistischen” Akzent erhält die Erbsünde dadurch, daß sie existentiell (bei Heckel: personhaft), nicht „metaphysisch” aufgefaßt wird.


1) A 27 f., 96 ff. — B 298 f. — C 472. Bei Grundmann eher vorausgesetzt.
2) A 27 ff. — B 2997, 30422. — C 4731.
3) A 29 ff. — B 299, 305 f. — C 473 f.
4) A 288. — B 298 ff., 305 ff. (nur scheinbar anders 299: dort meint imago Dei die Sündlosigkeit = die ursprüngliche „Natur”). — C 4747.

|799|

c) Rechtfertigung

c1. Eine nur-forensische Rechtfertigungslehre wird abgelehnt: Die Gerechtsprechung impliziert Gerechtmachung5.
c2. Gleichwohl bleibt der Christ — existentiell — simul peccator et iustus6.
c3. Die — in katholischer Terminologie — „ontologische” Priorität des Gerechtfertigtseins vor der faktischen Sündigkeit zeigt sich innerhalb dieser drei Entwürfe darin, daß die „eigentliche” Person die persona coram Deo, die „eigentliche” Existenz die christliche Existenz ist7.
c4. Ausgangspunkt der Rechtstheologie ist also nicht das Wesen der Person oder die Natur des Menschen, sondern die christlich gedeutete Person und die christliche Existenz als die existentielle Einheit von „Natur und Gnade”, die ihre höchste Verwirklichung in Christus gefunden hat.
c5. Heckel, Grundmann, Wolf und Dombois vertreten eine christologische Rechtsanthropologie. Christus ist der wahre Mensch.
c6. Wegen des ontologischen Status des Gerechtfertigten ist der Christ nicht „Bürger zweier Reiche”, sondern steht in ausschließlicher rechtlicher Zuordnung zu Christus8.
c7. Trotz der verbalen Differenz über die „Christokratie” besteht Übereinstimmung darüber, daß Christus der König der Welt ist, wenn auch diese Tatsache nur im Glauben erfahrbar ist9.


5) A 32 ff. — C 476 f. — Wolf schweigt zu dieser Frage (vgl. B 3009).
6) Status et vita A 32-36. — Paradoxe Existenz B 299 ff. — Zwischenexistenz C 477, 490 f.
7) Heckel: zu erschließen aus dem Vorrang des Reiches und Regiments Christi, A 50 f. m. A. 5. — Wolf: die Denkfigur von oben — nach unten (— nach oben), z.B. B 304 ff., ferner zeigt es sich im (ontologisch!, Ernst Wolf Kirche und Recht 14) beispielhaften Kirchenrecht, 390 f., schließlich in der christlichen Existenz (281 f., 300 ff., 308 f., 343 ff., 364 ff.) und in der „Personalität” (406). — Dombois: C 484 f., 489 f.
8) Ausführlich Heckel A 53 ff., auch 515 zur ZRL als notwendiger Explikation der christlichen Existenz. — Dombois ähnlich RdG 140, 200 f. — Wolf wohl ebenso, B 447 ff. und OdK 70 f.; (anders mit der h. M. GRD 146 i. V. m. 243: zwar Bürger zweier Reiche, aber das wahre πολίτευμα ist im Himmel; vgl. ferner RidK 825, GrundO 152, DO 48, 54, 58).
9) A 515, 447 ff. — B 292 ff., 301 f., 303 ff., 390 ff., 447 ff. — Bei Dombois findet sich dazu wenig (RdG 425 „belasteter Begriff” Christokratie; Christus der wahre Mensch; Kirche die wahre Institution, C 600 ff.).

|800|

d) Eschatologie

d1. Die juristische Betrachtung führt bei allen Autoren zum Typus der „proleptischen” Eschatologie mit der Spannung von „Schon-jetzt” und „Noch-nicht”10.
d2. Eine ausgeführte Prädestinationslehre fehlt dagegen, von Ansätzen abgesehen11.

 

e) Folgerungen

e1. Die Rechtstheologien Erik Wolfs und besonders Hans Dombois’ sind in ausgezeichnetem Maße (christologische12 bzw. heilsgeschichtliche) Rechtsanthropologien. Auch die Zweireichelehre Heckeis und besonders Grundmanns kann als theologische Rechtsanthropologie interpretiert werden13.
e2. In rechtlicher Sicht sind rechtstheologische Differenzen auf Unterschiede der theologischen Anthropologie zurückzuführen.
e3. In juristischer Sicht hat es sogar den Anschein, als ob die konfessionellen Differenzen eher in der theologischen Anthropologie als in der Ekklesiologie begründet sind14.
e4. Jede theologische Anthropologie impliziert eine philosophische Anthropologie15.
e5. Die analogia entis wird abgelehnt, die analogia fidei bejaht16.


10) Ausdrücklich bei Dombois C 479 f.; unter Vorbehalt bei Heckel A 16182, 228 ff. mit apokalyptischem Grundzug; implizit bei Wolf B 292 ff. Der Vorbehalt bezieht sich darauf, daß die „Prolepse” im NT als durch Wort und Sakrament vermittelt erscheint, was bei Heckel und Wolf nicht hervortritt (Heckel: Fehlen des Gottesdienstes als Mitte des Christusreichs A 65, 67; Wolf: vgl. B 373 ff.), aber auch nicht geleugnet wird.
11) Bes. Dombois C 47821. — Für Wolf vgl. OdK 76. — Bei Heckel nur im canon fidei enthalten (A 144 ff.), und damit für die ecclesia spiritualis zu erschließen (158-164).
12) Vgl. Wolf NRL 106 zu K. Barth und sich selbst.
13) In diese Richtung gehen G. Ebeling und Ernst Wolf (A 515, 6028f.); auch Heckel scheint die ZRL so zu verstehen, ebenso Grund mann („letzlich ein anthropologisches Problem”, 70). Freilich wäre es bedauerlich, wenn ihre fast kosmologische Größe durch die anthropologische Reduktion verloren ginge.
14) Heckel Lex 31 A. 143 a mit Ernst Wolf, wenigstens was das Verhältnis von Katholizismus und Luthertum betrifft.
15) Ausdrücklich Dombois C 465, 482; für Heckel A 221 ff.; für Wolf B 259 ff., 403 ff., 423 f., 426 ff., 434 ff.; Wolf dürfte diese These gleichwohl ablehnen, vgl. 418 ff. Vgl. auch die Thesen anschließend 2.
16) A 6657, 93115. — B 437 ff. mit Exkurs IX. — C 465 ff.

|801|

2. Rechtsphilosophische Anthropologie

a) Negative Übereinstimmung

a1. Heckel, Grandmann, Wolf und Dombois lehnen den (philosophischen, rechtsphilosophischen und rechtstheologischen) Aktualismus17, Personalismus18, Existentialismus19 und Individualismus20 ab.
a2. Auch das metaphysische Denken ist ihnen fremd21.

