2. Die soziologische Struktur der kirchlichen Ämter

Wir verdanken Rudolf Smend den wichtigen Hinweis, daß sowohl Staat wie Kirche sich wesentlich in ihren Ämtern darstellen6. Es ist nicht so, daß beide an sich vorhanden sind und dann die Ämter als Funktionen aus sich herausstellen. Diese Vorstellung ist dem Subjekt-Objekt-Schema verhaftet und der Wirklichkeit durchaus unangemessen. Smend hat in diesem Zusammenhang auch bemerkt, daß selbst der moderne CIC ein in diesem Sinne noch sehr beachtliches personales Ämterrecht enthalte. Er ist trotz aller Systematik kein einheitliches Gefüge, sondern enthält Bestimmungen sehr verschiedener Struktur.

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Die Ämter, die die Kirche als charakteristische hervorgebracht hat, sind über die eingeschlossenen Funktionen hinaus Typen mit einer bestimmten historischen Kontingenz, damit auch prägende Vorbilder für eine ganz bestimmte Haltung im Amte. Diese Ämter haben Namen, die nicht belanglos sind. Eine reine Funktion ohne diese kontingente Typizität der Ausprägung gibt es nicht und kann es nicht geben, weil der Mensch in der Geschichte lebt und die bloße Funktion geschichtslos ist. Wird versucht, von dieser Kontingenz eines Typus als Inbegriff von geprägten Verhaltensweisen und Wertvorstellungen abzusehen und zur sachlich reinen Funktion zu kommen, so setzt sich entweder eine neue Kontingenz des Typus gegen diese lebensfremde Theorie durch oder es bildet sich bei radikaler Durchführung der geschichtlos negative Typus des Funktionärs, in der stärksten Steigerung der Apparatschik. Je mehr mit rationalem Pathos und unpersönlicher Ausschließlichkeit die Sache groß geschrieben wird, verzerrt sich der Typus ins Unmenschliche.

1. Die im NT bezeugten kirchlichen Ämter zeigen eine große Vielfalt der Ansätze, sind aber im einzelnen noch nicht im Sinne der Ausschließlichkeit umrissen. Eines der aus dieser Fülle mit größter geschichtlicher Wirkung und scharf geprägt hervortretenden Ämter ist das Bischofsamt. Es ist monarchisch insofern, als nach kurzen Anfangszeiten in den einzelnen Gemeinden immer nur ein einzelner Bischof die Leitung gewinnt. Sowohl Hilfsbischöfe, Suffragane und Weihbischöfe wie Landbischöfe (Chorbischöfe) treten nur in grundsätzlicher Nachordnung auf. Aber das Bischofsamt ist insofern nicht in der Analogie zum Fürstentum monarchisch, als es sich von vornherein immer und konstitutiv als der Bischofsgemeinschaft zugehörig verstanden hat. Eine Anschauung, welche allein nach den Verrichtungen des Bischofsamts in der eigenen Gemeinde und Diözese fragt, wird dem Sachverhalt nicht gerecht. Die Lebensform der Bischofsgemeinschaft ist Synode und Konzil. Aber Synode und Konzil sind kein Organ der Kirche. Sie sind selbst wie jede gottesdienstliche Gemeindeversammlung ekklesia, darin gleichen Wesens mit der universalen Kirche, die vor dem Jüngsten Tage nie versammelt werden kann, wie der winzigsten Gemeinde. Die Bischofssynode ist dahr auch keine Repräsentativversammlung. Ein jeder Bischof sitzt in ihr kraft eigenen Rechtes und Amtes. Eigenart und Wertung zeigen sich darin, daß die großen oekumenischen Konzilien im Titel nach der Zahl der versammelten Bischöfe genannt werden. Die Zahl der Versammelten entwertet nicht die Bedeutung des einzelnen, sondern steigert sie und das Ganze, der personale Charakter wird nicht gemindert, sondern eher verstärkt.
Die geschichtlich-kontingente Entscheidung, die Zahl der Bischöfe nicht mehr unbegrenzt entsprechend der Zahl der Gemeinden zu vermehren, sondern auf die städtischen Vororte zu beschränken, hat das

