3. Begriff und Bedeutung der Ordnung in der Kirche

Wenn hier von Ordnung gesprochen wird, so kann es nicht um den bequemen Sammelbegriff gehen, der es uns erlaubt, eine komplexe Fülle von zu klärenden Fragen und Bereichen möglichst unanstößig und ohne Vorwegentscheidung zusammenzufassen. Es muß sich hier um präzisere Bestimmung und Beurteilung handeln10.

Wie H. v. Campenhausen hervorhebt, weist die Bibel das Wort Ordnung (taxis) nur einmal (1. Kor. 14, 40) auf. Als Gegensatz von Unordnung erscheint nicht die positive Ordnung, sondern der Friede Gottes (ebda 33). Auch das frühchristliche Schrifttum hat ein bemerkenswert geringes Interesse an der Ordnung, ausgenommen etwa Clemens Romanus.

Die Beschränkung der Betrachtung auf den freilich seltenen Begriff der taxis, unter Ausscheidung alles dessen, was die Begriffe Gerechtigkeit, neue Schöpfung und ähnliche zentrale Aussagen für die Ordnungsfrage austragen, verengt die Gesichtspunkte aber doch von vornherein sehr stark.

Campenhausen wendet sich lebhaft dagegen, die „rechte Ordnung” als solche für einen wesentlichen Halt anzusehen und zu einem Inhalt der Verkündigung zu machen, aber auch gegen die Abhängigkeit des Gegensatzes in einem verzerrten Protestantismus, der die Ordnung einschränkt, für gleichgültig erklärt oder auch zerstört. Er bekämpft das „modern-protestantische Vorurteil, jede bestimmte Bejahung kirchlicher Ordnung, die nicht sogleich unter einen ausdrücklichen Vorbehalt gestellt wird, müßte schon als solche des Teufels und gegen die Freiheit

|1010|

Gottes und seines souveränen Wortes gerichtet sein. (In Wirklichkeit dürfte der Satz höchstens umgekehrt lauten: daß jede Ordnung, die der Freiheit der Christuswahrheit nicht ausdrücklich vorgeordnet und in diesem Sinne entgegengesetzt wird, theologisch als möglich und bis zum Erweis des Gegenteils als erlaubt zu gelten habe — andernfalls könnte nicht einmal das Neue Testament und nicht einmal der Apostel Paulus von unseren ultraprotestantischen Forderungen bestehen bleiben).”11

Eine solche Umkehrung der Beweislast, wie der Jurist sagen würde, bedeutet gerade als Faustregel einen Fortschritt, wenn damit freilich die tiefeingewurzelte Lust am Untergang nicht beseitigt wird, aus der jene Haltung sich immer erneuert. Mit der paulinischen Entgegensetzung von Unordnung und Frieden sei, so fährt er fort, das Verhältnis von Ordnung und geistlichem Leben klassisch bezeichnet. Denn die Kirche sei durch den bestimmten Geist und eine bestimmte innere Ordnung der Liebe immer schon geordnet und verfaßt. Campenhausens Charakteristik der konkreten Ordnungsgrundsätze und Grundauffassungen habe ich schon früher wiedergegeben und besprochen12.

Nach H. Bornkamm hat der Ordnungsbegriff noch zur Zeit der Reformation eine sowohl aktive wie statische Bedeutung gehabt, das Ordnen wie das Geordnetsein. Bis zur Moderne habe die aktive Bedeutung die Vorhand gehabt. Jetzt können wir diese aktive Bedeutung nur noch bei Vorordnung einer bestimmenden Silbe (Anordnung, Verordnung, usf.) verstehen — Ordnung für sich allein sei der Ausdruck für einen idealen Zustand oder Relationen, Rangfolgen usw. In der Rechtssprache werde er nur noch als schriftliche Verfügung verwendet: Städteordnung, Stafprozeßordnung. Diese Verwandlung einer Doppelbedeutung mit starker aktiver Tendenz in einen Formalbegriff bedeute für Kirchenordnungen und kirchliche Lebensordnungen einen gefährlichen Sog in das gesetzlich Fixierte.