 

b) Positive Übereinstimmung

b1. Sie denken in einem allgemeinen Sinne „personal” und „existentiell”22.
b2. Die Gemeinschaftlichkeit des Menschen wird von verschiedenen Seiten her mit den Mitteln des Rechts nachgewiesen23.

 

c) Unterschiede

Die anthropologischen Übereinstimmungen bestehen auf dem Hintergrund tiefgreifender Unterschiede des Weltbildes, der „Frömmigkeit”, der Sprache und des Denkens.


17) Heckel: vgl. die Analyse seines Personbegriffs und seine Institutionenlehre A 224-228, ferner 83. Wolf: die Fundamentaldialektik von Ereignis und Institution B 361 ff. — Besonders entschieden Dombois C 561 ff. mit seiner Institutionstheorie, die eine einzige Widerlegung des Aktualismus ist.
18) A 224 ff. — Vgl. die Entwicklung B 361 ff. — C 495 ff., 579 ff., 725 usf.
19) Vgl. zum usus spiritualis iuris A 82 f., zum „personhaften” Denken 224 ff. — B 281 ff., 3164, 343 ff., 364 f. — Besonders C 488 f.
20) A 37 ff. (corpus!), 225. — Ab B 281 f. — C 72425, 786 u.ö. Dazu These unten b2 m. A.
21) Oben These 1a2.
22) A 28, 3380, 34 ff. — B 281 ff., 299 f. — C 488-499 usf.
23) Heckel von der Zweireiche- und Kirchenlehre her; vgl. nur wieder A 224 ff. („personhaft”), 37 ff. (corpus), 86 f., 201 ff. (die drei Grundrechte), 141 f. (ecclesia particularis), 196 ff. (Kirchenrechtsetzung im Zusammenwirken mit der Gemeinde). — Wolf von der philosophischen (B 263 ff., 269 ff.) und existential-theologischen Seite her (281 ff.: gläubige Existenz; 305 ff.: Nächster als Ikone Gottes; 369 ff., 381-393: Kirchenrecht als Gottesdienst-, Dienst-, Bekenntnisrecht usf.). — Dombois C 486 f., 491 f., 495 f., 578, 587 f., 642, 723 u.ö.

|802|

 

 

III. Gottesrecht

 

1. Gottesverhältnis

a) Rechtfertigungsrecht

a1. Das Gottesverhältnis des Menschen trägt Rechtscharakter. Es ist rechtlicher Beschreibung zugänglich1.
a2. Der Rechtfertigungsvorgang ist Rechtsvorgang. Das ist der von Karl Barth postulierte Zusammenhang von Rechtfertigung und Recht2.
a3. Die Heilsgerechtigkeit Gottes (iustitia salutifera) ist zugleich Rechtsbegriff3.
a4. Dieses Gottesrecht ist als Gnaden-4 und Liebesrecht5 zu bezeichnen.

 

b) Christusrecht

b1. Das Rechtfertigungsrecht ist der Rechtscharakter des Wortes Gottes und der Wortcharakter des Rechts6.


1) Heckel: Lex spiritualis: A 73 ff. (Rechtsqualität: 91 ff.). — Wolf: Biblische Weisung als viva vox Evangelii: B 286 ff. (Rechtsqualität: 315 ff.); dazu „Bund” (30629), Christokratie und Bruderschaft (307, 331 ff.). — Dombois: Rechtsbegriff der Gnade: C 621-638; dazu Bund/Testament und weitere ntl. Rechtsbegriffe: 624-630.
2) Heckel: A 78 ff. — Wolf RdN 17; biblische Weisung als Christuskerygma (B 294 ff.) und Glaubensvollzug (301 ff.); Christokratie als Rechtsgeschehen (292 ff., 307, 351 ff.), explizit äußert sich Wolf hierzu nicht. — Dombois: C 613 f., 624 ff.
3) A 68 f.4, 79 (iustitia fidei). B 290, 413 (Gottesgerechtigkeit). — C 616 f.
4) A 77 (lex spiritualis = Christusrecht bzw. „Geist, nichts als Geist”). — B 412 f. (komplementäres Ineinander von Recht und Gnade aus Gnade). — C 621 ff. (Gnade
ist selbst Recht).
5) A 77 f. — B 410 f. — Dombois RdG 141, 1002, Rechtspflicht zur Liebe = zu bundesfreundlichem Verhalten 1001 f. u.ö. — wobei dem Liebesrecht bei Heckel und Wolf das Gnadenrecht Dombois’ entspricht (und nicht die spärlichen Aussagen über die Liebe als integrierendes Korrektiv des Rechts).
6) A 75 f. lex spir. als verbum Dei in nos. — B 294 f. biblische Weisung als „Wort in den Wörtern”. — C 752.

|803|

b2. Das Recht ist zuletzt göttliche Stiftung („Bund”7) auf Christus hin (christologisches bzw. „logozentrisches” Rechtsverständnis)8.
b3. Christus ist Erkenntnis- und Zielgrund des Rechts9.
b4. Das früher so umstrittene Problem des Christus Legislator scheint heute gelöst zu sein10.

 

c) Geistrecht

c1. Geist und Recht gehören innig zusammen11.
c2. Recht ist darum auch eschatologisches Recht12.

 

2. Zwischenmenschliches Verhältnis

 

a) Auch für das zwischenmenschliche Verhältnis gibt es „Gottesrecht” (gegen K. Barth), namentlich für das Zusammenleben der Christen13.
b) Dieses „horizontale” Gottesrecht erschöpft sich nicht in einem allgemeinen Ordnungsprinzip14.

 

3. Ius divinum

 

a) Die Existenz eines ius divinum wird bejaht15.
b) Dieses ius divinum ist qualitativ anders als menschliches Recht und hat dennoch Rechtsqualität16.


