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Die Verbindung des Rechts mit der Theorie der Institution ergibt eine neuartige Rechtslehre, deren ungewöhnlicher Aufbau es rechtfertigt, eine kurze Einführung voranzustellen.
Der zentrale Begriff Dombois’ ist die „Gnade” (Begnadigung). Ihr stellt er auf juristischer Ebene die „Gerechtigkeit” gegenüber und verbindet beide theologisch in der Heilsgerechtigkeit Gottes, juristisch im doppelten Rechtsbegriff. Es ergeben sich somit drei Grundbegriffe: Gnade, Gerechtigkeit, Recht. Ihre Schwierigkeit besteht darin, daß sie alle juristisch und theologisch zugleich zu verstehen sind, wie ihre Entwicklung zeigt (unten 2).
Aus Gnade und Gerechtigkeit1 ergeben sich zwei Rechtskreise, das Gnaden- und Gerechtigkeitsrecht (unten 3 a, 3 b), wobei sich das Gnadenrecht nicht als auf die juristische Begnadigung begrenzt erweist, sondern in mannigfachen Rechtsfiguren des weltlichen Rechts wiedererkannt wird. Letzteres zeigt sich sogar als besonders geeignet, die Rechtsstruktur neutestamentlicher Gleichnisse wiederzugeben, ja den Rechtfertigungsvorgang selbst zu beschreiben. Das Gerechtigkeitsrecht dagegen ist nichts anderes als das heute herrschende normative Recht, oder vielmehr seine kategoriale Urform, die „Anspruchsanerkennung”.
Die beiden Rechtskreise des Gnaden- und Gerechtigkeitsrechts stehen nicht unverbunden nebeneinander, ebensowenig wie Gnade und Gerechtigkeit selbst; vielmehr finden sie ihre „supplementäre” Verbindung
1) Genauer: aus theologischer und juristischer Gnade = Heilsgerechtigkeit einerseits, juristischer Gerechtigkeit andererseits (unten 620).
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im „Rechtsbegriff der Gnade”2 (3 c) oder anders in der (Rechtsstruktur der) Heilsgerechtigkeit Gottes. Darum wagt Dombois die kühnen Worte: Es „verkündigt die Rechtslehre den Triumph der Gnade . . . grundsätzlicher als manche Theologie”. Denn der Rechtsbegriff der Gnade ist die Summe des Evangeliums3!
Um dieses hohe rechtstheologische Ziel zu erreichen, muß auch rechtsphilosophisch weit ausgeholt werden. Die eine Wirklichkeit hat mehrere „Dimensionen”. Eine dieser Dimensionen ist das Recht — nicht die einzige Dimension4, aber, mit der Theologie zusammen, die wichtigste.
Was damit inhaltlich gemeint ist, sagen die schon wohlbekannten anthropologischen Grundbegriffe, die hier allesamt zu Rechtsbegriffen werden und nun mit der Institution in die Rechtslehre eingebaut werden (4). Dadurch wird das Recht (in beiden Formenkreisen) näher bestimmt als „Relation”, „Bezugsverfassung”, „Dimension der personalgeschichtlichen Existenz des Menschen”, schließlich als die „Struktur der notwendig existentiell verfaßten Humanwirklichkeit” — Umschreibungen, die nicht alle von Dombois selbst stammen, die aber versuchen, das von ihm Gemeinte in formelhafter Kürze zusammenzufassen. Einige rechtstheologische und rechtsphilosophische Beobachtungen bilden die abschließende kritische Würdigung (5).
2) Als terminologische Vereinfachung ist in
dieser Arbeit der „Rechtsbegriff der Gnade” der supplementären
Verbindung von Gnaden- und Gerechtigkeits-
(Gabe-/Status-/institutionellem und
Forderungs-/Anspruchs-/normativem/jurisdiktionellem) Recht
vorbehalten, die „Gnade” dagegen in ihrer juristischen und
theologischen Doppeldeutigkeit belassen, aber, wo es möglich war,
wurde ihr genauer Sinn angegeben.
3) Gnade 152, RdG 190 f.
4) RdG 306: „So wichtig mir nun im gesamten Umfang
dieser Arbeit ist, den Rechtsgehalt und die Rechtsbedeutung
gottesdienstlichen Handelns zu erfassen, so eben doch nur deshalb
und soweit, als das Handeln hier den Rechtscharakter erkennen
läßt. Der Anstoß zu dieser Betrachtung liegt zum wesentlichen
Teile darin, daß Begriffe des geistlichen Lebens zugleich solche
des Rechtslebens sind und insofern eine mehrdimensionale (!)
Wirklichkeit ausdrücken.” RdG 33: Es gibt „eine Antinomie
zwischen rechtsbildenden und rechtsfremden Tendenzen im Bereich .
. . der Offenbarung”, also (RdG 96 f.) auch eine dem Recht
abgewandte Seite der Religion! Dazu ist stets die „Vorläufigkeit,
Fehlsamkeit und Mißbrauchbarkeit allen (!) Rechts” zu bedenken,
FamR 87. Ferner NRE 60, OU 96 (1.), FS Smend II 303, Rfl I 169
und unten 643. Wenn also verschiedentlich kritisch bemerkt wird,
daß Do. nur Teilaspekte biete (z.B. Ernst Wolf ZevKR 1963/64 88
f. für das Taufrecht), so entspricht das durchaus Do.s Absicht.
Do. will nur die Rechtsdimension erheben.
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Unter rechtswissenschaftlichem Aspekt kommen Erkenntnisse über die Gnade zutage, die der Theologe mit seinen Mitteln nicht gewinnen kann. Darum unterscheidet Dombois zwischen dem Anteil des Theologen und dem des Juristen. Folglich ist auch über den theologischen Begriff der Gnade nur wenig zu finden, um so mehr aber über den juristischen5.
Weil alles folgende eine juristische Theorie der Gnade sein will, bleibt hier nur über die Entwicklung der theologischen Seite zu berichten. Einiges wurde schon erwähnt, so das Verhältnis von Gnade und Charismen („Besonderungen der charis”) sowie die Gnade als Ermöglichung der Institutionen (gratia praeveniens)6.
Aber was ist Gnade? Erst im „Recht der Gnade” finden wir eine Antwort. „Gnade ist Zuwendung Gottes zum Menschen”, und also „Gemeinschaft mit Gott, nichts weiter”. Man begegnet ihr allein in der Person Christi. Die Gnade ist Ausdruck des Herrschaftswillens Gottes7. Sie ist Drohung des Gerichts, wenn man aus ihr herausfällt, aber vor allem Verheißung göttlicher Liebe, wenn man in ihr bleibt.
Dombois versteht also die Gnade christologisch und eschatologisch; sie ist relational und personal bestimmt, nicht bloßes „Ereignis”, sondern eine Relation. Darum ist sie aber auch existentiell: Gottes erwählende Gnade bringt den Menschen erst ganz zu sich selbst, indem sie ihm Rechtspersonalität vor Gott verleiht. Die menschliche Existenz kann sogar erst zusammen mit der Gnade vollständig definiert werden. „Die positive Existenzbestimmung des Menschen im Recht ist die Gnade”8.
5) Gnade 154, RdG 81; vgl. RdG 180: Gnade „auf
der Ebene der Theologie”, RdG 188 f. Gnade als Rechtsbegriff. —
Nicht zufällig kommt die theol. Gnade erst in RdG vor; vorher
gilt allein die religionsphilosophische (und juristische)
Betrachtungsweise.
6) S.o. 470 ff. 58943.
7) RdG 197, 469, 925, 976. Darum kann man die Gnade
nicht verdienen, RdG 197 (10.). All das hat bei Do. durchaus
zugleich eine rechtliche Dimension, arg. 469, die Person und
Sache zusammennimmt in Wort und Sakrament, 177.
8) RdG 81; RdG 199 (dazu 150, 166), 177 (4.); Gnade
als personale Relation: ebd. 631 f.; so sagt auch Y. Congar: „Die
Gnade hat eine dialogische Struktur”; ebenso J. Auer HthG I
559.
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Die Gnade kennt auch eine Struktur. Sie ist keine gestaltlose Freiheit der Kinder Gottes oder existentialtheologische Gunst der Entscheidung: Sie sondert aus der Welt aus und ordnet ein in die Gemeinschaft des neuen Äons. Auch dort entfaltet sie die gleiche aussondernd-einordnende Wirkung, indem sie die verschiedenen Gaben zuteilt und so eine Fülle neuer und erneuerter Bezüge stiftet9.
Die theologische Gnade ist also, um es kurz zu sagen, die gottgestiftete Gottesrelation, die alle menschlichen Existentialien in sich birgt.
Während Dombois den theologischen Gnadenbegriff erst im „Recht der Gnade” einführt, hat die „Gerechtigkeit” bei ihm eine längere Entwicklung aufzuweisen.
Zunächst stehen scharf antithetisch „juristische und theologische” Gerechtigkeit gegenüber. Ihre Verbindung ist Christus allein. Dennoch rechnet Dombois diesen Dualismus der Rechtslehre zu, wenn auch nur als „Grenzwert”. Damit ist von Anfang an der juristische Bereich bis in die Theologie ausgeweitet10.
Das Verhältnis der zwei „Gerechtigkeiten” wird später (1955) genauer bestimmt und ihre Bezogenheit aufeinander erkannt: Die theologische Gerechtigkeit transzendiert die juristische. Zugleich sind sie aufeinander bezogen. Jene ist für diese verbindlich, beschließt sie sogar in sich wie das Vollkommene das Unvollkommene, bedarf ihrer aber zugleich, wie man ergänzen kann11.
9) Gnade 154, RdG 186 („materialer
Gnadenbegriff”), 196, 262.
10) SS 52 „die Dialektik zwischen (der zeitlichen und
der endzeitlichen) Gerechtigkeit gehört der Rechtslehre an”, NR
199; zum Inhalt der beiden Begriffe s.u.; NRE 32: „Der Mensch
zwischen Gott und dem Nächsten ist notwendig ungerecht.” Denn
„das Recht (ist) doch immer ein Stück Selbstbehauptung” (K.
Barth!). „Recht und Gerechtigkeit stehen in einer unaufhebbaren
(!) Dialektik.” „Diesen Bruch kann kein wie immer gearteter
Gerechtigkeitsbegriff überwinden.”
11) NR 199 ff. Damit grenzt sich Do. zugleich gegen
den Positivismus (Recht und Gerechtigkeit sind aufeinander
bezogen) und einige Naturrechtslehren ab (Recht kann
Gerechtigkeit nicht voll realisieren), ebd. Ebenso wie Do. aber
das scholastische Naturrecht, vgl. statt aller J. Pieper 74, 112
f. u.ö.
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Dabei ist es wesentlich, daß es keinen „Standpunkt außerhalb” gibt, von dem aus dieser Dualismus „überwunden” werden könnte. Aber er ist zugleich eine Aufgabe für den Glauben: die Beziehung der beiden Pole darf nicht auseinanderfallen, sondern muß zusammengehalten werden12.
Nun werden die beiden Linien (der Entgegensetzung und der Beziehung) auch terminologisch zu Ende geführt: Theologische und juristische Gerechtigkeit sind supplementär verbunden. Die theologische Gerechtigkeit begreift die juristische „paradoxal” in sich, weil sie selbst die Gerechtigkeit ist, die verpflichten will, aber durch Gnade. „Die freie schöpferische Gnade ist gerecht als die neue Schöpfung, in der Gerechtigkeit wohnt.”
Damit aber ist die theologische Gerechtigkeit gleich der theologischen Gnade, von der gerade gesprochen wurde. Sie ist die iustitia salutifera, die „Gerechtigkeit, in der . . . der Heilswille Gottes sich durchsetzt”13.
Die „juristische” Gerechtigkeit dagegen ist die iustitia distributiva et commutativa. Sie sagt, was gebührt und zukommt nach Verdienst, und heißt so auch die normative, innerweltliche oder herrschende Gerechtigkeit. Nur irrte E. Schlink, wenn er allein diese Gerechtigkeit für rechtlich faßbar hielt: „Theologische” und „juristische” Gerechtigkeit sind „in vollem Umfang” Rechtsbegriffe; denn Gottes Handeln ist immer im Recht, wenn es den Menschen ergreift. Es läßt sich auch rechtssystematisch und -historisch zeigen, daß beide Arten von Gerechtigkeit
12) RdG 206 f.
13) Gnade 152, RdG 177 (2.), 179, 181, 188, 190. Davon
zu unterscheiden ist wohl (RdG 964?) die eschatologische
Glaubensgerechtigkeit des Einzelnen, die erst am Ende offenbar
und deshalb außerjuristisch ist. Zur iustitia salutifera
RdG 179, 188 nach E. Schlink KuD 1956 256. Der Begriff stammt
aber wohl aus der ökumenischen Treysakonferenz über die
„Gerechtigkeit in biblischer Sicht”, Walz/Schrey 147 (1.), 57. So
kann Do. einerseits sagen: „Gnade ist eine Form der
Gerechtigkeit”, nämlich „als gebende und fordernde”, RdG
177 (2.), andererseits in scheinbarem Gegensatz, daß der
Gerechtigkeitsbegriff (scil. der Rechtswissenschaft!)
auf die Gnade unanwendbar sei, RdG 179, 908. Damit löst sich die
von Grundmann ThLZ 1963 810 f. bemerkte schwierige Stelle RdG
908, vgl. auch unten 633 ff.; die „Gerechtigkeit Gottes”
ist die iustitia salutifera. Ihre „paradoxale
Einheit” umfaßt Gnade(-nrecht) und Gerechtigkeit(-srecht), RdG
179 f.; oder mit Grundmann ThLZ 1963 812: „Die Gnade ist . . .
die Gerechtigkeit Gottes.” Erst was bei Grundmann (ebd.) folgt,
enthält einen Unterschied zu Do.: „. . . gleichgültig,
ob sie sich in normativer Satzung, institutioneller Statuierung
oder dezisionistischer Spruchtätigkeit verwirklicht.”
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spezifischen Rechtskreisen zugehören, die miteinander „supplementär” verbunden sind14.
Das ist das Thema des „Rechts der Gnade”.
Parallel zur Entfaltung der zweifachen Gerechtigkeit läuft die Entwicklung des doppelten Rechtsbegriffs. Er geht von den Schöpfungsordnungen15 über die Institutionen zum Gnadenrecht.
Zunächst ist der Rechtsbegriff völlig konventionell: „Vom Begriff des Rechts, denn das Recht — so die Grundüberzeugung Dombois’, die erkennbaren, rationellen, definierbaren Regelhaftigkeit, der Gesetzlichkeit, und das . . . der Aktivlegitimation im präzisen Sinn der Rechtssprache.” „Ein irrationales Recht ist überhaupt kein Recht”, da es ohne bestimmbaren Inhalt ist16. In Kürze also all das, was später abgelehnt wird! Doch der kulturkritische Ansatz treibt Dombois notwendig zur Überwindung des vom Gesetz her bestimmten Rechtsbegriffs. Die Krise der Gegenwart ist die Krise des Christentums und zugleich die Krise des Rechts können zwei Elemente nicht weggedacht werden: das der in jenen Jahren häufig ausgesprochen wird — folgt immer den präjuristischen Wertsetzungen nach. Abhilfe kann nur die „Wiederherstellung der Rechtsidee” bringen17. Aber wo sie finden?
Katholisches Naturrecht, lutherisches Berufsethos, kalvinische Menschenrechte werden auf der Waage der Geschichte gewogen und zu leicht befunden18. Als Alternative wählt Dombois den Weg der Phänomenologie. Er sucht „den Rechtsbegriff schlechthin” durch die „letzte Reduktion der Rechtsidee”, die „echte Grundformel” des Rechts — nicht als blasse Abstraktion und kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern als
14) Gnade 152, RdG 122, 166, 179 f., 188, 190,
207, 1030. Freilich fehlt hier (nicht in MuS) die „vergeltende”
Gerechtigkeit. Doch kommt es hier nicht auf die unvollständige
Disjunktion an, sondern auf die Verbindung von (jur.)
Gerechtigkeit mit „Anspruch”, „Schuld”. — Vgl. K. Barths
Sprachgebrauch vom gnädigen Recht Gottes!
15) Vgl. das Programm SS 4 f. und oben 605 ff.
16) GRE 47 f. (1947).
17) Richteramt 66, SS 51, GRE 52 f.
18) NRE passim, GRE 53 ff.
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die „große Synthese” des durch die historisch bedingten Rechte „eigentlich” Gemeinten. Dabei muß man von der Rechtswirklichkeit ausgehen, sie mit allen dazu geeigneten Mitteln (der Soziologie, der Religionswissenschaft usf.) auf ihre Strukturen untersuchen19. Zunächst ist das Resultat ein auf K. Barth aufgebautes Nächstenrecht, das nah mit Erik Wolf verwandt zu sein scheint20.
Hier taucht auch zum ersten Mal die Differenzierung auf zwischen einem Recht des 1. und des 3. Glaubensartikels, das in Christus verbunden ist. Es ist das institutionelle Schöpfungsrecht und das Konsensrecht — noch ohne Unterordnung des letzteren. Diese beiden — institutionellen — Rechtsformen entsprechen im geltenden Recht etwa dem Sachen- und dem Schuldrecht, soziologisch dem bewahrenden Macht- und dem verändernden „Kampf”verhältnis, also nach F. Tönnies der Gemeinschaft und der Gesellschaft; religionssoziologisch nach G. van der Leeuw der traditionalen Gemeinschaft (aus Schöpfung) und dem aussondernden Bund (aus Erwählung); rechtssoziologisch schließlich dem (vorgegebenen) status und dem (beweglichen) consensus einerseits, der (in der Vergangenheit gründenden) traditio und dem (auf Entscheidung zudrängenden) iudicium im Prozeß andererseits.
Erst die Heilsgeschichte ergibt die Verbindung der divergierenden Linien: Der Bund Gottes ist gegründet auf den status der Schöpfung; die traditio aus Schöpfung mündet in den Bund, beide zusammen sind gerichtet auf das endzeitliche iudicium21.
Deutlich ist die Zweiheit des Rechts. Sie ist das erste Charakteristikum des künftigen Rechtsbegriffs. Der Gegensatz von bewahrenden und vorwärtsdrängenden Strukturen tritt aber im folgenden zurück gegenüber der stärker betonten eschatologischen Geschichtlichkeit.
Die systematische Verbindung des Rechts- mit dem Gerechtigkeitsbegriff kündigt sich in den insoweit auf Dombois zurückgehenden
19) NRE 4, GRE 53 ff., 58, 83. Der Rekurs auf
eine bloße Rechtsidee wird später als idealistisch abgelehnt (FS
Smend II 288 f.) zugunsten der Komplementarität von Ideen- und
Rechtsgeschichte.
20) S.u. 64422.
21) NRE 43 ff., 58 ff. (vereinfacht), GRE 53 f.,
ergänzend oben 564 f.; F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft,
G. van der Leeuw PhdR 269 ff., 282 ff.
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Thesen zum Staatsproblem an. Recht und Gerechtigkeit sind komplementär, haben aber mit der Gnadengerechtigkeit (noch) nichts zu tun22.
Gnade und Liebe sind Grenze und Maßstab, nicht Inhalt des Rechts, seine „metajuristische Garantie”23.
Auch diese Sicht wird im folgenden durch die Erkenntnisse der Institutionendiskussion überholt. Zunächst reift die Einsicht in die Gemeinschaftsbedingtheit allen Rechts24. In „Mensch und Strafe” (1957) werden die Barthschen Ansätze zu einer Rechtsanthropologie ausgearbeitet: das Recht ist existentielle, personale Relation. Die Denkform der Komplementarität wird nun25 für das Rechtsproblem fruchtbar gemacht. Die in „Ordnung und Unordnung der Kirche” (1957) zusammengefaßten Vorträge wenden diese Erkenntnisse auf das Kirchenrecht an.
All das strömt im „Recht der Gnade” zusammen. Jetzt endlich kann die Gabe der göttlichen Gnade mit dem Anspruch zu einem komplementären Verhältnis versöhnt werden, weil der Rechtsbegriff der Gnade erkannt ist26.
Das Ergebnis lautet also: Die theologische Gnade ist gleich der theologischen oder Heilsgerechtigkeit; ihnen beiden steht gegenüber die juristische Gerechtigkeit. Auf dieser doppelten Gerechtigkeit beruht das doppelte Recht, das im folgenden als das Gnaden- und das Gerechtigkeitsrecht vorgestellt wird.
22) MuR 201 These 5, ähnlich Hochland 1953/54
348: Dialektik zwischen konkretem Recht und Rechtsidee. Weiter
geht schon NR 199, 202: Gerechtigkeit ist der eine Grenzwert des
grundsätzlich gebrochenen Rechts, begreift es zugleich in sich.
Vorbereitet in DtPfBl 1949 58, Hochland 1953/54 349.
23) SS 39, 52, NRE 30 f., NR 199 f. — was zugleich
besagt, daß die spezifische Verbindung von Gnade und Institution
im Gnadenrecht noch nicht erkannt ist.
24) NR 202.
25) Vorbereitet in CrE 62 f.
26) Dazu die Vorarbeit Gnade 150 ff., angekündigt in
Berichtskizze 251 ff. Die entferntere Vorstufe ist der in MuS
wiederholt versuchte Nachweis, daß jeder (Straf-)Richterspruch
zugleich Übung der Gerechtigkeit wie Gnadenakt ist; d.h. — so
dann OU 49 — Gnade und Recht gehören ursprünglich (d.h.
kategorial) zusammen. RdG geht (mit Gnade) darin weiter, daß
diese Aussage durch Aufweis der institutionellen, mehraktigen
Struktur der Gnade ergänzt wird. Freilich ist das RdG keine
Rechtstheologie, sondern ein kirchenrechtliches Werk, ZEE 1963
316; wenn es auch zwölf Jahre rechtstheologischer Arbeit enthält,
RdG 10.
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Die schwierigste Aufgabe, vor die sich Dombois gestellt sieht, ist die rechte Unterscheidung und Verbindung der beiden Rechtsformen, des Gnaden- und des Gerechtigkeitsrechts (unten a, b). Er findet sie im „Rechtsbegriff der Gnade” (c).
Der erste Rechtstypus ist das Gnaden- oder Statusrecht. Er war in Vergessenheit geraten trotz seines Formenreichtums. Er umfaßt die institutionellen Rechtsformen, also die „Gnade” und die „gnadenähnlichen Rechtsverhältnisse”1.
Bemerkenswerterweise wird nun — zunächst — zwischen theologischer und juristischer Gnade nicht unterschieden: Zur „Gnade” (i.e.S.) gehören strukturell im weltlichen Recht vor allem die Begnadigung (gnadenweiser Straferlaß), auch die politische Amnestie2, dazu grundsätzlich das Kirchenrecht und die Rechtsgleichnisse des Neuen Testaments. Zu den gnadenähnlichen Rechtsverhältnissen (Gnade i.w.S.) zählen einige Institute des privaten (Schenkung, testamentarische Erbeinsetzung, Ehe und Adoption) und öffentlichen Rechts (Verleihung der Staatsbürgerschaft, eines öffentlichen Amtes), besonders aber alle Akte der Rechtsübertragung3. Sie vor allem sind geeignet, das Phänomen des eigentlichen Gnadenrechts zu veranschaulichen, und sollen darum voranstehen.
1) RdG 93, 163, 171, 178 ff., 196, 908; vgl.
unten 671129. Gnade ist hier wie meist als Rechtsstruktur
verstanden, meint also sowohl die theologische Begnadigung
(Rechtfertigung) wie (analog) die juristische.
2) Gnade 150 f., RdG 178; Amnestie: ESL 534, RdG 174
gegen W. Grewe 13 f.; ESL 456: auch die Niederschlagung.
3) Gnade 151 f., RdG 175-177, 253, 925, church 109.
Für die weitere Betrachtung entscheidend wichtig bleibt, daß Do.
auch die Schenkung, erst recht Erbeinsetzung usw., nicht
„schuldrechtlich” (d.h. anspruchsrechtlich, unten 630 ff.)
interpretiert, sondern in diesen Instituten zunächst personale
Zuordnungsverhältnisse sieht. NRE 52, 57 f. ist die Einbürgerung
noch „staatsrechtlicher Unterwerfungsvertrag”, wird aber
statusrechtliche interpretiert. Zu den „Statuskontrakten” (M.
Weber; Ehe, Adoption, Einbürgerung) RdG 628 ff., 635 ff., MdKI
1962 1 ff., KuD 1963 208 ff.
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Die gnadenähnlichen Rechtsverhältnisse sind material und formal
ähnlich. Stets handelt es sich um Rechtsübertragungen gegenüber
einem Nichtberechtigten, was den Inhalt, und um Vorgänge gleicher
oder ähnlicher Rechtsstruktur, was die formale Seite betrifft. Es
sind Rechts-„Vorgänge” mit mehreren Teilakten4.
1. Wenn jemand etwas schenkt oder einen anderen testamentarisch
zum Erben einsetzt; wenn der Staat die Staatsbürgerschaft oder
ein öffentliches Amt verleiht — jedesmal handelt es sich um
ungeschuldete Rechtseinräumung („Gabe”) durch einen einseitig
berechtigten Geber gegenüber einem Nichtberechtigten, auf die
also kein „Anspruch” besteht. Sie ist auf der Geberseite
frei und ungeschuldet5.
2. Da sich niemand zu seinem Glück zwingen zu lassen braucht,
bedarf die Gabe der „Annahme”, die auch (im Falle des Amtes und
Bürgerrechtes) durch einen Antrag vorweggenommen sein kann.
3. Durch Gabe und Annahme entsteht ein Rechts,,raum” auf Dauer
(„Rechtsstatus”6), der Freiheit zu eigenem Verhalten
einschließt. Das unterscheidet gerade den Beamteten vom
Funktionär, daß er einen eigenen Ermessensspielraum hat. Der
Freiheitsraum wird besonders deutlich, wenn man den Status des
Staatsbürgers mit dem des Staatenlosen vergleicht; aber auch der
Beschenkte, der Erbe „kann” rechtlich und tatsächlich mehr.
4. Die Statusbegabung begründet ein „personales . . . Band der
Dankbarkeitsverpflichtung”, hat also Pflichten zur
Folge, deren Verletzung konkrete Rechtsfolgen („Ansprüche”)
auslöst: die Schenkung kann wegen groben Undanks widerrufen
werden, die Miterben können den Erbanfall wegen grober
Verfehlungen anfechten, die Verleihung der Staatsbürgerschaft
kann widerrufen werden (bezeichnenderweise aber nur bei schweren
politischen [!] Delikten, die sozusagen die Geschäftsgrundlage
berühren), das Amt kann verloren gehen, wenn gegen den Sinn des
Amtes überhaupt gehandelt wird (nicht bei leichteren
Verfehlungen). Man mißachtet im Geschenk den Geber7.
4) Gnade 150 f., RdG 171, 177 ff., 283.
5) RdG 157, 178 ff., 183, 308, 925 u.ö. Darum ist der
Maßstab der (juristischen) Gerechtigkeit unanwendbar, RdG
179.
6) RdG 170 definiert: „Eine Herrschaft des Menschen
über sich selbst, sein Verhalten und das Seine von
,zuständlicher’ Dauer.”
7) RdG 176, 182 f. verpflichtende Gabe, personales
Treueverhältnis.
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Es sind also zweimal zwei Teilakte des Rechtsvorgangs auseinanderzuhalten: die Gabe der Rechtseinräumung und die Rechtsannahme, der aus beidem resultierende Rechtsstatus und die sich ergebenden Rechtsfolgen. Die Gnade i.w.S. umfaßt also die „Vorgänge der (freien) Einräumung eines Status und diesen seihst mit seinen Rechtsfolgen”8. Zugleich ist die Rechtsentstehung in den Rechtsbegriff aufgenommen — wie oben bei der Institution deren Entstehung.
