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Die Grundlagen des modernen Staatskirchenrechts sind durch die
Aufklärung geschaffen worden und bestehen in vier Grundsätzen:
(Ulrich Scheuner)
a) Souveränität des Staates über alle in seinem Territorium
tätigen Gemeinschaften
b) allgemeine Gewissensfreiheit
c) Lösung der staatlichen Rechtsordnung von der Bindung an eine
Konfession
d) Bindung der Kirchen an die Beobachtung der allgemeinen Gesetze
des Staates.
Jeder dieser Grundsätze ist in besonderer Weise geschichtlich
erwachsen und geschichtlich bedingt.
a) Die territoriale Souveränität ist erwachsen im steten Kampf
mit den universalen Ansprüchen der römischen Kirche, die mit
Besetzungsrechten und Jurisdiktion tief in das Leben der
einzelnen Länder eingriff. Dies führte zu wechselnden Formen des
Ausgleichs mit Rücksicht auf die politische Bedeutung dieser
akte, aber erst spät zu einer grundsätzlichen Bestreitung solcher
Rechte, die als Ingerenz in den politischen Bereich empfunden
wurden. Tatsächlich ist es jedoch nirgends gelungen, zu einer
einseitigen Souveränitätsübung durch den Staat zu kommen — außer
durch eine völlige Zerstörung des Verhältnisses zur Kirche oder
durch Zerschlagung ihrer innerstaatlichen Organisation. Kirchen,
welche keine übernationalen Organe besitzen, überheben natürlich
auf bequeme Weise den Staat dieser Frage. Sie wird dadurch zu
einer innerpolitischen, in der jedoch die Grenzen staatlicher
Einwirkung sich deutlich zeigen.
b) Die allgemeine Gewissensfreiheit konnte wenigstens im
Grundsatz schon dort bestehen, wo noch ein privilegierter Kultus,
eine Staatskirche bestand, solange die Gewissensfreiheit als
individuelle noch nicht zur allgemeinen Kultusfreiheit
ausgebildet war.
c) Das war erst mit der Durchsetzung des Grundsatzes (b) der
fall. Erst damit war ein wesentliches Merkmal des
konstantinischen Bundes aufgegeben: die Deckung von Kirche und
Staatsbürgerschaft, innerhalb deren es religiöse Abweichungen nur
als Privileg für Fremde und Gastbürger gab. Mit der Preisgabe
dieser Deckung war die geschichtliche Ineinssetzung von Staat als
Gemeinschaft und Kirche als Bund beseitigt.
d) Die allgemeine Gesetzesbindung bedeutete, daß
kirchenrechtliche Regeln eben wegen des Vorhandenseins
verschiedener Bekenntnisse nur mehr innerkirchliche, geistliche
Bedeutung, nicht mehr unmittelbar öffentlich-rechtliche Bedeutung
oder gar Vollstreckbarkeit besitzen können.
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Diese Grundsätze des modernen Staatskirchenrechts sind sämtlich nach Inhalt und Durchsetzbarkeit problematisch. Man kann sagen, daß sie nur innerhalb zweier sehr bestimmter Grenzwerte realisierbar sind.
Zunächst ist rein faktisch Grad und Art ihrer Verwirklichung höchst unterschiedlich. In Ländern mit noch fast geschlossener Zugehörigkeit zu einer, und dazu mit dem geschichtlichen Selbstverständnis des Landes eng verbundenen Kirche ist die Lösung der Bindung an eine Konfession oft noch keineswegs durchgeführt. Es besteht trotz Gewissens- und Kultusfreiheit eine Staatskirche oder staatskirchenähnliche Privilegierung, so in den meisten geschlossenen katholischen Ländern wie etwa in den nordischen lutherischen Staaten. An die Stelle der exklusiven Privilegierung ist eine offene getreten. In den europäischen Ländern mit starker Konfessionsmischung dagegen besteht anstelle der Staatskirche ein vielfältig differenziertes Zusammenwirken, welches man als abgeschwächte Verbindung von Staat und Kirche bezeichnen kann (Jacobi).