7) A 78 (pactum). — B 30629, 409. — C 628 ff.
8) Heckel: extra Christum nullum ius, A 81 f. — Wolf: christozentrische Weisung, B 2916f,, 294 ff. — Dombois: christologisch-heilsgeschichtliches Recht, C 732 ff.; Christus Subjekt, Objekt und materialer Rechtfertigungsgrund des Rechtes, 63024, 70116.
9) Christus verus legis interpres und authentischer Interpret des Urstandsrechts: A 81 ff., 94. — B 290 ff., 404 ff. — C 733 ff.
10) A 81 f., 94, 178 f. (vermittelnd). — B 2916 (ebenso: nicht „Gesetzgeber, wohl aber Recht-Setzer!). — C 597 ff., 695 ff. (instituierendes Tun Jesu).
11) A 77, 118 f. — Für Wolf vgl. OdK 463 A. 7 „bekennendes Kirchenrecht” als usus spiritualis iuris. — C 70118, 729, 734.
12) Vgl. unten These V3b1.
13) Lex charitatis i.e.S. A 181. — Christokratische Bruderschaft B 352 f. — C 600 ff. geistlich-institutionelle Verpflichtungen, auch 707 ff. Vermitteltheit des Auftrags Christi.
14) A 194 f. 2. — Wolf OdK V f. — C 510 (f3), 605 f., 643, 715 f. u.ö.
15) A 73, 96 ff., 178 ff. — B 320 f. — Dombois lehnt terminologisch ab, bejaht aber implizit die Sache.
16) S.o. Anm. 11.

|804|

c) Dieses ius divinum wird als personaler Bezug gedeutet17.
d) Auch ein Naturrecht in irgendeiner Form wird bejaht18.
e) Die „Schöpfungsordnungen” dagegen werden als Irrweg verworfen19.
f) Das Recht ist gleichermaßen christologisch, trinitarisch und heilsgeschichtlich begründet20.

 

4. Folgerungen

 

a) Die spezielle Rechtstheologie steht systematisch vor der Ekklesiologie21.
b) Das Recht ist nicht auf die menschliche Gesellschaftlichkeit beschränkt22.
c) Der Rechtsbereich wird weit in die Theologie hinein ausgedehnt — und umgekehrt.
d) Recht ist nicht gleich dem theologischen „Gesetz”23; vielmehr entstammt das Gottesrecht dem Gottesbezug im allgemeinen (Schöpfung auf Erlösung hin), und dem Evangelium im besonderen.
e) Einige beliebte katholisch-apologetische Unterscheidungen und Identifizierungen, die oft an die evangelische Theologie herangetragen werden, sind jedenfalls im Bereich der Rechtstheologie unangemessen24.


17) A 82 f., 181 (usus spiritualis iuris). B 295 i. V. m. 301 f. — C 621 ff., 639 ff., 644 ff.
18) A 69 f. — Auch Wolf bejaht das Naturrecht (vgl. B 26115, 26219f., 26540 u.ö.; im übrigen steht es außerhalb des Rahmens dieser Arbeit). — Für Dombois C 607, 683. — Zur Bedeutung des Dekalogs: A 87, 106 ff.; B 314, 323 f.; C 5705.
19) A 194 f.2, 287 f.9, gegen Grundmann 24118, 244, 287 f.3. — B 287 f.8. — C 605 ff.
20) A 118 f. — B 290 f. i. V. m. 416 ff. — C 732 ff.
21) A 68 ff. (Zweireicherecht). — B 286 ff. (Wort-Gottes-Recht). — C 613 ff. i. V. m. 694 f. (Rechtsbegriff der Gnade); nicht die Rechts- und Kirchenrechtslehre überhaupt!
22) Arg. oben Thesen 1a-1c.
23) A 92 f. — B 316. — C 674 f. u.ö.
24) Z.B. ontologische „oder” kognitive Bedeutung Christi für das Recht — christologische „oder” Natur-Rechtslehre, Schöpfungsordnung sei Naturrecht; usf.

|805|

 

 

IV. Kirche

 

1. Kirchenstiftung

 

a) Christus hat „mittelbar” die Kirche „gestiftet”1.
b) Ihr Anfang liegt rechtlich nicht im Pfingstereignis, sondern schon in der Jüngergemeinde2.
c) Die Kirche ist rechtlich (auch) „Stiftung” besonderer Art, nicht „Anstalt”3.
d) Auch die Sichtbarkeit der Kirche ist mitgestiftet (ist iuris divini)4.
e) Dieser ihr Anfang setzt sich fort in Wort und Sakrament, im „Gottesdienst”. In ihm wird die Kirche auf erbaut5.

 

2. Fundamentalstruktur

 

a) Die Kirche ist eine abgeleitete Größe6.
b) Die Kirche weist eine Doppelstruktur auf: Sie ist konstituiert aus dem „Kreuz” von Vertikale und Horizontale, von Christokratie und Bruderschaft, wobei erstere letztere ermöglicht und trägt7.
c) Es gibt nur eine Kirche Christi („Universalität” der Kirche). Sie ist in Teilkirchen verfaßt („Partikularität” der Kirche), deren Stellung


1) C 599 ff. (instituierendes Verhalten Jesu). — B 366, OdK 29 (implizit durch Bildung der Jüngergemeinde). — A 98 f., 178 ff.
2) B 366. — C 599 f. — Heckel erörtert diese Frage nicht.
3) Grundmann RGG III 1323 f. gemäß A 178 ff. — B 361 ff. — C 579 ff., 599 ff., 629 f.
4) A 240 f. Grundmann, a. M. Heckel. — B 358 f. — Dombois RdG 69.
5) Grundmann A 242 f. (zu Heckel 204 f., 214). — B 369 ff. — Bes. C 694 f., 718 ff., 735 ff.
6) Sie ist logisch zugeordnet: der ZRL (A 124) bzw. der „christlichen Existenz” (B 327, 343 ff.) bzw. der geistlichen Institution (C 597 ff.).
7) A 41, 128 f., 175 f., 247 (Grundmann). — B 304 f., 327 ff., 331 ff. — C 602. — In seiner heutigen Form ist dieser Gedanke ein Ansatz K.Barths in weiterentwickelter Form (B 442 f.), der auch in der kath. Theologie Aufnahme gefunden hat (vertikale und horizontale Bezogenheit zum Haupt bzw. den Gliedern im Gottesdienst [!]: J. Schoiswohl NF 1967 231).

|806|

„zwischen Independentismus und Zentralismus” zu bestimmen ist8.
d) Ob darüber hinaus auch die allgemeine Kirche einer rechtlichen Verfassung zugänglich ist, wird erwogen und überwiegend bejaht9.
e) Das Landeskirchentum und die Konfessionskirchen sind kein gemäßer Ausdruck der Partikularität der Kirche10.