Worin besteht nun der Unterschied zwischen den gnadenähnlichen Verhältnissen und der „Gnade im strengen Sinn”, z.B. der juristischen Begnadigung eines Verbrechers? Der Vorgang scheint nämlich der gleiche zu sein: Auf die Gabe des Straferlasses und ihre Annahme folgt der neue Status des Freien; und wer die neugewonnene Freiheit mißbraucht, hat die Gnade verwirkt — alle vier Teilakte sind vertreten.
Und dennoch unterscheiden sich Begnadigung und ähnliche Verhältnisse. In der Begnadigung wird ein früheres Rechtsverhältnis wiederhergestellt, in den anderen Statusrechtsvorgängen dagegen wird ein neuer Status begründet. Der Unterschied von Gnade i.e.S. und i.w.S. ist der von Wiedereinsetzung und Neueinsetzung, das ist von „Restitution” und „Institution”. Wiedereinsetzung betrifft ein gestörtes und „krankes”, Neueinsetzung ein „gesundes” Verhältnis. „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.” Im übrigen aber sind beide Vorgänge in der Tat strukturgleich9.
8) RdG 179. Man beachte die institutionelle
Zweigliedrigkeit der Definition entsprechend
institutio-status!
9) RdG 173, 176 ff., 196; Mk 2.17 parr. Zu
Re- und Institution Gnade 152, RdG 177 f., 196 f., 263, FS Smend
II 292 A. 4 a. E. Man lernt also nun einen weiteren,
„prozessualen” Sinn der Institution kennen! Erst recht läßt
„Restitution” die prozessuale restitutio in integrum
anklingen (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; aber RdG 418:
die restitutio des verlorenen Sohnes geschieht nicht in
den vorigen Stand, sondern in einen überbietenden neuen Stand!).
Das ist ein ontologischer Vorgang, keine moralisch zu verstehende
Restitution i.S. der katholischen Soziallehre (Thomas von Aquin:
per restitutionem fit reductio ad aequalitatem, STh II/2
q 62 a 5; dazu J. Pieper 66 ff., 135). — „Strafe als
wechselseitige Restitution”: sie geschieht als
restitutio (in integrum) zunächst des
Verletzten und der Rechtsgemeinschaft, weil der Täter bestraft
wird und damit Genugtuung geleistet wird; dann aber auch des
Täters, weil er in die Rechtsgemeinschaft „restituiert” wird. Sie
ist Gewährung und (meist implizite) Annahme von Rechtsfrieden.
Der beiderseitige Rechtsstatus wird wiederhergestellt. Aber auch
das Gnadenelement ist zu beachten, das in jeder Strafe enthalten
ist, weil in ihr auf „volle” Genugtuung verzichtet wird (MuS 70,
75 f., 95, 107, 110, 162 f. u.ö.).
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Liegt vielleicht der Unterschied darin, daß die gnadenähnlichen Verhältnisse Rechtsverhältnisse sind, die Begnadigung aber nicht? Die Frage ist mit dem Strukturbegriff vorentschieden: Die „gleiche” Struktur ergibt auch die Rechtsqualität — ganz abgesehen davon, daß Strukturen Rechtsstrukturen sein müssen. Die Gnade ist in jedem Sinn ein Rechtsbegriff10.
Damit sind die Begriffe gewonnen, um eine sachgemäße juristische Exegese der neutestamentlichen Rechtsgleichnisse durchführen zu können. Diese werden die Rechtsstruktur der Rechtfertigungsgnade zeigen und zugleich die Brücke zum zweiten Rechtskreis schlagen, dem „Gerechtigkeitsrecht”.
Vielfältig sind die „Rechtsbilder” des Neuen Testaments, mit denen das Gottesverhältnis umschrieben wird: Kinder Gottes, Miterbe, Geschenk, Bürgerrecht, Amt Christi als Priester und König, Ehe, Braut. Sie alle zeigen — mehr oder minder deutlich — die Rechtsstruktur der Begnadigung. In immer neuen Ansätzen beschreibt die Schrift die Rechtfertigung oder, was das gleiche ist, die institutionelle Neueinsetzung in das „neue Leben”; teils mit Rechtsverhältnissen, die den einzelnen, teils mit solchen, die die Gemeinschaft betreffen. Das Evangelium redet in
10) RdG 178 f., ZEE 1963 318. — Do. hat die Frage nach der Rechtsqualität der Gnade (und entsprechend des göttlichen Anspruchs) vielleicht allzu selbstverständlich als beantwortet vorausgesetzt; darum muß seine Beweisführung erschlossen werden. Sie ist doppelt: 1. Rechtshistorisch: Das AT und NT umschreiben den Gottesbezug mit eindeutig rechtlich zu qualifizierenden Bildern und Begriffen. 2. Systematisch: a) Die Struktur des Gnadenrechts findet sich nicht nur in der Begnadigung, sondern auch in anderen, eindeutig als Recht zu qualifizierenden Erscheinungen des weltlichen Rechts. Aus der Strukturanalogie von weltlichem und Gnadenrecht folgt auch der Rechtscharakter des geistlichen Rechts, damit des Kirchenrechts, b) Die Struktur des Gnadenrechts ist gleich der Struktur der Institution. Die Institutionsstruktur ist aber ihr Recht. Ad 1: RdG Kap. II, 90 f.; besonders wichtig ist der Nachweis der Rechtsqualität paulinischer Weisungen des 1. Korintherbriefes in RdG 140-154: es handelt sich um Autoritätsakte, innerhalb einer Gemeinschaftsrelation, mit bindender Wirkung für die Adressaten, struiert nach Analogie des Gnadenrechts, aber ein charismatisches Urteil des Apostels einschließend, das von der Gemeinde akklamiert, anerkannt wird. Methodisch interessant ist, daß Do. die Struktur dieser Weisungen von H. v. Campenhausen übernimmt, ihre Rechtsqualität gegen v. Campenhausen mit E. Käsemann bejaht und diesen besonders um die Gemeinschaftsdimension ergänzt. Ad 2 a: RdG Kap. III 163 ff.; dazu unten 653 f., ferner RdG 880 für das Gerechtigkeits-, 174 f., 977 für das Gnadenrecht; ferner MuS 28. Ad 2b: s.u. 671 ff.
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Rechtsvorstellungen! Man darf es sogar viel mehr beim Rechtswort nehmen, als das üblich ist in der Exegese11.
Zunächst das Rechtsbild von Braut und Bräutigam: Das „Verlöbnis” ist nicht der relativ unverbindliche römisch-rechtliche Vorvertrag, sondern Erwählung der Braut und Annahme der Wahl, die einen personenrechtlichen Status „jetzt schon” gegenwärtiger Gemeinschaft begründen; aber dieser Status bedarf noch der endgültigen Erfüllung. Das Verhältnis von Restitution12 (in der Wahl des Bräutigams) und Institution (in die den Vorgang abschließende Ehe) wird also mit statusrechtlichen Rechtsbegriffen ausgesagt (Wahl, Annahme, Status). Weil aber die Erfüllung „noch nicht" gekommen ist, ist damit aufs trefflichste die „Zeit der Kirche” mit ihrem Recht gekennzeichnet: sie ist Gemeinschaft proleptischer Eschatologie13.
Für den statusrechtlichen Zusammenhang sind andere Bilder wichtiger: namentlich „die Krone aller Rechtsgleichnisse”, das „große”, „zentrale” Gleichnis vom verlorenen Sohn14.
11) RdG 90, 154,195 f., 263, 419, FS Smend II
289, ZEE 1963 318. „Bild” bedeutet hier nicht fehlende Realität
(„bloßes” Bild, Priest. 70), sondern „Symbol” i.S. P. Tillichs
(RdG 245 — doch wohl auch G. van der Leeuws, vgl. PhdR 510).
Übrigens hat Do. die „unvergleichliche Rechtshandlung” (Ernst
Wolf) der Rechtfertigung bisher erst teilweise rechtlich
interpretiert (vgl. LM 1963 441, Rfl I, III und unten A. 17; dazu
Grundmann ThLZ 1963 807), wohl weil er die Rechtsstruktur der
Rechtfertigung mit der des Gnadenrechts gleichsetzt, vielleicht
sogar das Gnadenrecht als deren gültigere Formulierung betrachtet
(vgl. RdG 185, 308), schließlich weil die Rechtsgleichnisse und
-bilder des NT das Geheimnis umfassender umschreiben als die
begriffsgeschichtlich und rechtssystematisch ungeklärte
iustificatio; wobei zu beachten und zuzugestehen ist,
daß die Rechtsbilder nicht scharf getrennt werden können (RdG 231
A. 25), sondern zusammengehören (s.u.). — Übrigens lehnt Do. RdG
263 zu Recht ab, die Unterscheidung von einzel- und
gemeinschaftsbezogenen Rechtsgleichnissen auf diejenige von
privatem und öffentlichem Recht hin zu verstehen.
12) RdG 419. Ist also das Alleinsein ein „krankes”
Verhältnis?!
13) RdG 419 f., angedeutet NRE 38 f. — Do., der doch
die Eherechtsgeschichte kennt wie wenige, behandelt das
Rechtsbild des ntl. „Bräutigams” usw. in zwanzig Zeilen und läßt
die Fülle von Material beiseite, die rechtshistorisch zum
„Verlöbnis” Mariens (Lk 1.26 f.) bereitsteht. Die thematische
Behandlung der Ehe auch in RdG (628-676) geht darauf nicht näher
ein.
14) Gnade 152, RdG 196, 418; Lk 15.11-32. Ernst Wolf
ZevKR 1963/64 92 ist anscheinend mit dieser Auslegung
einverstanden.
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Der Vater geht dem zurückkehrenden Sohn entgegen und küßt ihn. Das ist die Entscheidung zur Wiederaufnahme und die Wiederaufnahme selbst. Die Gemeinschaft ist wieder hergestellt (Rechtsvorgang der Restitution15).
Noch aber ist nicht geklärt, wohin der Vorgang führen wird; wird der wiederaufgenommene Sohn nun Tagelöhner, wie er sich das erhoffte, oder gar wieder der jüngere Sohn wie zuvor (restitutio in integrum)? Weder das eine noch das andere. Die Gnade ist größer. Der Vater begabt ihn mit Kleid (dem besten!), Ring und Schuhen; das Besthaupt wird geschlachtet, ein Freudenmahl gehalten. Die Reaktion des älteren Sohnes zeigt zur Genüge: Der Verlorene wird nicht in den alten, sondern in einen neuen Status eingesetzt, der ihn sogar gegenüber bisher bevorzugt, ja das Recht des Erstgeborenen zu verletzen scheint (Rechtsvorgang der Institution16).
Die Institution zeigt, daß die Restitution, weit davon, nur deklaratorisch zu sein, doch nur Anfang, „transitorisch” war, hin auf den neuen Status. Das Gleichnis weist die Struktur des personalen Handelns auf: aussondernde Wahl und Einordnung in neuen Zusammenhang. Es zeigt sich als „Vorgang” im technischen Sinn mit der typischen dualistischen Struktur des geistlichen Statusrechts: Erstreckung und Ziel, Restitution und Institution17.
15) RdG 418; vgl. auch 437 A. 80 „zwischen
Rechtfertigung und neuer Freiheit des Handelns (die) Gnadengabe
der Heiligung”.
16) RdG 196, 206, 418 f.; Gnade 152 f. mit Hinweis auf
einen Adoptionsritus. Den gleichen Überschwang der Gnade zeigt
das Rechtsgleichnis von den Arbeitern am Weinberg, Mt 20.1-15,
RdG 196 (8.); ebenso Wolf GuN 640 ff., wo das Forderungs- durch
das Gnadenrecht begründet und überboten wird.
17) Gnade 152 f., RdG 418 f. — Damit werden die
Ausführungen zu Restitution und Institution präzisiert:
Restitution und Institution sind beide Teilvorgänge
eines Gesamtvorgangs, je mit Akt und Status, Entscheidung und
tatsächlicher re- bzw. in-stitutio, was Do.
nicht weiter berücksichtigt (angedeutet RdG 418). — Beachtlich
ist der Hinweis RdG 436 ff. A. 80 auf die patristische Exegese
und die doppelte Rechtfertigung bei Luther und K. Barth. In der
patristischen Exegese dieser Stelle wird sowohl die Zweiaktigkeit
des Geschehens gesehen (wenn auch verschoben) als auch mit
rechtlicher Exegese ausgeführt (Kleid, Ring). Auch in der
nachtridentinischen katholischen Theologie findet sich ein
Hinweis auf die Mehraktigkeit in der Unterscheidung von
gratia sanans — elevans — sanctificans, nur daß
eben das Moment der Geschichtlichkeit ausgefallen ist (vgl. aber
unten 65764). — Do. weist auch auf den
rechtstheologischen Ertrag für die evangelische
Rechtfertigungslehre hin: Die Rechtfertigung ist keinesfalls
„nackte restitutio”, bloße Sündenvergebung, sondern
außerdem positive reiche Fülle neuer Möglichkeiten, Zuordnungen,
Rollen. Die Institutionsfurcht verhindert, dies zu sehen und für
die Kirche zu akzeptieren (Gnade 154, RdG 196, 419, Rfl I ff.).
Vgl. auch die Paraphrase H. Schomerus’ Gnade 146-150 (148
f.).
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Dem Rechtsgleichnis vom verlorenen Sohn stellt Dombois „komplementär” das vom Haushalter gegenüber, vom Verwalter, den der Herr über seine Güter setzt und zur Verantwortung ruft. Mehr als beim ersten Gleichnis kommt nun zum Ausdruck, daß der Begnadigte herrschaftsunterworfen bleibt.
Der Haushalter kommt, das wird im Gleichnis vorausgesetzt, aus der Unfreiheit; er ist Freigelassener mit allen Rechtsfolgen: er kann nichts für sich erwerben, erhält aber vieles anvertraut, unter schwerer Rechtspflicht der Dankbarkeit. Es ist also ein Rechtsbild nicht für den Menschen unter dem Gesetz, sondern für den unter dem Evangelium.
Wie beim Brautgleichnis, aber in scheinbarem Gegensatz zum verlorenen Sohn, hat bisher nur die Restitution stattgefunden; denn aus der ursprünglichen totalen Abhängigkeit ist ein neues Zuordnungsverhältnis entstanden, wobei die endgültige Institution noch aussteht, aber bei Bewährung in Aussicht gestellt ist.
Der Gegensatz von Haushalter und verlorenem Sohn ist eine „sinnvolle Paradoxie”, denn die dialektische Freiheit des Evangeliums birgt gerade diesen Gegensatz in sich. Der verlorene Sohn wird zwar in Freiheit gesetzt, aber in die „nahe” Freiheit des Haussohnes, der rechtlich „eins mit dem Vater” ist, aber gerade nicht der Vater ist. Er wird nicht zur autonomen Voll-Rechtsperson des modernen Rechts. Der Haushalter dagegen wird in größere Verantwortung gesetzt, steht aber in relativer Ferne vom Herrn. Beide aber „bleiben immer zurückverwiesen auf den Ursprung ihrer Freiheit”: Der Vater wie der Herr behält sein „Obereigentum und Rücknahmerecht”. Unter diesem Vorbehalt gilt: Je freier, desto weniger Abstand und desto unmündiger; je gebundener, desto mehr Abstand und desto mündiger18!
Die Dialektik von Sohn-Verwalter wiederholt sich bei einem weiteren Paar von neutestamentlichen Rechtsbegriff en. Der Christ ist „Kind” und zugleich „Erbe”. Das Kind soll Erbe werden, „hat” aber noch
18) Mt 24.45-51, Lk 12.42-48; RdG 200-204, NRO 96. — RdG ebd. wird auch eine Deutung der evangelischen und katholischen Frömmigkeit als Realisierungen der verschiedenen Auffassungen vom Gnadenstand des Christen gegeben, „evangelisch” mehr vom Verantwortungsdenken des Haushalters her, „katholisch” mehr von der geborgenen Freiheit des verlorenen Sohnes. Die Einheit aber liegt im Begriff παῖς: er heißt sowohl Knecht wie Kind. (Näheres RdG 130-132; vgl. auch Gnade 154.)
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nicht; der Erbe „ist” schon Erbe, unverlierbar — die beiden komplementären Grenzen der eschatologischen „Zwischenexistenz” des Gerechtfertigten19.
ea) Bund
Der fünfte von Dombois erörterte Rechtsbegriff der Schrift ist
„Bund”20. Er berührt sich eng mit dem „Erben”, wie
sich sogleich zeigen wird.
„Bund” ist die Übersetzung des hebräischen berith. Im
Alten Testament enthält berith allgemein nicht einen
schuldrechtlichen Vertrag mit gegenseitigen, einander
entsprechenden Pflichten, sondern einen personenrechtlichen
Vertrag sakralrechtlichen Charakters; er begründet eine
statusrechtliche Zuordnung der Beteiligten21. Speziell
für das Gottesverhältnis wird der Begriff gesprengt. Er wird zu
einer Bezeichnung für ein Rechtsverhältnis, das
einseitig von einem Mächtigen aufgenommen wird, durch
das dem schwächeren Empfänger „Anteil” an der Macht gegeben, vor
allem aber ein Gemeinschaftsverhältnis begründet wird. Der
Empfänger hat im übrigen keinerlei aktive Bedeutung. Die
Rechtsfolgen sind Friede, Sicherheit und Treue, ja Bruderschaft,
die auch die kommenden Generationen mit umfaßt. Der Bund Gottes
ist so die Grundlage des Erwählungsglaubens, der
Geschichtstheologie Israels22.
19) RdG 103 f., ebenfalls mit einem
frömmigkeitsgeschichtlichen Hinweis; ferner oben 480.
20) Zum religionssoziologischen Gebrauch vgl. NRE 44
ff., 56-60, MuR 124 f., RdG 328 f., 703, 1021 (Bund-Gemeinschaft,
mit G. van der Leeuw gegen F. Tönnies; früher nebeneinander:
61921). Im übrigen wird der Bundesbegriff erst in RdG
exegetisch erörtert; vorher stehen dogmatische Erwägungen, die
aber schon in die Richtung des Gnadenrechts gehen, s.o. 618 ff.
und NRE 38 f.; schon die erste Schöpfung ist „Bund” Gottes, FamR
139, als vorauslaufende Vergemeinschaftung, FamR ebd., NR 202, —
ein Grundgedanke K. Barths, vgl. KD IV/1 57 ff., zuerst aber
schon J. Cocceius (1648), dazu P. Jacobs RGG I 1519 f. (in RdG
902 ff. [907] nicht übernommen wegen RdG 97 f.). Nächster
Vorgänger ist J. Ellul 1948 37 ff.
21) RdG 97, 301 unter Hinweis auf die
religionssoziologischen Ausführungen M. Webers, Rfl I 178 f.
22) RdG 97 f. m. A. 8, 157 (mit Hinweis auf J. Begrich
— nicht RAC III, sondern ZAW 1944 — und L. Goppelt RGG I 1516
ff.), 100 zit. J. Behm ThW II 130. — Zu berith neuestens
E. Kutsch ZAW 1967 18 ff. Kutsch versucht mittels der
traditionellen Terminologie („Pflicht”, gegenseitiger „Vertrag”
zwischen Gleichen, „Gesetz”, „Gebot”, „Gnade”) das Phänomen des
Bundes zu erfassen.
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Das ist aber genau die Rechtsstruktur des Gnadenrechts! Wegen der fehlenden Rechtsfähigkeit des Menschen vor Gott wird die Rechtsgemeinschaft, die die Grundlage der Existenz und Geschichte Israels ist, durch einseitige Gabe des absolut überlegenen Gottes begründet. Der Empfänger als Beschenkter wird im Vorgang der Kommunikation überhaupt erst rechtlich und tatsächlich geschaffen. Der „Vorgang” des Bundesschlusses ist „Bedingung der Möglichkeit des Gottesverhältnisses”. Die neue Gemeinschaft ist der Status, die Gabe; „bundesfreundliches Verhalten” die Rechtsfolgepflicht. Das alttestamentliche Gesetz manifestiert nur diese Dankbarkeitsverpflichtung; sie ist also nicht primär23.
eb) Testament
Dieser Sachverhalt wird im Neuen Testament überraschenderweise
mit διαθήκη, d.i. Testament, wiedergegeben. Der rechtliche
Unterschied ist klar: Bund ist zweiseitig, Testament einseitig.
Die sachliche Verschiebung ist gering; das hoheitliche gewährende
Element kommt besser zum Ausdruck. Aber entscheidend ist: Bund
und Testament sind strukturgleich.
Doch damit kann sich der Jurist in Dombois nicht zufriedengeben.
Wo Rechtsbegriffe verwendet werden, muß Rechtsexegese
weiterführen! Die Rechtsexegese ergibt: „Testament” und
„Vermächtnis” sind beides inadäquate Übersetzungen von διαθήκη.
Gott läßt weder seine Rechtsperson durch Erben fortsetzen
(Testament), noch wird eine begrenzte Sache „vermacht”. Zu prüfen
bleibt die Stiftung von Todes wegen als dritte mögliche Form.
Sie weist alle Merkmale des Statusrechts und damit des Bundes
auf. Sie ist ein mehraktiger Vorgang mit folgender
Rechtsstruktur: Zu Anfang steht die Entscheidung des Stifters,
bestimmte „Mittel” auszusondern, die Frucht bringen. Diese werden
als Gabe bestimmten Empfängern zugewendet als einseitige,
begünstigende Verfügung, die der Annahme bedarf. Die Empfänger
erlangen dadurch einen Freiheitsstatus
23) RdG 97 f., 108, 200, 301, 303 mit Hinweis auf den analogen Vorgang der Taufe; das Bindeglied ist 1 Petr 3.21 ἐπερώτημα, Taufzusage, „Bund” nach der genialen Übersetzung Luthers (vgl. RdG 300); zum Gesetz ebenso J. Haspecker HthG I 198-201, O. Eichrodt, G. v. Rad, K. Barth u.a. Die Dualität Gesetz-Evangelium ist von daher zu sehen und zu korrigieren!
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neuer Möglichkeiten, der sie zugleich untereinander verbindet.
Wird dieses personale Band verletzt, droht Verwirkung.
Nur ein Unterschied besteht zum sonstigen Rechtsbegriff der
Stiftung: Die bereitgestellten Mittel sind — „Jesus selbst ganz
persönlich”; es ist eine Stiftung, in der der Stifter fortdauert;
„Christus . . . ist Stifter und Stiftungsgut zugleich”. (Auch
darum ist die Kirche keine „Anstalt”24!)
Gnaden- und gnadenähnliche Rechtsverhältnisse haben also ähnliche Struktur: Sie enthalten die Vorgänge der Wiederherstellung oder/und der Begründung eines rechtlichen Status.
Der zweite Rechtstypus ist das Gerechtigkeitsrecht, von Dombois Forderungs- oder Anspruchsrecht, auch normativer Rechtskreis genannt. Er ordnet den Bereich des Sollens. Er fordert etwas, das erfüllt werden soll und das man darum mit dem Maßstab der (juristischen) Gerechtigkeit nachprüfen kann25 — während das bei dem Statusrecht nicht möglich war. Mit dem Statusrecht verbindet es die Ähnlichkeit der Struktur: Es ist ein Vorgang bestehend aus „Anspruch” und „Anerkennung”.
„Anspruch” bedeutet dabei, zunächst rechtsphänomenologisch gesehen, ein Ansprechen einer anderen Person auf eine Forderung in der Überzeugung von der Berechtigung der Forderung; dieses Ansprechen
24) RdG 98-103, 107, 158; Christus als Stifter
und Stiftungsgut (= van der Leeuw PhdR 765!) ist sachlich die
gleiche Aussage wie die, daß Christus Subjekt und Objekt des
Kirchenrechts sei (unten 70116 u.ö.). Zur Kritik der
bei Luther (und Eck!) beliebten Testamentsvorstellung RdG 157-159
A. 18 u.ö. — Zur διαθήκη nennt Do. J. Behm ThW II 127 ff. (zeigt
die Elemente der διαθήκη und die Unangemessenheit bisheriger
Übersetzungen), O. Eger 1919 (vergleicht mit dem hellenistischen
Adoptionstestament und der υἱοθεσία), E. Bammel NTStudies 1960
(schlägt das hebräische Rechtsinstitut der Metannah vor, also
eine Vergabung unter Lebenden an den „Erben” unter Nutznießung
durch den „Erblasser”): RdG 100 ff., 158. Ergänzend wäre vor
allem hinzuweisen auf D. Daube.
25) RdG 163, 171, 179, 207, 866; RdG 179 f.
„normative” Gerechtigkeit, normatives Recht, Status und
Norm.
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kann sein eine Forderung, ein Gebot oder Auftrag u.ä.26. Der Anspruch kann einen doppelten Inhalt haben, je nach dem Berechtigten. Es gibt den „Anspruch des Habenden”27 und den „Anspruch des nicht oder nicht mehr Habenden”28. Der erste Anspruch geht auf Respektierung der Herrschaft bzw. Anerkennung des Bestehenden, der zweite auf Wiederherstellung des Verletzten. Immer aber sind es „existentielle Lagen”, die den ganzen Menschen beanspruchen — der Anspruch geht (ursprünglich) nicht auf „etwas”, sondern immer auf den ganzen Menschen, allerdings bezogen auf etwas29.
Im Anspruch ist zweierlei enthalten. Zum ersten ist ein solcher Anspruch ein Akt der Kommunikation, geht also auf eine in der Vergangenheit begründete Rechtsgemeinschaft zurück (sie ermöglicht erst den Anspruch)30, realisiert sie zugleich in der Gegenwart (indem sie auf diese Gemeinschaft hin „anspricht”) und weist auf ihre zukünftige Erfüllung hin (wenn der Anspruch „erfüllt” wird). Er ist ganz in ein personrechtliches Treueverhältnis eingebettet31.
Zum anderen bedarf jeder Anspruch der Rechtfertigung, des berechtigenden, rechtfertigenden Grundes. Der Anspruch ist gerechtfertigt entweder „aktual” (gemäß einer personalen „Verpflichtetheit” aus der erwähnten Rechtsgemeinschaft) oder „generell” (aus einem Rechtsatz). Die letzte Rechtfertigung des Rechts ist aber die Person Christi32.
26) RdG 163, 165, 190, 284 f., 866 f.
27) Vor allem Gottes Anspruch im 1. Gebot des
Dekalogs, OU 51, RdG 170 (wohl auch völkerrechtliche
Souveränitätsansprüche).
28) Vor allem des machtlosen Menschen „Anspruch” auf
Gottes unverdiente Richtergnade innerhalb des
Gnadenverhältnisses, die Prozeßbitte um das in Christus
geoffenbarte gnädige Recht, ebd. (auch weltlich-rechtliche
Schadenersatzansprüche).
29) Ebd., vor allem beim Anspruch Gottes auf den
Menschen; aber auch sonst, s.u. 647 f. zu Person und Sache.
30) RdG 163, 167; dies ist die „vorauslaufende
Vergemeinschaftung”, 588 f.
31) RdG 168. Dieser Hinweis auf die drei Zeiten ist
wieder nicht zufällig. Es ist die
trinitarisch-heilsgeschichtliche Sicht von Schöpfung, Inkarnation
und Eschatologie!, was für die Anwendung dieser Struktur im
Kirchenrecht bedeutsam ist. — Zugleich (ebd. und 303) werden
Mißverständnisse abgewiesen: dieser Anspruch ist nicht meine
(„existentialistische”) „Ansprechbarkeit” und schafft nicht erst
Gemeinschaft; er ist auch nicht bloßes Schuldrecht oder gar
(„personalistisch”-)außerrechtlich.
32) RdG 163,171,207 ff., unten 742 f. Freilich ist die
Norm nur eine Rechtfertigung zweiter Hand, da sie selbst aus
Anspruch und Anerkennung entsteht, s.u. 647. — Do. schlägt von
hier aus die Brücke zum rechtsphilosophischen (!) Problem der
Rechtfertigung des Rechts und zur rechtstheologischen
Fragestellung nach dem Verhältnis von Rechtfertigung und
Recht.