In Ländern, die eine erklärt laizistische Bewegung durchgemacht haben, wie insbesondere Frankreich und einzelne südamerikanische Staaten, werden jene Grundsätze de jure entschieden statuiert. Es gelint jedoch, solange die rechtsstaatliche Charakter nicht preisgegeben und zur offenen gewaltsamen Verfolgung übergegangen wird, nicht, der Kirche selbst bei Begrenzung auf den Vereinsstatus den Charakter der öffentlich und auch politisch bedeutsamen Größe zu nehmen. Das wirkt sich in Frankreich dahin aus, daß neben den Trennungsgesetzen der Aera Combes von 1905 seither eine Fülle von Verwaltungsanordnungen und Entscheidungen ergangen ist, die dem Wortlaut und dem Geist der Trennungsgesetzgebung widersprechen, welche aber angesichts der tatsächlichen Lage ganz unentbehrlich sind. Eine solche Rechtslage entzieht sich infolgedessen jeder systembildenden Beschreibung, jeder gemeinsamen sinnvollen Bezeichnung.
Das bedeutet aber grundsätzlich:
1. Das nicht mehr erreichbare Maximum ist heute eine exklusive
Staatskirche in dem Sinne, daß der Staat selbst jede andere
Kirche ausschließt. Der Versuch dazu ist anachronistisch.
2. Eine radikale Trennungsgesetzgebung widerstreitet so sehr der
unaufhebbaren öffentlichen Bedeutung der Kirche, daß sie nur mit
Gewalt, nicht aber auf dem Wege Rechtens realisierbar ist.
Im Grunde ist in beiden Fällen die Grenze die Gewalt. Aus der stabilen Verbindung von Kirche und Staat ist in unterschiedlichen Formen eine variable, labile geworden.
Ist also jene stabile Verbindung von Kirche und Staat nach menschlichem Ermessen dahin, so ist doch andererseits ein Moment des konstantinischen Bundes wiederaufgelebt, welches in der modernen Entwicklung gerade durch die enge Verbindung von Kirche und Staat
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aufgehoben schien. Der souveräne Staat schloß nach Begriff und Tendenz solche Rechtsentscheidungen aus, welche nicht seiner eigenen Rechtsordnung entsprachen und entsprangen. Auch die katholischen Staaten, die theoretisch die päpstliche Jurisdiktion nicht bestreiten wollten, versuchten praktisch sie durch das placetum regium für die Veröffentlichung und den Vollzug solcher Anordnungen auszuschließen und in ihrem Sinne unschädlich zu machen. In den protestantischen Staaten wurde theoretisch die Auffassung vertreten, daß nur bei echten Überschreitungen durch die kirchliche Gewalt in Konflikt auftreten könne, der zudem durch den Summepiskopat praktisch ausgeschlossen wurde.
Diese Lage hat sich entscheidend geändert. In einer
säkularisierten Welt — auch in einer der Kirche freundlich
gesonnenen und sie respektierenden —
1. rechnen alle Kirchen heute grundsätzlich mit Grenzfällen, wo
staatliches und kirchliches recht auseinandergehen.
2. Alle Kirchen gestalten heute ihr Recht aus eigenem Recht.
3. Sie nehmen für dieses Recht wieder einen gleichen Rang in
Anspruch wie für das staatliche.
4. Sie sehen ihre Stellung als Körperschaft nur noch als
deklaratorische Anerkennung ihres aus eigenem Recht bestehenden
Rechtsstandes an, nicht als Verleihung.
5. Sie schließen sämtlich, abgesehen von der allgemeinen
bürgerlichen Ordnung und den gemischten Gebieten, die staatliche
Gerichtsbarkeit auf kirchlichem Gebiete aus. Sie erkennen dabei
die staatlichen Grenzziehungen nicht ohne weiteres mehr für sich
an25. Auch auf den gemischten Gebieten behalten sie
sich für ihren Bedarf vor, staatliche Urteile zu prüfen, wie etwa
die Frage der Scheidung bei der Wiedertrauung.