Die Betrachtung rückt damit zu Recht das Problem in einen geschichtlichen Zusammenhang. Die Deutung der modernen Rechtssprache geht freilich fehl. Verfügung ist in ihr immer ein Einzelakt. Ordnung dagegen ist regelmäßig eine Verfahrensordnung, nicht ein materielles Gesetz. Das Bürgerliche Gesetzbuch handelt von Rechten, die ich habe, auch wenn ich sie im Moment nicht geltend mache, also Rechtsbeständen. Die Zivilprozeßordnung dagegen regelt ein Verfahren, welches ohne Aktualisierung, ohne Führung auf ein Ziel überhaupt nicht existiert. Ebenso regelt die Städteordnung Verwaltungs- und Haushaltsführung usw. Ordnung im Rechtssinne ist also auch heute Tun, Vorgang, nicht Zustand, freilich ein von vornherein geregeltes. Von dem älteren Rechtszustand, den Bornkamm im Auge hat, unterscheidet sich die heutigen Auffassung dadurch, daß es eine allgemein diskretionäre Ordnungsgewalt der Regierung nicht oder nur noch in geringen Resten gibt, und daß einzelne

|1011|

Ordnungsakte grundsätzlich in nachprüfbarer Weise auf der Grundlage von Verfahrensordnungen ergehen. Insofern und nur insofern ist ein personales Moment in unserem Rechtsdenken ausgeschaltet oder zurückgedrängt.

Im ganzen stimmen beide Autoren etwa in folgendem doppelten Grundsatz überein: Die Ordnung ist für die Kirche sekundär zu ihrem geistlichen Leben, — aber sie ist notwendig und hat keineswegs als solche die Vermutung der Geistwidrigkeit gegen sich.

Das eigentliche Anliegen des Juristen ist indessen die Ordnung, auch für das Kirchenrecht, nicht. Die Ordnung ist dem Juristen ebenso sekundär im Verhältnis zum Recht wie dem Theologen das Gesetz im Verhältnis zum Evangelium. Und nur insofern Evangelium und Recht etwas miteinander zu tun haben, hat es Sinn und Wert, vom Kirchenrecht als Ordnung zu sprechen. Die Ordnung um der Ordnung willen kann man überall den Subalternen überlassen. Geht es dem Theologen um das Evangelium und den Geist, so geht es dem Juristen um das materielle Recht und die Vollmacht, es zu gestalten, zu handhaben und durchzusetzen — insbesondere auch in der Kirchenrechtslehre.

Ist also von beiden Standpunkten aus der Ordnungsgedanke sekundär und haben die Theologen zwischen Absolutsetzung und Auflösung der Ordnung eine wohlerwogene, nach beiden Seiten kritische Mittelposition bezogen, so ist doch damit der Grund noch keineswegs erfaßt, der es überhaupt sinnvoll erscheinen lassen kann, der Ordnung — oder besser nun — dem Recht in der Kirche ein sehr viel höhere Bedeutung beizumessen.

Wenn wir Recht und Ordnung unterscheiden oder im gleichen Sinne Recht als eine qualifizierte Ordnung verstehen, so geht es offensichtlich um eine vom Inhalt bedingte stärkere Verbindlichkeit. Im Recht überwiegt der Gedanke der Richtigkeit und Wahrheit und damit der Unbedingtheit, in der Ordnung derjenige der Zweckmäßigkeit und Freiheit. Völlig läßt sich beides nicht trennen. Denn das Recht enthält ein Moment der Zweckmäßigkeit: es muß viele Dinge so oder so entscheiden, um zu Ende zu kommen, ohne daß die inhaltliche Entscheidung immer selbst zwingend notwendig ist. Andererseits gibt es rein formale, nicht an inhaltlichen Maßstäben ausgerichtete Ordnung ebensowenig. Das Recht könnte in seiner Striktheit die Freiheit und freie Zweckmäßigkeit allzusehr und von vornherein einschränken, die nur zweckmäßige und frei veränderliche Ordnung den wesentlichen Inhalt, um den es ihr selbst geht, zu leicht nehmen, und gerade Willkür und Eigensucht zu bändigen außerstande werden. Recht und Ordnung sind in diesem Sinne korrelative Grenzbegriffe.