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Der Anspruch ist zwar ein Rechtsakt, aber noch kein (objektives) Recht. Er ist Recht in statu nascendi. Erst wenn der erhobene Anspruch „anerkannt” wird, ist Recht entstanden. „Das Recht lebt von der Anerkennung.” Damit wird die herkömmliche Folge umgekehrt: Der Anspruch folgt nicht mehr aus dem Recht, sondern das Recht aus dem anerkannten Anspruch. „Recht entsteht aus Anspruch und Anerkennung.”
Diese formale Struktur von Anspruch und Anerkennung findet sich überall im Recht, sei es privates oder öffentliches. Sie sind kategoriale Rechtsbegriffe33.
Die Anerkennung selbst ist ein Annahmeakt, eine „Antwort”, konstitutiv und deklaratorisch in einem, — wie jedes personale Handeln34.
Auch sie ist mehrfach auf die „vorauslaufende Gemeinschaft” bezogen: Die wechselseitige Anerkennung eines Gegenübers als Rechtspartner begründet Gemeinschaft („konkrete Bündigung”) und schafft damit einen Rechts- und Friedensraum, der weitere Rechtsakte ermöglicht. Vor allem aber trägt die Anerkennung durch die Gemeinschaft das Recht: Wird ein Anspruch vom Schuldner nicht anerkannt, so anerkennt ihn die Gemeinschaft durch das Urteil des Richters und ersetzt so die fehlende Anerkennung durch den Schuldner. Erst jetzt „entsteht” das Recht. So wird das Recht aus dem Prozeß geboren, nicht umgekehrt35.
33) Sonntagsbl. 1953, OU 47 f. (2.), 51, 93,
CrE 47, RdG 50, 164 f., 169, 877; etwas anders noch Richteramt
90. Die Unterscheidung von öffentlichem und privatem
Recht betrachtet Do. (wie übrigens auch der Kanonist; a. M.
W. Bertrams [vgl. aber StZ 1958/59 124 A. 2]) mit einiger
Skepsis; vgl. oben 625 M und FamR 127 „fragwürdig", RdG 123, 263
„historisch (bedingt) und nicht kategorial”, wohl weil er jedes
Über- und Unterordnungsverhältnis (z.B. auch Kind-Eltern) als
„öffentlich” betrachtet, RdG 263; was mit dem Unterschied von
Gnaden- und Forderungsrecht zusammenhängt.
34) RdG 166, 168 f., 171, 374. Wichtig ist die
„subjektive” Seite: RdG 168 f. Anerkennung als Glaubensakt, GRE
136, 141 f., RdG 832, 880 als freier Gehorsam gegen das Pneuma,
657 mithin als geistliches Urteil.
35) NR 202, RdG 163, 167, 190, 677, 877. Damit gewinnt
Do. ein formales Kriterium für Un-Recht: Die Anerkennung des
Rechts wird im totalitären Staat erzwungen, RdG 165; material ist
das „Existenzverfehlung”, unten 64212, und
unvollständige Realisierung der Struktur. (Eine andere Frage ist,
ob ein solches „Recht” doch noch verbindlich ist.) Zugleich wird
damit die Zwangstheorie des Rechts abgelehnt, unten 646. Recht
aus Prozeß: s.u. 647 f. Freilich ist für alle diese Ausführungen
Do.s ➝
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Anspruch und Anerkennung stellen ein Gefüge dar; sie sind Teilakte verschiedener Personen, als „gegenläufige” Teilvorgänge aufeinander zugehend; zusammen aber bilden sie auch einen „Vorgang”, den Prozeß der Rechtsbildung. (Damit ist auch bei diesem Rechtstypus die Rechtsentstehung in den Begriff des Rechts aufgenommen!)
Zwar handelt es sich um den Rechtstypus der Forderung; dennoch unterscheidet sich dieser „Rechtsvorgang der Anspruchsanerkennung” vom herkömmlichen normativen Denken: das Recht wird nunmehr als „Vorgang” gesehen, der in der Anerkennung mündet und der in ein personenrechtliches Treueverhältnis einbezogen ist. Man darf ergänzen: Auch die Berücksichtigung der Rechtsentstehung ist eine Besonderheit bei Dombois36.
Deutlich sind die Parallelen zum Statusrecht. Hier wie dort handelt es sich um zweiaktige Vorgänge, hier der Anspruchsanerkennung, dort der Statusbegründung. Der innere Grund liegt in dem tieferen Zusammenhang der beiden Rechtsformen im „Rechtsbegriff der Gnade”.
Der Rechts„anspruch” Gottes auf den Menschen (zweiter Rechtskreis) hat seinen Rechtsgrund in vorauslaufender Vergemeinschaftung, wie jedes Recht. Sie liegt in der Stiftung des Bundes. Da die Struktur des Bundes zugleich die Struktur der Gnade ist (erster Rechtskreis), ist damit die Brücke zwischen den zwei einander scheinbar ausschließenden Rechtskreisen geschlagen. Ihre Einheit ist die auch in juristischer Dimension und Sprache aussagbare theologische Gnade, oder anders die
➝ zu beachten, daß sie zunächst nur für den normativen
Rechtskreis gelten (mißverständlich darum OU 93, RdG 50 —
dasselbe Problem taucht auch im Kirchenrecht auf). Nur unter
Vorbehalt sollte man daher von einer „prozessualen Rechtstheorie"
sprechen; sie ist jedenfalls keine prozessuale Rechtstheorie i.S.
des formalistischen Entwurfs von B. Horvath ARSP 1936/37.
36) OU 51, RdG 163, 169, 771, 866 (2.). — So ist auch
hier der herkömmliche normative Rechtsbegriff in Richtung auf das
Gnadenrecht verändert. Dies wird wichtig für Do.s These, daß der
Rechtsbegriff der (theologischen) Gnade das Anspruchsrecht
umfasse, RdG 866. „Nirgends ist Gesetz und Forderung” (RdG 195) —
ist in diesem Sinne zu lesen!
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Heilsgerechtigkeit (iustitia salutifera Dei). Es bedarf freilich der Helligkeit des Glaubens, um das einzusehen; dann wird aber auch sichtbar, in analogia fidei, daß diese Verbindung der beiden Rechtskreise aufbewahrt ist in der weltlichen Gnade37. Damit ist auch der systematische Ort der juristischen Gnade gefunden.
Weil diese Einsicht für Dombois’ Rechtsbegriff schlechthin entscheidend ist, seien — entsprechend seiner Denkform — zunächst die trennenden, dann die verbindenden Aussagen zum Verhältnis von Gnaden-und Gerechtigkeitsrecht noch einmal zusammengefaßt und zum Abschluß nach deren innerem Bezug gefragt.
Dombois drückt die Gegensatzeinheit von „forderndem und gebendem Recht” sehr pointiert aus. Zuerst also die trennenden Aussagen. Das Recht hat eine „Doppelstruktur”. Es gibt zwei Rechtskreise (Formenkreise, Rechtstypen, Strukturformen, existentiale Grundformen)38.
Der erste ist das Statusrecht (das Recht der Gnade, der Gabe, das institutionelle Recht). Es ist die Rechtsform der Kommunikation, der stiftenden Gemeinschaft. Sein Inbegriff transzendiert das Forderungsrecht; denn es kann nicht nach Gerechtigkeit beurteilt werden: Sein „Spitzen”- und Inbegriff ist die Barmherzigkeit Gottes, die Freiheit des Evangeliums, die Gnade. Es ist nämlich Gabe aus grundloser Freiheit des an Rechtsmacht Überlegenen, die neuen Status verleiht; die „Existenz coram Deo”, die in neue Freiheit setzt, nicht in ein neues „Gesetz” mit einer Fülle von Vorschriften. — Solches „Recht wird gegeben, damit es erfüllt werden kann”39.
Der zweite ist das normative (Jurisdiktionelle, Sollens-, Forderungs-, Gerechtigkeits-)Recht. Sein Inbegriff transzendiert das Statusrecht; denn es fordert Gerechtigkeit (sein „Spitzenbegriff”) auf der Grundlage relativer Gleichordnung der Partner und ist deshalb dem Gottesverhältnis unangemessen40.
37) Vgl. NRE 62 f., NR 203, auch RdG 880. —
Damit ist die von M. Bergman RDC 1967 63 vermißte Synthese beider
Rechtskreise gefunden.
38) Gnade 154, RdG 163, 171, 179 f., 183, 189, 771,
908.
39) RdG 14 (Titelerläuterung! — ganz ähnlich Augustin,
Thomas, Luther, G. Söhngen, s.o. 78 ff. 120 ff.), 200. — Zu
diesem Absatz MuS 16, 107, RdG 80 f., 91, 93, 170-180, 183, 190,
197, 200, 222, 368, 469, 483, 657, 866, 908, ZEE 1963 319.
40) RdG 93, 149, 160 A. 21, 171, 179 f., 183, 189
(1.), 197 f., 207, 216, 448, 781, 866, 908, ZEE 1963 319.
„Jurisdiktionelles” und „normatives” Recht ist freilich ➝
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Die beiden Rechtskreise können auf (weltlich-)juristischer Ebene nicht aufeinander zurückgeführt werden, da sie voneinander unabhängig völlig gegensätzliche Rechtsgedanken ausdrücken, ja gänzlich paradox sind. Sie stehen in Disjunktion, „echter Antinomie” (!), sind unvereinbare Gegensätze41.
Trotz der scharfen Unterscheidung können Gnaden- und Gerechtigkeitsrecht „nur sehr bedingt” einander entgegengesetzt werden. Ihre völlige Trennung ist „verfehlt”; sie ist nur historisch bedingt, nicht kategorial. Ihre Zuordnung bzw. ihr Abstand ist geschichtlich variabel. Man muß sie darum unterscheiden, doch nicht trennen. Sie sind „gegenläufig” miteinander verschlungen, wie zwei Nervensysteme in einem Körper — mit einem Wort: sie sind — wenigstens in erster Näherung — komplementär42.
Beide tragen sie Rechtscharakter. Sie treten zwar auf der juristischen Ebene auseinander; auf der theologischen gehören sie aber zusammen. Ihre innere Einheit ist deshalb dem „natürlichen” Menschen uneinsichtig, weil sie im Herrschaftswillen Gottes liegt, den er im Evangelium offenbart hat als seine Heilsgerechtigkeit. Diese Einheit zu verwirklichen ist existentielle Aufgabe des Glaubens. Sie wird rechtlich sichtbar im Kirchenrecht als der gnadenrechtlich beschreibbaren Struktur der gottesdienstlichen Gemeinschaft der Christusteilhabe43.
Noch einmal sei betont: Nicht wird solchergestalt die Gnade zur
➝ ambivalent: als kategoriale
(Anspruch-Anerkennungs-)Struktur und als volunta-ristische
Entartung (nächste Anmerkung). („Gerechtigkeit” ist in RdG 908
die juristische, arg. 179 f., 197 f.; damit entfallen die von
Grundmann ThLZ 1963 811 f. aufgezeigten Aporien und Bedenken
gegen den Rechtsbegriff Do.s.) Rechtsphilosophisch zählt das
Gerechtigkeitsrecht zum Voluntarismus, RdG 307 u.ö.; das ist
überall gemeint, wo Do. von Recht als Willensakt, meist, wo er
von jurisdiktionellem oder (Willens-)Entscheidungsakt
spricht.
41) RdG 171, 179 f., 188, 206 f., 222, 866 — freilich
nur auf der Ebene des weltlichen Rechts ohne Zuhilfenahme der
Glaubensanalogie.
42) OU 47, 49 (7.), Gnade 154, RdG 14, 171, 177, 179,
181, 189 f., 199, 206, 771, 866, 908, vorbereitet MuS 81;
zutreffend Grundmann ThLZ 1963 810. Die Grenzen der Variabilität
dürften sich auch hier nach dem Bild der zweipoligen Ellipse
bestimmen: nicht in einen Kreis zusammenfallend (nach Do. der
abendländische Irrweg, FS Karrer 397-404, RdG 175, 389 ff.),
nicht in zwei Kreise zertrennt.
43) RdG 14, 179 f., 188, 190, 197, 200, 206 f. — was
das konkret bedeutet (die rechte Verbindung von Wort und
Sakrament, von bekennendem und liturgischem Recht, von Bekenntnis
und Lehre usf.), kann erst im Kirchenrecht entfaltet
werden.
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Rechtsnorm! Zwar ist die Gnade „in ihrem ganzen Umfang rechtliches Geschehen” und rechtlicher Interpretation zugänglich44 — aber nur unter der Voraussetzung eines Rechtes sui generis.
Wie ist diese „eigentümliche Verklammerung” von Gabe und Forderung zu verstehen? Dombois argumentiert nun auf der theologischen Ebene. Die Gegenläufigkeit von Gabe und Forderung ist klar erkennbar; die Gnade Gottes fordert, die Forderung geht auf etwas, was erst gegeben sein muß, damit es ermöglicht wird: die volle Hingabe des Menschen an Gott. Man kann aber noch mehr sagen: Die Gnade überwiegt, geht „zeitlich” und sachlich voraus; „Gnade ist die Bedingung der Möglichkeit des Anspruchs”, weil das Anspruchsrecht des vorgängigen, begleitenden und kommenden Treuebandes der Gemeinschaft bedarf.
So enthält die Gnade der Verleihung des neuen Status die Anspruchsanerkennung auf höherer Ebene in sich. Wiewohl sie nicht auf Ansprüchen beruht, führt sie doch zu nicht-normativen, aber normativ auslegbaren Verpflichtungen: „Gabe (ist) die stärkste Verpflichtung!” Sie „fordert nichts, als daß wir sie annehmen — und in ihr bleiben”; sie erhebt den „Anspruch” auf freie Annahme, gibt aber zuvor sich selbst, und die Annahme der Gnade schließt das „Anerkenntnis” der Gnadenbedürftigkeit in sich. Deshalb bleibt das Forderungsrecht auch im Gnadenrecht bestehen, wird aber sekundär und ist durch Gott schon erfüllt im Werk Christi45.
Das Ergebnis lautet: Die Forderung ist im Gnadenrecht und im Forderungsrecht enthalten. Nur hat sie verschiedenen „Stellenwert”: hier steht sie voran, dort folgt sie nach als „Grenzbestimmung” und gehört nicht mehr zum Wesen dieses Rechtes, ist nur personale Folge des Treueverhältnisses („Bundes”). Gnaden- und Gerechtigkeitsrecht sind „supplementär”46.
44) RdG 177, 197 (10.).
45) RdG 14, 91, 149, 168, 174 (4.), 177 (2.) f., 183,
190, 193, 199 f., 207, 282, 291, 771, 866 f., 904, 908 f., 977,
church 119. Der Anklang an Anselms Satisfaktionstheorie ist nur
scheinbar. Wichtig dagegen RdG 14, 866: die Gabe des Gottesrechts
gibt zugleich Vollmacht; ferner RdG 207: der Indikativ der Gnade
enthält den Imperativ des Glaubens; dazu aber „komplementär” RdG
189 (2.): gebendes und forderndes Recht verhalten sich
nicht wie Indikativ und Imperativ desselben
Sachverhaltes, sondern sind verschiedene Vorgänge!,
unten 641 zu A. 11.
46) RdG 189 (1.), 866. — Obwohl Do. fortwährend gegen
das Vertrags- ➝
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Überblickt man die gnadenähnlichen Verhältnisse des privaten und öffentlichen Rechts, nimmt man die Begnadigung hinzu im profanen wie im geistlichen Bereich, so zeigen sie alle eine typische Struktur. Diese Rechtsstruktur ist „der Rechtsbegriff der Gnade”, der den „Rechtsbegriff der Gerechtigkeit” supplementär enthält:
Gnade ist ein Rechtsvorgang, | (Vorgang, Geschichte) |
in welchem zwischen zwei47 Personen | (Relation, Person) |
ein zerstörtes Rechtsverhältnis wiederhergestellt | (Restitution) |
oder ein neues begründet wird, | (Institution) |
dadurch, daß der einseitig berechtigte Geber kraft überlegener Rechtsmacht | (Über- und Unterordnungsverhältnis) |
durch eine konkrete Zuwendung dem Nichtberechtigten | (Person-Sache) |
eine Neubegründung oder Mehrung seines Rechtsstandes | (Status) |
als freie nichtgeschuldete Begünstigung zukommen läßt, | (1. Gabe) (2. Anspruch!) |
die der Annahme durch den Begünstigten bedarf, | (1. Annahme) (2. Anerkennung!) |
➝ („Verkehrs-“ [M. Weber]) -Recht als
normativistische Entartung polemisiert (z.B. NRE 13, 31, 47 ff.,
Sache 249 ff., OU 48 f., EltR 90, RdG 303, FS Smend II 299 ff.,
Hochland 1964 224 ff., übrigens vgl. A. Gehlen 18; Gnade 154:
„personale Rechtsverhältnisse können überhaupt nicht in
Vertragsbegriffen verstanden werden”), gewinnt Ernst Wolf ZevKR
1963/64 85 in seiner ausführlichen Besprechung von RdG den
„Eindruck”, daß das Gnadenrecht „Strukturen des Vertragsrechts
(!) im BGB (!!) sozusagen sakralisiere”. — Do. sagt nur
„komplementär”, arg. RdG 190, 771. Doch scheint die Entwicklung
zur Supplementarität zu gehen. Das bedeutet: Das
Gerechtigkeitsrecht ist im Rechtsbegriff der Gnade enthalten,
aber nicht von ihm ableitbar — also eine gewisse Ein- und
Unterordnung des Gerechtigkeitsrechts (arg. RdG 190), ohne daß
die gegenläufige Selbständigkeit beider in einem abstrakten
Oberbegriff aufgehoben wäre (oben 541 f. 555). — Außerdem sind
supplementär wohl nur die beiden Rechtskreise (wenn man die
analogia fidei außer Betracht läßt), nicht der
„Rechtsbegriff der Gnade” selbst, da er strukturell mit der
Heilsgerechtigkeit zusammenfällt (vgl. auch OU 49 [7.]).
47) Ergänzung: unten 6404.
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und nicht von eigener Leistung des Empfängers abhängig ist, | (kein Verdienst) |
aber diesen im Rechtssinne zur Dankbarkeit verpflichtet, |
(1. Pflicht) (2. Ansprüche, Forderungen!) |
so daß eine Verletzung dieser Verpflichtung zum Verlust der Begünstigung führt48. | (Verwirkung) |
Diese Definition erhebt den Anspruch, sowohl auf die juristische wie die theologische Gnade anwendbar zu sein, die göttlichen und die menschlichen Ansprüche zu umfassen, erst recht also im Kirchenrecht zu gelten. Sie ist zugleich die Summe der Rechtsanthropologie.
48) RdG 178 f. Sie ist nicht als erschöpfende (explizite) Definition gemeint, ebd. (obwohl sie auch keine „implizite” Definition ist, s.o. 544 ff.). — Nähere und weiter entfernte Vorstufen: NRE 49 ff., ESL 533 f., MuS 27 f., Gnade 150 ff. — Skizze der Entwicklung: Die Struktur der Gnade ist in wichtigen Elementen schon in NRE 49 ff. vertreten (Wahl, Opfer, Wagnis, Status). Die Verbindung mit der Gnade ist noch nicht erkannt; im Vordergrund steht eine noch nicht abgewertete, aber umgedeutete konsensuale Konzeption. Seit der Gedanke an ein eigenes Gnadenrecht auftaucht (ESL), wird er nicht auf das Strafrecht beschränkt gesehen, sondern als Triumph der höchsten Rechtsgewalt, der Souveränität des Staates. Darf man darin einen „lutherischen” Gedanken sehen? — „Gnade ist selbst Erfüllung des Rechts”; „die souveräne Gewalt setzt gerade ihr Recht durch die Gnade durch, und indem sie Recht übt, erweist sie Gnade”, — indem sie den zuständigen Richter gewährt (MuS 27). „Gnade ist der Ausdruck der Überlegenheit des Gesetzgebers über das Gesetz”, obwohl er sich im Gesetz selbst bindet. Als Voraussetzungen werden aufgeführt (ESL 533 f.): ein Über- und Unterordnungsverhältnis, Störung eines früheren Rechtsverhältnisses (etwa: Staatsbürgerschaft, Staatsdienst), seine Wiederherstellung durch freien Akt des machtüberlegenen Höheren. Der Akt ist (z.B.) eine stellvertretende Erfüllung der verletzten Rechtspflicht des Unterworfenen. — In Gnade 150 f. wird die Mehraktigkeit dieses Vorgangs und seine Zweiseitigkeit betont. Das Erfordernis der Annahme der Gnade und das daraus resultierende Treueband (die Treuepflicht) mit Verwirkungsrisiko kommen hinzu; das Uberordnungsverhältnis wird nicht mehr von der verletzten „Pflicht” her gesehen. In RdG verschwindet schließlich das mißverständliche, weil mit der Definition des öffentlichen Rechts verknüpfte, Über- und Unterordnungsverhältnis und (!) das Merkmal der stellvertretenden Erfüllung; der Unterschied zwischen Restitution und Institution, von Gnade i.e.S. und i.w.S. tritt hervor.
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War bisher fast ausschließlich von der Rechtstheologie die Rede, so muß nun auch die Rechtsphilosophie zu ihrem Recht kommen, wenn anders dieses Recht auch den ersten Glaubensartikel umfassen will. Diese Rechtsphilosophie ist in ausgezeichnetem Maße eine Rechtsanthropologie. In ihr kehren alle die wohlvertrauten anthropologischen Grundbegriffe wieder, bereichert um den der Institution (a-f). Sie alle nähern sich der „Wirklichkeit Recht” von verschiedenen Seiten. Gemäß der Denkform Dombois’ ergibt erst ihre Zusammenschau das nur „implizit” definierbare Wesen des Rechts als eines Epiphänomens des Menschen. Zunächst also: „Recht ist Relation.”
Die Relationenlehre erweist sich für die Rechtslehre als unerhört fruchtbar. Die analogia relationis erlaubt, die Grundbeziehungen zu Gott und Mitmensch mit einem einheitlichen Rechtsbegriff, dem Rechtsbegriff der Gnade, zu erfassen.
Der derzeitige Rechtsbegriff wird aus seiner „hoffnungslosen Abstraktheit” gelöst. Ist es doch bisher fast allgemein üblich, von den Bezügen abzusehen, um einen „reinen” Begriff des Rechts zu gewinnen (mit der anthropologischen Prämisse des isolierten Individuums!).
Dagegen setzt Dombois seine fundamentale These: „Recht ist Relation”, „immer und toto coelo”. Nur in den Bezügen ist der Mensch rechtlich Mensch, „weil er in ihnen für den Mitmenschen verantwortlich ist . . . Dies ist die rechtliche Bedeutung der biblischen Botschaft für das Recht”1.
In einem Gedankenexperiment prüft Dombois die Richtigkeit der Relationalität des Rechts2: „An welchem Punkt wird ein annahmeweise außerrechtlicher Bezug unzweifelhaft zum rechtlichen?” Als Beispiel dient der Geschlechtsbezug. Schon im Entstehungsvorgang wirkt er „gnadenrechtlich”. Die „Wahl” des Partners „sondert” diesen „aus” von allen übrigen und „ordnet” ihn „zu” dem neuen Verhältnis. Selbst
1) MuS 76, 150-154, KuD 1957 73, RdG 37, 105,
164, 169; zum „konkreten” Recht s.u. 643 f.
2) RdG 90 ff. — es gilt allerdings nur für das
Statusrecht.
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ohne formelle Eheschließung wertet die Rechtsgemeinschaft, in der die Partner stehen, den Bezug in mancher Hinsicht positiv oder negativ, knüpft daran Rechtsfolgen (z.B. Eheverbot!), „anerkennt” ihn damit als „Status”, selbst wenn die Beteiligten das nicht wollen. Dazu kommen weitere „Drittbezüge” (das ist das Schlüsselwort3) zu Eltern und Verwandten, vor allem zu den (eventuellen) Kindern, für die die Partner verantwortlich gemacht werden („Ansprüche”). Sie wirken auf das ursprüngliche Zweierverhältnis zurück; es wird „verbindlich” (wenn auch nicht unlösbar) — es wird zum Rechtsverhältnis. So entsteht ein Koordinatenkreuz von Drittbezügen mit Rechtsqualität in „Raum” und „Zeit”: „zu denen, die vor uns, die mit uns und die nach uns sind, wie zu denen, die über uns sind (scil. die Rechtsgemeinschaft!), die uns wesentlich gleichgeordnet und die uns anvertraut sind”4. — Nimmt man hinzu, daß Bezug nur „ist” im Handeln, dann gewinnt das Recht jene Dynamik, die es für die großen Aufgaben befähigt, die ihm Dombois im Kirchenrecht zugedacht hat5.
Auffällig ist das Ineinander von statusrechtlichen und normativen Begriffen — aber nicht verwunderlich, wenn man an die Supplementarität der beiden Rechtskreise im Rechtsbegriff der Gnade denkt. Auch dort ist das Recht eine Relation: beim Gnadenrecht, weil es den Rechtsübertragungsvorgang, also die Institution oder Restitution einer Person durch eine andere, beschreibt; beim Gerechtigkeitsrecht, weil es den Rechtsentstehungsvorgang, also die Anerkennung eines personalen Anspruchs durch eine andere Person, wiedergibt. Der Ertrag dieser Betrachtung: Das Recht wird zur „Bezugsverfassung”6.
3) RdG 90 ff., 96, 262. — Freilich kann man das
Recht nicht allein von da her „aufbauen” — es gibt auch Autonomie
sui iuris, wenn auch von der Rechtsgemeinschaft
verliehen (RdG 92).
4) RdG 92, 163; Sache 242. Zugleich zeigt sich, daß
die von Do. gegebene definitorische Beschreibung des Gnadenrechts
(o. 637 f.) die Drittbezüge nicht berücksichtigt („Gnade ist ein
Rechtsvorgang . . . zwischen zwei Personen”) und insoweit zu
ergänzen ist.
5) MuS 154 (statisch und dynamisch), RdG 388.
6) RdG 37; 169. — Ein genauerer Ausdruck als das
„Recht als Relation”, weil er auf das wichtige institutionelle
Element des Gnadenrechts hinweist. — Auch das stoische Recht ist
„Seinsverfassung” (J. Hirschberger I 262 f.), aber die
Gemeinsamkeit geht (trotz MuS 138, unten 643 f.19)
über die Zuordnung von Ontologie und Ethik und die Nähe des
Rechtsbegriffs zur Sitte nicht hinaus (unten 683).
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Daß sich dieser Fortschritt im Rechtsbegriff mit alten Erkenntnissen aufs beste vereinen läßt, deutet Dombois selbst an7. Und mit Recht!, denn: „Philosophisch ist das Recht . . . eine Relation . . .; Gott . . . ist der letzte Urheber dieser Beziehungen”8, „ius essentialiter in relatione consistit”9. Dombois hat mit seiner These bereits Zustimmung gefunden10.
Das Recht ist eine Relation, ist Bezugsverfassung. Diese erste anthropologische Bestimmung wird ergänzt durch die Existentialität des Rechts. Sie enthält dreierlei: Eine Erweiterung, eine Einschränkung und eine Eigenschaft des Rechts.
„,Im Rechte zu sein’ (gehört) zu den Konstituentien unseres geistigen Seins.” Das Recht ist ein Existential des Menschen. Diese Aussage hängt eng mit der Definition des Rechts als Relation zusammen und erweitert sie. Sie ergibt sich aus der Struktur des Gnaden- und Gerechtigkeitsrechts. Die beiden Rechtskreise gehen auf unterschiedliche, aber „gegenläufige” Existenzsituationen („Lagen”) zurück: nämlich freies Geben und Annehmen der Gabe bzw. Fordern und Tun des Geforderten11. Sowohl das Recht als Gabe wie auch das Recht als Anspruchsanerkennung sind demnach existentielle Vorgänge im Bezug zwischen Personen, oder anders: „existentielle Grundformen” geschichtlichen Handelns. Weil der Mensch nur im Handeln in Bezügen existiert, das Recht aber
7) S.u. 668.