6. Eine Abgrenzung zwischen Kirche und Staat ist bei dieser Lage
nur mehr vertraglich möglich, nicht mehr durch einseitige
staatliche Gesetze. Dabei ist dieser Staat naturgemäß weder
gewillt noch in der Lage, solche abweichenden kirchlichen
Auffassungen zu übernehmen oder etwa zu vollstrecken. Das würde
mit den genannten Voraussetzungen der modernen
staatskirchenrechtlichen Lage nicht zu vereinen sein: er bewegt
sich jedoch auf dem Boden des ständigen staatsrechtlichen
Ausgleichs. Damit aber stimmt überein, daß die bis 1918, ja bis
1945 geübte körperschaftsrechtliche Staatsaufsicht als
regelmäßiger Verwaltungsakt weitgehend in Abgang gekommen ist.
Dieses völlig neue, seit 1945 eingetretene Verhältnis zwischen Kirchen und Staat in Deutschland, welches mit früheren Begriffen nicht mehr beschrieben werden kann, hat Werner Weber sehr klar wie folgt dargestellt:
„Im ganzen gesehen ist die lage der Kirchen dadurch charakterisiert, daß sie nicht mehr eine staatlichen Obrigkeit gegenüberstehen oder
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unterstehen und daß sich Staat und Kirche nicht mehr als klar
unterscheidbare, kommensurable Größen begegnen ... Die Kirchen
sind vielmehr Glied unserer vielschichtigen
öffentlich-rechtlichen Gesamtordnung, und zwar ein tragendes und
wirkendes Glied darin. Kraft der Verbindung ihres
theologisch-kirchlichen Öffentlichkeitsanspruchs mit dem Status
öffentlich-rechtlicher Institutionen hohen Ranges sind sie in
verantwortlicher Gliedschaft in das politische Gemeinwesen
einbezogen. Ihre früheren Beziehungen zum „Staat” sind abgelöst
durch diese Einordnung, die man, wie angedeutet, mit der Position
eines Standes im Ständestaat vergleichen kann, und durch die
Zuordnung zu den anderen — sehr andersartigen — politischen
Ständen, die jene Gliedschaft teilen.
Wenn man dieses Bild vor Augen hat, dann wird sofort der weitere
Gebrauch des Wortes ,Staatskirchenrecht’ für unser Problem
fragwürdig. Dann aber wird auch verständlich, warum die
überlieferten Vorstellungen von der staatlichen Kirchenhoheit und
den jura circa sacra nicht mehr praktizierbar sind, ebensowenig
wie die eines Trennungssystems. Die Kirchen stehen heute in einem
Beziehungssystem koordinierter öffentlicher Ordnungsmächte, auf
deren Zusammenhang und Zusammenwirken das politische Gemeinwesen
selbst geformt ist.”26
Wichtig ist dabei zu erkennen, daß nicht nur die staatlich-politischen Ereignisse als solche diesen Zustand herbeigeführt haben, sondern die Wandlung des theologischen Selbstverständnisses gerade der Evangelischen Kirche selbst ein mitwirkender rechtsbildender Faktor gewesen ist, weil der Öffentlichkeitsanspruch der Kirche, im Kampf mit dem Nationalsozialismus bewährt, nach dessen Überwindung öffentlich-rechtlich anerkannt wurde. Schlagend zeigt sich, daß objektives Recht aus Anspruch und Anerkennung erwächst. Und daß der Wirkungsanspruch einer Gemeinschaft als solcher ein rechtsbildender Faktor sein kann — freilich nicht einfach im Sinne der Rechtsetzung, sondern als Anspruch auf Anerkennung — sprengt die Statik idealistischer Rechtsbegriffe. Diese konkrete geschichtliche Erfahrung widerlegt Sohms Kirchenrechtsverneinung besser als jede begriffliche Widerlegung, die mit ebenso statischen Größen zu arbeiten gezwungen wäre.
Das heißt aber: überall ist das Staatskirchenrecht aus dem Bereich des Verwaltungsrechts, des Rechts der Verwaltung unbestritten zustehender Staatshoheit in den Bereich des Staats- und Verfassungsrechts, in den Bereich der staatsrechtlichen Integrationsvorgänge übergegangen. Das schließt verwaltungsrechtliche Elemente nicht aus, gibt ihnen aber eine andere Bedeutung, stellt sie sinnverwandelnd in andere Zusammenhänge. So kann sich auch ein rechtlicher Bedeutungswandel bei gleichbleibendem Normenbestand durch eine Verschiebung des staatsrechtlichen Ortes der Entscheidung vollziehen.
