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II. Theologische Anthropologie

 

Jede Theologie impliziert eine Rechtsvorstellung, jede Rechtslehre beruht auf einer Theologie; beide bedingen und korrigieren einander. Dieses Wechselverhältnis bildet den historischen und systematischen Ausgangspunkt der Rechtstheologie Dombois’. Diese Theologie besteht aus zwei Teilen: der Gotteslehre (unten 1) und der theologischen Anthropologie1 (2), deren enge Verbindung in Christi Gottmenschlichkeit ermöglicht wird.

 

1. Gotteslehre

 

Die Gotteslehre trägt ein durchaus eigenes Gepräge. Sie geht aus von der Trinitätslehre K. Barths und erweitert sie spekulativ; die Christologie ist chalcedonensisch und inkarnatorisch gesehen; die Pneumatologie verrät ostkirchliche Einflüsse. In allem aber zeigt sich das anthropologische Interesse.

 

a) Trinität

Der Anfang jeder theologischen Lehre von Gott und vom Menschen ist die Dreieinigkeit. Die Barthsche analogia relationis, deren „Bedeutung für die Soziallehre noch keineswegs ausgewertet ist”, steht dabei Pate. Dombois will „die großen Erkenntnisse (dieser) neuen trinitarischen Theologie” für die Rechtstheologie fruchtbar machen. Dies geschieht


1) MuS 161, RdG 560, ZevKR 1956 291; vgl. GRE 52 f. „Rechtsidee und konkrete Rechtsordnung folgen . . . dem geglaubten Grundverhältnis des Menschen zu Gott” (dazu Ernst Wolf RuI 17 f.; mißverstanden von A. Auer FS Messner 120; ganz ähnlich wie Do. früher Erik Wolf, s.o. 2743), MuS 161 (2.): „Jeder Rechtstheorie liegt ein Menschenbild und . . . eine Religionsphilosophie zugrunde”; RdG 560 „Die theologische Entscheidung impliziert eine solche für bestimmte rechtliche Denkformen, und diese wiederum für eine bestimmte Vorstellung vom Menschen”.

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durch eine kompliziert erweiterte trinitarische Analogie2 und durch eine heilsgeschichtliche Appropriation.

a 1. Systematisch

Wie Barth sieht Dombois von vornherein die Trinität nicht isoliert vom Menschen. Der „dreifaltige Wesensgrund ist zugleich der Existenzgrund . . . des menschlichen Lebens” erklärt Dombois unter Berufung auf Gen 1.27. Denn in Glaubensanalogie zur Trinität, vereinfacht ausgesagt, steht der Mensch in doppelter Relation: zu Gott und zum


2) Im folgenden Text ist sie zur besseren Verständlichkeit vereinfacht. Do. unterscheidet namentlich zwischen der „immanentenund derökonomischenTrinität, d.h. gemäß dem theologischen Sprachgebrauch zwischen den innergöttlichen Beziehungen („immanente” oder, wie man im 19. Jh. meist sagte, „ontologische” Trinität) und ihrem Heilswirken nach „außen” („ökonomische” Trinität). Die evangelische und katholische Dogmatik stimmen darin überein, daß hier zwar unterschieden, aber nicht geschieden werden darf. Denn die ökonomische Trinität ist „Ausdrucksgestalt” (M. Schmaus) der immanenten, und umgekehrt diese der logische „Vordersatz” (K. Barth) jener. Beide sind voneinander unlösbar, da Gott „nach außen” als Einheit wirkt (K. Barth KD I/1 503, M. Schmaus KD I 442 ff. u.ö., E. Schlink 1948 104, K. Rahner/H. Vorgrimler 80, 365 f. mit H. de Lavalette LThK III 544 f., H. Vorgrimler ebd. V 584, H. Mühlen 1963 23; Denz. 800, 1330 u.a.). — Von diesem Hintergrund hebt sich die Auffassung Do.s deutlich ab. Er sieht die doppelte Relation des Menschen zu Gott und Mitmensch als Analogon erstens zur Trinität schlechthin — insoweit mit K. Barth —, zweitens zur immanenten (GRE 54, 143), schließlich zur ökonomischen Trinität (EltR 86 ist wohl so zu verstehen. Vielleicht hat Do. an die lutherische Unterscheidung von deus relevatus und deus absconditus gedacht. Aber auch sie darf nicht auf eine Scheidung von ökonomischer und immanenter Trinität hin interpretiert werden). Im „Recht der Gnade” sind beide verbunden: die Relation des Menschen zu Gott steht in Analogie zur immanenten, die zum Mitmenschen zur heilsökonomischen Trinität (RdG 95, 946. Dabei bedeutet RdG 95 wohl folgendes: die Relation Vater-Logos-Geist als innere Voraussetzung der Relation Gott-Christus-Geist Christi wird analog wiedergefunden in der Relation Gott-Mensch als Voraussetzung der entfernteren Relation Mensch-Mitmensch; dabei entspricht die Relation von Mann und Frau der von Gott und Christus, und die Relation von Mensch und Mitmensch der Gottes und Christi zum Geist [vgl. wieder NRE 43 und EltR 86; „Drittbezüge” RdG 94]); beide müssen miteinander im „Gleichgewicht” stehen, darum auch im Bereich des Rechts (RdG 95, 684, 946 [nicht also Identität!], 1015). — Ernst Wolf hat mit Recht in Do.s relativer Trennung der beiden Betrachtungsweisen der Trinität eine „dogmengeschichtlich kaum begründbare Spekulation” (ZevKR 1963/64 81) gesehen. Sie ist auch rechtstheologisch nicht geboten, da die Überwindung des „christokratisch”-„trinitarischen” Gegensatzes im Kirchenrecht eines so kompliziert gestuften Analogieschemas nicht bedarf. Sie ist obendrein logisch ungeklärt und theologisch nicht zu verantworten, weil der dreieinige Gott als Einheit an der Welt handelt. Es genügt nicht, nachträglich nur ein „Gleichgewicht” zwischen immanenter und ökonomischer Trinität zu verlangen.

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Mitmenschen. Aus der Zweiseitigkeit des Gottesbezug folgt3 die Zweiseitigkeit des mitmenschlichen Bezuges. Im Gottesbezug ist der Bezug zum Mitmenschen und zur Kirche begründet. Dieser „anthropologische Grundtatbestand” kann freilich nur im Glauben erfaßt werden.