8) K. v. Hohenlohe 3; ähnlich J. Fuchs 1963 211
ff.
9) J. Gredt II, zit. Hohenlohe 4; übrigens ebenso
(ohne Näheres) der Phänomenologe D. v. Hildebrand 1932 159 ff.
Freilich ist bei Gredt die (aristotelisch-thomistische)
relatio nur ein accidens schwächerer
Seinsqualität, weil die ontologische Valenz der personalen
Relation nicht erkannt ist (anders in der relatio der
Trinitätslehre, oben 494); anders dagegen und wie hier ist bei
Augustin das Recht ein „Beziehungsverhältnis von Mensch zu Gott
und von Mensch zu Mensch” (Moorhouse F.X. Miller, bei F.A. v.d.
Heydte WdF 16 147).
10) T. Rendtorff 1959 79, 96 A. 11, R.P. Calliess 1965
313, R. Bäumlin ZRG 1965 400.
11) RdG 181; 178, 191, 229 A. 8, 769 A. 18 a erkennt
das Gnaden- im Personen- und Sachenrecht, das Gerechtigkeits- im
Schuld- und Straf recht; dazu church 109 und NRO 90
(Zitat).
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die Bezugsverfassung dieses Handelns ist, darum ist es von der Existenz unabtrennbar; das Recht ist in Entstehung und Bestand eine Existenzbestimmung des Menschen, ein „Existential”12.
Die „Existentialität der Rechtskategorien” zeigt sich daran, daß diese dem bezughaften Menschen unablösbar von Gott eingestiftet sind. Man kann sich dem Recht nicht entziehen, man findet es schon bei der Geburt vor; man kann es weder „ablegen” noch sich dagegen „entscheiden”. Erst recht ist es nicht möglich, das Recht als „Mittel zum Zweck” zu „verwenden”, gar in eine abstrakte Idee zu verwandeln oder als ideale Größe in eine „Metaphysik des Geistes” zu versetzen, aus der man dann alles übrige deduziert13.
Auch von der Gemeinschaftlichkeit der Existenz kann das Recht nicht getrennt werden. „Die Anerkennung der Gemeinschaft trägt das Recht” — so heißt es für das Anspruchsrecht; nicht minder begründet das Gnadenrecht die geordnete Gemeinschaft und ermöglicht so erst die Existenz14.
Wo der einzelne oder gar die Kirche dennoch versucht, von der Existentialität des Rechts abzusehen, dort setzt das Recht sich gleichwohl durch; es verdirbt aber zugleich, weil es ohne verantwortliche Pflege bleibt und sich vergewaltigend gegen den wendet, der es vernachlässigt hat15. Naturam expellas furca, tamen usque recurret . . .
12) Meth. 343, OU 96, KuD 1957 74, RdG 74 f.,
92, 771, 868, FS Smend II 288; „Relations- und Statuscharakter
menschlicher Existenz”, MuS 151; Rechtsraum ist Existenzraum,
ebd. 150. Unrecht ist deshalb mehr als Verstoß gegen eine Norm
oder den Willen eines Gesetzgebers: es ist „Existenzverfehlung”,
s.o. 491. Zur relationalen Determiniertheit menschlicher Existenz
s.o. 48611, und 490 f. zur „Zwischenexistenz”.
13) OU 96, KuD 1957 73, RdG 31, 35, 263, 873, ZEE 1963
317. — Die Polemik gegen ein vom Zweck her verstandenes,
nicht-existentielles Recht (z.B. R. Bultmanns RdG 75, FS Smend II
289 ff.) besagt in immer neuen Ansätzen: Recht ist nicht der
nützliche Hausknecht (der Kirche), auf den man herabsieht, der
nicht zur Familie gehört, der „beliebig handhabbar” ist (RdG 74
f., 873, FS Smend II 288), was sich in der Theologensprache in
der Kennzeichnung des Rechts als etwas „Äußerem” offenbart (RdG
75). Diese Haltung, erklärlich aus den Verletzungen im Kampf mit
dem Rechtssystem der römischen Kirche, beginnt sich unter dem
Einfluß soziologischen Denkens zu wandeln (FS Smend II 288
f.).
14) Oben 628 f. 631 ff.
15) RdG 35, 263; Recht als Kunstwerk OU 50, 97 (3.),
RdG 80 — vgl. G. van der Leeuw PhdR 773: Strukturverstehen ist
mehr Kunst als Wissenschaft, und oben 57812
Institution als Kunstwerk.
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Freilich ist das Recht nur ein Existential des Menschen, ein sehr wesentliches, vielleicht nach Dombois sogar das wesentlichste, aber nicht die ganze Existenz. Das soll man nicht vergessen, wenn Dombois das von Theologen so sehr geschmähte Recht in überaus kräftigen Worten preist und hervorhebt16. Die menschliche Existenz kann im Recht nicht vollständig dargestellt werden17!
Das Recht ist nämlich, damit wird die nächste Bestimmung des Rechts erreicht, nicht die ganze Wirklichkeit des Menschen, sondern nur „die Rechtsdimension der Wirklichkeit”, „eine Dimension seiner Existenz”18.
Die Existentialität des Rechts besagt schließlich die Realität des Rechts, seinen „Wirklichkeitscharakter”, was auch schon im „Recht als Dimension der Wirklichkeit” beschlossen liegt. Man darf, wenn man das wirkliche Recht finden will, nicht mehr mit dem Anspruch anfangen oder einen ethischen, ideellen oder „metaphysischen” Ansatz suchen, sondern muß von den „existenzbestimmenden Fakten” ausgehen, und auch hier nicht von den isolierten Fakten, sondern von ihrem geschichtlichen Zusammenhang, also dem „Vorgang”. Dann ist das Recht nicht mehr Willensakt eines Gesetzgebers oder sekundäre „Ordnung” eines an sich vorrechtlichen Geschehens, sondern der „Rechtsgehalt” menschlichen Handelns, seine „Verfassung und Erfassung”19. Dann wird das
16) Etwa RdG 894: „Existentiale Interpretation
ist stets Rechtsinterpretation”; OU 96 u.ö.:
Kirchenrechtslehre als Prüfungsinstanz über die Theologie (dazu
Grundmann ThLZ 1963 804 f. u.ö.).
17) OU 96, dazu bes. 6144; vgl. OU 97 (3.):
Neben der Philologie sind Soziologie und Jurisprudenz
theologische Erkenntnismittel; ferner NRE 60: In juristischen
Begriffen, soziologischen Strukturen, geschichtlichen Phasen
werden drei Existentiale des Menschen sichtbar. Das weist auf die
von Do. so genannten „Humanwissenschaften” (Exkurs XV 655 f.).
Entsprechend kämpft Do. um die Anerkennung der Berechtigung
juristischer Exegese des NT, nicht aber um ihre
Alleingültigkeit.
18) OU 50, 74 (3.), 96 (1.), RdG 12 f., 52, 81, 93,
96; übrigens ebenso A. Villani 386. „Dimension” bedeutet hier,
etwa i.S. Tillichs III 25 ff.: nicht aufteilbar in genau
abgegrenzte „räumliche” Bereiche, sondern einander ergänzende
Betrachtungsweisen desselben Gegenstandes, so daß über ihn sowohl
juristisch wie theologisch (z.B.) gesprochen werden kann (und
muß!).
19) OU 50, RdG 49, 53 gegen den „imperativischen
Rechtsbegriff”, 96, 149 f., 183, 242, ZEE 1963 316 f.; vgl.
wieder RdG 37 die „Bezugsverfassung”, 461 die Rechtswissenschaft
ist eine Wissenschaft vom wirksamen Handeln zwischen Personen;
➝
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Recht selbst zum realen dynamischen Geschehen, die Existenzstrukturen werden zu Rechtsstrukturen, die Relationen zu Rechtsbezügen20 und so fort.
Das gilt ebenso für den Gottesbezug in göttlicher Gnadengabe und göttlichem Anspruch, der ja den Menschen erst ins Sein und ins Recht ruft; das trifft aber auch auf den Nächsten- und Sachbezug und die entsprechenden institutionellen Verfaßtheiten zu, erst recht für die gemeinschaftliche Existenz im Recht in der Kirche. Überall bleibt der Mensch nur im Recht, wenn er das Recht als Dimension seiner relationalen Existenz erkennt und verantwortet. Das heißt aber auch, daß er in dem ihm geschenkten Recht nur bleibt, wenn er den Nächsten in seinem Recht beläßt21.
Nach dem Bisherigen bedarf es nicht mehr langer Ausführungen zum Nachweis, daß das „Recht in concreto . . . immer personal ist”; das Recht ist ja „die notwendige Form personalen Handelns in der Geschichte”22. Nur an so viel sei erinnert: Dieses von Dombois
➝ „die Weltordnung ist, bedeutet und garantiert das
Recht”, MuS 138; das Recht wandelt sich mit dem
Wirklichkeitsverständnis, RdG 447 f. u.ö.
20) NRE (Titel), 4, MuR 99, 115, MuS 143, 150 f., OU
93, RdG 50, 471 A. 21; U. Scheuner ZevKR 1963/64 68 hat Do.s
Rechtsbegriff einen „konkreten” Rechtsbegriff genannt, zu Recht,
vgl. die wiederkehrenden Hinweise auf ein „konkretes” Recht,
Hochland 1953/54 348, RdG 80, 90, Hochland 1964 220.
21) NRE 29, RdG 80 f., 801; wenn er die „Drittbezüge”
durchhält, RdG 93. Dazu sei bemerkt, daß die Erörterung der
Existenz im RdG ausschließlich im Dienst der theologischen
Rechtsbegründung steht, anders als in den Schriften vorher; als
weitere Verschiebung tritt der Gemeinschafts- und
Vorgangscharakter der Existenz im RdG stärker hervor.
Folgerichtig darum die Entwicklung zur „sozialen Existenz” in
ES.
22) RdG 283, 837; vgl. in noch etwas anderer
Bedeutung: „Person (Persönlichkeit) und Recht sind
wechselbezügliche Begriffe” (DtPfBl 1949 58), unscheidbar
miteinander verbunden im Recht (MuS 16); die Kehrseite ist die
Schuld, MuS 91. Zur Genese des personalen Rechtes: Persönlichkeit
und Zweiseitigkeit sind die beiden Merkmale des Rechts
(Richteramt 106, DtPfBl 1949 58). Im folgenden tritt aber die
Zweiseitigkeit immer mehr in den Vordergrund. Sie besagt die
Einbeziehung des Nächsten, ja des Gegners, speziell im Prozeß
(Richteramt 91, GRE 19, 53 f.). Sie enthält den Rechtsgedanken
der billigen Abwägung und verbietet, den Menschen zum Objekt zu
machen (Richteramt 83, DtPfBl 1949 58). Auch das Phänomen der
Buße und der Strafe ist zweiseitig struiert (MuS 107), während
die Zweiseitigkeit des Vertragsrechts als bloßer Mutualismus bald
suspekt erscheint (NRE 54, FS Smend II 301 gegen SS 51). Also ein
„Nächstenrecht” vor Erik Wolf! Vgl. „Nächster . . . ist
Rechtsbegriff”!, NRE 29 f., GRE 53. Persönlichkeit und
Zweiseitigkeit entsprechen hier Wolfs Personalität und
Solidarität.
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vorgestellte Recht ist sowohl in seinen Teilakten, als auch im Gesamtvorgang, als auch im Ergebnis „personal”, nämlich von Personen stammend und auf Personen bezogen.
Personal sind zunächst die Teilakte des Gnaden- und Gerechtigkeitsrechts. Am deutlichsten wird das am Rechtfertigungsvorgang, obwohl die Rechtsgeschichte zeigt, daß dies „entsprechend” auch für das weltliche Recht gilt. Was wäre mehr personal als der Akt gnädiger Zuwendung Gottes in Christus? Und doch ist dies gerade der erste Rechtsakt des Gnadenrechts. Nicht weniger trifft die Personalität für den Annahmeakt zu. Denn wer nimmt an? Doch nicht das Nichts vor Gott, der Mensch, sondern der von Gott durch die Gabe ins Sein und ins Rechtsein gerufene Mensch, oder — verkürzt — wiederum Christus und sein Geist. Ein gleiches ist für das Gerechtigkeitsrecht zu sagen. Auf Grund der personalen gratia praeveniens des Bundes Gottes mit dem Menschen ergeht an den so Gewürdigten der göttliche Anspruch, wiederum personal in Christus, und mit wiederum personalem Ziel, nämlich auf Hingabe der ganzen Person an Gott. Der Akt der Anerkennung dieses Anspruchs ist noch einmal personal, denn es ist diese Hingabe der Person, die sola gratia sola fide geschieht23.
Personal ist zum zweiten auch der zweiaktige Vorgang als solcher, da er die schon bekannte Doppelstruktur des personalen Handelns in der Geschichte zeigt; „Restitution und Institution” sind nicht nur die beiden Teilvorgänge des Rechtfertigungsgeschehens nach dem Gleichnis vom verlorenen Sohn, sondern auch und zugleich die Doppelgliedrigkeit von Aussonderung und Zuordnung in den neuen personalen Stand, in die Gemeinschaft des Neuen Äon. Wie der andere Rechtstypus der Anspruchsanerkennung sich in diesen ersten einfügt, wurde schon am Rechtsbegriff der Gnade gezeigt24.
Personal ist drittens und endlich das Ergebnis der beiden Rechtsvorgänge. Beim Gnadenrecht ist das der erreichte Status und das dadurch begründete Band der Treue (und beim Gerechtigkeitsrecht wohl die
23) RdG 160 A. 21, 174 f., 178, 199, 243, Rfl
I-III, und wieder oben 589 632. — Durch diese personale
Interpretation ist auch das Anspruchsrecht vor „regelhafter
Objektivierung” geschützt, d.h. ist nicht mehr „Gesetz” im
theologischen Sinn, sondern offen für den Geist, RdG 169, 195
(8.), 866 und oben 63336.
24) RdG 140, 199 ff., 421; oben 633 ff. 637 f.
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erzielte „konkrete Bändigung”). In jedem Falle eröffnet sich eine Fülle neuer personaler Beziehungen zwischen den beteiligten Personen auf der Grundlage der „vorauslaufenden Kommunikation”25.
Es ist darum kein Zufall, daß alle die oben angeführten anthropologischen Grundsituationen, die die Verwiesenheit des Menschen auf sein „konstituierendes Gegenüber” aufzeigten, zugleich rechtserhebliche Situationen sind; daß die daraus entstehenden personalen Rollen Rechtsrollen sind (Richter, Arzt, Priester, Vater, Mutter usf.); daß schließlich sogar die allem zugrundeliegende und in alledem enthaltene Kommunikation selbst ein Rechtsbegriff ist („Kommunikationsrecht”)26.
Freilich werden zumeist Recht und Person getrennt, sei es aus einem unzureichenden Rechtsbegriff oder (und vor allem) aus einem anderen Personverständnis, das von den falschen Antithesen von Person und Gemeinschaft, Person und Sache, Person und Funktion her denkt. Aber nur ein personaler Rechtsbegriff kann das Gottesverhältnis zutreffend beschreiben27. Dieses Recht ist das Recht der „Gnade”, das den „Anspruch” Gottes supplementär umfaßt.
Radikalisiert man die Person zum autonomen Subjekt, dann wird eine anthropologisch begründete Rechts- (und damit auch Kirchen-rechts-)lehre im Ansatz unmöglich. Gemeinschaft und Recht müssen dann von außen an die Person herangetragen werden, und die Verkuppelung des Rechts mit dem Zwang wird fast unausweichlich. Aber das Recht vom Zwang her zu sehen, wie es eine lutherische „Scharfrichtertheologie” gerne möchte, ist nicht einmal mehr rechtsphilosophisch erlaubt.
„Das Recht verwehrt und fördert zugleich, es verbietet und verbindet, und diese Ambivalenz muß durchgehalten werden.” Darum wird
25) MuS 105 f., RdG 97, 176, 178, 183, 196,
199, zur Buße RdG 736, zur communicatio s.u. A. 26.
26) OU 32, RdG 48, 111 ff., 307 f., 561, 868, 892,
oben 588; Kommunikation ist also Rechtsgrund und
Rechtsverhältnis; als gemeinschafts- und rechtsbegründende Gabe:
NR 202, RdG 163, 366, 483; z.B. zur Richterrolle MuS 77
ff., RdG 837.
27) So das Ergebnis der Auseinandersetzung mit H.
Oestergaard-Nielsen, RdG 882 ff.
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es auch in der Welt nicht nur aus Furcht und Schrecken befolgt, sondern auch aus Freiheit und Verantwortung28.
Um nicht in einen rechtstheoretischen Personalismus zu verfallen, genügt es nicht, die Zwangsnatur des Rechts abzulehnen; man muß auch der inneren Verbindung von Person und Sache im Recht gewahr werden. Verhältnismäßig einfach ist es noch beim geistlichen Recht. Dort treffen Geber und Gabe in Christus zusammen, wie schon gesagt wurde, und zwar im Gottesdienst, genauer im Wort- und Sakramentsgeschehen. Eine wichtige Vorentscheidung für das Kirchenrecht! Am „Ort” dieses Geschehens, wiederum im Gottesdienst, verbindet auch der zweite Rechtstypus Person und Sache: Was „angesprochen” wird im Anspruch Gottes, der „Anspruchsgegenstand” also, das ist der Geist Christi, der für uns und an unserer Stelle antwortet29.
Nicht weniger trifft die Untrennbarkeit von Person und Sache im weltlichen Recht zu — wenigstens wenn man die gewohnten Vorstellungen einen Augenblick vergißt und versucht, „phänomenologisch” die Dinge so zu sehen, „wie sie sind”. Wenn der Richter ein Urteil fällt, dann ist das sowohl eine personal-aktuale „Entscheidung”, die nicht in allem vorausgesagt werden kann, als auch eine „sachliche” Entscheidung über den „Streitgegenstand”, die mit anderen Entscheidungen in einem Sachzusammenhang steht. Außerdem darf man die Entscheidung des Richters nicht isoliert sehen. Das Urteil ist nur der letzte Akt im „geschichtlich”-mehraktigen Prozeß innerhalb des Relationsgefüges Richter-Kläger-Beklagter30.
28) Strafe 167, FS Wendland 138 gegen Heckel IZ
17, RdG 164, 876 ff., 882, FS Smend II 290, KidZ 1963 245. — Hier
ist nur ein Teilproblem behandelt; für weiteres bei Do. vgl.
unten 65449.
29) OU 37, 49, 51, 73 (1.), RdG 38, 175, 197 (10.),
217 f., oben 49813f. zu Person und Sache. — Geber und
Gabe in der Ordination: RdG 567, 847; näheres im
Kirchenrecht.
30) OU 47 (2.), RdG 165 f. (zum „charismatischen”
Richter [i.S. M. Webers]), 275 A. 15,837,884,886, FS Smend II 293
ff. und oben 498 f. 525 38. Deshalb folgt Do. der im juristischen
Schrifttum früher herrschenden, heute aber weithin aufgegebenen
(dazu L. Rosenberg § 148 II) materiellen Rechtskraftstheorie,
Richteramt passim, bes. 93, RdG 164 f., 170, 837
„schafft (dem Rechtszustand) einen neuen zusätzlichen oder (!)
sogar originären Geltungsgrund”. Die Formel „Person und Sache”
faßt also zwei verschiedene, wenn auch verbundene Dinge zusammen:
Die Person des Richters und der Parteien bzw. des Angeklagten;
„Sache” des Richters (objektives Recht) und der Parteien
(subjektives Recht) — wobei für Do. alles dies „Recht”
ist.
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Personal-prozessual ist sogar das Gesetz, wenn man seine Entstehung berücksichtigt. Die actiones, die der römische Prätor dem Kläger „gibt” (!), sind zunächst von seiner Person abhängig; sein Nachfolger muß sie neu geben, wobei er nicht an den Vorgänger gebunden ist. Erst allmählich bildet sich das edictum perpetuum. Auch das moderne Gesetz ist sachlich nur eine Sammlung genereller „Urteile” über vorweggenommene Tatbestände31.
Verfällt man aber der dem Personalismus entgegengesetzten Irrlehre und entwertet die Person zur auswechselbaren Funktion, dann schwindet die Unvertretbarkeit der Person; zugleich muß die Person vor dem apersonal mißverstandenen Recht dadurch geschützt werden, daß man das rechtliche Handeln, vor allem im geistlichen Bereich, zum bedeutungslosen „deklaratorischen” Geschehen entwertet. So glaubt der Theologe die Alleinwirksamkeit Gottes im kirchlichen Handeln wahren zu müssen und der Anmaßung eines „konstitutiven” opus operatum der römischen Kirche entgehen zu können32.
Aber die Trennung von deklaratorisch und konstitutiv ist schon rechtstheoretisch verfehlt. Wenn Recht die Verfaßtheit personalen Handelns in der Geschichte ist, dann ist jedes Rechtshandeln deklaratorisch und konstitutiv zugleich. Rein deklaratorisches Handeln ist „philosophisch unmöglich”, weil immer Neues dabei geschieht; jedes Rechtsgeschehen ist ein komplementäres Ineinander von „deklaratorisch” aus der Vergangenheit Tradiertem und dem „konstitutiven” schöpferischen Element der Aufnahme des Tradierten durch die verantwortliche Person33.
31) Hochland 1953/54 351 f., NR 201, MuS 75, OU
48 (3.), RdG 166 ff., 187 (mit Hinweis auf M. Weber 1964), 883 f.
Darum wird das Recht aus dem Prozeß geboren, nicht der Prozeß aus
dem Recht, oben 632 f. m. A. 35. Wegen der Trennung von Person
und Sache lehnt Do. das „verkehrsrechtliche” (moderne normative)
Recht als für geistliches Recht untauglich ab, s.o. 636
f.46. — Zur Kritik Do.s am ungeschichtlich-statischen
Personbegriff des geltenden Rechts RdG 347 f. (vgl. § 1 BGB und
Wolf 26854!). Auch das kanonische Recht kennt die
Vorstellung des persongebundenen Rechtes; vgl. die (nach heutigem
überflüssige) Nennung des Amtsnachfolgers (z.B. in CIC can. 17 §
1 eiusve successor) oder das „personale” praeceptum
ad instar sententiae, can. 24.
32) MuS 87, RdG 192 (5.), 252 f., 868.
33) MuR 116, RdG 166, 175 (c), 192, 244, 437 A. 80,
516, 837, 849, 891. — Vgl. die gleiche Problematik bei der
Anfechtbarkeit der scheinbar rein deklaratorischen Vollstreckung
eines Verwaltungsakts!
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Zunächst gilt das im geistlichen Handeln. Wer z.B. tauft, weist immer deklaratorisch auf die schon vorausgegangene Gabe Gottes34 und wendet sie zugleich konstitutiv dem Täufling zu, wobei die Öffentlichkeit des Geschehens das konstitutive Element noch verstärkt35.
Auch hier findet man eine Entsprechung im weltlichen Recht. Das charismatische Rechtsdenken, und abgeschwächt das traditionale, haben die Einheit dieses Gegensatzes bewahrt. Man erkennt es wieder am Prozeß und am Spruch des Richters, dessen Urteilen (deklaratorisch) die vorgegebene Ordnung repräsentiert und sie (konstitutiv) wieder herstellt; er bezeugt (deklaratorisch), was ist, und stellt es (konstitutiv) in den Raum der Gegenwart, in den mitmenschlichen Bezug. Diese Einsicht gilt aber kategorial für jedes Recht, und wo sie verlorengegangen ist, muß sie neu verwirklicht werden, wie die Strukturbetrachtung ergibt36.
Verwandt mit der unter Theologen üblichen Bevorzugung des
deklaratorischen vor dem konstitutiven Recht in der Kirche ist
die namentlich unter Exegeten verbreitete Ansicht, Recht habe in
den ersten christlichen Gemeinden immer nur eine regulative,
nicht konstitutive Funktion gehabt, während schon in den
Pastoralbriefen das konstitutive Recht seinen Einzug gehalten
habe.
Interessant ist die „idealistische” Herkunft dieser
Unterscheidung. Kant stellt die regulative Idee, d.h. das außer-
oder überwissenschaftliche Leitbild, dem konstitutiven Prinzip,
d.h. der innerwissenschaftlichen Voraussetzung,
34) Stellvertretend geleistet durch Christus;
s.o. zum göttlichen Richter. Do. verweist wieder auf das
Rechtsbild vom verlorenen Sohn, RdG 418.
35) OU 49, RdG 174 f., 192, 418, 455, 516. Die
Untrennbarkeit von Person und Sache gilt für jeden
geistlichen Rechtsakt, also auch für das Anspruchsrecht. Für den
Anspruch Gottes: RdG 46, 677; für die Kategorie der
iurisdictio: RdG 836 f.; der receptio: RdG 827,
weil dadurch etwas „rechtskräftig” wird; der traditio
und ordinatio: Do. stellt zwar (in der Ordinationslehre)
die deklaratorische Vokation der konstitutiven Ordination
gegenüber (OU 43 [2.], 75 [9.], 56), aber wohl einseitig aus dem
theologischen Anliegen heraus, nicht die Ordination als
nur-deklaratorischen Akt erscheinen zu lassen (wie es überwiegend
in der evangelischen Theologie vertreten wird); denn die Vokation
ist strukturell (auch) iurisdictio (RdG 559), für die
diese Unterscheidung dahinfällt (RdG 836 f.).
36) OU 47 (2.), RdG 156 f., 165 f., 516, 849, 885 ff.;
zu „urtümlich = kategorial” s.u. 659.
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gegenüber. Bultmann spricht vom regulativen Recht der
Urkirche, das in den Deuteropaulinen und den Pastoralbriefen,
besonders aber im 1. Clemensbrief vom konstitutiven Recht des
Frühkatholizismus abgelöst worden sei, und gibt damit R. Sohms
Rechtsleugnung auf neuer Ebene zum Teil recht37. Auch
J. Klein gebraucht diese Unterscheidung zustimmend38.
E. Käsemann überwindet sie, wenn auch sein Rechtsbegriff sonst
nicht völlig genügen mag39.
Dombois gibt einen juristischen Beitrag hierzu. Für ihn ist das
eine „gegenstandslose Unterscheidung”, ein „immanenter
Selbstwiderspruch”, weil sie mit dem Rechtsbegriff selbst
unvereinbar ist. Mit K. Barth bezeichnet er sie als
„ekklesiologischen Doketismus”40, der die
Fleischwerdung des Wortes nicht zureichend berücksichtige. Denn
wenn es im Neuen Testament regulative Rechtsformen gibt, so sind
sie zugleich konstitutiv! Das ergab sich schon aus der Analyse
der Rechtsgleichnisse (Restitution-Institution). Das folgt aber
auch, nach Dombois, aus dem Begriff des „regulativen Rechtes”
selbst: Regulatives Recht begrenzt; was rechtlich begrenzt wird,
muß rechtlicher Beurteilung zugänglich sein, also eine rechtliche
Struktur haben; jede Rechtsstruktur erlaubt zugleich, daß über
den Gegenstand geurteilt werden kann; jedes Urteilen enthält aber
— wegen des unableitbaren „personalen” Elements — einen
konstitutiven Anteil. Regulatives Recht ist also notwendig auch
konstitutiv. Sogar was durch (regulatives oder konstitutives)
Recht beurteilt wird, hat selbst nur entstehen können auf Grund
des (expliziten oder impliziten) Urteils, daß es rechtens sei,
daß dies geschehe, und daß es so geschehe und nicht anders.
Zum gleichen Ergebnis wie die rechtssystematische Betrachtung
führt die geschichtliche: „Die klare Herausbildung konstitutiver
Rechtselemente in der (alten) Kirche . . . (war) ein Phänomen
echter Geschichtlichkeit”, weil geschichtliches Handeln notwendig
zu „konstitutiven” Formungen führt41.
Damit handelt es sich um die nunmehr zu erörternde Frage der
Struktur personalen Handelns in der Geschichte.
37) R. Bultmann NT 446 ff., 456 f., 462 f.
