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Wenn Dombois den geistlichen „Ort” des Kirchenrechts aufsucht, so leitet ihn die Überlegung, er müsse dort zu finden sein, wo auch die geistliche Mitte der Kirche ist. Das ist aber Wort und Sakrament — nicht in ihrem abstrakten Vorhandensein, sondern in ihrem konkreten Vollzug. Damit ist Dombois beim Gottesdienst angelangt.
Wo man sich aber um das Wort Gottes und das Abendmahl versammelt, da bilden sich — soziologisch betrachtet — verschiedene Rollen und Funktionen aus; das ist die Rechtsstruktur der Kirche. Es muß jemand da sein, der das Wort verkündigt, jemand, der dem Mahl vorsteht, und so fort; wer im Gottesdienst eine wichtige Stellung hat, wird auch in den sonstigen Gemeindeangelegenheiten eine Sonderstellung innehaben; dazu kommen Beziehungen zu anderen Gemeinden, sei es, daß sie Tochtergemeinden sind, sei es aus anderen Gründen. Diese Rollen stehen untereinander im Bezug, eine „Verfassung” formt sich aus. Wo das „rechtens” geschieht, da bildet sich Kirchenrecht, ja es ist schon da (alles, was zum Heil notwendig ist, ist „rechtens” in der Kirche!). Ein der Soziologie nahestehender „konkreter” Rechtsbegriff, der noch dazu die Rechtsentstehung mit einbezieht, bietet sich an, diese Funktionen, Strukturen und Relationen als Rechtsphänomene zu begreifen.
So baut sich von innen nach außen (nicht: von unten nach oben!) die Institution Kirche auf. Kirchenrecht hat, so gesehen, die Aufgabe, alle diese Vorgänge unter rechtlichem Aspekt darzustellen und auf ihre Legitimität nachzuprüfen.
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Freilich ist diese Kirchenrechtslehre nicht sozusagen vom Himmel gefallen; sie hat eine im einzelnen recht verwickelte Entstehungsgeschichte, die hier nur soweit geschildert wird (unten b 1), als dies für das Verständnis der Absichten Dombois’ dienlich ist (wie überhaupt betont werden muß, daß im folgenden keineswegs die ganze Kirchenrechtslehre Dombois’ ausgebreitet, nicht einmal alle ihre Grundgedanken verfolgt werden sollen, so reizvoll das im einzelnen wäre; geht es doch um die Rechtstheologie, und nicht um das Kirchenrecht!). Ein Überblick (b 2) über die fast elfhundert Seiten des „Rechts der Gnade” leitet über zur „Methode” Dombois’ (c).
Die eigentliche Rechtstheologie des Kirchenrechts gliedert sich in zwei Abschnitte, in eine „historische” Grundlegung (unten 2) und ihre „systematische” Entfaltung (3), an die sich, wie schon bisher, kritische Überlegungen zur Tragweite und zur theologiegeschichtlichen Stellung dieses Ansatzes anschließen (4).
Die „historische” Grundlegung baut das Kirchenrecht von seinem Ursprung her auf: Es ist Christus und sein vierfacher Auftrag an die Kirche (unten 2 a: Missions- und Taufbefehl, Wiederholungsauftrag und Schlüsselgewaltübertragung), der eine bestimmte Rechtsstruktur aufweist (2 b: Dualismus von Auftrag und Vollmacht mit dem Rechtsinstitut der Repräsentation bzw. Stellvertretung). Dieser vierfache Auftrag Christi wird durch die Geschichte hin weitergegeben und erfüllt: formal in Traditions- und Einordnungsvorgängen (die vier „kirchenrechtlichen Grundbegriffe” unten 2 c); material aber im gottesdienstlichen Recht (2 d), das weithin eine Konsequenz der rechtsanthropologischen und institutionellen Voraussetzungen ist (2 e).
Das gottesdienstliche Recht umfaßt nach Dombois das Recht von Wort und Sakrament (oder unter anderem Gesichtspunkt das bekennende und das liturgische Recht) (3 a, 3 b), wobei sich tiefe Einsichten in die Rechtsstruktur des Wortes Gottes überhaupt ergeben.
Der erste Aufsatz zum Kirchenrecht1 (1951) über die Rechtsstruktur der Bischofswahl (!) zeigt die Entstehung der kirchenrechtlichen
1) GRE 134 ff.
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Auffassungen Dombois’. Der Titel „Altkirchliche und evangelische Kirchenverfassung” läßt das historische Interesse erkennen. Die Untersuchung ist weithin eine selbständige Auseinandersetzung mit R. Sohm und dem Kirchenrechtswerk des Orthodoxen N. Milasch. Dabei wird Sohm an Milasch und Milasch an Sohm korrigiert: Keine Kirche hat das Erbe unverfälscht bewahrt. Damit kündigen sich zwei wichtige Themen des kirchenrechtlichen Schaffens Dombois’ an: die Widerlegung Sohms und die ökumenische Zielsetzung.
Von Anfang an nimmt Dombois auch systematisch eine eigene Position ein. Er lehnt es ab, das Kirchenrecht als eine Funktion des Kirchenbegriffs anzusehen. Es entsteht vielmehr aus (Wort und) Sakrament2.
Das wird deutlich in „Naturrecht und christliche Existenz”. Die beiden Grundrelationen K. Barths sind der Ausgangspunkt: dem Gottesbezug entspricht das Kirchenrecht, dem Nächstenbezug die Ehe, der Staat, die Völkergemeinschaft. Damit ist bereits die Eigenständigkeit der Kirche und ihres Rechts durch die Annahme einer nur ihr zukommenden Relation begründet. Doch hat das Kirchenrecht auch einen Weltbezug gemäß dem Auftrag der Kirche. Darum ist es zweiteilig. Dem Verhältnis des einzelnen zu Gott bzw. zur Kirche entspricht das „innere”, dem der Kirche zum Staat kraft ihres Auftrags jedoch das „äußere” Kirchenrecht3.
Die folgenden Veröffentlichungen sind sachlich bereits Vorarbeiten zum „Recht der Gnade” — „mein eigentliches Lebenswerk”4 —, das einer der Großen der gegenwärtigen katholischen Theologie als „ein ärgerlich bedeutendes Buch!” bezeichnet hat, womit vorweg Form und Inhalt dieses Kirchenrechts aufs trefflichste charakterisiert sind.
Das Ziel aber ist, wie der besonders hervorzuhebende Vortrag vor der Evangelischen Michaelsbruderschaft5 erweist, das ökumenische: Dombois will diejenigen Rechts-, Verfassungs- und Denkformen in der Kirche schaffen (zuvörderst in der evangelischen), die eine „gegenseitige Anerkennung” der Kirchen ermöglichen würden. Diese Absicht ist
2) Meth. 337, NRE 39.
3) NRE 38 ff. Hier ist nur angeführt, was für die
Gesamtkonzeption bedeutsam ist. Diese Einteilung ist
unausgesprochen und differenzierter noch in RdG 1006-1009
wirksam.
4) ZEE 1963 316.
5) Bekenntnis und Ordnung, OU 27 ff.
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die verborgene Mitte seines Kirchenrechtswerks. Von dort her ist es zu verstehen und zu interpretieren, wie schon eingangs betont wurde.
Das Vorwort läßt bereits wichtige Motive anklingen: das problematische Verhältnis des Theologen zum Recht, die Sendung des Juristen für die Theologie, die universalkirchliche Tendenz.
Ein Teil I, überschrieben „Voraussetzungen”, handelt über Methode und Rechtsbegriff. Programmatisch beginnt Kapitel I über das Methodenproblem mit dem Lob der altkirchlichen κανόνες6. Sodann dient die Erörterung der Methode dazu, alle bisherigen Kirchenrechtstheologien zu disqualifizieren (nicht theologisch begründetes Kirchenrecht ist ohnedies indiskutabel). — Die beiden folgenden Kapitel (II, III) interpretieren zunächst rechtsphänomenologisch und -soziologisch die Rechtsbegriffe, die sich im Gottesverhältnis und in der Schrift vorfinden (Bund, Testament, Repräsentation; Bote, Herold, Zeuge, Gesandter; Werk, Dienst, Opfer, Sakrament). Darauf wird die typische Struktur dieser Bilder und Vorgänge im Begriff des Gnadenrechts zusammengefaßt.
Nun wird ein „liturgisches” und „bekennendes” Recht aus dem Gottesdienst der Kirche entwickelt (Teil II): Nach Korrektur der evangelischen und katholischen Verzeichnungen des Priestertums (Kap. IV) wird eine groß angelegte Lehre vom Gottesdienst in rechtlicher Sicht entfaltet. Sie umfaßt nicht nur die sieben (!) Sakramente, die in eigenen Monographien abgehandelt werden, sondern auch Schlüsselgewalt, Sukzession, Dogmenbildung, Entstehung des neutestamentlichen Kanons und vieles andere.
In einem mehr rechtstheoretischen Teil III werden die Rechtsstrukturen dieses liturgischen und bekennenden Rechtes in zweimal zwei kirchenrechtliche Grundbegriffe zusammengefaßt (traditio — receptio, iurisdictio — ordinatio) und mit dem Ertrag der Institutionenforschung verknüpft. Ein bedeutsames Kapitel über das Verhältnis von Kirche und Staat beschließt (nach drei Exkursen über Recht und Grenzen der Soziologie, über das Kirchenrecht J. Heckels und das usus-Problem) den gewichtigen Band I.
6) RdG 19 ff.; vgl. GRE 157, gegen die abendländischen und die morgenländischen Kirchen gesagt: „Kanonisch ist vielmehr jede Ordnung der Kirche, die deren pneumatische Objektivität unverkürzt zum Ausdruck bringt”.
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Die Methode entscheidet über das Ergebnis. „Methode” bezeichnet hier nicht nur die Art und Weise der Darstellung, sondern auch die Bestimmung des richtigen Ausgangspunktes für das Verhältnis von Kirche und Recht7.
Drei methodische Ansätze lehnt Dombois ab: die additive, die dialektische und die konsekutive Methode.
Die additive Methode trennt zunächst Kirche und Recht, indem sie sie von verschiedenen Ausgangspunkten herleitet, und „addiert” sie, setzt sie also nachträglich zueinander in Beziehung. Zwar kann diese verschieden gestaltet sein; jedenfalls aber setzt sie logisch die Wesensverschiedenheit von Recht und Kirche voraus.
Beispiel dafür ist vor allem Sohms bekannte These von der Unvereinbarkeit von Kirche und Recht; aber auch alle die Auffassungen, die ein Kirchenrecht staatlicher Herkunft bejahen, sei es aus theologischen Überlegungen, sei es aus einem zu engen weltlichen Souveränitätsbegriff (Rechtsmonopol des Staates); schließlich die Meinung, die an sich un-rechtliche Kirche habe die Freiheit der Kinder Gottes, das Recht sich „nachträglich” zuzulegen — so etwa F.J. Kahl, aber auch J. Klein und R. Bultmann, schließlich der ungenannte liberale revenant8, unter dem man H. Beintker vermuten darf.
Die additive Methode ist unbrauchbar, weil damit ein Graben zwischen der unjuristischen Kirche und dem unkirchlichen Recht aufgerissen wird, der letztlich nicht überbrückt werden kann. Theologisch ungeklärt wird Gesetz und Evangelium mit Recht und Kirche parallelisiert und obendrein ein unzulänglicher Begriff der Kirche vorausgesetzt.
7) RdG 22, 74 — weshalb die Methodenerörterung
bei Do. zum forschungsgeschichtlichen Aufriß wird. Wichtig ist
hier die — ursprünglich neukantianische — Erweiterung des
Methodenbegriffs, deren Vorläufer aber bis in die Barockzeit
zurückreichen („allumfassendes Zauberwort”, F. Heer 1955 25).
8) RdG 22, 31 f., 34. Do. hebt bei J. Klein und R.
Bultmann den vorgegebenen Kirchenbegriff heraus und bringt sie so
mit der konsekutiven Theorie in Verbindung.
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Kirchenpolitisch folgt daraus die Unfähigkeit, Rechtsfragen der Kirche ohne Schaden für Kirche oder Recht zu regeln. Oder mit dem drastischen Vergleich Dombois’:
„Jene Vorstellung der Addition oder Subtraktion von Kirche und Recht . . . versteht das Recht als eine Art Konservierungsmittel für die Früchte des Heiligen Geistes. Nimmt man zuviel, verdirbt es den Geschmack und womöglich die Früchte selbst, läßt man es weg, so verderben sie. Trennt man so Kirche und Recht und meint man, daß Geist und Recht in der Tiefe nichts miteinander zu tun haben, so kann nur in der Kirche der Geist rechtlos und ihr Recht geistlos werden”9.
Die dialektische Methode ist eine theologische Spielart der additiven Theorie; sie betont sowohl den Gegensatz von Kirche und Recht wie ihre notwendige Zusammengehörigkeit. Sie empfindet die „Eigengesetzlichkeit” des Rechtes besonders stark. Ihre theologische Wurzel liegt in einer dualistischen Sicht des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium.
Nicht zufällig wird sie von lutherischen Theologen vertreten. Hierher gehören H. Wehrhahn, C.A.G. von Zezschwitz und Th. Harnack, ferner G. Holsteins Dualismus von Geist- und Rechtskirche10. Das „dialektische” Kirchenrecht Erik Wolfs wird hier mit Recht nicht genannt.
Bei der konsekutiven Methode handelt es sich im Gegensatz zur additiven und dialektischen Methode um einen „monistischen” und nicht um einen „dualistischen” Ansatz. Denn das Schlagwort lautet: „Kirchenrecht ist eine Funktion der Kirche.” Das Kirchenrecht ist also notwendiges Element der Kirche. Diese Formel ist heute fast Gemeingut der evangelischen und katholischen Kirchenrechtsbegründungen geworden, so daß sich die Aufzählung einzelner Autoren erübrigt. Ehemals war diese These ein Fortschritt; heute ist sie aber — so Dombois —
9) OU 50, ähnlich RdG 25 f.; ferner CrE 47, RdG
22 f.
10) RdG 26 ff., 31, 75 f.
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durch Karl Barths „liturgisches und bekennendes Recht” sachlich und methodisch überholt11.
Die Polemik darf freilich nicht darüber täuschen, daß Dombois diese Position nicht völlig ablehnt. Wenn man unter Kirche eine konkret gefaßte „Kirche als Vorgang” versteht, hat er dagegen nichts zu erinnern. Er wendet sich nur, nun ist eine Veränderung zu beachten, gegen ein „Kirchenrecht als Funktion der Lehre (!) von der Kirche”12. Denn je nach dem gewählten Kirchenbegriff ist dann alles möglich, „vom radikalsten Spiritualismus bis zum extremen Juridismus”. Man setzt eine Definition der Kirche voraus und deduziert davon ein Kirchenrecht nach Belieben. Anstelle einer unbezweifelbaren Grundlage des Kirchenrechts gewinnt man eine Vielzahl konkurrierender Kirchenbegriffe und ein Bündel divergierender Lehrmeinungen. Das Kirchenrecht wird, so möchte man Dombois überspitzen, zur Funktion der jeweiligen theologischen Mode.
Das ist nicht nur theologisch, sondern auch juristisch bedenklich. Das Rechtsproblem wird theologisiert, die Eigenstruktur des Rechts kommt aus dem Blick, die sachlichen (und konfessionellen) Gegensätze werden durch gleichlautende Formeln verdeckt und kommen nicht zum Austrag13.
11) OU 45, RdG 26, 28, 30 ff., 35, 74. Do.
nennt vor allem J. Heckel (RdG 63) und S. Grundmann (RdG 39) —
nur bedingt berechtigt! —, mit Einschränkungen K. Barth (RdG 52
f., 63), ferner Erik Wolf (RdG 57 ff.; zu Recht a. M. R. Bäumlin
ZRG 1965 401), von katholischer Seite H. Barion (RdG 83 A. 15).
Ihre Auffassung hatte gegenüber den bisherigen Positionen den
eindeutigen Vorzug, daß sie nicht nur der geschichtlichen
Erfahrung entsprach, die die Kirchen mit dem Recht gemacht
hatten, sondern auch vorzüglich den Dienstcharakter des
Kirchenrechts ausdrückte; vor allem schloß sie das
Rechtsetzungsmonopol des Staates begrifflich aus, RdG 30.
12) Kathol. 299, RdG 34, 52, 62; das meinen
Berichtskizze 252, RdG 34 f., FS Smend II 289 mit der Ablehnung
des Idealismus! Vgl. die erhellende Umprägung in OU 45, 73 (2.):
„Kirchenrecht ist nicht eine Funktion des
Kirchenbegriffs” mit der Erläuterung FS Karrer 398. —
Hier ist auch an all das zu erinnern, was Do. am funktionalen und
begrifflich-abstrakten Denken kritisiert: daß es ungeschichtlich,
apersonal, nicht existentiell sei, Zusammengehöriges trenne (oben
553 ff.). Außerdem ist hier die Trennung von Real- und
Ideengeschichte wirksam (Exkurs X 519 f.).
13) RdG 30-33, 35, 62, 75; so betrachtet ist auch die
„dialektische” eine konsekutive Methode, ebd. 30. Zur „Lehre”
s.u. 756 ff.
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Alle dies Ansätze legt Dombois beiseite. Mit Karl Barth lautet seine Ausgangsposition: Kirchenrecht ist eine Funktion des Gottesdienstes. Aber ist damit überhaupt etwas gewonnen? Hängt nun nicht alles davon ab, welchen Begriff von Gottesdienst man wählt? Nein, antwortet Dombois; denn man darf nicht von einem Begriff oder einer Idee ausgehen, sondern man muß bei dem beginnen, was die Kirchen tagtäglich und tatsächlich tun. Das ist das geistliche Leben der Kirche, der Gottesdienst. Dombois wendet also die „realgeschichtliche” Betrachtungsweise auf das Kirchenrecht an14.
Das bedeutet eine Umwälzung. Das Kirchenrecht folgt nicht mehr aus der Kirche, sondern Kirche und Recht folgen aus dem Gottesdienst (und dessen Theorie aus der theologischen Anthropologie bzw. der Trinitätslehre!). Damit müssen sowohl der Rechtsbegriff als auch der Kirchenbegriff revidiert werden15. Der neue Rechtsbegriff umfaßt das sich aus dem geistlichen Tun der Kirche ergebende Recht, das Recht gottesdienstlicher Vorgänge; der neue Kirchenbegriff deutet entsprechend die Kirche als gottesdienstlichen Vorgang.
Dadurch gewinnt Dombois die Möglichkeit, mit den Mitteln des Kirchenrechts die „ökumenische Kirche” zu erfassen. Wenn man vom geistlichen Tun der Kirche ausgeht, trifft man überall auf die eine Kirche vor und in allen Spaltungen. Denn wenn in einer Kirche der Geist
14) OU 5 (1.), 52 mit K. Barth KD IV/2 § 67
(nicht: S. 67), Berichtskizze 251 f. (ähnlich CrE 18), RdG 12,
893. In diesem Sinne ist zu lesen: „Es liegt eine Verkehrung vor,
wenn die Sakramente aus dem Kirchenrecht, und nicht das
Kirchenrecht aus den Sakramenten abgeleitet wird”, GRE 175,
ähnlich OU 27 — ganz entsprechend der Sohmschen Schilderung des
Rechts der alten Kirche, aber in RdG (und vorher) durch das
„bekennende” Kirchenrecht ergänzt. Zur realgeschichtlichen und
morphologischen Methode: Exkurs X 519 f.
15) OU 95, RdG 35 ff., 49, 51 f., 81, 375, 998 f. —
freilich nicht, wie man meinen könnte, als kausale Folge
(Denkform!). Zutreffend sieht Ernst Wolf ZevKR 1963/64 98 hier
die tragende These, Do. selbst sogar eine „kopernikanische Wende”
(RdG 1015, ZEE 1963 320; dazu W. Dantine ebd. 390). Vgl. RdG 857,
RGG V 824 (Kirche folgt aus [theologischer] Anthropologie). Man
hat also zu Recht bemerkt, daß Do. nicht an die Kirchen-, sondern
an die Gotteslehre anknüpfe, H. Weissgerber LR 1963 247 ff. Das
ist nichts anderes als die Anwendung der Institutionslehre auf
die Kirche: aus dem Vorgang des Gottesdienstes (d.i. des Handelns
Gottes am Menschen) entsteht der Status Kirche. Kirchenrecht ist
die Rechtsdimension beider. Darum auch RdG 31 ff., 51
Kirchenrecht als der die Kirche konstituierende Vollzug.
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Christi lebendig ist, dann in ihrem Gottesdienst. Diese ökumenische Kirche ist nicht eine eschatologische Vision, sondern eine jetzt schon vorhandene (wenn auch nur partielle) „realgeschichtliche” Einheit (weshalb sich eine solche „realgeschichtliche” Methode in besonderem Maße als „ökumenische” bezeichnen darf). Gleichsam als Rückkontrolle erweist die Kirchengeschichte die Wahrheit dieser Behauptung: Im gottesdienstlichen (= Zentral-)Bereich lassen sich lateinische, evangelische und orientalische Kirchenrechtsgeschichte nicht trennen — was nach den Prämissen Dombois’ bedeutet: Nicht nur deren Kirchengeschichte, sondern auch abendländische und morgenländische Kirchen und Kirchenrechte bilden eine „realgeschichtliche” Einheit16.
Folgerichtig ergibt sich hieraus kein gesondertes „evangelisches Kirchenrecht”, sondern ein allgemeines Kirchenrecht in evangelischer Sicht unter notwendiger Berücksichtigung des katholischen und des orientalischen Kirchenrechts. Es muß ein gemeinchristliches Kirchenrecht geben, das im Bereich gottesdienstlicher Strukturen zu suchen ist. Die letzte Konsequenz, und damit beschließt Dombois die Betrachtung der Methode, ist der ökumenisch-rechtliche Fundamentalsatz: Das pneumatische Reichsrecht der einen Kirche bricht das Landesrecht der Kirchen17.
Das Kirchenrecht hebt an mit dem instituierenden Tun Christi an seinen Jüngern, das mit der Kirche zugleich das Kirchenrecht begründete.
In rechtlicher Betrachtung enthält das instituierende Tun Jesu vor allem den vierfachen Auftrag an seine Jünger:
16) GRE 159, RdG 12. — Rückkontrolle:
Wandlungen des Gottesdienstverständnisses bedingen
Kirchenrechtsänderungen (OU 33, 52 [„Materialprinzip des
Kirchenrechts”], Berichtskizze 252,CrE 48); verifiziert am
Umbruch des 12. Jh.: unten730f. (zum Verfall der
Gemeinschaftlichkeit).
17) RdG 12, 342. Do. bejaht also (gegen K. Barth OdG
27) die Existenz eines allgemeinen (alle Kirchen bindenden)
Kirchenrechts, OU 95, z.B. den (umgedeuteten) CIC can. 87 (unten
724).
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1. Missionsbefehl,
2. Taufbefehl,
3. Abendmahlsauftrag,
4. Schlüsselübertragung.
Die rechtliche Auslegung der vier „Stiftungsurkunden” ist die materielle und historische Quelle des Kirchenrechts1. Die Ausführung des vierfachen Auftrags ergibt den vierfachen Kernbereich des Kirchenrechts: Predigt, Taufe, Abendmahl, Sündenvergebung; alles übrige ist von daher zu ordnen.
Alle vier Berichte über den Missionsbefehl2 sind gleicher „Struktur”. Sie zeigen die Folge Selbstaussage — Auftrag — Verheißung.
Voran steht die Selbstaussage. „Mir ist alle Gewalt gegeben . . .”, also die Proklamation der Christusherrschaft. Darauf folgt die Jüngeraussendung, diese Herrschaft zu verkündigen, „zur Akklamation zu bringen”. Sie geschieht in zwei Akten: zunächst als Auftrag, dies tun zu sollen, zugleich aber als Vollmacht („Verheißung”), dies tun zu können, als seine „Nachfolger” und „Gesandten”. Christus redet fortan nur noch durch sie zur Welt3.
Das ist aber nichts anderes als der Vorgang des Gnadenrechts, der Institution. Es ist ein „gestreckter Rechtsakt”, ein „Prozeß” in mehreren Akten: Die Selbstaussage verweist auf die „vorauslaufende Vergemeinschaftung” der Jünger mit ihrem Meister; der Auftrag enthält ihre Erwählung, ihre „Aussonderung” von allen anderen; sie werden zu diesem Dienst befähigt kraft der „Gabe” des Geistes, was das gleiche
1) RdG 211, 281, 293, 767. Verwandt ist die
Auffassung H.D. Wendlands, CrE 38. Dieses große Programm wird
freilich nur in Umrissen ausgeführt, wie sich sogleich zeigen
wird.
2) Mt 28.19 f., Mk 16.15 f., Lk 24.48 f., Joh 20.21 f.
— Apg 1.2 ist zu ergänzen. Die historische Frage wird von Do.
hier mit Recht aus der kirchenrechtlichen Betrachtung
ausgeklammert. Der Bericht Mk 16.15 f. ist hier ebenfalls
eigenständiges Zeugnis, vgl. E. Lohmeyer 362. — Zum folgenden
allgemein RdG 282 f.
3) RdG 282, 372, 384 („Institution der Jünger zu
Aposteln”) — dazu unten 747 f. (Apostel), 748 f. (Jünger). Man
beachte die juristische Qualifikation der theologischen
Verheißung als dynamisch-gabenrechtliche Vollmacht! — Auch W.
Grundmann hebt den Dualismus Proklamation-Akklamation hervor,
ThHK II 328. Zur Akklamation als Rechtskategorie auch des NT vgl.
RdG 84 A. 19, 365 mit Hinweisen auf D. Stoodt, E. Peterson und E.
Käsemann; ferner P. Brunner Leiturgia I 262 f., H. Diem III 267
ff. m. A. 18.
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ist wie die Vollmacht, die sie erhalten. Die Geistgabe enthält ihre „Zuordnung” zu einem neuen „Status”: ihrem künftigen Apostel-Dienst an der Welt und in der Gemeinde. Dieser Status eröffnet zunächst einen neuen „Freiheitsraum”, enthält aber zugleich personale „Treuepflichten”: Die Jünger sind gesandt für die Welt; ihre personenrechtliche Zuordnung zu Christus steht unter der Verheißung Christi, seines Geistes, zugleich unter der eschatologischen Bedrohung bei Undank4.
Dieser Rechtsvorgang begründet drei spezifische Rollen: den Meister, den Jünger, negativ den Nichtjünger. Die Stellung Jesu ist darüber hinaus als die des erhöhten Christus proklamiert. Die Stellung der Jünger wird ebenfalls verändert. Sie sind nicht mehr passiv Empfangende, sondern bevollmächtigte Repräsentanten, „Sendschöffen” des abwesenden Richters5. Als Handelnde treten sie der Gemeinde gegenüber. Zugleich wandelt sich ihr Verhältnis zur Welt. Ein dynamisches Geschehen wird entbunden. Es verläuft von Christus über die Jünger zu den „Völkern”.
Damit wird der Gnadenvorgang des Missionsbefehls, wie die institutionelle Rechtsinterpretation zeigt, zur Grundordnung der Nachfolge Christi in der Welt6!
Die Rechtsinterpretation des Taufbefehls wird von Dombois nicht gesondert durchgeführt7, weil Mt 28.19 („und taufet sie . . .”) ihn eng mit dem Missionsbefehl verklammert. Ist hier aber nicht die fundamentale Bedeutung der Taufe für die Kirchenrechtsbegründung verkannt? Oder bestehen andere Gründe für diese Zurückhaltung?
Dombois schließt sich exegetisch der Lohmeyerschen Auffassung an, daß der Taufbefehl ein Einschub in den Missionsbefehl sei; er ist nichts anderes als die theologisch folgerichtige Interpretation des gnadenrechtlich verstandenen Missionsbefehls durch die Urgemeinde. Denn dem instituierenden Auftrag „Machet zu Jüngern” entspricht das „Sich-zu-Jüngern-machen-lassen”, also — in der existentiellen Situation des
4) RdG 284 ff., 291, auch 900, dazu zum
Rechtsbegriff des Apostels.
5) RdG 287 ff. und unten 702 ff. 748 f.
6) Und nicht bloße Anweisung, Lehre zu verbreiten!,
RdG 280, 291 (3.). Christ sein heißt Christusnachfolge: RdG
285.
7) Erst die Taufe selbst wird vollständig als
Gnadenrechtsvorgang ausgelegt.
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Bekehrten — der Nachvollzug des Gehorsamsaktes Jesu (in der Jordantaufe) durch einen entsprechenden instituierenden Taufvorgang8.
Damit wird die Taufe zur authentischen Interpretation des Missionsbefehls, die Rechtsstruktur des Missionsbefehls aber zur Rechtsstruktur der Taufe. Die eingangs bemerkte Schwierigkeit ist behoben.
Der Wiederholungsbefehl („Solches tut zu meinem Gedächtnis”) stimmt in seiner Rechtsstruktur mit dem Missionsbefehl überein. „Das ist mein Leib . . . das ist das neue Testament in meinem Blut” ist die Gabe an die Jünger. Aus dieser personalen Kommunikation folgt die Verpflichtung: „Solches tut!” — mit der Verheißung: „. . . bis daß er kommt”. Zugleich ist damit der Missionsbefehl (wohl durch die Tisch-gemeinschaft) ergänzt9.
Die neutestamentliche Übertragung der Schlüsselgewalt wird keiner eingehenderen institutionellen Rechtsinterpretation unterzogen, da Dombois es als selbstverständlich erachtet, daß es sich um den Rechtsvorgang eines Auftrags zur Sündenvergebung handle, verbunden mit einer Vollmachtsübertragung zu stellvertretendem Handeln als vicarius Christi. Mit P. Meinhold charakterisiert er die Gewalt der Schlüssel als den „von Jesus selbst der eschatologischen Gemeinde zugesprochenen Vollzug der richterlichen Gewalt über die Sünder”. Die Übertragung ist schon durch den „historischen Jesus” geschehen; sie ist also „göttliche Stiftung” und Ursprung des Bußsakraments10.
8) RdG 284, 290 f., 900. — Do. folgt damit der
Auffassung, daß die Taufe Jesu Vorbild und Anlaß der von der
Urgemeinde von Anfang an geübten Taufe sei, RdG 355 A. 21 f., A.
Oepke ThW I 537; ebenso z.B. O. Cullmann, H. Kraft u.a.; a. M.
z.B. R. Schnackenburg LThK IX 1312. Daß der Taufbefehl nicht auf
den historischen Jesus zurückgeht, ist heute auch im allgemeinen
die Ansicht der katholischen Exegeten.
9) RdG 818 im Anschluß an Lk 22.19 f., 1 Kor 11.23 ff.
— Zu den sechs Rollen s.u. 774 785.
10) Mt 16.19, 18.18, Joh 20.22; RdG 293, 296, 315,
733, 750 ff., 900; freilich nicht Vollmacht i.S. des heutigen
Rechts, eher „Identifizierung”, RdG 900. Als „Vollmacht” ist sie
im Indikativ ausgesagt („was ihr binden werdet . . .”), im
Gegensatz zu dem mehr „imperativischen” Missions- und
Taufbefehl und Wiederholungsauftrag, RdG 293.
Zur „Stiftung” weithin anders die evangelische Exegese, aber auch
z.B. H. Vorgrimler LThK IX 422 mit A. Vögtle.
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Als rechtliche Besonderheit hebt Dombois hervor, daß die Vollmacht zu binden und zu lösen eigentümlicherweise übertragen wird, ohne daß die Situation näher bestimmt wird, in der sie angewendet werden soll. Sie nähert sich also — Dombois sagt es nicht so — einer beschränkten Generalvollmacht. Ihre Beschränkung ergibt sich daraus, daß sie inhaltlich eine „richterliche” Entscheidungsgewalt ist („binden und lösen”). Sie darf also nicht mit dem Missionsbefehl verwechselt werden. Sie kann auch nicht einfach in die anderen gottesdienstlichen Handlungen eingeordnet werden11.
Als Beispiel für die nähere Umschreibung der Vollmacht greift Dombois das Vorgehen des Apostels Paulus gegen den Blutschänder auf; Paulus fordert die Gemeinde auf, den Blutschänder gemäß seinem Beschluß dem Satan zu übergeben. Mit E. Käsemann bezeichnet er dieses „pneumatische Urteil” des Apostels als „dekretalen Jussiv”; die versammelte Gemeinde in der Einheit des Geistes und in der Vollmacht Christi akklamiert diesem Beschluß (zweiter Akt) und überantwortet den Sünder dem Satan (Vollstreckung des Urteils). Dabei ist zweierlei klar: daß es sich weder um eine Vorwegnahme des eschatologischen Urteils Gottes durch Menschenwort handelt („damit der Geist gerettet werde”), noch um eine bloß deklaratorische Handlung („zum Verderben des Fleisches”). Vielmehr ist hier wieder die typische Struktur von geistgewirktem, scheidenden Anspruch und ebenso geistgewirkter Anerkennung durch die Gemeinde sichtbar. „Der Vorgang dieses Zusammentreffens bildet seitdem Thema und Problem des Kirchenrechts”12.
Die Rechtsinterpretation der Übertragung der Schlüsselgewalt ergibt: Sie ist Vollmachterteilung, gehört also zum Gnadenrecht. Ihre Ausübung ist anerkennungsbedürftiges geistliches Urteil, ist damit dem Gerechtigkeitsrecht zugeordnet. Die Ausübung wurzelt in der Vollmacht; — damit auch hier der Anspruch in der Gabe.
Das Ergebnis der Rechtsbetrachtung des Mandats Christi: Der vierfache Auftrag ist gabenrechtlicher Struktur mit normativer Folge; Gabe
11) RdG 294 ff., 732 f., 859 gegen CA
XXVIII.
12) 1 Kor 5; RdG 150 ff., 367, 732 f., 985 (mit E.
Käsemann gegen R. Sohm: keine Vorwegnahme). — Die Gemeinderegel
Mt 18.15 ff. gehört nicht hierher, RdG 144 ff., 732 ff.
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der Vollmacht, die instituiert und beansprucht. Er enthüllt also die Verbindung von institutionellem (gnaden-) und jurisdiktionellem (gerechtigkeitsrechtlichem) Rechtstypus im Rechtsbegriff der Gnade.
Eine weitere strukturelle Gemeinsamkeit: Der Auftrag Christi ist nicht nur „Auftrag”, sondern zugleich „Vollmacht”, und zwar Vollmacht zur Repräsentation, Stellvertretung und Vermittlung.
Auftrag und Vollmachtverleihung sind durchgängig die rechtlichen Merkmale des vierfachen Auftrags Jesu an seine Jünger. Dieser Dualismus hat allgemeine Bedeutung für die Kirche13 und ihr Recht — sachlich, weil alles legitime Handeln der Kirche das Handeln Christi fortsetzt; rechtlich, weil überall, wo Rechte übertragen werden, diese Struktur auftritt.
Der Auftrag trifft eine Person und wählt sie aus zu einem Werk; damit scheidet er sie von allen übrigen Personen. Er „beansprucht" sie, fordert von ihr die Entscheidung, die zu fällen ihr ermöglicht ist von der Gabe Gottes, seiner vorgängigen Vergemeinschaftung, wie sie sich in der vorangestellten Selbstaussage ausdrückt: „Mir ist gegeben alle Macht . . .”.
Wer beauftragt ist, soll etwas tun, kann es aber noch nicht; er muß dazu noch mit Rechtsmacht ausgestattet werden, bedarf also der „Vollmacht”. Auftrag und Vollmacht müssen also auseinandergehalten werden, was selbst der große Jurist Sohm übersehen hat.
Die Vollmachtübertragung rüstet mit Rechtsmacht aus, indem sie personalen Anteil am Auftraggeber verleiht. Das geschieht so, daß Christus sich mit dem Jünger „identifiziert”, sich also den Jünger personal zuordnet und ihn zum Apostel bevollmächtigt. Es ist der typische zweiaktige Kommunikationsvorgang der Begabung, des Gnadenrechts14.
Wird hier aber nicht der Mensch zum selbstmächtigen Herrn der Gnade? Droht hier nicht das Gespenst der Juridifizierung? Darauf
13) RdG 282 f. (mit O. Linton 110 ff.), H.D.
Wendland CrE 38.
14) OU 56 ff., RdG 282 ff., 286, 481 ff., 540, 779,
807, 866, 900; für das Amt Berichtskizze 253 und RdG passim,
insofern es von Person zu Person und durch die Zeit hin
(successio!) übertragen wird, RdG 771 ff. — Darüber
hinaus bilden Auftrag und Vollmacht eine kategoriale Struktur bei
allen Vorgängen der Rechtsübertragung, RdG 283; wobei Do. von der
(Gabe der) Vollmacht ausgeht, die rechtlich an zweiter Stelle
steht, aber sachlich überwiegt.
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könnte man antworten, daß unsere Bedenken zu schweigen haben, wenn dies tatsächlich die Strukturen der Offenbarung sind, die von uns im Gehorsam anzunehmen sind. Doch solcher „Stiftungspositivismus” ist unnötig; es genügt, die Rechtsbetrachtung redlich zu Ende zu führen. Denn, was zwar dem Juristen klar ist, in der theologischen Diskussion aber fortwährend übersehen wird, „Vollmacht” bedeutet nicht eigene Machtvollkommenheit, sondern fremde Rechtsmacht, die vom Auftraggeber kommt und beim Auftraggeber bleibt. Die Jünger handeln rechtlich gesehen aus fremder, ihnen von Christus übergebener Macht, „kraft der Identität des Geistes” Christi.
Gerade die juristische Unterscheidung von Auftrag und Vollmacht gewährleistet also die radikale Theonomie dieses Handelns. Alles ist reine Gabe; Gott wirkt allein; nichts vermag der Mensch ohne Auftrag und Vollmacht; alles geschieht sola gratia, muß erbeten und im Glauben angenommen werden15.
Gott ist zugleich Subjekt wie Objekt dieses Handelns16!
Das ist aber nichts anderes als der ursprüngliche Gedanke der Repräsentation.