 

3. Einheit der Kirche in Raum und Zeit

 

a) Es werden abgelehnt
a1. die Unterscheidung von Rechts- und Liebeskirche11;
a2. die Trennung von Rechts- und Wesens- bzw. Geistkirche12;
a3. die Zerreißung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche13;
a4. die Spaltung von „leiblicher” Außen- und „geistlicher” Innenseite der Kirche14.
b) Die Einheit der Kirche wird verfehlt
b1. von der branch-theory15,
b2. von der organologischen Kirchenauffassung16.
c) Die Einheit der Kirche in der Zeit
c1. umfaßt die „himmlische” Kirche (ecclesia triumphans) auch in rechtlicher Hinsicht17,
c2. setzt die Kirche auch in positive Beziehung zum Reich Gottes18.


8) A 126-143; weiterführend Grundmann 142 f.91. — B 334 ff., 339 ff. — Bei Dombois zu erschließen z.B. aus dem Bekenntnis- und Kirchenrechtsbildungsvorgang C 754 f., 759 f., 778 f. — Zu Universalität und Partikularität D. Pirson 1965.
9) Bei Heckel nur in Ansätzen und zweifelhaft: A 142 f., 213 f. m. A. 14 f.; weitergehend Grundmann 244, 249. — B 340 ff. — Arg. C 688 ff., 694 f.
10) A 141 ff., 173, 244 ff. (Grundmann). — B 374, 378 ff. m. A. 42. — C 76055.
11) A 178 ff., 181 ff., 194 ff. (da die Liebeskirche selbst [gottes-] rechtlich „verfaßt” ist). — B 359 ff. — Für Dombois mit der Institutionalität der Kirche ohne weiteres gegeben.
12) Wie eben; M. Heckel EStL 1774.
13) A 158, 239 (Grundmann). — B 358 f. — Dombois (wie eben): wobei Anlaß besteht, noch einmal darauf hinzuweisen, daß „sichtbar” und „unsichtbar” bei jedem Autor verschiedenes bedeutet, und noch einmal verschiedenes in „der” katholischen Diskussion!
14) Grundmann A 238 ff. gegen Heckel 127 ff., 235 ff. — B 336 ff., 353 ff., 39223. — Dombois wie eben und C 548 ff.
15) Grundmann LWB 43 m. Hinw. auf Heckel, 527, RGG III 1324, ELKZ 162. — Wolf Amst. 563, OdK 8 A. 1. — Dombois OU 106, FS Karrer 392. - Das Bild selbst entstammt der mittelalterlichen Kanonistik, vgl. das Zitat bei K. Nörr 14.
16) Grundmann LWB 43. — C 60312.
17) A 158-163. — B 342 f. (johanneische Kirche). — Für Dombois vgl. die nächste Anm.

|807|

4. Kirche und Staat

 

a) Kirche und Staat stehen in einem „dialektischen” Verhältnis von gegenseitiger Trennung und Zuordnung.
b) Dieses Verhältnis ist geschichtlich variabel.
c) Der Staat steht — nach Heckel und Grundmann — „zwischen Röm 13 und Apok 13”19.
d) Ob die Kirche (ontologisch) „vorbildlich” ist für den Staat, ist umstritten20.

 

5. Folgerungen

 

a) Die evangelische Abwertung der Kirche aus der Gegenüberstellung von Kirche und Christus, Kirche und Reich Gottes ist aufgegeben zugunsten einer „dialektischen” Sicht der Kirche als casta meretrix21.
b) Die in der Weltökumene verbreitete Furcht vor dem Entstehen einer „Superkirche” ist in rechtstheologischer Sicht gegenstandslos.
c) Die katholische Spaltung von Institution und Gemeinschaft ist überholt22.
d) Der Staat hat keinerlei Befugnisse innerhalb der Kirche23.


18) A 125-143 eccl. spir. ist (etwa) gleich dem regnum Christi. — B 333 ff. — Bei Dombois zu erschließen aus dem „eschatologischen” Kirchenrecht C 733 f.: das zukünftige Heil = Reich Gottes ist in Christus und damit im Wort- und Sakramentsgeschehen in der Kirche „proleptische” Gegenwart.
19) A 125 f., 164-170, 173 f. — Dombois gebraucht das Bild der zweipoligen Ellipse variabler Brennweite (OU 114 ff., RdG 1023 f., 1030 ff., dazu Exkurs XII C 534 f.).
20) B 308 ff., 390 ff.; dazu 451 f. — Scharf abl. Dombois GRE 52, NR 203, OU 119, RdG 57, 798, 865, 1039 gegen K.Barth, aber unter Verkennung des von Barth Gemeinten, vgl. Ernst Wolf Kirche und Recht 14, Grundmann FS Arnold 52 A. 80. Einigkeit besteht in der sozialen Verpflichtetheit der Christen in der Welt ex lege charitatis, A 88 ff., B 308 ff.
21) A 13868. — B 33425, 336 ff. — Bei Dombois enthalten in dem Chance-Abfall-Charakter der geistlichen Institutionen C 602 f. Zum kath. Streitstand (bes. K. Rahner gegen die h. M.) vgl. zuletzt J. Stöhr MThZ 1967 119 ff.
22) Ebenso K. Mörsdorf FS Schmaus II/2 1435.
2S) A 125 f., 164 ff., 177. — Wolf ab B 280 f. — Für Dombois (wie für Wolf) selbstverständliche Folge des konkreten Rechtsbegriffs bzw. des gottesdienstlichen und bekennenden Rechtes.

|808|

 

 

V. Kirchenrecht

 

1.Eigenständigkeit

 

a) Die Kirche hat qualitativ anderes Recht als andere Gemeinschaften 1: es ist christozentrisches Recht2.
b) Kirchenrecht ist Gottesdienst- und Dienstordnung3.
c) Darum sind ungeprüfte Entlehnungen aus dem weltlichen Recht abzulehnen4.
d) Erst recht kann der Staat kein Kirchenrecht setzen5.
e) Folgerung: Gleichlautende kirchliche und weltliche Rechtsbegriffe sind grundsätzlich nur analog.