übernahm diese Unterscheidung, um den Bestand an ntl.
Rechtsformen, den die Exegese vorfand, als nur sekundäre Folge
des Kerygma zu kennzeichnen. Dieses peiorative Element
kantianischer Herkunft wird meist übersehen. Im Grunde ist es
doch nur die „Frühkatholizismus”-These R. Sohms, nun aber vom
1.Clemensbrief vorverlegt ins NT hinein, was bei H. Braun
schließlich zum „Kanon im Kanon” führt (dazu H. Küng Qd 17 144
ff.).
38) Skandalon 112; dazu RdG 34: „J. Klein hat den
systematischen Fehler mit Bultmann gemeinsam.”
39) RdG 34, 152, FS Smend II 303.
40) OU 7, RdG 33 f., 43 (RdG 252 „Doketismus”
übertragen auf die nur-forensische Rechtfertigungslehre), FS
Smend II 289 f.; K. Barth OdG 62.
41) Das etwa ist der Inhalt des sehr abgekürzten
Arguments in RdG 33 f. und FS Smend II 290; vgl. RdG 95 f. —
Freilich benutzt Do. die Unterscheidung von ➝
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Die Strukturiertheit des Rechts stellt vor zwei Fragen, die auseinandergehalten werden müssen: die typische Struktur des Rechts als Vorgang und die Rechtsnatur dieser Struktur.
Gemäß der Supplementarität der beiden Rechtskreise darf man nicht von „der” Struktur des Rechts ausgehen, sondern muß gesondert nach der Struktur des Gnaden- und des Gerechtigkeitsrechts fragen. Erst dann kann das Verhältnis der beiden Strukturen bestimmt werden.
Das Gnadenrecht weist eine zweiaktige Struktur auf, die des Aussonderns und Einordnens, wie schon das Gleichnis vom verlorenen Sohn, aber auch die Ehe mit ihrer Zweiheit von Verlöbnis und Trauung zeigte. Diese Struktur ist schon bekannt. Es ist die typische Struktur eines jeden geschichtlichen Handelns. Auch das Gerechtigkeitsrecht ist zweiaktig, nämlich Anspruch und Anerkennung.
Formal besteht also eine große Ähnlichkeit zwischen den beiden Rechtstypen. Beide sind „Vorgänge”, zweiaktig, mit geschichtlicher Erstreckung. „Im Vorgang selbst ereignet und bildet sich das Recht — aber nicht in der Punktualität, sondern in durch die Geschichtlichkeit des Handelns bedingten Strukturen.” Dombois bezeichnet den doppelaktigen („dualistischen”) Rechtsvorgang gerne als gestreckten Rechtsakt42.
Zur Struktur der beiden Rechtsformen gehört aber auch ihre spezifische Zuordnung, die man in phänomenologisch-soziologischer Analyse ermitteln kann. Wie diese Zuordnung („Gefüge”) des näheren beschaffen ist, gehört zur Geschichtlichkeit des Rechts; strukturell bestimmt ist nur — und damit kategorial zu allen Zeiten gültig und nur
➝ regulativem und konstitutivem Recht selbst (FamR 31, OU
34, Lücke 350, RdG 243). Sie habe ihren legitimen Ort in der
Lehre vom usus des Rechts, nicht aber in der
Kirchenrechtsbegründung (FS Smend II 290). Doch das will nicht
recht einleuchten, weil jedes regulative Recht, wie Do. selbst
sagt, ein konstitutives Element mitenthält.
42) S.u. 672; vgl. wieder „zwei-, mehr-, doppelaktig”
52226; zum Zitat RdG 844, 868. — Rechtsstruktur von
verschiedenen Vorgängen und Bezügen: MuS 74, OU 51-56, RdG 49,
53, 90 ff., 163, 169, 206, 217, 283, 419, 771, 847 f., 868; unten
zu den kirchenrechtlichen Grundvorgängen. Ob es daneben noch echt
einseitige Rechtsakte gibt (so GRE 145 Anm.) — in
phänomenologischer Sicht! —, muß offen bleiben. Zum Verhältnis
zum vielaktigen Rechtsbegriff der Gnade s.u. 671 ff.
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unter Sanktion des Rechtsverfalls veränderlich —, daß die Rechtsbildung beachtet werden muß, also der Vorgangscharakter nicht aufgelöst und die zeitliche Reihenfolge nicht umgekehrt werden darf43.
Schwieriger ist die andere Frage nach der Rechtsnatur der Strukturen. Bisher scheinen Rechtsstruktur und Struktur ohne Unterscheidung gebraucht zu sein. Wie ist das zu erklären? Ist etwa der anthropologische Grundbegriff „Struktur” zugleich Rechtsbegriff? Diese „entscheidende Frage” (Ernst Wolf44) findet man nirgends von Dombois ausdrücklich beantwortet — was aber nicht schadet, weil sich die Antwort mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Bisherigen erschließen läßt.
Der Ausgangspunkt ist wieder der „Vorgang”. In ihm treffen Struktur und Rechtsstruktur zusammen. Die Struktur geschichtlichen Handelns ist, was „durchhält”, d.h. notwendigerweise in der Geschichte wiederkehrt. Was aber notwendig ist, ist auch legitim; Struktur ist „legitimes Gefüge” der Wirklichkeit (der oben festgestellte „normative” Aspekt der Struktur). Es hat demnach den Anschein, als ob in der Tat Strukturen auch Rechtsstrukturen sind, und entsprechend „Vorgänge” Rechtsvorgänge45.
Diese Vermutung wird zur Gewißheit, wenn man die Existentialität und Relationalität des Rechts hinzunimmt. Recht ist dann die Rechtsdimension eben dieser Vorgänge, oder aber ihre „Bezugsverfassung”. Die Bezugsverfassung wiederum ist nichts anderes als das legitime
43) RdG 169, 177, 874; irreversibel: ZevKR 1956
33 f., MuS 98, 152, RdG 563, RGG V 824; Methode: oben 506 ff. Ein
Beitrag zu einem „strukturellen” ius divinum! (dazu oben
530 f.). Zugleich wahrt die Beachtung der personalen Struktur im
Recht auch die Humanität des Rechts, RdG 80.
44) ZevKR 1963/64 100 f.
45) Zum Rechtsvorgang z.B. MuS 74, RdG 178, 771, 820,
868. Das Recht gibt zugleich die Grenze des Vorgangs an, RdG 52.
— Vgl. unter diesem Aspekt die scheinbar stoische Formulierung:
„Die Weltordnung ist, bedeutet und garantiert das Recht” (s.o.
64419; MuS 138) — die Struktur ist das, was die Welt
zusammenhält. Recht als Vorgang gegen „strukturlose
Beliebigkeit”: OU 91, RdG 46; gegen den „idealistischen Begriff”:
RdG 169, 179, 190, 868 (deshalb gilt: „Rechtsbildung ist in
keiner Weise von dem Vorhandensein einer Rechtswissenschaft
abhängig”, RdG 212; das Recht kommt nicht erst durch die
Begriffsjurisprudenz zu sich selbst, oben 55516);
gegen den „metaphysischen” Rechtsbegriff: RdG 844; gegen
voluntaristische Setzung: RdG 892.
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Gefüge oder wieder die Struktur. Es steht also fest: Die Strukturen personalen Handelns sind zugleich Rechtsstrukturen46.
Das Denken in Strukturen eröffnet auch den Zugang zu einer der wichtigsten Fragen der Rechtstheologie, der Frage nämlich nach der Eigenständigkeit und dem Rechtscharakter des geistlichen Rechts. Wie verhalten sich das geistliche und das weltliche Gnadenrecht, auch geistlicher und weltlicher Anspruch, neutestamentliches Rechtsbild und weltliches Analogon47? Sie sind, um die Antwort vorwegzunehmen, verschieden in Subjekt, Gegenstand und Wirkung, „gleich” aber in Struktur und Vorgang — damit im Begriff des Rechts48!
Das entspricht nicht zufällig der Strukturgleichheit göttlicher und menschlicher Herrschaft. Hier wie dort ist die Art und Weise des Vorgangs „gleich”; Gott und Mensch verleihen Rechtsstatus, restituieren und instituieren; hier wie dort bedarf die Gabe der Annahme, folgt die Treue, droht Verwirkung; Gott und Mensch nehmen in Anspruch, heischen Anerkennung, es entsteht Recht, droht Sanktion - „bei rechtem Verstände” läuft der Vorgang beider Rechtsformen vor dem geistlichen und weltlichen Forum in der Tat parallel. Der rechtstheologische Grund dieser Strukturanalogie (und um eine Analogie handelt es sich, bei Licht betrachtet, und nicht um „Gleichheit”), der Grund also liegt in der
46) Arg. OU 91, RdG 771, 880, 977 (dort
vorausgesetzt); Kirchenrechtsstrukturen: OU 6 (2.), 91,
Berichtskizze 252; so schon Meth. 345 für die Struktur der
Theologie. — Auch hier gilt der noetische Aspekt der Struktur:
Die Grundrelationen sind zugleich Denkstrukturen des Rechts (arg.
MuS 142, RdG 80). Darum erlaubt das Denken in Rechtskategorien,
die Relation zu Gott und Mitmensch eindeutig(er) zu bestimmen,
und zwar nicht nur formal, sondern auch inhaltlich (RdG 894 mit
Zitat von J. Heckel aus dem Zusammenhang von Rechtfertigung und
Recht — wieder an die theologische Adresse).
47) Die Frage ist zu unterscheiden von der nach dem
Verhältnis von Restitution und Institution: sie beide kommen im
geistlichen wie im weltlichen Gnadenrecht vor.
48) Dazu und zum folgenden OU 51, RdG 50, 168, 196
(9.) f., 977; doch ist die Strukturanalogie nur die Leitlinie,
die die „pragmatische” Einzelforschung nicht erübrigt, sondern
verlangt!
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Glaubensanalogie, die „von oben” Strukturparallelen im menschlichen Handeln aufdeckt49.
Was ist, wenn sich die Strukturen von geistlichem und weltlichem Rechtshandeln nicht entsprechen? Sollte es zutreffen, daß der Strukturanalogie die Glaubensanalogie zugrunde liegt, dann kann die Antwort nur sein: die abweichende Struktur zeigt fehlende Legitimität dieses Handelns an50 — ein wichtiges heuristisches Prinzip!
Dennoch handelt es sich um „Grundverschiedenes”, getrennt (und verbunden!) wie Gott und Welt51. Hier handelt Gott bzw. Christus, dort der Mensch; die Gabe ist hier Christus (desgleichen der Inhalt des Anspruchs), dort aber sind es Menschenforderung und menschlicher Status. Hier lautet die Forderung, anzunehmen, was schon gegeben ist, Christus, und sich ihm wiederzugeben ohne jedes eigene Vermögen. Dort aber geht es um Treue gegen Menschen allein oder um Erfüllung einer Pflicht, die ganz in meiner Kraft steht52. Wird die Gabe verwirkt, so droht dort allenfalls der leibliche, hier aber der geistliche Tod; überflüssig zu wiederholen, daß wirklich das ganze „Verhältnis” „fundamental” anders ist. Hierin beruht aber zugleich die Eigenständigkeit des Kirchenrechts 53.
Strukturanalogie bei völliger Inhaltsverschiedenheit — das ist also die Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von „Gnade” und (weltlichem) „Recht” — womit zugleich geklärt wäre, daß auch die Gnade Rechtscharakter trägt. Strukturen sind Rechtsstrukturen, analoge Struktur bedeutet analoge Rechtsqualität54.
49) Hochland 1953/54 347, KuD 1957 71, RdG 197,
878; ferner MuR 104, 114, ESL 533 f. — Zur Analogie s.o.
51549, ferner RdG 197 (9.) „gleiche” und „analoge”
Struktur nebeneinander! — Zum Problem der Sanktion und dem davon
zu unterscheidenden des Zwanges im weltlichen und im
Kirchenrecht: RdG 881.
50) RdG 878, aber nur zum „Gesetz”.
51) Vgl. das hier unausgesprochene „Ungetrennt und
Unvermischt” des Chalcedonense mit dem zugehörigen Bild der
doppelpoligen Ellipse!
52) Ob es auch grundsätzlich nicht völlig erfüllbare
Pflichten menschlichen Rechtes gibt, steht nicht zur Frage (vgl.
dazu J. Pieper 112-127).
53) OU 51, RdG 169 f., 197, 877 u.ö.
54) S.o. 62410.
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Bezeichnend für die Weite des Blicks Dombois’ ist, daß er
die in der Romantik viel erörterte Frage nach dem
enzyklopädischen Ort der Jurisprudenz neu stellt — die Frage
also, die heute im evangelischen Kirchenrecht fast ausschließlich
unter dem methodischen Aspekt abgehandelt wird, wieviel „an”
Theologie oder Soziologie usf. der Kirchenrechtler ausüben dürfe,
die, wenn die Zeichen nicht trügen, auch auf den Kanonisten
zukommt.
Für Dombois ist das Recht eine der von ihm so genannten
„Humanwissenschaften”. Dazu zählen die Theologie, die
Jurisprudenz und die Soziologie, die Geschichtswissenschaft und
-philosophie55 (während die allgemeine Philosophie
nicht genannt wird). Dieses Gegenstück zu den Naturwissenschaften
(?) ist formal dadurch bestimmt, daß alle zugehörigen
Wissenschaftszweige die gleiche kategoriale
Grundstruktur56 haben (und damit auch die gleiche
Denkform); sie sind nämlich gleich in Gegenstand und
Problemstellung: Immer geht es um den Menschen. Verschieden sind
nur die Inhalte. Die „gleiche” Struktur ist theologisch
begründet. Das trinitarische Bekenntnis spricht die Existentiale
des Menschen aus57, nämlich seine Grundrelationen zu
Gott und Mitmensch.
Das hat weittragende Folgen. Zunächst steht damit fest, daß also
auch Theologie und Rechtswissenschaft kategorial „gleich”
struiert sind58. Zweitens ist die Rechtslehre nicht
autonom59; sie ist begründet auf der Theologie als der
Grundwissenschaft. Drittens sind als logische Folge der
Interdependenz der Humanwissenschaften deren Ergebnisse auch für
die Jurisprudenz in einem bisher nicht gekannten Maße
heranzuziehen: Sie erhellen und korrigieren
55) NRE 60, GRE 16. Diese Parallele zu den
humanities soll wohl das allzu idealistische Wort
„Geisteswissenschaft” vermeiden — wenn nicht einfach der
Gegensatz zwischen praktischer und theoretischer Wissenschaft
gemeint ist.
56) Meth. 345, NRE 5, GRE 17. Ferner RdG 925 ff.:
durchgängige Strukturen in Soziologie, Recht, Kirche. Zur
Analogiefrage wieder oben 51549.
57) NRE 59 f. Es gilt also der logische Primat der
Theologie, obwohl Do. die Bedeutung der Jurisprudenz mehr betont
als sonst irgendeiner. Vgl. NRE 43: „Die Theologie ist in
hervorragendem Maße Sozialwissenschaft!”
58) Gesperrt im Vorwort zu NRE 5. Ähnlich übrigens
Erik Wolf ThuR; auch P. Althaus vertritt die Analogie von
Theologie und Kirchenrecht, aber anders begründet (ThLZ
1965 137: beide sind gleich notwendig und gefährdet, als
geschichtlich-institutionelle Weiterbildungen ntl. Ansätze).
59) Mit Schärfe in NRE 5 u.ö.; in Hochland 1953/54 354
eingeschränkt in dem Sinn, daß die Rechtswissenschaft ihre
bisherigen Grenzen überschreiten muß, weil es nicht nur
normatives Recht gibt. Wissenssoziologisch folgt das Recht der
jeweiligen „Rechtfertigungsidee”, d.h. dem geglaubten
Grundverhältnis des Menschen zu Gott bzw. zur Geschichte, GRE 52
u.v.a.
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einander60. Schließlich, und damit hat Dombois am meisten Aufsehen erregt, erhält die Kirchenrechtslehre als das Zentrum der Rechtswissenschaft sogar eine Schlüsselstellung gegenüber der Theologie. Denn besagte Grundrelationen treten primär im Recht in Erscheinung! Die äußere Ursache dafür ist, daß zwar beide, Theologie und Rechtswissenschaft, dogmatisch, historisch und konkret vorgehen; aber letztere ist doch besonders konkret wegen ihrer Nähe zum concretissimum menschlicher Existenz, dem Wort- und Sakramentsgeschehen. Auch ist sie präziser in ihren Begriffen. Der innere Grund besteht darin, daß die Grundbezüge, von denen der Mensch real-ontologisch bestimmt ist, zugleich und vor allem Rechtsstrukturen sind61. Dadurch wird die Rechtstheologie instandgesetzt, die Theologie einer „Rückkontrolle” zu unterwerfen; sie ist der Theologie „Oberrechenkammer” und ihre „Pathologie” dazu62.
Die Geschichtlichkeit des Rechts besagt gemeinhin seine historische Relativität. Bei Dombois ist damit mehr und anderes gemeint. Die Geschichtlichkeit des Rechts ist die Rechtsdimension der Geschichtlichkeit des Menschen. Geschichte ist in ihren drei Formen Wesensmerkmal des Rechts: zuerst und vor allem als Vorgang (unten e 1), dann als Profangeschichte (die Wandelbarkeit des Rechts, e 2) und schließlich als Heilsgeschichte63 verbunden mit der Geschichtlichkeit des Kirchenrechts, unter dem Aspekt der Gegenwartsbedeutung des altkirchlichen Rechts (e 3).
60) Z.B. für das Verhältnis der Soziologie zur
Theologie RdG 913 f.; im Rechtsbereich NRE 43 ff., Hochland
1953/54 354, KuD 1957, MuS 97, RdG passim.
61) NRE 5, NR, KuD 1957, RdG 771; vgl. auch 894. Dazu
OU 96: Die Rechtsdimension ist der menschlichen Existenz
eingestiftet und (KuD 1957 73) ist selbst ein Existential des
Menschen; NR 202: die Strukturen von Recht und Offenbarung decken
sich.
62) OU 57, 96, Kathol. 285, 303, RdG 14, 541, 726, FS
Smend II 289. — Damit ist das Verhältnis Recht-Theologie nicht
erschöpfend beschrieben; vor allem ist Do. der Ansicht, daß die
Rechtslehre der Theologie vermöge ihrer spezifischen Erkenntnis-
und Begriffsmittel zu Ergebnissen verhelfen kann, die die
Theologie mit ihren Möglichkeiten nicht erreichen kann (aber das
hat mit der Struktur nichts zu tun).
63) GRE 106, Sache 242, RdG 96, 283, 317, 866-868, ZEE
1963 318 in Auseinandersetzung mit W. Dantine. — Zur
Geschichtlichkeit des Verhältnisses der beiden Rechtstypen s.o.
63542; auf die geschichtliche Entwicklung der
einzelnen Rechtsinstitute einzugehen, ist hier nicht der Ort. Zur
Heilsgeschichtlichkeit des Rechts s.u. 729 ff.
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Nicht nur im „Raum” zwischen Personen bewegt sich der Rechtsvorgang, wie zum personalen Recht geschildert wurde, sondern auch in der „Zeit” unumkehrbarer Gerichtetheit. Recht ist geschichtlich-verantwortliches Handeln, gerichtet von einer Person zur andern, diese begabend oder anfordernd, und wieder zurücklaufend in Annahme und Erfüllung des Anspruchs. Darum ist Recht als Dimension der Wirklichkeit immer zugleich Dimension personalen Geschehens, Dimension des menschlichen Handelns; darum ist Rechtshandeln, weil immer „Neues” hinzukommt, unwiderrufbar, das heißt, nur durch neues Rechtshandeln „nach vorn” überbietbar; darum auch sind die personalen Rechtsrollen unvertauschbar, weil sie sonst etwas anderes bedeuten würden.
Wie die Geschichte, so hat auch das geschichtliche Recht seine „drei Zeiten”; es ist „Prozeß”. Es „kommt her” aus der Vergangenheit, in Rechtsgabe und Anforderung; in Annahme, Anspruch und Richterspruch ist es gegenwärtiger schöpferischer Akt, der auf die Zukunft hin einen neuen Rechtsraum (Status) eröffnet. Das alles ist dann die wahre „Rechtsgestalt” weltlichen und geistlichen Handelns64.
Es ist offensichtlich, daß sich das Recht fortwährend gewandelt hat und weiter wandelt; dennoch bleibt es das Recht, ist mit sich selbst identisch. Wie kann man dieses Problem der historischen Relativität lösen?
Dombois gibt zwei Lösungen, die zunächst alternativ nebeneinander stehen, entsprechend seinem (im Umbruch befindlichen) Verständnis der Geschichtlichkeit der „Struktur”65. Die erste findet sich zur profanen Geschichte: Strukturen sind das bleibende Element in der
64) MuS 152, RdG 80, 216, 317, 383, 848, 868,
FS Smend II 301. (Auch die Verwirkung wirkt nicht „absolut”
zurück, so wenig wie etwa die Anfechtung ex tunc; man
kann nur durch neues Handeln die Folgen früherer Rechtshandlungen
„aufzuheben” versuchen.) — Die „drei Zeiten” sind bes. deutlich
sichtbar: im Kirchenrecht „proleptischer Eschatologie” (RdG 866
ff. und unten 733 f.) und an der Aufnahme der Rechtsentstehung in
den Rechtsbegriff. Als mehraktigen „Prozeß” faßt die
(theologische) Gnade auch auf J. Auer HthG I 559 f.
(Prädestination-Rechtfertigung-Heiligung-persönliches und letztes
Gericht).
65) Dazu oben 514 m. A. 46, 533.
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Geschichte; man erkennt sie durch Strukturvergleich der Phasen der Rechtsgeschichte (2 a, 2 b). Die zweite leitet über zur Rechtsgeschichte der Kirche (e 3): Die Gegenwartsbedeutung des altkirchlichen Rechts erfordert seine „existentiale Interpretation”. Damit soll die absolute Offenbarung mit der (Heils-)Geschichtlichkeit des Menschen zusammengebracht werden. Die Synthese lautet: Existentiale Interpretation durch Strukturübertragung in den neuen Lebens- und Verstehenshorizont der Gegenwart. Sie kündigt sich in den neuesten Veröffentlichungen Dombois’ an66.
Immer wieder hat Dombois versucht, durch Periodisierungen der Geschichte Aufschlüsse über den „Standort” bestimmter Ideologien, Systeme und Denkformen, vor allem aber historischer Ausprägungen des Rechts zu gewinnen. Anfänglich geht es um die Bewältigung des Problems getrenntes Europa — getrennte Kirchen, später nur noch um die ökumenische Frage und das Rechtsproblem67. Dabei gilt, was für die allgemeine und Rechtsgeschichte zutrifft, nur unter Vorbehalt für die Kirchenrechtsgeschichte68. Eine ziemliche Vielfalt von wechselnden Periodisierungen ist zu beobachten, denen dennoch eine gemeinsame Grundvorstellung zugrunde liegt.
Das zyklische Geschichtsbild traf nur auf die Antike zu. Für die Zeit des Christentums ist es überholt69. Hier dominiert bei Dombois zunächst das trinitarische Schema mit Anklängen an O. Spengler70, dann
66) ZEE 1963 319; vor allem ES und NRO. Wie
schon angedeutet, bedürfte es ergänzend einer
Geschichtstheologie, die auf der Basis der allgemeinen
Geschichtlichkeit dennoch die bleibenden Strukturen glaubhaft zu
machen vermag und auch nach der Geschichtlichkeit (i.S.v.
Veränderlichkeit, beschränkter Erkennbarkeit und
Unabgeschlossenheit) der Strukturen selbst zu fragen hätte.
67) Auch für Teilgebiete, wie z.B. Strafrecht (MuS
passim) und Elternrecht (EltR).
68) Wegen der Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit
der Kirchengeschichte (Kathol. 175 f.) als Ort weittragender
Entscheidungen (RdG 45), die denen der Profangeschichte oft
zeitlich vorausgehen („Präzession des Kirchenrechts”, KuD 1957
62, Kathol. 175, OU 57, 72 f., RGG V 822).
69) MuR 103, 105; RdG 210: der Zyklus ist aufgebrochen
durch das mit Christus eingebrochene Eschaton.
70) Oben 467 f.7. Es soll (in Verbindung
mit anderen Gliederungen, vgl. GRE 106 ff.) das „System der
Konfessionen”, ihre Einheit in der Unterschiedenheit und ihre
dialektische Zusammengehörigkeit sichtbar machen.
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die (adaptierte) Dreiphasentheorie A. Comtes71. Beide werden aber abgelöst durch die eigentliche (kirchen-)rechtsgeschichtliche Betrachtung.
In dieser unterscheidet Dombois unter dem Einfluß Sohms, M. Webers und E. Rosenstock-Huessys zwischen dem vorrationalen („magischen”, „charismatischen”, traditionalen, relationalen, vorwissenschaftlichen) Rechtsdenken einerseits und dem rationalen (spiritualen, konsensualen) Rechtsdenken andererseits, wobei der Einschnitt etwa im 12. Jahrhundert liegt72. Dem entsprechen die zwei bekannten Rechtstypen: das Recht als Gabe und das Recht als Norm, kirchenrechtlich das sakramentale „altkirchliche” Recht des ersten Jahrtausends und das „körperschaftliche” bis heute73.
So sehr es Dombois daran liegt, das vorrationale Recht zu betonen — birgt es doch im Keim die Rechtsstrukturen in ihrer Gesamtheit, umfaßt es doch auch das altkirchliche Recht —, so sehr hütet er sich, das rationale Rechtsdenken über einen Leisten zu schlagen74. Durch weitere Unterteilung werden diese zwei Hauptzeiten der Rechtsgeschichte weiter charakterisiert.
Vor allem wird die Sohmsche Zweiteilung mit Carl Schmitts „drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens” kombiniert. So ergibt sich „das (praenormative) charismatische, das normative und das (postnormative) dezisionistische Recht”75, wobei das charismatische Recht wohl76 dem vorrationalen Recht entspricht, während das normative und dezisionistische Recht das rationale (bzw. spiritual[istisch]e77 untergliedert.
71) Exkurs XVI 662 f.
72) Meth. 342, GRE 97, 159, ZevKR 1956 33, OU 47, 66,
74, 134, MuS 110, RdG 449 f., 562, 892 (3.). Entsprechend beim
Straf- (MuS 86 f.), Sachen- (Sache) und Eherecht (Ehe). Spiritual
= hier: außersakramental entstanden, RdG 562. Vgl. auch den
traditionalen urtümlichen und den finalen modernen Staatstypus,
MuR 117 ff.; ferner Richteramt 90.
73) GRE 159, CrE 54, RdG 180 f.; vgl. das Sohm-Referat
GRE 134 ff.; die Einheit von Gabe und Norm wird außerdem
sichtbar: sprachlich in der doppelten Wurzel von
ius-stitia, rechtshistorisch auch im charismatischen
Richter, RdG ebd.
74) NRE 14 ff. und die anschließenden Exkurse XVI,
XVII.
75) Grundmann ThLZ 1963 807; M. Bergman RDC 1967 55;
OU 47 (2.), RdG 876; C. Schmitt 1934. (Im übrigen erwähnt Do. C.
Schmitt nur mit dem wiederholt zustimmend zitierten Satz, daß
viele Begriffe der Staatslehre säkularisierte theologische
Begriffe seien, GRE 142, MuS 50, RGG V 823 u.ö.) — Daneben findet
sich die „konfessionelle” Dreiteilung in katholisches Naturrecht,
lutherische Ständelehre und reformierte Menschenrechte, NRE 14
ff.
76) RdG 886-891 geben hierzu keine genaue
Auskunft.
77) OU 74 (6.), RdG 892 (3.).
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Welche Bedeutung haben diese Typisierungen für die Rechtslehre? Sie sind erstens Denkstrukturen des einen Rechtsproblems in der Geschichte, insofern nur „verschiedene historische Aspekte der gleichen Größe”, wobei einmal dieses, einmal jenes Element hervortritt. Hier taucht also wieder das Verhältnis von (gleichbleibender) Struktur und Wandel in der Geschichte auf, das in der Existenz des Menschen begründet ist.