Das bedarf freilich einiger Erläuterung. Die Rechtsfigur der Repräsentation ist für das Gottesverhältnis von größter Bedeutung17, weil
15) RdG 124 f., 282, 315, 483, 747, 762, 817,
976 f. „Nicht der Rechtscharakter, sondern der Rechtsirrtum führt
zu theologisch unmöglichen Folgerungen”!, RdG 125; 122-132 auch
die Rechtsanalyse des Gottesverhältnisses als gnaden-rechtliches
„Werk” und „Dienst” mit dem zutreffenden Ergebnis, daß
das juristische Werk nicht „Werk” i.S. der theologischen
„Werkgerechtigkeit” ist. — Darum hat es wenig Sinn, statt dessen
von „Dienst” zu reden: das betrifft nur den Modus, nicht
die Wirkung des Handelns, RdG 854; auch die Betonung der
„Entscheidung” ersetzt nicht die Vollmacht zum Handeln, die
vorhanden ist oder nicht, RdG 842, wenn auch in jedem
vollmächtigen Handeln und Beauftragen eine Entscheidung steckt,
RdG 286.
16) RdG 817 — der wichtigste Satz der
Kirchenrechtslehre! Dazu RdG 976: „Auctor, modus und
materia des Kirchenrechts ist die Gnade Gottes . . . in
der Person Christi.” Vgl. H. Diem III 169 mit G. Friedrich ThW II
728: „Für Paulus (ist) Christus Objekt wie auctor der
Verkündigung”. Schließlich OU 51, 55, RdG 576, 977: „Nur der
Geist erkennt und beurteilt den Geist.”
17) So ZEE 1963 318 mit H. Gollwitzer, K. Plachte (RdG
108 f.), Erik Wolf (RdG 110), G. van der Leeuw (RdG 464 f.) gegen
E. Kinder (RdG 107). — Anders noch Meth. 343: Repräsentation ist
gleich moderner Stellvertretung im Willen. — Zur
soziologischen Repräsentation durch Organe einer Gruppe
vgl. RdG 943; zum uneigentlichen, bildhaften Gebrauch MuR 115 f.,
RdG 106.
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der Mensch Gott nicht unvermittelt gegenübertreten kann. Sie bezeichnet nämlich die vermittelte personale Kommunikation18. Darum ist ihr Geltungsbereich so weit gesteckt. Sie liegt den Rechtsverhältnissen des Bundes und des Apostels (usf.) ebenso zugrunde wie der repräsentierenden traditio, die die Apostelvollmacht durch die Jahrhunderte bis in unsere Tage weitergibt. Die repraesentatio beherrscht auch das Kirchenrecht19, insofern sie die „abwesende Anwesenheit” Gottes in Wort und Sakrament mit rechtlichen Mitteln anzeigt.
In ihrer Struktur sind drei Personen, Rollen und Relationen auseinanderzuhalten. Repräsentation bzw. repraesentatio bezeichnet den Rechtsvorgang, in dem jemand (der Repräsentand) durch einen anderen (den Repräsentanten) vor und für Dritte(n) dargestellt und so gegenwärtig gesetzt wird. Die Repräsentation wird begründet durch Bevollmächtigung20, — durch „Gabe” also. Sie vollzieht sich „von oben nach unten”, d.h. der Repräsentand steht ganz selbstverständlich über dem Repräsentanten; es besteht ein Über- und Unterordnungsverhältnis, wenn es auch bis zur schlichten Vertretung unter Gleichen abflachen kann. Für das Gottesverhältnis folgt, daß es nicht von unten begründet werden kann. Repräsentation gibt es nur dort, wo Gott sich repräsentieren lassen will, wo er sie „stiftet”21.
Der Inhalt dieser Gabe ist ursprünglich die Person selbst; repraesentatio ist „Anheimgabe der Person”, weil sie „Gegenwärtigsetzung der
18) RdG 104 und oben 588 64626 zum
Rechtsbegriff der Kommunikation.
19) RdG 100 f., 104 f.; 160 A. 19 mit J. Behm ThW I
351 (wobei aber Behm richtigerweise auf der ἀνάμνησις aufbaut,
Do. jedoch auf Repräsentation durch ausgesonderte Gegenstände)
und zum jüdisch-christlichen Rechtsinstitut des
Apostels/Gesandten. Zu Bund und (Bundes-) Stiftung s.o. 628 f.,
zum Gesandten und zum schaliach-Institut s.u. 747 f. —
Die Sakramentstheologie ist auf dieser biblischen Struktur (RdG
111) grundgelegt; das Wort repräsentiert ebenso; das Amt trägt
relational-repräsentativen Charakter (RdG 291 ff., 524 mit H.
Lieberg nach Luther; zur repräsentierenden traditio H.D.
Wendland CrE 41 f.; zu Konzil und Synode vgl. z.B. OU 78). Der
ganze Gottesdienst ist eben Repräsentation des Heilsgeschehens,
RdG 107, 214, 465, und von da aus die christliche Existenz als
ganze für die Welt.
20) RdG 104, 106; deshalb wohl sind die synodal
versammelten Bischöfe nicht Repräsentanten, OU 78, RdG 947.
21) RdG 106 f., 109; Repräsentation ist also
gewissermaßen die Rechtsstruktur, Vertretung eine historische
Teilform (RdG 107); es gibt auch doppelte Repräsentation, etwa im
(sakralen) Königtum, wo der König gegenüber dem Volk die Gottheit
und gegenüber dem Numen das Volk repräsentiert, also sowohl
Repräsentation von oben nach unten wie von unten nach oben (RdG
106, 241 f., 274 angewandt auf Christus), die sich in jedem
politischen Handeln fortsetzt (MuR 115 f.).
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Person” ist (wobei wie bisher die Person nicht abstrakt, sondern konkret mit ihrem Handeln verstanden wird). Repräsentation ist also ein Zuordnungsvorgang, der gnadenrechtlich struiert ist22.
Was den Repräsentanten betrifft, so ist er nur Medium ohne eigenes Recht zur Ermöglichung weiterer Zuordnungsvorgänge (Verkündigung!). Er ist Instrument in der Hand seines Herrn, selbst dort, wo er zu selbständigem Handeln befugt ist. Denn der Repräsentand ist im Repräsentanten gegenwärtig und spricht durch ihn. Umgekehrt hat der Repräsentant mit seiner Person für den Repräsentanden gegenüber Dritten einzustehen. Die Freiheit, die der Repräsentant genießt, ist eine rechtliche, keine Willkürfreiheit; sie ist geschenkte Freiheit innerhalb der Vollmacht. Wiederum gilt: „Gott bleibt Subjekt und Objekt dieses Handelns”23.
Das theologische Verständnis der juristischen Repräsentation als personale, geschichtliche Gegenwärtigsetzung kraft erteilter Vollmacht Gottes in Christus vermeidet mehrere irrige Interpretationen. Repraesentatio ist nicht historische Rückerinnerung, sondern reale Gegenwart von stiftender Vergangenheit und verheißener Zukunft, weil in Christus das ganze Heilsgeschehen in proleptischer Eschatologie enthalten ist. Repraesentatio ist auch weder Verdoppelung („Wiederholung"!) noch Reproduktion, weder zeitlose Epiphanie noch bloßes Abbild; sie ist nicht bloße technische Übermittlung von Lehren und Anordnungen, nicht ihr Gegenteil: die Identifizierung von Repräsentand und Repräsentant, sondern ein durch und durch personaler, geschichtlicher Vorgang, Ausdruck der Menschenfreundlichkeit Gottes: Gott nähert sich dem Menschen im Menschen24.
22) RdG 104 ff., 816 f.; 160 A. 21 gegen den
kanonistischen Repräsentationsbegriff (wieso?).
23) RdG 105 f., 109, 160 A. 21, oben 70116.
Gegen den Einwand des Synergismus RdG 292 und unten
73138.
24) RdG 104 ff., 110 f., 160 A.21,215,461, 464 f.,
817; „Realpräsenz” und „Transsubstantiation” drücken das Gemeinte
aus, aber unvollständig, RdG 109, 464. — Do. sieht in solchen
Ansichten die Folgen der Subjekt-Objekt-Spaltung und des kausalen
Denkens, RdG 109, 111, 215; auch die Spaltung von res
und signum soll durch die repraesentatio
überwunden werden. Das unterscheidet ihn auch von H.R. Schlettes
eher signifikativem Verständnis der Repräsentation: Sakramentale
„Repräsentation” sei „sichtbare Darstellung . . . von etwas
personal (!) bereits (!) Gegebenem und Wirklichem, . . . eine
bezeichnende . . . Gestalt und Funktion” (Qd 8 42, ähnlich HthG
II 462), also bloße Manifestation! Dabei wird freilich nicht
verkannt, daß ➝
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Damit gibt der präzise juristische Ausdruck dem Theologen die Möglichkeit, seine überkommene Ablehnung der Tradition zu überprüfen — wobei ihm sofort zuzugeben ist, daß seine Abwehr demokratischer „Repräsentations”-Vorstellungen für die Kirchenverfassung voll und ganz berechtigt ist25.
Der Rechtsgedanke der Repräsentation steht in dem umfassenderen Zusammenhang der Stellvertretung und Vermittlung26, die wiederum theologisch und anthropologisch begründet sind.
Die theologische Wurzel der Stellvertretung besteht in der Erkenntnis der allgemeinen Vermitteltheit der Rechtfertigung, die schon bei der Repräsentation anklang; der innere Grund ist Christus, zuletzt die Trinitätsanalogie. Christus ist die „volle Mitmenschlichkeit Gottes” (K. Barth!). Dombois sieht darum als das Spezifikum des Christentums an, daß es echte und wirksame Vermittlung gibt, nämlich in Christus — was nicht heißen soll, daß es in anderen Religionen keine Mittler gebe; da gilt das Urteil K. Goldammers: Die Person eines Mittlers „liegt im Wesen der Religion”27.
Die anthropologische Wurzel liegt in der Personalität des Menschen. Entgegen dem autonomen Personverständnis kann der Mensch gerade die ihn konstituierenden „existenzbegründenden Handlungen” nicht an sich selber vollziehen (auch der Priester nicht), sondern ist auf
➝ diese „sichtbare Darstellung” ein reales Mehr gegenüber
dem Glauben ohne Sakrament enthält. Dieses Mehr ist bei Schlette
der Totalvollzug menschlicher Existenz bis in die Leibhaftigkeit
des Zeichens, bei Do. darüber hinaus der Bezug auf die
Gemeinschaft (die Notwendigkeit, sich „gehorsam” taufen zu
lassen, Priest. 66, RdG 238).
25) RdG 109; zum begrenzten Recht dieser
Repräsentation außerhalb des gottesdienstlichen Bereiches RdG
107.
26) Stellvertretung ist nur dann von Repräsentation zu
unterscheiden, wenn man unter Vertretung lediglich die moderne
rationalistische Spätform bloßer Vertretung im Willen (abgelöst
von der Person des Vertretenen) sehen will, RdG 107, 109; anders
noch Meth. 343. Vgl. auch CrE 35. — An sich ist der ursprüngliche
Rechtsbegriff (K.H. Rengstorf RGG IV 1065) der Vermittlung weiter
als der der Stellvertretung, da er auch den Boten (und personalen
Zeugen?) umfaßt — was aber hier nicht schadet, da die
Rechtsformen der Kommunikation im Kirchenrecht immer ein
repräsentierendes Element enthalten, unten 744 ff.
27) RdG 94 f., 104-106, 239, 747 (gegen falsche
Unmittelbarkeit zu Gott), ZEE 1963 318, oben 494 f.; K. Goldammer
RGG IV 1063 f., auch G. van der Leeuw PhdR 764 ff. u.ö.
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andere verwiesen. Diese schon geschilderte „anthropologische Urtatsache” gilt auch für Christus, denn er ist „in die Aporien menschlicher Existenz eingetreten"28, und zwar ein für allemal, ebenso für die Geschichte der Kirche wie für das Kirchenrecht heute: „Christus (bedient) sich in der Dimension der Geschichte instrumental der Menschen”29.
Kirchenrechtlich gibt es demnach Stellvertretung und Vermittlung in Raum und Zeit: in der Zeit, weil das Heil geschichtlich vermittelt in die Gegenwart tradiert ist; im Raum, weil Christsein heißt, in Wort und Sakrament andere stellvertretend an sich handeln zu lassen30.
Diese letztere Stellvertretung hat einen dreifachen Bezug: ad Deum, ad hominem, ad mundum.
Menschliche Stellvertretung gegenüber Gott, zum ersten, existiert nur einmal: Einer allein ist Priester und Mittler, Jesus Christus, und alle Christen haben durch die Taufe daran teil, sind Priester. Stellvertretung gegenüber dem bedürftigen Mitchristen, zum zweiten, geschieht notwendig überall, wo dieser auf das Du verwiesen ist, wo er nicht selbst handeln kann: in Taufe, Buße, Abendmahl, in den Formen der Wortverkündigung, in der Krankheit usf.31. Das ist die Wurzel des christlichen (Amts-)Priesters32. Darüber hinaus ist Stellvertretung die Grundform christlicher Existenz überhaupt. Der Welt gegenüber, zum dritten, handeln die Christen, einzeln und insgesamt als Kirche, und zwar wieder priesterlich-stellvertretend, indem sie an ihr aus der Vollmacht Christi tun, was die Welt aus eigenem nicht vermag33.
28) MuR 115 ff., Priest. 65ff., 75, RdG 211,
237ff., 246, 258, oben 495f. — auch eine Komplementarität! —
Einer der zentralen Gedanken Do.s ist das stellvertretende
Strafleiden Christi (MuS 96 f., 111, Priest. 65 f., 68 f., RdG
238).
29) Priest. 68 f., RdG 244, oben 52124
6016.
30) RdG 819; 763 Stellvertretung als rechtliche
Ausformung der christlichen Brüderlichkeit.
31) Priest. 65 ff., RdG 94, 238, 243 ff., 260 (3 a).
Das in der evangelischen Theologie diskutierte Problem der
Selbstkommunion interessiert hier nicht. Zu Krankenheilung und
-salbung RdG 761 ff.
32) RdG 237, 259 ff.; Näheres gehört in die Amtslehre.
Denn das Wesen des Priesters besteht in seinem
notwendigen, stellvertretenden, den Menschen konstituierenden
Verhalten, RdG 258. Hier, in der Unvertauschbarkeit der Rollen,
RdG 388, findet Do. eine anthropologische Begründung des
„Priesters”, den es also in zwei Formen gibt: ad deum
ist es Christus, ad hominem jeder, insofern er (!) am
andern stellvertretend handelt. Deshalb ist die Diakonie der
„klassische Ort” des (christlichen) Priestertums, Priest. 76 f.,
RdG 246.
33) RdG 243. Dieser fundamentale rechtstheologische
Gedanke kommt aus K. Barths (umgeformter) Prädestinationslehre
(KD II/2 119, 198 f., 215 ff.); J. Ratzinger vertieft ihn (HthG
II 573 ff., Der Seelsorger 1958 387-429): nicht nur ➝
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Stellvertretung in der zweiten und dritten Form kann aber rechtlich nur durchgehalten werden, wenn mehrere Voraussetzungen erfüllt sind. Die Stellvertretung bedarf göttlicher Begründung in Auftrag und Vollmacht, der „Stiftung”. Wie bei der engeren Form der Repräsentation darf der Vertreter sich kein eigenmächtiges Handeln anmaßen; er muß sich in den Grenzen seines Auftrages halten, er darf überhaupt nicht in den Vordergrund treten. Sonst verfügt er über Gott: die Gefahr der Magie. Gott aber bleibt der Herr und Richter seines Mediums. Je größer dessen Freiheit innerhalb der Vollmacht, desto strenger seine Bindung, wie beim biblischen Haushalter. Das Medium darf aber auch nicht verschwinden. Sonst wird alles gestaltlos, leiblos, ungeschichtlich; die verpflichtende Konkretheit geht verloren: die Gefahr also des Spiritualismus und Doketismus. Bejaht man zwar das Vikariat (= Stellvertretung), entwertet es aber aus Angst vor Autorität zur bloßen Funktion, so wird die Personalität des Menschen zerstört. Nur wenn die Rechtsstruktur der Stellvertretung gewahrt ist, bleibt es bei dem Fundamentalsatz: Gott muß immer Subjekt und Inhalt des Handelns bleiben.
Die Bedeutung von Repräsentation, Stellvertretung und Vermittlung für das Kirchenrecht veranschlagt Dombois sehr hoch: Die „personalistische” Annahme ausschließlicher Direktheit des Gottesbezuges schließt (eigenständiges) Kirchenrecht aus34.
➝ vertreten die Christen Christus vor der Welt, sondern
auch die Welt vor Christus (da der mundus keine
Rechtspersonalität vor Gott hat!) und führen sie so zum Heil. Do.
wendet diesen Gedanken auch auf das Verhältnis Kirche-Staat an:
RdG 243 u.ö. — Darum sogar ein Entwurf einer auf dem Gedanken der
Stellvertretung aufgebauten christlichen Ethik: RdG 263 ff., 271
ff.; „Stellvertretung” umschreibt die eschatologische Existenz
des Christen, der die Güter der Welt gebrauchen soll, als brauche
er sie nicht, der aber nicht zugleich besitzen und nicht besitzen
kann, beides jedoch tun muß, weil es zur vollständigen Bezeugung
des anbrechenden Reiches Gottes gehört, und darum, wenn er
besitzt, auf den angewiesen ist, der „für ihn” nicht besitzt;
hier liegt der (theologisch-soziologische) Grund für die
„kontrapunktische”, „komplementäre” Existenz des Mönches, GRE 160
ff., RdG 267 ff., Quatember 1963 2 ff.; entspr. zur Ehe RdG
628.
34) Priest. 74 f., RdG 94 f., 204, 242, 245, 388 f.,
817; „die einander immer entsprechenden Gefahren der Kirche: . .
. Verhärtung und Auflösung, Verdinglichung wie Spiritualisierung”
(RdG 817), „zwischen opus operatum und Schwärmertum”
(MuS 96) bzw. Doketismus (church 119).
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Das gegenwärtige legitime Tun der Kirche setzt das Handeln Christi fort bis zur Parusie. Zu seiner Legitimität muß es die gleiche Rechtsstruktur aufweisen wie das Handeln Christi. Wie eine phänomenologische Analyse dieses Rechtsgeschehens zeigt, kehren in der geschichtlichen Repräsentation Christi stets zwei kirchenrechtliche Grundvorgänge wieder, die ihrerseits aus je zwei „kirchenrechtlichen Grundbegriffen”35 zusammengesetzt sind. Es handelt sich erstens um den Traditionsvorgang (traditio-receptio) und zweitens um den Einordnungsvorgang (iurisdictio-ordinatio). Diese „eigentümlichen Vorgänge des Kirchenrechts (bilden) gleichsam eine unendliche Kette der Weitergabe von Geschlecht zu Geschlecht, eine Wellenfolge von Empfangen und Geben, bis der Herr kommt”. Weil es diese Grundvorgänge wegen ihres kostbaren Inhalts nirgendwo sonst gibt als im Kirchenrecht, beruht auf ihnen die Eigenständigkeit des Kirchenrechts36.
Vielleicht darf man die Auffassung Dombois’ so erläutern: Das Christentum beruht auf geschichtlichem Ursprung und bleibt stets auf ihn bezogen. Es ist eine geschichtliche Religion. Nichts darf in der Kirche rechtens geschehen, was nicht den Ursprung in die Geschichte hinein fortsetzt. Es geht weder primär um „apostolische Sukzession”, um „Tradition” oder sonst irgend etwas derartiges, sondern allein um den einen Geist Christi, der seit dem ersten Pfingsten in der und durch die Kirche weitergegeben werden muß, ihr und der Welt zum Heil. Außerhalb des Geistes ist kein Heil. Alles hängt davon ab, daß diese Weitergabe geschieht; Gott will es so. Nur was innerhalb dieses Stromes geschieht, ist kirchenrechtlich legitim. Die Weitergabe ist aber geschichtlich, geschieht in personaler Vermittlung, ist in die Strukturen menschlichen Handelns inkarniert. Sie erfolgt kraft der schweren Verantwortung der Jünger aus dem vierfachen Auftrag Christi und ihrer Bevollmächtigung zu Aposteln, in rechtlicher Treuegebundenheit als Haushalter und Söhne.
35) So schon CrE 51 zu iurisdictio und
ordinatio.
36) Berichtskizze 253, RdG 864 f.; hierzu und zum
folgenden vgl. bes. den Vortrag vor der Michaelsbruderschaft OU
27 ff., ferner CrE 45 ff., 61 (24.), RdG 698, 797, 815 f., 820.
Do. führt das nur für traditio-receptio aus; der Grund
gilt aber gleichermaßen für das andere Begriffspaar.
Gleichbedeutend Kathol. 306: Apostolizität und Katholizität als
Kriterium des Kirchenrechts (das Programm von CrE!; dazu unten A.
38).
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Die traditio ist „der” Grundvorgang des Kirchenrechts, das „Ur-datum”. Denn sie ist der — unumkehrbare — Rechtsvorgang, in dem sich Gott uns in Christus gibt. Oder anders: Traditio ist geistverleihende Vollmachtsübergabe; oder schließlich: Traditio ist geschichtlich vermittelte Begegnung mit Christus als Fortsetzung der Selbsthingabe Gottes37.
Sie taucht bei den unterschiedlichsten kirchenrechtlichen Vorgängen auf — eben weil es immer darum geht, daß Christus im Handeln der Kirche repräsentiert wird. Man findet sie deshalb, um nur einige besonders wichtige Beispiele herauszugreifen, bei der Bestellung der Apostel38, bei der Gabe des Wortes Gottes, bei der Eingliederung durch die Taufe, in der Gabe der Mahlgemeinschaft39.
Darum muß ihre Struktur weithin formal umschrieben werden. Traditio ist Geben und Weitergeben. Diese Rechtsstruktur umfaßt demnach göttliche Stiftung und ihre Repräsentation durch die Geschichte hindurch. „Wer empfängt, hat zugleich die Verantwortung für das Weitergeben.” Weil es sich um Gabe handelt, ist auch das Weitergeben
37) OU 38, 53, RdG 49, 576, 815 f., 818 f.,
824; auch CrE 35, H.D. Wendland ebd. 37 ff., auch zum folgenden.
— Traditio gibt das mit ius divinum Gemeinte
wieder, RdG 780. — Zur Doppelbedeutung von παράδοσις als
Gabe/Hingabe und Preisgabe/Sich-Verraten-Lassen: RdG 300, 816,
819. Daneben gibt es noch (gemäß der analogia
relationis) den rechtssoziologischen Begriff der
traditio-receptio, OU 52: denn es gibt auch die
Phase des „traditionalen” Rechtes (vgl. dazu PG 14, NRE 13 ff.,
46 f., RdG 1016; M. Weber!) und „traditionalen” Staates (vgl.
dazu MuR 117 ff.), also des charismatischen Rechts, das aber
gemäß der Geschichtsinterpretation Do.s kategoriale Bedeutung
hat. In der Tat ist das traditio-Element im
Rechtsbegriff Do.s schon enthalten; auch die Institution ist, mit
A. Gehlen und H. Schelsky, wesentlich traditio,
Ermöglichung der Weitergabe von Wahrheit in der Geschichte — vgl.
wieder Gabe-Annahme!
38) Also schon ein ntl. Vorgang, H.D. Wendland CrE 38.
— In der repräsentierenden traditio des Apostolats (RdG
778 f.) als Zeugenschaft beruht die Apostolizität der
Kirche und ihres Rechtes (dazu OU 38 f., 97 ff., Kathol. 306, CrE
59 ff.); sie ist der Katholizität nachgeordnet, OU 39,
44 u.ö. — d.h.: auf dem Weg zur Einheit zuerst
kirchenrechtliche wechselseitige Anerkennung der getrennten
Kirchen („Katholizität”), dann episkopale Sukzession
(„Apostolizität”)!
39) GRE 134 ff., RdG 819; Trauung als
traditio 657 u.ö.; dreifache traditio: Gottes,
der Lehre, der Vollmacht: 778 f.
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nie Handeln aus Eigenmacht, sondern Repräsentation kraft Auftrags und Vollmacht40.
Gott selbst ist in Christus der Geber. Damit nicht genug; auch der Inhalt der Gabe und Hingabe ist Gott selbst bzw. Christus und sein gemeinschaftstiftender Geist, der in Wortverkündigung und Sakramentsgeschehen wie auch in den Gnadengaben repräsentiert wird. „Gott ist Subjekt und Objekt . . .”41. Tradition ist also demnach mehrfach abzugrenzen: Sie ist weder ein Gegenstand noch ein angehäufter Erkenntnisschatz, sondern ein geistlicher Vorgang. Unfruchtbarer Traditionalismus oder existentialistischer Aktualismus sind mit diesem Verständnis gleichermaßen überwunden42. Sogar das Verhältnis von traditio, Bekenntnis, Tradition und Sukzession ist damit im Ansatz bestimmt43.
40) RdG 576, 778, 792, 817, 819 = CrE 38 f.
(H.D. Wendland).
41) OU 52 f., RdG 815-821 passim; OU 27:
traditio setzt der Kirche nichts hinzu, was sie nicht
schon hat. — Traditio kommt aus Gemeinschaft (Gottes mit
dem Menschen) und führt zur Gemeinschaft (der Christen):
„communio durch traditio, . . . und
traditio durch communio”, OU 72, RdG 775, 778,
1016 (was dann ebenso für die ordinatio gilt, RdG 773).
Dem Begriffspaar traditio-communio entspricht der
Dualismus von Tradition und Solidarität, RdG 1015-1017. Daraus
ergibt sich der unabdingbare Gemeinschaftscharakter des
Traditionsvorgangs: die (in sich gegliederten)
Einzelgemeinden können weder in die Gesamtkirche aufgelöst noch
durch ein universales Leitungsamt abgelöst werden, RdG 823,
sondern alle bilden ein pneumatisches, labiles relationales
Gefüge mit je eigener Rolle, RdG 819 ff., 823 f.; namentlich bei
der Ordination, bes. zum Bischofsamt, OU 54, RdG 773 ff.;
zustimmend O. Karrer HthG I 46.
42) OU 36 mit G. Ebeling (Traditionalismus), 52 f.,
RdG 698, 704, 727, 730 A. 25, 880; 911 Tradition als Belastung.
„Tradition ist eben nicht das Weiterschieben eines Gegenstandes
auf dem Fließband der Zeit”, RdG 719.
43) RdG 687 ff.; d.h. traditio ist Vorgang
der Weitergabe des Geistes, damit aber zugleich Weitergabe seiner
Botschaft und Lehre, OU 53, RdG 815, 819, 823 ff.; zur
Unterscheidung „der” Tradition von „den” Traditionen vgl. RdG 705
ff., 712. „Die” Tradition ist das sachhafte Element in der
traditio, die Sukzession ihre geschichtlich-
(vgl. ThLZ 1962 952 mit J. Ratzinger) personale Gestalt (OU 53,
RdG 799; für die allg. Staatslehre vgl. SS 73), als
repraesentatio des Apostolats (RdG 778 f., CrE 45 ff.;
H.D. Wendland CrE 41 ff.). Er betont stark ihre „kollegiale”
Seite (RdG 774 f.) und verwahrt sich gegen jede einseitige
(Personal-, Lehr-, Glaubens- [dazu Wendland: häretischer
Spiritualismus, ebd.], Presbyteral-) Sukzessionsauffassung (vgl.
OU 39 u. a. entspr. dem ebenso universalen
traditio-Begriff), wenn er auch dem episkopalen
Verständnis zuneigt (dazu S. Grundmann ThLZ 1963 813 f.: nicht
mehr der Bereich evangelischen Kirchenrechts [!]; R. Hupfeld
ZevKR 1957/58 250: Uberbetonung des Adiaphoron einer
bischöflichen Verfassung). Wichtig RdG 480 von der
(Bischofs-)Ordination: bei ihr wird nicht die Vollmacht des
Vorgängers übertragen, denn der ist meist schon tot, sondern der
gemeinschaftsbegründende ➝
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Die receptio (Rezeption) ist das komplementäre Gegenstück der traditio. Sie ergänzt die traditio zum ersten Begriffspaar eines eigenständigen Kirchenrechts. Die Hingabe Gottes in Christus verlangt die Annahme und Anerkennung des gnädig sich gewährenden Bundesgottes. Traditio und receptio sind die zwei Akte des Rechtsvorgangs der Weitergabe des Geistes Christi44.
Die praktisch wichtigsten Rezeptionsakte geschehen bei so verschiedenen Rechtsvorgängen wie der Bestellung zu einem Amt (wenn die Gemeinde den Amtsträger durch Wahl rezipiert)45, bei der Bekenntnisentscheidung (Rezeption durch die Gesamtkirche)46, bei der Aufnahme der Kirchengemeinschaft (als Anerkennung einer anderen Kirche)47. Generell aber bedarf jede kirchliche Entscheidung der Rezeption48.
➝ Geist, RdG 773; zustimmend O. Karrer HthG I 46 mit
ausführlichem Zitat. — Demnach hält Do. die Episkopalsukzession
nicht für unbedingt notwendig, wenngleich sie angemessener ist
als die Presbyteralsukzession, OU 71 f., RdG 526;
außerdem setzt sie die Herstellung der Kirchengemeinschaft voraus
(oben A. 38); man kann sie sich also nicht gleichsam „unter der
Hand beschaffen”.
44) OU 52, 74, RdG 825; zunächst beschränkt auf das
„Schöpfungsrecht”: NRE 34, dann allgemein: GRE 145 m. A., RdG 317
f. (Kindesaufnahme) und unten. Zum Vorgang RdG 815 f., 818, 826
f.; Gesamtakt OU 57; zu traditio-receptio als
„Herkommen” und „Zukommen” im geschichtlichen Vorgang vgl. unten
529.
45) Z.B. RdG 559. — Zur außerordentlichen
(„dispensatorischen”) Rezeption (von
möglicherweise ungültigen Rechtsakten) vgl. GRE 136, 140, OU 44,
58, RdG 832 f. mit R. Sohm gegen K. Mörsdorf, 871 A. 15.
46) GRE 137 ff., OU 55, Berichtskizze 253, RdG 825
ff.; im übrigen ist mit RdG 827 auf alles zu verweisen, was zur
Rechtsstruktur des Bekenntnisses auszuführen sein wird (s.u. 752
ff.).
47) RdG 829 f. — Zur Kirchengemeinschaft als Vorgang
wechselseitiger Anerkennung und Unterfall der
Bekenntnis(Dogmen-)entscheidung s.u. 754 f. 759 f.
48) RdG 827 f., 832. Das bedeutet z.B., daß die
Dogmatisierung der Infallibilität ex sese, non ex
consensu ecclesiae für Do. rechtlich gesehen nur ein
untauglicher (weil strukturwidriger, d.h. gegen ius
divinum verstoßender) Versuch ist, die gesamtkirchliche
Rezeption von päpstlichen ex-cathedra-Entscheidungen
auszuschalten, ein Versuch übrigens, der mangels
gesamtkirchlicher Rezeption nie allgemeines Kirchenrecht wurde,
OU 103, RdG 703-705, 827 f., 833; weitere Erwägungen hierzu: RdG
871 A. 13 (objektivierender Wahrheitsbegriff), 705, 864, 930
(Souveränitätsdenken), 806, 930 (Subjekt-Objekt-Denken). Der
Einfluß ostkirchlicher Gedanken ist offensichtlich (vgl. GRE 90).
Unfehlbar ist nur die universitas fidelium, RdG 831,
983, d.h. ihre sanior pars, RdG 832, und das Lehramt nur
im Verein mit ihr, RdG 831 f. Zum Konzil s.u. A. 51. — Ergänzend
sei hingewiesen auf die kanonistische Aufnahme eines
Kirchengesetzes (dazu K. Mörsdorf I 86 f., H. Küng Qd 17 53 f.,
H.E. Feine 54, 109 f. A. 2); für das 2. Vatikanische Konzil vgl.
z.B. Lumen Gentium 45, 51.
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Auch in ihrer Formalstruktur ist die receptio das Gegenstück der traditio. Sie ist die Annahme einer rechtlich verpflichtenden Tatsache (der Gabe der traditio). Diese Annahme ist nicht nur deklaratorisch, sondern konstitutiv, weil die receptio die Gabe verantwortlich durch die Geschichte weiterreicht und weil sie ein freier personaler Gehorsamsakt gegenüber dem in der Gabe handelnden Herrn ist49.
Damit ist schon der Inhalt der Rezeption dargelegt: Angenommen wird allein der Geist Christi; auch hier vermag der Mensch nichts, und der Geist ist es, der das Verkündigen wirkt und das Hören, das Geben und das Empfangen. Aber wer rezipiert? Ebenfalls der Geist, repräsentiert durch die Gemeinschaft der Gläubigen in ihrer Gesamtheit50. Immer muß — ein Grundgedanke des ostkirchlichen Rechtes — bei jedem Traditionsvorgang die ganze Ekklesia beteiligt sein. Je nach teil- oder gesamtkirchlicher Bedeutung des Vorgangs ist Ekklesia eine Partikularkirche oder die Ökumene. Tradiert der Amtsträger, rezipiert die Gemeinde; tradiert die Gemeinde, rezipiert das Amt; entscheidet die Synode, rezipiert die Gemeinde; beschließt das ökumenische Konzil, rezipieren die Teilkirchen der Ökumene; beschließt eine Teilkirche, rezipieren alle übrigen — oder nicht51.
Es stehen sich demnach im Traditionsvorgang immer unaustauschbar und unvertretbar zwei verschiedene „Rollen” gegenüber. Der „Vorgang” zeigt stets einen typischen Verlauf. Er geht von einem Punkt
49) OU 58, RdG 827. Allerdings besteht nur die
„Freiheit”, dem Geist nicht zu gehorchen, RdG 829; „freier”, d.h.
pneumatischer Gehorsam: RdG 832.
50) GRE 143 f., OU 55, RdG 576, 825, 977; 825, 831,
983 nach Sohm; das ist wie der der Gemeinschaftsbezug des
Kirchenrechts. Er folgt für Do. theologisch aus der Umkehrung des
gemeinkirchlichen Satzes, daß jede Teilkirche die Gesamtkirche
repräsentiere, OU 40, 74, 80, RdG 825, 829, 1017 usf.
51) GRE 143 f., OU 55, 99, Berichtskizze 253, RdG 701
ff., 826 f., 829 f., 833. — Das ist zugleich die Basis für teil-
und gesamtkirchliches Recht. Auch eine Bekenntnisentscheidung
kann notfalls von einer Teilkirche ausgehen, bedarf aber dann
gesamtkirchlicher Rezeption, OU 30, Berichtskizze 253, RdG 829.
Voraussetzung ist also, daß auch eine Teilkirche entsprechende
Kirchenorgane besitzt!, OU 40. — Auch das allgemeine Konzil ist
trotz des verheißenen Beistandes des Geistes (RdG 984) nicht für
sich allein unfehlbar, RdG 829 f., 985; gleichwohl ist für Do.
das ökumenische Konzil unabdingbarer Inhalt eines ökumenischen
Kirchenrechts (OU 40), da es die Einheit der Kirche manifestiert
(OU 85, RdG 704). Es ist keine „Repräsentation” der Gliedkirchen
(RdG 825 u.ö., wohl weil es nicht von ihnen bevollmächtigt ist?,
wohl auch in Abwehr „demokratischer” Vorstellungen), auch nicht
der Gesamtkirche, sondern ihr konstitutives Gegenüber (RdG 831;
anders 704 f. „unentbehrliche Repräsentation der Gesamtkirche”),
was zur rechtlichen Folge hat, daß seine Beschlüsse der Rezeption
durch die Gliedkirchen bedürfen (RdG 825, 830, 1017).
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(Amt oder Teilkirche) aus und erfordert die geistliche Reaktion aller übrigen52.
Die Wirkung der Rezeption ist, daß der Traditionsakt allgemein anerkannt wird. Der Vorgang der traditio gelangt zu sichtbarer Objektivität, wird öffentlich kundgetan und damit verbindlich. Umgekehrt gilt: Wird nicht rezipiert, so bleibt alles beim alten53.
Was aber verbindlich macht, muß selbst Rechtsqualität haben54. Handelt es sich doch um eine Struktur, die im Neuen Testament unzweifelhaft rechtlich zu verstehen ist und auch in der alten Kirche so verstanden wurde, die sogar das ganze Rechtsleben kategorial durchzieht55: Der Vorgang aus traditio und receptio, aus Gabe und Annahme weist ja die typische Struktur des Gnadenrechts und ebenso der (geistlichen) Institution auf56. Es ist unnötig, deren einzelne Begriffsmerkmale noch einmal in extenso zu wiederholen, zumal das zweite kirchen-rechtliche Begriff spaar, iurisdictio und ordinatio, noch aussteht und die gerechtigkeitsrechtlichen Strukturelemente, die ebenfalls vorhanden sind, nachtragen wird.
Jeder Akt der receptio impliziert eine geistliche Entscheidung (iurisdictio) darüber, daß in der traditio Gott handle; es muß immer geprüft
52) RdG 831. — Die Rezeption durch die
jeweilige universitas fidelium ist nicht ersetzbar, kann
nicht durch andere in Vertretung geschehen (GRE 139, RdG 825,
829, 983); wichtigster Fall: oben A. 48 (wie steht es also mit
dem RdG 833 angeführten Gemeindekirchenrat?!). — Aber
traditio und receptio sind nicht „für sich
bestehende absolute Rechte” von mehreren voneinander unabhängigen
Rechtssubjekten, die summiert werden, sondern rechtliches
Zusammenwirken zweier Teilakte, die zur Erreichung des
Rechtserfolges notwendig sind, GRE 143, RdG 826 f., 832; wegen
der abendländischen Tendenz, solche Vorgänge in Einzelakte
aufzulösen, und wegen des Strebens nach Souveränität ist die
Rezeption in allen westlichen Kirchen fast verschwunden, lebt
aber jetzt wieder auf, weil die Logik ökumenischer Vorgänge
(Kirchenzusammenschlüsse) dazu zwingt, OU 54, RdG 834.
53) RdG 825-829, 832. Hierauf beruht die Gültigkeit
der altkirchlichen Bekenntnisse (RdG 697), des Dogmas überhaupt.