Die bedeutsame, ja zentrale anthropologische Einsicht Karl Barths, daß der Mensch in zwei Grundrelationen existiert: der Relation zu Gott und derjenigen zum Nächsten” ist darum das theologische Fundament der Rechtslehre4.

a 2. Heilsgeschichtlich

Neben dem systematischen Aspekt der Trinität steht der heilsgeschichtliche. Die drei Artikel des Glaubensbekenntnisses5 werden als zeitliche Aufeinanderfolge von Schöpfung, Erlösung, Heiligung oder von Prädestination, Inkarnation, Eschatologie erklärt und den drei göttlichen Personen zugeschrieben („appropriiert”). Das „großartige Ganze des Gottesdienstes” umfaßt diese drei Elemente6.

Schließlich wird die trinitarische Aussage häufig als rechts- und geschichtsphilosophisches und auch als soziologisches Deuteschema gebraucht7, was gelegentlich das Verständnis nicht unerheblich erschwert.


3) Vorweg sei betont, daß es sich nicht um ein rationales Folgeverhältnis handelt, als ob aus der Theologie more geometrico eine Anthropologie deduziert werden könnte; vielmehr schließt eins das andere ein (RdG 857 u.ö.: „schließt ein”, „impliziert” gegen NRE 43 „abgeleitet”). Man vgl. das zur Denkform Gesagte (s.u. 536 ff.).
4) NRE 29, 38 f., 43, 63, GRE 19, 54, 143, FamR 140, EltR 86; zur analogia relationis K. Barths und D. Bonhoeffers vgl. Meth. 344, GRE 98, 143, K. Barth KD III/l 207-219, HI/2 390 f., K. Ritter 58 f.; die analogia entis wird abgelehnt, wie ebenfalls bei Barth. Die Sachrelation ist nicht vergessen; sie ist Erweiterung der Person, s.u. 484. — Ähnlich: Gaudium et spes 24.
5) Zum Ursprung des „Glaubensartikels” im 12. Jh. vgl. L. Hödl FS Söhngen 358-376; die Aufteilung in drei „Häuptstück” des Glaubens entsprechend der Dreieinigkeit stammt von Luther (WA VII 214,25-27) und ist als Gliederung des Großen (BS 647-653) und Kleinen Katechismus (ebd. 510: articulus de creatione, de redemptione, de sanctificatione) übernommen.
6) Vgl. z.B. RdG 394, 560 ff. — Zur Lehre von den Appropiationen vgl. M. Schmaus KD I 448 ff., 454 ff., K. Barth KD I/1 393 ff. Dieses methodisch schwierige Verfahren handhabt Do. in den ersten Veröffentlichungen in großem Umfang; später tritt es merklich zurück.
7) Z.B. für die politischen Typen des Konservativen, Liberalen und Radikalen in ihrer gegenseitigen Bezogenheit (NRE 37 A. *); desgl. für die „großen Ideologien der Vernunft, Natur und Materie” (GRE 72); die drei möglichen Geschichtsphilosophien (NRE 36 f., GRE 63 ff.); das bekannte Schema O. Spenglers (Joachims von Fiore, Schellings u.a.) vom petrinischen, paulinischen und johanneischen Christentum, angewandt auf die Konfessionen, ist nach Do. ergänzt durchaus brauchbar (GRE ➝

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Der gemeinsame Sinn dieser Ternare besteht darin, in der Entstehung Zusammengehöriges, aber in der historischen Entwicklung Getrenntes in seiner verborgenen Beziehungseinheit aufweisen zu können. Dabei liegt die systematische Bedeutung dieses Ausgangspunktes weniger in „trinitarischen Strukturen” als in dem daraus resultierenden Denken in Relationen, Bezügen, Vorgängen, vor allem aber in der erstrebten Überwindung der verfehlten Alternative von „christokratischer” und „trinitarischer” Rechtslehre.

 

b) Christologie

Die Mitte der theologischen Anthropologie ist die Christologie8. Der trinitarische Gott wendet sich zum Menschen. Indem er mit ihm in Beziehung tritt, erschafft er ihn als sein Gegenüber. Diese Zuwendung erreicht ihren Höhepunkt in Christus. Er ist die Mitte von Schöpfung und Eschatologie, von „Natur” und „Geschichte”. Denn hier ereignet sich die Fleischwerdung Gottes, diese „geheimnisvolle paradoxe Verbindung von Gott und Welt”9 — keineswegs als (pseudo-)mystische Aufhebung der Distanz von Gott und Mensch, sondern als das Handeln Gottes an Jesus, der dadurch als Mittler und Ursakrament zwischen Gott und Mensch in der Mitte der Zeit aufgerichtet wird und an dem die Menschen im Glauben teilhaben.


➝ 101 ff., 106, 109), wird aber in der Kritik an Wolfs OdK als „joachitisch-eschato-logische Spekulation” gekennzeichnet (RdG 59 mit 424 f.; dazu s.o. 342 f.). — Ähnlich in der Soziologie: die Einheit der „soziologischen Urelemente des Institutionellen und des Consensus (liegt) in der Person Christi” (GRE 53). Do. geht dabei ursprünglich (GRE 99 ff.) von der Voraussetzung aus, daß die falsche Sicht der Tri-nität als des christlichen Zentraldogmas alle Häresien, Ideologien und Irrwege verursacht habe; umgekehrt ist die Gesundung Europas zu erhoffen, falls es gelingt, die trinitarischen Strukturen wiederherzustellen.
8) NRE 32 f., RdG 93 f., 98, 285, 817; Christus als Mitte: NRE 32 f., 60, OU 93; Christus als die Verklammerung von Inkarnation und Prädestination, die auseinanderstreben und aufeinander bezogen sind: MuS 125, OU 56, RdG 285, 560-562; als Höhepunkt des Prozesses Gottes mit der Welt: MuS 110; als Ursakrament: RdG 439 (folgeweise die Kirche: OU 33!). Im Hintergrund steht wieder die Trinitätsanalogie und der (Barthsche) Bundesgedanke. Zugleich soll die in CrE ausgesparte Christologie nachgetragen werden (OU 31).
9) OU 93; ebd. 123: „Das Wesen der Inkarnation besteht eben darin, daß Göttliches und Menschliches in einer unbegreiflichen, nicht rationalen, unverfügbaren, aber zugleich leibhaften und geschichtlichen Weise beieinander bleiben.”

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Hier eröffnet sich der Zugang zum theologischen Verständnis des Menschen. Christus ist die Ermöglichung wahren Menschseins und damit wahrer Menschlichkeit. Denn „Gott ist in Christo in die Paradoxien unserer Existenz stellvertretend eingetreten” und hat damit die (relationale und institutionelle) Struktur des Menschen übernommen und erhellt. Darum ist in Christus die gültige existentielle Wahrheit über den Menschen und die Kirche zu finden10.