Zweitens enthält diese Typisierung eine entschiedene Wertung. Der charismatische Rechtstypus umfaßt zwar die Rechtsstrukturen unverkürzt, aber in vorwissenschaftlicher Form. Die anderen Rechtstypen sind nur Teilrealisationen und Vereinseitigungen des ersten Rechtstypus. Damit können sie nicht mehr als allein gültig angesehen werden, obwohl sie als geschichtliche Erscheinungen durchaus ihren legitimen Ort in der Vergangenheit hatten78.
Diese geschichtliche Dialektik — einerseits notwendige historische Form, andererseits zugleich Zerfallserscheinung — besteht in jeder geschichtlichen Phase. Auch das urkirchliche Recht ist davon nicht ausgenommen79. Die Phasen der Geschichte sind also ambivalent. Jeder Fortschritt wird mit einem Verlust erkauft80, jede Phase hat ihr „relativ besseres Recht”, insofern sie ihr berechtigtes Anliegen gegenüber der vorherigen verficht, diese aber zugleich durch ihren Sieg zerstört. Damit kann keine Phase verabsolutiert werden — auch deswegen, das darf nicht übersehen werden, weil jede ein historisch-zufälliges Moment enthält.
Natürlich ist das eine theologische Wertung. Die Geschichte bleibt „in ihrer ganzen Zweideutigkeit und Dialektik von Abfall und gnädiger Führung”. Keine Geschichtsphase ist ohne Sünde. Der Gang der
78) NRE 59 f., SS 19, ZevKR 1956 33, RdG 876,
886 ff., 891; Grundmann ebd. z.B. für den im übrigen abgelehnten
Dezisionismus RdG 890.
79) RdG 380, unten 667. Gegen Hegels Tendenz, eine
bestimmte Geschichtsphase zu verabsolutieren: RdG 893 f.
80) NRE 32: „Man könnte aus diesen historischen
Darlegungen zu dem skeptischen Urteil kommen, die Geschichte
bestehe nur darin, daß eine Periode fruchtbarer Täuschungen durch
eine solche zerstörender Wahrheiten abgelöst werde.” — Wichtig
ist auch der ständige und unaufhaltsame Erkenntnisverlust, der
mit der Gewinnung neuer Erkenntnisse einhergeht, RdG 698, 726,
730 A. 25.
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Geschichte enthüllt immer deutlicher den Abfall des Menschen — und seine Chance in Christus81.
Freilich kann es innerhalb dieser Dialektik aufwärts gehen; das scheint heute der Fall zu sein. Man muß die aktiven neuen Kräfte beurteilen, die sich an die Stelle der alten setzen; dann sieht man, daß die bisher geschilderten zwei bzw. drei Phasen zu Ende gehen. Dombois glaubt, daß in unseren Tagen durch Einsicht in die Strukturen des Menschen (namentlich aus dem Institutionengespräch) ein neues existentielles Rechtsdenken möglich wird, das die vergangenen Antithesen bewahrend aufhebt. Er ist also der Ansicht, daß damit eine neue Phase, die dritte große Phase des Rechts, angebrochen sei82.
Wie steht Dombois selbst zu seiner Geschichtsphilosophie des Rechts? Letztlich sei, was er darzulegen habe, nicht abhängig von der Annahme einer bestimmten Geschichtsinterpretation oder einer bestimmten Periodisierung der Kirchengeschichte83. Die Periodisierungen sind nur hypothetische Verstehensschemata.
Das besagt nicht mehr und nicht weniger als die grundsätzliche Trennbarkeit, ja Unabhängigkeit dieser Rechtsanthropologie (einschließlich der Geschichtlichkeit des Menschen) von der Geschichtsphilosophie Dombois’.
81) NRE 61, MuS 162 (7.), OU 129, RdG 380, 894;
das ist vielleicht — wenn dies überhaupt zu sagen möglich ist —
in nuce die Geschichtsauffassung Do.s. Exemplifiziert am
Recht: Das vorrationale Recht enthält alle Elemente, um die es
Do. geht — aber sozusagen als Konglomerat; das rationale Recht
trennt säuberlich — aber verliert zugleich ganze Dimensionen
(vgl. RdG 205 f.). Christus ist das treibende Ferment, der
Sauerteig in diesem Prozeß, von dem sich nicht sagen läßt, was er
in Zukunft bringen wird.
82) NRE 28 ff., GRE 139, Berichtskizze 251, RdG 378
und die Schlußbetrachtungen NRE 63, GRE 159, OU 135 f., RdG 1053;
das spiritualistische Kirchenrecht geht zu Ende, RdG 12.
83) RdG 471 A. 21 — auch hier wieder völlig
unhegelianisch. Vgl. die Ablehnung einer Hegelschen Synthese in
RdG 893 f., aber auch oben A. 79, 81 (positiver zu Hegel noch NRE
25). Do. will nur daran festhalten, daß es gibt „Umbruchzeiten,
in denen langvorbereitete Bildungen stürmisch in Erscheinung
treten und das frühere nun ausdrücklich ausschließen”.
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Die Dreiphasentheorie Auguste Comtes84 wird von
Dombois eine Zeitlang erwogen; nach anfänglicher kritischer
Bejahung wird sie stillschweigend abgelegt:
Der Versuch, das Naturrecht geistesgeschichtlich einzuordnen und
damit einen evangelischen Standpunkt zu gewinnen, nämlich
„Naturrecht und christliche Existenz” (1952), ist ganz auf einer
Dreiphasenlehre aufgebaut, die aber kritisch abgewandelt wird,
weil Comtes Fortschrittsoptimismus und ideologischer Hintergrund
nicht übernommen werden können85.
Auch J. Ellul und A. Nygren verwenden Comtes Gedanken; von beiden
unterscheidet sich Dombois darin, daß er — anders als Nygren —
das Nacheinander der Phasen als geschichtliche Entfaltungen der
zeitlosen Grundkategorien des Menschseins in ihrer gegenwärtigen
Bedeutsamkeit ansieht, und — anders als Ellul — nicht die zweite
(„metaphysische”) Phase mit dem Naturrecht identifiziert. Die
dritte positivistische Phase Comtes ist für Dombois nicht der zu
bejahende Abschluß der Entwicklung, sondern eine rationalistische
„Eschatologisierung” aus dem „Trieb zum Äußersten”: z.B. das
Recht des Marxismus86.
In dieser korrigierten Form gibt das Schema Elluls eine
„offensichtliche Wirklichkeit” wieder87. Aber es
reicht nicht aus, da auf die drei Phasen des
sakral-institutionellen, des scholastisch-lutherisch-reformierten
und des autonomen Rechtsdenkens (mit dem Abschluß des
marxistischen) nun eine neue Phase folgt88.
Ob damit wohl die Menschheitsentwicklung ein Ende gefunden hat?
Jedenfalls werden die drei Stadien nicht mehr erwähnt, als
Dombois eine zweite Einordnung des Naturrechtsproblems versucht,
und in „Mensch und Strafe” werden sie überboten von der
Heilsgeschichte89. Im „Recht der Gnade” schließlich
werden weder A. Comte noch Ellul noch Nygren überhaupt
mehr
84) Zu ihren geistesgeschichtlichen Vorgängern
vgl. L. Rosenmayr FS Messner 244-264.
85) NRE 16, 60.
86) NRE 8 f., 25, 27, 60 f., MuS 110. Das
nationalsozialistische Recht wird nicht erwähnt. — Der Vorwurf
Do.s, Ellul und Nygren übernähmen die Dreiphasentheorie
unkritisch, trifft nicht zu, vgl. A. Nygren ThLZ 1949 643 und J.
Ellul 1948 13.
87) NRE 10 = Nygren ebd.
88) NRE 25.
89) NR; MuS 110: „Diese drei Epochen oder
Rechtsformen, . . . sehr ähnlich der Dreistadienlehre Auguste
Comtes, würden uns ein lückenloses Bild des rechtsgeschichtlichen
Ablaufs geben, wenn nicht . . . dazwischenträte . . . der Prozeß
Gottes mit der Welt . . .”
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genannt. Inzwischen hat sich eine andere, von Dombois nicht so genannte Dreistadienlehre immer mehr in den Vordergrund geschoben: das altkirchliche sakramentale Recht, das „bürgerliche”, rationale und normative Recht bis zur Gegenwart90 und die nunmehr sich anbahnende Überwindung durch ein kommendes „nachbürgerliches”, relational-existentielles Recht91.
Das 12. Jahrhundert bildet den tiefsten Einschnitt der
Kirchen- und kirchlichen Rechtsgeschichte. Es ist zugleich die
Wende von der ersten zur zweiten Phase des Rechts. Diese
(zunächst unabhängig von Sohm gewonnene?) Grundüberzeugung wird
immer mehr im Anschluß an Sohm begründet und durch Gedanken M.
Webers vertieft. Hier liegt sogar der eigentliche Sündenfall der
Kirchen- und Kirchenrechtsgeschichte. Auch Luther hat nur die
Entwicklung seit dem 11./12. Jahrhundert kritisiert, nicht die
Zeit vorher92.
Dombois knüpft an das Schisma des 11. Jahrhunderts zwischen Ost-
und Westkirche an. Im 12. Jahrhundert „nahm der
spiritualistisch-rationale Neukatholizismus seinen
Ausgang”93. In dieser Zeit entsteht die Mehrzahl
der
90) Auch die Subsumierung des Positivismus
unter das rationale, normative Recht ist ein Unterschied zu
Comte.
91) S.o. 658 f.
92) CrE 67 f., RdG 889. — Im allgemeinen wird jeder
„Abfallmythos” mit K. Barth (OU 88, RdG 42) abgelehnt (RdG 86 A.
38 gegen E. Brunner, ähnlich aber auch E. Käsemann, RdG 152, 368,
380, 899, Kathol. 175, FS Smend II 304). Auch die Herausbildung
des „Frühkatholizismus” war kein Sündenfall der Kirche (RdG 95);
die „Spaltung des Kanons” wird abgelehnt (RdG 86 A. 38). Vgl. R.
Bultmann NT 447 ff. In einem gewissen Widerspruch zur
Ausgangsthese steht die Bewertung des Einschnitts des 12. Jh.,
insofern hier der Souveränitätsbegriff in die Kirche eindrang:
das „ist das peccatum originale der römischen Kirche”.
Das protestantische Kirchenrecht teilte nur die universale in die
partikulären Souveränitäten (der Landeskirchen) auf (OU 57,
ähnlich Kathol. 306, RdG 20 f.).
93) GRE 90 f., OU 135, RdG 449. — In diesem
Zusammenhang nimmt Do. auch gegen die entgegengesetzte Wertung F.
Heers (1949) Stellung, der das 11./12. Jh. als die eigentliche
Entstehungszeit Europas betrachtet: Heer sei der „Repräsentant”
einer „Antimachtbewegung” (GRE 91). — Do. versucht für diesen
geschichtlichen Vorgang Jahreszahlen anzugeben. Die
Zeitangaben variieren, GRE 159: 1050; OU 66:
1179. Die Vorentscheidung fiel nämlich „zwischen dem
orthodoxen Schisma und der Reformbewegung von Cluny auf der einen
und dem IV. Laterankonzil von 1215 auf der anderen Seite”, also
zwischen 1054 und 1215. „Rechtsgeschichtlich liegt der große
Umschwung kurz nach dem Decretum Gratiani in der zweiten Hälfte
des zwölften Jahrhunderts” (NRE 16). Ferner OU 62, Kathol. 165,
300: Das scholastische Kirchenrecht ist auf dem II.-IV.
Laterankonzil aufgeformt worden (1139, 1179, 1215).
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Mißbildungen, die die Reformation auslösen sollten. Auf eine (allzu) kurze Formel gebracht: „An der Kirchenspaltung hat Thomas so viel Anteil wie Luther.” Die Scholastik ist aber auch die Hauptschuldige: In der „Epoche von Thomas . . . würden auch recht eigentlich die Wurzeln der Glaubensspaltung aufzuweisen sein”94; das „rationale thomistische System” nämlich bringt den Umschlag vom Sakraments- zum körperschaftlichen Kirchenrecht, vom Alt- zum Neukatholizismus. Von da an entsteht Kirchenrecht nicht mehr aus der Liturgie, sondern kraft autonomer Rechtsetzung der sich nun körperschaftlich verstehenden Kirche95. Parallel dazu verstärkt sich der Einfluß des römischen Verkehrsrechtes96. Damit wird eine bis heute andauernde Rationalisierung (mit ihr beginnt die Ausnahmslosigkeit der Norm sich durchzusetzen) und Spiritualisierung eingeleitet97. Obwohl sie aus dem Kampf gegen die Verweltlichung der Kirche entsteht, wird sie gleichwohl negativ gewertet, weil die Loslösung des Rechts aus dem theologischen Vollzug und Zusammenhang erst recht die Verweltlichung förderte 98. Innerhalb des spiritualistischen
94) GRE 92, Kathol. 300, RdG 471 A. 21; ähnlich
F. Heiler VII, 184 f., aber auch K.D. Mouratides 1960 II 128.
95) NRE 16 f., SS 20, RdG 21, stets mit R. Sohm. Darin
ist auch die Sicherungstendenz der Kirche wirksam, die sich
selbst zum Staat machte (NRE 41). Also, um es zuzuspitzen: Nicht
das Papsttum trennt die Kirche, sondern seine
neuzeitlich-souverän-absolutistische Form (vgl. CrE 28, 53 u.ö.
und die Ausführungen Do.s zur Souveränität und Autonomie im
allgemeinen, zum Papat im besonderen). — Auf die umfangreiche
Kritik am neukatholischen Kirchenrecht einzugehen ist hier nicht
der gegebene Ort; nur soviel sei erwähnt: es teilt im
wesentlichen das Schicksal des Rechts überhaupt in der Neuzeit;
Kirche und Recht spalten sich (RdG 889, 892), das Recht wird
„Körperschaftsrecht” (RdG 21, 25, 928 u.a.), d.h. einseitig
normativistisch, „dezisionistisch” (RdG 888), spiritualistisch
(OU 74 [6.], was besagt, daß es nicht mehr aus gottesdienstlichen
Vorgängen entsteht).
96) FS Smend II 300. Ebenso auch K. Mörsdorf LThK VI
249, der dem aber eine größere ideengeschichtliche Bedeutung
abspricht.
97) MuS 90, OU 110, Berichtskizze 251, RdG 12, ZevKR
1966/67 348. Die Wurzeln der Spiritualisierung liegen aber schon
im Danaergeschenk des Augustinismus (OU 66). Auch durch diese
Vorverlegung des Spiritualisierungsprozesses unterscheidet sich
Do. von der Stutzschen Schule, die sie erst mit dem 19. Jh.
ansetzt und darunter zunächst den Verlust bzw. die Aufgabe der
Temporalien versteht (vgl. H.E. Feine I 4 f., 458 ff.), während
Do. die Trennung von Innen und Außen, Person und Sache meint
(Kathol. 300, OU 74 [6.], RdG 848) und allgemein die Entfernung
vom Existentiellen (MuS 100 f.) und Sakramentalen (RdG 562).
Wieder anders setzt N. Lämmle (130 f.) die endgültige
Spiritualisierung, aber als positiv zu wertende Vergeistlichung
verstanden, mit dem Tridentinum an; Heckel dagegen ab Luther,
oben 234 ff. — ein vollendeter Begriffswirrwarr.
98) OU 62 f., Kathol. 165 f., 304; OU 74 (6.): So gibt
es „zwei Hauptepochen und -formen (des Rechts): pneumatisches und
spiritualistisches Recht — alte Kirche und bischöfliche Kirchen
auf der einen, römische Kirche und Protestantismus auf der
anderen Seite” — und so bis heute.
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Rechts gibt es eine positive und eine negative (also eine
das Recht bejahende bzw. verneinende) Phase — erstere des
römischen, letztere des reformatorischen Kirchenrechtes —, wie
die Reformation überhaupt „weit eher als ein Neuansatz eine
dialektische Gegenbildung innerhalb der seit dem 12./13.
Jahrhundert einsetzenden Entwicklung der abendländischen Kirche”
ist99.
Wie kam es dazu? In den Laterankonzilien war nach über hundert
Jahren Kampf die Änderung der Papstwahl durchgesetzt worden.
Durch Beseitigung der Papstwahl durch die Gemeinde und
Übertragung auf das Kardinalskollegium, zugleich mit der
Entmachtung des Bischofskollegiums, trat ein Bruch mit der alten
Tradition ein100. Etwa gleichzeitig verfiel der
Gemeinschaftscharakter des Gottesdienstes; das Individuum tritt
in den Vordergrund, ein neues Subjekt Verständnis bildet sich
heraus, das durch Streben nach „Autonomie” bzw. Ablösung von den
Bezügen gekennzeichnet ist101. Das hat zur Folge, daß
Zusammengehöriges isoliert gesehen wird: Die relative wird so zur
absoluten Ordination, die sakramentale Handlung durch die Lehre
vom opus operatum und der Priester durch seinen
character indelebilis von der Gemeinde
gelöst102. Das rationale Denken führt zur Spaltung der
Kirchengewalt und tiefgreifenden Umgestaltung der
Sakramentenlehre. Das Geschichtsverständnis wandelt
sich103.
Von größter Bedeutung sind schließlich die Trennung der
Kanonistik von der Theologie und — auch für die reformatorische
Amtslehre — das Entstehen der Bettelorden mit ihrer funktionalen
Ämterstruktur104.
Hinter dieser Periodisierung und Wertung der kirchlichen
Rechtsgeschichte105 steht bis in den Sprachgebrauch
der Einfluß R. Sohms. Dombois sagt hierzu, daß der Nachweis des
Umbruchs im 12. Jahrhundert die bedeutendste, aber am wenigsten
beachtete Leistung Sohms sei. Im „Recht der
99) Kathol. 163 f., RdG 81, 433, 456; näheres
zu dieser Dialektik RdG 930.
100) OU 33, 62, Kathol. 165, 300. — Aus der
umfangreichen Literatur zum Papstwahldekret vgl. A. Hauck III 683
f. A. 4, H.-G. Krause.
101) OU 33, 60 f., RdG 376 f., 442 f. (mit J.A.
Jungmann), 449, 454.
102) OU 67, RdG 448 f., 584, Marburg 65 f.
103) RdG 440, 449. Daß im Papstwahldekret sich das
rationale Denken ankündigte (H. Jakobs HJ 1964 359), dürfte
ebensowenig zu bestreiten sein wie der allgemeine Durchbruch
einer rationalen Geisteshaltung in der Hochscholastik. Freilich
handelt es sich um allmähliche Übergänge.
104) OU 62, 96, Kathol. 170 f., 300, KuD 1957 63 f.,
RdG 450; d.h. die leichtere Ablösbarkeit des Amtes von der
Person. — Auf den Zusammenhang mit dem heutigen kanonistischen
Amtsbegriff (zu diesem vgl. R.A. Strigl 75-78) darf hingewiesen
werden.
105) Dazu vgl. einerseits H.E. Feine ZRG 1950 1-14,
andererseits G. le Bras 1952 487-513.
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Gnade” findet er sie auch durch die sozialgeschichtliche Forschung bestätigt106. Der Unterschied zu Sohms Geschichtsbetrachtung besteht neben der fehlenden Abwertung des „Frühkatholizismus” in den weitergehenden geistes- und kirchengeschichtlichen Konsequenzen, die Dombois zieht, und darin, daß er es ablehnt, die Entwicklung des 12. Jahrhunderts als zwangsläufig anzusehen107.
Das Geschichtsverständnis gibt weiter Auskunft darüber, ob und inwiefern das altkirchliche Recht uns heute etwas zu sagen hat. Das altkirchliche Recht ist, darin liegt eine wichtige Vorentscheidung, nicht nur das Recht der Urgemeinden, obwohl darauf die Betonung liegt, sondern allgemein das „pneumatische Recht” bis etwa zum 12. Jahrhundert. Bis dahin nämlich ging die Entwicklung im wesentlichen ohne (= strukturellen) Bruch108. Zwar verschwand die paulinische Missionsverfassung bis auf geringe Reste. Aber die soziologische Betrachtung legt die Annahme nahe, daß diese Glaubensentscheidung der Urkirche (die einen ganzen Verfassungstypus zum Verschwinden gebracht hat!) aufs Ganze gesehen notwendig und (geschichtlich, nicht absolut) richtig war109. Die strukturelle Sicht erweist die Richtigkeit dieser soziologischen
106) Meth. 342, SS 20, GRE 91 f., 134 f., OU
7-9, RdG 439, 453. Das ist der Sohm des „Decretum Gratiani”. Ob
Sohm — auch in diesem Punkt — wirklich so wenig Beachtung fand?
Vgl. H.E. Feine I 3 f. — Auch andere Forscher vertreten die
Ansicht, daß das 11./12. Jh. und nicht etwa die Reformation
(u.a.) den entscheidenden Wandel zur Neuzeit gebracht habe; so z.
B.A. Brackmann HZ 1934 229-239, — übrigens unabhängig von Sohm;
Brackmann sieht die Ursache des Umbruchs in der Überspitzung des
Herrschaftsanspruchs der Kirche durch Gregor VII. Wie Do. (und
mit Berufung auf ihn) M. Bergman RDC 1967 53 m. A. 88 (mit
Hinweisen auf Troeltsch, le Bras, Mitteis, Rosenstock-Huessy) und
K.D. Mouratides (1960 I 6 A. 5, 14 f.; II 9, 68 f., 76, 128)
sowie die vorherrschende ostkirchliche Ansicht; aber auch G. le
Bras, vgl. ZRG 1956 399 ff., Y. Congar HthG II 12.
107) NRE 16, GRE 137, 140, OU 7 f., 134 (gegen Sohms
Geschichtskonstruktionen!). Außerdem der fundamentale Unterschied
— jetzt abgesehen von der Geschichtsauffassung — im
Rechtsbegriff!
108) Es gibt also keinen von Sohm behaupteten
Sündenfall der Urkirche im 1. Clemensbrief, GRE 153 f. Dann gibt
es auch keinen „Frühkatholizismus” gleich welchen Erfinders, oder
besser er bestand „strukturell” von Anfang an bis zum 12.
Jahrhundert (so RdG 153, 161 A. 55 mit Hinweis auf E. Käsemann,
H. v. Campenhausen und E. Fuchs, jedoch ohne deren theologische
Prämissen). Übrigens wird, abgesehen von einzelnen
Konzilsentscheidungen und der Erörterung der lutherischen
Agenden, vom Recht späterer Jahrhunderte bis heute im ganzen Werk
Do.s nur wenig erwähnt.
109) Kathol. 174, RdG 95 f., 776-778 „die dogmatische
Lehre hat . . . in der Sache recht gehabt, wenn sie nicht . . .
(ungeschichtlich und) abstrakt zwei Typen gegeneinander gestellt
hat”.
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Auffassung, jedoch nur, wenn die gottesdienstlichen Vorgänge und nicht bloß die lückenhaft tradierten Verfassungsgestalten betrachtet werden110. Darum kann man hinter die Grundentscheidungen der Apostelzeit nicht zurück111. Von dieser Überzeugung geht Dombois aus.
Das urkirchliche Recht stammt aus einem neuen geschichtlichen Ansatz. Das hat zur Folge, daß trotz der rechtssoziologischen Spätformen der jüdischen Umgebung das frühkirchliche Recht im Neuen Testament morphologisch den Rechtsformen junger Gemeinschaften entspricht. Es ist ein pneumatisch-realistisches Recht, gehört also dem charismatischen Rechtstypus an. Deshalb können Rechtsinstitute des Spätjudentums nur bedingt zur Erklärung des Neuen Testaments herangezogen werden112.
Aber dieser Rechtstypus einer jungen Gemeinschaft ist — als soziologische Frühform — unwiederbringlich vergangen. Jede romantische Verklärung der Frühgemeinden muß unterbleiben. Der Rückgriff auf ihre Rechtsgestaltungen ist uns versagt. Auch sie waren historisch bedingt, kein ideales Urbild; sie unterlagen selbst der Geschichtlichkeit. Selbst in den ersten Gemeinden implizierte das geschichtliche Wagnis des Glaubens die Verfehlbarkeit der pneumatischen Wirklichkeit, so daß weder Idealisierung noch Ablehnung dieses Rechts der Sache gemäß ist. Es gibt immer nur wandelbare Teillösungen im Fleisch des Geschichtlichen für den unveränderlichen Grundbestand der dem Menschen aufgetragenen Ordnungsprobleme113.
110) KuD 1957 61 (ebenso K. Rahner FS Wolf 79)
z.B. die Ausbildung des Bischofsamtes (z.B. OU 74)!, wie wieder
K. Rahner Qd 10 65 (RdG 780), und allgemein die unterschiedlichen
Verfassungen der Urgemeinden (RdG 776 ff.). Damit ist das Problem
des ius divinum in voller Schärfe gestellt.
111) RdG 396, auch 928 f. Do. hält die Strukturen des
ntl. Rechtes trotz der bisherigen exegetischen Diskussion für
erkennbar, wenn man nicht von der Verfassung, sondern vom realen
Handeln, vom Gottesdienst ausgeht (RdG 396). Dann zeigt sich
trotz der „Offenheit und Unabgeschlossenheit der Lage der
Urkirche” doch die „spezifische Verbindung von Autorität und
Gemeinschaft” als „deutlich vorgezeichnet” (RdG 776-778).
112) OU 74, Berichtskizze 251, RdG 892 f. (unter
Berufung auf O. Lintons Forschungen zur soziologischen Situation
der Urkirche), 977. Do. denkt dabei an das
schaliach-Institut (s.u. zur Repräsentation) und das
jüdische Vereinsrecht (Amt!).
113) KuD 1957 61, OU 41, 74, MuS 87, 157, Kathol. 307,
Berichtskizze 252, Strafe 168, RdG 42, 95 f., 182, 394, 730 A.
25, 892 f., 985, 999 f., 1025. Do. sagt freilich nicht, daß und
worin sich eine solche Verfehlung ereignet habe!, im Gegenteil,
➝
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Freilich ist das altkirchliche Recht insofern immer noch „gültig” (und insofern „verbindlich”), als es beispielhaft zeigt, wie der Mensch auf den ihm unverfügbaren Anspruch des Pneuma rechtlich reagierte. Doch es gehört zu den „eigentümlichen Beschwernissen dieser (Kirchenrechts-) Geschichte”, daß das Neue Testament „einer uns nicht einfach selbstverständlich präsenten und zugänglichen geistigen und sozialen Welt” angehört. So entsteht das Problem der „existentialen Interpretation” im Bereich des Kirchenrechts, das noch kaum erkannt, geschweige denn gelöst ist: Wie können die neutestamentlichen Rechtsstrukturen ohne Substanzverlust in heutige Rechts- und Denkformen umgesetzt werden114?
Hier glaubt Dombois, daß durch die uns heute geschenkten Möglichkeiten, namentlich durch die Institutions- und Strukturbetrachtung, eine neue Situation eingetreten ist. Sie besteht in der Erkenntnis, daß die seit dem altkirchlichen Recht eingetretene Rechtsentwicklung die dialektische Entfaltung der Struktur des Rechtsbegriffes ist. Es ist also heute die Aufgabe gestellt, nicht mehr nur Teilstrukturen zu verwirklichen, wie es im Neukatholizismus und in der Reformation und im Gefolge beider geschehen ist, sondern in „existentialer Interpretation des Rechts” die Totalität des Rechtsbegriffs zu realisieren, und zwar mit den „in unserer heutigen . . . Situation angemessenen Begriffsmitteln”. Dabei ist durchaus mit der Möglichkeit zu rechnen, daß auch die neugewonnenen Einsichten nicht ausreichen, die altkirchlichen Rechtsstrukturen adäquat nachzuvollziehen115. Immerhin „sind wir der älteren Vorstellungsweise, so unvollziehbar sie inhaltlich ist, in der Denkstruktur sehr nahe gerückt”. Altkirchliche und gegenwärtige Denkstrukturen sind nahe verwandt. Damit sind wir, „wie Toynbee und Spengler gesagt haben, unseren Großvätern näher als unseren Vätern”; „jahrhundertelang verschüttete Erkenntnisse (werden) heute wieder möglich”116.