Auch die Herausbildung des Kanons der ntl. Schriften ist nichts
anderes als ein Rezeptionsvorgang (im einzelnen vgl. RdG
705-710).
54) Anders noch GRE 155.
55) NRE 34, GRE 143 f., OU 58, RdG 482 f., 618, 622,
825-828, 832 f. z.T. in Auseinandersetzung mit R. Sohm.
58) Vgl. schon NRE 34, GRE 144 f. m. A., dann etwa RdG
827, 911.
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und entschieden werden, ob der Geist Christi auch wirklich anwesend ist. Denn sonst darf die Kirche nicht handeln. Iurisdictio ist Glaubensentscheidung57. Darum lautet die Definition: Iurisdictio ist Entscheidung über die Angezeigtheit geistlichen Handelns58. Damit ist iurisdictio die kirchenrechtliche Variante des in jedem personalen Handeln enthaltenen Entscheidungsmoments59. Sie beansprucht deshalb universale kirchenrechtliche Bedeutung, sie gehört zu jedem geistlichen Handeln — etwa zur Ausübung der Schlüsselgewalt und zur Wahl eines
57) RdG 562, 573, 818, 828; „alle
receptio . . . ist . . . echte iurisdictio”, OU
54 f. Glaubensakt: GRE 156, RdG 815 f., 818, bes. wichtig 882 ff.
(wo die Analogie der richterlichen Gott-Mensch-Relation zur
Relation Richter-Angeklagter in Auseinandersetzung mit H.
Oestergaard-Nielsen durchgeführt wird); Beispiel Marias: CrE 12;
pneumatische Entscheidung: RdG 576, 825, 977 — letztlich
ermöglicht dadurch, daß Gott sich schon vorweg für uns
entschieden und es in Bund und Testament uns kundgetan hat.
58) OU 43 (1.), 56, CrE 51, RdG 841, 845, 861, 977
„einziges Thema des Kirchenrechts” (!). „Geistlich” meint in
diesem Zusammenhang das opus proprium der Kirche,
nämlich „Wort und Sakrament” und die dazu notwendigen Handlungen,
wie kirchliche Wahlen, Amtseinsetzung, -enthebung,
Schlüsselgewaltausübung, Lehrentscheidung usf., ebd. und OU 55,
RdG 714.
59) CrE 51, RdG 842, 845. Nach allem bisher
Ausgeführten versteht es sich von selbst, daß damit weder einem
einseitigen Aktualismus noch einem Existentialismus das Wort
geredet wird (vgl. noch Berichtskizze 252). Iurisdictio
i.w.S. ist jede Entscheidung, nicht nur die geistliche,
wie sie auch im Kirchenrecht (i.w.S.) notwendig werden kann, RdG
861 f. Das ist vor allem das Gebiet des kirchlichen
Verwaltungsrechts (dazu GRE 149, RdG 860 ff.,
889 f., 978,1007; zustimmend U. Scheuner ZevKR 1963/64 72), das
damit einen teils größeren, teils geringeren Bereich als im
kanonischen Recht zugeteilt erhält. Für das weltliche Recht vgl.
z.B. Ehe 99 f. Vor allem ist alles Entscheiden und Urteilen
rechtsphänomenologisch eine richterliche Funktion (vgl. RdG 836);
iurisdictio ist ein „richterliches” Tun. Das darf
freilich nicht laienhaft auf streitige Gerichtsbarkeit eingeengt
werden: Richter ist auch der Richter der freiwilligen
Gerichtsbarkeit mit seinen vielfältigen rechtsgestaltenden und
rechtsbekräftigenden Aufgaben; „richterliche Gewalt ist
Entscheidungsgewalt überhaupt”, RdG 752; 516, 836, 865. Weil das
Recht in der evangelischen Theologie allzu ausschließlich als
Entscheidung und Strafrecht verstanden wird und sich obendrein
mit dem modernen Begriff des ausnahmslos geltenden,
undurchbrechbaren Gesetzes verbunden hat (dazu RdG 857: je mehr
Urteile durch Gesetz vorweggenommen sind, das zudem als
ausnahmslos geltend mißverstanden wird, desto geringer ist der
Raum möglicher Entscheidung) —, entsteht ein
„jurisdiktioneller” Rechts- und
Denktypus (RdG 154, 454, 781 f.), den Do. als Entartung
des Anspruchsrecht ansieht (s.o. 634 f.40), der
wiederum kirchenrechtlich die Verdrängung der Kirchenleitung ins
außergeistliche landesherrliche Kirchenregiment begünstigte (die
iurisdictio wurde weltlich, die zugehörige
ordinatio außerrechtlich, was auch durch Heckel nur z.T.
rückgängig gemacht wird, RdG 845, 858 f.), bei R. Sohm zur
Verwechslung von Jurisdiktion und körperschaftlicher
Leitungsgewalt und folgerichtig zur Ablehnung dieses Rechts führt
(RdG 485 f., 562) und bei H.W. Gensichen zur Entgegenstellung von
Jurisdiktion und Lehrgewalt (RdG 731 A. 41 und unten
75746).
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Amtsträgers (weil sie immer ein Urteil über dessen geistliche Tauglichkeit impliziert).
Sie ist ebenso formaler Struktur60 wie die receptio. Als Entscheidung über die Angezeigtheit geistlichen Handelns bedeutet iurisdictio zunächst eine „Wahl”61: etwas zu tun, etwas anderes zu unterlassen, aus dem Kreis der Möglichkeiten auszusondern. Sie ist stets „Entscheidung” für oder gegen. Darüber hinaus ist sie ein „Urteil”; „Erkenntnis” und „Beurteilung” dessen, was geschehen soll, schließlich „Verurteilung”, etwa bei Ablehnung eines Taufbewerbers. Dieses Urteil ist in zwei Formen möglich: Es kann sein „Selbstverurteilung”, nämlich „Selbstverpflichtung auf Gehorsam” (z.B. sich einer Taufe zu unterwerfen) und „Fremdbe(ver-)urteilung” (z.B. Prüfung der Charismen durch die Gemeinde). Eine positive Entscheidung wird zur „Anerkennung” (vor allem die Aufnahme der Kirchengemeinschaft durch Anerkennung einer anderen Kirche)62.
Damit ist auch der Weg gezeigt, wie die iurisdictio in das System der beiden Rechtskreise einzuordnen ist. Sie gehört als Anerkennung zum Gerechtigkeitsrecht, also zum jurisdiktionellen Rechtstypus. Doch darf der gnadenrechtliche Aspekt nicht übersehen werden: Geistliche Entscheidung bedarf der vorgängigen Vergemeinschaftung, konkret der Gabe der Vollmacht. Denn rechtlich gesehen ist streng daran festzuhalten: Nur der Geist urteilt über den Geist63.
60) Nur scheinbar anders RdG 872 A. 35.
61) RdG 836 f. — Hierher gehört vor allem die
kanonische Wahl, der Do. entscheidende Bedeutung beimißt
(GRE 137 ff. [Milasch!], RdG 326 f., 483 f.; vgl. die Schilderung
GRE 137 f., OU 44 u.ö.); sie ist pneumatisches Urteil über die
Geistbegabung des Bewerbers, seine Berufung (OU 55, CrE 51) und
zugleich receptio (GRE 140, OU 55, RdG 483 f.),
annehmendes Bekenntnis, Akklamation (RdG 487), nämlich im
Ordinationsvorgang (RdG 484; zum Papstwahlrecht der römischen
Gemeinde RdG 448, 527 und oben Exk. XVII 663 ff. zur Bedeutung
des 12. Jh.; zur Bischofswahl allg. OU 78, Kathol. 165, 287, CrE
54 ff., RdG 493); sie ist konkreter Ausdruck des allgemeinen
Priestertums (RdG 525 ff. einzige Bedeutung!!), hat sich aber
auch in der Reformation nicht durchsetzen können (RdG 527). —
Aber auch das Verlöbnis als erster Akt des Eheschließungsvorgangs
ist ein gegenseitiger Wahlvorgang (RdG 657 u.ö.;
rechtssoziologisch zum Vertrag als Wahl: NRE 49 ff.).
62) OU 43 (1.), RdG 708, 714, 837, 839 ff.; oben zur
receptio als Anerkennung, RdG 562 ff. zur
missio als jurisdiktionellem Akt.
63) GRE 136, 140, OU 52, RdG 618 A. 21, 825, 829, 836,
841 f. (der gnadenrechtliche Aspekt tritt in OU 55 noch zurück).
- Wer im einzelnen die potestas iurisdictionis ausüben
soll (RdG 838, 841), gehört zur Lehre vom allgemeinen Priestertum
und damit vom Amt; mangels Vollmacht kann es nur nicht ein
weltliches Kirchenregiment sein, RdG 845.
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Die ordinatio ist das komplementäre Gegenstück zur iurisdictio, wie die receptio zur traditio. Darum gilt „für alles Handeln der Kirche . . . der Generalsatz: Omnis actio est iurisdictio et ordinatio”64. Denn die iurisdictio allein ist begrifflich unvollständig. Iurisdictio ist geistliche Entscheidung über geistliches Handeln, ordinatio die „Vollstreckung”, der tatsächliche Vollzug dieser Entscheidung, also das geistliche Handeln selbst. Das ist nichts anderes als die allgemeine (Rechts-)Struktur personalen Handelns. Jedes Handeln wählt aus und ordnet ein — ins Kirchenrecht transformiert: Iurisdictio ist geistliche Auswahl, ordinatio die geistliche Einordnung; das Tun, das die Gemeinde auf erbaut65.
Diese Doppelstruktur aufzuzeigen, ist ein kirchenrechtliches Hauptanliegen Dombois’. Auf ihr beruhen der Dualismus von Auftrag und Vollmacht, die Lehre vom — hier ausgeklammerten — Amt66, von den Sakramenten und der Wortverkündigung, namentlich aber die verblüffend einfache Erklärung der Kirchengewalt als potestas „ordi(natio)-nis” et Jurisdictionis” im hier geschilderten Sinn67, schließlich die geistliche Institution.
Der institutionelle Zusammenhang ist bei den Aussagen über die ordinatio als kirchenrechtlichen Grundakt stets gegenwärtig. Ordinatio ist synonym mit der schon erläuterten institutio — sowohl tätige Zuordnung wie fertige Institution (Akt- und Statusseite!). Sie ist
64) OU 106 f., RdG 548, 836, 850; der
historische Ursprung des Begriffspaares ist unbekannt (RdG 549).
Die beiden Akte können zeitlich zusammenfallen, RdG 841.
65) CrE 51, OU 53, Berichtskizze 253, RdG 837, 841,
844, 847, 849, 864, 872 A. 35, oben 651 f. — Ordinatio
im üblichen Gebrauch als (jurisdiktionell-normative) Anordnung
tritt bei Do. zurück (Ausnahme RdG 847 „konkrete gestaltende
Anordnung”), denn rechtssprachlich ist sie vorwiegend ein
prozessualer Begriff, RdG 846 („Zivilprozeßordnung” u.ä.). —
Ordinatio steht im übrigen in dreifachem Sinn: 1. i.w.S.
als allgemeine (soziologisch-phänomenologische) Rechtsstruktur,
2. i.e.S. als kirchenrechtliches Element, 3. speziell als
geistverleihende Ordination zum Amt; zur Geistverleihung abl. S.
Grundmann ThLZ 1963 813, abwägender U. Scheuner ZevKR 1963/64 69
f.; die Geistverleihung bzw. Amtsgnade sehen als Inhalt der
Vollmacht an: CrE 32 f.; H.D. Wendland CrE 37 ff., RGG III 53 f.,
ähnlich H. v. Campenhausen.
66) RdG 473 ff., 846 f., 849; wobei die dazugehörige
vocatio der iurisdictio entspricht, RdG 548
u.ö.; die Zuordnung von jurisdiktioneller und ordinatorischer
Seite bei Do. läßt ihn die relative Ordination hervorheben, RdG
545 ff., 566, so auch CrE 34; insoweit ähnlich K. Mörsdorf HthG I
840.
67) OU 106 f.
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statuszuweisende Einordnung, einordnende Bevollmächtigung, Zuordnung, Eingliederung und Aufnahme in einen neuen Stand.
Das zeigt zugleich, daß nicht nur die traditio-receptio, sondern auch die ordinatio als gestaltender Rechtsakt gabenrechtlichen Typs zu verstehen ist68, weshalb es sich erübrigt, sie im einzelnen als personal, existentiell usw. nachzuweisen.
Dagegen verdient das Verhältnis von iurisdictio und ordinatio nähere Betrachtung. Ausgrenzende Entscheidung und zuweisende Einordnung bilden die Sinneinheit des „gestreckten” institutionellen Rechtsaktes — zwar sachlich zu unterscheiden, aber nicht zu scheiden. Sie sind komplementär, also auch aufeinander angewiesen mit allen daraus sich ergebenden praktischen Schwierigkeiten: Obwohl man das kirchliche Handeln von der iurisdictio- wie von der ordinatio-Seite her betrachten kann, weil es sich um gegenläufige Vorgänge handelt, darf keine Seite außer acht gelassen werden. Die verhängnisvolle Spaltung der Kirchengewalt in eine geistliche potestas ordinis und eine ungeistliche „juridische” potestas iurisdictionis, die auch von den Reformatoren nicht beseitigt werden konnte, die schließlich verständnislos (auch auf katholischer Seite) durch die potestas magisterii „ergänzt” wurde — sie ist Warnung genug, das scheinbar Unmögliche zu versuchen: sie zu unterscheiden und doch nicht auseinanderfallen zu lassen69. Für das Amtsrecht zeigt das Begriffspaar, daß die evangelische Betonung der iurisdictio (Vokation vor Ordination beim Amt) und die katholische der ordinatio (sakramentale Priesterweihe vor missio, absolute Ordination) als komplementäre Vereinseitigungen zu verstehen sind, die in einem ökumenischen Kirchenrecht „aufzuheben” sind70.
68) OU 56, Berichtskizze 253, EltR 76, RdG 448,
480, 846 f., 849, 865. — Die Konsequenz für die Kirchengewalt:
auch die potestas ordinis hat
(Gnaden-)Rechtscharakter.
69) OU 55 f., 107, RdG 802, 847 ff., 860; die
katholische „Lehrgewalt” ist eine Entlehnung aus der
evangelischen Aufklärungstheologie, J. Fuchs 1946. Einige
praktische Folgerungen: Niemand darf ordinieren, der nicht
iurisdictio hat; niemand darf die ordinatio
durch jurisdiktioneile Akte ersetzen, OU 39, 107 (z.B. einen
Nichtordinierten zum Gottesdienst anweisen); niemand darf
einseitig nur mit der Jurisdiktionellen Gewalt des Bischofs
ausgerüstet werden, z.B. Generalvikar, OU 107.
70) OU 43 (2.), Berichtskizze 253, RdG 391 u.ö.; der
ostkirchlichen Ordination fehlt dagegen die missio, RdG
413 f.
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„Die eigentümlichen Vorgänge des Kirchenrechts (bilden) gleichsam eine unendliche Kette der Weitergabe von Geschlecht zu Geschlecht, eine Wellenfolge von Empfangen und Geben, bis der Herr kommt.” Am Anfang steht die traditio des Herrn, Selbstgabe zur Weitergabe (die Auftrag und Vollmacht enthält). Diese traditio fordert iurisdictio, die Glaubensentscheidung des Menschen; die iurisdictio lautet auf Nachvollzug der traditio, d.h. auf receptio. Die Heilsgabe wird verbindlich angenommen. Receptio enthält ordinatio. Die Annahme der Gabe ordnet neuem Status zu. Der so gewonnene Christen,,stand” fordert wieder iurisdictio, die Entscheidung zur Weitergabe, zur traditio in der „Mission” und Verkündigung71.
Die zwei Doppel Vorgänge sind demnach miteinander „verflochten”, und zwar entsprechend dem supplementären Verhältnis von Gnaden-und Gerechtigkeitsrecht. Zur traditio gehört die receptio und die ordinatio; die „Gabe” Christi, sofern sie „angenommen” wird, „ordnet” in den Christusleib ein. Sie weisen auf das Statusrecht (Gabe, Annahme, Zuordnung, Status). Die receptio enthält die iurisdictio. Glaubensannahme und -entscheidung gehören zusammen. Das verweist auf das Anspruchsrecht72 (Entscheidung, Urteil, Anerkennung). Dem Primat des Status- vor dem Anspruchsrecht innerhalb des Rechtsbegriffs der Gnade entspricht der Primat von traditio/ordinatio vor receptio/iurisdictio. Auf das sola gratia folgt das sola fide.
Man kann sich das Verhältnis der beiden Begriffspaare auch anders verdeutlichen. Von Gott her lautet die Reihe traditio Gottes — receptio des Menschen (beides natürlich als Geistwirkung verstanden); vom
71) Wieder Berichtskizze 253; RdG 864 f. (auch
zum folgenden), 911. Deshalb bedarf auch die Aussendung zur
Mission der geistverleihenden ordinatio, RdG 459. Die
Verbindung von receptio und iurisdictio erklärt
die Verbindlichkeit der traditio als die in der
receptio enthaltene Selbstverurteilung
(iurisdictio) auf „Anerkennung” des in der
traditio enthaltenen „Anspruchs”, vgl. OU 52, RdG 618 A.
21, 704 f., 825, 828 f., zugleich als gnadenrechtliche Annahme
der Gabe mit folgenden Statuspflichten, GRE 144 f. m. A., RdG
827.
72) Vgl. OU 55 „Beide Begriffspaare sind analog, fast
synonym”. — Aber wo ist der erste Akt des Anspruchsrechtes
geblieben, der Anspruch selbst? Er ist in der beanspruchenden
Gabe Christi enthalten (s.o. A. 71), die die Glaubensannahme
fordert. Er tritt nicht gesondert in Erscheinung.
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Menschen her receptio/iurisdictio — ordinatio73. Von der Horizontalen der Geschichte her ist die mittlerische Struktur von traditio — receptio zu betonen, von der Vertikalen der Existenz jedoch iurisdictio — ordinatio74. Immer aber ist das zweite Paar im ersten begründet. Ohne traditio und receptio gibt es keine iurisdictio und ordinatio.
Damit ist zugleich die potestas der Kirche als jurisdiktionelle und ordinatorische verankert im (und angewiesen auf den) stiftenden Anfang Christi in seiner geschichtlichen Vermitteltheit.
Jesu kirchenstiftendes Handeln setzt sich über seinen vierfachen bevollmächtigenden Auftrag fort und wird erfüllt im Gottesdienst der Kirche. Darum konnte — formal mit K. Barth — gesagt werden, „Kirchenrecht ist eine Funktion des Gottesdienstes”. Freilich, „dann kommt Entscheidendes darauf an”, was hier unter Gottesdienst verstanden wird1. Meint Dombois, wie einige gesagt haben, schlechterdings alles, was die Kirche tut, oder denkt er an das, was in den Agenden und Rubriken als „Liturgie” steht?
„Wortstatistisch” ergibt sich folgendes: Gottesdienst und Liturgie sind unterschiedslos verwendet2, wohl im Hinblick auf das „liturgische” Kirchenrecht K. Barths. Gottesdienst bedeutet allgemein den Lobpreis Gottes, in der rechtlichen Dimension das den Christen von Christus
73) Hieraus erklärt sich eine scheinbare
Unstimmigkeit. An sich würde, gnadenrechtlich betrachtet, die
Reihenfolge des zweiten Begriffspaares lauten:
ordinatio-iurisdictio; da sie aber primär von der
Antwort des Menschen auf die beanspruchende Gabe Gottes bestimmt
ist, ist sie „gegenläufig” und muß darum lauten:
iurisdictio-ordinatio.
74) NRE 33; horizontal-vertikal werden gelegentlich
auch vertauscht, z.B. OU 100, hier RdG 774 f. — Man kann i.S.
Do.s fortsetzen: traditio-receptio-successio
und
iurisdictio-ordinatio-communio/Solidarität.
1) Ernst Wolf ZevKR 1963/64 88 f.; OU 45, 73 f., RdG
45, 52, 211, 281, 354 A. 6, 792.
2) Anders noch GRE 169 ff. Zum ius liturgicum
s.u. 72114; gegen „Liturgismus” und das ästhetische
Mißverständnis der Liturgie: RdG 44, 53 f., 168 ff., 407, 848;
namentlich 408 gegen den „fatalen . . . hochkirchlichen
Ritualismus”; 213 gegen Pela-gianismus und Synergismus;
andererseits gegen eine „falsche Entgegensetzung von Verkündigung
und Liturgie” Quat. 1956/57 97.
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aufgetragene Handeln der Kirche (man beachte den „Vorgangscharakter”!)3. Im engeren und eigentlichen Sinne alle der Kirche anvertrauten Handlungen, also Predigt, Taufe, Konfirmation (!), öffentliche Buße4, kurz Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung5, was auch die Confessio Augustana VII und K. Barth6, besonders aber P. Brunner7 unter Gottesdienst verstehen, im engsten Sinne Predigt und Abendmahlsfeier, weil sie regelmäßig stattfinden8. Nur widerstrebend wird jede geistliche Verrichtung als Gottesdienst (i.w.S.) bezeichnet 9.
Wenn also nichts anderes gesagt wird, ist Gottesdienst im folgenden nur das Geschehen von Wort und Sakrament.
Dombois beläßt es nicht bei einer bloßen „stiftungspositivistischen” Aufzählung einzelner Verrichtungen. Gottesdienst ist „das Geschehen, in dem die radikale Scheidung der Gemeinde von der Welt wie ihre Einordnung in den neuen Äon und von da aus ihre Sendung zur Welt vollzogen wird”. Das Handeln der Kirche „ist” das stiftende Handeln Christi in seiner gegenwärtigen Bedeutsamkeit. In ihm auferbaut Christus ständig seine Gemeinde10. Gottesdienst ist darum nicht ein sekundäres Handeln der Kirche, von ihr normiert und geregelt, sondern umgekehrt: Kirche erwächst aus Gottesdienst als realisiertem Bezug zu Gott in Christus. Gottesdienst ist Gottesbezug im Vollzug11.
3) RdG 51, 67, 212, 280, 363, 682, 861.
4) RdG 363; zur Schlüsselgewalt vgl. RdG 594 ff. Meist
nennt Do. vier Grundhandlungen: Predigt (als Lehre und als
Verkündigung), Taufe, Abendmahl und Absolution (z.B. RdG 281,
293, 767). — Zum Ternar
martyria-diakonia-leiturgia vgl. CrE
passim. (Er spielt im übrigen bei Do. keine Rolle mit der
einzigen Ausnahme RdG 1005.)
5) Das ist der von Do. bevorzugte Gebrauch (RdG 280),
wenn man seine Strukturbetrachtung hinzunimmt.
6) OU 83, 95, Berichtskizze 251 f., RdG 51, 558, 997;
vgl. die wiederholte Verwendung des Barthschen (KD I/2 253; vgl.
CrE 14) „gottesdienstlichen Raums” (RdG 211, 410).
7) OU 52, RdG 87 A. 43, 374 ff., P. Brunner Leiturgia
I 83 ff. Daneben auch V. Vajta, K. Rahner u.a. (RdG 374 ff.) und
vor allem die ntl. Forschung (RdG 404 f.).
8) RdG 363.
9) RdG 558 — z.B. die kanonische Wahl, RdG 327; 239
gegen „Gottesdienst ohne entschiedene Zuordnung zum Kultus”.
10) RdG 281 (E. Käsemann), 354 A. 6, 996;
ähnlich auch H. Schlier, s.o. 60211.
11) GRE 54 als religionssoziologische, RdG 375 als
kirchenrechtliche Aussage. — Nur insofern könnte man in der Tat
von einer „Vorordnung der Liturgie” sprechen, ➝
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Das wird noch klarer durch einen Blick auf das Zeitverständnis: Die Kirche als die Gemeinschaft des Neuen Äons ist gottesdienstliche Gemeinschaft in proleptischer Eschatologie. Das bedeutet: Alle drei Zeiten sind eins im gottesdienstlichen Geschehen. Inkarnation und futurische Eschatologie werden Glaubensgegenwart. Das „inkarnatorische” Element ist stark betont. Liturgie wird zur „geschichtlichen Konkretisierung” Christi, „repräsentiert” das vergangene Heilsgeschehen und setzt es gegenwärtig. Zugleich ist das Abendmahl eschatologisches Freudenmahl, Gegenwart des Zukünftigen. Darin ruht die „trinitarische” Struktur des Gottesdienstes12. Er ist „Gabe” des Vaters, repraesentatio Christi und Gemeinschaft des Geistes. Damit wird auch das ostkirchliche Gottesdienstverständnis berücksichtigt. „Katholisierende Tendenzen” werden jedoch energisch abgewehrt13.
Liturgie und Gottesdienst sind also nichts anderes als die reale repraesentatio des Heilshandelns Christi, also das Geschehen von Wort und Sakrament. Für Dombois ist damit bereits das gottesdienstliche Recht mitgegeben. Man muß nur noch die Rechtsdimension des Gottesdienstes erheben (darum kann das Kirchenrecht der Kirche nichts hinzufügen, was sie nicht schon hat!). Kirchenrecht (i. e. S.) ist die
➝ wie es R. Hupfeld ZevKR 1957/58 250 getan hat, wenn man
unter Liturgie die Struktur des Wort- und Sakramentsgeschehens
versteht. Freilich spricht aus diesem Verständnis Do.s nicht
zuletzt die liturgische Erfahrung der Michaelsbruderschaft, was
kein Nachteil zu sein braucht (vgl. OU 27 „Wir haben einstmals
gehofft, daß von der Liturgie her die Kirche sich ordnen lassen
werde”, OU 4 ff. schildert diesen Ansatz einerseits als
selbständige Weiterführung des Programms von Credo Ecclesiam,
andererseits als lutherische Aufnahme der weithin parallelen
Aussagen K. Barths; CrE 9. Wie die Gedanken Do.s „praktisch”
aussehen, kann man gleichwohl nicht so sehr an der Verfassung der
Ev. Michaelsbruderschaft ablesen [ZevKR 1962/63 32 ff.], als
vielmehr an der unter Do.s Mitwirkung entstandenen Verfassung der
St.-Anschar-Kirche in Hamburg [zu dieser G. Rödding
ZevKR 1957/58 154 ff.; insoweit richtig J. Hoffmann RDC 1966 84
A. 77]).
12) RdG 49, 67, 79, 81, 202 f., 211, 214 f., 295, 394,
410 u.o. 480 f. Es ist selbstverständlich, daß auch das Wort
Gottes eine endzeitliche Dimension hat. — Im „trinitarischen”
Gottesdienst ist die Brücke von der „trinitarischen” Grundlegung
zum „trinitarischen” Recht zu finden!
13) GRE 170 ff., OU 106, RdG 212, 394, 694; vgl. HK
1962 578; vgl. auch die kirchenrechtliche Behandlung der Epiklese
(Herabrufung des Geistes vor oder nach den Stiftungsworten des
Abendmahls) RdG 474, 501, 505, 667 u.ö.; die innere
Verwandtschaft geht aber noch tiefer: wie (nach W. Elert) in der
Ostkirche die Theologie (RdG 691, 729 A. 19), so ist bei Do. das
Kirchenrecht explizierte Liturgie.
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Rechtsdimension von Wort und Sakrament. Das ist hier unter gottesdienstlichem Recht gemeint14.
Aber wie findet man diese Rechtsdimension? Dazu ist eine neue Sicht des Gottesdienstes erforderlich, antwortet Dombois; weder sein Begriff noch seine Idee reichen zu, einzig auf das reale Geschehen kommt es an. Denn es ist das Lebensgesetz der Kirche, daß sie all das tut, was ihr anvertraut ist, und daß all das rechtens ist, was zum Heil notwendig ist. Man muß freilich weniger auf das Daß als vielmehr auf das Wie der gottesdienstlichen Vorgänge achten, also auf ihre „Struktur”. Dann erkennt man, daß der Vorgang des Gottesdienstes und der Vorgang der Kirchenrechtsbildung sachlich identisch sind, wie schon R. Sohm entdeckt hat. Wo man das Wort Gottes verkündigt und die Sakramente spendet, da geschieht das personale Handeln par excellence: Dort ereignen sich „Aussonderung und Einordnung” in die eschatologische Gemeinde; dort zeichnen sich spezifische „Rollen” und „Beziehungen” ab, besonders das „gegenläufige” Verhältnis von Amt und Gemeinde (Verkündigen und Tun auf der einen Seite, Hören und Empfangen auf der anderen), also die vorgegebene „dualistische” Rechtsstruktur des Gottesdienstes, sein „Grundmaß”15.
Damit wird der Gottesdienst zum Maß des Gemeindeaufbaus, zu Grundlage und Ausgangspunkt des Sakraments-, Amts- und Kirchenverfassungsrechts; der Gottesdienst ist die Quelle und das „Formalprinzip des Kirchenrechts” und Garant seiner Eigenständigkeit16.
14) OU 27,74 (3.), unten 723. — Das
„liturgische Recht” ist also kein ius liturgicum, OU 27;
RdG 354 A. 8 zum Begriff und systematischen Ort, 996;
repraesentatio Christi: CrE 75, RdG 214 u.o. 702 ff. —
Dennoch ist der Sprachgebrauch für „gottesdienstliches” oder
„liturgisches” Recht nicht einheitlich. Daraus resultiert einige
Verwirrung in der Bestimmung der Rechtsstruktur des Wortes und
der ihm zugeordneten kirchenrechtlichen Vorgänge, das sind
Verkündigung, Bekenntnis, Lehre, Dogma (dazu unten 742 ff.).
15) OU 32, 112, Berichtskizze 252, RdG 48-53, 65 f.
(nach W. Maurer, RdG 88 A. 69), 375, 394, 565; Amt: OU 36, 52,
61, Berichtskizze 251 f., RdG 50, 65 f. (P. Brunner), 367;
„gottesdienstlicher Dualismus”: GRE 142, 157, CrE 19, OU 38, 90
f., Berichtskizze 252, RdG 46, 214 f.; Grundmaß: OU 6 (2.), 32,
90 f., Berichtskizze 251, FS Karrer 398, RdG 46. Die prägnante
Formel „Kirchenrecht ist Funktion des Gottesdienstes” wird damit
doch wohl korrigiert.
16) GRE 175, CrE 48, OU 4 ff., 27, Berichtskizze 251
f., RdG 45, 49 f., 212, 565 (gegen J. Heubach und den
„Neukatholizismus”), 998; K. Barth OdG 57 — ein ökumenisches
Kriterium für die Kirchenverfassungen, OU 42 (2.) — Zum
außer-gottesdienstlichen Recht s.u. 73546.
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Die Lehre vom gottesdienstlichen Recht wird weiter entfaltet in der Rechtsanthropologie der Kirche. Nach den anthropologischen Voraussetzungen muß dieses Kirchenrecht „von den Tatsachen ausgehen”. Es muß ein Recht relational-personaler, existentieller Strukturen in geschichtlicher Konkretheit sein17. Diese Tatsachen und Strukturen sind die des Gottesdienstes. Dort findet sich auch das anthropologische Fundament der vier kirchenrechtlichen Grundbegriffe. Eine besondere Nähe zum Gnadenrecht und zum institutionellen Rechtskreis ist zu erwarten.
„Es zeichnet sich als eine neue, . . . epochale Möglichkeit das Kirchenrecht existentieller Relationen heute bereits deutlich ab.” Dieses Programm von 1951 ist im Recht der Gnade zur vorläufigen Ausführung gebracht. „Das Kirchenrecht . . . bezeugt . . . Tatsachen, rechtlich relevante und existenzbegründende Relationen.” Diese Relationen — darauf beruht alles weitere — bilden sich im Gottesdienst. Dort werden sie aufgefunden; „Gott handelt nicht direkt.” Er bedient sich der menschlichen Bezüge, vermittelt durch die gottesdienstlichen Vorgänge der traditio und receptio, iurisdictio und ordinatio. Die Gnade tritt nicht „rein” in Erscheinung; sie ist immer inkarniert, „instrumental” vermittelt, erst recht, wo der Christ zum Mittler und Christusrepräsentanten gegenüber der Welt wird. So ist das gottesdienstliche Kirchenrecht die Rechtsdimension der beiden Relationen zu Gott und Mitmensch, die in Christus zusammentreffen18. Da diese Relationalität des Kirchenrechts durch die trinitarischen Relationen ermöglicht und in Christus offenbart ist, kann Christus der „materiale Rechtfertigungsgrund des Kirchenrechts” genannt werden. Er ist der Grund, weshalb es eigenständiges Kirchenrecht gibt19. Er ist vor allem das Fundament, auf dem der Mensch vor Gott existieren kann.
17) MuS 127, RdG 375, 893.
18) GRE 9, 159; MuS 127, RdG 37, 48, 80, 94, 239, 337,
375. „Instrumental” besagt aber nicht, daß von der unteilbaren
Person abgesehen wird, daß Gott den Menschen als Werkzeug (Mittel
zum Zweck) und nicht als volle Person „gebrauche”. Juristisch
gesprochen: Gott beachtet das Grundrecht der Menschenwürde. Diese
Einsicht ist dem Juristen Do. selbstverständlich. Sie bewahrt ihn
davor, den Menschen vor Gott bedeutungslos werden zu lassen.
19) RdG 95 f., 164, 207, 210 f.
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Weil das Geschenk des Gnadenrechts im Gottesdienst den Leib Christi auferbaut, begründet es die Existenz des Menschen vor Gott. Diese Existenz ist gemeinschaftliche Existenz der Christusteilhabe am Heiligen Mahl. Die Einzelexistenz tritt damit im Kirchenrecht fast völlig zurück. Damit ist auch im Kirchenrecht eine klare Trennungslinie zu einem individualistischen Existentialismus gezogen.
„Existentielles” Kirchenrecht besagt außerdem seine Konkretheit. Es knüpft ja an die „elementaren” Lebensvorgänge der Kirche an, nämlich an Wort und Sakrament und an den totalen Anspruch der Gnade, die den ganzen Menschen erfaßt. Da die Gnade das Anspruchsrecht enthält, sind beide „existentialen Grundformen" des Rechts im Kirchenrecht beheimatet, wie sich schon bei den kirchenrechtlichen Grundvorgängen zeigte20.
Die Existentialität des Kirchenrechts ist in der Existentialität des Rechts verankert. Denn Recht ist eine Dimension der Humanwirklichkeit. Da Christus in die menschliche Existenz eingegangen ist und im Gottesdienst in traditio und receptio, in iurisdictio und ordinatio repräsentiert wird, ist die Rechtsdimension allem legitimen christlichen Handeln eingestiftet; damit ist das Recht, wie schon gesagt wurde, eine Dimension von Wort und Sakrament oder auch die Rechtsdimension des Gottesdienstes21.
Löst sich das Kirchenrecht von Wort und Sakrament, also vom Gottesdienst, so sinkt es zur bloßen Ordnungstechnik herab, verliert seine Existentialität oder degeneriert zur bloßen Funktion der Kirche. Es geht dann den Menschen „existentiell” nichts mehr an. Solchergestalt hofft man, sich des unbequemen Hausknechts „Kirchenrecht” versichern oder entledigen zu können. Deshalb also lautet der Pauschalvorwurf Dombois’ gegen alle bisherigen Kirchenrechtslehren, sie seien sich wenigstens einig „in der Nichtexistentialität des Rechts”. Das existentielle Recht kann nur wiedergewonnen werden vom gottesdienstlichen Handeln her22. Dort erhält der Mensch seine wahre Rechtspersonalität.
20) RdG 35, 46, 78-81, 126, 465, 628, 771, 778;
oben 713 f. — Unabhängig von Do., aber wie er in
Auseinandersetzung mit R. Sohm, begründet auch K. Mörsdorf das
Kirchenrecht auf Wort und Sakrament (zuletzt HthG I 839 f.).
21) OU 74, 94, 96, oben 720 f. mit 643.
22) RdG 35, 67, 74, 289, FS Smend II 288.
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Die in Wort und Sakrament geschenkte Existenz vor Gott ist die persona coram Deo, von der schon in der theologischen und juristischen Anthropologie die Rede war, wo es hieß: Der natürliche Mensch hat seine Existenz vor Gott, und: Person in striktem Sinn ist die Person vor Gott.
Person im Sinne des Kirchenrechts meint dementsprechend primär die Fähigkeit, von Gott „begabt” und „in Anspruch” genommen zu werden; erst sekundär und abgeleitet hat sie die Fähigkeit, Träger von kirchlichen Rechten und Pflichten zu sein23.
Gleichwohl wird die zwischenmenschliche Relation nicht entwertet; sie bekommt sogar erst ihr volles Gewicht. Denn persona coram Deo gibt es nur „als Gemeinde existierend”, also im Gottesdienst der personalen Rechtsgemeinschaft des Neuen Äon, wo sich die Gnade in einer Fülle neuer und erneuerter personaler Rollen, Mittler- und Vertretungsverhältnisse verleiblicht24. Dadurch wird der gesamtkirchliche Satz des CIC can. 87 persona cum omnibus christianorum iuribus et officiis zum kirchenrechtlichen Äquivalent der anthropologischen Grundtatsache (der Verwiesenheit auf das Du) in den entscheidenden kirchlichen Existenzsituationen: in der Predigt, weil man nicht sich selber verkündigen kann; entsprechend in der Taufe und in der Austeilung des Abendmahls. Überall bedarf der Mensch, auch kirchenrechtlich, des „konstituierenden Gegenübers”25. Christus existiert nach seiner Auferstehung überhaupt nur im personalen Gegenüber: in der geschichtlichen Vermitteltheit von repräsentierender Gabe (traditio)
23) RdG 309 f. und oben 723 mit 4758
494 f., zur Taufe 768 ff.
24) RdG 90, 94 f., 97, 104 ff., 140, 176, 183, 200 f.,
421, 868, u.v.a.; Bote, Herold, Gesandter (Apostel), Zeuge: RdG
111 ff. und unten 744 ff. zur Rechtsstruktur der Predigt.
25) Zu can. 87 oben 4758 69517.
