Die neueste größere Kirchenrechtsdarstellung in deutscher Sprache ist diejenige, welche Siegfried Grundmann seinem Buch über den lutherischen Weltbund voransetzt30. Der lutherische Weltbund ist ja keine Kirche, aber er hat doch eine Ekklesiologie, die hier in deutscher Sicht dargeboten wird. Sachlich schließt sich Grundmann im wesentlichen an die von Johannes Heckel in seinen historischen Untersuchungen31 als Luthers Kirchenrechtslehre entwickelten Gedanken an.
Es ist freilich beschwerlich, die von einem einzigen Gelehrten gebildete, noch keineswegs ausdiskutierte oder gar anerkannte Begrifflichkeit mit solcher Selbstverständlichkeit vorausgesetzt und angewendet zu sehen.
Grundmann hat das Verdienst, Heckels Gedanken aus den historischen herausgelöst in praktischer Verarbeitung dargeboten zu haben, unter Verzicht darauf, durch eine eigene neue Linie die Dinge zu komplizieren. Ohnehin bedarf die schwierige Terminologie und Diktion Johannes Heckels die Übersetzung.
Methodologisch gesehen ist es Grundmann ganz selbstverständlich, daß das Kirchenrecht eine Funktion des Kirchenbegriffs ist. Er baut seine Darstellung von dort her auf, kommt dann freilich im zweiten Abschnitt ohne eine Erörterung des Rechtsbegriffes als solchen nicht aus. Dieses Systembeispiel, welches etwas mehr zur additiven Theorie neigt, läßt allgemein fragen, wieviel durch die Theologisierung des Themas in der Sache wirklich schon gewonnen ist. Der definitorische Charakter wird in der Voranstellung der Auslegung des dritten Glaubensartikel aus dem Großen Katechismus Luthers nicht gesprengt und offenbar nicht als Problem empfunden. Mit diesen Maßgaben bietet diese Arbeit methodologisch keine grundsätzliche Besonderheit.
Wird hier auch Kirchenrecht als bekenntnisgebundenes Recht vertreten, so wird doch gleichsam der Quantensprung zu einem neuen Ansatz
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des Kirchenrechts als „liturgischem und bekennendem Recht” erst durch Karl Barth in dem Abschnitt „Ordnung der Gemeinde”32 der Kirchlichen Dogmatik vollzogen. Dieser Gedanke ist freilich keineswegs neu. Die Theologen der Berneuchner Bewegung haben ihn schon in den dreißiger Jahren vertreten: Wilhelm Stählin, A.D. Müller, Wilhelm Maurer, Heinz Dietrich Wendland und andere, jedoch überwiegend von der praktischen Theologie her. Barth erst führte ihn in voller Breite in die systematische Theologie ein. Die liturgische Bewegung war nicht dogmatisch genug, um ihre Einsichten zur Geltung zu bringen.
Barth setzt mit dem Begriff der Ordnung ein als der wesensnotwendigen Form der Erbauung der Gemeinde. Die Versöhnung mit Gott in Jesus Christus ist die große Kampfaktion gegen das Chaos, die Unordnung. Deswegen hat ihr Wachsen sein eigenes Gesetz. Es geht bei der Erbauung der Gemeinde „mit rechten Dingen” zu, sachentsprechend zu diesem Geschehen. Deshalb ist hier Ordnung zugleich Recht.
„Es geht um die Ordnung des besonderen Geschehens, in welchem die Existenz der Gemeinde nicht nur am konkretesten in Erscheinung tritt, sondern auch sachlich ihre Mitte und Spitze hat: um die Ordnung ihres Gottesdienstes. Es geht weiter um die Bestimmung und Verteilung der den einzelnen Christen innerhalb der Tätigkeit der Gemeinde zufallenden Verantwortungen, Verpflichtungen und Funktionen und deren Verhältnis untereinander33.”
Er bezeichnet später ausdrücklich das der Gemeinde eigentümliche Recht als „liturgisches Recht”.
„Wir blicken ... in dieselbe Richtung, wenn wir das in der Gemeinde aufzufindende, aufzurichtende und zu bestätigende Recht (in etwas gewagtem Ausdruck) als liturgisches Recht bezeichnen. Kirchenrecht hat eine ursprüngliche Beziehung zu dem besonderen Geschehen des christlichen Gottesdienstes. Es hat in ihm seinen ursprünglichen Sitz. Es wird ursprünglich in seinem Vollzug gefunden und erkannt. Es ist — als Gottesdienstordnung — ursprünglich ihm zugewendet. Eben von ihm aus umfaßt und ordnet es dann das ganze Leben der Gemeinde. Wir haben den christlichen Gottesdienst an früherer Stelle die Mitte des ganzen Lebens der Gemeinde, der eigentlichen Akt ihres Aufbaus genannt und in diesem Sinn hervorgehoben. Unser jetziger Zusammenhang ist der Ort, uns die Begründung dieser seiner Hervorhebung klar zu machen34."
„Gottesdienst in diesem besonderen Sinn des Begriffs ist nicht ein dauerndes, sondern innerhalb des Gesamtereignisses ,Gemeinde’ ein besonderes Ereignis. Wie das Gesamtereignis ,Gemeinde’ sich innerhalb der Welt von der Welt abhebt, so hebt sich der Gottesdienst innerhalb des Gesamtereignisses ,Gemeinde’ von diesem ab. Und nur indem diese in ihrem Gottesdienst ihre distinkte Mitte hat, kann und wird sie sich auch innerhalb der Welt distinkt von dieser abheben. Eben das muß
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aber geschehen, wenn es in ihrer Geschichte zu einer Darstellung der besonderen Geschichte ihres Hauptes, zur Bezeugung Jesu Christi kommen soll35.”
„Eben darum wird sich ihr Kirchenrecht von seiner Wurzel her als liturgisches: (1) vom Gottesdienst her ordnendes, (2) in ihm immer wieder zu findendes und (3) ihn seinerseits ordnendes Recht verstehen müssen. Wir haben das Problem unter diesen drei Gesichtspunkten zu entfalten.
Die Feststellung, mit der wir (1) beginnen müssen, lautet: daß alles Recht in der Kirche im Geschehen ihres Gottesdienstes seinen ursprünglichen Sitz hat, daß es primär in diesem besonderen Geschehen aufgerichtet wird. Wo zwei oder drei im Namen Jesu, d.h. dadurch zusammengeführt sind, daß ihnen der Name Jesu offenbar geworden ist, da ist Er nach Matth. 18, 20 selber mit und unter ihnen. Das Wort zielt unverkennbar auf das Ereignis der Versammlung (die „synagogé”) der Gemeinde36.”
„Man redet schon mit diesem Begriff als solchem von einer bestimmten Form, die mit dem communio sanctorum bezeichneten Geschehen eigentümlich, von einem Gesetz, dem es unter allen Umständen unterworfen ist, von einem Verhältnis, von einer Beziehung, von Proportionen, in denen es — der Sache, um die es da geht, entsprechend — notwendig verlaufen muß. Die Sache, um die es da geht, ist die vorläufige Darstellung der in Jesus Christus geheiligten Menschheit. Dieser Sache entsprechend geht es in der christlichen Gemeinde auf allen Fälle um ein Anordnen, Befehlen, Verfügen des einen Heiligen, in welchem Alle geheiligt sind und also Jesu Christi auf der einen Seite — und auf der anderen um ein ihm gehorsames, ihm sich unterordnendes Verhalten der menschlichen Gemeinschaft de Heiligen. Dieses Verhältnis konstituiert die christliche Gemeinde. Dieses Verhältnis ist ihr Ordnungsprinzip, ihr Grundrecht37.”
Schon von vornherein ist mit jener strengen Beziehung auf das geistliche Geschehen in der Kirche jede Meinung abgewehrt, es handle sich bei diesem Recht nur um etwas Äußeres und Niederes, etwas Beliebiges und Verfügbares. Dem steht die Bezogenheit auf das Heil, auf die Heiligung und die strenge Sachgemäßheit dieser Ordnung entgegen.
In einem vierfachen Anlauf (9, 12, 15, 16) wendet sich Barth gegen die These Rudolf Sohns von der grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Kirche und Recht, und zugleich gegen seinen alten Gegner Emil Brunner, der in seiner Schrift „Das Mißverständnis der Kirche” die Sohm’sche These noch weiter verschärft hat. Wesentlich ist es Barth, daran streng festzuhalten, daß Jesus Christus das einzige und ausschließliche Subjekt der Gemeinde ist. Er wirft diesen Gegnern vor, daß sie einen Begriff von „reiner Personengemeinschaft, Brudergemeinschaft, Lebensgemeinschaft” bilden, deren bloßes Prädikat dann Christus sei. Ihr Kirchenbegriff sei
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nicht christologisch begründet und nicht von der Christologie her durchdacht. Er legt Wert darauf, die Kirche zuallererst als bruderschaftliche Christokratie und erst danach als christokratische Bruderschaft zu bezeichnen. Die Kirche darf nicht als eine besondere Form menschlicher Gemeinschaft verstanden werden. Deshalb fragt er, wer denn das Subjekt der Kirche im Rechtssinne sei; beruhe sie auf einer naturrechtlichen oder auf einer historisch-positiven Begründung, wenn schon nicht der Heilige Geist ihr Schöpfer sei38?
Tiefer als hier direkt sichtbar wird, trifft Barth sowohl den scholastischen wie den idealistischen Kirchenbegriff. Den scholastischen insoweit, als dieser die Kirche unter die societates, einen soziologischen Oberbegriff rechnet und ihr lediglich das auszeichnende Prädikat der Vollkommenheit gibt. Den idealistischen insofern, als etwa Schleiermacher ebenfalls zunächst die Kirche als Gemeinschaft in einem bestimmten Sinne definiert. Schleiermacher bezeichnet sie als eine „Gemeinschaft, welche nur durch freie menschliche Handlungen entsteht und durch solche fortbestehen kann39”.
Der Begriff der Gemeinde spricht nach Barth als solcher schon von Ordnung und Recht. Dieses Kirchenrecht ist von allem weltlichen Recht grundsätzlich wesenhaft verschieden und unabhängig. Deshalb verfügen auch die in der Kirche vereinigten Menschen nicht über dieses Recht. Es vollzieht sich im Gehorsam nach Christi Befehl und Verfügung. Es ist deshalb bekennendes Recht.
Barth wendet sich gegen den Mythus vom „Sündenfall” der Kirchengeschichte durch die Verrechtlichung und zugleich gegen die romantische Verherrlichung der Frühgemeinden. Der Verrechtlichung könne nur durch Erkenntnis und Befestigung des rechten Kirchenrechts begegnet werden. Er zeigt, daß die Kirche immer zwischen Verrechtligung und Verwilderung steht, daß die Verneinung des Kirchenrechts dieses Problem nicht löst.
Er ergänzt dies durch die Erwägung, daß der Staat, die Welt überhaupt, diese Kirche und ihr Recht notwendig mißverstehen und die Kirche sich hüten müsse, sich selbst von diesem Mißverständnis beeinflussen zu lassen. Staatskirchenrecht kann nie (eigentliches, inneres) Kirchenrecht sein.
Er behandelt hier die allgemeinen theologischen Voraussetzungen des Kirchenrechts, bestreitet aber, daß es ein allgemeines Kirchenrecht gebe. Dieses müsse vielmehr von den formulierten Voraussetzungen aus verschieden entfaltet werden.