Andererseits verliert naturgemäß die Kirche eine solche Rechtsstellung, wenn sie sie nicht selbst mit dem Öffentlichkeitsanspruch besetzt.
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Sie darf nicht mehr damit rechnen, daß ein anderer, etwa der Staat selbst, ihre schlechthin unvertretbare Rolle stellvertretend wahrnimmt. Das gilt für weite Bereiche des geschichtlichen und noch gegenwärtigen Staats- und Landeskirchentums, in dem dieser Öffentlichkeitsanspruch mangels eines Sonderungsbewußtseins nicht wirksam in Erscheinung tritt. Diesem Problem und dieser Aufgabe gegenüber hat der Protestantismus, vor allem die lutherische, aber auch etwa die Zwinglianische Kirche Jahrhunderte hindurch vor dem aufkommenden souveränen Nationalstaat zurückweichend versagt.
Der konstantinische Bund rechnete im Ansatz mit einer Kirche eigenen, unabgeleiteten Rechtes, die freilich in einem staatsrechtlichen Verhältnis der Bundesfreundlichkeit dem Reiche zugeordnet war. In diesem Verhältnis haben sich beide Teile in fruchtbarer wie verhängnisvoller Weise so verschlungen, daß ihre Scheidung de jure notwendig wurde. Aber nicht der negative Gedanke der Trennung, sondern die positive Einsicht in die rechtliche Unabhängigkeit von Kirche und Staat eröffnet die Möglichkeit, sie wieder in rechter Weise in Beziehung zu setzen. Die Kirche, welche die weltliche Gewalt grundsätzlich anzuerkennen durch die Heilige Schrift veranlaßt ist, kann dies nur recht tun, wenn sie ebenso zu ihrer eigenen rechtlichen Existenz steht die ihr als geistliches Recht mitgegeben ist. In diesem Sinne ist in der Tat heute nach vielfachen geistlichen Erfahrungen der Art. XXVIII des Augsburgischen Bekenntnisses zu ergänzen.
Es gehört zu der sehr differenzierten Situation unseres Problems, daß in Ländern mit ungebrochener Staatstradition auch heute noch die Kirche mehr oder minder offizielle Staatskirche ist — so in England, Schweden, der Schweiz. In Ländern dagegen, in welchen diese Tradition schwach ist oder geschichtliche Brüche erlitten hat, wie in Deutschland und Italien, ist unabhängig vom direkten Rechtsstatus das im Staatskirchentum liegende Überwiegen des Staates dahin. In die geistigen Lücken, welche der Staat aufweist, tritt hier die Kirche mit ihren gemeinschaftsbildenden Traditionskräften vicariierend ein. Die alten Thron- und Altarparolen und die Vorstellung von der Kirche als einer „erhaltenden” Macht sind erfreulicherweise dahin. Man hat auch außerhalb und am Rande der Kirche so einigermaßen begriffen, daß die Kirche nicht benutzbar ist und nicht als benutzbar behandelt werden darf. Man sucht nun bei ihr, was man bei sich selbst vermißt — und dabei auch vieles, was man selber besser schlicht und einfach täte. Aber diese innere Schwäche des Staates ist vom Standpunkte der Kirche keineswegs wünschenswert. Es wäre gut, wenn die Kirche durch echte Selbständigkeit des Staates von diesem Vicariat entlastet würde. Denn der gegenwärtige Zustand führt zu Vermischungen und Grenzüberschreitungen, die nur vorübergehend zu rechtfertigen sind. An der Leichtigkeit des Übergangs, vom geistlichen Dient der Kirche in das politische
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Amt sieht man, wie sehr das geistliche Amt in seiner Substanz entleert ist — und wenn dafür das Gefühl nicht fehlt, so fehlt doch im entscheidenden Moment die Disziplin. Sowenig man andererseits jenen sozusagen „intakten” Ländern die Erfahrungen wünschen kann, unter denen sich in Deutschland die Eigenständigkeit der Kirche hat wieder bilden müssen, so ist doch dieses Staatskirchenrecht heute grundsätzlich anachronistisch und hinter der geistigen Situation der Zeit zurück.
Man kann überall dort nur mit behutsamer Entschlossenheit für die Ablösung dieser Bindungen eintreten. Es kommt darauf an, ohne sinnlose Zerstörungen eine Neues werden zu lassen.