Dombois sieht die Christologie ganz von der Inkarnation her. Diese steht sogar so sehr im Vordergrund, daß sie mit der Erlösung zusammenfallen kann. Freilich sind in ihr das stellvertretende Leiden Jesu, sein Tod und die Auferstehung mitgedacht, wie die rechtstheologischen Aussagen über die Königsherrschaft Christi, über den königlichen Richter und den Prozeß beweisen. Vor allem muß noch die Prädestination und die Eschatologie Dombois’ hinzugenommen werden, von der gleich zu berichten ist; erst dann ergibt sich daraus das ganze Bild11.

Das Geheimnis Christi wird jedoch für Dombois am klarsten ausgesprochen im „Unvermischt und Ungetrennt” des Konzils von Chalcedon (451). Weil Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist, in ihm also Gott und Welt zusammentreffen, enthält dieses Dogma für Dombois nicht nur eine Beschreibung des Verhältnisses von göttlicher und menschlicher Natur in Christus, sondern birgt in sich die „universale Deuteformel” für den Bezug Gott-Mensch überhaupt und darum (gemäß der Barthschen analogia relationis) „entsprechend” sogar für die Relation Mensch-Mitmensch. Das Chalcedonense gibt den „goldenen Schlüssel” zum Verständnis der gesamten Sozialwirklichkeit12.

Diese Christologie als Offenbarung der Trinität und des Menschen ermöglicht eine Rechtsanthropologie, auf der dann die Rechtslehre ohne Schwierigkeit gründen kann.

 

c) Pneumatologie

Das Postulat einer Rechtslehre, die an alle drei Glaubensartikel anschließt, erfordert auch eine ausgebaute Pneumatologie. Sie ist bei


10) MuR 138 f., RdG 94, 211, 901. Vgl. Gal 3.13b: Er ist für uns zum Fluch geworden!
11) S.u. 478 ff. m. A. 21.
12) MuS 126, RdG 94, 238, 465 (e), 560-562, 867. — Zum Chalcedonense s.u. 546 f. m. A. 2.

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Dombois sogar verhältnismäßig ausführlich entwickelt, da er das ostkirchliche Recht einbeziehen will. Nur darf man sie nicht von seiner Christologie lösen13.

c 1. Geist Christi

Denn der — personal verstandene — Heilige Geist ist der Geist Christi. Er ergreift den Menschen als eine konkrete Macht, verleiht ihm den Glauben und verbindet ihn mit anderen Menschen zur Gemeinde. Dort, in der gottesdienstlich verfaßten Gemeinde, manifestiert er sich in der Vielfalt seiner Charismen, die im Glauben erkannt werden können14.

Damit hat Dombois einen unbestreitbar biblischen Ansatz für seine Kirchen-, Amts- und Kirchenrechtslehre gewonnen.

Zur ekklesiologischen Bedeutung der Geistlehre kommt die gnoseologische. Der Geist Christi ermöglicht die Glaubenserkenntnis der in Christus geoffenbarten relationalen Grundstruktur des Menschen. Da sie menschlichem Zugriff entzogen ist, gewährleistet der Geist die Unverfügbarkeit der menschlichen Grundrelationen. Weil auf diesen Strukturen Kirche und Recht beruhen, wird er zum Garant der Objektivität der Kirche und ihrer rechtlichen Fundamentalien. „Kirche” ist für Dombois das konkrete geistliche Handeln in der Gemeinde15. Denn nur dort wird der Geist Christi geschichtlich gegenwärtig und wirksam.

Die Tragweite dieser Sätze liegt auf der Hand. Sie führen zu einer völlig neuartigen Rechtstheologie, die Geist und Recht aufs engste verknüpft.

c 2. Pneuma und Charisma

Nun unterscheidet Dombois mit dem Neuen Testament zwischen dem einen Pneuma und den vielen Charismen. Doch was ist unter Charismen näher zu verstehen? Sie sind jedenfalls keine Naturanlagen. Sie sind auch nicht einfachhin Gnade (charis); das verbietet der neutestamentliche


13) RdG 404.
14) GRE 143, OU 100 f., Kathol. 293 f., RdG 596; 667: das Pneuma als intersubjektive, verbindende Realität; unten 475 f.
15) GRE 141, 143. Das bedeutet gerade nicht ein starres idealistisches System unabänderlicher Sätze, wie noch zur Geschichtlichkeit des Rechts zu zeigen sein wird. — Durch phänomenologische Analyse des Handelns der Kirche erhält Do. die Grundformen des Kirchenrechts (traditio, receptio, iurisdictio, ordinatio), auf die (wie auf andere Grundbegriffe) noch ausführlich einzugehen ist.

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Sprachgebrauch; sondern vielmehr „Besonderung der charis”. Gnade selbst ist „Gemeinschaft mit Gott, nichts weiter”. So entpuppt sich schon hier die Diskussion um „Amt oder Ämter” als schlichte Verwechslung von Pneuma und Charismen16.

Die der Kirche verheißene Geistgegenwart läßt auch die Gaben des Geistes andauern: Eschatologische Charismen sind nicht auf die Urkirche beschränkt17. Es stehen sich aber nicht freie Charismen und offizielles „Amt” (ausschließend) gegenüber; den „Krampf dieser spiritualistischen Scheidung” hat die neueste Exegese gelockert. Denn beide, „Amt” und „Charisma”, sind charismatische Tatbestände, „Besonderungen” der charis, voneinander zwar wohl zu unterscheiden, aber einander prüfend und damit verbunden und eingeordnet in den gottesdienstlichen Zusammenhang, ins Ganze der Ekklesia. „Amt” ist also nur legitim in der Verbindung mit dem Charisma. Freilich ist die Kritik an ungesicherter Formalisierung und Institutionalisierung der verschiedenen Charismen durchaus berechtigt18.

Die Charismen leben nicht in abstrakter Geistigkeit, sondern innerhalb des „gottesdienstlichen Raumes” als konkrete und gemeinschaftsbezogene Verrichtungen, die durchaus in Typen gefaßt werden können, etwa „Bischof”, „Presbyter”, „Diakon”.