Die Grundmerkmale bestimmt er wie folgt: Kirchenrecht ist Dienstrecht, Dienstordnung. Nur in den Pflichten gibt es Ansprüche und Würden. Dieser Charakter erzeugt nicht nebenher doch wieder Herrschaftsrecht. Er wendet sich gegen die Isolierung des Diakoniebegriffs und will das Ministerium des Predigtdienstes schlechthin als Diakonie verstanden
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wissen. Auch Kirchenverwaltung, theologische Wissenschaft, kirchliche Disziplin seien sämtlich vom Gesichtspunkt ihrer Dienlichkeit her zu verstehen. Politische Begriffe, die von der Monarchie bis zur Demokratie immer auf Herrschaft gehen, seien deshalb ganz auszuscheiden. Dieser Dienst sei ein totaler; es gebe keine Stellvertretung und Delegation. So unterschiedlich und gegliedert der Dienst sei, könne sich niemand seiner Mitverantwortung im Ganzen überhoben fühlen. Er will daher auch den „fatalen” Begriff des Amtes durch den des Dienstes ersetzt sehen.
Er faßt das Ganze dann in der erwähnten ausdrücklichen Bezeichnung des Kirchenrechts als liturgisches Recht zusammen. Im Gottesdienst geschieht, was sonst auch in der christlichen Gemeinde nicht geschieht. Es ist daher vom Gottesdienst her ordnendes, in ihm immer wieder zu findendes und ihn seinerseits ordnendes Recht.
Das zeigt sich erstens im Bekenntnischarakter dieses Geschehens, zweitens in der wechselseitigen Anerkennung der Gemeindeglieder als Brüder, drittens darin, daß sie miteinander gestärkt und zum ewigen Leben erhalten werden, viertens im Charakter der Gemeinde als Gebetsgemeinde. „Die Herrschaft Jesu Christi wird Ereignis, in dem sie mit ihrem Gottesdienst seinen Anruf mit ihrem Bekenntnis beantwortet.” Die Sätze des Kirchenrechts werden „selber keine liturgischen Sätze, aber auf das liturgische Geschehen des Bekenntnisses ausgerichtete und auf theologische Besinnung begründete juristische Sätze sein müssen. Sie haben diejenigen Regeln der menschliche Gestaltung der Existenz der Gemeinde zu fixieren, die durch die von ihr verkündigte Botschaft gefordert, die ihr angemessen sind”.
Barth nimmt noch einmal Gedanken aus den Anfängen der kirchlichen Dogmatik auf, vom Raum der Kirche, in der der Gläubige von der Taufe herkommend dem Abendmahl entgegengeht. Er verknüpft und unterscheidet hier sehr wohl die sancta und die sancti, verengt die Kirche niemals auf eine für sich bestehende Personengemeinschaft.
Kirchenrecht ist ihm lebendiges Recht, willig und bereit zu neuen Beantwortungen. Eben darum fordert er den Mut zur ausdrücklichen, juristisch genauen Entscheidung. Hier dürfte kein processus ad infinitum stattfinden, in welchem die Fragenden Angst haben, Antworten zu finden. Dies sei bestimmt nicht die Dynamik des Heiligen Geistes, der bekanntlich kein Skeptiker ist. Möglichste Beschränkung hilft hier nicht. Der dienende Charakter des Kirchenrechts heißt hier nicht, daß es nicht konstituierend sei, etwa nur beiläufige und untergeordnete Wichtigkeit besitze. Man müsse sich gegen den feinen und groben ecclesiologischen Doketismus wehren, d.h. gegen die Neigung, in alldem nur etwas Vordergründiges und Scheinbares, keine echte Wirklichkeit zu sehen. Er ruft zum Ernst des konkreten Wagnisses auf. Dabei aber sei alles Kirchenrecht eben doch nur menschliches, nicht göttliches Recht. Damit darin
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der christokratische Ursprung im Auge behalten werde, müsse es sich in aller Strenge als ius humanum verstehen. Auch das, wozu man sich im Gehorsam entscheiden zu müssen glaubt, könne nicht Allgemeingültigkeit beanspruchen. Die Rechtsformen anderer könne man sich nicht aufdrängen lassen, da auch sie nicht vollkommen, sondern höchst verbesserungsbedürftig seien. Er verwahrt sich gegen den Vorwurf des Relativismus. Mehr als die Frage, ob nicht auch dort der Herr das Wort führe und gehört worden sei, sei nicht möglich.
Barths Schrift ist ein weitausgreifender Wurf, dessen Ansatz man nur begrüßen kann. Bei aller Biegsamkeit, ja zuweilen Mehrdeutigkeit seiner Formulierungen ist seiner Schrift eine schöne Entschiedenheit eigen. Er hat keine Angst vor dem Gesetz, so ungesetzlich er spricht. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß die Kirche zwischen Verrechtlichung und Liederlichkeit steht. Die Angst vor dem Gesetz hat noch keine Kirche vor der Gesetzlichkeit bewahrt.
Bedeutsam ist vor allem die Bezeichnung des Kirchenrechts als liturgisches Recht. Reformierte und Lutheraner werden hier zu lernen haben. Auch die römische Kirche ist von einer solchen Erkenntnis weit entfernt, und die gleiche These fand in einem Kreise gut unterrichteter katholischer Theologen erstauntes Interesse. Ist die Liturgie von solcher grundlegenden Bedeutsamkeit für die Ordnung der Kirche überhaupt, so sollte endlich das ästhetische Mißverständnis dieser Dinge aufhören und nicht weniger das Schlagwort vom Liturgismus. Das gehört zu dem von Barth geforderten „Sich-selbst-Ernstnehmen” der Kirche.
Auf dem Hintergrunde einer weitreichenden Übereinstimmung und dieser geschichtlichen Situation und Aufgabe muß nun aber auch Kritik geübt werden.
Vorher muß gefragt werden, wie dieser Satz, Ansatz und Grundsatz denn in der Geschichte der Kirche zu stehen kommt. Ist es eine neue Erkenntnis, eine Art theologischer Erfindung, welche nunmehr in der sich selbst recht verstehenden Kirche Anwendung zu finden hat? Oder ist es der Nachweis einer Bildungskraft, eines Lebensgesetzes, von dem die Kirche eh und je schon gelebt hat, so daß Bildungen und Mißbildungen daran zu erkennen und zu beurteilen sind? Bildung und Mißbildung von Kirchenrecht ginge dann Hand in Hand mit Bildung und Mißbildung von Liturgie, und eine weitere Quelle der Mißbildung wäre die Ausbildung und Übernahme solchen Rechtes, welches keinen Grund eben in diesem zentralen Leben der Kirche hat. Diese bedeutende, ja umfassende geschichtliche Frage stellt Barth sich und uns nicht. Er spricht nicht anders, als ob er schlechthin ex nunc für die Zukunft spräche, womit man den Ausschluß dieser Perspektive ex silentio nicht eindeutig erweisen kann. Aber das stillschweigende Beiseitelassen dieser Frage stimmt freilich mit dem eigentümlichen Mangel an eigener Konkretion allzu gut zusammen, welches eine weitere Analyse zeigt.
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In der Tat muß hier in aller Entschiedenheit vorweg behauptet werden: die These Barths gilt nur dann und kann nur dann gelten, wenn sie von eh und je gegolten hat, so daß die wesentlichen Triebkräfte der Kirchenrechtsgeschichte im Wandel der gottesdienstlichen- und Bekenntnisstruktur liegen, wenn hier im internum wie in dessen Preisgabe zugunsten externer Ordnungsvorstellungen die Kriterien zu finden sind. Dies ist in der Tat erweislich — und jeder Tag bringt heute mehr Material dafür zutage, das freilich auch beachtet werden muß. Wie beispielsweise und besonders im Ordinationrecht sich zeigt, bringt nicht schon die theologische Begrifflichkeit, sondern erst die Formgeschichte der Vollzugsformen die volle Tragweite der Wandlungen zutage. Um das zu verstehen und voll auszuwerten, muß freilich die exklusive Tradition der philosophisch-philologischen Begrifflichkeit gebrochen werden, welche der Theologie von jeder inhaltlichen Aussage ein gefährliches Moment des Idealismus mitgibt.
Barths These hängt eng zusammen mit seiner bekannten Lehre über den Zusammenhang von Rechtfertigung und Recht, mit welcher er schon 1937 der Begegnung von Theologie und Rechtswissenschaft neue Wege gewiesen hat. Aber hier wie dort tut er selbst wenig oder nichts, um diesen Ansatz konkret zu entfalten. Er nimmt noch nicht einmal voll zur Kenntnis, was aus diesem bedeutenden Anstoß geworden ist und zitiert nur Autoren, die relativ am Rande dieser Arbeit stehen und seinem engsten Bereich angehören. Gegenstand der nach keineswegs abschlossen Erörterung ist die Einordnung dieses Ansatzes in die gesamte systematische Theologie, insbesondere in die Trinitätslehre. Das ist für Barth und die von ihm genannten Gewährsmänner nicht eben in dem Maße problematisch. Sie leiten das Gesagte mit einer gewissen eingleisigen Direktheit aus der Christologie ab, so sehr, daß immer wieder der Vorwurf des Christomonismus gegen sie erhoben worden ist.
Es besteht ein auffallendes Mißverhältis zwischen der Proklamation eines so bedeutendes Grundsatzes und der Allgemeinheit, man möchte sagen, Farblosigkeit der Durchführung.
Dieses Mißverhältnis zeigt sich insbesondere im Verhältnis zur Geschichte. Die Kirchenrechtsgeschichte ist eben nicht die Geschichte relativ belangloser zeitbedingter Rechtsformen, des römischen, germanischen, modernen Rechts. Es ist vor allem die eigene Geschichte der Kirche, des Gottesdienstes und der Theologie, welche sich im Kirchenrecht niederschlägt. Das Kirchenrecht ist — dem würde Barth wohl grundsätzlich zustimmen — nicht das Abbild zeitbedingter Rechtsformen, sondern vor allem Ort weittragender geistiger Entscheidungen, die rechtsbildend wirken.
Ist Kirchenrecht liturgisches Recht, hat es seinen Quellort und sein Maß im Gottesdienst, so ist ja damit kein beliebiges Handeln, keine
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beliebige Gestaltung bei aller Freiheit und Fülle möglich. Gewisse Grundelemente sind dann gegeben. Verkünden und Tun auf der einen, Hören und Empfangen auf der anderen Seite sind sein unabdingbarer Inhalt. Dies tritt in dem oben zitierten Text von Karl Barth deutlich hervor. Über diese konstitutiven Merkmale kann die Gemeinde nicht verfügen; in dieser Weise verfügt das Wort Gottes über sie. Daraus ergeben sich gewisse Grundmaße des Gottesdienstes wie des Kirchenrechts, die vielfach mit der Korrelation von Amt und Gemeinde bezeichnet worden sind. Barth führt jenen Satz nicht weiter. Jeder Versuch, nunmehr Gottesdienstlehre und Kirchenrecht konkret zu verbinden, ist vermieden. Mit dem Gesagten ist ein einseitiges Verfügen des Amtes wie eine Selbstherrschaft der Gemeinde ausgeschlossen. Damit ist aber über bestimmte Formen des Kirchenrechts, welche dieses Grundverhältnis nicht enthalten oder zur Auflösung bringen, ein theologisches Urteil gesprochen. Bei Barth bleibt dies alles trotz schärfster Grundsätzlichkeit in einer strukturlosen Beliebigkeit und Jeweiligkeit. Er will durchaus feste und konstante Ordnungen, die aber jeweils wieder im neuen Hören aufgelöst werden können und sollen, weil keine Form den ganzen Gehorsam erfüllen könne. In diesem Zusammenhang ist als ein bedeutsamer Mangel festzustellen, daß der biblische Begriff der Schlüsselgewalt für Barth keine Rolle spielt. Auch mit dieser aber ist dem geistlichen Handeln der Kirche nicht allein eine Grundlage, sondern zugleich eine sehr bestimmte Art des Vollzuges mitgegeben.