Die oben in Thesen formulierte Situation ist weitgehend die durch Kirchenkampf und Zusammenbruch hervorgerufene deutsche Lage. Sie gilt noch keineswegs für jene Länder mit staatskirchlicher Tradition. Die deutsche Entwicklung ist hier vorausgeeilt, Erkenntnisse sind gewonnen worden, hinter die nicht mehr zurückgegangen werden kann. Daran könnte und dürfte eine mögliche Verschiebung des Kräfteverhältnisses durch eine Erstarkung des Staates nichts ändern. Der Nationalsozialismus ist unabsichtlich, jedoch mit geschichtlicher Wirkung zum Reformator einer Kirche geworden, die ohne diese Zuchtrute sich nicht selbst reformiert hätte.
In einer Darstellung der staatskirchenrechtlichen Lage nach dem Bonner Grundsatz (Art. 140) sagt Rudolf Smend26a:
„Die grundsätzliche Gewährleistung kirchlicher Freiheitsrechte
erfordert ihre gleichzeitige grundsätzliche Begrenzung durch die
staatliche Souveränität. Die Unsicherheit des deutschen
Staatsgedankens hatte den Souveränitätsgedanken als den Gedanken
inhaltlichen Rechts und inhaltlicher Grenze des Staates
eingebüßt. Die Folge war das unsichere Schwanken zwischen den
Extremen: einerseits das Verlangen nach dem totalen Staat, und
andererseits die Beschränkung des Staates auf allzu enge
Bereiche. Die Rechtswissenschaft schwankte zwischen denselben
unhaltbaren Extremen: der Übersteigerung eines formalisierten
Souveränitätsbegriffs zu formaler Allmacht einer-, seiner
grundsätzlichen Ablehnung andererseits27.
... Nur eine inhaltliche Wesensbestimmung des Staates, die damit
zugleich seine gerade der Kirche gegenüber selbstverständlich
vorausgesetzte Selbstbegrenzung enthielt, kann der alten wie der
heutigen grundsätzlichen Rechtslage der Kirche gegenüber dem
Staat ihren rechtlichen Raum und ihre gesunde Grenze geben.
Seit der Barmer Theologischen Erklärung weiß die Kirche wieder in
voller Klarheit, was sie dem Staate gegenüber will, soll und
darf. Von daher ist der Art. 140 eindeutig. Die entsprechende
Klärung für den Staat kann nach den extremen Pendelausschlägen
des totalen Staates einer-, des z.B. in den Dibelius’schen
„Grenzen” bezeugten und als allzu endgültig verstandenen Rückzugs
andererseits wohl nur künftig
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die Konsolidierung eines endgültigen deutschen Staatswesens bringen.”
In der Tat: die nach dem Kriege von den Bischöfen Dibelius und Berggrav in ihren Büchern über den Staat versuchte Begrenzung des Staates ist eine begreifliche Reaktion, aber doch eben wesentlich reaktiv und läuft in die Linie einer liberalen Staatskritik aus. Diese Dingen müssen sich erst einpendeln und ein gesundes Mittelmaß gewinnen. Die Barmer Erklärung freilich ist ein Grundstein, auf dem nicht wesentlich weitergebaut ist. Es ist nicht zu verwundern, daß er dann wieder verdeckt zu werden droht. Verstände die Kirche ihr eigenes Recht klarer, so würde sie auch ihr Verhältnis zum Recht des Staates besser präzisieren können.
Wie Smend oben unbefangen von einer Wesensbestimmung des Staates redet, so müssen sich auch Theologie und Kirchenrechtslehre unvermeidlich zulängliche Vorstellungen vom Staate bilden und diese im Rahmen ihrer Aufgaben darstellen. Das haben sie immer getan und werden sie immer tun müssen. Sie werden dabei die sich wandelnde soziale Wirklichkeit in Betracht ziehen müssen und nicht meinen dürfen, eine philosophie perennis ausbilden zu können. Philosophien verbrauchen sich — das Evangelium und die Kirche bleiben. Es gibt hier sachgemäße und wirklichkeitsgerechte Lösungen, die deshalb nicht willkürliche sind, die darum auch sorgfältig gepflegt, ausgebaut und weitergebildet werden müssen.