Man sollte die Tragweite dieser Argumentation nicht gering
schätzen. Trifft sie zu, so wäre damit das Grundaxiom des
religiösen Individualismus widerlegt „Jeder steht vor Gott
allein” — und zwar mit den Mitteln des Rechts. Allerdings geht
nun Do. in der antiindividualistischen Richtung sehr weit. Er
betont die Inkorporation des nichtordinierten Einzelchristen in
die Gemeinschaft so sehr, daß dieser fast nicht mehr
kirchenrechtlich handlungsfähig ist (vgl. RdG 524, wenn man vom
Tauf- und kanonischen Wahlrecht absieht). Das ist zweifellos eine
Reaktion auf die gegenwärtige evangelische Situation.
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und Annahme (receptio), von geistlichem Urteil über den Sünder (iurisdictio) und seiner schließlichen Wiederaufnahme in die Gemeinde (ordinatio)26.
Rechtsbegrifflicher Ausdruck der Personalität des Kirchenrechts sind also die kirchenrechtlichen Grundbegriffe, dazu die Repräsentation und das Amt, also die aus dem Vollzug von Wort und Sakrament entstehenden personalen Rollen27.
Ein letztes Mal darf auch der beiden personalistischen Irrlehren gedacht werden, die nach Dombois fortan im Kirchenrecht keine Heimstatt mehr finden: der Trennung von Person und Sache und der von Person und Funktion. Seit Christus sie zusammengefügt hat, indem er im „Neuen Testament” Stifter und Stiftungsgut zugleich wurde, sind Person und Funktion untrennbar; in der personalen traditio von Wort und Sakrament kann nicht mehr zwischen konstitutivem und deklaratorischem Handeln geschieden werden. Stets wird im repräsentierenden tradere auf die stiftende Vergangenheit und die eschatologische Zukunft verwiesen; fortwährend wird in eben diesem tradere das Heilsgut Christus je diesem einmaligen Menschen von Christus selbst durch menschliche Repräsentanten zugewendet, und zwar konstitutiv, weil die Heilsgabe Gottes „wirkendes Wort” ist, das den Menschen erfaßt und dem neuen Gottesvolk „zuordnet”, beginnend in der Taufe, vertieft in der Predigt, vollendet im Abendmahl28.
26) RdG 819 traditio kann nur von
Person zu Person geschehen; 730 A. 25 direkter Rückgriff auf die
Quellen ist unmöglich.
27) Die Unvertauschbarkeit der personalen Rollen
bezieht sich bei Do. nur auf die jeweilige Rolle; z.B. steht in
der alten Kirche bei der Eucharistiefeier der Klerus „gegenüber”
der übrigen Gemeinde, dagegen nicht bei der Bischofswahl (da ist
er ebenso „Laie” wie das übrige Volk). In der Terminologie Do.s:
nur im ersten Fall handelt er als „Priester”, weil Priester das
personale Gegenüber voraussetzt (vgl. GRE 147, RdG 237 ff.). —
Ganz anders das naturrechtlich-„personale Kirchenrecht” von W.
Bertrams z.B. StZ 1958/59.
28) Allgemein: OU 49, RdG 95 f., 192 (5.), 244, 822;
speziell: RdG 419 Predigt und Abendmahl, 445 das Sakramentsrecht
überhaupt; OU 43, 56, 75 und RdG 563 für die Ordination und 580
für die „überholte Streitfrage” nach dem character
indelebilis aus derselben. Zur theologischen Motivation
dieses „sinnlosen Streites” 648 ff. mit Exkurs XIV, RdG 192
(5.).
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Die „Person vor Gott” verwirklicht ihre Existenz in ihrem auftragsgemäßen Handeln, das ist im Gottesdienst. Auch das gottesdienstliche Handeln weist die spezifische „zweiaktige” Struktur eines jeden personalen Handelns auf, die freilich einen neuen Inhalt birgt.
Nach dem Bisherigen kann schon einiges über die Struktur des Kirchenrechtes gesagt werden. Die Struktur des Kirchenrechts ist zunächst die des Gottesdienstes; weil aber Gottesdienst im Kern das Geschehen von Wort und Sakrament ist, gilt darüber hinaus der Satz: Die Grundstruktur des Kirchenrechts ist gleich der Struktur von Wort und Sakrament.
Ohne darauf schon näher einzugehen, wird man vermuten können, daß diese Struktur in sehr enger Beziehung zu den zweimal zwei kirchenrechtlichen Grundbegriffen steht, daß das gottesdienstliche Kirchen-recht darum eine „dualistische” Struktur aufweist29, also im wesentlichen aus zweiaktigen Vorgängen besteht, und daß schließlich die typische supplementäre Verschränkung von Gnaden- und Gerechtigkeitsrecht auftreten wird.
Die Strukturerhellung eröffnet eine neue Möglichkeit, die mit dieser ausschließlichen Entschiedenheit bisher noch von niemandem vertreten wurde: die Möglichkeit nämlich, mit kirchenrechtlichen Mitteln das Tun der Kirche und ihr Denken kritisch zu überprüfen. Darum also der zunächst so schwer verständliche Satz: Kirchenrecht ist auf ihre Legitimität geprüfte Liturgie30! Das Kirchenrecht wird dadurch zum „obersten Rechnungshof der Kirche” mit Kontrollbefugnissen auch über die Theologie, zugleich aber zu ihrem wertvollsten Gehilfen31.
29) OU 74, RdG 931; vgl.
traditio-receptio usf.
30) RdG 13, 51 f., 381. Gottesdienst begründet und
begrenzt das Recht, das Recht formt und prüft den Gottesdienst:
RdG 52 f., sachlich übereinstimmend K. Barth OdG 41, 57.
Wechselwirkung von Kirche und Recht ausgehend vom Gottesdienst:
vgl. RdG 61, 375. — Ferner der noetische Aspekt der
(Rechts-)Struktur: Der Gottesdienst kann ohne
Rechts(struktur)interpretation nicht voll verstanden werden, RdG
65.
31) S.o. Exkurs XV 656. Zu den drei Aufgaben des
Kirchenrechts, nämlich zu fragen, was die Kirche tut, ob zu
Recht, mit welcher rechtlichen Bedeutung, vgl. ➝
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Wenn nämlich das Recht der Kirche, so verstanden, identisch ist mit den von Christus gestifteten Strukturen geistlichen Handelns, dann besteht für den gläubigen Juristen die Rechtspflicht, über die Beachtung dieser Strukturen zu wachen. Freilich bedeutet das nicht deren Unabänderlichkeit (unten e 5).
Die Strukturbetrachtung dient bei Dombois zu einem beträchtlichen Teil dazu, Fehlhaltungen des Gottesdienstes und damit des Kirchenrechtes aufzuzeigen gemäß der von ihm dem Kirchenrecht zugewiesenen Aufgabe, Wächter der Kirche zu sein.
ca) Allgemein
Mehrere irrige Ansätze werden allein dadurch ausgeschieden, daß
dieses Kirchenrecht von den gottesdienstlichen Strukturen
ausgeht. Darum erübrigt es sich, einen für weltliches und
geistliches Recht gleichermaßen geltenden Rechtsbegriff zu
suchen; es genügt, wie schon gesagt, die Rechtsdimension des
Gottesdienstes zu erheben. (Eine andere Frage ist, ob nicht der
so gefundene Rechtsbegriff zugleich eine Bedeutung für das
weltliche Recht besitzt, wie es in der Tat von Dombois vertreten
wird.) Weil es sich um die Rechtsdimension und die
➝ RdG 333; zum rechtlichen Nachvollzug: OU 96 f.; als theologisches Erkenntnismittel: OU 43, 96 f. (denn die Theologie ist „bloß” „Denken über” [?], das Recht aber hat es mit den Realien der Geschichte zu tun). — Diese Auffassung ist nicht ganz so verwunderlich, wenn man an das weltliche Recht denkt. Dort ist es selbstverständlich, daß das Recht eine kritische Funktion hat, die vielleicht am deutlichsten in der Einrichtung eines Bundesverfassungsgerichts sichtbar wird. Die Prüfung der Frage, ob auch dem Kirchenrecht eine ähnliche Funktion zustehen könnte, ist bisher „übertönt” vom unbezweifelten Dogma der Inferiorität alles Rechtlichen in der Kirche — als ob der Geist Christi hier nichts zu suchen, und hier auch die Inkarnation nicht stattgefunden habe! Das pneumatische Element bei Do. sollte hierin nicht übersehen werden: das Kirchenrecht ist streng auf die Gnade beschränkt, RdG 921 (vgl. dazu ebd. 195 [6.] a.E.). Nur die personale Gnade, der Geist also, beurteilt den Geist, RdG 977 u.ö. Sed iudicare est iudicis . . . Im Grunde handelt es sich um Identitätsaussagen. Der Geist Christi handelt, und er urteilt auch darüber, beides aber vermittelt durch Menschen. Weil der Mensch nicht übersprungen wird von der Gnade, auch der urteilende Jurist nicht, hat eben der gläubige Jurist die Urteils-, d.h. Prüfungsfunktion in der Kirche. — Der Jurist wird fragen, ob seine Tätigkeit mit dem Urteilen hier erschöpfend umschrieben ist. Übrigens bestehen auch in der katholischen Theologie (zwar sehr verständliche) Tendenzen, den Kanonisten sogar zum Gerichtsvollzieher zu degradieren (vgl. K. Rahner HPast I 340 f. mit einem bemerkenswerten Rechtsbegriff . . .).
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Rechtsstrukturen des Gottesdienstes selbst handelt, ergibt sich hieraus außerdem, daß das Kirchenrecht nicht nachträglich als „Ordnung” an Wort und Sakrament herangetragen zu werden braucht32.
cb) Desintegration
Besonders entschieden wendet sich Dombois gegen jede
Desintegration der Strukturelemente des Gottesdienstes. Dabei ist
daran zu erinnern, daß eine Struktur bei Dombois immer aus
verschiedenen Elementen zusammengesetzt ist und zwar in einer
unumkehrbaren Reihenfolge. Mit Karl Barth lehnt er vor allem die
„unsinnige Zertrennung” von Predigt- und Abendmahlsgottesdienst
ab. Unter Berufung auf „die am besten begründeten
(neutestamentlichen) Hypothesen” fordert er die „Einheit des
Gottesdienstes”, d.h. die Verbindung von Wort-und
Sakramentsgottesdienst in einer Feier. Weiter sind zu beklagen
der Verlust der Gemeinschaftsdimension im Gottesdienst, die
Zerstörung der Korrelation von Amt und Gemeinde, die dadurch
ermöglichte Zusammenfassung mehrerer Rollen in einer Person (des
Priesters!), die schließlich die Gemeinden entmündigt — mit
tiefen Auswirkungen bis in die Frömmigkeitshaltung der
Konfessionen und das daraus folgende Verhältnis zum Staat: „Wie
der Stand vor Gott, so der Stand vor den Menschen” — von der
Anmaßung bis zur Unterwürfigkeit . . .33
32) OU 6, 52, Berichtskizze 251, RdG 51, 53
(2.), 62, 280, 375, 792, 1007.
33) OU 91, RdG 44 f., 363, 376 f., 394, 428 A. 26,996,
1038; Gemeinschaftscharakter des Kultes: OU 33, 61, Kathol. 163
ff., CrE 57 f., RdG 376 ff., 381, 427 ff. m. A. 26, 443 u. ö. mit
Hinweis auf Y. Congar und J.A. Jungmann: sie ist seit dem 12. Jh.
verlorengegangen (RdG 430 A. 46; siehe auch unten A. 36; vgl. den
wichtigen Hinweis auf die Trennung von Messe und Abendmahl bei
Rufinus, RdG 441), nicht aber in den Ostkirchen (OU 106, RdG
694); „Vollgottesdienst”: unter Berufung auf P. Brunner,
K. Barth (KD I/2 853; dazu CrE 17), J.J. v. Allmen, H. Vogel, R.
Stählin u.a. wird der Vollgottesdienst gefordert und aus den
konvergierenden, einander ergänzenden und aufeinander
verweisenden Rechtsstrukturen von Predigt und Abendmahl begründet
(GRE 169, 174, Quat. 1956/57 30 f., OU 42 ff., RdG 354 A. 5, 363,
404-410, 421, 439); vgl. H. Vogel: „Das Wort ist die Wahrheit des
Sakraments, das Sakrament ist die Wirklichkeit des Wortes” (RdG
409). Von entgegengesetzten Ausgangspunkten nähern sich
Evangelische und Katholiken diesem Ziel (RdG 405). Mit O.
Cullmann und E. Käsemann (?) ist das Sakrament Grund und Ziel der
Predigt (RdG 405 f., 434). Zwar ist die Verbindung von Predigt
und Sakrament in einer Feier von der Stiftung her nicht zwingend
gefordert, aber wegen der daraus folgenden
kirchenverfassungsrechtlichen Konsequenzen (also wegen des
Ergebnisses!) notwendig, RdG 280, 363. Wichtig sind noch die
schönen Ausführungen über die rechtliche Konstituierung der
Gemeindefeier in den einleitenden Grußformeln (RdG 364 ff.,
zustimmend Ernst Wolf ZevKR 1963/64 89).
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Die Geschichtlichkeit des Kirchenrechts bezeichnet bei Dombois drei zu unterscheidende Sachverhalte: das Verständnis des Kirchenrechts als eines geschichtlichen Vorgangs, die Wandelbarkeit des Kirchenrechts und das Kirchenrecht als heilsgeschichtliches Recht.
Das Kirchenrecht trägt den Charakter eines gottesdienstlichen „Vorgangs”, weil sich Gott der Strukturen des personalen Handelns in der Geschichte durch Christus bedient. Die notwendige Struktur dieses Handelns ist Aussonderung und Zuordnung, wie sich an der Taufe, aber ebenso an der Predigt und anderen geistlichen Zentralvorgängen leicht ersehen läßt. Darum kann Dombois definieren: „Das Kirchenrecht . . . ist der Inbegriff der Rechtsvorgänge, in denen sich Gott der Menschen bedient, um sein existenzbegründendes Gnadenrecht inmitten der Welt wirksam werden zu lassen.” Davon zu unterscheiden ist die Kirchenrechtslehre; sie ist der Versuch, diesen Vollzug angemessen in rechtlichen Kategorien zu denken und darzustellen34.
aa) Progressive Geschichtlichkeit
Wenn das Kirchenrecht selbst Vorgang „ist”, dann wohnt ihm eine
„progressive Geschichtlichkeit” inne. Es ist ein stetes
Vorwärtsschreiten. Es hat sein Her-kommen (Vergangenheit) und
seine Zu-kunft, wie das weltliche Recht; aber anders als dieses
kommt es von einem Grund her, von dem ihm zugleich auch alles
zukommt: vom erhöhten Herrn. Der Vorgang der Weitergabe
Christi und seines Geistes in der Geschichte macht das
Kirchenrecht aus.
Darüber hinaus kommt die Geschichtlichkeit des Kirchenrechts zum Ausdruck im usus-Problem, das hier nicht weiter beschäftigen soll, vor allem aber in dem unausweichlichen Zwang zu Bekenntnis- und Lehrentscheidungen, mit denen die Kirche auf das Neue in der Geschichte von ihrer Tradition her eine Antwort zu finden hat35.
34) Berichtskizze 253, RdG 31 ff., 51 f., 80,
281, 866.
35) OU 27, RdG 214 ff., 819 f.; zur Lehrentscheidung
usw. s.u. 756 ff.; zum dreifachen usus
des Kirchenrechts RdG 995 ff., nicht als die Frage des
triplex usus legis (so noch vor RdG, vgl. MuR 115, MuS
43, Strafe 171 u.a.), sondern als Antwort auf die von H.H. Schrey
und Ernst Wolf aufgeworfenen Fragen (RuI 68 f., ➝
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ab) Fehlhaltungen
Auch bei diesem Thema wendet sich Dombois gegen falsche
Interpretationen: Seit dem 12. Jahrhundert hat man im Abendland
weithin den kirchenrechtlichen „Vorgang” mißverstanden; überall,
wo die Struktur doppelaktiger gestreckter Rechtsakte auftauchte,
wurde sie umgedeutet zu Einzelakten normativen
Rechtstyps, entsprechend der Vereinzelung und Verengung der
relationalen Person zum autonomen Subjekt. Entsprechend
verkümmerte der Gottesdienst zum einzigen Akt der Wandlung bzw.
der Predigt — und damit auch seine Rechtsdimension, das
Kirchenrecht. Die evangelischen Kirchen wurden unfähig, in der
Geschichte bekennend präsent zu sein. Dombois’ Verständnis des
Kirchenrechts als eines gottesdienstlichen Vorgangs möchte diesen
Zustand „nach vorwärts” beenden36.
Weitere Fehlhaltungen des Gottesdienst- und damit des
Kirchenrechtsverständnisses resultieren aus einem
unbiblischen Zeitverständnis. Denn jeder
gottesdienstliche Vorgang muß sein Herkommen und Zukommen haben
mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, also in proleptischer
Eschatologie.
Wird die Vergangenheit ausschließlich betont, so trennen sich
Gottesdienst und Kult; letzterer verschwindet oder wird
gleichgültig; das Interesse am Kirchenrecht beschränkt sich auf
Verfassungsfragen, die aber wegen der fehlenden integrierenden
Gottesdienstlehre unlösbar werden. Es genügt also nicht, auf die
Schrift- und Stiftungsgemäßheit
➝ übersehen von W. Dantine ZEE 1963 391). Do.s Antwort
verweist auf die drei Zeiten (RdG 79) als drei Aspekte des
eschatologischen Rechts: es ist Verwirklichung des Gehorsams
gegenüber dem Auftrag, dem „unveränderlichen Grundbestand”
(lex fidei), es ist Verwirklichung je in freier
geschichtlicher Gestaltung (lex caritatis) und in
eschatologischer Vorläufigkeit und Ausrichtung (RdG 999, 1006). —
Zur geschichtlichen Weitergabe als Missionsrecht: OU 53 f., 58,
74, 98, Berichtskizze 253, RdG 820 ff. (Filiation,
„Vororte”).
36) Der „zweite Akt” des Vorgangs wird jeweils
entwertet: sei es zum bloßen opus operantis als
nachfolgendem ethischen Akt (katholische Entwicklung), sei es zum
nur noch „bekräftigenden”, an sich überflüssigen
konfirmatorischen Akt oder zum „bloßen” hinweisenden „Zeichen”
(lutherisches und reformiertes Verständnis). Oder er wird als
zweiter selbständiger Rechtsakt abgetrennt und nachträglich zum
ersten addiert, OU 43 (2.), 107, RdG 454 f., 575, oben 539 und
unten 763 f. Die Geschichte der Liturgie nicht erst seit der
Reformation, sondern seit dem 11./12. Jh., ist die ihres
Zerfalls, sagt Do. in Erweiterung der bekannten These P. Graffs
(vgl. GRE 170, Kathol. 163). Die neue Wendung zur Liturgie bejaht
er als gesunde Reaktion auf den modernen Subjektivismus GRE
168.
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des Kirchenrechts zu pochen. Wer nur die Zukunft des Heils erwartet, entwertet die gegenwärtige communio sanctorum und zerstört die Vermitteltheit des Heils durch Menschen37. Wird nur die objektive Gegenwart des Heils im opus operatum des Sakraments gesehen, dann konzentriert sich alles im Priester als dem Träger dieses Geschehens, die Predigt tritt zurück und das lebendige Gefüge der Rollen der Gemeinschaft geht verloren. Ein falsches Zeitverständnis zerstört also die „tri-nitarische” Einheit des Gottesdienstes38. Nur die volle Realisierung der geschichtlichen Strukturen des Gottesdienstes gewährleistet die Fülle des christlichen Lebens.
Die Geschichtlichkeit des Kirchenrechts meint zweitens seine Wandelbarkeit. Das ist sachlich das gleiche wie die Frage nach den Grenzen der Strukturen des Gottesdienstes. Dombois beantwortet sie mit der existentialen Interpretation des Kirchenrechts. Was strukturell vorgegeben ist, muß realisiert werden; was nicht, darf sich legitimerweise verändern39. Stets muß, soviel ist sicher, der Rückbezug auf die Stiftung im Gottesdienst deutlich werden.
Im übrigen gibt Dombois eine, wie es scheint, bisher noch vorläufige Antwort. Dabei stützt er sich, seiner Methode entsprechend, auf die (Liturgie-)Geschichte; denn dort müssen die gottesdienstlichen und Rechtsstrukturen erscheinen. Solche unaufgebbaren Gestaltungselemente des Gottesdienstes sind neben der (beschränkten) Öffentlichkeit des Kultes alle die oben als verloren beklagten Strukturelemente40. Das Übrige ist frei, d. h. verantwortlicher Gestaltung zugänglich.
37) OU 32, RdG 214 f., 238 f., 928. Gemeint ist
die Verabsolutierung des ἐφάπαξ, des ein für allemal geschehenen
Erlösungswerkes Christi — die „lutherische” Versuchung; ihr
entspricht die „reformierte”, alles von der Prädestination her zu
sehen (RdG 215), oder die „barthianische” eines einseitigen
Christomonismus (?), der für den Menschen nichts mehr übrigläßt
und zutiefst ungeschichtlich denkt (OU 94, RdG 212 f.). Zur
communio der Heiligen am Heiligen s.o. Exkurs XIII
604.
38) GRE 170 ff., RdG 213 ff. mit Hinweis auf die
Gefahren des Pelagianismus und des Synergismus, 394.
39) Berichtskizze 251 f., RdG 375, 790 mit Hinweis auf
M. Schmaus' „Kernsymbol”, KuD 1963 215; s.o. Exkurs XVIII
670.
40) RdG 363 und oben 727 f. „Rückbezug auf die
Stiftung”: Zwar ist das alte Kirchenrecht auch eine
kontingente historisch-zufällige Form (OU 57), zugleich aber
enthält es die — verbindlichen — Grundprobleme, Grundverhältnisse
und Grundmaße (ebd. 91), die „geistigen Möglichkeiten” und
„inneren Wesensgesetzlichkeiten” (RdG ➝
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Die Geschichtlichkeit des Rechts meint drittens und endlich seine eschatologische Erfüllung. Doch steht diese Einsicht nicht am Anfang.
ca) Entstehung
Die Ausführungen Dombois’ zum heilsgeschichtlichen Recht müssen
im Zusammenhang mit der Diskussion um eine
„trinitarische” oder „heilsgeschichtliche”
Rechtsbegründung gesehen werden, auf deren vielfältige und für
einen Außenstehenden kaum durchschaubare Verflechtungen und
konfessionelle Motivationen hier nicht eingegangen werden kann;
das haben Kundigere getan41. Sie setzt die Diskussion
um die Schöpfungs- und Erhaltungsordnungen fort („erster
Glaubensartikel”), denen Jaques Ellul eine radikal
christokratische Alternative gegenüberstellte („zweiter
Glaubensartikel”), der man sehr bald Christomonismus oder
Schlimmeres vorwarf. Die — vorwiegend lutherische — erste
Position versuchte daraufhin, die (noetische) Bedeutung Christi
für das Recht klarer zu zeigen, und nannte sich deshalb die
„trinitarische” Rechtsbegründung; die zweite Position, vertreten
durch Ernst Wolf, H. Simon u.a., wies nach, daß sie das Anliegen
des Schöpfungsrechts nie geleugnet habe, daß aber Christus nicht
nur der Erkenntnisgrund des Schöpfungsrechts, sondern auch sein
„innerer Grund” sei, was gleichzeitig eine Abkehr von Ellul
zugunsten der gemäßigten Ausgangsposition Karl Barths enthielt.
Dies ist etwa der — sehr vereinfachte — Stand nach dem Göttinger
Rechtsgespräch und den beiden Konferenzen von
Treysa42.
➝ 283), die in jedem legitimen Kirchenrecht realisiert
sein müssen; jedes Kirchenrecht muß mit seinem historischen
Ursprung strukturell übereinstimmen, während die historischen
Gestaltungen verschieden sind. Für das Kirchenrecht ist besonders
bedeutsam, daß heute wieder die begrifflichen Möglichkeiten
bestehen, die altkirchlichen Strukturen adäquat in der Gegenwart
zu realisieren (Berichtskizze 251 f.). Dazu oben 666 ff.! Das
entspricht der Stellung des guten alten, des charismatischen
Rechts (RdG 822), des sakralen Rechts (NRE 12), das als „Frucht
urtümlicher Erkenntnisse, traditionaler Weisheit” (SS 47, RdG 886
[b]) die Denkstrukturen des Rechts überhaupt zeigt (RdG 891).
41) Dazu bes. Ernst Wolf Kirche und Recht 13 f., RuI
9-29, H. Simon 1952, FS Barth, FS Ernst Wolf; von katholischer
Seite J.Fuchs 1955 70 ff., 1963, B. Schüller 1963, P.L. Zampetti
1962 und den erstaunlichen Satz K. Demmers 230 zu Augustin: „Die
christologische Rechtsbegründung ist der trinitarischen
existentiell (!) vorgeordnet.”
42) Dazu NRE 63 (zu J. Ellul).
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cb) Heilsgeschichtlich-trinitarisches Recht
Auf der lutherischen Linie setzt nun Dombois ein mit seiner
„heilsgeschichtlich-trinitarischen” Sicht. An der trinitarischen
Begründung kritisiert er jedoch, daß sie gar nicht trinitarisch
sei, da sie den Heiligen Geist nicht berücksichtige. Der Mensch
steht auf dem Weg zwischen Schöpfung und Gericht; er hat also
einen dreifachen Rechtsstatus: aus der Vaterschaft Gottes in der
Schöpfung (erster Artikel), aus der eschatologischen Bestimmung
des Menschen im Geiste (dritter Artikel), beide verbunden zur
Spannungseinheit des „Rechts der neuen Schöpfung” in Christus
(zweiter Artikel) — bzw. die „trinitarische Einheit . . . in dem
Miteinander von Gesetz, Gericht und Gnade”. Damit ist ein
dreifacher Ansatz für die Rechtstheorie
gefunden43.
Diese Rechtstheorie ist nicht ein christologisch verstandenes
Naturrecht, sondern zunächst die Institutionentheorie. Die
Institutionen begleiten den Menschen durch die Heilsgeschichte.
Christus nimmt in ihnen die zentrale Stellung ein: In ihm ist das
Recht wiederhergestellt, im Glauben an ihn erkennbar. Die
pneumatische Dimension des Rechts (dritter Artikel) zeigt sich
zunächst in der Berücksichtigung der Gerichtetheit des Rechts
(vom Letzten Gericht her), dann aber und immer stärker in der
Zuschreibung (Appropriation) der (Kirchen-)Rechtsbildung an den
Geist Christi44.
cc) Eschatologisches Kirchenrecht
Das Kirchenrecht ist Dombois’ eigentliches heilsgeschichtliches
Recht. Es ist ein Kirchenrecht proleptischer
Eschatologie, das alle drei Glaubensartikel verbindet und
auch — das ist sein Neues — von der neutestamentlichen
Eschatologie her die Anliegen der christokratischen Rechtslehre
berücksichtigt.
43) NRE 34-40, 42, GRE 72, 77-82, 86, MuR 103,
RdG 208. — Anders Selbstaussage-Gesetz-Verheißung: MuR 104, 115
(dieser Ternar begegnete schon o. 696 im Missionsbefehl!). — Zum
Erbsündenrecht: Zuerst teilt es die „Zwischenexistenz”
und ist „immer ein Stück Selbstbehauptung” (NRE 30-32); dann aber
tritt dieser Aspekt wegen der durch die Sünde nicht zerstörbaren
Grundrelationen, -strukturen zurück, auf denen das Recht aufbaut
(dazu oben 474 f. 490 f. und RdG 880).
44) NRE 13, 32, GRE 40, 52, NR 200 (Überschrift), 202;
RdG 1007 das „Pneuma schafft Recht” (entspr. NRE 13, GRE 143 das
[theologische und religionsphänomenologische] Charisma stiftet
Recht). — Christus stellt das Recht wieder her: ontologische
und noetische Bedeutung Christi!
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Gott ergreift in Christus den Menschen mitsamt seinen Bezügen und Institutionen, sondert ihn aus und fügt ihn ein in den neuen eschatologischen Status, der gekennzeichnet ist durch die Spannung zwischen Kind und Erbe; damit werden auch die Grundbezüge und die Institutionen hineinverwandelt in den Neuen Äon durch den großen Integrations- und Institutionsprozeß des Gottesdienstes, in der Feier also von Wort und Sakrament, in der Christus gegenwärtig („repräsentiert”) wird.
Das gottesdienstliche Recht mit seinen beiden Grundvorgängen der Tradition und der Einordnung ist also das wahre heilsgeschichtliche Recht: Im Gottesdienst und seinen drei Zeiten ist das Recht Schöpfungsrecht, weil die Grundbezüge in ihm enthalten sind; zugleich ist es pneumatisches Recht, weil der Geist Christi es bildet und wirkt, in Gnadengaben ausformt und dem Gericht und der Vollendung zuführt. „Überall begegnet der Geist dem Geist.” Schließlich ist es christologisches Recht, weil Christus allein Subjekt und Objekt des Gottesdienstes und seiner Rechtsdimension ist; es darf sogar gesagt werden, daß sowohl die Vergangenheit der Schöpfung wie die Zukünftigkeit der Heilsvollendung proleptische Gabe Christi sind, die im Gottesdienst existentiell erfahren wird. In Christus sind alle drei Zeiten des Rechts in der Spannung von Schon-jetzt und Noch-nicht zusammengefaßt45.
Von der Institutionalität des Kirchenrechts ist nur noch kurz zu berichten, nicht weil sie nicht wichtig wäre, sondern weil das Kirchenrecht Dombois’ als Ganzes eine institutionelle Kirchenrechtstheorie ist. Überall trifft man auf institutionelle Vorgänge; nicht nur die Kirche
45) GRE 143, RdG 79, 104, 166, 169, 208 ff., 324, 998 f., 1005 f.; Kirchenrecht keine „Interimsordnung” aus Parusieverzögerung: RdG 67, oben 48030; oben 70116: Gott bzw. Christus bzw. das Pneuma ist Subjekt und Objekt des Kirchenrechts. Das gottesdienstliche Gnaden-Recht ist das wahre „trinitarische” Recht: RdG 94 f., 191, 684, 1015 („einzigartige, geschichtlich unvergleichliche Frucht des trinitarischen Glaubens”); K. Barth hat — ungeachtet aller Verdienste — zumindest das Kirchenrecht nicht genügend in die Trinitätslehre (Relationen!) eingeordnet: OU 90, RdG 45, 48. — Das Pneuma darum als unverfügbarer „Garant” der Kirche: oben 589; darum der folgenschwere Satz: „Der Geist ist nicht vertretbar” (OU 78) mit der Folge, daß jeder seine Gabe ausüben muß, sonst stagniert die Kirche, mit der weiteren Folge, daß die Rezeption von Dogmen usw. durch die Gesamtkirche nicht durch den Papst ersetzt werden kann.
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selbst als Inbegriff aller geistlichen Institutionen, sondern ebenso die sie auf erbauenden Vorgänge sind institutionell. Auch traditio, receptio und ordinatio sind nichts anderes als die institutionellen Teilakte der Gabe, Annahme und Zuordnung in den großen integrierenden oder institutionellen Prozeß der Heilsgeschichte. Der Gottesdienst ist selbst ein institutioneller Vorgang, der ausweislich des Neuen Testamentes die Gemeinde auf erbaut (in den Leib Christi instituiert).
Das institutionelle Verständnis des Kirchenrechts richtet also keine Herrschaft des „Gesetzes” über das Evangelium auf, sondern ist die Rechtsstruktur des Evangeliums selbst. Es ist zugleich das Kriterium für die Unterscheidung zwischen Wesentlich und Unwesentlich in der Kirche und ihrem Recht, zwischen dem gottesdienstlichen Recht i.e.S. und dem, was erst in zweiter Linie zum Kirchenrecht gehört46.
Freilich darf nicht alles auf das institutionelle Element des Rechts eingeebnet werden; auch die anspruchsrechtliche Seite muß zur Geltung kommen. Das ist besonders wichtig für den nun folgenden „Besonderen Teil” des gottesdienstlichen Rechtes: das Recht von Wort und Sakrament, das bekennende und liturgische Recht.
Schon K. Barth hatte das Kirchenrecht als „liturgisches und bekennendes Recht” qualifiziert. Dombois bejaht zunächst diese Charakterisierung
46) OU 27, 50 f., 67, RdG 140, 169, 178, 212, 407, 628, 897, 920-925, 1006, church 118 in Entsprechung zur transpersonalen Institution, z.B. für das Verwaltungsrecht (oben 68113 71359). — Do. ist also im Kirchenrecht systematisch weiter als in der allgemeinen Rechtstheorie, wo das „transpersonale” Recht noch fehlt (679 ff.). Do. sieht hier eine mehrfache Stufung je nach der Nähe zur Lebensmitte der Kirche (RdG 979, 1006), nämlich (ad salutem) necessaria, libera, und was für den äußeren Rechtsverkehr in und mit dem Staat notwendig ist (1006-1009), wobei das diakonische Handeln im Vordergrund steht (1007 f.) und alles in strenger Unterordnung unter das gottesdienstliche Recht zu geschehen hat. — Ernst Wolf, ZevKR 1963/64 82, stimmt also insoweit mit Do. überein, wenn er (kritisch) bemerkt, daß Strukturen und Rollen prinzipiell noch nicht das ganze Kirchenrecht ausmachen. — Hierher gehört auch die Frage nach der institutionellen Freiheit: RdG 299 f., 314, 827, 841, 902 (Dialektik von Tradition und Neuansatz, Kontinuität und Diskontinuität: das Gnaden-Kirchenrecht kennt keinen Zwang, wohl aber die Sanktion, RdG 881 (eine fruchtbare Unterscheidung).
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als sachgemäß. Sie gibt auch die unabhängig von Barth entstandene Konzeption der Berneuchener und dann der Michaelsbruderschaft genau wieder1. Ist damit aber auch das gleiche ausgesagt?
Die Formel drückt fürs erste nur aus, daß das Kirchenrecht gottesdienstliches Recht ist, oder, wie dessen Analyse ergab, daß es Wort-und Sakramentsrecht ist. Bekennendes und liturgisches Recht sind zusammen gleich der Rechtsstruktur von Wort und Sakrament. Formal gesehen sagt freilich Barth nichts anderes. Gleichwohl besteht Dombois darauf, daß es bei Barth in Wirklichkeit gar kein liturgisches und bekennendes Recht gibt: Sein Kirchenrecht sei nur eine Interpretation des Versammeltseins. Dazu „braucht man gar keine Liturgie”. „Keiner der Sätze Barths ist von der Liturgie konkret bedingt.”
Der Unterschied besteht also im Rechts- und im Liturgiebegriff, genauer gesagt in der vorausliegenden Anthropologie. Das Denken in personalen Relationen und Strukturen, in geschichtlichen „Vorgängen” ist Barth in der Tat fremd 2.
Nun wurde — vielleicht etwas vorschnell — bekennendes und liturgisches Recht mit dem Wort- und Sakramentsrecht gleichgesetzt. Meint Dombois also, daß das liturgische das Sakramentsrecht, das bekennende das Wortrecht ist? Diese Frage läßt sich nicht mit einem Satz beantworten. Vielmehr steht man unvermittelt vor einer äußerst diffizilen Begriffs-Problematik (unten a), die nicht ohne Vorgriffe auf das Wort- (b) und Sakramentsrecht (c) geklärt werden kann.
Ehe das Verhältnis von bekennendem und liturgischem Kirchenrecht sowie von Wort- und Sakramentsrecht bestimmt werden kann (unten a 2), muß erst die Kritik Dombois’ an der lutherischen Formel „Wort und Sakrament” gehört werden.
1) OU 5 (1.), Kathol. 299, Berichtskizze 252,
FS Karrer 398, RdG 10, 39 f., 280, 866, 893, K. Barth OdG 15 ff.,
35 ff.; zum Rechtsbegriff im besonderen: RdG 52 f. Vgl. auch
Ernst Wolf: „Im Quellpunkt ist (das Kirchenrecht) ,Sakraments-
und Bekenntnisrecht’”, II 205, und K. Mörsdorf oben
72320.
2) RdG 48 f. Zitat verschärft gegenüber OU 86 ff.; FS
Karrer 398, RdG 53; z. B. OU 94, RdG 866 „strukturloser”
Gottesdienst bei Barth.
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Die lutherische Formel „Wort und Sakrament” ist nach Dombois in mehrfacher Hinsicht ungenau. Sie birgt einen logischen Widerspruch, weil sie einen Oberbegriff („Wort”) mit einem Unterbegriff („Sakrament”) gleichstellt; sie läßt das Verhältnis beider ungeklärt. Schließlich ist diese Begrifflichkeit nicht angemessen: Es gibt nicht „das” Sakrament als Allgemeinbegriff, sondern nur untereinander höchst unterschiedliche sakramentale „Vorgänge”3. Wenn also im folgenden diese Formel dennoch verwendet wird, so ist stets diese Kritik vorausgesetzt.
Besonders interessiert sich Dombois für das innere Verhältnis von „Wort und Sakrament”, weil sie ja zusammen den Gottesdienst ausmachen. Dabei geht er von der Tillich’schen Logoslehre aus. Auch das Sakrament ist eine Verleiblichung des „Wortes” (Logos). Der Logos inkarniert sich im „verbalen” Wort4 (das ist jetzt die Wortverkündigung, besonders die Predigt) und im Sakrament, jedoch auf verschiedene Weise. „Nur ein humanistischer Wörtlichkeitsglaube kann meinen, daß das (vernehmbare) Wort uns irgendwie näher stände.” Eines ist so wunderbar wie das andere5. Das Wort ist sacramentum audibile (Augustin), das Sakrament ist verbum sacramentale (E. Käsemann). Auch das Sakrament bedarf ja mit-konstitutiv des deutenden Wortes. (Freilich ist, entgegen G. van der Leeuw, das Wort nicht „Sakrament” im
3) CrE 17, RdG 86, 410, 412; besser sage es
also CA VII: in qua docetur . . . (Vorgang) et
administrantur sacramenta (Plural), RdG 410 ff.