 

2. Gottesdienstliches Recht

a) Wort- und Sakramentsrecht

a1. Die Eigenständigkeit des Kirchenrechts zeigt sich inhaltlich besonders am Recht der Wortverkündigung und der Sakramente.
a2. Der Kult (Wort und Sakrament) ist die primäre Quelle des Kirchenrechts6.


1) A 175 ff. — B 280 f., 388 ff., 391. — C 691 ff., 707, 720 f.
2) A 178 ff., 183 f. — B 350 ff. — C 695 ff., 733 f.; Cl. Kemmeren WuW 1964 50.
3) M. Heckel 1963 263 Anm. 105; A 179 f., 204 f. — B 372. — C 69311 ff.
4) A 169 f., 177. — B 388 f. (z. B.). — Dombois z.B. Lücke 350 f. zurückgehend auf K. Barth OdG 32.
5) Keine Entlehnungen: Wolf OdK 158, 592 f. u.ö.; Dombois Meth. 339, 341 f., OU 42, RdG 43 (K. Barth). Ebenso J. Ratzinger in: J.C. Hampe 1964 183 f. — Gegen das landesherrliche Kirchenregiment: wie oben IV5 These d; dazu A 168 f., 1777, 19719; C 71359.
6) B 283 f., 369 ff., 373 ff. — C 720 f. (trotz der verbalen Divergenz, daß Wolf im Gegensatz zu K. Barth und Dombois kein „liturgisches” Recht kennt). — Bei Heckel dagegen zwar angelegt A 98 f. (Urstandskirche für den cultus Dei), aber nicht durchgeführt 204 f.; weiter als Heckel gehen Martin Heckel EStL 1748 und Grundmann A 247 f. — Ähnlich Cl. Kemmeren WuW 1964 51 f.

|809|

a3. Gottesdienstliches Recht verlangt die geistlich lebendige Gemeinde7 und ihre bruderschaftliche Dienstordnung8.
a4. Aus Wort- und Sakramentsvollzug entsteht das Amtsrecht9.

 

b) Wortrecht

b1. Es gibt Bekenntnisrecht der Kirche10.
b2. Darunter ist nicht allein und nicht in erster Linie bekenntnisgebundenes Recht zu verstehen.
b3. Denn das Bekenntnis ist nicht primär ein Schriftstück, sondern „Homologie” (Wolf, Dombois)11.
b4. Dagegen ist streitig, ob es ein „bekennendes” Recht gibt12.
b5. Wenn die Kirche reformabel bleiben will, muß es Lehrzucht13 und Lehrentscheidung geben14.
b6. Das Bekenntnisrecht gebietet den Weltdienst der Christen (und der Kirche): Kirchenrecht ist missionarisches Recht15.
b7. Das Bekenntnisrecht enthält ein geistliches Not- und Widerstandsrecht, innerkirchlich wie gegen den Staat gerichtet16.


7) Grundmann A 244 ff. und ThLZ 1962 338 (aber auch schon Heckel A 196 ff. Rechtsetzung durch die Gemeinde). — B 334 ff., 382 f., 386 ff. und RgK 259. — C 70582 („Priester”), 71461 (Wahlrecht) und OU 30, 40 u.a.
8) A 178 ff., 188 ff., 194 ff. — B 372 f. — C 722, 724 f. Ähnlich Cl. Kemmeren WuW 1964 51.
9) B 369 ff., bes. OdK 167. — C 774; RdG 565 u.ö.: Amt aus Gottesdienstrollen. — Anders bei Heckel und Grundmann wegen der Spaltung von Predigtamt und „äußerem” Kirchenregiment.
10) Heckel Init. 66 A. 272, KuK 264. — B 382 ff. — C 742 ff. u.ö. - Bekennendes Kirchenrecht ist bei Wolf und Dombois aber ganz unterschiedlich aufgefaßt.
11) B 384 f. — C 752 ff. — Dagegen ist eine gewisse Unsicherheit zur Frage des Verhältnisses von Kerygma und Lehre festzustellen, B 402, C 780 ff.
12) Abl. Grundmann ThLZ 1962 338; bejahend Wolf B 386 ff. und Dombois C 736 ff. Sachlich besteht Übereinstimmung zwischen Heckel, Grundmann und Wolf, A 18910, Grundmann ThLZ 1962 338, Wolf OdK 463 A. 7 (= usus spiritualis iuris), B 450 f. m. A. 32.
13) Heckel A 19120, 20875. — Wolf GrundO 151, OdK 166, 485, 636. — Dombois RdG 861. — Zum Bann A 190 ff.; B 376 f.; C 775 ff.
14) Grundmann A 18910, 249. — B 387 f. (?). — C 752 ff., 757 ff.
15) Heckel und Grundmann begründen aus der lex spir. charitatis, A 88 ff., 248. — Ohne sachlichen Unterschied B 372 f., 390 ff. — Dombois handelt nicht ausdrücklich über dieses Thema. — Vgl. weiterführend die „Politische Theologie” J.B. Metz’, z.B. NF 1967.
16) A 90 f., 209. — B 274, 312, 38611, 389 (implizit). Zur ganzen Frage K. Till.

|810|

c) Sakramentsrecht

c1. Die Stiftung der Sakramente ist mittelbar, d.h. im Kirchenstiftungsakt Christi enthalten17.
c2. Die Taufe bestimmt die Kirchengliedschaft18.
c3. Die Kirchengliedschaft ist gestuft19.
c4. Kirchenaustritt ist wegen der Taufe nicht möglich20.
c5. Die Buße trägt Gemeinschaftscharakter21.

 

3. Eigenschaften

a) Ius divinum

a1. Die Fundamentalstruktur der Kirche und ihre Abgrenzung von der Welt sind iuris divini im obigen Sinn22.
a2. Das ius divinum ist ökumenisch verbindliches Recht28.
a3. Es gibt also ius divinum der Kirche und damit ökumenisches Kirchenrecht24.
a4. Die Bedeutung der „biblischen Weisung” für das Kirchenrecht ist offen25.
a5. Wegen interkonfessionellen Dissenses ist aber das ius divinum keine brauchbare ökumenische Diskussionsgrundlage26.