Aus dem gleichen Grunde entbindet sich Barth von jeder Stellungnahme zu den konkreten geschichtlichen Kirchenrechtsformen. Bei ihm stehen sie alle, soweit sie sich nicht überhaupt als unechtes Kirchenrecht erweisen, als relativere Gehorsam nebeneinander. Die Erfahrungen, welche die Kirche gerade auf diesem Gebiet mit sich selbst, mit ihren Konzeptionen und Versuchen, dem Worte Gottes gehorsam zu sein, gemacht hat, bleiben auch als Quelle der Erkenntnis außer acht; aber so wenig sie einfach Norm sein können, so wenig können wir von ihnen absehen. Ihre Geschichte wird bloßes Material. So gibt es in Wahrheit bei allem gedanklichen Aufwand kein Kirchenrecht, sondern immer nur Versuche von Kirchenrecht. Von dieser Geschichtlichkeit weiß Emil Brunner eigentlich auch nichts, — um so mehr Sohm. Er hat die Geschichte des Kirchenrechts erstmalig mit eindringlicher Dramatik dargestellt. Das Geschichtsproblem war es recht eigentlich, welches ihn zur Fehllösung der Trennung von Kirche und Recht verleitete.
Nun könnte aber dieser Versuchscharakter gerade als ein wesentliches Moment existenztheologischen Verständnissen bejaht und deshalb ein Einwand von daher zurückgewiesen werden. Aber kann das mögliche Existenzverständnis des Einzelnen (auch als Gruppe), die gültige Grundlage für das Handeln der Kirche sein? Denn wenn sie handelt, so immer für andere, an anderen, deren Glauben sie aufruft und in
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Anspruch nimmt. In diesem Handeln muß sich der Handelnde entscheiden, aber er kann es nicht im gleichen Atemzuge als ein fragwürdiges hinstellen und offenhalten. Im Gegenteil: er wird gerade mit dem Anspruch, eine Haltung des offenen Versuchs zu bewähren, in seiner Forderung sehr viel früher, öfter, stärker apodiktisch als jeder andere, und beschuldigt umgekehrt kraft einer inneren Zwangsläufigkeit den Träger eines anderen „Versuchs”, einer anderen Haltung einer unzulässigen Objektivierung. So behaftet er alle, aber läßt er sich nie behaften — in aller Devotion der Ausdruck radikalster Souveränität über die Gegenstände des Handelns wie über die betroffenen Menschen. Der Versuch wird zur Versuchung, weil er als solcher nicht durchgehalten werden kann, er korrumpiert das Denken und vergiftet die Beziehungen aller Beteiligten.
Der positive Grund für diesen Fehler ist schwerer aufzuzeigen als die Folgen, an denen er sich erweist: er liegt wohl darin, daß der in der Kirche Handelnder die ecclesia perpetua mansura, wenn man so will, immer hinter sich, die Verheißung des Beistandes des Geistes immer vor sich hat, beide als Prämissen und Elemente seines Glaubens, also gerade die so gern problematisierte Kontinuität des Geistes in der Kirche.
Für die methodologische Lage wie für die Sache selbst ist es also
von bedeutendem Interesse, ob und wie Barth seinen Ansatz
durchgeführt hat. Es ist noch keine wirkliche Durchführung, aber
doch ein beachtlicher sachlicher Fortschritt, daß der Dogmatiker
hier zunächst eine Reihe von Fragen aufzählt und formuliert,
welche im Kirchenrecht unweigerlich zu beantworten sind, die also
legitime sind. Mit dem Nachweis ihrer evidenten Notwendigkeit
tritt er bereits aus dem Rahmen des fruchtlosen Streits über
bloße Allgemeinbegriffe heraus. In seiner Sicht sind dies
folgende:
1. Ordnung des Gottesdienstes
2. Verantwortungen, Verpflichtungen, Funktionen der einzelnen
Christen innerhalb der Tätigkeit der Gemeinde und ihr Verhältnis
untereinander
3. Disziplin, Aufsicht, Zucht hinsichtlich der Dienstfunktionen
wie hinsichtlich der christlichen Existenz im Allgemeinen
4. Verhältnis der Gemeinden zueinander und ihre zusammenfassende
Leitung
5. Verhältnis zum Staat40.
Es liegt also ein ziemlich großes kirchenrechtliches Themenprogramm vor. Da es sich um Fragen, nicht um Antworten handelt, mag die Vollständigkeit dieser Thematik unerörtert bleiben. Immerhin fällt auf, daß die Frage der Bekenntnis- und Lehrbildung erkennbar nicht hervortritt. Im Ganzen aber überschreitet und sprengt diese Sicht noch nicht den Still körperschaftsrechtlichen Denkens, der Verfassung und Organisierung einer Gemeinschaft freilich besonderer Art.
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Nach diesen Fragen und langer Auseinandersetzung über das „Ob”
des Kirchenrechts setzt der Versuch einer inhaltlichen Bestimmung
erst sehr viel später ein. Nach einem Abschnitt über den
Charakter des Kirchenrechts als Dienstrecht41, der
wegen seiner Unbestrittenheit nun doch nicht allzusehr fördert,
kommt das Kirchenrecht als liturgisches Recht von S. 787 ab im
Unterabschnitt II vor. Der Leser, zumal der juristische, der sich
mit einiger Mühe durch die verschlungenen, mehr gesprochenen als
geschriebenen Sätze hindurchgekämpft hat und sie auf ihren
präzisen, unterscheidenden Gehalt untersucht, findet hier nun
doch einen gewissen Versuch, jene These zu verifizieren. Dieser
ist zunächst im Ganzen wie dann in vier einzelnen Anwendungen auf
dem Schriftwort Matth. 18 V. 20 „Wo zwei oder drei in meinem
Namen versammelt sind...”, also auf dem Ereignis der Versammlung
der Gemeinde aufgebaut. Derselbe Satz wird einer vierfachen
Inhaltsbestimmung vorangesetzt:
1. Gemeinsame Aussprache, Bekenntnis, mutua consolatio,
Verkündigung (S. 792 f.)
2. wechselseitige Anerkennung und Annahme vermöge der
Gemeinsamkeit der Taufe, von der sie herkommen, aber „immer noch
in derselben Verfassung, in der sie zur Taufe hinzutreten” (S.
794)
3. in der Gemeinsamkeit des Abendmahls (S. 795)
4. als Gebetsgemeinschaft (S. 797).
Alle vier Momente werden noch einmal ausdrücklich zusammengefaßt
(S. 799). Sie werden insgesamt als in der Schrift zu findende
bezeichnet und mit einzelnen Folgerungen erörtert. Die Vollmacht
der Sündenvergebung kommt hier trotz ihrer biblischen Grundlage
nicht vor, scheint vielmehr in der Verkündigung aufzugehen.
Gemeinsam ist jenen Aussagen zweierlei:
1. ihre Grundlage am Versammlungsereignis und der Verheißung von
Matth. 18, 20
2. darin, daß (wiewohl jeweils verschiedene) Folgerungen daraus
gezogen werden.
Das schließt die Beschreibung der Bedeutung des Geschehens für das Miteinander der Versammelten mit ein, die in diesem Geschehen und durch dieses Geschehen verbunden sind. Daraus wird Einzelnes gefolgert wie etwa die Abweisung der Bildung einer ecclesiola in ecclesia, oder der Grundsatz der Brüderlichkeit. Aber bei näherer Betrachtung ist an keinem Punkt das „Wie” des liturgischen Handelns, die in ihm entstehende Rollenverteilung und Beziehungsbildung selbst bestimmend. Um dieses liturgisches Kirchenrecht zu entwickeln und zu praktizieren, braucht man gar keine Liturgie. Man braucht sie weder zu praktizieren noch zu interpretieren. Keiner der Sätze Barths ist von der Liturgie konkret bedingt. Die anregende Fülle wie die ermüdende Breite der Darstellung dient letztenendes nur dazu, um eben das vorzuführen, was bereits als Ausgangspunkt proklamiert ist, das Erwähltsein, Berufensein
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Versammeltsein. Der konkrete Aufbau des gottesdienstlichen Handelns, der ja eben nicht zufällig ist, und der doch nach seiner eigenen Intention das Maß für den Aufbau der Gemeinde sein sollte, interessiert nicht, aber auch nicht der Rechtsgehalt und die Rechtsstruktur dieses Handelns. Das Kirchenrecht ist nur eine Interpretation des Versammeltseins. Aus ihm werden in dem beschriebenen gottesdienstlichen Handeln kirchenrechtliche Folgerungen gezogen.
Man kann diese Selbsthemmung eines eigenen Gedankens verschieden deuten:
Man kann sagen, daß es eine doch nur unwesentlich modifizierte Praedestinationstheologie ist, welche das inkarnatorische Moment in der Liturgie nicht wirklich aufzunehmen imstande ist; man kann eine Verletzung der orthodoxen Naturenlehre darin finden. In der römischen Kirche liegt der Schwerpunkt auf dem ius divinum, so daß auch das, was sie selbst als ius humanum versteht, unversehens Anspruch und Würde des ius divinum gewinnt. Bei Barth ist alles Konkrete in das ius humanum gezogen, so daß unvermeidlich das, was man — mit diesem schlechten Begriff — als ius divinum bezeichnen könnte, in den Sog des ius humanum gerät.
Man könnte auch sagen: dieses Kirchenrecht hat einen ersten und einen dritten, aber keinen zweiten Artikel. Es kennt den erwählenden und versammelnden Ratschluß, es kennt auch die vielfältigen Formen und Folgen der Gemeinschaftsbildung und erwägt sie im Großen und Ganzen sachgemäß als subjektive Wirklichkeit. Nur das Wie dieses Geschehens dazwischen fällt aus; was uns als christologische Begründung dargeboten wird, ist in Wahrheit pneumatologische Folge. Ein solcher Einwand ist gegenüber Barth verwunderlich, dem doch selbst, wie seinen Schülern, eine Vereinseitigung der Christologie bis zum Monismus vorgeworfen wird.
Aber das Kirchenrecht bringt es an den Tag. Trotz aller dichten Begriffsschleier ist unverkennbar, daß zwischen Erwählung und Heiligung die konkrete Geschichtlichkeit und geschichtliche Konkretheit, die dem liturgischen Handeln eignet, als Vermittlung ausfällt, trotz der ständigen Betonung des christologischen Bezugs, ja vielleicht gerade durch seine generalisierende Benutzung.
Alle drei Einwände laufen wohl in der Tiefe zusammen. Der Befund ist jedenfalls sehr klar und entspricht der liturgie-geschichtlichen Stellung der Tradition, ohne welche Barth nicht zu verstehen ist und aus der er nicht herausgetreten ist.
Dem anthropozentrischen Charakter, den diese Lehre unversehens annimmt und hervortreten läßt, entspringt und entspricht der leidenschaftliche Versuch, den theozentrischen Charakter festzuhalten. Aber eben diese Verbindung gelingt nicht.
Die gleichzeitige Beschwörung und Beiseitesetzung der Liturgie
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verwundert um so mehr, als Barth im selben Paragraphen ausdrücklich die Gottesdienstlehre Peter Brunners bejaht, wenn er sagt42:
„Ich möchte es nicht unterlassen, bei Anlaß dessen, was hier und nachher im 4. Abschnitt zu sagen ist, ausdrücklich auf die durch ihre Weiträumigkeit wie durch ihren Tiefsinn gleich ausgezeichnete Arbeit von Peter Brunner ,Zur Lehre vom christlichen Gottesdienst der im Namen Jesu versammelten Gemeinde’ hinzuweisen. Wenn ich ihm auch nicht überall folgen kann, so ist mir doch der Ernst seiner Fragestellung und Nachforschung eindrücklich. Und über wesentliche Übereinstimmung zwischen ihm und mir darf ich mich auch freuen”.