Extrem und sinnwidrig getrennt, gehört das Recht dem Metaphysiker, die Ordnung dem Agnostiker. In der Sache stehen wir zwischen beidem, wie wir „zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus” stehen.

|1012|

Karl Barth, der Recht und Ordnung synonym verwendet, hat diese Frage angeschnitten, wenn er das Kirchenrecht als liturgisches Recht bezeichnet hat. Denn der christliche Gottesdienst kann zwar außerordentlich verschiedene Formen, aber doch nur einen Inhalt haben — und er kann vor allem fremdem Geist, fremder Freiheit, fremder Bindung an keiner Stelle auch nur den geringsten Raum gewähren. Dies läßt jedenfalls Ordnung wie Recht, wie immer verstanden, an sehr bestimmten Grenzen auf alle Fälle zu Unbedingten werden. Es ist keine diskutable Möglichkeit kirchlicher Ordnung, auf den Namen des Wahren, Guten und Schönen zu taufen. Diese Ausschließung mag noch vergleichsweise leicht zu vollziehen sein: wie ist es, wenn eine sonst unanfechtbare Ordnung der Kirche gewissen Dinge einfach stillschweigend unter den Tisch fällen läßt? Wenn etwa die oekumenische Verbundenheit, die Paulus seinen Missionsgemeinden so dringlich und verpflichtend vorhält, doch nicht mehr als ein Lippenbekenntnis bei praktisch unbegrenzter Autonomie ist? Wie dann, wenn lauter legitime Rechte in der Ordnung berücksichtigt sind, aber die unbequemen, alle diese Rechtsträger angehenden Verpflichtungen nirgends einen geborenen Anwalt und Sprecher haben? Pneumatische Freiheit, geschichtliche Wandelbarkeit, grundsätzliche Offenheit als unverzichtbare Merkmale sagen insgesamt noch nichts darüber aus, ob es ebenso unverzichtbare Grundlinien gibt, ohne die nun die Kirche nicht wohl Kirche bleiben kann, sondern fremder Macht und eigener Willkür anheimfällt, und beides ist theologisch geurteilt wohl das gleiche. Die von Campenhausen erhobenen und als durchaus evangelisch anerkannten Ordnungsgrundsätze der alten Kirche sind eben nun weder zufällig noch nur zeitbedingt und beliebig ersetzbar, verzichtbar.

Nach der früheren Erwägung ihres positiven Zusammenhangs13 frage ich hier nur negativ: was ist denn bei aller Wandelbarkeit von jenen Grundsätzen eigentlich überholt und etwa entbehrlich — auch wenn sie der Übersetzung in unsere Lebensformen bedürfen? Wie, wenn wir nur eine gebrochene, verengte Tradition (des biblischen Kerygmas selbst!) eine nur unverbindliche, ungeordnete Solidarität besitzen und betätigen?

Nicht als ob man etwas durch Anordnungen festhalten könnte, was im Geist und in der Liebe nicht lebt. Aber muß man von der Stadt auf dem Berge alles Wasser erst hinablaufen lassen, um es mitten durch die Belagerer hindurch mühsam und gefahrvoll erst wieder heraufzutragen? Gibt es nicht, wie in jedem Leben, im Leben der Kirche wesentliche Erfahrungen, solche nämlich, welche sie mit dem Heiligen Geste und sich selbst gemacht hat, hinter die sie nicht zurückkann? Und gibt es nun — gewiß kein Idealsystem — aber um so mehr gewiß einzelne, zur allgemeinen Anerkennung gekommene Grundsätze und Entscheidungen, wie diejenige über die Ketzertaufe, die um so sorgfältiger zu bewahren sind, je hoffnungloser die Kirche zerteilt ist?

|1013|

Die strenge Unbedingtheit der Ordnung rechtfertigt sich nur unter der Voraussetzung, daß die Ordnung selbst ein materiales und deshalb auch von seinem Grunde her gerechtfertigtes Recht besitze, darstelle und repräsentiere. Das setzt wieder voraus, daß der Grund in der Ordnung abbildbar oder der Inhalt offenbar ist, in jedem Falle gleichviel wie — charismatisch, meditativ, rational — erkennbar ist. Drückt dann die Ordnung das so begründete materielle Recht aus, so muß sie es auch unverbrüchlich tun. Man sieht aus dieser Erwägung, warum etwa der platonische Abbildgedanke so wirksam zu einer Bedeutungssteigerung von Formen und Ordnungen führen kann, jedoch nicht ohne ein Moment der Relativierung, durch den Abstand zwischen Urbild und Abbild. Sehr viel stärker dagegen mußte die frühzeitig in der Tradition des römischen Denkens in der lateinischen Kirche sich durchsetzende Interpretation des Evangeliums als geoffenbartes, normativ strukturiertes Gesetz Christi als des legislator die Unbedingtheit der Ordnung mit einem Gefälle zur Absolutheit hervortreten lassen.