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Bischofsamt recht eigentlich erst oekumenisch funktionsfähig gemacht und die oekumenischen Konzile ermöglicht, denen wir die klassische altchristliche Bekenntnisbildung verdanken. Es ist schlechterdings nicht zu sehen, wie ohne diese Formbildung die Kirche hätte entscheidungsfähig sein können. In dieser Form hat seither das Bischofsamt eine außerordentliche Fortpflanzungsfähigkeit bewiesen. Wie ein Gefüge von Waben verschiedener Größe reihte sich nun durch die ganze Christenheit Diözese an Diözese. Die Einheitlichkeit der Amtsform und die biegsame Veränderlichkeit der Diözesengröße waren die beiden Bedingungen für diese Ausbreitung. Nicht allein die lateinische und griechische Kirche, sondern auch alle von der orthodoxen Kirche getrennten Kirchengemeinschaften haben diese form mit dem größten Erfolg verbreitet. Die nestorianische Mission gründete vom 7. bis zum 14. Jahrhundert Bistümer von Vorderasien über Karakorum bis an den Hoang-ho. Anglikaner und nordische Lutheraner haben diese Form bewahrt. Allein die calvinistisch-puritanischen Kirchengemeinschaften haben diese historische Form aufgegeben. So ist der Episkopat die eine große gesamtkirchliche Amtsform. Es wird nicht mit Unrecht gesagt, daß das Bischofsamt im lutherischen Superintendentenamt fortgelebt habe. Der wesentliche Unterschied besteht aber darin, daß dieses Amt nicht mehr in realer Oekumenizität lebte und sich verstand. Die Superintendenten der verschiedenen Territorien standen nicht mehr in kirchlicher Gemeinschaft. Der Territorialismus hatte mit einem Federstrich die Oekumene zerschlagen. Aber die Theologie erkannte noch nicht einmal den grundlegenden Bedeutungswandel, der darin lag. Die dogmatische Gleichsetzung von Bischofsamt und Pfarramt vollends hat den Blick für die Unterschiedlichkeit der Bezüge wie der Größenordnungen und die dadurch bedingte qualitative Verschiedenheit verloren. Man wurde dadurch nicht bescheidener, sondern nahm im Gegenteil in aller bürgerlichen Devotion eine souveräne Unabhängigkeit in Anspruch, welche die alte Kirche nie einem Bischof zugebilligt hat und die praktisch nur für die Großbischöfe der historischen Patriarchate und einige nationale Kirchenhäupter bestand.

2. An umfassender, geschichtlich-soziologischer Wirkung ist mit dem Episkopat allein der Presbyterat zu vergleichen. Er tritt von Anfang an in zwei Formen auf, dem geehrten und bewährten Ältesten ohne eigentliches Amt und dem Amtspresbyterat, welches das Bischofsamt aus sich heraus entlassen hat. Durch dessen geschichtliches Übergewicht ist der Presbyterat auch als Amtsform in seiner Bedeutung herabgedrückt worden und hat sich als ein verdrängtes, aber wesentliches Moment in der Reformation wieder zum Wort gemeldet. Der Calvinismus hat mit einer gewissen biblizistischen Naivität vier biblische Ämter wieder zu errichten unternommen, die leitenden und die lehrenden Ältesten, die Doktoren und Diakone. Allein das

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Bischofsamt, ebenso gut biblisch bezeugt, hat man als verderbt beiseitegelassen oder mit jenen Ämtern gleichgesetzt. Aber diesen vier Ämtern zum Trotz ist prägend gerade das Presbyteramt als Einheitsform geworden. Es geht von der Glaubensbewährung aus und sucht mit möglichster Kraft auch den Amtspresbyterat in sich hineinzuziehen. Dem entsprechen bis heute die Wertungen der Ämter in den Gemeinden reformierter Tradition. Seine geschichtliche Wirksamkeit verdankt dieser Presbytertypus, wie das Bischofsamt, seiner Biegsamkeit und unbegrenzten Fortpflanzungsfähigkeit. Man muß dazu eine heutige Kreissynode am Niederrhein ansehen. Ihr gehören alle Pfarrer, Älteste aus jeder Gemeinde, daneben aber ebenso zahlreiche Inhaber sonstiger Ämter an. Wer irgendwo hervorgetreten ist, wird hineingenommen, und alle werden durchgängig als Presbyter verstanden. Wie ehedem die Bischofsversammlung ist die Synode jetzt eine allgemeine und gleiche Presbyterversammlung.