Wir wiederum dürfen uns freuen, daß in der großen Theologie an einem so wichtigen und für unser Thema laut Barth entscheidenden Punkt ein echter Consensus sich abzeichnet. Dieses Urteil Barths hat zwar der Verketzerung Brunners ein Ende bereitet. Aber die aus Brunners Lehre sich abzeichnenden und anbietenden Folgerungen (man denke an den Gedanken der Doppelschichtigkeit des Gottesdienstes) zieht nun Barth ebensowenig wie der Brunner sonst sehr viel näher stehende und ihn zitierende Ernst Kinder. Das heißt aber: selbst die aus einer rein reformatorischen Gottesdienstlehre sich ergebende Gestaltungselemente werden nicht festgehalten und entwickelt, weil stärker als jede unbestrittene theologische Erkenntnis der Vorbehalt und die Hemmung gegen die Gestaltung wirkt43.
Barth hat mit genialem Griff an einem heute reif gewordenen Punkt die unmögliche Verhärtung des Rechtsbegriffs aufgelöst, die Vorstellung, daß Recht wesentlich Setzung sei. Damit ist auch der im Luthertum weit verbreitete falsche Rechtsbegriff überwunden, welcher Recht mit gesetzlicher Regel verwechselt. Recht entsteht aus dem Zusammentreffen von Anspruch und Anerkennung, im Kirchenrecht von Wort Gottes und Bekenntnis. Dieses Zusammentreffen macht seinen Rechtscharakter aus und gibt ihm zugleich seine echte Dynamik.
Eben dies aber macht es unmöglich, in dem Bekenntnischarakter des Kirchenrechts dasjenige Moment zu sehen, was es aus allem anderen Recht heraushebt und auszeichnet. Denn nicht anders entsteht alles weltliche Recht, alles ius humanum, das nicht mehr zu sein beansprucht.
Nicht die Art des Vorgangs, sondern die Einzigartigkeit des Subjekts und der Inhalt seines Anspruchs macht das Besondere des Kirchenrechts aus. Von allen menschlichen Ansprüchen, die durch Anerkennung zum objektiven Recht erwachsen, unterscheidet sich der Anspruch Christi dadurch, daß er sich uns gibt und wir uns ihm wiedergeben. Wir kommen hier unversehens und unvermeidlich in die Formulierungen nicht des Kirchenrechts sondern der Gottesdienstlehre, insbesondere Luthers und Melanchtons hinein. Ohne eine inhaltliche Beziehung zur Gottesdienstlehre können auch die allgemeinsten Grundsätze des Kirchenrechts nicht festgestellt werden. Die Botschaft vom Sohne Gottes, der
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sich nicht dienen läßt, sondern dient und sich opfert, widerstreitet der Übersetzung in die allgemeinen Formel der Christokratie, wie grundsätzlich jeder expliziten Definition.
Indem Barth die Ausfüllung des von ihm gegebenen grundsätzlichen Rahmens der jeweiligen gehorsamen Entscheidung überläßt, vollzieht er in Wahrheit bereits eine Entscheidung in der Gottesdienstlehre selbst. Die These von der Rückbeziehung des Kirchenrechts auf den Gottesdienst führt er selbst nicht durch und setzt trotzdem, ohne es auszusprechen, ein bestimmtes Gottesdienstverständnis voraus.
Das grundlegende Bedenken gegen Barth scheint mir darin zu liegen, daß er zu der Generalbestimmung der Kirche als bruderschaftliche Christokratie gegriffen hat, anstelle die Korrelation von Kirchenrecht und Liturgie, die er thematisch fordert, wirklich durchzuhalten. Sobald der Vollzugscharakter des Kirchenrechts festgehalten wird, wird jede explizite Definition von Kirche unmöglich, auch wenn sie nicht im strengen Sinne exklusiv verstanden wird. Kirche ist weder bruderschaftliche Christokratie noch irgendein Gegenbegriff. Die Form einer solchen Aussage ist unzulässig. Soviel man zu und sogar gegen CA V und VII sagen kann — in der Aussageweise — „Kirche ist, wo so und so gehandelt wird” — vermeidet sie diese Art der Begrifflichkeit. Die gerade auch methodisch, nicht allein sachlich neue Einsicht vom Zusammenhang zwischen Kirchenrecht und Liturgie war zu neu, um bei Barth die konkrete Tradition und Standortbindung zu überwinden.
Der Gesamteindruck bleibt so ein zwiespältiger: ein großartiger Ansatz, kühn im Zugriff auf neue reif gewordene Einsichten, wird in der Durchführung durch die Last traditioneller Vorentscheidungen erdrückt.
Denn der untrennbare Zusammenhang von Kirche, Kirchenrecht und gebotenem Vollzug besagt grundsätzlich, daß aus der Interpretation des Vollzuges selbst die Maßstäbe des Kirchenrechts und damit auch seine Grenzen gewonnen werden können und müssen, von denen es sich vom Rechtsvollzug anderer Lebensbereiche unverwechselbar abhebt. So unverzichtbar also die in CA VII hervorgehobene Schrift- und Stiftungsgemäßheit ist, so kommt es hier nicht nur auf das „daß”, sondern sofort und zugleich auf das „wie” an. Das nominalistisch-thetische „Daß” von CA VII führt hier allein nicht weiter. Weil hier etwas ganz Bestimmtes, weder etwas Beliebiges noch etwas Jeweiliges noch etwas unverständlich nur Gebotenes anzunehmen und zu vollziehen ist, deshalb denkt das Kirchenrecht die Gottesdienstlehre in geistlich angemessenen Rechtsbegriffen nach, bedenkt und prüft sie gleichsam in der Rückrechnung die Legitimität dieses Handelns. Deswegen können materiale Aussagen der Kirchenrechtslehre nicht ohne gleichzeitige materiale Aussagen der Gottesdienstlehre gemacht werden. Deswegen kann nicht mehr allgemein von Kirche und Kirchenbegriff, noch weniger allgemein vom Recht so geredet werden, daß dann ebenso allgemein die Geistgemäßheit
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der rechtlichen Satzungen zu erörtern wäre. So erhalten wir sehr scharfe und wirksame Unterscheidungsmerkmale gegenüber dem römischen Kirchenrecht und seiner Einbeziehung weltlicher Rechtsformen in das Kirchenrecht auf dem Wege des Zweck- und Organgedankens (z.B. solcher des Strafrechts) als auch gegen die sachliche Entleerung des Kirchenrechts zur Ordnungsfunktion im Protestantismus: Grenzen gegen die Überbildung wie die Unterbildung44.
Bedeutung und Grenze des Barthschen Ansatzes wird erst durch eine methodologische Untersuchung deutlich. Zunächst bleibt er noch im Schema der konsekutiven Theorie. Der Satz „das Kirchenrecht ist eine Funktion des Kirchenbegriffs” wird zunächst lediglich ersetzt durch den analogen Satz, daß er eine Funktion des Gottesdienstes sei, von dem her es sein Maß empfange. Dementsprechend wären zur Besinnung auf die Maßstäbe des Kirchenrechts nicht die Bildung eines richtigen Kirchenbegriffs, sondern einer sachgemäßen Gottesdienstlehre erforderlich. Hier wird bei folgerichtiger Weiterführung der konsekutive Ansatz gesprengt. Sobald man vom Kirchenbegriff auf die Kirche im Vorgang des Gottesdienstes und Bekenntnisses übergeht, wird die Annahme eines Folgeverhältnisses unmöglich. Es entspricht vielmehr der gottesdienstliche und Bekenntnisvollzug konstitutiv und regulativ dem recht verstandenen und so auch recht begrenzten Kirchenrecht. Wenn nach einem altkirchlichen Satze Liturgie gebetetes Dogma ist (und umgekehrt), so ist Kirchenrecht auf ihre Legitimität geprüfte Liturgie. Nicht mehr als Folgeverhältnis, sondern jene Wechselbezüglichkeit zweier Dimensionen tritt hervor. Es kann sinngemäß das eine nicht dem anderen vorgeordnet werden.
Ein jedes hat in dieser Zuordnung seinen besonderen Platz. Barth vollzieht diese Folgerung nicht. Er macht gleichsam wie in einer Echternacher Springprozession von drei Schritten zwei wieder zurück. Durch den Verzicht auf die Herausarbeitung einer Grundstruktur des Gottesdienstes als des kirchenrechtsbildenden Spezifikum und durch den entsprechende Verzicht auf eine Konfrontation mit den geschichtlichen Formen des christlichen Gottesdienstes kommt seine eigene These um das ihr innewohnende Gewicht. Denn in Wahrheit wird mit dieser These ebenso wie der Kirchenbegriff auch der normative Rechtsbegriff entthront. Beide werden durch jene eigentümlichen Vorgänge ersetzt, die als Gottesdienst und Prozeß der Rechtsbildung allein zu verstehen sind. Es ist nirgends ersichtlich, daß Barth sich der rechtstheoretischen Tragweite seiner Sätze bewußt geworden ist. Es ist auch nicht anzunehmen, zumal die von ihm hauptsächlich zitierten rechtstheologischen und kirchenrechtlichen Gewährsmänner ihm entsprechende juristische Denkformen nicht anbieten und nahelegen. Es kann sogar auf Grund seines Textes mit ziemlich großer Sicherheit ausgeschlossen werden. Man sehe noch einmal die wuchtig und prägnant formulierten Sätze an, in denen
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er seine christologische Begründung des Kirchenrechts ausspricht: „Es handelt sich um ein Anordnen, Befehlen, Verfügen des Einen...”. Man sehe weiter die vorangestellten Bezeichnungen für die Tätigkeiten der Gemeinde: Verantwortungen, Verpflichtungen, Funktionen. Ein Rechtsbegriff als reiner Imperativ, im unbedingtesten Sinne radikalisiert durch die Hoheit dessen, der hier als Fordernder auftritt, ist ihm vollkommen selbstverständlich. Das konsekutive Verhältnis wird nicht überwunden, sondern ethisch radikalisiert. Die Identität von liturgischem und bekennendem Vollzug und Kirchenrecht wird nicht nur nicht durchgehalten, sondern preisgegeben. Es fehlt ein dieser These entsprechender Rechtsbegriff. Nach alledem muß man zweierlei sagen:
1. Barth ist an die Grenze der konsekutiven Kirchenrechtslehre geführt worden, welche in idealistische Form über eine Relativierung der Sachfragen nicht hinausführt. Er hat die Grenzen dieser Lehre durch eine Vorstellungsweise zukunftweisend überschritten, die er jedoch weder durchhalten konnte noch wollte, weil er damit die imperativische Struktur seines Wort- und Rechtsbegriffs hätte preisgeben müssen. Er hätte freilich zugleich eine Kritik seines eigenen geschichtlichen Standortes und damit der gottesdienstlichen und kirchenrechtlichen Tradition des Calvinismus vornehmen müssen und hätte diese nicht einfach als eine vergangene hinter sich lassen können — sie stillschweigend und unangefochten in die Zukunft übernehmend.