Bei der Beurteilung der Ordnungsfrage in der frühen Kirche kommt die in allen jungen Gemeinschaften anzutreffende selbstverständliche Deckung von Lebensordnung und Gemeinschaftsinhalt in Anschlag. Campenhausen wundert sich darüber, daß die Urchristenheit im Vergleich zum zeitgenössischen Judentum sehr wenige explizite Ordnungen hervorgebracht habe. Das erklärt sich völlig daraus, daß dieses Judentum eben Spätjudentum, die Christenheit Frühchristenheit war. In dieser selbstverständlichen Deckung ist eine beträchtliche Beweglichkeit und Variationsbreite stillschweigend inbegriffen. Eine eigentlich kritische Relativierung wie die der reformatorischen Väter, aber auch der von Campenhausen abgelehnten Kritizisten setzt eine herausfordernde Überbildung des Ordnungsgedankens voraus, gegen den sich diese Kräfte wenden, grundsätzlich aber eine Spaltung von Innen und Außen, welche dem Denken der Frühkirche wie allen jungen Gruppen fernliegt. Zwischen Haltung und Situation der Urkirch und Frühkirche und der des Protestantismus besteht trotz der Rückorientierung des letzteren eine unüberbrückbare Differenz. Sie wird in der unwiederbringlich verlorenen Unbefangenheit und Vielfalt jener Zeit, aber auch darin sichtbar, daß unsere Autoren einen ziemlich hoffnungslosen Zweifrontenkrieg führen müssen, in welchem sie nicht erwarten können, das gefährliche Gefälle einer Kritik in Permanenz wirksam zu überwinden. Auch die wohlabgewogene und vernünftige Position der Vorträge Campenhausens und Bornkamms ist nicht die biblische. Sie ist eine geschichtliche des 20. Jahrhunderts, die ihre Prägung durch die Kontroverslage des 16. Jahrhunderts erfahren hat und deshalb alle Mühe hat, auch nur voll in unsere Zeit hineinzukommen. Kein Rückgriff auf die Schrift, kein biblisches Vorbild befreit uns von dieser Gebundenheit in unser eigenes Zeitalter, wenn wir uns nicht von vorwärts befreien. Ex

|1014|

voto vermögen wir jene Vorzüge der frühen Kirche nicht wiederzugewinnen. Unser Verhältnis zu Bindung und Freiheit ist gespalten.

Jede noch so wohlbegründete Neubildung treibt jenen Kritizismus hervor, dessen abstoßende Züge Campenhausen so lebendig geschildert hat. Dieser wiederum bringt die Versuchung zu romantischen Rücksicherungen und Fluchtbewegungen. Auf der anderen Seite aber sind wir der vorfindlichen Gestalt des überlieferten Kirchenwesens in einem Maße verhaftet, welches selbst die notwendigsten Vorwärtsentwicklungen ausschließt, obwohl theoretisch der relative und dienende Charakter aller Ordnung betont wird. Diese Betonung ist eine platonische. Sie dient nur dazu Verpflichtungen zu bestreiten, aber niemals solche zu bejahen und zu erfüllen. Diese Haltung ist keineswegs allein oder auch nur in erster Linie Sache der vielgeschmähten Verwaltungen. Sie liegt in der Haltung der ganzen Kirche, die sich vom Verfügbaren in Wahrheit beherrschen läßt, liegt ebensosehr in dem Immobilismus und oft dazu in der primitiven Eigensucht lokaler Größen, denen nirgends eine zur Forderung legitimierte Autorität gegenübersteht. Gerade wo es um verfügbare Dinge geht, läßt man sich am wenigsten sagen. Selbst bei uns gibt es eher Autorität in Glaubensfragen als in den Ordnungsfragen, die einer kirchenzerstörenden Autonomie preisgegebne sind.