Von da aus ist am lutherischen Geistbegriff Kritik zu üben: er berücksichtigt die Vielfalt der Geistesgaben nicht. Richtiger sieht die


16) RdG 469, 476 f. mit E. Käsemann, E. Lohse gegen J. Behm. Neben diesem an der Schrift und der neueren Exegese orientierten Gebrauch des Begriffs Charisma steht der (weitere) religionsphänomenologische (vgl. das Zitat aus G. van der Leeuw NRE 12), der sich aber mit Do.s Geschichtsphilosophie verbindet. Diese Bedeutungen gilt es auseinanderzuhalten. So kann Do. vom „Charisma des Königs” oder dem des Richters sprechen (RdG 180 bzw. 182).
17) Was man auch auf dem 2. Vaticanum hören konnte (HK 1963/64 146 [Kardinal Ruffini]). Do. wendet sich aber gegen Calvin, RdG 337, 463. — Zum eschatologischen Charakter der Charismen RdG 150 (mit E. Käsemann), 166, 177.
18) RdG 248, 264, 275 f. A. 18, 477, 565. Besonders der hervorragende Exeget E. Käsemann ist auch hier Do.s Gewährsmann. Dieser urteilt, daß die Trennung Geist-Recht „einer der folgenschwersten Irrtümer des Liberalismus” gewesen sei (Zitat RdG 150); auch das neuprotestantische Priestertum aller Gläubigen sei etwas ganz anderes als die charismatische Ordnung der paulinischen Gemeinden (Referat RdG 800, 276 A. 19; ähnlich E. Schlink zit. ebd.). Doch auch Käsemanns Rechtsbegriff genügt nicht, da er einseitig „dezisionistisch” sei (RdG 34, 148, 303 ff., 368, 626, 801 f.). Do. wendet sich deshalb auch gegen die Unterscheidung im Titel des bekannten Buches H. v. Campenhausens (nämlich „Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht . . .”) — wie übrigens auch der katholische Exeget O. Kuss I 278.

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Ostkirche, die den charismatischen Charakter des Amtes und ihres Rechtes überhaupt bewahrt19.

Der rechtstheologische Ertrag dieser Geistlehre kann so umschrieben werden: Das Pneuma und seine Charismen sind geschichtliche Fortsetzung der Inkarnation. Einheit des Amtes und Verschiedenheit der Dienste können so nebeneinander bestehen. Der Rechtsbegriff Dombois’ überwindet auch die verfehlte Antithese von Recht und Charisma: Das Pneuma schafft Recht, wie zum Gnadenrecht auszuführen sein wird.

 

2. Anthropologie

 

Die theologische Lehre vom Menschen fußt bei Dombois einerseits auf der Trinitätsanalogie, andererseits auf K. Barths maßvoller Erbsündenlehre. Auch die Sicht der Rechtfertigung bemüht sich um die „rechte Mitte”: sie ist christologisch und vermeidet die einseitig forensische Betrachtungsweise — aus rechtlichen Gründen! Eine ausführliche „proleptische” Eschatologie bildet den Abschluß.

 

a) Urstand

Aussagen über den Urständ fehlen fast völlig. Das braucht nicht zu verwundern, da die anthropologische Relationenlehre im Grund nichts anderes ist als eine moderne Formulierung des mit der Chiffre „Urstand” Gemeinten. Es wäre ein arger Irrtum, wenn man argwöhnte, Dombois wolle die Schöpfung unterschlagen, weil er alles schon aus „trinitarischer Analogie” und „christologischer Engführung” abgeleitet habe. Denn wiederum: Dombois intendiert eine Rechtstheologie aller Glaubensartikel sowohl der Christologie, Pneumatologie als auch der Schöpfung. Das beweisen auch seine Darlegungen über Sünde (b), Erlösung (c) und Eschatologie (d).


19) GRE 90, RdG 276. Die Einengung des Geistes auf die „je und je sich ereignende Entscheidung” wird abgelehnt (OU 101). Die Ursache sei die lutherische Tauflehre: Da allein die Taufe geistlich qualifiziert, entscheiden über das Amt in der Kirche ausschließlich die menschlichen Qualitäten, keine besonderen Charismen (RdG 523, 527). Bezeichnend ist auch, daß die CA keinen eigenen Artikel über den Geist aufweist (ebd.).

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b) Erbsünde

Es besteht eine Zäsur in den Aussagen vor und in „Recht der Gnade”.

b 1. Vor „Recht der Gnade”

Vor dem Hauptwerk bewegen sich die Ausführungen über die Erbsünde im konventionellen (gemäßigt lutherischen) Rahmen. Durch das Böse ist „der Mensch”1 denaturiert und seiner Bestimmung entfremdet; der Mensch vermag nichts Gutes mehr, wie ein Stein kann er nur noch nach unten fallen. Weil die Gnade die Welt zusammenhält, zerfällt durch die Sünde jede Beziehung; jede Verkehrung nimmt hier ihren Anfang2.

Diese Sünde ist im Wesen versuchte Selbsterlösung, „Selbstmächtigkeit”, in der der Mensch versucht, aus Eigenem zu sein, was er nur durch andere ist. Sie ist nicht so sehr einzelne Handlung, als vielmehr „Existenzverfehlung”, wie Dombois mit einem geglückten Ausdruck sagt3.

Da der Mensch in Bezügen existiert, liegt im Bezug die eigentliche Zerstörung: im Bezug zu Gott, Mitmensch und Kreatur. Mit der Korruption der bezughaften menschlichen Grundstruktur ist auch das relationale Recht zuschanden. Diese Spaltung ist die andere Seite der Selbstherrlichkeit. Der dreifachen Relation zu Gott, Mitmensch und Sache entspricht die dreifache Spaltung, der dreifache Sündenfall4.

Doch besteht die gestörte Urordnung durch Gottes Güte wenigstens als vorläufige Ordnung zwischen Fall und Erlösung weiter; in dieser „Zwischenexistenz” lebt der Mensch5.


1) Immer, wenn im folgenden verkürzt von „dem” Menschen gesprochen wird, geht es um die konkrete Existenz in Raum und Zeit, nicht um abstrakte Wesensaussagen, wie schon bei Heckel und Wolf.
2) GRE 11-13 (1946); zur Entfremdung vgl. auch P. Tillich II 52 ff. Hier liegt der Ansatz der Ideologiekritik Do.s.
3) Richteramt 71, GRE 71, FamR 79, MuR 100 f., MuS 15, 94, 99 (mit Augustin, Luther, Calvin); MuS 99 f. „existentielle”, „Wesensschuld”, „Sünde und Schuld im eigentlichen Sinne”. Damit wird ein wichtiges Motiv zum erstenmal laut: „Selbsterlösung”, Autonomie (MuR 99), Ablehnung der Relationalität ist die schwerste Verfehlung, die Do. nicht müde wird, dem abendländischen Menschen und den Konfessionen vorzuhalten.
4) NR 204, FamR 78, 139, MuS 24 („Sündenfall” — Nacktheit — Kainsmord). Das meint die öfters wiederkehrende Formel „Schuld = Verfehlung einer notwendig institutionell verfaßten Wirklichkeit” (z.B. ZevKR 1956 50, MuS 151).
5) MuS 28 f.; vgl. vor allem die Analyse der politischen Existenz des gefallenen Menschen in MuR 99 ff. Die Korruption ist also (ontologisch) nicht total; in Staat ➝