2. Hat Barth demnach in der Durchführung wieder zurückgenommen, was er im Ansatz gegeben hat, so daß sein Vorstoß wie ein Scheingefecht aussieht, so hat er doch nach vorwärts gesehen die Fragestellung verändert. Es ist jetzt nicht mehr nach dem Rechtsbegriff in seiner ganzen Breite zu fragen. Es fragt sich vielmehr umgekehrt, ob das spezifische Geschehen von Gottesdienst und Bekenntnis in ihm angemessenen rechtlichen Kategorien und Strukturen so gedacht werden, daß jene eigentümliche Verschränkung vollzogen und gewahrt wird, die dem Analogieverhältnis von Dogma und Liturgie entspricht. Die deduktiv-philosophische Frage wird zu einer induktiv-phänomenologischen — und muß demnach dogmatische geklärt werden. So unvermeidlich an seiner Stelle eine kritische Prüfung des im Kirchenrecht auftretenden Rechtsbegriffs überhaupt am Platze ist: hier geht es nur darum, ob das opus proprium der Kirche in Liturgie und Bekenntnis als ein Inbegriff von Akten des Vollzugs in angemessenen Rechtsbegriffen dargestellt werden kann. Schon damit ist der imperativische Charakter des herkömmlichen Rechtsbegriffs gesprengt. Der Imperativ ist ein Blankett, welches jeden beliebigen Inhalt haben kann, während wir hier ein spezifisches Handeln voraussetzen und nach seiner rechtlichen Struktur fragen.
Das Bild der methodologischen Lage und der Barthschen Lehre wäre ohne ein weiteres Moment dieser Konzeption unvollständig: den Gedanken
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der Vorbildlichkeit des Kirchenrechts45. Barth setzt diesem Abschnitt eine Stelle aus Erik Wolfs Schrift „Rechtsgedanke und biblische Weisung” (1948, S. 93) voran:
„Was könnte es bedeuten, wenn die Kirchenordnung und das Kirchenrecht nicht bloß geistliche Umstilisierungen weltlicher Verfassungen und Gesetzbücher wären, sondern echte ursprüngliche Zeugnisse der brüderlichen Gemeinschaft der Jünger Jesu Christi. Was könnte es bedeuten, wen das Kirchenrecht nicht mehr eine positivistisch-juristische Ordnung auf dem Boden irgendeiner historische Staatsform oder eine positivistisch-theologische Ordnung auf dem Boden irgendeiner historischen Bekenntnisschrift wäre, sondern ein wahrhaft bekennendes Kirchenrecht, eine lebendige Gemeinschaftsordnung, die für alle anderen Menschen ein Zeugnis ablegte für die Mitte und das Haupt dieser Gemeinschaft: Christus!”
Dieses von Barth übernommene und in der Folge weiter ausgeführte Programm des im kerygmatischen Sinne „bekennenden” Kirchenrechts ist nicht nur in der Sache selbst, sondern auch methodisch bedeutsam.
Jene Sätze gehören zu den falschen Antithesen, die die echte Kritik verhindern — denn wer wollte alles dies in einem allgemeinen Sinne nicht? — die aber zugleich die darin enthaltenen Wertungen und Vorentscheidungen verdecken. Man kann niemals weiterkommen, wenn man der eigenen, als richtig unterstellten These den abusus, die Entartung, oder gar die Karikatur gegenüberstellt. Ich bin der Sympathie für „Umstilisierungen weltlicher Verfassungen und positivistische Ordnungen auf dem Boden irgendeiner Staatsform” gewiß nicht verdächtig. Aber die Preisgabe des Kirchenrechts beruht nun eben doch auf der ernsthaften und zu diskutierenden Meinung, daß die Kirche zur Bildung wirklich eigenständigen Rechts nicht imstande und berufen sei. Wäre dies so, so dürfte man den Verzicht auf das Unmögliche und seine unvermeidlichen Folgen nicht negativ charakterisieren, sondern nüchtern tragen. Alsbald aber wird diesem schon nicht mit voller Sachlichkeit dargestellten Tatbestand eine ausdrücklich bekenntnismäßig geordnete Kirchenverfassung im gleichen Rang an die Seite gestellt, mit den gleichen negativen Merkmalen des „Positivismus”. „Irgendeine historische Bekenntnisschrift” — das sind in praxi zu allererst die Augustana, dann aber beiläufig die geltenden Bekenntnisschriften der reformierten Kirche. Das bedeutet aber, daß deren dogmatische Gehalt zwar in der Linie des Kirchenkampfes festgehalten und hoch gewertet wird, daß aber ihr kirchenordnungsmäßiger Inhalt und die unvermeidlichen Folgerungen aus der Dogmatik abwertend beiseitegestellt werden. Mit der Antithese eines Ideals christokratischer Bruderschaft und „historischem Positivismus” wird ein grundsätzlich antihistorischer Aktualismus verdeckt46. Es ist freilich unbequem, daß eben diese Bekenntnisschriften aus guten dogmatischen Gründen bestimmte Dinge fordern, andere
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ausschließen, und man muß, wenn man sich hier anders entscheiden will, sich mit eben diesen Bekenntnisschriften auseinandersetzen. Nicht aber geht es an, sie einfach als „historisch” beiseitezusetzen und ex nunc (scheinbar) neu anzufangen. Vollends kann die Gesamtgeschichte des Kirchenrechts in der Konstanz seiner Probleme mit dieser doppelten Charakteristik — Übernahme weltlicher Formen und Bindung an einzelne dogmatische, durch den Zeitabstand fragwürdig gewordene Urkunden — nicht zutreffend gekennzeichnet werden. Auch das evangelische Kirchenrecht liegt im Gesamtbereich dieser Thematik und Problematik, welche mit der Existenz der Kirche gegeben sind.
Diese falsche Antithesen — gerade in der Gegenüberstellung von kerygmatischem und dogmatischem Bekenntnisrecht — verdecken, daß es sich um einen neuen, so bisher nicht vertretenen Gedanken handelt, der als solcher auch offen bezeichnet werden sollte. Ich finde es auch ungut, wenn gerade Erik Wolf als Jurist als Gegenbild zu diesem Zukunftskirchenrecht keine würdigeren Gegner zu beschreiben weiß als diese. Die große geistige Leistung des Kirchenrechts und die Ernsthaftigkeit der in ihm beschlossenen Entscheidungen verdienen eine andere Behandlung, gerade angesichts der weitverbreiteten Unkenntnis und Begriffsverwirrung auf diesem Gebiete. Und schließlich kann weder das eine noch das andere in der geistigen Auseinandersetzung mit den vorreformatorischen Kirchen ernsthaft ins Feld geführt werden.
Wenn die konsekutive und die additive Kirchenrechtstheorie im Großen gesehen den Gegensätzen der abendländischen Rechtsphilosophie entsprechen, so liegen sie im Rahmen des Universalienstreites als realistisch-idealistische und als nominalistische Form der Anschauung, und damit im Ganzen im Bereich des aristotelischen Denkens. Mit dem Gedanken der Vorbildlichkeit kommt demgegenüber ein platonisierendes Element hinein.
Der Gedanke des Vorbilds verbindet sich mit dem Begriff des Bekenntnisses. Bekenntnis ist hier nicht nur liturgisches Bekenntnis, oder formuliertes Lehrbekenntnis oder Verkündigung als Mission. Es ist bekenntnishaftes Zeugnis durch vorbildliche Gestaltung. Auch hier gilt, daß es sich nicht um einen neuen Gedanken von Barth handeln kann, sondern daß das Kirchenrecht dieses Element ja in irgendeiner Weise immer schon enthalten haben muß. Nun ist die Frage der Wirkung des Kirchenrechts auf das weltliche Recht ungeheuer komplex und ebenso umfangreich. Sie erforderte planmäßige Arbeit von Theologen und Rechtshistorikern, um sie nur einigermaßen übersehen zu können. Eine zulängliche Darstellung fehlt bisher durchaus. Leichter kann man etwas über die subjektive Haltung der Kirche und Theologie zu diesem Problem sagen. Die Kirche hat einerseits in einer oft sehr fragwürdigen Direktheit und Gesetzlichkeit bestimmte Gebote mit alt- und neutestamentlicher Begründung jedermann in den christlichen Völkern als allgemein
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verbindliche Forderung ohne Rücksicht auf den Glauben auferlegt, besonders im Eherecht, aber keineswegs nur dort. Sie hat auf der anderen Seite aber ebenso generell die Unübertragbarkeit der besonderen Struktur der Kirche, ihren geistlichen Rechtes auf die weltlichen Ordnungen betont. Sie hat aber gerade nicht aus den allenfalls formulierbaren Einzelforderungen auf der einen, der evangelisch-eschatologischen Besonderheit der Kirche auf der anderen Seite eine Art Parallelogramm der Nutzanwendungen gebildet, dessen Spitze sich auf die Welt richtet.
Der Begriff des Bekennens und des Bekenntnisses verliert in der Gleichung Bekenntnis — Verkündigung — Vorbild seine scharfe Kontur, seine strenge Bezogenheit auf das extra nos, auf die Faktizität dessen, den und das man bekennt.
Wesentlich ist der so ganz beiläufig erscheinende, und doch zentrale universalistische Gedanke: „für alle Menschen” ein Zeugnis abzulegen. Es geht nicht mehr allein darum, eben den Charakter geistlicher Gemeinschaft sinngemäß in der Ordnung auszudrücken, sondern diese Ordnung soll auch für die bedeutsam werden, die an ihr nicht teilhaben. Faktisch hat die Kirche, wo, und dadurch, daß sie gänzlich absichtslos nichts weiter tat, als die Gemeinschaft mit Christus und unter den Christen sinngemäß in ihrer Ordnung zum Ausdruck zu bringen, eine sehr bedeutende, unberechenbare Wirkung au die Welt ausgeübt. Jetzt wird diese Frucht und Wirkung, die sich in Antithese zur und Synthese mit der Welt vollzog, bewußt gemacht, gewollt und ihre Erstrebung zu einem konstitutiven Prinzip des Kirchenrechts erhoben. Bei aller komplizierten Begründung und sonstigen kritischen Haltung wird dies Ziel nicht als problematisch empfunden, sondern mit Entdeckerfreude propagiert.
Und doch ist dieses Programm nur auf Grund zweier nicht genannter Voraussetzungen überhaupt möglich. Die eine ist die Außerkraftsetzung des liturgischen Kirchenrechts. Denn wenn sich das Kirchenrecht an dem konkreten gottesdienstlichen Handeln orientiert, aus ihm Form und Struktur gewinnt, so bleibt neben dieser sachlichen Bindung an ein bestimmtes unverwechselbares Geschehen kein Raum für die Aufstellung und Anwendung genereller Grundsätze, die Vorbild sein können. Gerade dann ist die Kirche keine sich aus einem bestimmten Selbstverständnis verfassende Gemeinschaft, sondern sie ist Gemeinschaft in jenem Vollzug und seiner Form. Hier interessierende Grundsätze kommen dann sehr wohl in den modi der Anwendung, nicht aber in der Struktur selbst zur Ausbildung. Der Gedanke der Vorbildlichkeit kommt nur bei Verwechslung von Struktur und Anwendungsmodus zum Zuge. Alles dies kommt nur in Betracht, wo die Geschichtlichkeit des geistlich-kirchlichen Handelns aufgehoben ist, denn dann erweist sich, daß der Staat nicht tun kann, was die Kirche tut. Alles das trägt idealistischen Charakter, wie auch die vergleichbare Grundrechtslehre Johannes Heckels auf der lutherischen Seite47.