3. Die Tragweite dieser Bildung erkennt man erst durch den Vergleich mit der eigentümlich lutherischen Amtsform. Die lutherische Kirche hat aus dem bekenntnismäßig geforderten Predigtamt als typische Form der Pfarrer als Amtspresbyter entwickelt. In diesem Pfarramt der lutherischen Kirche, das auch in den landeskirchlichen Calvinismus hineingewirkt hat, sind drei Elemente verschmolzen: das altkirchliche Amtspresbyterat, das Pfarramt der Pfarrherrn und Leutpriester, welches sich vom Druck der hohen Prälatur befreit hat. Es ist sodann ein akademisch-humanistischer Typus, der zeitlebens fast in gleichem Maße civis academicus ist wie Glied der Kirche, der die Schultheologie, von der er geprägt ist, nach bestem Vermögen weiterträgt. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis ist meist stärker als die schwache oder mißverstandene und abgewertete geistliche Zuordnung innerhalb des kirchlichen Amtsgefüges. Die Klammer um das Ganze und das formbildende Gepräge für den Typus stammt jedoch deutlich aus der Tradition der spiritualen Bettelorden des Hochmittelalters. Deren Ämter sind funktionale Ämter ohne Ordo, in entscheidendem Gegensatz gegen den bischöflichen Typus des benediktinischen Abtes und der älteren Orden. Die spiritualen Orden sind typisch bürgerliche Erscheinungen. Sie entstehen in den großen Stadtbürgerschaften in der Zeit der beginnenden Geldwirtschaft. Sie nehmen sich predigend und missionarisch der jetzt entstehenden, von der hierarchisch-ortsgebundenen Kirche nicht hinreichend erfaßten städtischen Massen an. Die typologische, geistige und soziale Verwandtschaft zwischen den Bettelorden und der Reformation ist sehr groß, nur mit dem Unterschied, daß jene trotz schärfster theologischer und morphologischer Gegensätze nie aus der Kirche ausgebrochen sind. Aus ihrem Kreise stammt der kirchenpolitische Kampf mit dem Kaiser gegen den Papst, etwa im „Defensor pacis” des 14. Jahrhunderts. Mit dieser Amtsform sind vor allem aber

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die Lebensformen der Kleinkirche auf die Lebensverhältnisse der Großkirche übertragen worden. Was in so engeren und spiritualen Gemeinschaften unter besonderen sozialen und geistigen Bedingungen tragfähig ist, ist es noch nicht ohne weiteres in der vollen Öffentlichkeit der Volkskirche und im gesamtkirchlichen Gefüge. Aus der unbewußten Übertragung der Strukturformen der Kleinkirche auf die Großkirche und auch nominalistischen Einschlägen der Theologie erklärt sich das Fehlen geeigneter großkirchlicher Lebensformen, einer Kirchenrechtsform, welche oekumenisch tragfähig ist.

Die Mischung jener drei Elemente ist freilich neu; sie hat einen neuen bleibenden Typus mit vielfachen Vorzügen und Schwächen hervorgebracht. Er ist über seine nachweisbaren Elemente hinaus etwas Singuläres. Aber ohne jene Elemente zu beachten, ist er überhaupt unverständlich. Am allerwenigsten ist hier etwas gänzlich Neues oder das Amt der Kirche in seiner grundsätzlichen Reinheit oder gar eine biblische Form entstanden. Die berechtigte Würdigung der großen Leistungen dieses reformatorisch-bürgerlichen Amtstypus, aber auch arge Lobrednerei, vor allem aber die irrtümliche Annahme eines völligen Neuansatzes, hat die Erkenntnis dieses Tatbestandes hintangehalten. Damit sind aber die soziologischen Merkmale nicht erschöpft. Dieses Pfarramt hat nicht die gleiche Ausbreitungsfähigkeit besessen. Das calvinisch-puritanische Presbyterat hat sich in immer neuen Abwandlungen durch eine sehr große Zahl von Kirchengemeinschaften fortgepflanzt und die Einbeziehung zahlreicher aktiver Laienchristen in die Verantwortung begünstigt, während dabei die gebotene Grenzziehung oft verlorengeht. Anders dieses Pfarramt. Es steht gewissermaßen zwischen Bischofsamt und Presbyterat. Es hat Elemente von beiden, aber, wie viele Kreuzungen, mehr die Schwächen als die Vorzüge. Es ist vermöge des Erfordernisses akademischer Vorbildung und förmlicher Ordination verhältnismäßig exklusiv, aber nicht so exklusiv und hervorgehoben wie das Bischofsamt. Es erlangt nicht den Rang, Typus und Nimbus wie dieses und auch vermöge der großen Zahl seiner Glieder nicht die tradierten Fähigkeiten des geistlichen Regiments in größerem Rahmen. Das macht sich bei der Neubildung des evangelischen Bischofsamt empfindlich bemerkbar. Aber es ist andererseits auch nicht allgemein und demokratisch genug, um die Schranken eines sehr begrenzten Standes zu überspringen, sein eigenes Monopol preiszugeben. Es ist außerstande, in größerem Maße aktive Christen in den Bereich seiner Formung einzubeziehen. Es ist weder aristokratisch noch demokratisch genug, um geschichtlich und soziologisch über sich hinaus formkräftig und wirksam zu sein. So bleibt es bei aller Dienstwilligkeit seltsam auf sich selbst beschränkt. Darin liegt seine Schwäche, die durch die Abhängigkeit vom Akademischen noch entscheidend verstärkt wird.