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b 2. In „Recht der Gnade”

In dem Hauptwerk Dombois' tritt die Erbsündenlehre eigenartigerweise fast ganz zurück. Denn nun ist er der Auffassung, daß die anthropologischen Strukturen, also die zwischenmenschlichen Bezüge, vom Fall nicht im Wesen verändert werden6. Für die Rechtslehre kommt es aber vor allem auf diese Strukturen an. Dombois hat damit keine Schwenkung zu einer „katholischen” Erbsündenauffassung vollzogen. Vielmehr schlägt man hier wieder ein Kapitel der Barthschen Anthropologie auf: Kraft analogia relationis ist der Mensch als Mann und Frau, d.h. im Bezug; und in dieser Relation besteht seine Gottebenbildlichkeit. Weil diese relatio göttliche Zusage ist, kann sie vom Menschen nicht aufgehoben werden7.

Natürlich soll das nicht heißen, daß es keine allgemeine und unentrinnbare Sündhaftigkeit der Unerlösten gebe: „Der natürliche Mensch


➝ und Ehe entsteht eine „bewahrende Ordnung” Gottes (FamR 79); Staat und Ehe wandeln sich durch die Sünde, werden „doppelwertige” (MuR 102 f. m. A. 2) Mächte (ἐξουσίαι). Zur „Zwischenexistenz” s.u. 490 f.
6) Der einzelne ist unfähig, seine Existenz für sich allein zu verwirklichen. Das sei „die Not des gefallenen Menschen” und zugleich (!) die „Vollkommenheit der Liebe” (RdG 237, d.h. deren Ermöglichung?). Die zwischenmenschliche Relation ist also für den gefallenen und erlösten Menschen gleich. RdG 880, 926 u.ö. wird das noch verallgemeinert: Es bestehe kein „struktureller” Gegensatz zwischen Innerweltlichkeit und Gnadenbotschaft (der Gottesbezug wird also [nur!] formal einbezogen). Ein weiterer — für Do. sehr wichtiger — Grund ist, daß die Erbsündenlehre nicht (explizit) in der Liturgie nachweisbar ist, RdG 694; denn „Dogma i.e.S.” ist nur, was liturgiefähig und in der Liturgie nachweisbar ist (lex orandi lex credendi, s.u. 757 f.). Diese These kann dogmengeschichtlich einiges für sich anführen.
7) Man vgl. Do.s fortwährende Polemik gegen alle Spuren des Pelagianismus, den er (wie üblich) auch im Katholizismus findet, z.B. GRE 156, MuR 135 f., RdG 214, 883 (3a); dazu K. Barth KD III/l 224 f. (1945!) mit 1956 16 ff. gegen „die reformatorische These vom Verlust der imago Dei durch den Sündenfall” und wieder Do. GRE 54. Das erklärt einige scheinbar scholastische Elemente der Anthropologie Do.s, wenn nämlich vom Menschen als Abbild der Trinität gesprochen wird — „das tertium comparationis”, sagt Barth, „ist . . . die Existenz im Gegenüber von Ich und Du” (ebd.). Es handelt sich also nicht etwa um die augustinischen vestigia trinitatis, die vom Einzelmenschen ausgehen! Aus der gleichen Quelle stammt die „Bildfähigkeit” weltlicher Rechtsformen für die Gnade (RdG 195) — womit nicht bestritten werden soll, daß Karl Barth — und Do. mit ihm — hier zugleich gut scholastisch gedacht hat. Dazu J.B. Lotz S.J. in der Tutzinger Diskussion um die Widerstandslehre, WS 81 f.: Auch nach katholischer Erbsündenlehre bleiben die menschlichen „Grundstrukturen” erhalten. — Von hier aus gibt die Barthsche Relationenlehre wichtige Ansätze für ein noch zu führendes anthropologisches Gespräch zwischen den Konfessionen — denn dort, und nicht in der nachfolgenden Ekklesiologie, liegen die tiefsten Unterschiede, wenigstens in rechtlicher Sicht (ebenso Heckel z.B. WS 82).

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hat keine Existenz vor Gott”, er verharrt in der „Antinomie zwischen Sündhaftigkeit und konkreter Sünde”8.

 

c) Erlösung

c 1. Christusteilhabe

Christus, der alleinige Mittler zwischen Gott und Mensch, verbindet, was durch die Ursünde auseinanderfiel. Die Fleischwerdung Gottes in Christus ist Inkarnation in die volle Mitmenschlichkeit. Damit ist im Paradox der Fleischwerdung die „Zwischenexistenz” des Menschen prinzipiell überwunden; die Gnade wird zur coincidentia oppositorum, die Rechtfertigung zur Teilhabe an Christi Tod und Auferstehung. Dieser neue „Status” wird in Wort und Sakrament zugeeignet9.

Die Realität dieses Geschehens wird in „Recht und Gnade” noch stärker hervorgehoben: Der Mensch wird zu einer „neuen Schöpfung”, in „grundlegender Verwandlung”. Es „geht wahrhaft um die Menschwerdung Gottes um der Menschwerdung des Menschen willen”, heißt es dort sehr schön. Darum wird das Verhältnis zum Nächsten „radikal . . . dem Gottesverhältnis gleichgestellt”. Jeder Christ wird (analog) Mittler zwischen Gott und dem Nächsten10.

Gleichwohl hört erst am Ende der Tage die Spannung zwischen den beiden Äonen auf, weil der Vorgang der neuen Schöpfung noch nicht beendet ist. Bis dahin sind die Gegensätze auch durch Christus nicht beseitigt, sondern können nur aus der Kraft des Glaubens durchgehalten


8) RdG 736; NRE 37 nach K. Barth; ins Positive gewendet RdG 309 f.: nur die persona coram Deo ist Person im theologischen Sinn; das sei nur die inhaltsgleiche Umkehrung von CIC can. 87, NRE 37, MuS 125, ÖR 1958 16, RdG 310. Ferner RdG 880 Recht der gefallenen Menschheit; implizit, wo vom weltlichen Recht gesprochen wird; RdG 688 (2.) gegen die ostkirchliche Erbsündenauffassung, weil sie die „volle Korrespondenz von Dogma und Liturgie” nicht durchhalte.
9) GRE 143, MuR 139, MuS 51, 81, 111, 125 ff. Die adäquate rechtliche Beschreibung des neuen Status ist die wichtigste Aufgabe, die sich diese Rechtstheologie gestellt hat. Hier soll nur von der Rechtfertigung im theologischen Sinn gesprochen werden. Entsprechend seiner Betrachtungsweise kennt Do. noch einen weiteren (religionsphänomenologischen) Begriff, nämlich das „geglaubte Grundverhältnis des Menschen zu Gott oder dem an seine Stelle gesetzten geschichtsphilosophischen Prinzip” (KuD 1957 61, NRE 11, GRE 52 u.ö.).
10) RdG 98 (2 Kor 5.17, Gal 6.15), 901 f., 919 — wieder in Weiterführung Barthscher Ansätze.