17) A 179 f. — C 76512. — Bei Wolf taucht diese Frage wegen der bW gleichsam nicht auf, vgl. B 283 f., 365 f. — Umgekehrte These im 19. Jh. (Kirchenstiftung in der Stiftung von Wort und Sakrament enthalten), Chr. Link 1966 168, 216.
18) A 131 f. — B 374 f. — C 76923.
19) Grundmann FS Arnold 46 A. 51; zum canon fidei bzw. charitatis A 144 ff., 155 f., 158 ff. — B 374 f. — Dombois sagt hierüber nichts.
20) A 209. — B 374 f.27. — Für Dombois ist dies das allgemeine Problem der irreversiblen Geschichtlichkeit der Annahme der geistlichen Institution.
21) A 190 ff., C 776 f. m. A. 58 (pax cum Deo durch pax cum ecclesia!).
22) A 175 ff. — B 327 ff., 350 ff. — Dombois geht hierauf gemäß seiner Ablehnung des ius divinum nicht ein; sachlich „entspricht” die doppelte Grundrelation der geistlichen Institution C 601 f.
23) Heckel/Grundmann A 249 m. A. 55. — Weitergehend Wolf B 378 ff. — Für Dombois vgl. C 694 f.
24) S.o. Thesen III3 (Gottesrecht) und IV1 (Kirchenstiftung). — Umfang: zu Heckel s.o. und dazu A 175 ff. m. A. 1 und die Anfragen 210 ff. — Wolf B 378 ff. — Für Dombois vgl. C 694 f. m. A. 17, 726 ff., 734 f., d.h. der Bereich der gottesdienstlichen Strukturen = der personalen Institution Kirche. Das bedeutet insoweit sachliche Übereinstimmung zwischen Wolf und Dombois. — Zum gemeinevangelischen Kirchenrecht A 217 f. (2.).
25) Heckel A 87 m. A. 88, Exkurs II 111 f., Grundmann A 248 zu B 286 ff.; dagegen Dombois FamR 86, OU 119 u.ö.
26) A 218 f.

|811|

a6. Weil das ius divinum die Kirche und das menschliche Kirchenrecht trägt, ist der Satz bedenklich: Das Kirchenrecht „folgt” aus dem Wesen der Kirche27.

 

b) Eschatologisches Recht

b1. Das Kirchenrecht ist Recht proleptischer Eschatologie28.
b2. Es ist streitig, ob es darum (ontologisch) „vorbildlich” ist für weltliches Recht29.
b3. Kirchenrecht ist nicht „Gesetz” im theologischen Sinn30.

 

c) Folgerungen

c1. Jede Kirchenrechtslehre enthält rechtsphilosophische Prämissen und Konsequenzen.
c2. Beispiele dafür sind der Gemeinschaftscharakter, damit die Rezeptionsbedürftigkeit31, die Personalität32 und die Geschichtlichkeit33 des Kirchenrechts.


27) A 124, 1778. — B 349 f. — Besonders entschieden Dombois C 691 ff.
28) Heckel: arg. oben These IIIdl und A 118 f. für die lex spir., die gleichzeitig zum ius divinum der eccl. spir. zählt. — B 378, 416 ff. — C 733 f. Ein katholischer Versuch einer eschatologischen Rechtsbegründung: K. Demmer Catholica 1962.
29) A 1778. — B 390 ff., 451 f. — C 601 f.
30) Arg. A 92 ff. i. V. m. 175 ff. — B 412. — Dombois RdG 995 und arg. Gnaden-Rechtsstruktur des Kirchenrechts.
31) A 118 (b1), 196 ff., Exkurs V 250 ff. (Amt). — B 281 f., und alles zur Bruderschaft, dazu 372 f., 408. — C 486 f., 491 f., 495 f., 724 f., 728. — Zur Rezeption s.u. These VIIe.
32) A 82 f. i. V. m. 195, 224 ff. — C 724 ff.
33) A 217. — B 379 f., 413 ff. — C 729 ff.

|812|

 

 

VI. Rechtsphilosophie

 

1. Rechtsphilosophische Implikationen

 

a) Nicht nur jede Kirchenrechtslehre, sondern auch jede Rechtstheologie hat eine Rechtsphilosophie zur Voraussetzung und Folge1.
b) Der nur-normative Rechtsbegriff ist für das Kirchenrecht ungeeignet2.
c) Das gleiche gilt für ein existentialistisches3, aktualistisches4, dezisionistisches Recht5.
d) Die Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung im Recht und durch das Recht wird angestrebt6.
e) Das Kirchenrecht kennt keinen Zwang, wohl aber die Sanktion7, und bedarf der Rezeption8.
f) Der Kirchen-Rechtsbegriff ist mit der Sitte verwandt9.
g) Die Verbindlichkeit des (menschlichen) Kirchenrechts ist teils stärker, teils geringer als die des weltlichen Rechtes10.


1) So bes. Dombois C 465, 482. — Die Entwicklung Wolfs ist ein einziger Beweis für diese These (vgl. B 259 ff., 403 ff.). — Diese Einsicht (zuerst C.A. Emges) ist allgemein gültig, vgl. A 221 ff.; B 403 ff., 434 ff.; C 482 ff., 573 ff., 639 ff., 722 ff. Vgl. die bewegte Klage über die ungenügenden rechtsphilosophischen Vorarbeiten C 6772; auch Wolf PuS 189, Grundmann ZRG 1964 XXVIII.
2) S.u. These h und C 686. Sonst gibt es kein ius divinum, und in der Konsequenz ist die These R. Sohms unausweichlich! — „Die Problematik des Norm-Begriffs” hebt auch J. Blank Concilium 1967 356 ff. aus exegetischer und moraltheologischer Sicht hervor.
3) Vgl. oben These II2a119.
4) Vgl. ebd.17.
5) Heckel: arg. ebd.; auch A 224 ff. — B 316 i. V. m. 361 ff. — C 659.
6) B 3931. — C 548 ff., 646 f. u.ö.
7) Bes. C 73546. — Dazu Wolf B 395 5. — Grundrecht der Freiheit A 203 f., 207 ff., trotz des möglichen Bannes!, ebd. 190 ff.
8) A 76 f., 95, 99 ff., 198 f. — B 301 f., 388. — C 710 ff.
9) A 207 ff. — C 683. — Ähnlich Wolf für die biblische Weisung!, B 318 f. — Zum „pädagogischen” Kirchenrecht A 208 f.; B 303, 31521.
10) A 207 ff.; M. Heckel 1963 262 f. — B 315 ff., 317 f. i. V. m. 394 ff. — Bei Dombois läßt sich hierzu nichts entnehmen.

|813|

h) Es gibt nicht einen, sondern mindestens zwei Rechtstypen: das normative und das institutionelle Recht11.