Von jeher ist an der Tatsache Kritik geübt worden, daß die zweifellos

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in der Bibel vorhandene Pluralität der Ämter sich mit einem so ausschließenden Anspruch in den monarchischen Episkopat verwandelt habe. Die lutherische Theologie hat dies mehr dazu benutzt, die Notwendigkeit des historischen Episkopats zu bestreiten. Der Calvinismus hat bewußt gegen das monarchische Element das collegiale gesetzt. Mit diesen Alternativen ist der soziologische Tatbestand und das in ihm liegende Problem nicht erschöpft und erfaßt. Es wird nämlich regelmäßig übersehen, daß es den altkirchlichen Bischof (von Ausnahmen abgesehen) niemals ohne den Klerus gegeben hat.

Trotz seiner monarchischen, patriarchalen Autorität steht er immer innerhalb eines ihm direkt zugeordneten Körpers, niemals isoliert. Daraus ergibt sich eine bestimmte Verfassungsproblematik. Es war ausgangs des Mittelalters durchaus nicht ausgemacht, ob nicht der Diözesanbischof vom Archidiakon verdrängt werden würde. Der Calvinismus hat nun durch die Pluralität der Ämter und sein Collegialprinzip ein für das Leben der Kirche und das Amt durchaus fruchtbares Prinzip aufbewahrt. Das Luthertum dagegen hat mit der Lehre von dem einen (Predigt-)Amt keinen konstitutiven Ansatz für eine Zuordnung der Amtsträger gelassen, sondern mit einer gewissen souveränen Mißachtung der konkreten Lebensbedingungen des Menschen — auch gerade des geistlichen Menschen! — einen einzigen und im Grunde immer nur in einem einzelnen Exemplar vorkommende Volltypus des Amtes geschaffen, der sinngemäß seine Pfarre oder seinen Sprengel für sich hat. Indem es ohne Rücksicht auf die gesamtkirchliche Bedeutung des Bischofsamtes Bischof gleich Pfarrer, Pfarrer gleich Bischof setzte, übernahm es den monarchischen Episkopat in der Form, in der er am meisten gefährdet war, ohne Ausgleich. Im Grunde sind in der Ämterlehre der beiden reformatorischen Kirchen der monarchische Bischof auf der einen und der bischofslose Klerus auf der anderen Seite auseinandergefallen, und zwar im wesentlichen auf der Gemeindeebene verstanden. Während bisher der Episkopat den Klerus (der Gemeinde bzw. Diözese) bestellte, aus sich heraussetzte, erschien jetzt die Gesamtkirchenleitung als eine Sekundärbildung, eine Art Oberbau über den Gemeinden. Je stärker das Bischofsamt isoliert und überhöht wurde, desto stärker war der Umschlag. Aber eben dieser Umschlag ist keine Lösung des Verhältnisses von personaler Verantwortung und Gemeinschaftsbindung wie von Gesamtkirche und Gemeinde. Solchen Einsichten steht am allermeisten die dogmatische Unbedingtheit entgegen, mit der etwa die Lehre vom einen Amt oder von der Ausschließung monarchischer Elemente vertreten wird. Im Zeitalter der Soziologie muß man sich jedoch mit solchen Zusammenhängen auseinandersetzen.