➝ RdG 777. — Übrigens wird das bleibend-gültige
Moment der ntl. Rechtsformen leicht überschätzt, RGG V 824. Aber
tradierbar sind nicht die Probleme, sondern nur ihre variablen
institutionellen Lösungen, RdG 909 ff., 912: „forms are the
food of faith”.
114) GRE 141 f., RdG 87 A. 38, 892,1012.
115) NRE; RdG 460, 892 f. mit der methodischen
Folgerung, sich abschließender Definitionen zu enthalten.
116) MuS 87, 142, OU 41, Berichtskizze 252, RdG 892,
will sagen: was dort implizit-irrational ist, wird heute
explizit-rational, während die „Struktur” „gleich”
bleibt.
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Die von Dombois erhobene Forderung nach einer
„existentialen Interpretation des Kirchenrechts”117
ist erstens ein Beitrag zur existentialen Interpretation des
Neuen Testamentes allgemein, zweitens und im besonderen die Frage
nach der Verbindlichkeit der neutestamentlichen Rechtsaussagen
für die Gegenwart, drittens zeigt sie die
(Heils-)Geschichtlichkeit des (Kirchen-)Rechts, und darin die
letzte Entwicklung des Geschichtsverständnisses von H.
Dombois.
1. Existentiale Interpretation: Dombois setzt
die Kenntnis der Entmythologisierungsdebatte
voraus118. Doch ist die existentiale Interpretation R.
Bultmanns auf dem falschen Weg. Ihr Existenzverständnis ist zu
eng. Wer das Evangelium in heute gültigen Kategorien aussagen
will, ist nicht gezwungen, das neutestamentliche Kerygma auf
einen bloßen Entscheidungsdualismus zu verkürzen119.
Das „mythische” Denken kann in einem gewissen Sinn nicht
verlassen werden, weil der Mythos auch heute noch anthropologisch
bedeutsam ist, indem er existentiell Zusammengehöriges bewahrt.
Freilich kann er das faktisch Bewahrte nicht adäquat in Begriffe
fassen120. Hier setzt die „existentiale
Rechtsinterpretation” ein: Die vermißten begrifflichen Mittel
bietet das Recht, aber nur ein i.S. Dombois’ geläutertes
Existenz-Recht, also das Gnadenrecht. Rechtsinterpretation
ist also die wahre existentielle Interpretation! Nur
(Gnaden-)Rechtsbegriffe erlauben genaue Aussagen über das rechte
Verhältnis Gottes zum Menschen, und das biblische Kerygma bedient
sich durchgängig der gnadenrechtlichen
Interpretationsformen121. Zwar handelt es sich immer
noch um Bildaussagen!, aber kein Bild hat die gleiche
Genauigkeit, damit Verbindlichkeit und Lebensnähe, wie das
Rechtsbild. (Freilich reicht das bürgerliche Rechtsdenken mit
seinen normativen Rechtskategorien dazu nicht aus.) Die Theologie
kann dann ihre existentiale Interpretation am präzisen Rechtsbild
überprüfen122. Es geht also nicht um
Entmythologisierung, sondern um „existentiale Interpretation des
Mythos” (bzw. des archaisch-personalen oder — umfassender — des
charismatischen bzw. vorwissenschaftlichen
Rechtsdenkens)123 durch das Gnadenrecht.
117) RdG 75, 892; in Sache 256 „existentielle”
Interpretation.
118) Vgl. statt sonstigem die Bände „Kerygma und
Mythos” hg. H.W. Bartsch.
119) RdG 152, 185, 368, FS Smend II 298 f.
120) Sache 256, OU 57, RdG 906, Hochland 1963/64 228;
ZevKR 1956 33 „unbewußt, aber unverkürzt”. Do. verkennt nur
scheinbar, daß auch das mythische Denken „gefallen” ist, denn was
er will, ist eine interpretatio christiana des Mythos
aus der Hellsichtigkeit des Glaubens.
121) RdG 839, 894, FS Smend II 299, 303, church
120.
122) RdG 154, 159, FS Smend II 303, ZEE 1963 319.
123) Sache 256, ZevKR 1956 33, RdG 891, FS Smend II
294.
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2. Existentiale Interpretation
des Kirchenrechts: „Existentiale Interpretation
des Kirchenrechts” bezeichnet verkürzt das analoge
Problem124 der geschichtlichen Verbindlichkeit
neutestamentlicher Rechtsaussagen für das Kirchenrecht der
Gegenwart. Die heute wieder erkennbaren Rechtsaussagen der
neutestamentlichen Botschaft gehören einer mythischen, besser
charismatischen Rechtsstruktur an. Damit entsteht der scheinbare
Widerspruch, daß sie einerseits „verbindlich” sind, weil sie vom
Evangelium nicht getrennt werden können, andererseits aber als
zeitgebundene Formen nicht einfach wieder-holt werden können. Sie
bedürfen also der „Übersetzung”, der „existentialen
Interpretation”.
Dombois glaubt, daß der „Rechtsgehalt” des Alten und Neuen
Testaments nicht entmythologisiert werden kann125.
Sieht man genauer zu, so übersetzt er gleichwohl die
„charismatischen” Rechtsaussagen in die strukturgleichen, aber
inhaltsverschiedenen Rechtsformen des Gnadenrechts. Als Ausdruck
personal-relationalen, geschichtlichen Rechtsdenkens ist das
Gnadenrecht gegenwärtig allein geeignet, den unserer Zeit
erkennbaren Rechtsgehalt des Neuen Testamentes in verbindlicher
Gestalt auszuformen: nur die Struktur der Gabe (Rechtsäquivalent
der „Gnade”), nicht die der Forderung (Rechtsäquivalent des
„Gesetzes”), vermag das proprium der Schrift
auszusagen126.
Das hier angeschnittene Problem ist von schlechthin grundlegender
Bedeutung127. Dombois sieht hier eine Hauptaufgabe
seiner weiteren Forschungen128.
124) Berichtskizze 252, RdG 75.
125) RdG 12, 894.
126) MuS 142, RdG 892, ZEE 1963 319. Um
Mißverständnissen vorzubeugen: Do. will keine absolut gültige
Rechtsinterpretation — sie wäre theologisch und philosophisch
gleich unmöglich —, sondern die „Übersetzung in unsere
Lebensformen”, RdG 1012.
127) Vgl. Do. selbst Berichtskizze 251 f.
128) Es ist Gemeingut der evangelischen und
katholischen Exegese, daß das ntl. Kerygma der Interpretation
bedarf. Differenzen bestehen nur über das Wie und Wieviel. Die
Bultmann-Schule hat auf die rechtlichen Bestandteile des Kerygma
hingewiesen. Aber auch sie bedürfen der Interpretation in
gleicher Weise. Darauf hat Do. zu Recht und als erster aufmerksam
gemacht. Doch wie verhalten sich Rechtsbild und mythologische
Rede (nicht Mythos!) zueinander? Welches sind die Kriterien der
Interpretation? Die „existentiale Rechtsinterpretation” Do.s ist
bisher nicht genügend methodisch und exegetisch gesichert: Sind
Rechtsstrukturen überzeitlich oder geschichtlich? Wenn letzteres,
was ist das Kriterium ihrer Übertragung? Sind sie überhaupt
restlos übertragbar? Oder umgekehrt (mit M. Bergman RDC 1967 64):
Kann das Evangelium auch in nicht-charismatischen
Rechtsstrukturen ausgedrückt werden? — Einen Hinweis gibt aber
die bisherige allgemeine Diskussion: Das ntl. Kerygma zeigt —
nach der Auffassung der „existentialen” Interpreten — selbst die
Kriterien an, nach denen die Interpretation vorgenommen werden
soll. Entsprechendes müßte für das „Rechtskerygma” gelten. Wie
also will das ntl. Rechtskerygma selbst interpretiert ➝
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Der Rechtsbegriff der Struktur gibt schließlich den Schlüssel zum Verständnis der Verbindung von Recht und Institution. Er liegt zunächst im Gnadenrecht. Was es hier mit dem Gerechtigkeitsrecht für eine Bewandtnis hat, ist unten (f 8) darzulegen.
„Die (Rechts-)Struktur der Gnade ist identisch mit der Struktur institutioneller Vorgänge.” Oder anders: Gnadenrecht und Institution sind strukturgleich129.
➝ werden? Selbstverständlich kann das Kerygma nicht von
seiner Rechtsdimension getrennt werden. Auch kann das zu enge
Geschichtsverständnis der Bultmann-Schule nicht unkritisch
übernommen werden. Wesentliche Hinweise könnten sich finden im
ntl. Verständnis (bzw. den Verständnissen) von Geschichte und
Eschatologie. — Neuestens gibt ES eine vorläufige Antwort: Die
Rechtsstruktur ist das, was geschichtlich „durchhält” — nicht als
Faktum, sondern als Aufgabe. Es ist also den Christen aufgegeben,
das, was an Rechtsstrukturen als (wenn auch unentfalteter) Inhalt
des ntl. Kerygma erkannt werden kann, auch in ihrer jeweiligen
geschichtlichen und sozialen Situation angemessen zu realisieren,
und zwar in einem methodischen Dreischritt (ES 13-33, 74 ff.):
Zuerst sind die Sozialstrukturen der Gegenwart als gegeben
anzunehmen („Rezeption”), sodann zu „bekehren” — also nicht nur
„Umkehr(ung)” des einzelnen, sondern auch der Sozialstrukturen
(„Konversion”): nämlich der „Mündigkeit”, der Ehe, der
politischen Macht und des Eigentums —, schließlich auf die
Zukünftigkeit des Heils hin auszulegen („eschatologische
Interpretation”).
129) RdG 195 (7.), 893, 924. Vgl. z.B. die Struktur
der Ehe mit der der Gnade (FamR 132 f., RdG 902; RdG 199)! Es
wäre also ein Mißverständnis, wenn die Institution mit dem
Anspruchsrecht in Verbindung gebracht würde (so aber anscheinend
Ernst Wolf ZevKR 1963/64 77 wohl wegen der unwillkürlichen
Gleichsetzung von Institution und „Gesetz” (= Anspruch). Nahe
liegt es, die in MuS 151 gegebene Schulddefinition für das Recht
umzukehren: Recht ist die „notwendig institutionell verfaßte
Wirklichkeit, in welcher die Verpflichtung gegenüber dem Nächsten
konkret gestaltet ist”. — Daraus folgt: 1. Institution und
Gnadenrecht sind zu unterscheiden (trotz der vielen Aussagen, die
ihre Gleichsetzung nahelegen: „Gnade ist Institution”, RdG 222;
179, 908: das institutionelle Recht ist eine der beiden
Rechtsformen; FamR 135, RuI 57, 62, MuS 150, RGG II 330, ÖR 1958
16, RdG 905 ff., 916: Institutionen sind der rechtliche Ausdruck,
die Rechtsgestalt der Grundbezüge; RdG 195 [7.], 199: die Gnade
im strengsten Verstände ist ein institutioneller Rechtsakt,
usf.). 2. Vielmehr ist die Rechtsdimension der Institution gleich
dem Gnadenrecht, oben 574 f. (daneben gibt es noch die
theologische, soziologische usw. Dimension der Institution). —
Wenn also gesagt wird: Der Gnadenvorgang „begründet” material den
Institutionsvorgang (RdG 771), so ist damit nur scheinbar ein
Strukturunterschied behauptet. Nach Sinnzusammenhang ist die
Stelle so zu verstehen, daß die göttliche Gnade die innere
Voraussetzung dafür ist, daß es (geistliches und weltliches)
Gnadenrecht gibt (also sola gratia für das Gnadenrecht).
3. Gnade und Institution treten strukturell nur auseinander, wenn
Institution die vorgegebene oder die fertige Institution meint
(also wo sie im herkömmlichen Sinn gebraucht wird), also anders
als bei Do.
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Die Struktur der Gnade war: ein Rechts Vorgang zwischen Personen, in dem ein überlegener Geber etwas gibt, das der Annahme bedarf und in einen Rechtsstatus führt, der personale Pflichten zur Folge hat — kurz: die Struktur eines relationalen, existentiellen und geschichtlichen Rechtsbegriffs der Gnade. Die gleiche Struktur tritt bei der Institution auf; auch sie ist, wie oben ausgeführt wurde, relational, personal, existentiell und geschichtlich. Auch dort handelt es sich um einen Vorgang, bestehend aus Gabe und Annahme, in einen Status, mit Folgepflichten130.
Der Vergleich sei zur Begründung noch etwas näher ausgezogen:
Die Institution ist ein mehraktiger Vorgang, der vom Akt zum Status verläuft. Ebenso verhält es sich mit dem Gnadenrecht. Es umfaßt ausschließlich mehraktige Vorgänge, die von einem Akt (etwa: Verleihung eines Amtes) in einen Status münden (das Amt selbst). Der institutionelle Vorgang ist Rechtsvorgang, er ist „gestreckter Rechtsakt”131.
Der „erste Akt” ist bei Recht und Institution die Gabe, die Verleihung. Die Gabe ist zugleich instituierender wie rechtsbegründender Natur. Die Institution ist Gabe, weil sie vor-gegeben, letzten Endes, weil sie gestiftet ist, wobei die Stiftung selbst den Charakter der Gabe hat und rechtlich als letztwillige Verfügung näher umschrieben werden konnte; die Gabe des Gnadenrechtes ist die freie und ungeschuldete personale Zuwendung Gottes bzw. des weltlichen Machtüberlegenen, genauer: personale und sachliche Zuwendung in einem.
130) Noch deutlicher wird die Strukturidentität
bei Betonung der Zweiaktigkeit von Gnade (Gabe/Annahme — Status)
und Institution (institutio - status), s.o.
6238.
131) Im Vollzug ereignet sich Recht, RdG 868 — bzw.
Institution, 928. — Der gestreckte Rechtsakt, z.B. RdG 283, 355
A. 11 mit Hinweis auf P. Koschaker 752, ist die typische Struktur
des institutionellen Rechtsvorgangs; z.B. im Kirchenrecht: Taufe
RdG 308; Schlüsselgewalt 752; Ordination 847; Eheschließung 449
d, 657 — je mit einem aussondernden und einem zuordnenden Akt.
Diese Doppelstruktur hat auch eine religionsphänomenologische
Seite. Es ist die Urkategorie der Macht, des Heiligen, des
tremendum und fascinosum zugleich, vgl. MuR 100
f., 114, MuS 34, OU 49 (6.), Strafe 167.
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Der Inhalt der Gabe ist verschieden. Bei der Institution ist es der jeweilige Status, der Freiheitsraum aus Ehe, Staatsbürgerschaft; bei dem göttlichen Gnadenrecht ist es die Gottesgemeinschaft, bei der weltlichen Gnade „Restitution” bzw. „Institution”, bei den gnadenähnlichen Verhältnissen ist es wie bei der Institution.
Die Institution, so wurde ausgeführt, bedarf der Annahme, um als Gabe ihre konkrete Wirksamkeit zu erlangen; die Annahme selbst wurde als intentionaler Integrationsakt beschrieben, der bei der geistlichen Institution zum Glauben wird. Auch die Gnade in ihren verschiedenen Formen bedarf der Annahme. Diese ist institutioneller Rechtsakt und frei. Ihre Intentionalität liegt bei der göttlichen Gnade in der Glaubenshaltung. Gnade und Institution sind annahmebedürftig.
Durch Gabe und Annahme der Institution vollzieht sich ihre Integration zum Status, sei es Ehe, Staat oder Kirche; durch Gabe und Annahme der Gnade und der gnadenähnlichen Verleihungen entsteht ebenfalls ein Status, nämlich der des Gnadenrechts; man muß sogar genauer sagen, daß beide Status, der institutionelle und der gnadenrechtliche, sachlich das gleiche sind132. Darum eröffnen „beide” Status eine Fülle neuer rechtlicher Befugnisse, weil neuer Bezüge und Rollen, einen rechtlich begründeten und begrenzten Freiheitsraum zu eigenem Handeln, wenn auch „von fremden Gnaden”. Rechtsstatus und institutioneller Status fallen zusammen.
Die Institutionsübernahme hatte Lastenübernahme zur Folge, brachte Verpflichtungen mit sich, die freilich nicht das Wesen der Institution ausmachten — die Ehe ist mehr als die Summe aller daraus erfließenden Pflichten; primär ist der Freiheitsraum. Die Pflichten ermöglichen nur die Aufrechterhaltung der institutionalen Gabe. Desgleichen beim Recht der Gnade! Auch die Gnade knüpft ein personales Treueband und
132) Oben 586 ff.; institutioneller Status als Gnadenrechtsgabe: MuS 16, RdG 170, 176, 178, 183, 657.
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enthält rechtliche Treupflichten nicht-normativer Art. Institutionelle Pflichten sind Rechtspflichten133.
Ebenso allgemein wie die Personalität des Handelns, und ihre notwendige Folge, ist die Freiheit des Gnadenrechtes. Darum ist auch das institutionelle Recht „frei”; ja es sichert sogar den personalen Rang der Freiheit. Der Freiheitsbezug des Gnadenrechtes ist ebenso universal wie der Freiheitsbezug des personalen Handelns und der der Institution.
Frei ist die Gabe und ungeschuldet, frei schon die Entscheidung dazu; „Freiheitsraum zu eigenem Handeln” heißt der Status, in den die Gabe versetzt, und frei, ohne Bedingung, sind die Annahme und das dadurch begründete Treue-Rechtsverhältnis134.
Diese Freiheit des Menschen im institutionellen Recht ist, wie schon gezeigt wurde, nicht unbeschränkt. Es ist die intentionale Freiheit oder, wie jetzt gesagt werden darf, die institutionelle Freiheit: Es ist die personale Freiheit des Freigelassenen, der seinem Herrn verbunden bleibt und zur familia gehört — und die Freiheit des aufgenommenen Sohnes. Es ist die Freiheit des Evangeliums135, kraft der fldes gefunden im göttlichen Gnadenrecht, kraft analogia fidei wiederaufgefunden im menschlichen Gnadenrecht. Es ist die Rechtsdimension der theologischen, der neutestamentlichen Freiheit. Sie ist, wie diese, durch und durch dialektisch136; ein Rechtsbegriff und ein institutioneller Begriff, rechtlich
133) S.o. 587 594 f. und wieder GRE 165, RdG
176, 222.
134) RdG 149, 174-180, 190, 200, 203, 222; vgl. 183,
160 A. 21; — ungeschuldet, wenn auch eventuell durch Bitten
angeregt (im weltlichen Bereich). Beispiele der Freiheit: Amt RdG
177; Vollmacht des „Apostels” bzw. des Gesandten 114; Annahme der
göttlichen Gnade als „freier” Glaubensakt 199, bzw. als
Entscheidung 286, 864. — An sich gehört der Freiheitsaspekt zur
Personalität des Rechts und der Ablehnung seiner Zwangsnatur; um
zu zeigen, daß auch die Institutionalität des Rechts sich aufs
beste mit der personalen Freiheit des Menschen verträgt, ist
dieser Abschnitt hier eingeordnet.
135) RdG 200-203; 881: Freiheit des Glaubens. RdG 879
beschreibt die Verkehrung: Aus der Freiheit vom amor sui
wurde die Freiheit von äußerer Heteronomie, äußerem Zwang. — Das
bedeutet rechtsphilosophisch auch die Ablehnung des
neukantianischen Freiheitsbegriffes für das Recht; vgl. OU
47.
136) RdG 204; sinnvolle Paradoxie, ebd.; sie enthält
die antinomischen Elemente von Pflicht und Freiheit, (nach Leuba)
von Institution und Ereignis, RdG 222. Vgl. 991. — Zur analogen
Struktur der innerweltlichen Freiheit vgl. auch RdG 253.
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begründet und getragen, und doch fern von jedem Verdienst137; sie setzt ein in die Freiheit eines schöpferischen Handelns voll Verantwortung — und ist gefährdet von der Verwirkung138, ein Wagnis auf beiden Seiten; eine Befreiung zur Sohnschaft — und zugleich zu herrschaftsunterworfener Haushalterschaft; geschenkt aus souveräner Freiheit, aber nicht zu souveräner Freiheit, sondern in ein gestaltetes neues Verhältnis neuer Relationen in supplementärer Spannung von Individuum und Gemeinschaft139.
Es darf also zusammengefaßt werden: Die Rechtsdimension der evangelischen Freiheit ist die institutionale Freiheit. Damit findet jede kontradiktorische Entgegensetzung von Freiheit des Evangeliums und Zwang des Gesetzes (oder Rechtes) ein Ende 140.
Auch die übrigen Strukturelemente von Gnadenrecht bzw. Institution sind mutatis mutandis vertreten. Es genügt ein Hinweis: Der personale „Freiheitsraum” hat die begriffliche Undefinierbarkeit von Gnadenrecht und Institution zur Folge. Garant beider ist Gott; seine „vorauslaufende Vergemeinschaftung” im Bund ermöglicht sie beide samt ihrer glaubensanalogen Widerspiegelung in connubium, commercium usf. Beiden gemeinsam ist überhaupt ihr Gemeinschaftscharakter141. Die Wandlung der Institution zur „transpersonalen Institution" und die Bewahrung ersterer zeigen das bedrängende Problem der Geschichtlichkeit der Institutionen über unwandelbaren Grundbezügen; nicht minder einschneidend sind die historischen Wandlungen des Rechts von der Gnade zur Norm: das Thema der Rechtsgeschichte!
137) Verdienst ist der Gnade wesensfremd; „man
kann ein Gefäß nur füllen, wenn und soweit es leer ist”, RdG 175
(b), 197 (10.).
138) RdG 175 f., 178, 220; ein rechtstheologischer
Zugang zum Phänomen der strafrechtlichen Schuld!, vgl. MuS 91:
die Kehrseite des personalen Rechtes ist der Schuldvorwurf.
138) RdG 178,182, 196, 199-204, 217 f., 222.
140) OU 47 (1.), RdG 879, 881; vgl. RdG 222: Die
„Gnade” ist „Institution” in die Freiheit.
141) RdG 97, 168, 175-178, 183, 191, 207, 216 ff.,
421, 469; zum Rechtscharakter der communicatio s.o. 588.
— Eine systematische Vereinfachung — und zugleich
Parallelisierung zum Gnadenrecht — wäre es, wenn Do.
„vorauslaufende Vergemeinschaftung” und „Status” deutlicher
unterschiede, nämlich als zwei zeitlich aufeinanderfolgende Teile
des Institutionsvorgangs. Dann würde sich die Integrationslehre
auch für den speziellen Gnadenvorgang nahelegen.
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Schließlich tragen auch die Verflechtungen der Institutionen untereinander Rechtsqualität142.
Aber was ist mit dem anderen Rechtskreis, dem Anspruchsrecht? Wie verhält er sich zur Institution? Bisher wurde doch nur das Gnadenrecht beigezogen. Die erste Antwort ist einfach: Wie im Rechtsbegriff der Gnade das Anspruchsrecht supplementär enthalten ist, so auch in der Rechtsstruktur der Institution; denn Rechtsstruktur der Institution und Rechtsstruktur der Gnade sind identisch. Darüber hinaus wohnt auch dem normativen Anspruchsrecht, wenigstens in der Deutung durch Dombois, ein institutionelles Moment inne; die herkömmliche „imperative” Norm wird zur „gewährenden” Norm, oder anders: Normen sind „nur in Relation zu Institutionen zu definieren und zu verstehen”143.
Das bedarf freilich einiger Erläuterung. Wie bereits ausgeführt, ist das Anspruchs- oder Gerechtigkeitsrecht ebenfalls ein personaler Vorgang, bestehend aus den beiden Akten des Anspruchs (z.B. Anspruch auf Leistung einer Geldsumme) und der Anerkennung des Anspruchs (sei es durch Richterspruch, sei es durch Erfüllung oder was sonst immer), der dadurch zum „objektiven Recht”, zur „Norm” wird. „Gegenläufig” läßt sich die gnadenrechtliche Gabe auch als „An-Spruch”, die Annahme als auch Anerkennung verstehen144; aber das ist nicht der eigentliche Bereich des Anspruchsrechts, weil bei der beanspruchenden Gabe der Gerechtigkeitsmaßstab nicht gilt. Der eigentliche Bereich des Anspruchsrechts innerhalb der Institution liegt in dem durch Gabe und Annahme begründeten Status und der damit verbundenen Lastenübernahme. Dort erwartet den Instituierten eine Fülle neuer Verpflichtungen, die den Freiheitsraum schützen sollen, die man auch anspruchsrechtlich („normativ”) interpretieren kann und die auf der vorauslaufenden
142) Oben 5766.
143) EStL 799 f., NRO 91 u.ö. unter Ablehnung der
Imperativtheorie. — Vgl. RdG 91, aus Anerkennung eines
Rechtsbezugs als dauernde Zuordnung wird der Status als
„durchhaltendes Zuordnungsverhältnis”; darüber, daß auch die
(strafende) Gerechtigkeit einen status
(negativus) zuweist, vgl. RdG 197 (9.), sowie Strafe als
„negative Institution”, MuS passim.
144) Oben 636 f.
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Vergemeinschaftung durch Gabe beruhen (und darum „gewährend normativ” heißen können).
Also: Wegen der Strukturidentität von Gnade und Institution birgt der institutionelle Freiheitsraum eine Fülle von „Ansprüchen”, die der „Anerkennung” bedürfen, die „vorauslaufende Vergemeinschaftung” voraussetzen und die zur Aufrechterhaltung der Institution nötig sind — kurz: Das Anspruchsrecht ist in der Institution supplementär enthalten.
Damit ist nun auch der dritte der in dieser Arbeit nachzuzeichnenden Ansätze der Rechtstheologie in seinem Grundriß wiedergegeben — ganz verschieden von der Rechtstheologie Heckeis oder derjenigen Wolfs, doch nicht weniger bedeutsam im rechtstheologischen Gespräch der Gegenwart. Freilich ist die Rechtslehre Hans Dombois’ bisher noch unabgeschlossen. Darum können auch die folgenden kritischen Bemerkungen nur Anregungen zu weiteren Forschungen sein.
Dombois sucht nicht irgendein Recht, auch nicht das heutige, sondern das axiomatische Recht1. Schon daran würde man den Rechtsphänomenologen erkennen, wenn ihn nicht auch sein Verfahren verraten würde. Freilich ist es eine Rechtsphänomenologie eigener Art, die, wenn man überhaupt Namen nennen will, viel weniger von A. Reinach als von G. van der Leeuw geprägt ist.
Dombois ist der originellste und originärste Rechtstheologe der Gegenwart. Natürlich lassen sich Verbindungen zum bisherigen Rechtsdenken aufzeigen. Daß es nirgendwo direkte Abhängigkeiten sind2, erschwert genaue Aussagen. Dombois’ Rechtsbegriff ist geprägt von der
1) RdG 166.
2) Für Do.s „dialektisches” Verhältnis zur
Rechtsphilosophie vgl. SS 3, MuS 7, RdG 171, ZEE 1963 317. — Die
statusrechtliche kanonistische Eheinterpretation hat Do. erst in
neuester Zeit beschäftigt; vgl. ZevKR 1966/67 336 ff. (338,
355).
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Überwindung des deutschen Idealismus3 und seiner Nachfolger. Dabei knüpft er nicht bei den neoscholastischen oder existentialen Ansätzen nach 1945 an, sondern — ohne Übernahme der ideologischen Prämissen4 — an dem „konkreten” Rechtsdenken zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg (C. Schmitt, E. Forsthoff)5, das, von Savigny herkommend6, aus naheliegenden Gründen später keine Fortsetzung fand, und bildet es in selbständiger und überraschender Weise weiter.