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Das zweite, dem nicht widersprechende Moment ist der platonische Abbildgedanke — die Kirche als das Urbild und Vorbild der polis soll deshalb auch Ur- und Vorbild weltlicher Ordnung sein. Die radikale Diastase schlägt in ein Abschattungsverhältnis um, in dem die Kirche den inneren, die weltliche Ordnung, besonders der Staat, den äußeren Kreis darstellt. Das setzt aber, gerade wenn man es von innen nach außen, von oben nach unten betrachtet und anlegt, immer voraus, daß die irdische polis überhaupt, sei es noch so gebrochen, dieses Vorbild aufzunehmen imstande sei. Diese analogia fidei entgeht der Konsequenz der analogia entis nur dadurch, daß sie sich auf die Wirklichkeit, in der sie sich auszubilden hätte, nicht einläßt und auch nicht einlassen kann. Hier kann alles beurteilt und gefordert werden, und doch bleibt alles, wenn man rückfragt, unverbindlich und in schattenhaftem Ungefähr. Auch hier bringt Barth wieder seine schwächste und ihm leider allzu wichtige Schrift „Christengemeinde und Bürgergemeinde” ins Spiel, an deren nicht zufälligen staatsrechtlichen Fehlgriffen sich jene Unverbindlichkeit erweist. Der Aktualismus der Gottesdienstlehre und das letztlich politische Pathos des Vorbildgedankens sind die beiden Wege, auf denen Barth den Konsequenzen des eigenen revolutionären Gedankens vom liturgischen Kirchenrecht entgeht. Mit dem Vorbildgedanken verlässt die Kirchenrechtslehre ihr opus proprium. Die für ihre Ordnung verantwortliche Kirche kann es ihrem Haupte getrost überlassen, inwieweit er die Frucht der Vorbildwirkung im Bereiche zur linken Hand schenken will. Im Reich der Liebe gibt es keine Absichten, auch nicht die allerbesten.
In der gleichen Richtung wie der ihm theologisch eng verbundene Karl Barth stoß Erik Wolf48 energisch vor:
„Der philosophisch ungenügende Rechtsbegriff ist der positivistische. Nach ihm ... ist alles Recht Zwangsnorm: heteronom, äußerlich, technisch, profan, historisch bedingt, und nur von da aus kausal zu deuten. Infolgedessen gehört Recht zum empirischen Bestand der ,Welt’, in welche die Kirche zwar verwiesen bleibt, ihr aber fremd ist und bleiben muß.” ... „Es ist ein großes Hemmnis für die rechtstheologische Arbeit, daß mit dem gegenwärtigen Stand rechtstheoretischer Erkenntnis nicht vertraute Theologen sich dieser unrichtigen Formel noch immer bedienen.”
Es werden Belege aus Emil Brunner, Mißverständnis der Kirche, S. 124, und G. Steck, Wie weit reicht kirchliches Recht?, in „Evangel. Autorität und kath. Freiheit”, S. 64, sowie Münter, Kirche und Amt II zitiert.
An einer späteren Stelle, in der Erörterung der biblischen Genesis49 geht Wolf noch sehr viel weiter in der Kritik, wenn er sagt:
„Alle theologischen Autoren reformatorischen Bekenntnisses verfehlen den Ansatz zur rechtstheologisch klaren Sicht der Ordnungsprobleme, weil sie im positivistischen Rechtsdenken Sohms: ,Recht’ =
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,starres Gesetz’ (Schweizer) oder ,formale Norm’ (E. Brunner) befangen sind.”
Er nennt zuvor außer Schweizer auch Campenhausen, für die Exegese Schlatter, K.L. Schmidt und W. Fischer. Wolf endet mit der entschiedene Formulierung:
„Wesenskirche und Rechtskirche sind eins: Jeder Versuch, sie auseinanderzureißen, führt zur schwärmerischen Anarchie oder zur politischen Entwesung der Kirche. Der auf dem Grund biblischer Dialektik des zugleich In-der-Welt und Nicht-von-der-Welt-Seins recht verstandenen Kirche des Wortes entspricht ein reformatorisch-theologisch begründetes Kirchenrecht50.”
Man sollte mit Befriedigung festhalten, daß jener von zahlreichen namhaften Theologen immer wieder vorgeführte Rechtsbegriff nun einfach verfehlt und unzulänglich ist. Die Jurisprudenz darf für Erkenntnisse Anerkennung verlangen, die der Theologe nicht einfach durch eigene Begriffsbildung aus der Welt schaffen kann. Jene Theologen würden freilich nicht mit solcher Hartnäckigkeit auf juristischen Mißbegriffen beharren, wenn sie nicht ein aktives Interesse daran hätten, welches zugleich mit dem grundsätzlichen Anspruch auf Freiheit von der phänomenalen Welt auch des Rechts durchgesetzt wird. Den neueren, von Wolf angeführten reformationsgeschichtlichen Forschungen zum Trotz ist die Verbindung mit einem so verschifften und verkürzten Rechtsbegriff als eine Tendenz und konstitutionelle Schwäche der reformatorischen Theologie schon von Anbeginn, nicht erst seit Thomasius-Kant, welche Wolf nennt, eigentümlich. Sonst hätte sich auch diese noch eindeutigere Verbildung des Rechtsbegriffs niemals so durchsetzen können, sonst hätte auch die Geschichte des evangelischen Kirchenrechts einen anderen Verlauf genommen.
Aber eben zu der hier notwendigen, eingreifenden Selbstkorrektur ist die evangelische Theologie bisher außerstande gewesen. Erst jenseits davon und auf Grund dieses Consenses der Rechtstheologen kann der Entwurf Wolfs selbst erörtert werden.
In der Sache selbst gehört Erik Wolf der Linie der konsekutiven Kirchenrechtslehre an. Er hat den Vorzug und Vorsprung, als erster nach dem zweiten Weltkriege einen Kirchenrechtsentwurf mit dem vollen Anspruch rechtstheologischer Begründung und Besinnung vorgelegt zu haben, nach zahlreichen wesentlich positiven oder auf die Methodenfragen beschränkten Arbeiten. Zugrundegelegt ist ein sowohl dialektischer wie paradoxaler Kirchenbegriff51. Unter Abweisung falscher Antithesen hat er damit einen breiten Spielraum für Aussagen gewonnen. Aus diesem alle empirischen Kirchen übergreifenden Ansatz folgt dann auch die Mehrheit der Möglichkeiten, das Kirchenrecht theoretisch durchzubilden. Trotzdem könne die Kirchenspaltung nur als Mangel an Glaubensordnung gewertet werden52. „Ordnung der Kirche” wird dem „Recht der Kirchen” gegenübergestellt. Als biblisch begründete Typen werden
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petrinisches und paulinisches Kirchenrecht einander gegenübergestellt, welche in einem („exegetisch bestrittenen”) johanneischen Kirchenrecht ihre ökumenische Einheit finden sollen — eine joachitisch-eschatologische Spekulation.
So kann nach Wolf die Christenheit zwar aktuell ihren Glauben vor der Welt bekennen, aber nicht („institutionell”[?!]) ein gemeinsames Glaubensbekenntnis aufweisen. Sie besitze kein historisch fixierbares Lehrdokument ihres Glaubens. Allerdings habe es immer wieder „Ansätze” zu einer ökumenischen Theologie gegeben. Ihr Ursprung liege in den altkirchlichen Bekenntnisschriften, den ökumenischen Symbolen. Freilich gebe es keine „mundial-ökumenische” Theologie und deshalb auch kein „Recht der Christenheit”.
Es wird hier methodisch wie sachlich mehreres deutlich. Die proklamierte Dialektik des Kirchenrechts wird nicht durchgehalten. Die sich anbietende Dialektik von historischem und aktuellem Bekenntnis, ebenso zwischen Universalität und Partikularität, die an anderer Stelle ausdrücklich angesprochen wird, hat keine konkreten Folgen für die Kirchenrechtslehre. Nur die eine, die aktuale, aktualistische Linie wird ausgezogen.
Wolf lehnt den Leitsatz, daß das Kirchenrecht eine Funktion des Kirchenbegriffs sei, als undialektisch ab53. Kirchenrecht sei vielmehr eine Form kirchlicher Existenz. Die Existenzdialektik von Kirche-Sein spiegele sich in der Differenz zwischen römisch-katholischem und reformatorischem Kirchengedanken und innerhalb des letzteren zwischen lutherischem Denken, welches die Kirche qua Institution akzentuiere, und reformiertem, das von der Gemeinde qua Aktion her denke. Diese Bezüglichkeit vorausgesetzt, werden dann die unterschiedlichen Kirchentümer dargestellt. Der jeweiligen Darstellung werden die theologischen Grundlagen vorangestellt, die sich in a) Glaubensdokumente, b) Theologoumena gliedern54. „Hier geht die Dialektik gedachter Kirche in die Unbedingtheit gelebter Kirche über55.”
Die vorausgesetzte Existenzdialektik tritt nach dieser Meinung in concreto notwendig in einlinige Entscheidungen auseinander56, die aber nicht in einem ausdrückbaren Beziehungs- und Ergänzungsverhältnis zueinander stehen. Sie ist also nur gedacht, kann nicht gelebt werden und auch nicht in kirchenrechtlichen Bildungen zur Darstellung kommen. Ökumenisch im Sinne des Buchtitels ist also nur diese gedachte dialektische Einheit. Es wird also nicht im Sinne der Bildung eines definiblen Kirchenbegriffs alles aus einem Spitzensatz abgeleitet, sondern das vorfindliche Kirchentum in größerer komplexer Breite dargestellt: aber im Grunde ist es nur eine Abwandlung jenes abgelehnten Spitzensatzes, der Folge Kirchenbegriff — Kirchenrecht. Der Kirchenbegriff im Sinne der bisherigen Theorie ist also aus einem theologischen Ansatz in eine breitere theologisch-historische Beschreibung erweitert. Aber die Struktur
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der Aussage und der Gewinnung kirchenrechtlicher Aussagen ist die gleiche geblieben. Das führt zu der Frage nach der Struktur der Aussagen Wolfs und der Form, in welcher er kirchenrechtliche Aussagen gewinnt.
Es ist eine moderne Modifizierung einer idealistischen Denkform, nicht ihre Überwindung. Die ökumenische Einheit — Gegebenheit und Forderung zugleich — ist doch ebenso grundsätzlich nicht realisierbar und wird von den vorfindlichen Kirchentümer mit ihren konstituierenden Selbstzeugnissen und Theologoumena (das Wort wird auffälligerweise ohne kritischen Akzent verwendet) grundsätzlich unterboten. Der falsche, juristisch unhaltbar gewordene Gegensatz von Geistliche und Rechtskirche wird durch diejenigen von ökumenischer Kirche und historisch-konkretem Kirchentum abgelöst. Ideal und empirische Wirklichkeit liegen als Wertschichtungen übereinander. In beiden hat die Rechtsdimension ihren Platz — muß sie grundsätzlich haben — trotzdem gibt es kein konkretes ökumenisches Kirchenrecht. So rückt die ökumenische Kirche nach Standort und Beschaffenheit in die Nähe der alten Geistkirche.
Dieser Aufriß und die Akzentuierung des Aktuellen wirft ein Licht auch auf Barths Ablehnung gemeinkirchlichen Kirchenrechts. Von dessen Theorie vom liturgischen und bekennenden Recht spielt das erstere Moment für Wolf im ganzen I. Grundsatzteil keine Rolle — eine Bestätigung der Auffassung, daß Barth hier nicht eine zentrale, sondern eine Grenzaussage seiner Theologie erreicht hat, die deshalb für seine Anhänger keine verpflichtende Kraft hat. Damit ist aber zugleich die dialektische Zuordnung von Liturgie und Bekenntnis preisgegeben. Das Bekenntnis als spezifischer Vorgang löst sich in das Kerygma und das theologische Selbstverständnis der einzelnen, historisch verschiedenen Kirchengemeinschaften auf. Die Existenz der Kirche wird ihrem Handeln vorgeordnet, entsteht nicht aus der Struktur dieses Handelns selbst. Eine Dialektik zwischen Erkenntnis und Handeln, Lehre und Vollzug, die sich vom Existenzdenken her wenigstens als Problem anbietet, wird nicht erwogen. Ein Satz wie „lex orandi — lex credendi” hat hier gar keinen Boden, noch nicht einmal als Frage. Das entspricht wohl einer entschlossenen kerygmatische Theologie — die Verwendung des Existenzbegriffes hat wohl dann nur noch formale Bedeutung.