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werden. Da nützt keine bloß philosophische Bemühung oder Denkoperation11!

Glaube meint hier einen ontologischen und zugleich noetischen Tatbestand. Er ist Gabe des Geistes Christi12, nämlich Christusteilhabe. Der Geist wirkt zugleich auch das Erkennen: Glaube und Erkennen dürfen nicht „nominalistisch” getrennt werden! Im Glauben werden die menschlichen Grundrelationen erhellt und aufgedeckt13.

Damit wird die trinitarische Anthropologie zum Glaubensinhalt. Zugleich erweist sich Christus als ihre Mitte, und die Rechtfertigung des Menschen ergreift auch das Recht.

c 2. Forensische Rechtfertigungslehre

Dombois hat die Rechtfertigungslehre von der forensischen Seite her entwickelt14. Dennoch ist er gerade als Jurist der einseitig forensisch-im-putativen Sicht des Erlösungsgeschehens besonders abgeneigt. Obzwar er sehr wohl weiß, daß diese Vereinseitigung in der heutigen evangelischen Theologie aufgegeben ist, wendet er sich immer wieder gegen sie. Denn hier droht — besonders von der lutherischen Theologie her — eine doketistische Spiritualisierung der chalcedonensischen Christologie mit den zwangsläufigen individualistischen Folgen für Frömmigkeit und Kirchenbegriff15: Wo die Menschlichkeit Gottes in Christus nicht mehr


11) OU 122 f., MuS 51, 125, RdG 191, 391. Freilich hebt Do. auch den „menschlichen Anteil” hervor, nämlich die „Bereitschaft”, Gottes Willen an sich geschehen zu lassen (MuS 51, RdG 816 mit CrE 12), aber auch diese selbst ist Gnadengabe; jede „Verdienstlichkeit” ist ausgeschlossen (RdG 191).
12) RdG 391; die Frage ist exegetisch umstritten, ebenso V. Warnach FS Jaeger/Stählin 194, a. M. R. Bultmann NT 316 f. — wobei unter Geist doch wohl verschiedenes verstanden wird.
13) NRE 43, NR 200, MuR 105, 138, MuS 81 m. A. 19 (A.D. Müller), RdG 191, 391, 569.
14) Zu Christus als dem iudex quia passus vgl. MuS 77 ff.
15) FS Karrer 402, FS Smend II 292 m. A. 4 (gegen R. Bultmann), RdG 251 f., 524, Rfl. I. Die Formel „ekklesiologischer Doketismus” (RdG 43,252) ist von K. Barth OdG 62 übernommen. Das Anliegen Do.s ist, daß über der allzu ausschließlichen Betonung der Sündenvergebung das positive, „instituierende” Element der Gemeinschaft (RdG 163,307 [A. Oepke]) im Leben des Christen nicht zu kurz komme — daher die „proleptische” Eschatologie, die Institutions- und schließlich die Kirchenlehre: vgl. die Auslegung des Gleichnisses vom verlorenen Sohn (unten 625 f.). Gleichwohl will Ernst Wolf Do. auf eine einseitig forensische Rechtfertigungslehre festlegen (RuI 19, ZevKR 1963/64 81); Grundmann glaubt im Gegensatz dazu diese zentrale reformatorische Lehre verlassen (ThLZ 1963 308; aber RdG 185 wendet sich nur gegen ➝

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ernstgenommen wird, kann auch das Recht der Kirche theologisch nicht mehr gerechtfertigt werden. Wer juristisch von der Rechtfertigung sprechen will, muß vor allem den „Prozeß Gottes mit dem Menschen” und den Bundesgedanken hervorheben16.

c 3. Simul peccator et iustus

Dombois geht nicht von der Rechtfertigung sola fide aus, sondern von der Formel simul peccator et iustus als dem lutherischen Grundansatz. Er bejaht ihn, sofern er Ausdruck der menschlichen „Zwischenexistenz” zwischen Fall und Erlösung ist, die nur in der aktualen Teilhabe an Christus und endgültig erst am Ende der Geschichte überwunden ist. Simul peccator et iustus ist richtiger, aber unzulänglicher Ausdruck der Christuswirklichkeit, die real und gemeinschaftsbezogen ist17.

Leider läßt nach Dombois „gerecht und Sünder zugleich” offen, wie die beiden „Bereiche” zueinander stehen18. Die hieraus entstehende (psychologische) Unsicherheit — bin ich nun Sünder, oder gerechtfertigt, oder beides? — hat zwar reiche karitative Früchte gebracht, wie die lutherische Kirchengeschichte ausweist; aber theologisch muß diese Lehre doch am Christusbekenntnis des Chalcedonense („ungetrennt”!) präzisiert werden, damit die Bezogenheit von Gott und Mensch aufgedeckt und das individualistische Mißverständnis des sola fide bzw. simul peccator et iustus beseitigt wird. Gemeint ist einfach die geschichtliche Existenz des Christen in der dialektischen Spannung von Noch-nicht und Schon-jetzt, die im Gottesdienst realisiert wird19.


➝ die „bürgerliche” [d.h. auch: einseitig personalistische, vgl. ES 42 ff.] und RdG 308 gegen die einseitig lossprechende Rechtfertigungslehre ohne das positive Moment der Eingliederung in die Gemeinschaft der Kirche). — Nun weiterführend Rfl III 353 f. mit Hilfe der Rechtsbegriffe Identifikation und Interzession.
16) Nimmt hier Do. eine Kritik Ernst Wolfs auf? Vgl. RuI 18 f. mit Hinweis auf die Bundes-Theologie, ferner unten 628 f. Zum Prozeß vgl. zunächst unten 524 ff.
17) MuR 138, 140, OU 122 f., RdG 964. — Also nicht als zwei habitus im einen Menschen, sondern als (nichtindividualistische, RdG 742) Existentialdialektik (RdG 700, 964)! Vgl. die Ablehnung einer bloßen Individualethik MuR 145 u.ö.
18) MuR 138 mit Hinweis auf die gleiche Schwierigkeit bei der (herkömmlichen Form der) lutherischen Reiche- und Regimentenlehre (anders Heckel!).
19) NRE 19, MuR 138, 140 f. (das „Miteinander der Naturen [enthält] auch die wahre Interpretation menschlicher Existenz”), RdG 251 f. Zur „proleptischen Eschatologie” s.u. 480.