Aber eben dann ist zu beachten, daß dieser „Staat”, genauer das „politische Gemeinwesen” keine eindeutige, sondern eine im Laufe der Geschichte sich selbst wandelnde Größe ist.
Gerade die hochentwickelte, bis zur letzten Konsequenz durchgebildete und abgeschlossene Form des Staates, der sich seine jeweilige Form des Landeskirchentums zuordnete, ist heute wieder, und zwar in einer ganz neuen Weise, in der auflösende Umbildung begriffen. Die Eigenständigkeit der einzelnen Gemeinwesen wird zwar keineswegs aufgehoben, sondern immer noch nach innen in der überlieferten Form des Souveränitätsdenkens geltend gemacht — gerade auch gegenüber der Kirche. Zugleich aber sind ganz neue völkerrechtliche, wirtschaftspolitische, ideologische Vergemeinschaftungen wirksam geworden, die die bisherige Abgeschlossenheit des Staatsbegriffs aufheben.
Gerade diese Formwandlung macht die grundsätzliche Veränderung deutlich, die sich noch keineswegs in festen Begriffen erfassen läßt. Die Kirchenrechtslehre kann daher nicht mit einem festen, gleichsam metaphysische gegründeten Staatsbegriff rechnen — wie es weitgehend die theologische Staatslehre noch tut — . Sie kann freilich ebensowegnig den „Staat” als einen Bereich ansehen, über den schlüssige Aussagen nicht mehr gemacht werden können. Sie muß vielmehr sehen, daß das Recht der Welt ihr gegenüber sowohl noch in den historisch erwachsenen Formen
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des souveränen Staates wie in jenen neuen Formen politischen Handelns — in einer noch offenen Verbindung beider geltend gemacht wird. Ihr eigener Zustand entspricht dieser Lage. Es hat dem Heiligen Geist gefallen, sich sehr äußerlicher Mittel, der Entstehung einer ungeteilten Welt zu bedienen, um die getrennten Kirchen auf die Gabe und Aufgabe zu stoßen, da sie sie von innen her nicht genügend wahrgenommen haben. Von da aus wird so mit steigender Folgerichtigkeit das Kirchenrecht ganz von selbst „oekumenisches Kirchenrecht”, wie die neuesten Arbeiten von Grundmann und Erik Wolf zeigen. Der eingangs erwähnte Gedanke Sodens (Kap. I) der Bezogenheit des Kirchenrechts auf eine bestimmte Staatsverfassung, der rein prinzipiell wegen seines erastianischen Einschlags abzulehnen ist, erhält damit eine gewisse praktische Rechtfertigung. Auf alle Fälle ergibt sich, daß das überlieferte Staats- und Landeskirchentum überlebt, ein zu überwindendes ist. Das oekumenische Kirchenrecht ist das weitgehend noch unbestellte Feld der Zukunft, eine säkulare Aufgabe der Kirchenrechtslehre und Kirchenrechtsgestaltung, die Bewährungsprobe einer Kirche, die an ihrem Gegenüber nicht vorbeisehen kann und darf. In einer nicht mehr teilbaren Welt wird sich die Kirche daran erinnern müssen, daß ihre leibhaftige Einheit, die konstitutive Interdependenz aller ihrer Glieder ihr eigenstes Merkmal ist, — und das sie selbst durch ihre eschatologische Geschichtlichkeit entscheidend zur Entstellung dieser ungeteilten Welt beigetragen hat. Es wäre seltsam, wenn die Welt das besser begriffe als sie selbst.
Es ist an der Zeit, hier neue Konzeptionen zu entwickeln. Weder kirchliche Herrschaft oder Vorbildlichkeit, noch die mehr oder minder enge Nebeneinanderstellung zweier verschiedener Regimente bietet uns heute das Verständnis der Lage. Es ist eine eigentümliche Bezogenheit, in welchem die Kirche der Welt und dem Staat wesentlich mit ihrem geistlichen Sein dient, jene aber der Kirche nicht nur durch eine gutwillige Aufnahme, sondern auch durch ihr Entgegenstehen als eine Wirklichkeit, an der sie sich bewähren muß. Dieses Verhältnis überschreitet die alten Begriffen und Alternativen von Herrschaft und Dienst.