 

2. Folgerungen für den Rechtsbegriff

 

a) Es gibt also einen doppelten Rechtsbegriff.
b) Der Rechtsbereich wird ausgeweitet, ohne daß diese Ausweitung mit dem Schlagwort „Spiritualisierung des Rechts” zutreffend beurteilt werden könnte: Recht ist die Ordnungsdimension jeder Humanrealität, sei es des Gottes-, des Nächsten- oder des Sachbezugs.
c) Recht ist Relation12.
d) Recht ist personale Relation13.
e) Recht ist ein Existential des Menschen14.
f) Sein und Sollen des Rechts sind untrennbar15. Der „Methodendualismus” wird damit abgelehnt.
g) Das Recht kann ohne Berücksichtigung des Rechtsentstehungsvorganges nicht angemessen erfaßt werden16.
h) Das Recht wird dynamisch aufgefaßt17.

 

3. Abgrenzungen

 

a) Der Zwangscharakter des Rechts wird abgelehnt18.
b) Unklar ist, ob er wenigstens für weltliches Recht rechtstheologisch gefordert ist (Grundmann gegen Dombois)19.


11) A 96 ff., 24118. — C 621 ff. — Bei Wolf nur in Andeutungen: B 313 13, 364 , 412 f. (?); er nennt aber das dezisionistische Recht dazu.
12) A 8362. — C 639 ff. u.ö. — Für Wolf vgl. B 435 f. die Relation innerhalb der Dialektik.
13) A 37 ff., 224 ff.; M. Heckel 1963 265. — Christokratie und Bruderschaft als die beiden personalen Grundrelationen; ferner in der relationalen Struktur der Dialektik (B 435 f.). — C 466 f., 484 ff., 493 ff., 574 ff., 639 ff., 722, 724.
14) B 27172. — C 641 f.
15) B31313. — C 483, 54113.
16) A 74 ff., 96 f. — B 282 ff., 397 f. — C 657, 671 ff.
17) Heckel: usus spiritualis iuris (A 82 f. u.ö.). — Wolf: Urdialektik von Institution und Ereignis im „bekennenden” Recht (B 384 ff., 394). — Dombois: Einbeziehung der Rechts- und Institutionsentstehung in den Begriff beider (z.B. C 671 ff.). — Hierher gehört der Einbau der Integrationslehre in die Rechtstheologie: G. Holstein 1928 347 ff., R. Smend 1955 173 ff.; A 244, C 608 ff.
18) A 87, 203. — B 395. — C 646 f.; oben These 1e.
19) Nein: B 395. — Ähnlich Heckel: zwar immanent-humanitäres „Liebes”recht (A 10432, 106), aber nicht völlig ohne Zwang (109 f.); anders Grundmann.

|814|

c) Recht und Liebe, Recht und Gnade schließen sich auch rechtsphilosophisch nicht aus20.
d) Die bisherige Rechtsphilosophie wird als für die aufgeworfenen rechtstheologischen Probleme unzureichend bezeichnet21.


20) A 77 f., 207; Grundmann ZevKR 1964/65 16 (Konsens!). — B 407 ff., 412 f. — C 621 ff.
21) Dombois C 482 f. m. A., oben A. 1.

|815|

 

 

VII. Denkform und Methode

 

1. Dialektik

 

a) Keine der hier untersuchten rechtstheologischen Konzeptionen kommt ohne „dialektische” Rede aus1.
b) Dialektik in irgendeiner Form erscheint überall, wo das geistliche Geheimnis ausgesagt werden muß2. Sie ist die Denkform des Dialogs, sofern sie sich ihrer Grenzen bewußt ist.
c) Geistliche Sachverhalte dieser Art sind nicht exakt definierbar3.
d) Jede geistliche Dialektik impliziert eine Analogie4.
e) Diese Analogie ist strukturell analogia entis in analogia fidei5.

 

2. Methode

 

a) Theologische und juristische Methode in der Rechtstheologie fordern und ergänzen einander. Ihre Wechselwirkung ist die methodische Entsprechung zur tatsächlichen Untrennbarkeit von Geistkirche und Rechtskirche.
b) Eine gewisse Eigenständigkeit der Rechtstheologie gegenüber der systematischen Theologie scheint sich anzubahnen6.
c) Wegen der theologisch begründeten Interdependenz von Theologie und Recht ist es notwendig, daß die Dogmatik, Pastoraltheologie


1) Heckels „Dualismus” teilweise, vgl. A 221 ff. (zutreffend Grundmann A 247 [b1]). — Wolfs Dialektik, B 429 ff. — Dombois’ Komplementarität, C 537 ff., 546 f. u.ö.
2) B 431. — C 546 f.
3) B 34418, 426. — C 542 ff.
4) A 10855, 11067. — B 437 f. mit Exkurs IX 438 f. — C 557 f. u.ö.
5) Exkurs IX B 438 f.
6) A 245.

|816|

und besonders die Exegese ihre überholten Rechtsvorstellungen aufgeben7.
d) Die rechtliche Betrachtungsweise ermöglicht auch theologischen Fortschritt.
e) Der rechtstheologische Methodenpluralismus bzw. die Beiziehung weiterer Hilfswissenschaften (namentlich der Soziologie) steht neu zur Diskussion.