Wolf erreicht also jene Position Barths nicht, sondern gibt sie preis. Er gibt eine sachliche Gemeinsamkeit, gegenüber anderen Religionsgemeinschaften und den Sekten, nicht aber in bedeutsamer, konkret erhebbarer Weise zwischen den Kirchen: die Ökumene wird zugleich gefordert und für unmöglich erklärt.
Erst diese entfaltete Anschauung erklärt die dialektische Spitzensätze des Vorwortes, die auffällig, aber aus sich nicht voll verständlich sind:
„Nur im Recht ist ihr (der Kirche) Glaube ein ordentlicher (fides
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ordinata), nur im Glauben ihre Ordnung gerechtfertigt (ordo justificatus) ... Kirchenrecht ist demnach sowohl göttlicher Zuspruch wie menschlicher Anspruch: es ist in der — Welt, aber nicht von ihr ... Ordnet, richtet, verwaltet die Kirche im Glauben, so ist sie im Recht; wähnt sie, allein im Ordnen, Richten, Verwalten Kirche zu sein, so ist sie gerichtet57.”
In der bekannten theologischen Terminologie wurden bisher Anspruch wie Zuspruch als solche Gottes an den Menschen verstanden: jetzt liegt der Anspruch in demjenigen der konkreten Kirchentümer, die doch sämtlich intendieren, dem Anspruch Gottes zu folgen und ihn zu verkünden. Welche Kirche glaubt denn aber „allein” im Ordnen (offenbar ohne und abgesehen vom Glauben) Kirche zu sein? Das tut auch die römische Kirche nicht — und Wolf wehrt selbst Simplifizierungen der römischen Kirche als eindeutige Rechtskirche ausdrücklich ab. Die hier versuchte Beschreibung der paradoxalen Dialektik christlicher Existenz ist in beiden Gegensatzpaaren schief. Neu und undefiniert wird der Begriff des „geordneten” Glaubens, der fides „ordinata” eingeführt. Gerade wer der Rechtsdimension ohne Vorurteil ihre volle Bedeutung wieder verschaffen will, wird danach fragen müssen, was denn der ordinatio fidei ein Gewicht verleiht, das sie befähigt, in einer solchen Dialektik ein entsprechendes Gedankenglied darzustellen. Darüber bleiben wir im Unklaren und können nur in der mutmaßlichen Richtung weiterdenken. Der Begriff der „fides ordinata” hätte seinen guten Sinn, wenn damit gemeint wäre, daß der gläubige Christ sich im spezifischen Handeln der Kirche, ihrem opus proprium an seinen Ort stellen läßt: eine solche Selbststrukturierung der Kirche läge in der Richtung der Barthschen Programms vom liturgischen und bekennenden Recht; dann wäre der Begriff mit Recht in eine Dialektik eingespannt, weil diese Selbststrukturierung sich eben niemals selbst trägt, sondern immer durch den Glauben und den verheißenen Geist getragen wird. Das aber würde bedingen, daß eben diese immanent-tranzendente Struktur der Kirche in ihrem Handeln in der weiteren Durchführung des Werkes dadurch zum Ausdruck käme, daß diesem Handeln fundamentale Bedeutung eingeräumt würde — vor und allenfalls zugleich mit ihrem Vorhandensein als konkrete subjektartige Gemeinschaft. Aber eben dies ist nicht der Fall. Jede einzelne zunächst in ihrer theologischen Basis beschriebene Kirche ordnet ihr Handeln in charakteristischer Weise — nicht aber ordnet dieses Handeln in charakteristischer Weise die Kirche(n). Ist diese ordinatio im Sinne Wolfs (nominalistisch) die Ordnung überhaupt oder ähnlich den beiden anderen Antithesen eine historisch-kontingente Ordnung? Das stimmt wieder mit der betonten Untrennbarkeit von Geistkirche und Rechtskirche nicht überein.
Erst im zweiten Hauptteil kommt bei Wolf unter dem Titel „Der ökumenisch verpflichtende Ansatz” liturgisches und bekennendes Recht zur
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Darstellung. Das Stiftende, konkret das Vorbild der Urkirche, ist ihm nicht geschichtliche Vergangenheit, sondern gegenwärtige Geschichtlichkeit58. Daß die „protestantische Kirche” sich nicht an der apostolischen Urkirche, sondern am Evangelium orientieren müsse (Kamlah, Campenhausen) weist er zurück und beruft sich hierfür auf Luther ebenso wie auf die reformierte Tradition.
Wenn nun anschließend in der Darstellung der „Ordnung der Urgemeinde” deren liturgisches und Bekenntnisrecht breit entfaltet und auch bis zu einem gewissen Grade systematisiert wird, so sind diese Teile weder mit den allgemeinen Ausführungen des I. Teiles noch mit der positiv-historischen Darstellung der Kirchentümer ausgeglichen. Die urkirchliche Ordnung ist geschichtlich umgebildet und zerspalten worden. Sie ist dennoch verpflichtend, kann aber nur unter Voraussetzung der Lehreinheit wieder gewonnen werden. Das ist wieder die herkömmliche Ableitung aus der Lehre, der Weg der Deduktion, nicht der Ordnung aus und im Vollzuge. Dieser immanente Widerspruch zwischen Teil I und II kann für Wolf selbst und in seiner sachlichen Tragweite nur durch Erörterung der Gottesdienstlehre geklärt werden, welche in der Darstellung der urkirchlichen Ordnung unausdrücklich enthalten sind. Die vorausgesetzte empirische Unmöglichkeit, das gleichwohl verpflichtende genetische Urbild zu verwirklichen, verbindet sich mit einer deutlichen Abneigung, eine Systematik auszubilden und durchzuführen. Dieser Gegensatz zwischen Grundsatz und Empirie wird noch durch die praktische Themenstellung des Buches überlagert und verstärkt, welches als Lehrbuch den vollen historischen Stoff darbieten will. Ich komme daher auf Teil II im Zusammenhang der Gottesdienstlehre zurück59.
Wilhelm Maurer hat in seinem Buch „Pfarrerrecht und Bekenntnis60” als Lutheraner zu Barths Konzeption Stellung genommen. Er interpretiert sie in erster Linie von der christokratisch-theokratischen Linie her und faßt diese als ein spezifisch reformiertes Ordnungs- und Rechtsprinzip, das der Lutheraner nicht annehmen könne. Es wird hier in der Tat die Zweideutigkeit der Durchführung des eigenen Gedankens bei Barth sichtbar. Aber andererseits wird dadurch der Gedanke des liturgischen Kirchenrechts noch keineswegs getroffen. Maurer hat Recht, daß bei Barth der Gnadencharakter des Kirchenrechts gegenüber dem Forderungscharakter nicht genügend herauskommt. Der Gedanke des liturgischen Kirchenrechts aber ist ein grundsätzlicher, allgemeiner. Gewiß interpretiert nun Barth diesen grundsätzlichen Gedanken sofort von seiner reformierten Sicht. Aber das ist nicht notwendig, und zeigt nur, daß er sich der eigentlichen Tragweite des von ihm gefundenen Ansatzes nicht voll bewußt sein kann. Grundsätzlich gibt es ein lutherisches liturgisches Kirchenrecht wie es ein reformiertes und ein römisch-katholisches gibt. Die eigentümliche Konkretisierung des gebotenen und heilsnotwendigen Geschehens im gottesdienstlichen Handeln bildet den
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Transformator für die Entstehung des jeweilig spezifischen Kirchenrechts, nicht die Lehre von Kirche und Kirchenrecht in der Abstraktion unabhängig von diesem Vollzuge. Gerade diese Rückführung des Kirchenrechts aus dem Begriff in den konkreten Vollzug — (welche mit der Rücknahme der Rechtstheologie aus der Ethik in die Dogmatik parallel geht) — ist das eigentliche Revolutionäre, das Barth gelungen ist — nicht ohne daß er es sofort (das spürt Maurer mit Recht) reformiert, im höchsten Grade konfessionell bestimmt ausfüllt und anwendet. Maurer, der sich mit Recht an dieser Art der Anwendung stößt, übersieht nun eben doch den grundsätzlichen Fortschritt.
Es ist oft übersehen worden, daß Barth die These vom Zusammenhang von Rechtfertigung und Recht in die Form der Frage kleidet. Er hat sie dann in vielfältiger Form, so in der Lehre von der analogia fidei, in der Schrift „Christengemeinde und Bürgergemeinde” anzuwenden versucht. Aber er hat sie doch über die Frage hinaus nicht entscheidend weiter begründet. Auf diese Tatsache weist Johannes Heckel mit einigem Recht hin61.
Auch er sieht einen Zusammenhang zwischen Rechtfertigung und Recht schon in der Rechtslehre Luthers. Aber er findet ihn bei Barth zwar behauptet und gefordert, aber nicht inhaltlich bezeichnet. Es ist der Vorwurf eines gewissen Formalismus. Heckel grenzt sich von Barth dadurch ab, daß er als materiale Bestimmung dieses Verhältnisses und zugleich als zentralen Begriff der Rechtslehre Luthers die lex spiritualis bezeichnet, von der aus gerade nicht die Verweltlichung des Rechtes im liberalen Sinne, sondern sein eminent geistlicher Charakter zu begründen und zu verstehen sei. Diese Anschauung liegt methodengeschichtlich weit hinter Barth zurück, weil sie wiederum einen abstrakten Generalbegriff bildet, aus dem dann ein Gesamtverständnis folgen soll, während Barth schon zu der Bindung an ein spezifisches Geschehen vorgestoßen ist. Barth und Heckel aber stehen sich insofern wieder ganz nahe, als ihnen ein imperativischer Rechtsbegriff ganz selbstverständlich ist, den Heckel ausdrücklich als „lex” bezeichnet. Damit aber hat auch das Recht auf der Grundlage der Rechtfertigung die Sollensstruktur der Forderung, des fordernden — wenn auch neuen — Gesetzes erhalten. Das positive Naturrecht und göttliche Recht im Sinne der Scholastik ist spiritualisiert, aber seine geistige Form ist unangetastet erhalten. Die ontologische Unterbauung ist zufolge des nominalistischen Denktypus weggebrochen, die Gesamtstruktur ist geblieben. So wurde die lex spiritualis alles oder nichts: für den, der etwas Handhaftes haben wollte, wurde sie fast zum einfachen Gesetz.
So wird auch heute die äußerste, bis zur Unverständlichkeit gesteigerte Subtilität Johannes Heckels von seinen Nachfolgern in einigen wenigen ziemlich groben Grundbegriffen, wie etwa den „drei Grundrechten62” — leider mit dem Anspruch der Autorität Luthers — handhaft
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ausgemünzt. Für denjenigen, der den spiritualen Typus festhalten wollte, verflüchtigt sie sich zum ethischen Formalismus. Sie wird unfaßlich und inhaltslos und läßt schließlich im Sinne von Kant als das allein wirkliche Gute den guten Willen übrig, in deutlicher Berührung zu dem Versuchscharakter alles Kirchenrechts bei Barth. Während die konfessionell lutherische Tradition einer Verbindung von Rechtfertigung und Recht, wie sie Heckel bei Luther glaubt nachweisen zu können, ablehnend gegenübersteht, hat Ernst Wolf in einer Besprechung63 die weitgehende Übereinstimmung der Heckelschen Lutherkonzeption mit Barth hervorgehoben und begrüßt. Was Heckel und Barth indessen verbindet, ist wohl mehr ein idealistisches Moment.