Zwischen Immobilismus und Aktualismus ist also die Kirche tief gespalten. Ihr Verhältnis zum eigenen Ordnungsproblem, ihre Unfähigkeit sich selbst zu ordnen zegt, daß sie das Problem nicht im biblischen Sinn neu verstanden, sondern nur reaktiv geantwortet hat. Deshalb ist die Frage nach Bindung und Freiheit nicht die uns wirklich treffende. Nicht der fremde Vorwurf trifft uns durch Kritiker, gegen deren eigene Fehler wir uns dann wieder wehren. Es hilft uns nur die eigene Besinnung darauf, wo wir im strengen Sinne häretisch geworden sind. Wenn wir mit der Schilderung der alten Kirche durch Campenhausen die heutige Ordnungsproblematik, unsere Lage und Haltung vergleichen, so merken wir, wie weltenfern wir jenem Geiste sind, und daß uns weder die Schrifttheologie noch eine lebendige Kirchengeschichtsforschung in jene Lage und Haltung zurückbringen. Worin aber unterscheiden wir uns eigentlich?

Die alte Kirche war unermüdlich beschäftigt mit den öffentlichen Geheimnissen der Dreifaltigkeit und der Fleischwerdung, sie dogmatisierte, spekulierte, meditierte, feierte sie. Sie wußte ihr Heil in ihnen begründet und eingeschlossen, sie hatte nicht Sorge, daß der Mensch Gott nichts darbringen könnte und zu Unrecht versuchte: sie pries und rühmte sie mit allen neu befreiten Kräften überschwenglich. Sie brauchte nicht, mit Wilhelm Niesel, einen „Anbetungsteil” im Gottesdienst zu vermeiden, weil all ihr Tun und freilich ihr vielfältiges und ausdrückliches Handeln eine Doxologie war, die doxologische Dimension besaß, die Schlink für die große Bekenntnisbildung aufgewiesen und deren

|1015|

späteren Verlust er mit Besorgnis verzeichnet hat. In ihrem Herzen, in ihrem Ohr, in ihrem Munde war der eschatologische Lobpreis der Ältesten vor dem Throne des Lammes. Sie war nicht in Methodenlehre, Hermeneutik, Kybernetik, Existenzialinterpretation unablässig mit sich selbst beschäftigt, weder mit sich selbst als Kirche noch mit sich selbst als einzelnen, als dem Ziel so großer göttlicher Veranstaltungen. Sie wußte dies alles darin eingeschlossen und in jedem Sinne aufgehoben. Und wo ihr Schatz war, da war auch ihr Herz und damit auch ihr glaubensmäßiges und theologisches Interesse. Sie war weder im kollektiven noch im individuellen Sinne anthropozentrisch — eben darum brauchte sie keine Sorge um die Souveränität Gottes zu haben, dessen Geheimnis offenbar geworden war und dessen Offenbarheit seinem Geheimnis nichts nahm. Weil der Mund der befreiten Gefangenen Zions voller Rühmens war, waren sie frei auch von dem Elend einer so unendlich kleinkarierten Ordnungsproblematik voller Angst und Kompliziertheit. Deswegen brauchte sie das Thema von Bindung und Freiheit nicht zum Gegenstand von ernsthaften Synodalberatungen zu machen. Was würden die Väter von Nicaea oder Chalcedon über so etwas gesagt haben!? Darum besaß sie Entschiedenheit und Offenheit, wagte sie im Vertrauen auf den verheißenen Beistand des Heiligen Geistes Entscheidungen in eine offene Geschichte hinein, von denen wir heute noch zehren. Weil sie an den Heiligen Geist glaubte, entschied sie und brauchte keine Infallibilität. Darum besaß sie Kraft und Maß der Ordnung zugleich, darum besaß sie Vollmacht. Darum geht es auch dem Kirchenrecht heute nicht um Ordnung oder Ordnungen, sondern um eine kopernikanische Wendung unseres geistlichen Lebens und kirchlichen Handelns. Darum unterbietet der Begriff Ordnung so sehr den Begriff des Rechtes — hier des Rechtes Gottes und des Kirchenrechtes als einer einzigartigen, geschichtlich unvergleichlichen Frucht des trinitarischen Glaubens14. Darum läßt dieser Begriff nicht einmal mehr die Würde des Rechts als innerweltlicher Erscheinung sichtbar werden, auf die wir freilich mit allem Glanz dieser Welt verzichten können und müßten, wenn nicht eben die Heilige Schrift selbst in den Kategorien des Rechtes unsere Schuld und unser Heil ausdrückte.