4) Ich schlage „verbales Wort” vor. „Menschliches”
(oder „gesprochenes”, P. Tillich, vgl. nächste A.) Wort wäre
irreführend, weil damit die Inkarnation, das chalcedonensische
Ineinander von göttlichem und menschlichem Wort im Wort der
Kirche nicht angedeutet wird.
5) RdG 411, 415, 435 A. 76, 852 (2.), 925; zu P.
Tillich (I 147 f.): RdG 411; auch K.B. Ritter Kathol. 82; zum bei
Do. nur analogen Sakramentscharakter des Wortes RdG 415, 418; Do.
nennt auch „zahlreiche katholische Stimmen”, voran den Exegeten
K.H. Schelkle und den Dogmatiker O. Semmelroth (RdG 405,431 A.
60); ferner könnte man anführen etwa H. Volk Concilium 1964 und
1965 66; zuerst aber und am entschiedensten G. Söhngen
11937 und M. Schmaus Catholica 1937, KD III/1 § 176 b,
IV/1 § 225 „Das Wort der Verkündigung ist wirksames Heilswort,
hat also Sakramentscharakter, und das Sakrament . . . hat . . .
Wortcharakter”. Zur Entwicklung des katholischen Verständnisses
von der intellektuellen Lehre zum wirksamen Gnadenmittel W.
Birnbaum 1966 135-143.
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strengen Sinn6!) Das Ineinander von göttlichem und verbalem Wort bestimmt das Verhältnis von Predigt und Sakrament ebenso wie das von Wort und Kirche.
Zustimmend wird der weiterführende Satz R. Bultmanns zitiert, daß das Wort die Kirche konstituiere und die Kirche das Wort, denn es sei autorisierte Tradition und im Auftrag weitergegebene Anrede. Wo allerdings das göttliche auf das verbale Wort eingeschränkt wird, und die Schrift sich ungeschichtlich selbst erklärt und bezeugt, das schriftliche zudem gegenüber dem gesprochenen Wort überschätzt wird7, dort verdrängen Predigt bzw. Schrifttext das Sakrament; der personale Zusammenhang wird nicht mehr gesehen: „In allem Handeln ist der Handelnde immer mit darin.” Nur handelt Christus auf verschiedene Weise: Die Verkündigung proklamiert die Sonderung vom Bösen und fordert die Annahme im Glauben; die Sakramente wenden die neue Heilsgemeinschaft konkret dem Menschen zu und ordnen ihn in sie ein. Beide sind auf ihre Weise aber Gnadenmittel, Medien des göttlichen Handelns am Menschen. Gott bekennt sich nicht nur zur verbalen Verkündigung der Kirche, sondern auch zu ihrem Handeln8.
Der Sprachgebrauch Dombois’ ist uneinheitlich. Einmal ist liturgisches Recht gleich gottesdienstlichem Recht, ein andermal nicht9; einmal umfaßt das liturgische das bekennende Recht, ein andermal wird es ihm entgegengesetzt10; fragt man schließlich, um Klarheit zu gewinnen, was unter gottesdienstlichem Recht zu verstehen sei, so findet man gar drei Antworten11. Vollendet wird die Verwirrung, wenn das gottesdienstliche Recht einerseits, das bekennende und das liturgische Recht andererseits mit dem Wort- und Sakramentsrecht kombiniert wird.
6) RdG 434 f. (Augustin — E. Käsemann), 461,
465 (gegen G. van der Leeuw). Ernst Wolf ZevKR 1963/64 83 f.
vermißt die „konstitutive Bedeutung des Wortes für das
Sakrament”, also den Primat des „Wortes” vor und in dem Sakrament
(eine gemeinevangelische Überzeugung, W.H. van de Pol 284
ff.).
7) RdG 121 (mit R. Bultmann I 191), 693 (gegen die
perspicuitas der Schrift, sofern der Mensch überflüssig
wird), 710, 810 f. (mit P. Tillich ebd.).
8) RdG 38, 244, 337, 461; dahinter steht wohl die
Komplementarität von Wort und Sakrament.
9) Vgl. RdG 761 für beides.
10) Vgl. Kathol. 299, RdG 52, 761 und die
Überschriften von RdG Teil II.
11) S.o. 718 ff. Es wird hier unterstellt, daß die
Formel „liturgisches und bekennendes Recht” das engere
Kirchenrecht vollständig erfaßt (wenn man vom sekundären
„transpersonalen”, d.h. außergottesdienstlichen Kirchenrecht
absieht).
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Man muß deshalb die Gründe suchen, die zu solcher Mehrdeutigkeit verführten. Sie liegen nicht im Rechtsbegriff. Vielmehr verbinden sich unter den verschiedenen Bezeichnungen des gottesdienstlichen Rechtes mehrere Gedankenreihen, die ihrerseits auf drei Begriffspaare heterogener Herkunft zurückgehen. Es sind dies (erstens) die barthianische Unterscheidung von liturgischem und bekennendem Recht, (zweitens) die reformatorische Formel Wort und Sakrament, (drittens) der Dombois’sche Fund zweier Rechtstypen12, des Gnaden- und des Gerechtigkeitsrechtes. Dombois sieht sich hier vor der gleichen Schwierigkeit wie die scholastischen Autoren, die einander widersprechende auctoritates zu einer concordantia discordantium canonum zu verbinden suchten. Nur gibt er dem Leser den Ariadnefaden nicht in die Hand. Dabei ist das Schema, das den verschiedenen Bedeutungen zugrundeliegt, nur eine Kombination aus diesen drei Gedankenpaaren.
Allgemein ist festzustellen, daß bei Dombois das liturgische Recht dem institutionellen Gnaden-, das bekennende dem Jurisdiktionellen Anspruchsrechtstypus zugeordnet ist. Wie der Rechtsbegriff der Gnade das Anspruchsrecht umfaßt, so das liturgische das bekennende Recht; wie man die beiden genannten Rechtstypen einander gegenläufig gegenüberstellen kann, so auch liturgisches und bekennendes Recht. Wie das göttliche Wort sich in Sakrament und Wort inkarniert, beides aber Gabe an den Menschen ist, die ihn in Anspruch nimmt, so auch das Kirchenrecht in Liturgie (i.e.S.!) und Bekenntnis, in liturgischem und bekennendem Recht. Hieraus folgen zwei Trichotomien, die sodann zu kombinieren sind.
1. Im weitesten Sinn ist bekennendes Recht der Bereich des verbalen Wortes, sofern es in Anspruch nimmt. Das beanspruchende Wort begegnet in der Wortverkündigung und als verbaler Teil des sakramentalen Vorgangs. Es umfaßt also den anspruchsrechtlichen Aspekt des Gottesdienstes i.e.S.13.
12) Da dem Anspruchsrecht die Grundbegriffe
iurisdictio/receptio, dem Gabenrecht aber
ordinatio/traditio zugeordnet sind, ist auch diese
vierte Gedankenreihe einbezogen.
13) Diese Bedeutung liegt RdG 681 ff.
zugrunde.
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2. Im engeren Sinn ist bekennendes Recht das Recht der
Wortverkündigung allein, aber wiederum von der Anspruchsseite
her. Es enthält demnach den anspruchsrechtlichen Aspekt von
Predigt und Bekenntnis14.
3. Im engsten Sinn ist bekennendes Recht das Recht des
Bekenntnisses allein (einschließlich Dogma und Lehre, aber ohne
Predigt: d.h. das eine geschichtlich „bekennende Kirche”
ermöglichende Recht), weil in ihm der Anspruchscharakter des
Wortes am deutlichsten zutage tritt15.
Entsprechend verhält es sich mit dem liturgischen Recht, wobei
man sich noch einmal das Verhältnis von Gnaden- und
Gerechtigkeitsrecht vergegenwärtigen muß: Sie sind im
„Rechtsbegriff der Gnade” supplementär verbunden.
1. In einem uneigentlichen (weiteren) Gebrauch entspricht das
liturgische Recht dem Rechtsbegriff der Gnade als supplementärer
Einheit von Gabe und Forderung. Es umfaßt das gottesdienstliche
Recht (i.e.S.), also Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung,
insofern sie „Gnade” sind. So betrachtet enthält das liturgische
das bekennende Recht supplementär in sich16, wie die
Gnade den Anspruch. Es ergänzt damit die erste Bedeutung des
bekennenden Rechtes.
2. Im eigentlichen, engeren Sinn enthält es alles Recht
gabenrechtlichen (statusrechtlichen) Typs, also
Sakramentsverwaltung und gabenrechtliche Formen der
Wortverkündigung. In diesem Sinne wird es verwendet, wo
liturgisches und bekennendes Recht einander
gegenüberstehen17.
3. Im engsten Sinn ist es das Recht der Sakramente allein; es ist
wie bei allen sakramentalen Vorgängen ebenfalls Gabenrecht.
Zusammen betrachtet sind bekennendes und liturgisches Recht die zwei supplementären Seiten des einen Kirchenrechts, die gegenläufigen
14) Vgl. o. 699 ff., u. 751 ff. Wort als
Anspruch.
15) OU 39 f., RdG 761, 767, 781.
16) So z.B. RdG 481, 682, 691, 729 A. 19, 761 (nur
insoweit trifft Ernst Wolfs Auffassung zu, Do. fasse das
Bekenntnis unter „Liturgie”, ZevKR 1963/64 88).
17) RdG 761, 767, 781.
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Vorgänge des Bekenntnisvollzugs und der Liturgie, die beiden Rechtsaspekte von Wort und Sakrament18. Das Bekenntnisrecht ist „eingeklammert” in das Sakramentsrecht19. Sie sind schwerpunktverschieden, aber untrennbar: Je nach Standpunkt kann man das Kirchenrecht von dieser oder jener Seite her sehen; aber keine steht höher, keine darf vernachlässigt werden, ohne daß ein Realitätsverlust eintritt.
Damit wiederholt sich im Kirchenrecht für Dombois die allgemeine Rechtsproblematik. Die Vorgänge des Kirchenrechts sind „geschehende Gnade”20.
Wie lautet das Ergebnis? Ist nunmehr das bekennende als das Wort-recht erkannt, das liturgische hingegen als das Sakramentsrecht? Leider ist die Antwort wieder nicht eindeutig, wie es bei den vielsinnigen Begriffen nicht anders zu erwarten ist.
Wenn wir das Wortrecht als eine (bei Dombois nicht übliche — er sagt „Bekenntnisrecht”) Kurzbezeichnung für das Recht der Wortverkündigung festlegen (zugleich als eine Gegenbildung zu dem häufig gebrauchten Sakramentsrecht)21, dann ergibt sich:
18) RdG 52, 69, vgl. 761. — Freilich geht das
nicht ganz auf, weil es auch nicht-liturgiefähige
Unterscheidungslehren gibt, die also nicht mehr in den
Rechtsbegriff der Gnade passen; das entsprechende Problem stellt
sich durch die transpersonalen Institutionen im Raum der Kirche,
die ebenfalls das institutionelle, d.h. Gnadenrecht sprengen. —
Eine — von Do. nicht gezogene — Konsequenz wäre, daß
nicht-liturgiefähige Dogmen nur beanspruchen (verpflichten), aber
nicht unmittelbar heilsbedeutsam sind, — was aber der
Präzisierung bedürfte.
19) RdG 681 f., 781; das kommt systematisch durch das
ins Sakramentenrecht eingeschobene (X.) Kapitel Bekenntnisrecht
zum Ausdruck (RdG 677 ff.).
20) RdG 893 — selbstverständlich nur, wo rechtmäßig,
d.h. auftragsgemäß, gehandelt wird; RdG 70, 213, 415, 682.
21) So z. B. RdG 767. — Den Begriff des
Sakramentsrechts übernimmt Do. (u.a. z.B. auch W. Maurer und E.
Käsemann) von R. Sohm (vgl. GRE 135 f.), aber mit W. Maurer (OU
8) unter Modifikationen (ebenso D. Stoodt 16 ff.). Er ist in sich
wieder mehrdeutig. Rechtshistorisch bezeichnet er bei Do. die
Struktur des abendländischen Kirchenrechts bis ins 12. Jh., des
morgenländischen bis heute (GRE 135 f., RdG 368, 562), oder die
zweite altkirchliche Rechtsquelle neben dem Missionsrecht
(Berichtskizze 253). Rechtssystematisch ist er entweder synonym
mit dem liturgischen Recht im ersten Sinn (RdG 454, weil Wort
und Sakrament sacramentum [d.h. μυστήριον]
sind, vgl. CrE 17) oder mit dem liturgischen Recht im dritten
Sinn als Gegensatz zum bekennenden oder Bekenntnisrecht (RdG 767,
792) bzw. gleichbedeutend zum Missionsrecht (OU 74 [4.], 99 f.,
Berichtskizze 253).
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Das bekennende Recht ist nirgendwo gleich dem Wortrecht. Im weitesten Sinne umfaßt es außer dem Wortrecht die anspruchsrechtlichen Elemente der Sakramente, im engeren fehlen ihm schon die gnadenrechtlichen Aspekte der Wortverkündigung, im engsten enthält es nicht einmal die Predigt.
Das liturgische Recht dagegen kann mit dem Sakramentsrecht zusammenfallen; zwar nicht im weiteren und auch nicht im engeren Gebrauch, weil es obendrein auch die gnadenrechtlichen Momente der Wortverkündigung in sich faßt; wohl aber im engsten Sinn.
Woher diese Unterschiedenheit und Übereinstimmung?
Die Grenzen werden je unter verschiedenem Gesichtspunkt gezogen: beim liturgischen und bekennenden Recht formal nach dem Rechtstypus (Gnaden- und Anspruchsrecht), beim Wort- und Sakramentsrecht dagegen nach dem Sachbereich (nämlich wieder Wortverkündigung und Sakramentsgeschehen).
Nun kann dieses Kapitel höherer Begriffsmathematik verlassen werden. Es zeigte, daß von der Vieldeutigkeit des „liturgischen” und „bekennenden” Kirchenrechts übergegangen werden kann zur Eindeutigkeit von Wort- und Sakramentsrecht. Nur noch vom Wortrecht (Recht der Wortverkündigung, unten b) und vom Sakramentsrecht (c) soll also fortan die Rede sein, bis dann die abschließende kritische Würdigung (4) noch einmal Gelegenheit zu Rückblicken bietet.
Verkündigung ist menschliches Wort aus göttlicher Vollmacht im Gottesdienst.
Darum ist sie nicht primär Imperativ des „Du sollst”, auch nicht intellektuelle Lehre; selbst mit dem neutestamentlichen Kerygma darf sie nicht gleichgesetzt werden1. Sie ist vielmehr der personale Vorgang
1) RdG 192, 244; gelegentlich aber dennoch gleich „Lehre” (RdG 781, d.h. Kerygma i.S. von Do.). „Kerygma” ist hier nicht allgemein die ntl. Botschaft, sondern ihr formulierbarer, apersonaler Inhalt (RdG 244), ja die theologische Rede über etwas (OU 51, RdG 719 f.). Apersonales Kerygma und personales Sakrament werden polemisch gegenübergestellt (OU 67 f., RdG 244) entgegen einer einseitig kerygmatischen Theologie (gemeint: die dialektische Theologie und R. Bultmann). Sie gehören gleichwohl komplementär zusammen (OU 61, 65 f., 68, RdG 791 mit J. Ratzinger) — was nicht nur für den Gottesdienst bedeutsam ist, sondern vor allem ➝
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der Selbstbezeugung Gottes vor den Menschen: „beanspruchende” Gabe Gottes, die Gemeinschaft unter Menschen stiftet durch Kundbarmachung seiner aussondernden Erwählung und der beginnenden Einordnung in den Neuen Äon, Ausrufung der schon geschehenen Gnade; oder — die vielen neutestamentlichen Begriffe zusammenfassend —: ausrufendes Rühmen und Künden, Ankündigen und Ansagen der Vergangenheit und des Künftigen2.
Deutlich ist die Gnaden-Rechtsstruktur. Die Verkündigung ist verleihende Gabe, relational-personal-institutioneller Vorgang der Aussonderung und Einordnung, der in Anspruch nimmt, Annahme im Glauben fordert und in die Gemeinde instituiert.
Die Verkündigung (als menschliches Wort aus göttlicher Vollmacht) ereignet sich nicht in direkter Unmittelbarkeit, sondern in inkarnatorischer Vermitteltheit. Sie vollzieht sich in den Rechtsformen zwischenmenschlicher Kommunikation.
Weil Christus die Seinen auf der Welt zurückgelassen hat, sind für die Verkündigung seiner Botschaft nur diejenigen Rechtsformen geeignet, die die Abwesenheit des Herrn voraussetzen; also Bote, Herold, Zeuge, Gesandter — oder in den Worten der Schrift: ἄγγλος, κῆρυξ, μάρτυς, ἀπόστολος3.
Daraus gewinnt Dombois die Einsicht in die Rechtsstruktur der Predigt (b 1) und der anderen4 Formen der Verkündigung: des Bekenntnisses, der Lehre und des Dogmas (b 2 - b 4).
➝ für die Sukzession: sie kann nicht reine Lehrsukzession
sein, aber auch nicht reine Personalsukzession (RdG 808 — Person
und Sache!). Freilich kritisiert Do. einen Begriff, der so kaum
mehr vertreten wird. Schon der englische Exeget C.H. Dodd hatte
die Lehre vom Kerygma unterschieden (J. Jeremias RGG II 215). Im
allgemeinen versteht man unter Kerygma das gleiche wie Do. unter
Verkündigung überhaupt: Kerygma ist nach der durchaus
repräsentativen Aufstellung W. Joests (EKL II 593) „Proklamierung
eines Geschehens”, nämlich der „Rede und Tat Gottes”, „wirksamer
Zuspruch”, „nicht Darlegung eines Wissensstoffes”.
2) RdG 192, 240, 244, 373 (mit H.D. Wendland,
entsprechend der proleptischen Eschatologie), 779, 817 f. Wort
als Anspruch: o. 699 ff., u. 75127.
3) RdG 111, 113 f., 243, 373, 779; wieder: „Gott
handelt nicht direkt” (RdG 337)! Das „innere Wort” hat also keine
Rechtsbedeutung (vgl. P. Tillich I 150 f.). „Verkündigung” ist
bei Do. (außer obiter in RdG 692) wohl versehentlich auf
die „unfreien” Rollen des (Boten, Zeugen und) Herolds eingeengt,
enthält also nicht die bevollmächtigte Verkündigung des
Gesandten/Apostels (RdG 371, 779), wohl weil Verkündigen die
Übersetzung von κηρύσσειν ist; aber auch wegen der Amtslehre
(dazu RdG 540). — Zur „Verkündigung als Vorgang” bei H. Diem s.o.
52328.
4) Zur Rechtsstruktur der Lesung s.u.
78420.
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Man hat bemerkt, daß die Predigt bei Dombois recht „unevangelisch” hinter das Sakrament zurücktrete5, auch was die Seitenzahl im „Recht der Gnade” betrifft. Doch ändert sich das Bild zu einem guten Teil, wenn man berücksichtigt, daß er trotz der systematischen Trennung sachlich in die Predigt die Rechtsformen der Kommunikation einbezieht — also Bote, Herold, Zeuge, Gesandter, Jünger. Denn für Dombois ist die Predigt die „Botschaft” von Christus; ein „Heroldsruf”; „Zeugnis”; obendrein das freie, gegenwärtig-machende (repräsentierende) Wort des „Gesandten”, das in Anspruch nimmt; schließlich sogar das Wort des Jüngers, des alter ego des Herrn: „Wer euch hört, hört mich”6.
Weil aber die Exegese dieser neutestamentlichen Rechtsrollen noch wenig juristische Vorarbeit geleistet hat, behilft sich Dombois mit der phänomenologischen Klärung der kategorialen Struktur, wie er es schon oben bei den Rechtsgleichnissen tat, und vergleicht das Ergebnis mit dem exegetischen Befund7; als Rückkontrolle seiner eigenen Forschung, aber auch als juristische Korrektur der Exegese.
aa) Der Bote
Die rechtlichen Merkmale des Boten sind: Seine Aufgabe besteht
darin, eine zielgerichtete Botschaft an angehörige oder fremde
Personen weiterzugeben. Er übermittelt nur, interpretiert nicht;
er äußert nicht den eigenen, sondern einen fremden Willen. Das,
was er überbringt, ist eine „Forderung” seines Herrn.
Vergleicht man diesen Befund mit dem „Boten” der Schrift, so
stellt man fest, daß der neutestamentliche Begriff viel
unspezifischer ist und sich dem des „Herold” nähert8.
5) S. Grundmann ThLZ 1963 809. Das trifft
insofern zu, als Do. entsprechend den Intentionen der Ev.
Michaelsbruderschaft, die vernachlässigten Seiten des kirchlichen
Lebens zu pflegen (CrE aA.), das Recht der Sakramente als das —
heute —dringlichere Problem in den Vordergrund stellt (RdG
460).
6) OU 51, RdG 111 ff., 368 ff., Lk 10.16. — Daneben
steht die — hier nicht zu behandelnde — Bedeutung dieser ntl.
Rechtsrollen für die Amtslehre, namentlich was den „Gesandten”
betrifft (zur „Apostolizität” s.o. 70838).
7) RdG 113.
8) RdG 111-114, 368 (ebd. mit R. Bultmann „anredende
Tradition”), 370.
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ab) Der Herold
Die Proklamation durch den Herold geschieht notwendig innerhalb
des Herrschaftsbereichs des Herrschers, anders als beim Boten,
der auch nach außerhalb gesandt sein kann. Ein weiterer
Unterschied besteht darin, daß der Bote „fordert”, der Herold
aber proklamiert, „statuiert”. Der Herold ruft die schon
gegenwärtige Herrschaft (Christi) aus, autoritativ und ohne
Interpretation, sie so zugleich in Kraft setzend und den
Gehorsamsakt der Hörer fordernd9.
ac) Der Zeuge
„Zeuge” ist im geltenden Recht vor allem ein forensischer
(prozeßrechtlicher) Begriff. Der Zeuge bekundet Tatsachen, soll
und darf sie aber nicht interpretieren. Dem Richter obliegt es,
die Tatsachen zu beurteilen. Wenn ein Zeuge einmal benannt ist,
ist er zur Mitwirkung im Verfahren verpflichtet. Auch eine Partei
kann ein „Selbstzeugnis” ablegen10.
Daneben gibt es, was meist übersehen wird, eine zweite Art: den
Öffentlichkeitszeugen. Dieser gehört der freiwilligen
Gerichtsbarkeit an, jener der streitigen. Seine Aufgabe ist es,
die Öffentlichkeit bei einem Rechtsakt zu repräsentieren. So
gewährleistet er bei der Errichtung eines öffentlichen
Testamentes nicht den Inhalt des Testamentes, sondern das
ordnungsgemäße Verfahren.
Beide Zeugen, Prozeß- und Öffentlichkeitszeuge, bezeugen
Tatsachen; von ihrer Person wird abgesehen. Nimmt man die
Rechtsgeschichte hinzu, so ergibt sich eine dritte Art: der
Überzeugungszeuge. Er steht mit seiner Person für eine andere
Person bzw. die Richtigkeit ihrer Behauptungen ein. Person und
Sache sind verbunden. Die Person ist in das zu Bezeugende mit
hineingenommen. „Das Zeugnis . . . ist personale oder rechtliche
Gewährleistung”11. Zwar kann man das
9) RdG 111-114, 369-371. Die Reaktion des
Adressaten hat verglichen mit der Botschaft viel weniger Gewicht
(RdG 111 f.). Den zugeordneten Begriff des Kerygma faßt Do. aber
anders und enger!, oben 742 f. 1.
10) RdG 114 ff., 370 f. (a. M. A. Niebergall:
Interpretationsbefugnis des Zeugen), ebd. „Zeugnis ist nicht
Lehre” (wieder a. M. Niebergall). Das Selbstzeugnis ist
rechtstheologisch deshalb so wichtig, weil die johanneischen
Zeugnisse Jesu inhaltlich Selbstzeugnisse sind (vgl. N. Brox HthG
II 907 f., a. M. RdG 117).
11) RdG 115 f. Deshalb kommt es gerade auf die
Autorität an (a. M. RdG 370, aber zu Unrecht, weil er sie mit der
Befugnis der Auslegung und Interpretation verbindet; wie hier
überzeugend mit Berufung auf den ntl. Zeugen N.Brox ebd. 909 f.).
Uberzeugungszeuge: RdG 115, 121, 368 f. (2.). Das ist kein
Subjektivismus, RdG 426 A. 12 gegen A. Niebergall.
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Überzeugungszeugnis heute nicht mehr realisieren — der zu besorgende Mißbrauch wäre zu groß; gleichwohl gehören Tatsachen- und Überzeugungszeuge zum kategorialen Rechtsbild des Zeugen.
Zum personalen Element des Zeugen kommt ein geschichtliches. Die jedem Richter wohlvertraute Erscheinung, daß das wiederholte Zeugnis mit jeder Wiederholung sicherer vorgetragen wird, obwohl dazwischen lange Zeiten liegen können, erweist: „Das wiederholte Zeugnis . . . verändert sich schon allein durch die Wiederholung.” Der Vorgang des Zeugnisgebens ist geschichtlich, unwiederholbar, situationsgebunden; Zeugnis ist eine geschichtlich gestaltete Form der Tradition.
Der neutestamentliche Zeuge steht in einer ungleich radikaleren Situation, weil es kein „objektives” Merkmal für die Wahrheit seines Zeugnisses gibt — sowohl beim (johanneischen) Jesus wie bei den zwölf „Zeugen”, den Aposteln12.
In analoger Weise setzt sich das Zeugnis Christi und seiner Jünger im Gottesdienst der Kirche fort, wo es eine weit über die Predigt hinausreichende Bedeutung gewinnt. Überall, wo (in Predigt, Bekenntnisentscheidung usf.) ein geistlicher „Anspruch” erhoben wird, ist er (Tatsachen-)Zeugnis des Geistes Christi, dem akklamiert werden muß. Aber auch diese „Anerkennung” ist ein Zeugnis, ein „Bekenntnis” der empfangenen Gabe des Geistes.
Außerdem ist der Zeugnis ablegende Christ Überzeugungszeuge: Als Angeklagter der Welt legt er zugleich Selbst- und Fremdzeugnis als Eideshelfer Gottes ab, steht mit seiner Person für Gott ein bis zum Tod, bezeugt so die Wahrheit, überführt damit die Welt der falschen Anklage und wird so zuletzt zum Richter über die Welt13.
Ein falscher kirchenrechtlicher Zeugenbegriff führt notwendig zu
12) RdG 114 f., 118 f. mit H. Strathmann; N.
Brox HthG ebd. — Zu einem weiteren Unterschied s.u. 748 f. m.
A.
13) RdG 117, 229 A. 5, 677, 699. Der Zeuge ist bei
Lukas mehr Tatsachen-, bei Johannes mehr Überzeugungszeuge (RdG
119 mit H. Strathmann, N. Brox HthG ebd.). Eine wichtige
Ergänzung bringt die Untersuchung von N. Brox, Zeuge und
Märtyrer, 1961. Brox weist nach, daß die bisherige Vorstellung zu
sehr vom „Wort”-Zeugen ausging, darum den „Tat”-Zeugen, den
Märtyrer nämlich als Todeszeugen nicht verstehen und erklären
konnte, der, im Gegensatz zum wortbezeugenden „Bekenner”,
„repräsentativ” (!) und also sichtbar den Tod des Herrn für die
Welt mit seinem eigenen Tod „bezeugt”. — Do. sieht übrigens
dieses Problem und versucht es durch die Verbindung des Zeugen
mit dem „Jünger” zu lösen, unten ebd.
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Verzerrungen der christlichen Existenz. Stellt man nicht mehr auf den (Überzeugungs-)Zeugen ab, so gelangt man zur papierenen apersonalen testificatio; wird der personale Zeuge vom Sachgehalt seines Zeugnisses abstrahiert, so verführt das zu selbstmächtigem Verfügen über die Tradition; wird er überhaupt nicht mehr beachtet, so forscht man — im Grunde ungeschichtlich denkend — nach der „historischen” Wahrheit unabhängig vom Zeugen, die wegen der notwendigen Verknüpfung mit dem Zeugen sich dem Zugriff entzieht und zum leeren Aufruf zur Entscheidung werden kann14.
ad) Der Gesandte
Der Rechtsbegriff des Gesandten geht weit über den des Boten oder
Herolds (auch des Zeugen) hinaus. Denn er ist echter
Stellvertreter seines Herrn kraft der ihm erteilten Vollmacht.
Innerhalb seiner Vollmacht (seines Status als Abgesandter seines
Herrn) hat er einen Entscheidungsspielraum (einschließlich der
Interpretationsbefugnis), im Vertrauen darauf, daß er seine
(durch den Auftrag begrenzte) Freiheit im Sinne seines Herrn
gebrauchen wird. Sein Handeln ist personalgeschichtlich, also
rechtsgestaltend. Seiner gehobenen Rechtsmacht entspricht seine
strengere Gebundenheit und die ihm entgegengebrachte Ehre: In ihm
ehrt man den Herrn.
Diese Beschreibung, im wesentlichen dem Auftrags- und dem
völkerrechtlichen Gesandtenrecht entnommen, wird wieder durch die
Rechtsgeschichte vertieft. Das moderne Recht behandelt den
Bevollmächtigten (Gesandten) als Vertreter im Willen;
ursprünglich ist der Gesandte der personale Repräsentant des
abwesenden Herrn, sein alter ego, in dem er abwesend
anwesend ist15.
Dies letztere ist auch die Stellung des ἀπόστολος im Neuen
Testament, gleich ob damit das jüdische Rechtsinstitut des
schaliach aufgenommen wird oder nicht. Nach K.H.
Rengstorfs Darstellung handelt
14) RdG 118. — Damit zeigen Veränderungen des
Predigt- und Wortverständnisses Gefährdungen der Kirchen
überhaupt an. — Zur testificatio RdG 121, gegen Luther
und die lutherische Sakraments- und Ordinationslehre (dazu ferner
RdG 503, 509 f., 514 ff., 836 f.).
15) RdG 112 (3.), 114, 204, 371, 540, 779. Natürlich
ist die Vollmacht, wie auch sonst, begründet und begrenzt im
zugrundeliegenden Auftrag, also einem Kommunikationsakt, RdG 112
(3.).
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es sich jedenfalls um einen griechischen Rechtsbegriff mit
spätjüdischem Inhalt: „Der Abgesandte eines Menschen ist wie
dieser selbst”16.
Da diese Rechtsfigur zusammen mit der des Jüngers bei der
Interpretation der Verkündigung (und des Amtes) im Vordergrund
steht, wird dadurch die inkarnatorische Vermitteltheit nicht nur
des Gotteswortes in der Predigt, sondern überhaupt des
heilsmittlerischen, gottesdienstlichen Tuns der Kirche
betont17.
ae) Der Jünger
Bote, Zeuge (und eingeschränkt der Herold) sind „forensische”
Rechtsrollen ohne Eigeninitiative; der Gesandte brachte das
rechtliche Element der Bevollmächtigung hinzu; das personale
aktiv-missionarische Element ist vollends deutlich in der letzten
Rechtsrolle, der des Jüngers, der dichtesten Relation, die es
gibt. Der Jünger ist bevollmächtigter aktiver Nachfolger mit der
Autorität seines Herrn, d.h. „personale Fortsetzung” des
Meisters, der mit seinem Leben seinen Herrn
„bezeugt”18.
Diese fünf Formen personaler Kommunikation bilden eine aufsteigende Reihe. Der Bote berichtet nur, überbringt Botschaft; der Zeuge steht mit seiner Person dafür ein; der Herold ruft die Botschaft wirksam
16) RdG 113 f.; ebenso K.H. Rengstorf ThW I 415
ff., 425 ff. Do. äußert sich zum schaliacb vorsichtig:
OU 110, RdG 473 f., 540; die Frage ist sehr umstritten, vgl. E.M.
Kredel HthG I 62 f.; bejahend z.B. M. Kaiser 25 f., 114, J.
Neumann 1963 26 f., P. Fransen HthG II 341. Damit mag
zusammenhängen, daß Do. auf die wichtige Frage der
Weitergebbarkeit der Vollmacht (K.H. Rengstorf ThW I 432 f.)
nicht eingeht.
17) RdG 540,778 f., 784,787 u.o. 700-704, H.D.Wendland
CrE 40.Vgl. die Analyse des Apostelamts in der Kirche durch P.
Fransen HthG II 340 ff. Der naheliegende Einwand, Do. verkenne
die auch von der katholischen Theologie anerkannte (H. Bacht LThK
I 738) Einmaligkeit des Apostelamts, würde fehlgehen (RdG 784),
denn es ist zu unterscheiden: Die Einmaligkeit beruht auf der
geschichtlich einmaligen Stellung der Apostel als „Zeugen”
(hierzu vgl. N. Brox HthG II 905); die Vollmacht als Gesandte
jedoch dauert und wird durch traditio an Stellvertreter
zur Repräsentation der Apostel weitergegeben (RdG 540, 778 f.),
was zugleich rechtlich impliziert, daß die Vertreter unter dem
Vertretenen (letztlich Gott in Christus) in strenger Unterordnung
stehen, s.o. 701 703 706 zur Repräsentation. Der
rechtshistorische Nachweis wäre nachzutragen. M.E. liegt er in
der Jüngerstellung gemäß dem „Machet zu Jüngern alle Völker”; s.
anschließend u. o. 696 f.
18) RdG 372 (weil an Leben und Werk abgelesen werden
kann, wer der Meister ist). Hierher gehört auch der
„missionarische Zeuge” des „Ihr sollt meine Zeugen sein” (Apg
1.8, RdG 117). In anderer Hinsicht kann aber auch der Jünger noch
zusätzlich zum Gesandten bestellt werden, RdG 779 — wegen der
Repräsentation des ➝
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aus und setzt sie gegenwärtig; der Gesandte verleiht ihr geschichtliche Gestalt aus der Rechtsgewalt des in ihm handelnden Herrn; der Jünger setzt seinen Meister, ihm untergeordnet, vor den Menschen mit seinem Leben in Reden und Tun fort.
Sie alle sind in der Rechtsstruktur der Predigt lebendig:
Predigt ist Botschaft, Zeugnis, Proklamation (Heroldsruf), Repräsentation, Jüngerwort19.
Versucht man nun, die Predigtstruktur in die beiden Rechtsformen einzuordnen, so zeigt sich zweierlei: Die Predigt als „Zeugnis” „beansprucht” vor allem, während sie als repräsentierendes Jüngerwort vorab „Gabe” ist. Dombois selbst tendiert (trotz einiger gabenrechtlicher Hinweise) zur anspruchsrechtlichen Deutung, in dem Bestreben, einen strukturellen Unterschied des Predigt- zum Sakramentsgeschehen aufzuzeigen, um sie als Teilakte eines einzigen (Einordnungs-)„Vorgangs” des Vollgottesdienstes erweisen zu können20.
Dagegen ergibt sich ein etwas anderes Bild, wenn man die Einzelaussagen im Werk Dombois’ zusammenfügt, und zwar sowohl in der Wesensbestimmung wie zur Rechtsdimension der Predigt überhaupt.
ba) Wesensbestimmung
Die Predigt ist eine — die wichtigste — verbale Form des Wortes
Gottes; sie ist „Verleiblichung des Logos” und als solche
Verkündigung der Kirche. Als leibhaftig-geschichtlicher Vorgang
mündlicher Vermittlung ist sie im Wesen „ausrufendes Rühmen und
Verkündigen der . . . Taten Gottes (und) der heilsamen Zukunft
des Herrn” — und darum für den gläubigen Hörer repräsentierende
Proklamation der Christusherrschaft21. Sie enthält das
„Gnadenurteil” Gottes (iurisdictio!) über die
➝ Abwesenden. Die Doppelheit Zeuge-Jünger ist von K.H.
Rengstorf ThW IV 459 übernommen; nur zusammen treffen sie die
Struktur christlicher Existenz mit ihren beiden Seiten
„forensischer” Zeugen- und „aktiver” Jüngerschaft (Do. aaO.;
ferner oben 696 f.). — Freilich hat Do. den Jünger nicht unter
die Rechtsformen der Kommunikation eingereiht, wohl weil er diese
Kategorie sprengt, vielleicht auch (Do. geht darauf nicht ein),
weil Jesus selbst nie als Jünger bezeichnet wird, wohl aber als
Zeuge usf.
19) RdG 368-372.
20) S.u. 781 ff.
21) RdG 294, 370 f., 373, 415, 420, 435 A. 76, Zitat
RdG 373 nach H.D. Wendland. Auch K. Rahner IV 313 ff. bezeichnet
die Predigt als Proklamation.
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sündige Menschheit, das zugleich die Gnade der Umkehr gewährt
(Verdammung aber dem, der sie nicht annimmt)22. Diese
„forensische Rede”23 ist (quasisakramentaler) Zuspruch
der Sündenvergebung, die aber, darauf legt Dombois einen gewissen
Nachdruck, erst in der — vom Auftrag geforderten — ständigen
Wiederholung ihre volle geistliche Valenz entfaltet24,
nämlich die Auferbauung der Gemeinde einerseits, die
vollständigere Einordnung des einzelnen (ordinatio!) in
die neue Gemeinschaft andererseits.
Von ihrer rechtlichen Seite her betrachtet, bietet diese
Beschreibung des Wesens der Predigt ein eigentümliches Ineinander
von gnaden- und gerechtigkeitsrechtlichen Elementen, wobei aber
„das ausrufende Rühmen” und damit die Gnadenstruktur zu
überwiegen scheint. Dies wird durch die eigentliche
Strukturbetrachtung bestätigt.
bb) Gabe
Die engeren Rechtsaussagen lassen sich deutlich in solche
gnadenrechtlichen und anspruchsrechtlichen Typs unterteilen.
Die gnadenrechtliche Struktur kommt zunächst in der
institutionellen „Zweiaktigkeit” der Predigt zum Ausdruck. Wie
die Kirche im ganzen hat auch die Predigt ihr Außen und Innen.
Nach außen ist sie „missionarisch”, sie scheidet ab von der Welt;
nach innen ist sie doxologisch und kerygmatisch, ordnet also ein;
beides gemäß dem Wort „Machet zu Jüngern . . . und
lehret”. Sie ist formal institutio in einen
Status25.