Damit steht Dombois formal in dem breiten Strom des soziologisch beeinflußten Rechtsphilosophierens, das namentlich im französischen und angelsächsischen Raum das Recht aus sozialen Fakten erhebt7; er unterscheidet sich aber von diesen Versuchen durch die theologische Begründung und durch die Vertiefung der Rechtsphilosophie durch die Anthropologie; außerdem wendet er die (i.S. M. Webers) soziologische Methode auf das Kirchenrecht an.
In rechtstheologischer Hinsicht ist Dombois in unerwartet starkem Maße geprägt vom Einfluß Karl Barths, aber ebenso von der Auseinandersetzung mit ihm. Natürlich findet man auch zahlreiche
3) Vgl. RdG 60.
4) Do. war, wie schon erwähnt, bereits 1933 Mitglied
der Bekennenden Kirche.
5) Vgl. den Anfang der Einleitung von W. Grewe 5, wo
sich einträchtig fast alle Stichworte versammelt finden: „Mit dem
Niedergang einer Formal Jurisprudenz, die in der Konstruktion
begrifflicher Figuren eine normativistische
Scheinwelt des Rechts errichtete und die wirklichen
Ordnungszusammenhänge des sozialen Lebens verdeckte, hat
sich das rechtswissenschaftliche Interesse den materialen
Gehalten und den überpositiven Bedeutungszusammenhängen
der Rechtsordnung und ihrer einzelnen Institutionen zugewandt.
Die Forderung nach einer geisteswissenschaftlichen
Methode auf dem Gebiete des Rechts wurde erhoben . . . Die
Aufgaben, die früher im Vordergrund gestanden hatten,
Systematisierung, logische Verarbeitung,
Begriffsbildung, . . . traten zurück hinter die heute
vordringlich erscheinenden Aufgaben der gegenständlichen
Erforschung und Beschreibung lebendiger
Wirklichkeitszusammenhänge und ihrer immanenten
Ordnungsstruktur, der Ergründung konkreter
Gemeinschaftsformen, typischer Gestalten des
Gemeinschaftslebens, der Aufdeckung geistiger
Sinnzusammenhänge und der Feststellung der
rechtsbildenden Kräfte . . . überhaupt” (Hervorhebungen
vom Verf.). — Zur Institution bei C. Schmitt 20, 55 f. (nur
Ansätze). Auch R. Smend ist hier wieder zu nennen (vgl. oben 608
ff.).
6) Zu Savigny (z.B. I 9 ff., 350, II 454, dazu Do.
ZevKR 1966/67 355) und F.J. Stahl vgl. R.-P. Calliess 1962 29
f.
7) Dazu U. Scheuner RuI 40 f., R.-P. Calliess 1962 30
ff., Wolf NRL 189 f. (je mit Lit.). — Natürlich ist M. Webers
Unterscheidung von Status- und Zweckkontrakt auch hier zu nennen
(so Do. selbst ZevKR 1966/67 388).
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Berührungspunkte zu Theologen, die der Michaelsbruderschaft angehören oder ihr nahestehen bzw. -standen, wie H.D. Wendland, Wilhelm Maurer, Peter Brunner, Paul Tillich u.a. Auch der reformierte G. van der Leeuw ist hier wieder zu nennen. Von kirchenrechtlicher Seite hat vor allen anderen Rudolph Sohm tiefen Eindruck auf ihn gemacht.
Der Rechtsbegriff Hans Dombois’ umfaßt göttliche und menschliche Gnade, göttliche Gerechtigkeit und menschliche, göttlichen Anspruch und menschlichen Anspruch. Die Folgerungen aus einem solchen Rechtsbegriff sind fast unabsehbar und gehen alle Disziplinen an, die mit dem Recht in Berührung kommen. Eine Kritik an Dombois, die zum Grundsätzlichen vorstoßen wollte, müßte am Rechtsbegriff und seiner theologischen Begründung ansetzen8. Denn dieser ermöglicht es, theologische Sachverhalte in juristische Kategorien zu fassen.
1. Damit ist als erste die Methodenfrage neu gestellt und eine positive Abgrenzung zur Theologie dringlich geworden9.
2. Für den Juristen ist vor allem das Verhältnis des Gnadenrechts zum geltenden Recht von Interesse. Mit Staunen stellt er fest, daß einerseits jede geschichtliche Phase ihr relatives Recht hat, andererseits aber sowohl das weltliche wie das kanonistische Recht der Gegenwart, ja des letzten Jahrtausends gar als Entartung verstanden wird. Es ist alles in allem die Fehlentwicklung des Gnaden- und Anspruchsrechts zum normativistischen Körperschaftsrecht. Das
8) So mit Recht S. Grundmann ThLZ 1963 807,
810, H. Liermann LM 1963 42, M. Bergman RDC 1967 58 (on
touche là au centre de sa pensée), Ernst Wolf ZevKR 1963/64
100, der hier die „entscheidende Frage an den ganzen Entwurf”
sieht: „Wird hier nicht . . . der Rechtsbegriff . . . sowohl
theologisch wie auch rechtsphilosophisch überzogen?” — Übrigens
wäre es verfehlt, die Ausführungen Do.s vom geltenden Recht her
zu kritisieren, weil dieses selbst schon „normativ” ist. Wohl
aber kann gefragt werden, wieweit die von Do. beigezogenen
Rechtsstrukturen kategorial oder legitimerweise
wandelbar sind. Damit wiederholt sich die schon zur Struktur
ausgesprochene (o. 514 ff.) Frage beim Recht.
9) Ansätze hierzu unten 694 f. — Man kann vermuten,
daß die Grenzen des Rechts sich nicht aus der Theologie ergeben,
sondern aus dem Recht selbst zu entnehmen sind: Das Recht ist
eine Dimension jeder Humanwirklichkeit, aber auch nur eine
Dimension. Wo das Recht keine eigenen Begriffsmittel entwickelt
hat, kann es auch nichts sagen. Was aber Recht ist, das sagt
letztlich die Anthropologie.
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gesamte geltende Recht10 wird rechtsphilosophisch zur Makulatur! Der Jurist fragt, wie sich das mit der ambivalenten Geschichtlichkeit verträgt, derzufolge große geschichtliche Entwicklungen — um eine solche handelt es sich nach Dombois — nie als bloßer Abfall angesehen werden können11.
3. Sogar die Institutionalität des Rechts scheint zu wenig berücksichtigt zu sein. In der Institutionenlehre hat die transpersonale Institution ihr — wenn auch arg beschränktes — Recht. Wo aber ist das „transpersonale” Recht geblieben? Wenn es das normative Recht ist — ist es dann auch unter diesem Gesichtspunkt wirklich völlig illegitim? Oder ist es wenigstens so legitim wie die transpersonale Institution?
4. Vielleicht hat Dombois doch die Wandelbarkeit der Strukturen unterschätzt. Das moderne rechtsphilosophische Denken unterscheidet sich vom ursprunghaft-mythischen Rechtsdenken (wenn man überhaupt so typisieren darf) nicht nur durch die rationale Explikation, wie Dombois sagt, sondern auch und besonders durch die neue Erkenntnis der Geschichtlichkeit des Rechts, und damit der Unabge-schlossenheit der Strukturen12.
5. Fragt man nach den Ursachen für diese Schwächen im Rechtsbegriff Dombois’, so trifft man wieder auf die Rechtsphänomenologie. Ist der phänomenologische Ansatz, der doch ex definitione das überzeitliche Wesen sucht, überhaupt geeignet, die Geschichtlichkeit und Wandelbarkeit des Rechtes zu bewältigen?
6. Es fällt auch auf, daß nur Teile des Rechts als Deduktionsbasis herangezogen sind. So fehlt neben der kanonistischen „Gnadenlehre” (zu finden etwa bei der Frage nach der Rechtsnatur der Eheschließung, beim Privileg und der Reskriptenlehre) vor allem fast das
10) Vgl. Berichtskizze 254.
11) Der tiefere Grund für diese Widersprüchlichkeit in
der Rechtsvorstellung liegt im unausgeglichenen Geschichtsbild;
denn der Chance-Abfall-Dialektik einer jeden
geschichtlichen Phase widerspricht die Deutung der Geschichte ab
dem 12. Jh. als Abfallsgeschichte. Zwar hat Do. heute diese
„Abfalltheorie” überwunden (oben 532 f.60), nicht aber
deren Folgen in der Institutionentheorie (oben 612: die Abwertung
bzw. fehlende positive Begründung der tpI) und im
Rechtsbegriff.
12) Vgl. Do. selbst zum je unverwechselbar Neuen bei
Traditionsübernahme und -verlust RdG 726 f.
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gesamte Staats- und Verwaltungsrecht13, obwohl sich doch Dombois gerade mit den Fragen des Staates so gründlich beschäftigt hat.
7. Daraus erklärt sich wohl, daß das moderne juristische Gesetz vorwiegend14 als Inbegriff vorweggenommener Urteile in den Blick gekommen ist, daß aber die naheliegende statusrechtliche Interpretation als hoheitliche Gabe des Souveräns ebensowenig geprüft wurde wie entsprechende Phänomene (begünstigender Verwaltungsakt, Verordnungen, ja die Verfassung des Staates selbst). In diesem Zusammenhang interessiert auch, wie sich das kategoriale Verhältnis von Gnaden- und Gerechtigkeitsrecht zu der geschichtlich bedingten Unterscheidung von öffentlichem und Privatrecht verhält.
8. Was die rechtshistorische Begründung dieser Rechtstheologie betrifft, so kann wohl die rechtstheologische Exegese des Neuen Testamentes nicht allein mit phänomenologischen und soziologischen Mitteln auskommen, sondern wird sich auch in größerem Maße, als dies Dombois getan hat, auf die Parallelen zum altorientalischen Recht stützen müssen — trotz der zugestandenermaßen äußerst schwierigen und von der Exegese noch kaum geleisteten Vorarbeiten. Auch der Einbruch des römischen Rechtsdenkens in die Kirche während der ersten christlichen Jahrhunderte wird in seiner Bedeutung nicht gewürdigt. Schließlich sähe man überhaupt die für Dombois so wichtige Zäsur des zwölften Jahrhunderts gerne näher begründet15.
13) Einziger Ansatz EStL 799. — Das wenige, was
Do. zum (weltlichen; zum kirchlichen finden sich wertvolle
Anregungen bes. RdG 860 ff.) Verwaltungsrecht vorträgt,
berücksichtigt die Entwicklungen der neueren
Verwaltungsrechtswissenschaft überhaupt nicht (Ausnahme:
Integrationslehre). Gerade dort würden sich m.E. weitere
Einsichten in das Wesen des Statusrechts gewinnen lassen.
14) Ausnahme MuS 28.
15) Es ist zu bedauern, daß Do. diese Konzeption nur
wenig begründet hat, obwohl auf ihr ein wesentlicher Teil seiner
Geschichtsbetrachtung aufruht und die kirchen(rechts-)- und
profangeschichtliche Forschung bisher überwiegend (Ausnahmen oben
666106) andere Einschnitte für bedeutsamer hält. So
nimmt Do. auch von der katholischen und evangelischen Kritik an
Sohms Geschichtsbild und dessen tragenden Begründungen keine
Notiz (mit Ausnahme von K. Mörsdorf MThZ 1952 1 ff., StGrat I 483
ff.), vgl. etwa Vinzenz Fuchs und A. Schebler und die Forschungen
über die Gregorianische Reform namentlich in den StudGreg I ff.
Seine Darstellung verliert an Überzeugungskraft, weil die fast
erdrückende Vielfalt der Richtungen in der Frühscholastik und ihr
doch recht beträchtlicher Unterschied zur Hochscholastik
übergangen und letztere — wie in der evangelischen Literatur
leider fast durchgängig ➝
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9. Es ist sehr zu bedauern, daß Dombois des großen Theologen nicht gedacht hat, der als erster den mehraktigen und Rechtscharakter der Gnade als vorauseilender Gabe und nachfolgender Forderung gesehen hat: Gottlieb Söhngen16.
Nicht gering ist die Tragweite in rechtsphilosophischer Sicht. Die juristische Gnade wird nun befriedigend in den Rechtsbegriff eingeordnet17. Dadurch wird sie von einer rätselhaften Randerscheinung zum Quellort des Rechts.
Gleichsam als Nebenprodukt wird der einseitig normativistische Rechtsbegriff korrigiert18. Zugleich entfällt nicht nur, was selbstverständlich
➝ — mit Thomas gleichgesetzt wird (Fachkenner wie K.
Barth, W. Pannenberg, G.A. Lindbeck, E. Wölfel [um nur einige zu
nennen] natürlich ausgenommen. Aber das hat sich noch nicht
herumgesprochen, zumal die Nichtbeachtung der augustinischen und
skotistischen Linien die Neuheit der Reformatoren leichter
begründen läßt — eine Komplementärerscheinung zur kath.
Vernachlässigung des Augustinismus seit der sogenannten
Gegenreformation. Für viele Einzelbehauptungen zur Begründung der
Geschichtseinteilung fehlt der Nachweis; auf Sohm
zurückzugreifen, will Do. selbst verwehren (RdG 471 A. 21). Auf
den mächtigen Einfluß der zeitgenössischen Frömmigkeit mit ihrem
stark rechtlichen Einschlag wird nicht hingewiesen, obwohl das
doch ein Stück „Realgeschichte” auch im Sinne Do.s sein dürfte.
Die Rolle der entstehenden Kanonistik dürfte zu negativ gesehen
sein; ihr Verdienst ist es gewesen, die Unterscheidung von
geistlich und weltlich herausgearbeitet und damit die Auflösung
der Verfilzung von Kirche und Staat ermöglicht zu haben. Die
Charakterisierung als „Spiritualismus” (s.o. 664
95,97) dürfte dem komplexen Sachverhalt nicht gerecht
werden (ebenso pauschal aber F. Heer, z.B. 1949 191). Wenn Do.
versucht, bei seinen geschichtlichen Überblicken (die
Selbstaussage Kathol. 301 gilt für alle Geschichtsbetrachtungen
Do.s) das Geschichtlich-Zufällige beiseite zu lassen, und als
Beispiel für solches Zufällige die Eigenart der Völker und deren
Folgen nennt — was ist dann das Kriterium für das Wegzulassende?
Was ist zufällig und was nicht? Auch die Beachtung der
Besonderheit des morphologischen Vorgehens, wie es W. Elert I 3
schildert, erklärt das nicht!
16) Vgl. G. Söhngen 1957 26 ff. u.ö., 1962 — und die
einzige Erwähnung im Oeuvre Do.s RdG 464 mit den drei Worten:
„calvinisierende Anklänge Söhngens” — jetzt zurückgenommen ZevKR
1966/67 349 . . . — Vgl. auch C. Schmitt 26: Gnade als reiner
Rechts- und Ordnungsbegriff; J. Ellul 1948 37 ff.: Bund ist
Gnade, Bund ist Recht, Recht ist Gnade; H. Diem III 315
Verkündigung von Gnade und Gericht als rechtsetzender und
-verbindlicher gottesrechtlicher (K. Barth) Akt mit
Rechtsfolgen.
17) RdG 179.
18) Vgl. auch oben 643 f. zur Realität des Rechts;
gegen Jurisprudenz als Normwissenschaft Hochland 1953/54 346
f.
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wäre, der Positivismus, sondern ebenso der tief eingewurzelte neuzeitliche Nominalismus und Voluntarismus, der nicht nur die evangelische Rechtslehre, sondern ebenso, wenn auch verborgener, die neu-scholastische Naturrechtslehre infiziert hat. Dabei entsteht — wenn es auch Dombois nicht so nennen würde — eine beachtliche Naturrechtslehre, die die Ergebnisse der Anthropologie und der Soziologie zur tragenden Voraussetzung hat.
Damit nicht genug: Durch die Berücksichtigung der Rechtsentstehungsvorgänge gelingt es, neben dem normativen Recht einen zweiten Rechtskreis zu entdecken19 und wissenschaftlich darzustellen. Dieses institutionelle Recht erhellt die bislang wenig geklärten Zusammenhänge von Institution und Recht.
Dadurch kann die von Kant herrührende Trennung von Sein und Sollen im Recht (der bekannte rechtsphilosophische „Methodendualismus”) auf eine neuartige Weise überwunden werden, wenn auch ihre rechtsphilosophische („komplementäre”) Deutung durch Dombois noch nicht in allen Punkten befriedigen mag; auch das Verhältnis von Recht und Ethik sollte noch genauer bestimmt werden.
Durch die Beachtung der Rechtsentstehung20 wird außerdem wieder ein innerer Zusammenhang zwischen prozessualem und materiellem Recht hergestellt. Freilich um den Preis, daß das Recht der Sitte bis zum Verwechseln näherrückt21, was aber nichts Besonderes ist, sondern auch bei Wolf (und vielleicht bei Heckel) zu beobachten ist22.
19) Zu Vorgängern und Auswirkungen s.o. 639 ff.
677 ff. je m. A.; ferner P. Häberle (Staatsrecht), R. Motsch
(Eherecht), R.-P. Calliess (Eigentum). Auch der Terminus
„Gnadenrecht” bzw. „Recht der Gnade” ist nicht neu; er findet
sich schon bei Th. Harnack (nach Chr. Link 1966 233), jetzt bei
K. Barth KD IV/1 z.B. 577 f., 591 ff., 625, 631.
20) Muß es nicht nach Do. noch einen dritten
Rechtskreis geben, wenn doch die Rechtsentstehung durch die
gerechtigkeitsrechtliche Anspruchsanerkennung, die
Rechtsübertragung durch das Gnadenrecht erfaßt ist, nämlich für
das Rechtserlöschen —? Aber es scheint, daß sich die
Erlöschensgründe auf die beiden Rechtskreise zurückführen
lassen.
21) RdG 93. — Hier ist noch einiges offen: Worin liegt
das Spezifikum des Rechts gegenüber der Sitte? Do. scheint es in
der Verbindlichkeit zu sehen (Sache 242) i.S. von
Irreversibilität: Man kann ein öffentliches Geschehen nicht
beliebig rückgängig machen. Doch was ist darunter des näheren zu
verstehen? Man kann vermuten, daß nur solche Vorgänge gemeint
sind, die die Struktur des Aussonderns und Zuordnens
bzw. der Anspruchsanerkennung haben (arg.
„Geschichtlichkeit”, ebd.).
22) Ob es sich um eine notwendige Folge des
„geistlichen” Rechtsbegriffs handelt, bedürfte noch näherer
Untersuchung.
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Durch diese Einbeziehung der Rechtsentstehung in ein „Recht als Vorgang” und durch die Interpretation des Rechts als personale Relation hat Dombois sogar eine Möglichkeit eröffnet, die Trennung von Person und Recht, Person und Sache zu überwinden und so das Recht zu humanisieren.
Schließlich dürfte die Verbindung der Soziologie mit der anthropologischen Reduktion auf die Grundrelationen auch für die Rechtsphilosophie noch weitere Früchte zeitigen23.
Der rechtstheologische Ertrag besteht vor allem darin, daß es zum erstenmal (seit G. Holstein) gelungen ist, die reichen Ergebnisse der neueren exegetischen Forschung für die Rechtstheologie fruchtbar zu machen. Dadurch entsteht ein Rechtsbegriff, der in gleicher Weise das Rechtsphänomen des alttestamentlichen Bundes Gottes24 wie die rechtlichen Elemente des Neuen Testamentes zu umfassen scheint.
Freilich ist die Exegese gefragt, ob sie sich in diesem rechtlichen Spiegelbild wiedererkennt. Sollte sich die Konzeption des Gnadenrechts auch nur im Ansatz bestätigen25, so wäre damit eine rechtstheologische Großtat ersten Ranges geglückt.
23) Es hat sogar den Anschein, als führe in
diesem Punkte der Jurist Do. in soziologischer Hinsicht selbst
über die doch gewiß überaus bedeutsamen Forschungen Gehlens und
Schelskys hinaus.
24) ZEE 1963 320. Vgl. Ernst Wolf II 196: „Das Recht
(ist) die Grundlage der Gottesvorstellung des Alten
Testamentes.”
25) Do.s zentrale Frage, ob das Gnadenrecht
wirklich Recht sei — ob also die Gnade Rechtsstruktur aufweise —,
wird in der alttestamentlichen Theologie unter dem
Gesichtspunkt erörtert, wie sich das atl. Gesetz, überhaupt das
AT, zum NT, speziell zu Paulus, verhält: ist das AT „Gesetz” im
theologischen Sinn, also dem Evangelium und seiner Freiheit
diametral entgegengesetzt? Die neuere Forschung, namentlich im
Gefolge G. v. Rads, sieht zunehmend das AT als Gnadenbund mit der
Tora als integrierendem Bestandteil, wobei auch der Bund
Rechtsqualität besitzt, obwohl er „reine Gnade” ist.
Rechtssystematisch bedeutet das das supplementäre Ineinander von
Gnaden- und Anspruchsrecht! — Neutestamentliche Exegese:
vgl. E. Neuhäusler LThK VII 461 „Gabe und Forderung des
Auferstandenen”; und auch sonst in der Theologie: Do.
nennt verstreut einige Beispiele (U. Wilckens ZThK 1959 282, RdG
199 f.: die „Tora . . . als die eine und entscheidende Gabe
Gottes an die von ihm erwählte Heilsgemeinde, . . . die zugleich
nur eine einzige Forderung stellt: dem erwählten Gott treu zu
bleiben”; D. Stoodt zum ntl. Glaubensbegriff [51 f.; RdG 229 A.
5]: „Glaube ist . . . menschliche Ratifizierung des von Gott
➝
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Ihre Konsequenzen wären etwa, um einen besonders wichtigen Punkt herauszugreifen, daß das so überaus strittige Problem26 des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium nun ganz neu durchdacht werden muß. Bisher wurde es allein vom normativen Recht her angegangen27 — im Grunde ein unhistorisches Unterfangen, weil man in die Schrift den heutigen (oder doch wohl schon gestrigen) Rechtsbegriff hineinprojizierte.
➝ gesetzten neuen Rechtsverhältnisses”, d.h. — Anspruch
und Anerkennung. Ferner Augustins bekanntes Da quod
iubes mit seiner typischen Verbindung von Gabe und Forderung
[RdG 230 A. 10]; schließlich ganz augustinisch Luther [RdG 192;
WA II 500,11]: Christus dat quod facias et habeas — und
schließlich Rankes überraschende Formulierung zum Vaticanum I:
„Alles bildet eine einzige Kette von Anforderungen und
Ansprüchen, die man nun zu einer allgemeinen Anerkennung zu
bringen hoffte” [RdG 165; L. v. Ranke 1923 9. Buch 750 f.]). Sie
wären leicht aus der Literatur namentlich zum Bundesbegriff zu
vermehren. Aber nur zwei Theologen, so fährt Do. anderswo fort
(RdG 193), haben erkannt, daß die Gabe am stärksten verpflichtet:
A. Schlatter in seiner Ethik und der schon so oft genannte G. van
der Leeuw PhdR § 50. (Vgl. auch Thomas STh I q 21 a 4!) An sich
also ist die Gabe-Anspruch-Struktur der Offenbarung dem
Theologen, namentlich der Exegese längst vertraut. Do.s Verdienst
ist es, die Rechtsdimension dieser Struktur ausführlich
nachgewiesen zu haben. — Die Jurisprudenz hat es nach
Dombois bisher einmütig abgelehnt, die Gnade als rechtliches
Phänomen zu interpretieren. Die allgemeine Rechtslehre behandelt
sie als systemwidrige Besonderheit; die Rechtsphilosophie ist nur
an der Gerechtigkeit interessiert; für sie ist Gnade der
dialektische Gegenbegriff der Gerechtigkeit, oder mit der
Gottesgerechtigkeit identisch — also jedenfalls nicht Recht (RdG
171; vgl. E. Schlink KuD 1956 258: „Ein seltsamer Fremdling” ist
die Gnade in der Rechtswissenschaft und gilt „als irrationale
Störung”). Nur der Jurist W. Grewe (in der ausgezeichneten Studie
Gnade und Recht 1936) habe sich gründlicher mit dem Begriff der
Gnade eingelassen (aber vgl. C.Schmitt, J. Ellul, H. Diem [oben
682 16], G. Radbruch RPhil 276 ff., 337 ff. und K. Engisch 1960
117 f.: „Es gibt eine gerechte Gnade und eine gnadenschenkende
[scil. juristische] Gerechtigkeit”!); E. Schlink habe die
Ergebnisse Grewes für die Rechtstheologie fruchtbar gemacht (RdG
256-288; zur Kritik beider RdG 175, 178). — Unter
katholisch-rechtstheologischem Aspekt nun auch J. Fuchs
1963 211 ff. (218 ff.): Recht ist Gabe (scil. Gottes) erstens aus
Schöpfung (mit Geschichte, menschlicher Rechtsetzung usf.),
zweitens und besonders aus Berufung (göttliche Erwählung zu
Gottes- und konkreter Menschengemeinschaft) — wobei ihre
Rechtsqualität offengelassen wird — anders als bei G. Söhngen
(oben 68216).
26) Exegese: vgl. die Übersicht von W. Zimmerli ThLZ
1960 481-498; lutherische und reformierte Dogmatik: E. Schlink
1948 415 f., FS Barth 323 ff.
27) Ähnlich J. Begrich ZAW 1944 1 ff.; vgl. auch den
Hinweis U. Wilckens’ ZThK 1959 282, wonach das Rabbinat die Tora
als „Bündel göttlicher Einzelanweisungen”, also „normativ”
verstand, während die spätjüdische Apokalyptik sie als die eine
Gabe zu würdigen wußte. — Ein weiterer Grund: oben 629 zu A.
23.
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Auch das nie ganz bewältigte Problem der Ver„recht”lichung der Gnade, des Evangeliums usw. ist damit neu gestellt28. Darüber hinaus ist die von K. Barth aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von Rechtfertigung und Recht ausgeweitet auf das Verhältnis von Offenbarung und Recht überhaupt. Der Theologe muß sich sogar nun seinerseits vom Juristen fragen lassen, ob er nicht allzu unbedenklich einen längst (schon lange vor Dombois) überholten Rechtsbegriff zugrunde gelegt hat; er wird nicht umhin können, die geistes- und rechtsgeschichtlichen Prämissen seiner rechtlichen Überlegungen neu zu durchdenken.
Auch die juristische Methodenfrage wird gefördert: Eine Rechtsbegründung, die völlig von der Theologie absehen zu können meint, ist fortan nicht mehr möglich29.
Doch all dies ist für Dombois nur Präludium und Ouvertüre. Es ist Einleitung zur Bewältigung der gespaltenen Kirchenrechtswirklichkeit durch ein ökumenisches Kirchenrecht.
28) Ob Do. eine „Verrechtlichung
der Gnade" hervorruft, wie viele fürchten, ist noch
nicht ausgemacht. Vgl. die schönen Ausführungen G. Söhngens
Hochland 1964 268-271. — Die Beantwortung dieser Frage setzt
voraus: rechtsphilosophisch: den Beweis einer durchgängigen
gnadenrechtlichen Struktur durch umfangreiche
rechtshistorische Forschung; exegetisch: den Nachweis solcher
Struktur im atl. (dazu A. 25 f.) und ntl. Befund, der
systematisch dem dogmatischen Begriff der Gnade entspricht;
schließlich dogmatisch eine Untersuchung, ob das, was man
allgemein unter „Verrechtlichung” versteht, sich nur auf den
normativen oder auch auf den Gnaden-Rechtskreis bezieht. Do. hat
hierfür einiges vorgearbeitet und vor allem bisher unbekannte
Wege zur Lösung aufgezeigt; aber ein bündiger Beweis ist das noch
nicht.
29) Nach Do. ist der locus dogmaticus der
Rechtstheologie die Dogmatik in ihrem ersten Buch, der
Trinitätslehre, verbunden mit der Christologie, nicht mehr die
Ethik (RdG 63, 94 f.; OU 124 für eine in die Dogmatik
hineingenommene Ethik — wie es ja auch K. Barth getan hatte;
eingeschränkt in GRE 111) oder die praktische Theologie.