7) Mit bemerkenswerter Schärfe vertreten alle hier dargestellten Rechtswissenschaftler die Auffassung, daß die Theologen gleich welcher Richtung unreflektiert an einem (normativen, positivistischen, formalen) Rechtsbegriff festhalten, der bereits in den 20er Jahren überwunden war, ohne auch nur den Versuch zu machen, von den Fortschritten der Jurisprudenz Kenntnis zu nehmen. In diesem Zusammenhang werden — neben vielen anderen — genannt R. Bultmanns Scheidung von regulativem und konstitutivem Recht, die Gegenüberstellung von Amt und Charisma bei H. v. Campenhausen, E. Schweizers Recht als „starres Gesetz”, die Sohm-Nachfolge E. Brunners und J. Kleins (Recht als formale Norm), H. Conzelmanns generelle Regel, die Ordnungsvorstellungen P. Althaus’; kaum ein Name von Rang wird von diesem Vorwurf verschont! Vgl. den „Lasterkatalog” Dombois’ OU 47 ff., und Wolf B 3667 und OdK 152 „alle (!) theologischen Autoren reformatorischen Bekenntnisses”. — Nicht viel anders müßte sein Urteil für die katholische Theologie lauten, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Aber dieses Thema verdiente eine eigene Untersuchung.

|817|

 

 

VIII. Offene Fragen

 

1. Theologie und Recht

 

a) Das Verhältnis von Theologie und Recht muß nach Ansicht der hier vertretenen Juristen neu bestimmt werden. Über das Ausmaß gehen die Meinungen auseinander1.
b) Der theologische Ort des Rechts ist ungeklärt2.
c) Über die Aufgabe des Rechts im Leben der Kirche besteht keine Einigkeit3.

 

2. Rechtstheologie und Rechtsphilosophie

 

a) Die philosophischen Implikationen der Rechtstheologie bedürfen noch der Begründung und Nachprüfung.
b) Vor allem das Problem der Analogie zwischen Gottes- und Menschenrecht, zwischen geistlichem und weltlichem Recht ist unbewältigt.

 

3. Geisteswissenschaftlicher Zusammenhang

 

a) Es hat den Anschein, als ob die evangelische Rechtstheologie in ihrem Bereich den theologischen Personalismus und Existentialismus mit den Mitteln des Rechts überwunden hätte.


1) A 22 ff.; Grundmann 245. — Wolf Exkurs VII B 356 f. — C 726 f. u.ö.
2) Ist er nun in der systematischen Theologie zu suchen, sei es in der Trinitäts-lehre (Dombois), der Christologie (Wolf), der theologischen Anthropologie (B. Schüller 1963 336), der Ekklesiologie (h. M.), der Wort- und Sakramentenlehre (K. Mörsdorf, A.M. Rouco Varela), oder in der praktischen (dazu H. Wehrhahn 1956 1 ff., 49 ff. u.ö.) oder der Fundamentaltheologie (G. Söhngen)?
3) Hat das Kirchenrecht eine kritische Funktion in der Kirche? Wolf und bes. Dombois bejahen es, B 389, C 726 f. m. A. 31.

|818|

b) Die rechtstheologischen Entwürfe Heckels, besonders aber Grundmanns, Wolfs und Dombois’, zeigen die Tendenz zur Anthropologisierung, wie sie auch sonst in den Geisteswissenschaften zu beobachten ist4.

 

4. Ökumenische Methode

 

Für das interkonfessionelle Gespräch bedarf es einer vertieften Besinnung über die Methode des ökumenischen Gesprächs. Es bedarf einer „Metahermeneutik”, die eine „Systemtransformation” (rechts-)theologischer Aussagen eines Autors, einer Theologie oder einer Konfession in diejenige anderer Autoren usw. ohne wesentlichen Informationsverlust erlaubt5.


4) Die Tendenz zur anthropologischen Konzentration wird z.B. in H.U. v. Balthasars Geschichtstheologie behauptet; sie liegt auch der existentialen Interpretation R. Bultmanns zugrunde. Vgl. auch W. Pannenberg 1962 5: „Wir leben in einem Zeitalter der Anthropologie.” Oder ein Sprachforscher: „Sprachgeschichte als angewandte . . . Anthropologie” (F. Tschirch 1954 11). Für die Rechtslehre vgl. außer Wolf PR 136 ff. und Dombois bes. W. Maihofers Rechtsphilosophie. — Begriffsgeschichtlich zur Rechtsanthropologie Wolf PR 136 ff.
5) Formale Ansätze hierzu finden sich in den verschiedensten Einzelwissenschaften (Theologie: z.B. existentiale Interpretation; Philosophie: z.B. Linguistik; Jurisprudenz: z.B. Rechtsvergleichung [Qualifikationsproblem]; Mathematik: Topologie [z.B. Abbildung von Strukturen]; Logistik: z.B. implizite Definition; usf.). Einige vorläufige Überlegungen hierzu s.o. 9 ff., 791-795.

|819|

 

 

IX. Ergebnis

 

1. Es gibt eine evangelische Rechtstheologie.
2. Innerhalb der „juristischen” evangelischen Rechtstheologie, soweit sie hier behandelt werden konnte, ist sogar ein überraschend hohes Maß an Übereinstimmung erreicht. Besonders auffällig ist dies angesichts der völlig divergierenden Terminologie.
3. Andererseits sind im Lichte des System Vergleichs Besonderheiten und auch Schwächen deutlich erkennbar geworden1.
4. Für das deutsche evangelische Kirchenrecht beginnt — nach Reformation und Landeskirchentum — die dritte große Epoche seiner Geschichte.


1) Man bewundert etwa in Heckel den großen Systematiker — mit Recht; gleichwohl übersieht man allzu leicht die Wandlungen, denen er unterworfen war, die terminologischen Ungenauigkeiten, denen er als Lutherforscher kaum ausweichen konnte, schließlich die nicht unwichtigen Systeminkonsequenzen, die das Verständnis erschweren (Kirchenlehre; heteronomes Recht; Wort und Sakrament, usf.). — Grundmann erwies sich keineswegs als der allzu getreue Heckelnachfolger („mit großer Selbständigkeit” — H. Liermann 1967 1); wo er es für nötig hielt, wich er von der Konzeption seines Lehrers weit ab — etwa in der Gottesdienst- und Amtslehre. — Wolfs bemerkenswerte rechtsphilosophische und -theologische Entwicklung mußte ausführlich entfaltet werden, um die Mär vom kalvinistischen Barthianer Wolf zu widerlegen. — Schließlich hofft der Verfasser, durch Systematisierung des weit verzweigten und schwer durchschaubaren Werkes von H. Dombois zum Verständnis von dessen ökumenisch so bedeutsamen Rechts- und Institutionsauffassung beitragen zu können. — Wenn eine so pauschale Behauptung gewagt werden darf: Heckel, Grundmann und Wolf stimmen trotz radikaler rechtsphilosophischer Unterschiede im praktischen Ergebnis weitgehend überein, während in der (existentiell-konkreten) rechtsphilosophischen Grundhaltung Wolf und Dombois bei weitem nicht so weit voneinander entfernt sind, wie es nach dem praktischen Ergebnis scheinen möchte.