Sodann ist das gnadenrechtliche Element ohne weiteres mit der
Proklamation des rechtfertigenden Gnadenurteils Gottes
mitgegeben. Proklamierend nämlich repräsentiert die Predigt die
Gabe der Umkehr und den Anfang des Status der neuen Gemeinschaft
mit Christus und
22) RdG 168 f., 286, 365, 370; im „Prozeß
Gottes” (mit A. Niebergall, K. Löwith, Th. Preiss). „Urteil” hier
— entsprechend der für den Theologen keineswegs
selbstverständlichen — doppelten rechtlichen Möglichkeit als
Freispruch und Verurteilung! Vgl. auch MuS 95, 111 u.ö. zum
(analogen = juristischen) Gnadencharakter auch des menschlichen
Strafrechtsurteils.
23) RdG 369 (A. Niebergall).
24) Gnade 153, RdG 363, 365, 409 f., 415 ff. —
Entsprechendes gilt (ebd.) für die Wiederholung des Sakramentes.
— Unterschied zur Buße: unten 77759;
quasisakramentale Predigt: oben 7375.
25) RdG 370-374, 415, 420, 602.
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seinem gottesdienstlich verfaßten Leibe mit seiner Fülle neuer institutioneller Bezüge. Die Predigt restituiert und instituiert26.
bc) Anspruch
Doch ohne anspruchsrechtliche Begriffe kann die Predigt rechtlich
nicht vollständig umschrieben werden. Die Gabe der
Sündenvergebung „fordert” die Annahme im Glauben zu ihrer
Wirksamkeit, ja sie „beansprucht” den ganzen Menschen, um ihn dem
neuen Status einzuordnen, was wiederum zusammenfällt mit der
„Anerkennung” der Frohen Botschaft27, oder anders: mit
der Annahme des eschatologischen Urteils Gottes über den
Menschen. Weil das der Mensch nicht aus eigenem vermag, erfüllt
Gott den unerfüllbaren Anspruch selbst durch das „Werk” Christi,
den Tod am Kreuze; weil auch beim Anspruch Gottes „vorauslaufende
Vergemeinschaftung” vorausgesetzt ist (die aber nicht besteht,
weil der Mensch vor Gott nur den negativen Status des Nichthabens
einnimmt), begabt Gott auch mit der fehlenden Gemeinschaft und
„anerkennt” so den Menschen im voraus28. Das geschieht
im Bund.
Die Rechtsstruktur des Wortes Gottes in der Predigt ist somit gegenläufig. Es ist das supplementäre Ineinander von Gnaden- und29
26) Strafe 168, RdG 163, 168 f., 180 f., 286,
370, 411, 420, 897, 925, oben A. 25.
27) OU 51, 93, RdG 50, 168, 170, 374; Wort (auch) als
Anspruch: OU 51, RdG 163, 181, 1008; Strafe 168, RdG 46: das Wort
verfügt über die Gemeinde.
28) OU 51, 93 f., RdG 50, 163, 168, 170, 207, 977.
Anselm von Canterbury? Auf die tiefgründige (Rechts-)Spekulation
über den gnädigen Richter Christus, der
stellvertretend dem ungerechten Kläger Mensch zu seinem Recht
verhilft (dazu unten 7637) kann hier nicht näher
eingegangen werden. Sie vereint religionssoziologische Gedanken,
namentlich den des sakralen Königs, mit solchen, die dem
germanischen Rechtsdenken verwandt scheinen; vgl. z.B. NR 201,
MuR 118, OU 51, MuS 111, MuS Kap. VIII, Strafe 171, RdG
165,170,242; dazu F. Heer mit Hinweisen auf Rechtsvorstellungen
in Anselms Cur Deus Homo und bei Bernhard (Erlösung als
Rechtsakt: 1949 78, 167 ff., 216). Freilich darf der grundlegende
Unterschied nicht übersehen werden, daß das germanische
Rechtsdenken primär normativ, dasjenige Do.s institutionell
ist.
29) Anders Ernst Wolf ZevKR 1963/64 101, verführt
durch die doppeldeutige Verwendung des Begriffes
„jurisdiktionelles Recht” bei Do., s.o. 634 f. 40. Übrigens fehlt
bei Do., was H. Schlier 1953 57 ff. als einen Zentralpunkt
gottesdienstlicher Verkündigung hervorgehoben hat: die
„überführende” (1 Kor 14.24) Komponente (sie würde bei Do.
ebenfalls zur anspruchsrechtlichen Seite der Predigt gehören).
Sie taucht nur unter dem Aspekt der sündenvergebenden Wirkung der
Predigt auf (unten 776).
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Anspruchsrecht im Rechtsbegriff der Gnade. Das ist der „Gnaden- und Anspruchscharakter” des „Wortes” — und zugleich (ein überraschender Ausblick!) der Wortcharakter des Rechts30: Alles Recht geht aus vom Worte Gottes.
Auf den Anspruch des Wortes Gottes in Verkündigung und Predigt antwortet das Anerkenntnis des Menschen, sein „Bekenntnis”31.
Was heißt Bekenntnis? Dombois sagt zuerst, was er nicht darunter verstanden wissen will: Es ist weder nur eine „objektive Wahrheit” noch nur eine „apologetische Funktion”; es ist weder nur eine „formulierte Summe von Glaubensüberzeugungen”, sei sie fixiert im Kanon der Schrift, in dogmatischen Konzilskanones, in Bekenntnisschriften, in Lehre und Dogma, noch ist es nur ein existentiahstischer Bekenntnisakt oder eine ständige Bekenntnishaltung. All das ist das Bekenntnis auch, aber damit ist sein Wesen nicht erschöpft32.
Das Wesen des Bekenntnisses ergibt sich aus der Natur des Anspruches, auf den es antwortet. Der Anspruch ist zuletzt immer der herrscherliche Anspruch Gottes in Christus auf Hingabe des ganzen Menschen. Dementsprechend ist das Bekenntnis formal „ὁμολογία”, „übereinstimmende Rede”, „Akklamation”33. Sein Inhalt ist das im
30) OU 51, Strafe 168, RdG 163, 181, 1008, aus
CrE 47. Denn die Rechtswissenschaft ist eine Wissenschaft vom
wirksamen Handeln zwischen Personen — durch das Wort und nie ohne
das Wort (RdG 1008). G. Söhngen erinnert daran, daß viele
Metaphern verblaßte Rechtsbilder sind (Hochland 1964 270); K.
Mörsdorf zum verpflichtenden Rechtssymbol HthG I 839 f.
31) OU 51, RdG 50, 866 ff.; besonders RdG Kap.X/1 677
ff.); Zitate aus W. Maurer 1939 und E. Schlink KuD 1957 nehmen
dort einen großen Raum ein. Vgl. auch den wichtigen Hinweis RdG
680 zur Struktur der dogmatischen (Bekenntnis-)Aussage: als
rühmende Ansage des Mysteriums gibt sie notwendig immer nur die
Grenzen (Grenzwerte!) an, innerhalb deren das Geheimnis gewahrt
ist — wobei Do. immer das Paradigma des Chalcedonense vor Augen
hat.
32) OU 32, 34, Kathol. 169, Berichtskizze 251, RdG 19,
70 f., 87 A. 46, 213 f. mit W. Maurer, 387, 681, 686, 699 ff.,
703, 705 ff., 779. Das „bloße” Bekennen bedarf nicht nur keines
Gottesdienstes, sondern löst auch noch das Dogma aktualistisch
auf. Vgl. RdG 47 gegen K. Barth, daß in seinem Entwurf „die Frage
der Bekenntnis- und Lehrbildung nicht erkennbar hervortritt”.
33) OU 37, 51, RdG 50, 677 f., 681, 779, oben 632;
ferner RdG 699 mit W. Maurer und W. Elert, 425 gegen Erik Wolf.
RdG 682 „Die Liturgie ist . . . durch die ➝
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Anspruch Erfahrene: zunächst die Anerkennung dieses Gottes, der in seinem geschichtlichen Handeln begegnet34 (also hymnische Doxologie, feierliches Rühmen seiner Heilstaten in der Geschichte), sodann Hingabe der Person, „Lobopfer”35.
Natürlich kann sich auch dieses geistliche Geschehen nur sola gratia ereignen; die Hingabe des ganzen Menschen kann nur aus der Kraft des Geistes Christi geleistet werden. Es kann auch nur der Geist Christi den Anspruch Christi erkennen und bekennen. Wieder ist vorauslaufende Vergemeinschaftung Voraussetzung von Anspruch und Bekenntnis, nämlich Gottes Bund und Testament36.
Das so beschriebene Bekenntnis hat zwei Zeiten und zwei bzw. drei Adressaten. Es ist erstens „bekennendes” Zeugnis über vergangene rechtserhebliche Tatsachen, nämlich die gottgeschenkte Gottgemeinschaft; es ist zweitens „anerkennendes” Zeugnis über die daraus folgende künftige Verpflichtung. Es ist weiter „Zusage” gegenüber dem Anspruch Gottes, „Absage” an die Welt. — Unter anderem Gesichtspunkt sind sogar drei Adressaten zu unterscheiden. Das „liturgische” Bekenntnis ist zunächst an Gott gerichtet; in zweiter Linie erst wendet es sich an Menschen, sei es bei Zweifeln an der Rechtgläubigkeit im „dogmatischen” Bekenntnis der Kirche gegenüber Häretikern oder Mitchristen, sei es im Sinn des Missionsbefehls im „missionarischen” Bekenntnis gegenüber der Welt37.
In dieser umfassenden Deutung ist das Bekenntnis nichts anderes als die Grundhaltung des von Gott getroffenen Menschen und zugleich eine notwendige Lebensäußerung der Kirche, gehört also in ihren
➝ Anamnese Bekenntnis. Bekenntnis als Homologie (Lobpreis)
ist Liturgie”. Zu weit geht RdG 700 f. („Identifikationsvorgang”)
wegen der Unaufhebbarkeit des Gegenübers von Person zu Person.
Vgl. dazu schon MuS 161 These 4. — Zur Akklamation RdG 229 A. 5
mit D. Stoodt: „verbindliche öffentliche Erklärung”, „menschliche
Ratifizierung des von Gott gesetzten neuen Rechtsverhältnisses .
. . im Geiste”.
34) RdG 678, 681, 700 f. — der „Zeuge”! Vgl. Ps 46.11:
„Erkennet, daß ich Gott bin.”
35) RdG 683 f., 686 (E. Schlink); Priest. 67, RdG 243,
678, 681, 691 f., 700. Letzteres setzt freilich Do.s
Rechtsinterpretation des Opfers voraus.
36) OU 36 ff., 51, RdG 168, 684, 697; 187
„geistgewirkte Antwort”. Beispiele aus der Schrift: RdG 678.
37) RdG 341, 677, 679 f., 683 mit E. Schlink, 699 f.;
also auch Anathema und Exorzismus. Das darin liegende Urteil über
die Welt ist für sie zugleich Angebot, Gabe der Umkehr, RdG 700,
dazu Fremd- und Eigenverurteilung als iurisdictio (unten
757). Zum Lehr-Urteil: OU 55.
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Gottesdienst38. Dort ist nämlich der „Ort” des Bekenntnisses: Dort wird das Wort Gottes verkündigt, dort antwortet das Bekenntnis zu dem im Wort anwesenden Herrn.
Aber besteht nicht der Gottesdienst nur aus Wort und Sakrament, also ohne das Bekenntnis? Wenn freilich das Bekenntnis so verstanden wird wie hier, dann ist es ebenso umfassend wie das Wort Gottes, auf das es antwortet; es muß sich also überall zeigen, wo sich das Wort inkarniert, also in der Wortverkündigung ebenso wie im Sakramentsgeschehen. „Bekenntnis” ist das ganze gottesdienstliche Handeln, insofern es „Antwort” ist!
In der Tat findet Dombois überall das Bekenntnis der Kirche: in der Verkündigung allgemein, im Wortgottesdienst, im Taufbekenntnis, in der Zulassung zum Abendmahl, ja in der Anamnese und Commemoratio (lobpreisende Vergegenwärtigung) des Abendmahlsgottesdienstes selbst, im Bußbekenntnis als Voraussetzung der Lossprechung, in der Ordination und im Amtsrecht überhaupt (in der Wahl bzw. Vokation als Akklamation zu der vorher von Gott ausgesprochenen Berufung). Darüber hinaus enthält jede positive geistliche Entscheidung (iurisdictio) ein solches Bekenntnis; auch die receptio-Haltung des Menschen kann als Bekenntnis verstanden werden. Bekenntnis ist gar der Hauptinhalt des Kirchenrechts . . .39
Schließlich interpretiert Dombois sogar den Vorgang der Kirchenrechtsentstehung als Bekenntnisvorgang; denn das Kirchenrecht entsteht durch Anspruchsanerkennung, nämlich aus Gottes Anspruch und
38) OU 32, 38, Berichtskizze 253, RdG 729 (W.
Elert), 825; „Bekenntnis” ist Glaube, CrE 13. Vgl. das
Elert-Zitat (zum altkirchlichen Dogma) RdG 729 A. 19: „Bekenntnis
heißt Gottesdienst.” Ebenso z. B. V. Vajta 1963 243. Weil auch
die Kirche im Gottesdienst „entsteht”, ist die Kirche nicht
einfach auf das Bekenntnis gegründet (OU 31 f., 38); sie hat
allerdings die ernste Aufgabe, je neu das Bekenntnis aufzunehmen
und fortzubilden, um ecclesia semper reformanda bleiben
zu können (RdG 699 ff., unten 758 f.).
39) OU 37, 44, Berichtskizze 253, RdG 168 f., 341,
387, 559, 677, 681 f., 700, 703 ff. (nach H. Lietzmann, W.
Nagler, bes. aber W. Maurer), oben A. 38; RdG 169 das
Kirchenrecht sollte sich darauf beschränken zu entscheiden, ob im
konkreten Fall Gott und der (Tauf-, Abendmahls-, Amts- usf.)
Bewerber sich zueinander „bekennen”.
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zustimmendem menschlichen Bekenntnis40. Nur scheinbar abweichend heißt es andernorts: „Kirchenrecht entsteht durch die wechselseitige Anerkennung geistlicher Entscheidung.” Aber das bedeutet das gleiche, wie man erschließen kann; denn der göttliche Anspruch ergeht durch Vermittlung eines menschlichen Anspruchs, meist in Gestalt einer geistlichen Entscheidung einer Teilkirche, deren „Geistlichkeit” durch die anderen Kirchen anerkannt (rezipiert), also „bekannt” werden muß. Erst recht ist der Akt der Wiederherstellung der Kircheneinheit zwischen verschiedenen Kirchen ein rechtsetzender Bekenntnisakt, insofern er in der anderen Kirche das Wirken Christi erkennt und anerkennt. Kirchengemeinschaft ist, mit E. Schlink, „Gemeinschaft wechselseitiger Anerkennung”41.
Trotz der weiten Fassung des Bekenntnisses als kirchenrechtlichen Grundakt trägt es gleichwohl Rechtscharakter — nicht nur weil die Bekenntnisbildung mit der Rechtsbildung zusammenfällt, nicht nur weil das Bekenntnis als Selbstverurteilung „verbindlich” macht, sondern auch wegen der Rechtsanthropologie: Die Bekenntnisbildung ist ein personaler Vorgang geschichtlichen Handelns, der eine spezifische Struktur aufweist, die nach allem Bisherigen eine Rechtsstruktur ist. Was den Rechtstypus anlangt, so zählt das Bekenntnisrecht zum jurisdiktioneilen oder Anspruchsrecht, denn es ist strukturgleich der Anspruchsanerkennung42.
40) OU 51, 93, RdG 50, 866 ff.; deshalb ist der
Bekenntnischarakter des Kirchenrechts nichts, was das
Kirchenrecht vor dem weltlichen Recht auszeichnet, und begründet
nicht seine Eigenständigkeit (ebd. gegen die allgemeine
Meinung).
41) CrE 53 f., OU 37,44,52 f., 74 (2.), 100, RdG
576,704 f., 828 f., mit E. Schlink KuD 1957 303; ebenso W. Kasper
StZ 1967 410 f. Das bedeutet die Aufgabe der geistlichen
„Souveränität” der Kirchen (RdG 705). Die anthropologische
Voraussetzung dieser Polarität bei Do. ist wieder das
„priesterliche” Handeln der Christen aneinander. Sie tun
einander, was keiner für sich selbst tun kann (OU 38), nämlich
den Geist beurteilen.
42) OU 51, RdG 52, 678 f., 681, 701, 781, 815 f.;
anders noch GRE 156. RdG 229 A. 5 „Rechtscharakter des
Bekenntnisses”. Auch E. Schlink rückt das Bekenntnis in die Nähe
des Rechtsaktes, KuD 1957 262, ebenso D. Stoodt und W. Maurer,
RdG 229 A. 5, 681 f., 684. Man hat auch sonst weithin „das”
Bekenntnis als Rechtssatz angesehen (vgl. oben 385 f.);
gleichwohl bestehen mehrere Unterschiede: einmal aus dem
nicht-normativen Rechtsbegriff, zum andern weil das Kirchenrecht
nicht „konsekutiv” (als norma normata) auf dem
Bekenntnis aufruht; das Bekenntnis ist viel mehr in den
Rechtsentstehungsvorgang mit hineingenommen (vgl. RdG 68 [2.], 72
mit H. Wehrhahn), schließlich ist nicht die
Bekenntnisschrift gemeint.
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Auch die Lehre gehört zur Verkündigung der Kirche: vielfach werden sie sogar (irrigerweise) gleichgesetzt. Wie steht Dombois dazu? In zweifacher Weise spricht er von „der Lehre”.
Polemisch ist die bloße „Lehre” der Kirche von sekundärer Bedeutung gegenüber ihrem tatsächlichen Handeln im Kult43; Lehre ist hier das gleiche wie systematisch-theologische Beurteilung des Tuns der Kirche und entspricht dem oben erörterten Gegensatz von Ideen- und Realgeschichte. Eine so mißverstandene „reine Lehre”, auch wo sie von Kanzeln herunterkommt, ist viel weniger als Verkündigung, „Bekenntnis” und Predigt; Lehre als belehrende Wissensvermittlung trennt sich von der real repräsentierenden Verkündigung. Diese Lehre ergeht an einen passiven und isolierten Schüler; die gottesdienstliche Gemeinschaft spielt keine Rolle mehr. Weil der Lehre aber die Bindung an die liturgische Verkündigung im Gottesdienst verloren ging, ist sie von unkontrollierter Ausweitung bedroht44.
Das „Machet zu Jüngern alle Völker und ,lehret’ sie . . .” des Missionsbefehls zeigt dagegen, daß es bei der „Lehre” keineswegs um Wissensvermittlung und Katechismus geht, sondern um die Zuordnung des Menschen zu seinem Meister Christus durch das personale Wort der Verkündigung, damit er sein Zeuge und Jünger sei. Darum ist die Lehre der Kirche (besser: das Lehren) nur „Inhaltsbestimmung der Predigt”, somit untrennbarer Teil der Verkündigung. Als Verkündigung hat sie aber instituierenden Charakter45.
Für die Lehrgewalt der Kirche folgt durch die Einordnung in die Verkündigung, daß sie keine eigene Gewalt i.S. einer Dreiteilung der
43) RdG 511; vgl. 489; 719 „Das Reden (dar)über
ist etwas anderes als der Vollzug”.
44) RdG 371 f., 376, 427 A. 21, 683, 781 f.,
Bekenntnis und Predigt noch gleich gesetzt in OU 34; RdG 372
Hinweis auf die humanistische Wurzel dieser Verengung; 693 f. die
sich selbst bezeugende Schrift macht die geistliche Vollmacht des
Verkündigenden überflüssig.
45) RdG 602 f., 693. CrE 13 f. fordert deshalb, daß
die Inhaber des Lehramtes, um recht lehren zu können, selbst in
eine gottesdienstliche Gemeinschaft eingeordnet sein und aus ihr
heraus sprechen müssen. Diese Rückbesinnung auf die kerygmatische
Funktion der Lehre entspricht einer Bewegung innerhalb der
katholischen Dogmatik: zurück zu einer der biblischen Sprache
(und damit der Sache) mehr entsprechenden „kerygmatischen
Theologie” und Aussageform. Zum Unterschied von Lehre und
Verkündigung vgl. auch die Aufstellungen von W. Matthias 1956. —
Daneben gibt es auch die „private” Lehre des einzelnen Christen,
RdG 603.
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Gewalten ist, auch nicht nur dem (obendrein außergottesdienstlichen) „Lehramt" der theologischen Fakultäten überlassen werden kann46.
Wie verhalten sich Lehre und Dogma, Dogma und Bekenntnis zueinander? Das Dogma ist ein Bekenntnisakt. Es ist die Lehrformel, die aus dem personalen Bekenntnis entsteht, oder anders: die Erklärung der Verbindlichkeit einer Lehre. Die Verbindlichkeit ergibt sich daraus, daß die Dogmenbildung eine receptio voraussetzt, also ein Urteil enthält (iurisdictio!), das auf „Selbstverurteilung zum Glaubensgehorsam und Fremdverurteilung wegen Ungehorsams"47 (Anathema!) lautet.
Der kirchenrechtlich legitime Gegenstand des Bekenntnisses, also der mögliche Bekenntnisinhalt, ergibt sich aus dem Anspruch Gottes. Bekenntnisfähig sind Aussagen über Gott und sein Handeln. Wo darüber hinausgegangen werden muß — die Notwendigkeit hierzu kann gegenüber Häresien eintreten —, handelt es sich um dogmatische Hilfssätze oder um „sekundäre Kirchenlehre”48. Das ist zugleich der Sinn der beiden Axiome: lex orandi est lex credendi und: Dogmen- und „bekenntnisfähig ist, was liturgiefähig ist”49; denn im Gottesdienst wird
46) GRE 175, OU 55, 107; ebenso K. Mörsdorf.
Do. gibt auch das Motiv für die Absonderung der Lehrgewalt aus
der Hirtengewalt durch den Rationalismus an: da man die
Leitungsgewalt dem Staat überläßt, soll wenigstens die Lehre der
Kirche erhalten bleiben.
47) RdG 698 f., 714. Das allgemein rezipierte Dogma
verlangt also pneumatischen Gehorsam!, ZevKR 1957/58 427. Zu
sonstigen Bedeutungen von „Dogma” RdG 728 A. 13. Vgl. den
beachtlichen Versuch Do.s, die bisher von katholischer Seite
namhaft gemachten traditiones mere orales praeter
scripturam mit Hilfe der juristischen Unterscheidung von
„Tatbestand” (Sachverhalt) und „Beurteilung” des Tatbestandes als
bloße dogmatische Beurteilungen von Tatbeständen der Schrift
auszuweisen — während echte Traditionen begrifflich
nicht in der Schrift aufgeführte Tatbestände enthalten
müßten (RdG 712 ff.). — Unabhängig davon kommt zu ganz ähnlichem
Ergebnis K. Rahner 1963 80 ff.!
48) RdG 695, MPTh 1959 418, Marburg 58 — also Zu- und
Unterordnung des Sekundärdogmas unter die zentralen Aussagen.
49) Nach W. Elert, OU 37 f., RdG 684-688, 691, 729 A.
19; CrE 13 („liturgiefähig” = wohl was gepredigt und gebetet
werden kann, was Kerygma und Doxologie ist) — übrigens ein
ostkirchlicher Satz; vgl. auch W. Kasper StZ 1967 407: „Das Dogma
ist gedachte Liturgie, die Liturgie gebetetes Dogma.” — Lex
orandi . . .: RdG 691-695 in Auseinandersetzung mit W. Hahn.
Die Beobachtung Do.s trifft zu, daß dieser Satz ➝
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der göttliche Anspruch zuerst erfahren und bekannt. Dadurch wird das Bekenntnis vor rationalistischer Ausweitung bewahrt und der mögliche Umfang des Dogmas begrenzt. Der Gottesdienst wird zum regulativen Prinzip des Dogmas.
Das ergibt als mögliche Dogmeninhalte zweierlei: die Gottes- und die Heilslehre; implizit also die Schöpfung, Christologie usw., Kirchenlehre, Wort und Sakramente50.
Je mehr das Dogma „Bekenntnis”, Doxologie ist, je näher es also dem Gottesdienst, der Verkündigung steht, desto höher ist seine Dignität und damit seine kirchenrechtliche Relevanz. Das Dogma der Kirche ist also zunächst liturgische Aussage der Gemeinde, in Form und Inhalt hymnischer Lobpreis Gottes. Freilich ist das nicht mehr liturgiefähige Bekenntnis nicht bedeutungslos, weil es — wenn auch abgeschwächt — immer noch das Handeln Gottes bezeugt51.
Wieso bedarf es über das sola scriptura hinaus noch der altkirchlichen Symbole und überhaupt weiterer „Bekenntnisse”52? Daß Bekenntnisbildung und damit Dogmenbildung notwendig ist, folgt aus der „Geschichtlichkeit des Bekenntnisses”. Geschichtlichkeit bedeutet „die irreversible Verbindlichkeit” (nicht Irreformabilität!) personaler Entscheidung. Die Antwort (also die Annahme und verbindliche Anerkennung des göttlichen Anspruchs) muß in jeder Zeit geleistet werden, und sie muß gemeinschaftlich geleistet werden. Diese Antwort ist weder schlechthin unveränderlich noch veränderlich: Als geschichtlich personale (und damit notwendig auch kontingente und schöpferische)
➝ der lateinischen Kirche zwar bekannt ist, daraus aber
weithin keine dogmatischen oder kirchenrechtlichen Folgen gezogen
werden. Vgl. auch K. Barth nach ThLZ 1964 463.
50) RdG 682-686, 692 f. (auch historisch); zur
Zerfallsgeschichte des Dogmas vgl. RdG 679, 684, 686, 729 mit E.
Schlink und W. Elert. Darum kritisiert Do. die ostkirchliche
Erbsündenlehre, weil sie die „volle Korrespondenz von Dogma und
Liturgie” nicht durchhalte, RdG 688 (2.). Zum (lockeren)
Zusammenhang von Bekenntnis und Kirchengliedschaft vgl. RdG 684
f., ebenfalls mit E. Schlink und W. Maurer.
51) RdG 683 f., 686. Das ergibt eine abgestufte
Reihenfolge von den altkirchlichen, noch hymnisch gefaßten
Symbolen, über die späteren zu den reformatorischen
Bekenntnisschriften, die immer mehr Lehrcharakter annehmen (RdG
ebd. und 728 A. 14).
52) Zum folgenden RdG Kap. X,2 und X,4 (687 ff., 699
ff.), bes. 715; GRE 161, OU 32, 40, 74, Berichtskizze 251. Es
genügt nicht, sich auf die reformatorischen Bekenntnisschriften
zu berufen; sie beantworten viele Fragen von heute nicht, OU
32.
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Antwort auf den unveränderlichen Anspruch hat das Bekenntnis sowohl teil am einen Geist der einen Kirche als auch an den wechselnden Erfordernissen und Denkformen der Zeit. Nur eine bekenntnisbildende Kirche lebt geschichtlich. Bekenntnis und Dogma sind, so gesehen, nicht mehr ein vorgegebenes Etwas, sondern eine Lebensfunktion der Kirche, als der kontinuierliche Vorgang geordneter Traditionsaufnahme und Bekenntnisfortbildung, der die Entscheidungsfähigkeit der Kirche aktualisiert.
So erledigt sich die Streitfrage nach dem Verhältnis von historischem und aktualem Bekenntnis durch die dialektische Zuordnung von Person und Sache im Vorgang des je besseren Bekennens. Wie allgemein gilt auch hier die Einheit von Akt und Status, Person und Sache im Vorgang. Kirchenrechtlich ergibt sich damit die Notwendigkeit, die Kirche (auch institutionell!) geistlich entscheidungsfähig zu machen53.
Damit ist nach den Organen der Bekenntnisbildung gefragt. Wer ist Subjekt des Bekenntnisses? Kann darauf keine Antwort gegeben werden, dann ist die Kirche irreformabel, mag sie sich auch noch so oft als ecclesia semper reformanda bezeichnen. Hier eröffnet sich eine unüberwindlich scheinende Schwierigkeit: Unfehlbar ist nur die Gesamtkirche; zugleich ist jede Kirche gezwungen, selbständig Bekenntnisentscheidungen zu treffen. Dombois löst sie durch die „Rollenverteilung” eines mehraktigen „Vorgangs”: Zur Entscheidung berufen ist immer die Gesamtkirche, was aber nur heißt, daß sie als ganze beteiligt sein muß. Zunächst entscheidet immer ein „Teil” der Kirche, grundsätzlich das ökumenische Konzil, subsidiär eine Teilkirche(-nsynode), und der Rest der Kirchen rezipiert (anerkennt) diese Entscheidung, bekennt sie als verbindliches Wort des der Gesamtkirche verheißenen Geistes. Das ist das Verfahren der Bekenntnisbildung und -fortbildung. Ökumenisch verbindliche Bekenntnisbildung ist wechselseitige Anerkennung geistlicher Bekenntnisentscheidung54.
53) SS 45, GRE 101, 161, Kathol. 176, OU 6
(4.), 30, 69, 92, Berichtskizze 251, RdG 687-690, 698, 823; zur
personalen Seite des Dogmas vgl. auch RdG 679; 705: „Aber wo ist
die Kirche, die daran denkt, das Bekenntnis zu überprüfen?” —
Folglich präjudizieren die verschiedenen Lösungen des
Verhältnisses von Bekenntnis und Schrift in den Konfessionen auch
deren Verfassungsformen, RdG 725.
54) OU 40, RdG 689, 699-703, 714 - weit über CrE 15
hinaus. Zum Verhältnis von Bischof und Konzil: OU 5. Eine
Ortskirche allein kann nur sich selbst verpflichten, ➝
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Die Verbindlichkeit dieses Gesamtaktes beruht nicht auf kollegialistischem Konsens, sondern auf der repräsentativen Bezeugung des Geistes (iurisdictio) im Wort, der Aufnahme (receptio) und Weitergabe (traditio) des Geistes in der Geschichte. Dieses Zusammenwirken von Orts- und Gesamtkirche macht die ökumenizität des Bekenntnisses aus. Es verbürgt zugleich die ökumenizität des bekennenden Rechtes und die Katholizität der Kirche55.
Auf je verschiedene Weise versuchen die Konfessionen dem „Zwang zu geschichtlicher Entscheidung” auszuweichen. Die katholische Lehre behandelt das Dogma als ungeschichtliche Wahrheit, die allmählich epiphaniert. Die reformatorische Lehre mißachtet dagegen die Verbindlichkeitsentscheidung, die in jeder Dogmatisierung enthalten ist. Reformierte Synoden entscheiden zwar, aber nicht auf Dauer, sondern aus einem „pneumatischen” Aktualismus heraus. Die lutherische Kirche hat die Organe verfallen lassen, die zur Bekenntnisbildung berufen gewesen wären. Die Ostkirchen erklären sich selbst zu ökumenisch verbindlicher Entscheidung außerstande, da sie nur Teilkirchen sind. So gehen alle am Problem der Geschichtlichkeit vorbei. „Die großen Körper der Kirche fallen in der Gegenwart hoffnungslos zwischen Aktualität ohne Bekenntnis und Bekenntnis ohne Aktualität auseinander.” Obwohl jedes geschichtliche Handeln — auch das der Kirche — vorläufig und vom Irrtum bedroht ist, besteht dennoch kein Anlaß, vor Dogmatisierungen zurückzuscheuen; ist doch das Bekenntnis nur „geistgewirkte Antwort” auf den Anspruch Gottes in der Geschichte, so daß „im wesentlichen” der „gleiche” Inhalt ausgesagt wird56!
➝ RdG 705; auch eine — grundsätzlich mögliche (arg. oben
71048) — päpstliche Entscheidung bedarf
gesamtkirchlicher Rezeption. Zum Konzil s.o. 71151. —
In die gleiche Richtung geht W. Kasper StZ 1967 410 ff.
55) OU 38 ff., RdG 697 ff., 701 ff. Mit Schärfe wendet
sich Do. gegen den Partikularismus und das Souveränitätsstreben
der Landeskirchen (dazu speziell „Institutionelle Reform . . .”
[1964] und „Zur Kritik am Landeskirchentum” [1965]), aber auch
gegen das Infallibilitätsdogma (dazu wieder
71048).
56) OU 69 f., Kathol. 176, RdG 380, 687 mit W. Maurer
(eine „pneumatische” Begründung der Irrtumslosigkeit der
Kirche!), 714. Vgl. zuletzt N.A. Nissiotis KuD 1964 153: „Für die
Orthodoxen ist es gegenwärtig äußerst problematisch . . ., daß
eine einzige Kirche ein ökumenisches Konzil einberuft.”
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Das Handeln der Kirche darf nicht auf die Wortverkündigung beschränkt werden1. Erst Wort und Sakrament zusammen ergeben die Totalität christlicher Existenz. Deshalb ist nach der Rechtsstruktur der Wortverkündigung die des Sakraments darzulegen.
Im rechtshistorischen Teil seiner Untersuchungen zum Sakramentsbegriff2 verweist Dombois zunächst auf die bekannte Bedeutungsgeschichte von sacramentum als Übersetzung von μυστήριον. Sacramentum hat im vorchristlichen Gebrauch zwei Bedeutungen, eine prozessuale und eine materielle. Es ist sakrales Prozeßpfand, das der Unterlegene an die Gottheit verlor, und es ist Fahneneid als eine spezielle Form persönlicher Weihe an die Gottheit. Entgegen der herkömmlichen Betrachtung lehnt Dombois es ab, nur den Fahneneid für den christlichen Sakramentsbegriff bedeutsam sein zu lassen3, sachlich deswegen, weil damit regelmäßig die unzureichende Deutung als religiöse Selbstverpflichtung erscheint4, historisch gesehen, weil (mit H. von Soden) die ältere prozessuale Bedeutung nie verlorenging: Beide Bedeutungen müssen auf eine gemeinsame Wurzel zurückgehen. Sie liegt, noch vor dem Eid, in den Begriffen des Angeldes, Handgeldes, Pfandes, die hier eng zusammenrücken.
1) RdG 806, auf K. Barth gemünzt (!). —
Sakramentsrecht ist, um es noch einmal hervorzuheben, nicht die
nachträgliche Ordnung der Sakraments„verwaltung” (-spendung),
sondern die dem Sakramentsvorgang selbst innewohnende
Rechtsdimension (RdG 792).
2) RdG 132-139 für alles Folgende. Dabei stützt sich
Do. einerseits auf H. v. Soden, G. van der Leeuw, G. Bornkamm, A.
v. Harnack, andererseits auf die Romanisten Käser, Mommsen und
Quaritsch, schließlich auf M. Weber. Ernst Wolf merkt (gegen das
Denken in Rechtsstrukturen?) „eine etwas gewalttätige
Vereinfachung” an (ZevKR 1963/64 82 f.).
3) Dies ist allerdings die allgemeine Ansicht (z.B.
RdG 161 A. 48 H. Kirsten; vgl. als eine katholische Stimme für
viele H.R. Schlette HthG II 457).
4) So seit Tertullian die h. M., RdG 132 ff., 304 f. —
Die Tauf„verpflichtung” läßt die „Gabe” Christi zurücktreten und
stellt das Werk des Menschen gefährlich in den Vordergrund; damit
wird die Taufe entwertet, RdG 305. Die nachfolgende
„Versiegelung” durch das Taufbad ändert nicht mehr die falsche
Reihenfolge! (RdG 306).
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Das sacramentum ist das Handgeld5, das der Soldat von seinem Kriegsherrn bekommt, und drückt seine Gestellungspflicht aus. Sacramentum ist zugleich das Prozeßpfand, mit dem „sich” der Kläger für die Richtigkeit seiner Klage verbürgt. In beiden Fällen begründet das sacramentum ein personenrechtliches Zuordnungsverhältnis auf Treue — zwischen Soldat und Kriegsherrn, zwischen Kläger und Richter als dem Repräsentanten der Gottheit. Dahinter steht die Vorstellung der magischen Identität von Geber und Gabe: Das Pfand repräsentiert den Verpfänder. In beiden Fällen ist ein Eid einbezogen. Der Soldat beschwört das eingegangene Treueverhältnis und gelobt Gehorsam und Treue. Der Kläger beeidet die Richtigkeit seiner Klage.
Dombois glaubt (mit H. von Soden und G. van der Leeuw), daß diese Vorstellungen in den altchristlichen Sakramentsbegriff mit eingeflossen sind. Sie sind deshalb auch zur Erhellung seiner Rechtsstruktur dienlich. Dabei verschiebt sich unbemerkt Dombois’ Interesse auf die prozessuale Seite, wie so oft, wenn Polemik im Spiel ist.
Bei der prozessualen Deutung ergeben sich zwei Schwierigkeiten. Ist das christliche Sakrament das heidnisch-magische prozessuale Prozeßpfand, nur mit dem Unterschied, daß sich Christus im sacramentum uns verpfändet? Wie stimmt es überein, daß beim Treueverhältnis des Soldaten Pfand (Handgeld) und Eid von verschiedenen Seiten ausgehen, beim Prozeß aber von der gleichen?
Die erste Frage versucht Dombois dadurch zu beantworten, daß eben nicht eine Sache eine Person repräsentieren könne. Vielmehr nehme Christus die Sachen (Wasser; Brot und Wein) in Dienst als Mittel der Kommunikation, indem er sich in sie entäußert6.
Zum zweiten verweist Dombois auf die Lage des Menschen vor Gott: Er ist notwendig der ungerechte Kläger. Für ihn muß der gerechte Richter (Christus) eintreten, sich in die Rolle des ungerechten Klägers begeben, sich selbst für ihn als Pfand geben, damit durch ihn der
5) Rechtshistorisch und-anthropologisch zum
Angeld RdG 138 f.; mit H. Schlier zur Taufe als Angeld
RdG 310: es ist nicht primär „schuldrechtliche” Verpflichtung,
sondern begründet als Anfang der Erfüllung eine
personenrechtliche Zuordnung, die (quasischuldrechtliche)
Verpflichtungen enthält. Damit stützt sich Do. auf M. Webersche
Gedanken, vgl. RdG 303. Die Hypothese des Angeldes geht auf H. v.