Diese Anschauung aber läßt gerade das Wesentliche des geistlichen Lebens der Kirche rechtlich unverstanden und deshalb auch rechtlich unverfaßt.
Das Gemeinsame zwischen Barth und Heckel, welches beide an einem Vorwärtskommen auf dem Felde des Kirchenrechts hindert, ist die Verwendung von Oberbegriffen wie regnum Christi, lex divina, lex spiritualis, bruderschaftliche Christokratie usf. Solange Kirchenrecht in dieser Form begründet wird, ist es ziemlich gleichgültig, als wessen Herrschaft die Kirche bezeichnet wird. Das Subjekt von Allgemeinbegriffen ist auswechselbar.
Nichtsdestoweniger bedeutet die Konzeption Barths den Vorstoß zu einer Fragestellung, die Heckel nicht erreicht. Aber das Thema des liturgischen Kirchenrechts, die Parallelisierung von Liturgie und Kirchenrecht hat nur Sinn und entfaltet erst ihre Bedeutung, wenn der Vorgangscharakte beider klar erkannt und durchgeführt wird. Dies tut jedoch Barth nicht. So bleibt der Ansatz undurchgeführt.
Methodologisch unentschieden ist die Linie, die Ernst Kinder in seinem Buch „Der evangelische Glaube und die Kirche64” vertritt. An der letzteren Stelle (S. 179) sagt er:
„Die lutherischen Bekenntnisschriften reden ... fast immer da, wo sie von kirchlichen Ordnungen reden, von gottesdienstlichen Ordnungen: aber in einem gewissen Sinne kommt in diesen das Wesen und der Charakter kirchlicher Ordnungen überhaupt zum Ausdruck.”
Diese durch CA VII nahegelegte These bleibt jedoch bei ihm in der Schwebe. So heißt es etwa (S. 149):
„Am besten geht man zur rechten Bestimmung und Ordnung des Verhältnisses vom Gottesdienst aus, da ja dieser dasjenige Geschehen ist, in dem sich die Kirche am elementarsten und charakteristischten konkretisiert ... Es würde durchaus sachgemäß sein, wenn die Ordnung des Gottesdienstes das erste in der Kirchenordnung wäre und wenn alle andere Ordnungen der Kirche sich um die Ordnung dieses ihres Zentralereignisses herum gruppieren und von ihm sich
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Ausrichtung und Maßstäbe geben lassen würden.”
In der Anmerkung S. 150/1 folgt ein Hinweis auf eine entsprechende Gliederung der lutherischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts.
So positiv das klingt, übrigens in fast wörtlicher Übereinstimmung mit dem hier nicht angeführten Barth — warum der unbestimmte Konditionalis?
Offenbar ist das hier Gesagte nun eben doch nicht der Ansatzpunkt. S. 149, Anm. 3, wird unter der übrigen Literatur auch Peter Brunners Lehre vom Gottesdienst zitier (Leiturgia I), aber ein inhaltlicher Rückgriff erfolgt dennoch nicht. Die von ihm im Anschluß an Luther und Melanchton erhobene Doppelschichtigkeit des Gottesdienstes spielt für Kinder nirgends eine Rolle. Das ist charakteristisch. Das Amt ist zur Predigt und Sakramentsverwaltung nötig, und es versammelt auf diese stiftungsgemäße Weise die Gemeinde. So erhält Kinder zwei eigenständige, miteinander eng verbundene Größen, aus denen sich die Ordnung der Kirche ergibt. Aber er braucht zu diesem Ergebnis nur das „Daß” des Gottesdienstes, nicht sein „Wie”. Eine Interpretation des gottesdienstlichen Geschehens selbst erscheint offenbar nicht nötig.
Aber gerade indem Kinder auf die Durchführung dieses Gedankens verzichtet, vollzieht er mehr oder weniger bewußt eine Entscheidung in der Gottesdienstlehre — so wie es auch Barth in dem Verzicht auf die Durchführung seines Gedankens getan hat. Wie Barth einen aktualistischen Grundzug, so hat Kinder einen nominalistischen. Weil für ihn allein eine Linie der Ausrichtung von Predigt und Sakramenten wesentlich ist — anders als das von Brunner nachgewiesene — kann gegenüber dieser eingleisigen Tatsächlichkeit jede weitere Erwägung zurückbleiben. Deswegen entfernt sich diese so lebendig dargestellte These doch praktisch nur sehr wenig von der vorherrschenden „negativen Verfassungsorthodoxie”65. Sie ist darin gewiß nicht so schroff wie die altlutherische Orthodoxie des 17. und die neulutherische des 19. Jahrhunderts, sondern beweglicher. Aber solange sich nicht das Gottesdienstverständnis selbst differenziert und vielfältiger wird, werden sich über die mit Recht angestrebte Füllung und Stärkung des Amtsbegriffes hinaus nun eben doch keine Triebkräfte und Ansätze zur Gliederung und vielfältigen Gestaltung von Gemeinde und Gesamtkirche ergeben. Nicht Wünsche, sondern theologische Notwendigkeiten vermögen allein solche Triebkräfte zu entbinden: und man kann es nicht um dieser willen wollen. Man muß bei der Gottesdienstlehre um ihrer selbst willen bleiben.
Für die methodologische Untersuchung ist auch ein Buch von Hans von Campenhausen von wesentlicher Bedeutung66.
Campenhausen kann angesichts der exegetischen Ergebnisse, zu denen er selbst beigetragen hat, die Begriff Amt und geistliche Vollmacht nicht mehr im Sinne einer bloßen Antithese nach dem Vorgang der liberal-protestantischen Kirchenrechtskritik verstehen. Er sieht mit Recht
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ein sehr viel differenzierteres Verhältnis der Spannung und Zuordnung zwischen ihnen67. Dem Profanhistoriker ist freilich diese Interpretation des kirchlichen Schrifttums der ersten drei Jahrhunderte „unter Anwendung ideal-typischer Kategorien” auf dem Bereich der Herrschaftssoziologie Max Webers „zu eng und deshalb nicht ganz überzeugend68”.
Der Grund liegt sehr tief im Ansatz. Es ist wesentlich, daß das Buch (in Behauptung und Bestreitung) an der Entwicklung des und der Amtsbegriffe orientiert ist. Diese haben ihre Entwicklung so betrachtet in sich. Sie sind jedoch nicht entscheidend geformt und in Beziehung gesetzt zu dem, was die Ämter denn in concreto tun. Das Kirchenrechtssubjekt „Amt” wird wechselnd (auch charismatisch) interpretiert, während der Gegenstand seines Handelns als gegeben vorausgesetzt wird und im großen Ganzen außerhalb der Erörterung bleibt. Die bestätigende Ausnahme liegt in den Kapiteln 6 und 9, in denen Schlüsselgewalt und Bußdisziplin mit ihren starken Auswirkungen auf die Amtsentwicklung dargestellt werden. Die Entscheidungen im Bußrecht aber sind solche in der Grenzsituation. Sie setzen die konstituierte und verfaßte Gemeinde voraus. Daß von dieser ultima ratio starke Antriebe ausgehen, ist sicher und verfassungsgeschichtlich nicht ungewohnt. Und doch kann sie nicht wohl die prima ratio sein oder sie ersetzen. Sie läßt vielmehr nach der prima ratio dieser bereits bestehenden Ordnung fragen. Der übrigen Darstellung aber liegt unbefangen die Vorstellung zugrunde, daß das handelnde Kirchenrechtssubjekt, mehr amtlich oder mehr pneumatisch, in einem diskutablen und festzustellenden Maße eine rechtliche Position besitzt, d.h. einen Anspruch auf Gehör und Gefolgschaft verkörpert, daß aber der Gegenstand seines Handelns selbst auf alle Falle außerrechtlichen Charakter trägt. Deswegen ist eine Differenzierung und Auslegung dieses Handelns auch nicht weiter erforderlich. Die Ausnahme bildet dann natürlich die Schlüsselgewalt, die ohne konkrete Rechtsfolgen nicht wohl denkbar ist und unausweichlich judizieren, jurisdiktionellen Charakter trägt. Diese vorausgesetzte Unterscheidung ähnelt sehr derjenigen von Bultmann zwischen konstitutivem und regulativem Recht, in der nur das letztere bejaht werden kann.
Daß die ältere Kirchenrechtsgeschichte anders verläuft, wird in Sohms Darstellung des altkatholischen Kirchenrechts als Sakramentsrecht sehr deutlich. Die Struktur des sakramentalen Handelns bestimmt mit der ihm eigenen Logik in geschichtlich wechselnden Auslegungen die Entwicklung des Kirchenrechts auf alle Fälle für Campenhausens Berichtsabschnitt.
„Daß der sakramentale Kultus Recht erzeugt, das ist eine Entdeckung Sohms, die in ihrer Bedeutung noch ihre wissenschaftliche Würdigung erfahren muß69.” Diese Forderung erfüllt Campenhausens Arbeit nicht. Hierauf weist auch Bösl hin, wenn er sagt:
„Die Begriffsanalyse schätzt die Bedeutung des Kultisch-Sakralen zu
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gering und berücksichtigt zu wenig, daß das Christentum sich nicht nur als Geistreligion, sondern als kultisches Mysterium mit einer alle Werte verwandelnden sittlichen Ordnung durchgesetzt hat ... Das rechtliche geordnete Amt hat auch einen sakralen, kultischen Grund70.”
Dieses Verhältnis von Amtsbegriff und Amtsvollzug gilt nicht nur für jene Situation des frühen Christentums, sondern, wie auch immer die Verrichtungen bestimmt werden, grundsätzlich. Die Entwicklung des Amtsbegriffes ohne diese Auslegung seines Gegenstandes läuft leer. In Wahrheit aber ist mit diesem Verständnis des Christentums als Geistreligion schon eine materiale Entscheidung in der Lehre vom Handeln der Kirche und damit der Gottesdienstlehre getroffen, auf deren Mißverhältis zum Wesen der alten Kirche Bösl hinweist. Diese Kritik des Profanhistorikers ist eine erwünschte Bestätigung der These vom liturgischen Kirchenrecht.
Es wird aber zugleich sichtbar, wie weittragend jene These ist und daß sie, wie schon ausgeführt, keine These ex nunc, sondern zugleich ein Schlüssel für das Verständnis der Geschichte des Kirchenrechts ist. Denn erst mit der Einbeziehung des kirchlich-gottesdienstlichen Handelns in den Aspekt des Rechtes gewinnt das Kirchenrecht die Dimension der Existentialität wieder. Deshalb hat die Fragestellung Barths nach dem Verhältnis von Rechtfertigung und Recht auch die These vom liturgischen und bekennenden Kirchenrecht nach sich gezogen. Andererseits: weil bisher — und in dieser Traditionslinie auch bei Campenhausen — der Inhalt und Gegenstand des Handelns seine entscheidende Rolle eingebüßt hat, ist auch der konkrete Ertrag des konfessionellen Streits um die Kirchenrechtssubjekte so erstaunlich gering für das konkrete Kirchenrecht.
Es ergibt sich hieraus zugleich, daß das Kirchenrecht nicht eine Art Interimsordnung ist, welche durch die Parusieverzögerung notwendig geworden mehr und mehr unangemessene Bedeutung gewonnen hat. Im Gegenteil: der mächtige Strom sakramentalen Lebens, den Käsemann für die paulinischen Schriften in „Leib und Leib Christi” aufweist, den auch die doch sehr frühen Ignatiusbriefe zeigen, wird von Linton gerade als „proleptische Eschatologie” bezeichnet, geglaubte Gegenwart des zukommenden und zukünftigen Herrn.