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d) Eschatologie

Dombois verfällt nicht in den systematischen Fehler, nur von der Erlösung auszugehen. Er bezieht die Eschatologie mit ein, und zwar in enger Verflechtung mit Anthropologie und Rechtslehre.

d 1. Vor „Recht der Gnade”

Unter Eschatologie ist im Sinne der Religionsphilosophie die Lehre von den letzten Dingen zu verstehen. Im spezifisch christlichen Sinn20 sind die letzten Dinge die Rückholung und Versöhnung der ungehorsamen Welt bzw. das Gericht. Es kommt Dombois darauf an, die Eschatologie nicht isoliert von der Prädestination21 und Schöpfung, Inkarnation und Erlösung zu sehen22.

Eine „falsche Lehre von den letzten Dingen” wäre es also, wenn vom heilsgeschichtlichen Zusammenhang abgesehen würde. Das kann in


20) So vorwiegend in RdG; daneben kennt Do. auch hier wieder die Eschata als religionsphänomenologische und -philosophische Aussage, die für das Christentum wie für säkulare Ideologien gleichermaßen gilt (z. B. die „falsche Eschatologie” [NRE 61 u.ö.] oder den „Chiliasmus” [MuR 137 ff.] z. B. des Marxismus und Nationalsozialismus; NRE 36 die drei „eschatologischen” Geschichtsphilosophien; dazu GRE 63 ff.).
21) Zur gemeinchristlichen Lehre von der Prädestination steht Do. durchaus „dialektisch": Er verneint sie in ihrer „kalvinistischen”, bejaht sie in ihrer barthianischen Form. Sie darf nicht einseitig ausgeformt sein (NRE 25, RdG 214 f.). Was sie positiv für die Anthropologie und damit die Rechtstheologie bedeutet, bleibt freilich ungesagt (außer NRE 35-37), im Gegensatz zur Würdigung des Falls, der Erlösung usw. Vielleicht darf man darin das traditionell lutherische Erbe sehen. Im einzelnen: Prädestination ist vorzeitliche Setzung (RdG 285) durch Gott; der religionsphänomenologische Gegensatz ist Synergismus (NRE 26, MuR 137) und ist religionssoziologisch für den Calvinismus (GRE 109, RdG 214 u.ö.) und den Marxismus (NRE 26 — vgl. oben A. 20) charakteristisch (es gibt also auch hier den theologischen und den phänomenologischen Begriff). Die Prädestination steht nicht isoliert, sondern im paradoxen Bezug (RdG 285, 946) bzw. im Spannungsverhältnis (560, 562) zur Inkarnation (entsprechend dem Verhältnis von immanenter und ökonomischer Trinität, 946), was nur dem christlichen Glauben einsichtig ist (MuS 125). Prädestination und Inkarnation verhalten sich wie Verheißung und Erfüllung, Verborgenheit und Offenheit (RdG 285 f.). K. Barth hat den christologischen Bezug wiederaufgenommen; ohne diesen würde Christus durch die Prädestination überflüssig gemacht (GRE 105) und deshalb auch das Recht zerstört (NRE 35). Die vorzeitliche Bestimmung des Menschen steht auch in Verbindung mit der Eschatologie (RdG 562), wie diese ist sie doppelt zu fassen: Es gibt der Bestimmung entsprechende und widersprechende Menschen, eine gemina praedestinatio (NRE 35), die übrigens auch Luther vertreten hat!, P. Jacobs EKL III 276.
22) NRE 15, 34-38, GRE 86, MuR 103 f., RdG 177, 199, 291.

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zweifacher Weise23 geschehen — und nun vermischen sich religions- und geschichtsphilosophische mit theologischen Kategorien —: Die Eschatologie kann verkürzt oder überbetont werden. Eine drohende Verkürzung befürchtet Dombois sowohl in der scholastischen Umformung der Eschatologie in eine rationale Teleologie24 als auch in der nüchternen Diesseitigkeit der lutherischen Ständelehre und der „christokratischen” Tendenz Karl Barths, die die Inkarnation verleugne (!). Das durchweg rationalistische neuzeitliche Denken schließlich „lebt zwar gänzlich in den Zeitkategorien der Eschatologie; aber es kehrt ein in die Innerweltlichkeit und verliert damit die Geschichte”25.

Eine Überbetonung der Eschatologie führt zur Gleichmacherei. Stellt man es durchgängig auf letzte Ziele ab oder denkt man kurzschlüssig alles vom Ende her, so werden alle gegliederten Formen destruiert, was Dombois besonders im politischen und allgemeinen Strafrecht im einzelnen aufweist26.

Dahinter steht ein spezifisch „geschichtliches” Verständnis der Anthropologie: der Mensch ist homo viator. Er befindet sich auf dem Wege zwischen Schöpfung und Gericht; er ist nur dann „neue Schöpfung”, wenn er diese eschatologische Gerichtetheit von Vergangenheit her auf Zukunft hin nicht vergißt27.

d 2. In „Recht der Gnade”

Hier werden die bisher gewonnenen Erkenntnisse auf die Kirche und das Kirchenrecht angewandt. Die Darstellung ist überall vertieft; die religionsphilosophische Sicht ist aufgegeben, die exegetische Betrachtung tritt in den Vordergrund28. Dadurch kommt die gegenwärtige Bedeutsamkeit des eschatologischen Handelns Gottes deutlicher als bisher in den Blick.


23) GRE 86; teilweise a. M. Ernst Wolf ZevKR 1963/64 86.
24) S.u. 5517.
25) NRE 14-18, 35 ff., 43 (mit GRE 115 f.), OU 122 f., MuS 93; zurückhaltender RdG 208 ff.
26) PG, MuS, Strafe; dazu SS 30, NRE 27, 35 f., 42, GRE 106; deshalb ist auch der Rationalismus „eschatologisch”, NRE 33. Der Einfluß dieses verderblichen Denkens auf die Kirchenverfassung wird erst in RdG 208 ff. dargelegt, aber nicht mehr vorwiegend unter „Eschatologie”! Zur Auswirkung auf die Institutionen (Umformung zur sog. „transpersonalen Institution”) s.u. 579 ff.
27) NRE 40, 42, GRE 86, MuR 103 f.
28) Ausnahme RdG 208. — Zum eschatologisch bestimmten Verhältnis von Kirche und Welt vgl. RdG 1026, 1034, 1053.