Soden zurück, RdG 135 f.
6) RdG 106 f., 137. — Zur Kritik s.u. 785.
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ungerechte Mensch den prozessualen Rechtsstatus des Gerechten vor Gott erhält. „Der Richter gibt sich für den Schuldigen. Das ist das evangelium abbreviatum”7.
Diese Analyse des Sakraments als „Prozeßpfandsetzung” Gottes für den Menschen erweist die völlige Ungeschuldetheit der sakramentalen Gnade und wahrt den personalen Vorgangscharakter des Sakraments gegenüber der augustinischen Verengung auf Wort und Zeichen8. In rechtlicher Hinsicht bedeutet die Ungeschuldetheit die Gabestruktur des Sakraments, damit seine Zugehörigkeit zum Gnadenrecht.
Diese ursprüngliche Vollgestalt des Sakraments wird später auf verschiedene Weise gefährdet: Bei Tertullian schon tritt bei der Taufe die Selbstverpflichtung beherrschend hervor; Augustin reißt res und signum auseinander und läßt damit das personal-relationale Element zurücktreten; das Interesse beschränkt sich immer mehr auf das individuelle Heil („pro me”); mit dadurch bedingt ist die Abgrenzung des ursprünglich sehr weiten Sakramentsbegriffs auf die Siebenzahl in der Früh-und Hochscholastik; der Zusammenhang des Sakraments mit der Gemeinschaft geht verloren; die Laiengemeinde wird zum Gottesdienst nicht mehr benötigt (Privatmesse!) und zur „Welt” gezählt; das Interesse am opus operatum, am alleinigen Handeln Gottes verstärkt diese Tendenzen; aus dem Aristotelismus dringt das kausale Denken immer weiter vor, löst komplexe Vorgänge in einlinige Ursachen und Wirkungen auf, führt zur Spaltung der Kirchengewalt in einen Jurisdiktionellen und einen sakramentalen (d.h. zugleich: nicht rechtlichen) Bereich; der Naturbegriff wandelt sich; das Sakrament wird zur mirakelhaften Durchbrechung der Kausalität, vor dem man in das Mirakel der Innerlichkeit flieht. Dies und der Subjektivismus sind die Gefährdungen, denen auch die Reformation nicht gewachsen war.
Im frühen Mittelalter beginnen die alten Realsymbole ihres realen Gehalts entleert zu werden, sei es in ein „signifikatorisches” („das bedeutet . . .”) oder in ein „konfirmatorisches” Verständnis (Sakrament
7) Oben 75128, RdG 136 f., 439.
Freilich führt diese Betrachtungsweise nur ein Stück weit.
Christus vereinigt hier zwei Rollen in einer Person, die des
ungerechten Klägers und die des göttlichen Richters, beide real
repräsentierend in Tod und Auferstehung (übrigens kein —
rechtlich axiomatisch verbotenes — Insichgeschäft!).
8) RdG 136 f., 439.
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als „psychologisch” wirkende Vergewisserung des Heils). Auch wo (namentlich auf lutherischer Seite) das Sakrament noch ernstgenommen wird, bewirkt die unüberwindliche Subjekt-Objekt-Spaltung die falsche Gegenüberstellung von sachhaftem Sakrament und personaler Gemeinschaft bzw. von sachhaftem Sakrament und personaler Verkündigung, wobei das Gewicht auf letzterem liegt — letztlich doch nur eine Fortsetzung der scholastischen Spaltung von Sakrament und Gemeinschaft.
Alle diese vielfältigen Aspekte des Sakraments scheinen von einem personal-relationalen Rechtsdenken her vereint werden zu können9, das neue Erwägungen zu Begriff, Zahl und Einteilung der Sakramente veranlaßt (c 2 a - 2 c).
Dombois schlägt deshalb folgenden Begriff des Sakraments vor: „Sakrament ist eine der Kirche Jesu Christi übertragene verbale und reale, sein Heilshandeln und seine Zukunft dankend und fürbittend repräsentierende Handlung, welche intendiert, einen Menschen zu einem Gliedmaß Christi zu verordnen, und welcher für den Glauben die Verheißung der Erfüllung beigegeben ist”10.
Das bedeutet: Das Sakrament ist ein mehraktiger realer „Vorgang” mit der typischen institutionellen und gnadenrechtlichen Struktur der Gabe — Aussonderung — Einordnung in einen neuen Status11.
Das Sakrament geht nicht nur auf einen Stiftungsakt Christi zurück, sondern „ist” selbst Stiftung von Todes wegen, „in der der Stifter fortdauernd präsent ist”; es ist Gegenwärtigsetzung, Repräsentation des
9) ZevKR 1957/58 424, Priest. 68 zu P. Althaus,
RdG 86, 191, 238, 243 f., 304, 326, 336 f., 393, 418, 435 A. 76,
439-443, 448 f., 451 f., 460 f., 463, dazu oben
73036.
10) RdG 461. — Vorstufe MuS 96 f.: personal-bezogene,
real-wirkende Sinnbildlichkeit. Es fällt auf, daß der sonst
übliche Hinweis auf die grundsätzliche Nichtdefinierbarkeit
personaler Begriffe hier unterbleibt. Daneben der
religionssoziologische Gebrauch, z.B. die Strafe als „Sakrament
des Alten Bundes” (Richteramt 72, 77, MuS 96 f.) — also kein
terminologischer Rückgriff auf patristischen Sprachgebrauch!
11) Priest. 68 f., RdG 38, 238, 244, 461, 465, 585.
Zum anspruchsrechtlichen Element s.u. Die nur-normative Deutung
des Sakramentsrechts dagegen vermag nur zu sagen, „unter welchen
Voraussetzungen das sakramentale Handeln etwa zu sollen sei”, RdG
448.
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Heilswerkes Christi12; es ist Gnadengabe, der aber die „Verheißung der Erfüllung” gegeben ist, Gnadengabe ferner auch darin, daß man sie nicht an sich selber vollziehen kann, sondern auf das priesterliche Handeln der Glieder des Leibes aneinander angewiesen ist: man muß sich das Sakrament spenden lassen. Die so vermittelte Gnade ist also eine Relation (kein „Etwas”!), stiftet Heilsgemeinschaft in, mit und durch Christus.
Die Sakramente bewirken die Einordnung in den Christusleib (die der gläubigen „Annahme” bedarf) und darum die Scheidung von der Welt (darin ein Urteil über den Stand des Menschen vor Gott — anspruchsrechtliches Moment). Die sakramentale Gemeinschaftlichkeit der gottesdienstlich verfaßten Gemeinde gewährt (bei den einzelnen Sakramenten in je verschiedener Weise und Dichte) die neue Freiheit Christi, den neuen Rechtsstatus des Erlösten vor Gott in seiner neuen mannigfachen Struktur.
Dieses institutionelle Verständnis des Sakraments vermag falsche Antithesen in der evangelischen Sakramentslehre zu überwinden, da es Institution und Gemeinschaft, Handeln und Wort organisch verbindet. Die Gemeinde hat im Sakramentsrecht ihre Bedeutung wiedererlangt. Die Sakramente erfassen alle Dimensionen menschlicher Existenz bis in den dinghaften Bereich des sakramentalen Zeichens und verbinden so Person und Sache. Die Deutung des Sakraments als Vorgang der Repräsentation vermag schließlich die Geschichtlichkeit der christlichen Existenz auch im sakramentalen Bereich aufzuzeigen13.
12) Richteramt 72, RdG 111, 158, 461, Ausübung
der Jüngervollmacht 461 (1.), dazu oben 629 f. zum Neuen
„Testament”. Zur „Stiftung” des Einzelsakraments RdG 457 ff.,
ähnlich K. Rahner Qd 10: sie ist in der Kirchenstiftung
impliziert. — Ernst Wolf ZevKR 1963/64 83 wendet sich gegen Do.s
Sakramentsauffassung: Zwar sei der evangelische Sakramentsbegriff
durchaus zutreffend erfaßt, aber das Eigentliche sei der
Rückbezug auf die Stiftung und die konstitutive Bedeutung des
Wortes Gottes für das Sakrament — also genau das, was Do. mit dem
Rechtsbegriff der Repräsentation und der Rechtsstruktur der
Verkündigung sagen will; vgl. wieder RdG 410: Wort und Sakrament
„sind zwei Weisen ein- und desselben Wortes Gottes”. Do. ist nur
nicht bereit, die Predigt vor das Sakrament zu stellen, oben
7386.
13) GRE 13, 142, MuR 117, Priest. 68 f., 74 ff., RdG
38, 86, 200, 238, 243 ff., 249 ff., 258 ff., 326, 446, 457 f.,
461, 468, 631 f., 752; 414 f. i. V. m. 283 Loslösung und
Einordnung als personal-geschichtliche bzw. sakramentale
Struktur; wichtig auch (in obiger Definition) das
konsekratorisch-epikletische Danken und Bitten (= Annahme!). —
Dazu s.o. 701 ff. zur Repräsentation, ferner RdG 446: Das
Eigentliche des Sakramentsbegriffs ist „das direkte,
heilsgeschichtliche, vollmächtige Handeln des ➝
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De numero sacramentorum non est disputandum. Denn „Sakrament” ist kein biblischer Begriff, die formelle Siebenzahl ist bekanntlich scholastischen Ursprungs, und gegen abstrakte Oberbegriffe bestehen ohnedies Bedenken14. Vielmehr soll man sich über die Sache verständigen, nämlich über diejenigen gottesdienstlichen Vorgänge, die das Heilswerk Christi in „realen” Handlungen wirksam repräsentieren.
Damit ergeben sich mehrere Abgrenzungen. Das „Wort” ist in diesem Sinne kein Sakrament, da es nur verbal ist, nicht verbal und „real” zugleich. Erst recht ist nicht alles und jedes kirchliche Handeln Sakrament15, obwohl man analog von Christus und der Kirche als dem Ursakrament sprechen kann16. Auch das reformatorische „Handeln auf Wort und Befehl Gottes” kann den Sakramentsbegriff nicht ablösen, weil es einerseits zu weit ist (zu vieles fällt darunter, was qualititiv verschieden ist), andererseits zu eng (das Spezifikum des Sakraments, daß es zur Kirche vollmächtig zuordnet, ist nicht enthalten), ganz abgesehen von der voluntaristischen Form der Aussage.
Dombois geht eigene Wege. Von der Scholastik übernimmt er als echte geschichtliche Entscheidung der Kirche die Einengung auf repräsentierende Realhandlungen und — über R. Sohm — die Rangstufung in sacramenta salutaria, ordinatoria und confirmatoria. Salutaria sind die „beiden Hauptsakramente”, Taufe und Abendmahl, dazu die Buße; ordinatoria sind die „Standessakramente” Ordo und Ehe, confirmatoria Konfirmation und Krankenölung. Damit ist das evangelische Anliegen des Vorrangs von Taufe und Abendmahl mit dem katholischen der Siebenzahl verbunden. Einerseits erfassen alle Sakramente den
➝ Menschen am Menschen”; es sind diejenigen
„existenzbegründenden Handlungen, die der Mensch an sich
vollziehen lassen muß”, Priest. 74 ff., RdG 246. In dieser
Hinsicht verdient die Vorstellung der repräsentierenden
Kommunikation durch die Sakramentselemente Beachtung (RdG 106;
religionssoziologisch schon Richteramt 72, MuS 96 f.). Do. kennt
die katholische Literatur zum Sakrament als Repräsentation und
Kommunikation, moniert aber ihre „untaugliche Begrifflichkeit”,
RdG 472 A. 31.
14) OU 38, RdG 132, 410, 462, 480; zu ähnlichem
Ergebnis kommt J. Finkenzeller FS Schmaus II/2.
15) RdG 439 ff., 461 (2.); 462 ff. gegen G. van der
Leeuw 1959. Gleichwohl hat man eine „Sakramentalisierung größten
Stils” (S. Grundmann ThLZ 1963 806), „rechtstheologischen
Pansakramentalismus” (Ernst Wolf ZevKR 1963/64 82 f.) gerügt,
teils aus dem Gedanken des Primates des Wortes, teils aus einer
traditionell „unliturgischen” Haltung bzw. der Ablehnung jeder
noch so verborgenen theologia naturalis (dazu vgl. aber
RdG 136 f., 464) im Gefolge der dialektischen Theologie.
16) OU 33, 38, RdG 439 ff. — hier auf Sohm
zurückgehend.
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ganzen Menschen und ordnen ihn ein in den Leib Christi; andererseits geschieht dies in verschiedener Intensität: die salutaria in jeder Beziehung, die ordinatoria in Beziehung auf einen gliedschaftlichen Dienst bzw. Stand („Rolle”), die confirmatoria bestärken, ergänzen und vollenden diese Zuordnung17. Das führt zum sacramentum Spiritus sancti.
Das sacramentum Spiritus sancti ist der Versuch, alle sakramentalen Handlungen außerhalb der beiden Hauptsakramente in einem einzigen, dritten „Sakrament des Geistes” zusammenzufassen. Dieses kühne Unternehmen wäre sachlich ein Brückenschlag zwischen den Konfessionen mit rechtlichen Mitteln.
Dombois weist auf mehrere strukturelle Gemeinsamkeiten hin. In negativer Hinsicht sind diese fünf Handlungen (Buße; Ehe, Ordo; Konfirmation, Krankenheilung [!]) nicht an den Hauptsakramenten orientiert; auch die Stiftung durch Christus und bestimmte qualifizierte „Elemente” lassen sich schwer nachweisen18.
Wichtiger sind die positiven Übereinstimmungen. Das gemeinsame Zeichen dieser fünf Handlungen ist die Handauflegung19, die nicht „Element” ist, sondern „instrumentale” Geistmitteilung durch die menschliche Hand; sie löst aus einer leiblich-geistlichen Verstrickung (bei Buße und Krankensalbung) und ordnet der Gemeinschaft stärker zu (bei allen). Überall steht das Wirken des Geistes im Vordergrund: Denselben Geist erbittet die Kirche als personale Gabe und gibt sie
17) RdG 441 ff., 445 f., 449, 456 ff. Do.
diskutiert dazu die verschiedenen Zählungen in der Frühscholastik
und der beginnenden Kanonistik. Sein Interesse geht dabei auf die
sachlichen Zusammenhänge innerhalb der Aufzählungen. Näheres zur
confirmatio unten 77130.
18) RdG 457 f. Die juristische Methode ist also hier
wieder der morphologische oder Strukturvergleich.
19) Zur Handauflegung und zum folgenden RdG 457 ff.;
„die eigentliche sakramentale Handlung” RdG 536 (bei der
Ordination); zur Handauflegung als Segnung und Geistmitteilung in
der Schrift: 338 f., 473 ff. mit E. Lohse (nicht nur
„bestätigender” Sinn der Handauflegung); zu den einzelnen
Sakramenten: Buße 458, 736, 751; Konfirmation 333, 459;
Ordination 459 f., 499 f., 772; Ehe 668 (4.); Krankenheilung 458,
766 (das öl der Krankensalbung [Jak 5.14 ff.] ist kein „Element”,
RdG 458). Entartungen im Verständnis der Handauflegung gegenüber
dem NT: bloße Bestätigung RdG 474; „Versicherung” 502; ἀδιάφορον:
536, 594; das jüdische Verständnis 772. Geistwirken als das
epikletische Element auch in Taufe und Abendmahl: RdG 459, 480,
unten 773 f. Auf die Frage der geschichtlichen Variabilität des
sakramentalen Zeichens geht Do. nicht ein. — Zur Handauflegung
als Rechtsakt: J. Neumann FS Schmaus II 1419 ff.
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zugleich bevollmächtigt weiter. Die Stiftung dieses sacramentum Spiritus ist in der Schlüsselgewalt und der pfingstlichen Geistausgießung mit enthalten.
Zweifach ist die gnadenrechtliche Struktur dieses Sakraments: Ausübung geistlicher Vollmacht und Gabe der Gaben des Geistes.
Die Gnadenrechtsstruktur der Sakramente soll im folgenden an den drei Sakramenten Taufe, Abendmahl und Buße aufgezeigt werden. Auf die hochbedeutsamen Ausführungen zur Ordination und Ehe kann nur hingewiesen werden, da sie zum Rechtsbegriff nichts hinzufügen.
Das Taufkapitel in „Recht der Gnade” interpretiert zunächst die neutestamentlichen Taufberichte und die frühchristliche Tradition unter rechtlichem Aspekt, gibt darauf aufbauend systematische Hinweise20, setzt das Tauf geschehen mit dem Kindschafts- und Adoptionsrecht in Beziehung und schließt mit Bemerkungen zur Kirchengliedschaft, Kindertaufe und Konfirmation ab.
Bei den neutestamentlichen Taufaussagen stützt sich Dombois nur auf die Berichte von der Jordantaufe Jesu und in der Apostelgeschichte (Kap. 8-11), weil sie noch den Vorgang erkennen lassen; das neutestamentliche Taufkerygma dagegen wird eher vorausgesetzt21. Auch hier
20) RdG 296-332, besonders in
Auseinandersetzung mit O. Cullmann, A. Stenzel, H. Kirsten,
einschließlich der Jordantaufe; zur frühchristlichen Tradition:
fast ausschließlich als Polemik gegen O. Heggelbacher (a. M.
Ernst Wolf ZevKR 1963/64 88); systematisch: besonders gegen K.
Barth, ferner gegen H. Mentz, M. Schoch u.a. Vor RdG findet sich
wenig: neben rechtssoziologischen Bemerkungen (NRE 37 ff.) nur
Ausführungen zur persona in ecclesia.
21) In theologischer Hinsicht fällt mehreres auf: Der
Kern des Taufgeschehens ist bei Do. das Wort, nämlich (mit
Stenzel, nicht Kirsten!, RdG 300 f.) das Taufbekenntnis, also
nicht das Untertauchen als Realsymbol. Freilich ist das nicht im
Sinn der Barthschen Worttheologie zu verstehen, wie der Hinweis
auf W. Joest (RdG 300 A. 30, 357) und die Rechtsinterpretation
als reale Inkorporation zeigen. Die Taufe selbst ist Eingehen in
den Tod Jesu (RdG 318 f.) und Christusteilhabe (RdG 307 f.,
σύσσωμος ἐν Χριστῷ, Eph 3.6); das Mit-Auferstehen als
proleptische Teilhabe am neuen Leben (Rom 6.4, Kol 2.12 u.ö.) ist
nicht eigens ausgesagt (vgl. dagegen E. Dinkler RGG VI 631: „die
durch das Taufgeschehen geschenkte [ebd.:
„proleptische”] reale Teilnahme an Kreuzigung und
Auferstehung Christi”), wobei Do. RdG 310 ff. mit E. Dinkler
(ebd.) und der allg. Meinung der katholischen (vgl. O. Kuss ThuGl
1952 401 ff., Röm. 297 ff., 307 ff.) und evangelischen Exegese
gegen K. Barths „kognitive” Deutung der Taufe Stellung
nimmt.
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erhebt Dombois die Rechtsstruktur aus dem Vorgang und trifft auf gaben- und anspruchsrechtliche Züge.
aa) Gabenrecht
Die Taufe ist ein gnaden-rechtlicher geistlicher
Vorgang22. Sie ist das Rechtsgeschehen, in dem kraft
göttlicher Erwählung dem Menschen gewährt wird, sich in einem
Unterwerfungsakt der göttlichen Herrschaft zu unterstellen.
Dadurch gewinnt der Mensch Anteil an der Selbsthingabe Christi in
seinem Opfertod; die Hingabe Christi wird zur Gabe
(traditio), die am Sünder lebendige Gegenwart wird. Die
Heilswirklichkeit wird repräsentiert und tradiert im
Taufgeschehen. Das Taufbekenntnis des Täuflings auf die Tauf
fragen ist die geistgewirkte Annahme23
(receptio) des göttlichen Angebots im Akt des Glaubens.
Darin liegen Absage und Zusage; Absage an die Welt, Zusage zum
neuen Status der Teilhabe am Neuen Äon, Scheidung von der Welt
(iurisdictio) und Zuordnung (ordinatio) zur
eschatologischen Gemeinschaft der Getauften, Abwendung von der
„Sündenexistenz” und „reale Inkorporation”. So gewinnt der
Getaufte den neuen Christen-Stand der „Gemeinschaft mit und durch
Christus”, damit der Rechtspersonalität vor Gott mit den
nachfolgenden institutionellen Rechten und
Verpflichtungen24 und der eschatologischen
Verheißung.
Deutlich sind die zwei Rollen (Täufer und Täufling) und
die
22) Zum folgenden NRE 37, MuS 125 f., ÖR 1958
16 f., Priest. 65 f., RdG 238, 290, 296-300 (dort auch:
abrenuntiatio als rechtlicher Unterwerfungsakt), 302 f.,
307-311, 314, 316, 318 f., 819. Zur zeitlichen Differenz von
Glaube und Taufe: Priest. 66 f., RdG 238, 313.
23) Die Annahme geschieht höchstpersönlich oder durch
die Eltern, arg. RdG 315 f. gegen M. Schoch und E. Brunner, die
die Taufe namentlich in den Missionsgebieten fakultativ zu machen
anraten; dazu und dagegen die „rechtssoziologischen Bemerkungen
zur Kindertaufe” RdG 328 ff. Gegen die Frühtaufe (intra-uterine
Taufe) RdG 319. Auch die Gemeinschaft rezipiert den Täufling
durch die personale Rolle des Täufers; vgl. unten zur
Kindesaufnahme. In Vertiefung der traditionellen Rechtsaussage,
daß die Taufe die Kirchengliedschaft begründe, zeigt Do., daß die
Kirchengliedschaft nicht erste, sondern zweite Wirkung der Taufe
ist: Weil die Taufe zur Rechts-persona coram Deo macht,
ist der Getaufte persona in ecclesia (NRE 37, RdG 309
f., 323). Die Taufe wird also nicht von der „Kirche im
Rechtssinn” isoliert (a. M. HK 1962 578). — Natürlich handelt in
Täufer und Täufling der Geist Christi wie sonst auch, RdG 297
ff.
24) Rechte, bes. Zulassung zum Vollgottesdienst; unten
772 31; Pflicht: RdG 138 f.
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Doppelaktigkeit: von Absage und Zusage, von Scheidung und
Zuordnung, Sündenvergebung und Christenstand, von Beschlagnahme
und Vergemeinschaftung — das ist: von Restitution und
Institution. Man kann also Glaubens-Bekenntnis und Taufe nicht
trennen. Es ist ein geschichtlicher und institutioneller
Gnadenrechts-Vorgang. Darum ist die Taufe strukturell eng mit der
Einbürgerung und der Immatrikulation verwandt25.
Besonders bedeutsam ist die Deutung der Taufe als
Kindesaufnahme, die auch der Sdiilderung des
Taufvorgangs am Jordan zugrunde zu liegen scheint26.
In fast allen alten Kulturen (außer der römischen) bedurfte es
zur Entstehung der Rechtspersonalität des Kindes außer der Geburt
durch die Mutter noch eines eigenen Rezeptionsaktes, meist durch
den Vater, der es dadurch als sein Kind „anerkannte” (keine
Adoption!).
ab) Anspruchsrecht
In diesem gnadenrechtlichen Vorgang sind anspruchsrechtliche
Elemente „aufgehoben”. Er wird eingeleitet und ausgelöst durch
den Anspruch an den Täufling aus der missionarischen
Verkündigung. Dieser Anspruch zielt auf die Entscheidung des
Täuflings zur Taufe, die im Taufbekenntnis laut wird. Er fordert
den Glauben. In den Tauf fragen urteilt (entscheidet) die Kirche
darüber und anerkennt den Glauben des Täuflings durch den Vollzug
der Taufe. Auch hier handelt es sich um einen Vorgang mit zwei
Rollen. Der Täufer prüft die Angezeigtheit dieses geistlichen
Handelns (iurisdictio), der Täufling bekennt den Herrn,
bezeugt dessen Anspruch (und damit seine eigene Schuld) und
anerkennt somit die Christusherrschaft. Weil aber das Bekenntnis
25) Berichtskizze 253, RdG 297 ff., 301 ff.,
307 f., 311, 316, 319, church 116 f.; Selbsttaufe ist
ausgeschlossen, „priesterlich”-stellvertretendes Tun: RdG 238,
297 ff.; zur Immatrikulation RdG 313; zur Einbürgerung RdG 176,
196, 311 f. in (allzu scharfer, Ernst Wolf ZevKR 1963/64 88 f.)
Polemik gegen K. Barths Versuch einer rechtlichen Auslegung, die
Do. als „Herausforderung an den Juristen” empfindet, RdG 311.
Dagegen sei die Taufe als Initiation kein Rechtsakt, RdG
306 — was schwer einzusehen ist, jedenfalls bei dem weiten
Rechtsbegriff Do.s; die Ethnologie hat sie vielfältig als
Rechtsvoraussetzung für bestimmte soziale Ämter, für die
Eheschließung, ja sogar für die (rechtliche!) Zeugungsfähigkeit
festgestellt.
26) Die Innere Mission 1963 255; RdG 316 ff. zu Mk
1.11 par.; vgl. den Hinweis auf den Rezeptionsakt 1 Mos 1.31. —
Ähnlich auch K.H. Rengstorf NTD 3 zSt.; kritisch aber Ernst Wolf
ZevKR 1963/64 88 f.
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zugleich Annahme der Gabe ist, verschränken sich Anspruchs- und
Statusrecht27.
Überblickt man die gnaden- und anspruchsrechtlichen Elemente, die
im Vorgang der Taufe bei Dombois auftreten, so ergibt sich in der
Tat die vollständige und typische neutestamentliche Taufstruktur.
Es ist „die charakteristische Reihe (missionarische) Predigt —
Glaube — Bekenntnis — Taufe”28.
Eine Reihe von Mißdeutungen sind durch das gnadenrechtliche Verständnis der Taufe vermieden: Sie kann, so wenig wie die Sakramente überhaupt, weder als bloßes Glaubenszeichen, noch als „schuldrechtlicher” Vertrag, noch (sacramentum als Fahneneid) als Selbst,, Verpflichtung” angesehen werden29. Freilich läßt Dombois noch in der Schwebe, ob bei der Taufe auf der Restitution oder der Institution das Gewicht liegt, ob also die Taufe den Tod wirkt oder auch die Auferstehung, ob sie zusammen mit der Konfirmation selbst wieder einen Doppel-Rechtsvorgang bildet, der von der mehr scheidenden Taufe zur mehr zuordnenden Geistsalbung geht, oder ob sie schon die Fülle des Geistes vermittelt30.
Jedenfalls zeigt die Deutung der Taufe als Inkorporationsvorgang
27) Priest. 65 f., RdG 168, 238, 296-300, 818.
Die Frage nach kultischen Taufhindernissen gehört dagegen nicht
ins engere Taufgeschehen. — Zwar handelt es sich beim
Taufbekenntnis in Apg 8.37 um eine Interpolation; aber Do. ist
mit Recht (vgl. G. Stählin NTD zSt.) der Meinung, daß hier
urchristliche Übung aufbewahrt (RdG 299; vgl. das
nichttrinitarische Taufbekenntnis) und deshalb die Struktur
Entscheidung — Bekenntnis allgemein gültig ist (RdG 298).
28) J. Betz HthG II 615 mit vielen Belegen.
29) RdG 301 ff., 304 ff. gegen O. Heggelbacher; vgl.
die Interpretation des sacramentum als Prozeßpfand und
Angeld oben 762f.; Zeichen: Priest. 66f., RdG 238. Das findet Do.
in der Rechtsanalyse des Begriffes ἐπερώτημα (1 Petr 3.21) durch
H. Kirsten bestätigt: sie läuft auf M. Webers „Statuskontrakt”
hinaus, was zwar den Vertrag in sich begreift, aber als personale
Zuordnung („Bund”) weit darüber hinausgeht, RdG 300 ff.
30) RdG 334, 782. — In dieser (altkirchlichen)
Richtung gehen m.E. die vorsichtigen Erwägungen zum
vieldiskutierten Konfirmationsproblem; vgl. außer RdG
333 ff. besonders 318 f., 353, auch 900 (Geistverleihung als
Kindesrezeption und damit als Vollendung des
Kindschaftsverhältnisses), andererseits ist die Taufe
admissio auch zum Abendmahl (unten A. 31) und die
Konfirmation nicht an der Taufe orientiert (RdG 459, anders RdG
333 ff.). Prof. M. Steinheimer OSB danke ich den Hinweis auf P.
Rupprecht ThQ 1947 262 ff., wonach Wassertaufe und
Geistsendung zusammen auch als doppelaktiger Vorgang von Geburt
und Kindesaufnahme durch den Vater gedeutet werden können — wie
in der Jordan„taufe” Jesu, so in der Zweiheit von Taufe und
Firmung.
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die fundamentale Bedeutung des Taufrechts für den Gottesdienst und damit das Kirchenrecht. In der Christusteilhabe begründet die Taufe das trinitarische Recht der neuen Schöpfung. Damit ist das Taufrecht die Grundlage des Kirchenrechts überhaupt31.
Ist aber die Taufe der Grund des Kirchenrechts, so das Abendmahl seine Mitte (unten 3 b) und die Schlüsselgewalt seine Grenze (3 c).
Dombois nähert sich dem Abendmahlsgeschehen von verschiedenen Seiten32. Er untersucht in diesem Zusammenhang den Begriff des Opfers33, namentlich das melanchthonische Begriffspaar sacramentum — sacrificium34, geht dann zur Deutung von Konsekration, Epiklese (und Kommunion) als institutionellem Vorgang über und legt abschließend die in diesem Geschehen vorkommenden personalen Rollen dar. Dabei sucht er wieder durch Rechtsstrukturbetrachtung die Vereinseitigungen der Konfessionen in einer Gesamtkonzeption zu überbieten: weder isolierte Einaktigkeit35 noch Ausgang allein vom Wort36, allein von Christus37 oder allein vom Geist38 führen zum Ziel. Nur die Realisierung der trinitarischen analogia relationis führt zur Gemeinschaftlichkeit des Gottesvolkes in der Feier des Abendmahls per Christum Dominum nostrum in unitate Spiritus sancti39.
31) RdG 208, 211, 290, 312, 320, 322, 325 f.,
348, 819; Taufe als Zugang (admissio!) zum Gottesdienst
(Initiation!), nicht erst Konfirmation, RdG 290 mit P. Brunner,
333 ff.; anders RdG 374 und Erik Wolf oben 374. Zustimmend U.
Scheuner ZevKR 1963/64 70 f. zur Bedeutung des Taufrechts.
32) Dabei ist die Betrachtung fast durchwegs
systematisch, ohne direkten Rückbezug auf die exegetischen
Vorerwägungen.
33) RdG 374 ff., als Gnadenrechtsvorgang RdG 219 f.;
als Bestandteil der Anbetung und als ἀναφορά RdG 381, 577; vor
RdG vgl. besonders NRE 57, OU 34, MuS 20, zu RdG ferner Ernst
Wolf ZevKR 1963/64 87.
34) OU 34, 42, 52, RdG 375 ff.; auch CrE 18, 57, H.
Fagerberg 1952 274 ff., 284 f.; kritisch Ernst Wolf ebd.; dazu
auch K. Rahner Qd 10 nach RdG 375: das Meßopfer der Gemeinde
(i.e.S.) ist im katholischen Sinne kein Sakrament; R.Guardini
1951 279: „Eucharistie . . . ist Opfer und Sakrament in
einem.”
35) RdG 376 ff., 390; entsprechend der scholastischen
Tendenz, FS Karrer 398 ff.
36) RdG 379 ff. gegen die Beseitigung von Präfation
und Anamnese im lutherischen Abendmahlsgottesdienst.
37) D.h. Beschränkung auf Konsekration ohne Epiklese,
RdG 390 ff.
38) D.h. Konzentration auf das Mahl i.e.S.
(sumptio), wie bei den Arnoldshainer Abendmahlsthesen zu
befürchten sei, RdG 390 ff.
39) Entsprechend dem Ziel dieser Arbeit übergehe ich
die ökumenisch so wichtigen Rechtsanalysen von Opfer und
sacrificium-sacramentum und beschränke mich auf den
eigentlichen Rechtsvorgang.
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ba) Kommunikationsvorgang
Das Abendmahl ist ein institutioneller mehraktiger Vorgang der
Kommunikation von Gott und Mensch durch Christus in der
Gemeinschaft des Geistes. Abendmahl ist das Geschehen, in dem der
Geist den Menschen Christus in den Elementen von Brot und Wein
gibt. Es gehört also ins Gnadenrecht. Die von E. Kinder u.a.
herausgestellte Anrede und Glaubensforderung aus dem Abendmahl,
also anspruchsrechtliche Elemente, sind darin eingebettet. Gabe
ist auch, daß der Mensch den Leib und das Blut Christi im Glauben
empfangen kann und daß er durch das Corpus Christi reale
in das Corpus Christi mysticum instituiert wird, um es
in der scholastischen Terminologie zu sagen40.
bb) Konsekration, Epiklese, Kommunion
Der Abendmahlsvorgang ist bei Dombois in die zwei
institutionellen Glieder aufgeteilt: die Absonderung von der
Welt, die Einordnung in die Tischgemeinschaft. Die Scheidung von
der Welt (gleich Sündenvergebung = Restitution) wird
unverzichtbar (!) laut im Confiteor und in der Ausweisung der
Katechumenen41. Die Einordnung in den neuen Status
(Institution) weist drei Einzelakte auf, nämlich Konsekration,
Epiklese und Kommunion, die in sich zusammengehören.
Davon sind Konsekration und Epiklese die Hauptelemente. Die
consecratio ist Danksagung, wie Christus es getan
hat42, damit kultische und (gnaden-)rechtliche
„Repräsentation” Christi; also weder nur Transsubstantiation noch
bloße commemoratio, noch lediglich
„Realpräsenz”43. Als personale repraesentatio
ist sie selbst zweiaktig struiert;
40) RdG 294, 390, 468; Do. drückt das freilich
nicht so aus. Wegen des Gemeinschaftscharakters betont Do. das
Abendmahl, NRE 38. Anspruchsrecht ist auch die geistliche
Entscheidung (iurisdictio) der Zulassung zum Abendmahl,
RdG 169.
41) RdG 415, 734. Absolution also nicht eigens
notwendig, RdG 294 ff., 734.
42) RdG 389. Die Mißdeutung als menschliches „Werk”
ließ sie im evangelischen Gottesdienst immer weiter zurücktreten,
RdG 391. Die consecratio ist „von oben”
sacramentum, „von unten” sacrificium, s.o. A.
34, 39.
43) RdG 390-393, 464 f., 817. — Do. nimmt damit
(unbewußt?, vgl. RdG 464) Parallelentwicklungen auf, die in der
katholischen Dogmatik und der liturgischen Bewegung den
Transsubstantiationsbegriff durch die Gemeinschaftsdimension
vertieft haben (vgl. die Forschungen von J. Pascher, J.A.
Jungmann, O. Casel, V. Warnach, R. Guardini, G. Söhngen, H.
Kahlefeld, R. Schillebeeckx, A.H. Smits und neuestens H.
Manders). — Auch die katholische Exegese hat nicht zuletzt diese
Entwicklung gefördert (etwa V. Warnach, H. Schlier, H. Schürmann
u.a.).
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sie ist erstens Aussonderung von Brot und Wein, deren (zur
Repräsentation befähigende) Beschlagnahme und Indienstnahme für
die Darstellung Christi44, schließlich zweitens die
Repräsentation selbst45.
Die Konsekration kann aber nicht allein bestehen; ihre
komplementäre Ergänzung ist die Epiklese, die Geistanrufung, das
Erbitten und Weitergeben des Segens und der Gemeinschaft des
Geistes, was dem Abendland so fremd geworden ist. Aber Danken und
Segnen sind eins in der εὐλογία des Neuen
Testaments46.
Dieses Ineinander von Gabe und Annahme im Glauben führt tiefer in
die communio sanctorum als „Teilhabe der Heiligen am
Heiligen”. So findet der Kommunikationsvorgang des Abendmahls
seinen folgerichtigen Abschluß in der realen communio,
der sumptio, dem Essen und Trinken von Brot und Wein:
Konsekration, Epiklese und communio, damit das
Abendmahl, erbauen zentral die Gemeinde.
bc) Die sechs „Rollen”
In diesem Geschehen lassen sich (logisch, nicht personell [?])
sechs Relationen unterscheiden:
1. die Repräsentation des Vaters in Christus (durch den Mahl
Vorsitzenden),
2. der Tischdienst Christi (durch den Diakon),
3. das Opfer Christi an den Vater (durch die Gemeinde),
4. die Gabe Christi an die Jünger (durch den Verkünder und den
Austeilenden),
5. die gemeinschaftliche Bitte um den Geist,
6. das Empfangen der Gabe Christi und der communio durch
die Gemeinde.
Auch hierin ist die Gnadenrechtsstruktur enthalten47.
44) Die Gabenbereitung der Messe!
45) RdG 390. — Die repraesentatio ist selbst
wieder Gnade, RdG 105 f. Auch die Repräsentation mittels Brot und
Wein ist repraesentatio: nicht magisches Verhalten (RdG
106 f.), sondern personaler Kommunikationsvorgang (abl. Ernst
Wolf ZevKR 1963/64 81 f.).
46) RdG 386, 389-394, 667. Zur Epiklese i.w.S. als
allgemeinem liturgischen Element RdG 365 (5.) (Eingangsgruß),
501, 505, 474 (Ordination).
47) RdG 393 ff. Do. spricht freilich von den sechs
„Rollen”, nicht Relationen. — Es ist der gegenläufige Vorgang der
repräsentierenden Gabe Christi, die der Annahme bedarf (wobei das
Annehmen-können selbst Gabe ist), die einen neuen Status der
Vergemeinschaftung begründet. Die Amtsproblematik bleibt auch
hier ausgeklammert.