Bekanntlich ist in der alten Kirche der Satz geprägt worden, daß die Kirche „super episcopos” konstituiert werde. Die Dogmatiker mögen über diesen Satz streiten. Der Soziologe muß feststellen, daß die großen

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Kirchenbildungen sich durch die Voranstellung eines maßgebenden Leitbildes vom Amt gebildet haben, die alte Kirche über den Episkopat, der Calvinismus über den Presbyterat, beide mit den entsprechenden Synodalbildungen. Es gehört eine gewisse geschichtliche Naivität dazu, um einer solchen ausschließenden Form unter Einschluß des unvermeidlichen Moments von historischer Kontingenz und kontingenter Geschichtlichkeit das Prädikat der gottgewollten Form der Kirche beizulegen. Die alte Kirche hat dies in vollem Umfange historisch-traditionell begründet, der Calvinismus in einer Mischung von Biblizismus und Rationalität. Das Luthertum hat, wie mir scheint, in seiner Lehre von Kirche und Amt etwas grundsätzliches Entgegengesetztes versucht. Es hat das Amt rein von der Funktion her unter Ausscheidung jedes spezifischen Typus umschrieben. Diese notwendige Funktion wird als Predigtamt bezeichnet (CA V, VII). Daraus hat sich dann das lutherische Pfarramt entwickelt. Der Versuch aber ist sehr viel radikaler als der des Calvinismus, der nur gleichsam das Bischofsamt in das Presbyteramt verallgemeinert und umkehrt und es genauso absolut setzt. Der Soziologie kann hier, ohne in den dogmatischen Streit einzugreifen, dem Theologen sagen, daß dieser Versuch, von der Kontingenz der Amtsform abzusehen, grundsätzlich gescheitert ist und scheitern mußte. Es ist der Versuch, einen Körper ohne Schwerpunkt zu bilden. Die Kirche aber lebt in der geschichtlichen Welt, welche die Kontingenz der Lebensformen notwendig einschließt. Dieser Mangel kann nicht dadurch geheilt werden, daß man nachträglich die lutherische Kirche ebensosehr über das Pastorenamt konstituiert, wie die anderen Kirchen über Bischof und Presbyter aufgebaut sind. Stahl hat in der richtigen Erkenntnis dieser ungelösten Frage diesen Versuch gemacht, der aber als Pastoralkatholizismus mit Recht abgelehnt worden ist. Die Lösung kann nur darin liegen, daß die mehreren, von Anbeginn der Kirche eingestifteten, durch die notwendigen Verrichtungen am Leibe Christi bedingten Amtsformen miteinander zum wirklichen Ausgleich gebracht und jede von ihnen an ihren Platz gestellt werden. Der lutherische Versuch nötigt gerade durch sein Scheitern zum Vorwärtsgehen zu einer weiteren und offeneren Lösung, als die der anderen Kirchen. Aber zuvor muß in der Tiefe die unheilvollen Neigung überwunden werden, der geschichtlichen Kontingenz der Kirche mit dem Funktionsbegriff auszuweichen. Es scheint mir sehr beachtlich, daß heute an manchen Orten ein Ausgleich und eine Verbindung der Amtsformen versucht wird.

Das große Hindernis eines solchen Ausgleichs liegt in der auch heute noch bestehenden unangefochtenen Unbefangenheit, mit der die Amtsformen der jeweiligen Kirche als unbedingte, als gültige Verwirklichungen des Amts der Kirche schlechthin angesehen werden, als ob es keine Kirchengeschichte und keine Soziologie gäbe. Angesichts der betonten Formfreiheit der lutherischen Ekklesiologie ist dies hier besonders

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verwunderlich. Wenn bei Mahrenholz das ministerium ecclesiasticum sich in der geschilderten Weise wesentlich als Pfarramt, ja, als Pfarrerstand darstellt, wenn bei Maurer alle Probleme des Ämterrechts unter dem Pfarrerrecht abgehandelt werden und werden können, ohne daß die Zusammenordnung mehrerer Ämter thematisch notwendig wird, so ist die Haltung tatsächlich keine andere, als wenn eine Amtsform als jure divino notwendig gelehrt wird.

Das ist, wie schon dargelegt, nicht verwunderlich, weil eine Abstraktion von einem konkreten Amtstypus in der geschichtlichen Welt gar nicht möglich ist. Wurde sich die lutherische Ekklesiologie dieser Tatsache stellen, so würde sie einsehen müssen, daß die Beschränkung auf das eine Amt besonders beschwerlich und gefährlich ist.