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Der Christ ist nach dem Neuen Testament gegenwärtiges „Kind Gottes” und „Erbe” der Zukunft. Die Auslegung dieser beiden Rechtsbilder zeigt genau die Spannweite der eschatologischen Existenz des Christen. Sieht er sich nur als Kind, dann verschwindet über der übermächtigen Erfahrung des gegenwärtigen Heils die Zukunft; weiß er sich nur als Erbe, der jetzt nichts besitzt, aber alles zu erwarten hat, dann verblassen stiftende Vergangenheit und lebendige Gegenwart in Wort und Sakrament vor der Erwartung der strahlenden Zukunft Gottes. Die Spannung zwischen „Schon-Kind” und „Noch-nicht-Erbe” muß unverkürzt durchgehalten werden29.

Diesen Typus der Eschatologie nennt Dombois mit Olof Linton die „proleptische” Eschatologie. Ihr also schließt er sich an30. Sie ist gekennzeichnet durch die Betonung jenes „mächtigen Stromes sakramentalen Lebens” (E. Käsemann), in dem die Gemeinde ihren zukommenden und zukünftigen Herrn gegenwärtig glaubt und der Christ sich als Kind und Erbe zugleich erfährt. Die neutestamentliche Gemeinde ist „Gemeinschaft proleptischer Eschatologie”31.

Die eschatologische Gegenwärtigkeit des Heils wird bei Dombois verstärkt durch die Rezeption der neutestamentlichen Äonenlehre.


29) FS Smend II 299 Kindschaft und Erbenstellung als jetzt schon real vorhandene präsentische Anwartschaftsrechte (etwas anders noch RdG 102 ff.).Vgl. RdG 866 f.: In der Gnade sind alle drei Zeiten vereint (ähnlich G. Stählin ThW IV 1099 ff.). Darum muß bei den Sakramenten „die rechte Mitte zwischen präsentischer Vergegenständlichung (scil. in der Scholastik) und futurischem Zukommen” eingehalten werden, RdG 103, 145, 450. Zur eschatologischen Struktur der Ordination RdG 560-562, der Ehe RdG 630.
30) RdG 67, 79; Gnade 153 „vorweggenommene” Eschatologie (vgl. auch das „proleptische” Taufverständnis E. Dinklers in RGG VI 631 und in FS Cullmann 173 ff., RdG 148, 265). Ausdrücklich wendet sich Do. gegen die allzu „präsentische” Eschatologie R. Bultmanns (FS Smend II 298 mit Hinweis auf G. Wingren, RdG 154); zu nennen wäre hier auch C.H. Dodds realized eschatology. Auch das „linear-futurische” Mißverständnis wird abgelehnt („nur Erbe”: RdG 104; das ist der „evangelische” Typus aus Angst vor einer theologia gloriae, RdG 202; Vergangenheit und Gegenwartsbezug der Stiftung verschwinden zugunsten der reinen Zukünftigkeit des Heils, RdG 104, FS Smend II 301 f.) — ebenso wie die „konsequente Eschatologie” A. Schweitzers mit Einschluß seiner Interimsethik (RdG 67; ebenso M. Schmaus KD IV/2 136 ff., F.J. Schierse LThK III 1098 f., ähnlich insoweit auch V. Warnach FS Jaeger/Stählin 197). Freilich erfaßt Do. damit nur eine Richtung der ntl. Eschatologie; vgl. die differenziertere Betrachtung E. Schweizers z.B. 148 ff.
31) RdG 67, 110, 143 ff., 209 f., 287, 310, 365 mit Hinweisen auf O. Linton und E. Käsemann; „Sakrament (ist) proleptische Eschatologie”, RdG 562. Damit einher geht die stärkere Betonung der Gemeinschaftlichkeit gegenüber früher; denn der Individualismus ist dem NT fremd, RdG ebd.; dazu noch NRE 38, RdG 56, 103.

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d 3. Äonenlehre

Die Äonenlehre, die bei den Synoptikern und bei Paulus, den Deuteropaulinen und im Hebräerbrief eine (nicht zu überschätzende) Rolle spielt32, drückt den relativen Gegensatz der Zeit vor Christus und der Heilszeit seit Christus mit den Begriffsmitteln der spätjüdischen Apokalyptik aus.

Bei Dombois wird sie im Zuge der Berücksichtigung der Exegese zuerst in „Ordnung und Unordnung der Kirche” erwähnt und mit der Zwei-Naturen-Lehre des Chalcedonense parallelisiert: Wie sich Göttliches und Menschliches in Christus ohne Vermischung durchdringen, so die beiden Äonen in der christlichen Existenz in Welt und Kirche33.

Das entspricht sachlich einer genaueren Formulierung des Satzes, daß der Christ „Bürger zweier Reiche” sei, zugleich aber der Welt enthoben34.

Der Gegensatz zwischen „diesem Äon” und dem „neuen Äon” wird erst in „Recht der Gnade” berücksichtigt, in die neutestamentliche Eschatologie eingeordnet und auf die Institutionenlehre angewandt. Entsprechend der „proleptischen” Eschatologie und übereinstimmend mit dem Neuen Testament ist der „kommende” Äon im Glauben schon erfahrbare Gegenwart. Die Taufe scheidet von dem alten Unheilsäon und ordnet dem neuen Äon zu, nämlich der personalen Gemeinschaft mit Christus und seiner Gemeinde im Abendmahl. Kirchenzugehörigkeit und Christuszugehörigkeit gehören so zusammen. Christus verleiht seinen Jüngern eine neue Heimat im neuen Äon. Die neue eschatologische Gleichheit (und Ungleichheit) der Glieder des Leibes Christi wird begründet. Der Abfall hat den Ausschluß aus der Gemeinde zur Folge. „Die Gemeinschaft des neuen Äons” ist zwar nicht von „dieser Welt”, aber auf sie verwiesen, um ihr die frohe Botschaft zu bringen; ihre Sendung in die Welt liegt im Gottesdienst begründet35.


32) F.J. Schierse LThK I 680-683, H. Sasse ThW I 197-209.
33) OU 122 f., MuS 81, RdG 110. — Das ist freilich nur haltbar, wenn damit die Weise der Durchdringung gemeint ist; denn die menschliche Natur Christi gehört nicht zum vergehenden Äon.
34) Vgl. GRE 84-86: „Der Christ lebt in zwei Völkern”, hat aber zugleich allein „einen Standpunkt außerhalb der Welt”.
35) RdG 140, 733 („Gemeinschaftscharakter des neuen Äons”) — dazu Gnade 154, RdG 782, 819, 991 f. (πολίτευμα, Phil 3.20), 996.