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ca) Die Rechtsstruktur der Schlüsselgewalt im allgemeinen
Die Schlüsselgewalt ist die der Kirche48 von Christus
übertragene Gewalt zu binden und zu lösen49. Sie ist
im Wesen bevollmächtigtes geistliches Urteil über Versagung
der Sakramente („Binden”) und Wiederzulassung („Lösen”) zu
ihnen50.
Als geistliches Urteil ist sie Ausübung richterlicher Gewalt
(„judizieller Charakter”) — zwar nicht „Straf”urteil, wohl aber
(deklaratorisch-)konstitutive richterliche Entscheidung. Da man
sich nicht selbst richten und begnadigen kann, ist sie
„priesterliches” Tun, aber ohne Eigenmacht, „kraft der Identität
des Geistes”, eben weil es sich um eine Bevollmächtigung
handelt51.
Predigen und Sakramentsdarreichung sind dagegen keine
richterlichen Akte; sie zählen darum nicht zur Schlüsselgewalt.
Da sie aber unzweifelhaft Akte der potestas
ecclesiastica sind, ist die Schlüsselgewalt nur ein Teil der
Kirchengewalt, nicht mit ihr identisch. Auch Bekenntnis- und
Lehrentscheidungen, die Gesetzgebung der Kirche überhaupt, sind
nicht Ausübung der Schlüssel; denn sie zielen nicht unmittelbar
auf Versagung der Sakramente oder Zulassung zu
ihnen52.
48) Genauer: dem Amt in Verbindung mit der
Gemeinde, RdG 749.
49) RdG 293, also von dem Missionsbefehl zu
unterscheiden, RdG 859, gegen CA XXVIII; vgl. aber RdG 900. Sie
gehört allein zum geistlichen Regiment, RdG 79; aber keine
Trennung vom Kirchenregiment, Berichtskizze 252.
50) Zur Versagung der Taufe, vor allem Ausschließung
vom Abendmahl und entsprechende Zulassung, RdG 757 f. — Die
Ausweitung auf alle Sakramente (nicht die Predigt, RdG 757)
dürfte der Intention Do.s entsprechen. Widersprüchlich ist in RdG
757 die Taufzulassung Akt der Schlüsselgewalt, während RdG 295,
735 f. die Schlüsselgewalt nur auf Getaufte anwendbar sein läßt.
RdG 732 werden (charismatische) Heilungen zur Schlüsselgewalt
gezählt. Für die „Entamtung” siehe auch RdG 579 f. Mangels
Vollmacht ist nicht jede geistliche Gerichtsbarkeit schon
Ausübung der Schlüsselgewalt, kann aber bei Verstocktheit des
Sünders dazu führen, RdG 732.
51) GRE 156, OU 55, RdG 259, 293, 295 ff. mit P.
Meinhold gegen W. Maurer, 315, 579 f., 733, 735 ff., 742, 752,
754 f., 980; obwohl formal der Strafbegriff erfüllt ist (RdG
735), ist die Schlüsselgewalt doch mehr und anderes (RdG 745,
768); eher ist sie dem Büß verfahren junger Rechtsgemeinschaften
zu vergleichen (RdG 735 ff.). Der „judizielle” Charakter der Akte
der Schlüsselgewalt ergibt sich daraus, daß sonst dem verstockten
Sünder die Absolution nicht versagt werden dürfte. Wird sie
versagt, so impliziert das ein Urteil über den Petenten, RdG 752
f.
52) RdG 755-761, 856 ff., 973 die Ausführungen über
das Verhältnis von Kirchen-, Schlüssel- und Hirtengewalt zum
liturgischen und bekennenden Recht, auf die mit Recht U. Scheuner
besonders hinweist, ZevKR 1963/64 71 f.
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Obwohl die Übertragung der Schlüsselgewalt an die Jünger von
Dombois als Auftrag zur Sündenvergebung bezeichnet wird, muß man
doch unterscheiden. Taufe, Predigt und Abendmahl vergeben
ebenfalls Sünden und sind doch nicht Ausübung der
Schlüsselgewalt, weil sie nicht primär richterliche Akte
sind53, sondern dem liturgischen Recht zugehören. Die
Schlüsselgewalt gehört aber zum bekennenden (d.h. hier:
Anspruchs-)Recht54, wenn auch gnadenrechtliche
Elemente nicht fehlen.
Sie ist ein Geschehen zwischen dem einzelnen und der
Gemeinschaft, der Gemeinde. Das Verfahren kann von beiden Seiten
her in Gang kommen: als Versöhnungsverlangen des einzelnen und
als Bußzucht der Gemeinde. Demnach handelt es sich um zwei
„Grenzsituationen”: Der einzelne bittet um den Zuspruch der
Sündenvergebung, damit um Wiederaufnahme in die Gemeinschaft,
nachdem er selbst sich von ihr getrennt hatte; oder die Gemeinde
schließt den Sünder aus, um ihn zu retten, und nimmt ihn wieder
auf. Es ist also nicht im engeren Sinne gottesdienstliches
Handeln, sondern führt vom Gottesdienst weg und wieder auf ihn
zu55.
Ihr Hauptanwendungsgebiet ist also Abendmahlsausschließung und
-wiederzulassung, d.h. Exkommunikation (Bann) und Absolution mit
Rekonziliation 56 — damit das Sakrament der Buße.
cb) Die Rechtsstruktur der Buße im besonderen
Die Buße ist Sakrament. Sie ist „gestreckter Rechtsakt”, nämlich
zweigliedriger Vorgang, zusammengesetzt aus den zwei Gliedern der
altkirchlichen Rekonziliation: dem „deprekatorischen” und
absolutorischen Fürbittegebet der Kirche über den Sünder, das der
Erhörung
53) RdG 293. — Unterschied von vergebbarer und
unvergebbarer Sünde: RdG 733. Taufe: RdG 294, 736; Predigt: 757;
Abendmahl: 294-296, 734 (2.), 750; auch nicht jedes
Sündenbekenntnis gehört zur Schlüsselgewalt aus dem gleichen
Grund, RdG 734 f. (1.-3.).
54) GRE 156, OU 55, RdG 296, 732 ff., 755, 760 f.;
übersehen von Ernst Wolf ZevKR 1963/64 88.
55) RdG 294 ff., 732 f., 985; darum ist die
Schlüsselgewalt nicht liturgischen Rechtes, sondern ihm nur
zugeordnet, RdG 296; keine Vorwegnahme des eschatologischen
Urteils Gottes: oben 699.
56) RdG 389, 757 f. — Mit Nachdruck verwahrt sich Do.
gegen die spiritualistische Verlagerung in das forum
internum (RdG 747), also gegen die Aufspaltung von Buße und
Strafe, von Weihe- und Hirtengewalt, aus dem Verlust der
Gemeinschaftlichkeit (RdG 742 ff. u.ö.); deshalb erfasse die
Privatbeichte die christliche Existenz nicht zur Gänze (RdG 736
f., 751).
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gewiß ist, und der „exhibitiven”, den Geist verleihenden
Handauflegung; beides kommt zusammen in der
Absolution57.
Die Absolution ist Urteil über das vorausgegangene
Sündenbekenntnis (iurisdictio), zugleich aber Zuspruch
der Sündenvergebung, Gabe der Gnade, kommunikatorische Zuwendung
(traditio/ordinatio). Sie ist Akt der
Gemeinschaftsaufnahme (receptio) durch das Amt:
Gemeinschaft mit der Gemeinde, in der Gemeinde und durch sie mit
Gott58 — „ganz personal, relational,
gemeinschaftsbezogen”.
Auf der Seite des Sünders ist sie Bekenntnis der Sünden
(jurisdiktionelles Element), Anerkenntnis des Urteils und damit
Annahme der Gabe der Gemeinschaft und Vergebung, also der
Absolution (ordinatorisches, institutionelles Element). Als
wieder einordnendes Urteil der Gemeinde über den Sünder ist sie
institutionelles und darin enthaltenes jurisdiktionelles Recht:
restituierende Sündenvergebung mit jurisdiktioneller Herauslösung
aus dem Sündenbereich und instituierende Wiedereinordnung in die
Gemeinde59.
Wort und Sakrament, Wortverkündigung und Sakramentsgeschehen, sind „geschehende Gnade” — auch im Recht. „Indem das Rechtswissen die Struktur der Gnade aufhellt, will es den Weg bereiten helfen, daß wir nicht verzweifeln, will es den Weg freimachen für die glaubende Annahme der Gnade”60.
57) RdG 295 f., 732 f., 735 f., 741, 747,
750-753 nach Sohm. Amtszuständigkeit: RdG 259 „nicht exklusiv,
aber separative und specialiter”. —
Sakramentalität: RdG 748 „Sakrament des Bruders”, 751
sacramentum Spiritus sancti; aber sakramental ist nur
die Absolution/Rekonziliation, nicht die Exkommunikation, RdG 736
gegen Sohm, mit Luther (nach E. Roth) und CA XXVIII, RdG 752 ff.;
ihre Sakramentalität ist Ausfluß der Taufe, RdG 736. — Damit
verschwindet die Exkommunikation aus der weiteren Betrachtung . .
.! Gerade unter rechtlichem Gesichtspunkt sollte zwischen
Absolution und Rekonziliation genauer unterschieden werden, auch
wenn der Gemeinschaftscharakter hervorgehoben werden soll (vgl.
RdG 782).
58) So dürfte RdG 742 zu verstehen sein; aber nicht
als ob die Gemeinschaft mit Menschen kausativ die Gemeinschaft
mit Gott verursachte, sondern als inkarnatorisches Ineinander. —
Ähnlich K. Mörsdorf II 69 (die Absolution bewirkt die pax cum
ecclesia und diese die pax cum Deo) und J. Heckel
192 m. A. 24.
59) RdG 168, 206; 752 bezeichnet die Absolution als
„gestreckten restitutionell-institutionellen (Rechts-)Akt” und
schweigt vom jurisdiktioneilen Recht; aber die Unstimmigkeit
erklärt sich aus dem Restitutionsbegriff, der auch ein
jurisdiktionelles Element enthält. Aber warum gehört die
Schlüsselgewalt zum bekennenden Recht, ihre Ausprägung in der
Buße zum Gnadenrecht? Die Antwort lautet wohl: Die
Schlüsselgewalt enthält auch gnadenrechtliche Elemente (oben
776), gerade diese sind in der Buße gleichsam
verselbständigt.
60) Gnade 154.
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Innerhalb der Kirchenrechtswissenschaft erscheint Dombois als Außenseiter, wenn er aus dem Kultvorgang Recht ableiten will. Seine Methode ist dort singulär. Um seine wissenschaftsgeschichtliche Stellung zu erkennen, ist es notwendig, die Grenzen der Rechtswissenschaft zu überschreiten und das Gebiet der geisteswissenschaftlichen Methoden überhaupt zu betreten. Forscht man zunächst anhand der von Dombois selbst gegebenen Stichworte — existentielle Interpretation, Rechtsexegese des Neuen Testamentes, Institutionenlehre usf. —, so findet man nicht viel. Erst wenn man sich der Geschichte der Erforschung des Alten Testamentes zuwendet, ergeben sich Berührungspunkte — nun aber mit einem Male in reicher Fülle, und zwar bei der sogenannten „kultgeschichtlichen Schule”. Sie ist Zweig der „religionsgeschichtlichen Schule”, die, auf der Literarkritik der achtziger Jahre aufbauend, den je verschiedenen „Sitz im Leben” der alttestamentlichen (und später der neutestamentlichen) Überlieferungen zu erkennen sucht und dabei vor allem auf Zusammenhänge mit den altorientalischen Religionen hinweist. Wichtig ist ihre („realgeschichtliche”!) Unterscheidung zwischen der Tradition und ihrem literarischen Niederschlag und die Betonung ersterer. Die kultgeschichtliche Methode hebt vor allem die Bedeutung des Gottesdienstes hervor. „Sie ist als Protest gegen eine einseitig rationalistische und individualistische Erfassung der Religion anzusehen”1.
Formal bestehen nicht unerhebliche Parallelen: Hier wie dort bedient man sich der Strukturbetrachtung des Kultes, beachtet angrenzende (religionswissenschaftliche, anthropologische, phänomenologische und soziologische) Fragestellungen und Ergebnisse, erkennt die Bedeutung der Geschichte. Gemeinsam ist auch die Betonung des tatsächlichen Handelns, was sich bei der kultgeschichtlichen Methode aber anders auswirkt: Dort ist der Kult das Dauernde, Lehre und Ethik erscheinen als sekundär und variabel; bei Dombois wandelt sich auch der Kult, bleibt aber gegenüber der Lehre primär. Das Individuum tritt zurück, der Kultgemeinschaft gilt das Interesse. Die Ergebnisse der
1) G. Lanczkowski RGG IV 90; dazu C. Westermann, H. Riesenfeld ebd. 91-94, J. Hempel RGG V 991-994.
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kultgeschichtlichen Methode sind heute weithin Allgemeingut der alttestamentlichen Wissenschaft; für das Neue Testament sind sie umstritten geblieben, wobei allerdings das allgemeine kultische Desinteresse mitspielen dürfte.
Woher kommt diese Verwandtschaft? Literarische Abhängigkeit scheidet aus. Mit den Problemen des alttestamentlichen Gottesdienstes, seinen Strukturen und Rollen, den Ergebnissen der schwedischen Psalmenforschung und was sonst noch zu nennen wäre, hat sich Dombois nicht auseinandergesetzt. Auch wo kultgeschichtliche Ansätze in die Exegese des Neuen Testamentes Eingang gefunden haben (formgeschichtliche Schule, M. Dibelius, R. Bultmann), finden sie deswegen nicht mehr Beachtung.
Gleichwohl ist die formale Ähnlichkeit der kultgeschichtlichen Methode mit dem Denkansatz Dombois’ verblüffend. Als literarisches Bindeglied kommt E. Troeltsch in Frage, den man geradezu den Systematiker der religionsgeschichtlichen Schule genannt hat, vielleicht auch G. von Rad, besonders aber G. van der Leeuw. Doch reichen sie nicht aus, die Parallelen zu erklären.
Des Rätsels Lösung liegt in der rechtsphilosophischen Herkunft Dombois’. Sein Rechtsbegriff hat, wie am Ende des vorigen Abschnitts gezeigt wurde, seine Wurzeln in einer Form des Rechtsdenkens zwischen den beiden Weltkriegen, die durch eine soziologische und anti-individualistische Ausrichtung ausgezeichnet war2. Auf dieser Grundlage hat Dombois selbständig entwickelt, was man — unter Vorbehalt! — „kultgeschichtliche Methode des Kirchenrechts” nennen könnte. Gemeinsame geistesgeschichtliche Prämissen werden hier auf das Recht, dort auf die Religionsgeschichte und Exegese angewandt. Von einer direkten Übertragung dieser Methode kann man indes nicht sprechen, zumal sie bei Dombois eigenständig grundgelegt ist in der Theorie der Institution und im Rechtsbegriff der Gnade.
Es sei gestattet, auch zu Ende dieser Darstellung auf einige kritische Punkte hinzuweisen, die sich dem Betrachter nahelegen, wenn er diese
2) Vgl. das W. Grewe-Zitat oben 6785. — Auch der anfängliche Einfluß des von Do. nur zweimal in anderem Zusammenhang (Sache 244, MuS 136) genannten L. Ziegler ist hier zu nennen.
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Kirchenrechtsbegründung auf ihre innere Gesetzmäßigkeit untersucht. Sie lassen sich dahin zusammenfassen, daß die Position Dombois’ in wichtigen Teilen noch weiterer begrifflicher Klärung3 bedarf, damit sie allgemein mitteilbar wird und so ihrem Ziel gerecht werden kann, als allgemein akzeptierte Grundlage eines ökumenischen Gesprächs zu dienen.
Die folgenden Fragen sollen ausschließlich dieser weiteren Klärung dienen; sie wollen keinesfalls einer allzu einfachen „Widerlegung” das Wort reden, die über der Polemik vergißt, den originären Beitrag des Gesprächspartners in Dankbarkeit anzunehmen.
Wenn man von der vielfach gerügten Form (und manchmal auch dem Inhalt) der Schreibweise Dombois’ absieht4, so fällt zunächst die in sich noch unausgeglichene Terminologie auf. Dabei handelt es sich zum Teil um bloße Versehen („Verkündigung”5, „Kerygma”6, „Schlüsselgewalt”7; „Gottesdienst” ist „Liturgie”, „gottesdienstliches” Recht aber nicht „liturgisches” Recht8). Nicht selten läßt sich Dombois jedoch dazu hinreißen, in der Polemik nur eine Gegenposition zu einer anderen Auffassung zu beziehen, ohne zu erwähnen, daß er anderwärts das relative Recht beider Auffassungen vertritt (z.B. die traditio-Struktur
3) Der Verfasser verkennt nicht, daß jede
begriffliche Erfassung eines nicht begrifflichen Denkens eine
Verengung mit sich bringt. Doch muß gefragt werden, ob diese
Verengung nicht im Interesse der besseren Mitteilbarkeit in Kauf
zu nehmen ist.
4) G. Söhngen Hochland 1964 268 ff. (auch zum
„kritischen Überschwang der Polemik”); Ernst Wolf ZevKR 1963/64
77, U. Scheuner aaO. 64,74, EvLitBeob. 1962 991; S.
Grundmann ThLZ 1963 803; HK 1962 574; H. Liermann LM 1963 41; R.
Bäumlin ZRG 1965 396, 402. (Dagegen braucht auf K. Wortelkers
[117 ff.] kritische Darstellung nicht eingegangen zu werden: von
den Zitaten abgesehen trifft kaum eine Behauptung zu.) Besonders
die Art der Kritik Dombois’ an anderen Autoren hat berechtigten
Anstoß erregt.
5) Verkündigung ist an sich Oberbegriff zu Predigt
usf., aber umfaßt nicht den „Gesandten”, oben 7433. —
RdG 781 stellt das institutionelle Sakramentsrecht dem
jurisdiktionellen (anspruchsrechtlichen) Recht der Verkündigung
(damit scheinbar auch der Predigt) gegenüber; aber gemeint ist
nur die Lehrverkündigung.
6) Die Rechtsanalyse des Herolds (κῆρυξ) zeigt eine
ganz andere Fülle, als sie Do. dem Kerygma (κήρυγμα) zugesteht,
da er es zur Lehre verengt, oben 742 f.1.
7) Oben 77550.
8) Oben 718 ff. m. A. 2, 14, 736 ff. Es müßte auch
möglich sein, die äußerst diffizile Begriffsbildung oben 736 ff.
etwas zu vereinfachen.
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sei eine strukturelle Besonderheit des Kirchenrechts, das bekennende Recht dagegen eine allgemeine Rechtsstruktur; ebenso sei das Problem der Rechtfertigung des Rechts nicht auf die Rechtstheologie beschränkt)9.
Die schwierigsten Fragen wirft das Verhältnis von Predigt und Abendmahl auf. Dombois geht dabei vom Leitbild des „Vollgottesdienstes”10 aus, also von der sachlichen und zeitlichen Zusammengehörigkeit und Aufeinanderfolge von Predigt bzw. Wortgottesdienst und der anschließenden Abendmahlsfeier, um damit die Herabminderung des Abendmahls in der evangelischen Praxis zu überwinden.
Dombois versucht erstmalig mit rechtlichen Mitteln, das so dringliche Problem des Verhältnisses von Wortgottesdienst und Eucharistiefeier zu lösen. Dabei wird mittelbar auch die Stellung der Taufe berührt. Da Dombois überall theologisches und rechtliches Neuland betritt, ist es nicht verwunderlich, daß besonders wichtige Ergebnisse und unleugbare Schwächen nahe beieinanderliegen11.
9) Die traditio-receptio-Struktur
(dazu 70736) ist nur inhaltlich eine Besonderheit des
Kirchenrechts, denn Traditionsvorgänge gibt es auch im weltlichen
Recht, nur daß da und dort verschieden ist, was weitergegeben
wird. — Umgekehrt beim Bekenntnischarakter des Rechts
(75540); Gemeint ist die Rechtsentstehung aus Anspruch
und „bekennender” Anerkennung; wer was bekennt, ist trotz
Struktur„gleichheit” im weltlichen und im Kirchenrecht
grundverschieden. — Entsprechend beim Problem
„Rechtfertigung und Recht” (OU 94, NRE 11, GRE
31 ff., 54, KuD 1957 61, 71). Selbstverständlich ist die
Rechtfertigung des Rechts ein allbekanntes rechtsphilosophisches
Problem seit Kant (Ernst Wolf RGG V 816, Erik Wolf NRL 199 ff.,
A. Graf zu Dohna 1959 54 ff., 88 ff.; oben 63132);
aber das sagt doch nichts über die analoge bzw.
strukturanaloge Frage nach dem Verhältnis der theologischen
Rechtfertigung zum Recht. Das führt wieder zurück auf die schon
früher gestellte Frage, ob „gleiche” Strukturen von Recht und
Theologie nicht doch nur analog sind (s.o. 51549), was
bedeuten würde, daß man stets die Ungleichheit in der Gleichheit
beachten und darstellen muß.
10) S.o. 72833.
11) Es geht nicht darum, gegen die Konzeption des
Vollgottesdienstes Einwände zu erheben; er ist der anzustrebende
Normalfall auch in katholischer Sicht; ähnliches gilt für die
Kritik an der Predigtauffassung. Es soll nur im Interesse der
wissenschaftlichen Klärung auf offene Probleme hingewiesen
werden.
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Zum Verhältnis der Gnadenmittel zueinander gibt Dombois vier Antworten. Die erste ist das Ergebnis der Einzelanalysen: Taufe, Predigt und Abendmahl sind gleicher Struktur; sie gehören ins Gnadenrecht12. Insoweit scheint also kein wesentlicher Unterschied zwischen ihnen zu bestehen. — Die zweite bezieht Predigt und Abendmahl auf die Taufe. Taufe, Predigt und Abendmahl bilden den geschichtlich-unumkehrbaren Gesamtvorgang der Heils Vermittlung; innerhalb dieses Geschehens sind Predigt und Abendmahl Entfaltungen der Taufe: Die Predigt scheidet mehr als sie zuordnet, das Abendmahl ordnet mehr ein als es scheidet. Die Taufe aber verbindet beides13.
Die dritte vergleicht Predigt und Abendmahl untereinander. Sie verhalten sich wie die Folge von Restitution und Institution in dem Rechtsbild des verlorenen Sohnes: Im Vollgottesdienst zielt die Predigt auf die Glaubensentscheidung, das Abendmahl setzt sie voraus; Predigt und Abendmahl bilden also den institutionellen Vorgang von Aussonderung und Einordnung, oder in der Sprache des Anspruchsrechts: Die Predigt ist „Zwischenurteil”, das einen Teil eines Prozesses abschließt. Berücksichtigt man noch die Taufe, so verhält sich Taufe mit Predigt zum Abendmahl wie Restitution zur Institution14. Die Taufe rückt damit zur Predigt, die „scheidende” Seite beider wird betont.
12) RdG 414 f.; gemeinsam sind auch ihr
Charakter als Bekenntnis, Verkündigung, Proklamation, Exorzismus,
Sündenvergebung.
13) RdG 414 ff.
14) Gnade 153, RdG 196, 244, 374, 415, 418 f. Auf die
Einwände wurde schon hingewiesen. Auch Do. gibt zu, daß die
Predigt nicht nur den Glauben erweckt, sondern auch
stärkt, RdG 374. — Die Predigt steht zwischen Taufe und
Abendmahl; sie verweist auf die Taufe „zurück” und „vorwärts” auf
das Abendmahl, RdG 412, 420, 433 f. mit A. Niebergall, ähnlich A.
Schädelin, W. Trillhaas, K. Barth. Damit ergibt sich die paradoxe
Situation, daß die Predigt für sich zum Gabenrecht, im Vergleich
zum Sakrament aber zum Anspruchsrecht gehört. — Freilich muß
darauf hingewiesen werden, daß „Restitution” bei Do.
drei Dinge umfaßt, die nicht immer auseinandergehalten werden:
Die Restitution ist 1. Anfang neuer Einordnung, Losreißung aus
dem alten Zusammenhang, 3. Zurückweisung nicht Restituierter. Das
kommt deswegen wenig in den Blick, weil Do. an verschiedenen
Stellen davon spricht. Da aber der verbindliche Ausspruch von 1.
bis 3. zugleich ein geistliches Urteil ist, das Urteilen und
Entscheiden jedoch zum Jurisdiktionellen Recht gehört, lassen
sich Gabe und Anspruch auch hier nur als zwei Seiten einer Sache,
als komplementär begreifen, RdG 753. Aus RdG 415 folgt etwa, daß
Do. unter „scheidend" beim Abendmahl versteht: 1. positive
Umkehr, 2. Confiteor als Absage an die Welt, 3. Zurückweisung der
Katechumenen; außerdem verhalten sich „scheiden” und „zuordnen”
wie Re- und Institution; aus RdG 734 ergibt sich schließlich, daß
das Scheiden zugleich Sündenbekenntnis ist. Liturgisches und
bekennendes Recht im ➝
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Diese zunächst sehr einleuchtende Verbindung ist mit Schwierigkeiten verknüpft: Sowohl das Wort als auch das Sakrament werden verkürzt. Das Wort Gottes ordnet nicht mehr ein, das Sakrament scheidet nicht mehr aus.
Schließlich sieht Dombois eine vierte Möglichkeit, die wieder an die erste anknüpft: Abendmahl, Predigt und Taufe gehen denselben Weg verschieden weit, wobei die „längere” Strecke (das Abendmahl!) jeweils die „kürzere(n)” enthält15.
Diese vier Versuche schließen sich gegenseitig aus. Das liegt aber nicht am Rechtsbegriff, sondern an der ungeklärten theologischen Verhältnisbestimmung bei Dombois, die ihrerseits nur die allgemeine evangelische Gesprächslage widerspiegelt. Dazu kommt die weitere Frage, ob der Strukturbegriff die Spezifika der verschiedenen Gnadenmittel überhaupt zu erfassen imstande ist, oder ob er nicht vielmehr gerade nur ihre Gemeinsamkeit aufweist: die „geschehende Gnade”.
(1) Geschichtlichkeit der Gottesdienststrukturen: Bei der Bedeutung der Gottesdienst- für die Kirchenrechtslehre erwartet man eine ausführlichere Trennung zwischen bleibenden Strukturen und wechselnder Gestalt mit genauer Begründung, weshalb ein strukturell
➝ Kirchenrecht sind also weit stärker verbunden als Gabe-
und Anspruchsrecht im weltlichen Recht. Die daraus sich
ergebenden Schwierigkeiten sind noch keineswegs als völlig
geklärt anzusehen. Do. versucht RdG 206 eine Lösung: Während im
weltlichen Recht das Gnadenrecht zum normativen Recht führe, sei
es im geistlichen Recht umgekehrt; da gehe das Bekenntnis voraus,
darauf „folge” Restitution (Sündenvergebung) und Institution
(Rekonziliation mit der Gemeinschaft). Aber abgesehen davon, daß
hier rechtshistorische und rechtssystematische Sicht
durcheinander gehen — wie kann es Bekenntnis ohne vorgängige Gabe
der Gnade geben? Ist dies nicht der „Paradefall” des
Gnadenrechts, die „geschehende Gnade” schlechthin?
15) RdG 415 f.; damit würden sich Taufe und Predigt
erübrigen . . . Außerdem umfassen weder Predigt noch Abendmahl
den Rechtsakt der Initiation durch die Taufe; überführendes und
proklamierendes Wort der Predigt ist nicht Mahl, und beide sind
nicht „Geburt” bzw. Waschung. Es ist eben nicht derselbe Weg. -
Die Ansätze entstammen unterschiedlichen theologischen Motiven,
deren Intention zu begrüßen, deren Ausführung jedoch noch nicht
geglückt ist: Der zweite will jede iniuria baptismi
vermeiden, die Bedeutung der Taufe (gerade im ökumenischen
Gespräch) wahren; der dritte zielt auf die Einheit des
Gottesdienstes ab, betont aber die sündenvergebende Seite zu sehr
und läßt die Lesung außer acht; der vierte sucht der
dominierenden Stellung des Abendmahls im Gemeindegeschehen
gerecht zu werden, wie sie besonders E. Käsemann und H. Schlier,
aber auch R. Sohm herausgestellt haben.
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nicht so gefordertes Element des Gottesdienstes (z.B. Introitus16) heute so notwendig ist. — Gegenüber dem allein interessierenden Bruch des 11./12. Jahrhunderts ist die geradezu aufregende Entwicklung des Gottesdienstes in der alten Kirche (Einflüsse des Kaiserkults usf.) fast unberücksichtigt gelassen; gerade hieraus würden sich wichtige Einsichten gewinnen lassen. Ob schließlich die Rolle der Gemeinde im Verhältnis zum verkündenden Amt als nur hörend erschöpfend umschrieben ist17, gerade von der Geschichte der Liturgie her, mag hier offenbleiben; das gehört zur Amtslehre.
(2) Taufe und Konfirmation: Bei der Taufe bleibt trotz der genauen rechtlichen Beschreibung unklar, ob sie auch die Geistverleihung umfaßt, bzw. wie sie sich zur Confirmatio verhält18. Ferner verspräche die rechtliche Deutung der alten Taufliturgien reichen Ertrag19.
(3) Wortverkündigung: Es fällt sofort auf, daß Dombois zwar den Introitus, aber nicht die Lesungen beachtet hat20, obwohl gerade sie am deutlichsten den Charakter der Gabe (und darin: des Anspruchs) aufweisen.
Dadurch gerät auch die Predigt in ein schiefes Licht. Ihre konstitutive Zusammengehörigkeit mit der Lesung — ist es ein „Vorgang” der Anspruchsanerkennung innerhalb eines Institutionsvorgangs? — wird übersehen mit der Folge, daß nur der Zusammenhang der Predigt mit den Sakramenten erörtert, die Predigt selbst aber vom Bekenntnis her gesehen wird. Das zeigt sich auch darin, daß bei der Wesensbestimmung der Predigt die missionarische Predigt im Vordergrund steht. Zwar wird zwischen der missionarischen Predigt (die sich an den einzelnen Nichtgläubigen wendet mit dem Ziel der Restitution) und der
16) RdG 364 ff.
17) RdG 290, 292.
18) Auch darum tritt oben 782 einmal die scheidende,
ein andermal die einordnende Seite der Taufe mehr hervor, s.o.
771 — wobei zuzugeben ist, daß das gleiche Problem auch in der
katholischen Dogmatik besteht, nur überdeckt von der
Sakramentalität der Firmung.
19) Vgl. zur Taufliturgie allg. A. Stenzel und
Leiturgia V; zur Taufe als (rechtliche) Freilassung des Sklaven
V. Stadler-Labhart FS Bader 455 ff., zur Salbung als Rechtsakt
wären E. Kutsch 1963 und J. Neumann FS Schmaus II 1419 ff.
beizuziehen, usf.
20) Die Lesung wird nur von der Predigt
unterschieden (arg. RdG 405); sie ist aber die eigentliche
Proklamation des Reiches Gottes im Wort. Vgl. ähnlich P. Brunner
Leiturgia I 196. Was H. Schlier 1953 25 ff. zu den
Wandlungsworten sagt, gilt auch hier. Zum genetischen
Zusammenhang von Lesung und Predigt vgl. A. Niebergall RGG V
517.
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Gemeindepredigt (die sich an die gläubige Gemeinde wendet mit dem Ziel der tieferen Institution) der rechtliche Unterschied gemacht, aber nicht durchgeführt. Es wäre auch zu fragen, ob nicht weiter zwischen der missionarischen Predigt nach innen und nach außen gegenüber der Welt zu differenzieren wäre. Aus der vorwiegend missionarischen Ausrichtung erklärt sich eine gewisse Unklarheit in der rechtlichen Zuordnung der Predigt, die Dombois vorwiegend zum Anspruchsrecht zählt, obwohl die Wortverkündung selbst die Struktur der Gabe trägt und die Einzelaussagen zur Predigt eher auf die gabenrechtliche Struktur hinweisen würden21.
(4) Abendmahl: Neben der (mißverständlichen) Bezeichnung der sechs Strukturelemente des Abendmahls als personale „Rollen”22 fällt vor allem die Unsicherheit bei der Bestimmung der Repräsentation Christi durch Brot und Wein auf: Zwar wird eine Repräsentation durch „Sachen” als mißverständlich abgelehnt; wie aber die personale „Indienststellung der Dinge . . ., indem Christus in sie eingeht” zu verstehen sei, wird offengelassen23.
21) S.o. 742 ff. 749 ff., RdG 415 ff. Seine
Zurückhaltung gegen eine analog sakramentale Realpräsenz
göttlichen Handelns im menschlichen Wort erklärt sich ersten aus
der Abwehr der calvinistischen Einseitigkeit, weithin
nur dem Wort Realpräsenz zuzuerkennen, im Sakrament
dagegen nur ein hinweisendes Zeichen zu sehen (wieso allerdings
das „Wort” nicht personbezogene Handlung sein soll, RdG 457, 467,
vermag man nur schwer einzusehen; vgl. aber o. Exk. XIII 604);
zweitens aus der vorwiegend missionarischen bzw.
sündenvergebenden Wertung der Predigt; vgl. RdG 372: der
Unterschied zwischen den beiden Predigtformen „kann unmöglich
ohne Bedeutung sein”; 374, 420 „jedenfalls nicht vorzugsweise
oder allein Missionspredigt”.
22) RdG 394 ff., oben 774. Kritisch wäre zu fragen,
gerade wenn man vom Vorgang her denkt, ob nicht Vorgang 1 und 2
identisch sind mit dem Vorgang 4, ebenso Vorgang 5 und 3 in der
εὐλογία; eine auch in der gegenwärtigen katholischen Diskussion
noch nicht völlig geklärte Frage ist, ob die Vollgestalt des
Mahles nicht die Vorgänge 3, 5 und 6 als Einheit zu begreifen
lehrt.
23) Dabei ist sich Do. durchaus klar, daß personale
Repräsentation durch Gegenstände den Begriff sprengt, RdG 106 f.
Warum aber stellt er (trotz RdG 390) auf die isolierten
Gegenstände Brot und Wein ab und nicht auf den „Vollzug” des
Mahles? (Dazu W. Marxsen 1965.) Das vermöchte m. E. diese
Schwierigkeit zu lösen (vgl. etwa K. Rahner Qd 10, ferner H.R.
Schlette HthG II 464 „Grundsituationen des Daseins”). Do. selbst
gibt den Ansatz dazu, aber führt ihn nicht aus
(„existenzbegründende Handlungen”, Priest. 75 f., RdG 246). G.
van der Leeuws anthropologischer Ansatz, „Wort und Sakrament” von
den menschlichen Grundverhaltensweisen abzuleiten (also Taufe von
Reinigung, Eucharistie vom Mahl, Predigt vom Wort, usf.), wird
nur zitiert, aber nicht ausgewertet; RdG 462 ff. befragt van der
Leeuws Sakramentstheologie nur, ob und wieweit sie Do.s eigene
Rechtsdarstellung bestätigt.
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Die theologische Grundlegung des Rechts von Hans Dombois kann als der Versuch angesehen werden, das Problem der Geschichtlichkeit des ins divinum auf völlig neuen Wegen zu lösen — ein „doketistisch”-spiritualisiertes oder aber legalistisch mißverstandenes Gottesrecht zu überbieten durch ein „chalcedonensisches” Recht heilsgeschichtlicher Strukturen — mit allen schwerwiegenden methodischen und sachlichen Konsequenzen. Diese neue Möglichkeit eröffnet zu haben, ist kein geringes Verdienst.
Die Bedeutung dieser Kirchenrechtslehre liegt im übrigen weniger in ihrem eher konservativen Charakter, insofern sie bestimmte Institutionen des Kirchenrechts (wieder)herstellen will, um die Kirchen auch institutionell für ein ökumenisches Gespräch zu rüsten. Diesen Aspekt haben je nach Stellungnahme, etwa zum Gottesdienst und Bischofsamt, Kritik und Lob einseitig betont; aber über den konkreten Lösungen hat man weithin die Begründungen zu würdigen unterlassen. Denn hier werden Denkformen und Begriffe bereitgestellt, deren Tragweite noch undiskutiert ist. Hier wird endlich der religiöse Individualismus und Personalismus mit den Mitteln des Kirchenrechts an der Wurzel angegriffen. Die Gemeinschaftlichkeit des Volkes Gottes findet weithin adäquaten Rechtsausdruck. Das sollte bei aller berechtigten Kritik an Form und Inhalt gesehen werden.
Ferner sind Dombois’ Begriffe weithin formal. Auch das ist bisher wenig beachtet worden. Sie sind offen für jedes geistlich verstandene Kirchenrecht. So bietet er mit ihnen wertvolles Handwerkszeug für das Gespräch zwischen den Konfessionen. Seine Ergebnisse sind weithin unabhängig vom zugrundeliegenden (Berneuchener) Leitbild: Wenn man nur die methodische These akzeptiert — sie ist meines Erachtens bisher unwiderlegt —, daß die christliche Gemeinde ausweislich des Neuen Testaments bleibend im Gottesdienst und Bekennen auferbaut wird, dann ist zunächst einmal sekundär, wie dieser Gottesdienst gestaltet ist, ob „liturgisch” oder nicht; immer wird es darin spezifische Rollen geben, die die Verfassung präjudizieren 24.
Ein weiterer Vorzug ist es, daß Dombois gebieterisch auf die theologische und juristische Anthropologie als Grundlage des Rechts und
24) Daß dies kein „kongregationalistischer” Aufbau „von unten” ist, hat Do. oft genug betont.
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Kirchenrechts verweist — und damit das Recht in die allgemeine geisteswissenschaftliche Gesprächssituation einordnet, die immer mehr den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Dadurch werden wichtige Teile der Kirchenrechtsdiskussion aus festgefahrenen dogmatischen Geleisen befreit und auf noch unerforschte soziologische und anthropologische Wege gewiesen, wo gemeinsame Erkenntnisse noch leichter zu gewinnen sind.
Welche Stellung Hans Dombois mit seiner einzigartigen dynamisch-institutionellen Kirchen- und Rechtstheorie auch in der postkonziliaren katholischen Diskussion um eine strukturell reformable Kirche zukommen wird, ist heute noch nicht abzusehen.